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ID0103507600

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    Vokabeln: 7
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    7. Kiesinger.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1950 1105 35. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1106A, 1139C Zustimmung des Bundesrats zu dem Entwurf eines Notgesetzes für die deutsche Hochseefischerei 1106B Anfrage Nr. 40 der Abg. Goetzendorff und Genossen betreffend deutsche Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie (Drucksachen Nr. 439 und 513) 1106B Anfrage Nr. 33 der Abg. Goetzendorff und Genossen betreffend Flüchtlingsgesetz (Drucksachen Nr. 413 und 516) . . . 1106B Anfrage Nr. 39 der Abg. Dr. Becker und Genossen betreffend Benzinzuteilung (Drucksachen Nr. 438 und 521) . . . . 1106B Anfrage Nr. 35 der Abg. Strauss, Dr. Solleder, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Lokomotiven für die Deutsche Bundesbahn (Drucksachen Nr. 422 und 517) 1106B Anfrage Nr. 37 der Abg. Winkelheide, Hoppe und Genossen betreffend Auftragvergebung der Bundesbahn an die Privatwirtschaft (Drucksachen Nr. 425 und 518) 1106B Anfrage Nr. 37 der Fraktion der SPD betreffend Überbrückungsauftrag für die Lokomotivindustrie (Drucksachen Nr. 436 und 519) 1106B Anfrage Nr. 38 der Fraktion der SPD betreffend Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für 1950 und Jahresabschluß für 1948 (Drucksachen Nr. 437 und 520) 1106C Anfrage Nr. 36 der Abg. Strauss, Dr. Solleder, Dr. Jaeger und Genossen betreffend Welt-Weizenkonvention (Drucksachen Nr. 423 und 310) 1106C Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz betreffend Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abg Marx 1106C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Wirtschaft von Groß -Berlin (West) (Drucksache Nr. 496) 1106D Dr. Seelos (BP) (zur Geschäftsordnung) . . . 1106D, 1107C, 1110B Ollenhauer (SPD) (zur Geschäftsordnung) 1107A Dr. Bucerius (CDU) . . . 1107B, 1114D Schäffer, Bundesminister der Finanzen . . . . . . . 1107D Frau Schroeder (SPD) 1110D Rische (KPD) 1113D Dr. Reismann (Z) . . . . . . 1116D Dr. Reif (FDP) 1118A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Neuordnung des Kohlenbergbaues (Drucksachen Nr. 472 und 109) 1119B Dr. Blank (FDP) (Berichterstatter) 1119B Blank (CDU) 1119C, 1125B Henßler (SPD) . . . . . . . . 1120B Agatz (KPD) 1121D Euler (FDP) . . . . . . 1122D, 1125C Dr. Leuchtgens (DRP) 1123C Aumer (BP) 1124B Dr. Bertram (Z) 1125A Dr. von Merkatz (DP) 1125D Beratung des Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Einfügung eines neuen § 48 a (Finanzvorlagen) in die vorläufige Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen Nr. 498, 258, 129, 59) 1126B Freiherr von Aretin (BP) . . . 1126B Dr. Mücke (SPD) 1127A Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . 1128B Kiesinger (CDU) 1130B Renner (KPD) 1131C Dr. Reismann (Z) 1133B Dr. Arndt (SPD) . . . . . . 1134B Dr. Becker (FDP) . . . . . . 1135B Dr. Schmid (SPD) 1135D Beratung des Antrags der Abgeordneten Kuhlemann, Freudenberg, Faßbender, Degener, Kalbitzer, Dr. Baumgartner und Genossen betreffend Paßverfahren (Drucksache Nr. 468) . . . . . . . 1137C Dr. Gerstenmaier (CDU) 1137C Übersicht über die vom Ausschuß für Petitionen erledigten Eingaben (Drucksache Nr. 478) 1138B IInterfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 499) 1138B Dr. Arndt (SPD) . 1138C Erklärungen betreffend Zwischenruf „Ehrlose Landesverräter" 1138C Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 1138D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1139C Die Sitzung wird um 13 Uhr 45 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Höpker-Aschoff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! In dem Sitzungszimmer, in dem der Haushaltsausschuß des Reichstags seine Sitzungen abzuhalten pflegte, war die Wand mit einem sehr hübschen Bild geschmückt — ich weiß nicht, vor welchem Maler —,

    (Abg. Löbe: Pape!)

    welches eine Sitzung der Budgetkommission des alten Reichstags darstellte. Dieses Bild gab eine Verhandlung der Budgetkommission wieder, einen Kampf des Kriegsministers um die Bewilligung seines Haushalts. Auf diesem Bild sind bekannte Gestalten, neben dem Kriegsminister zu sehen: Bebel, Richter, Kardorff, Spahn. Mir ist immer besonders eindrucksvoll gewesen. wie auf diesem Bild Bebel dargestellt war, halb aufgesprungen, die Arme auf den Tisch gesetzt, in Kampfstimmung dem Kriegsminister gegenüber. Es war also so, daß hier ein Kriegsminister um die Bewilligung seines Haushalts mit dem Parlament kämpfte. Das Bild, das die Älteren unter uns aus den Verhandlungen der Haushaltsausschüsse des Reichstags und des Landtags heute mit sich tragen, ist ein anderes. Das ist nicht der Kampf der Regierung um die Bewilligung der Haushaltsvorlage mit dem Parlament, sondern das ist der Kampf der Regierung gegen die Bewilligungsfreudigkeit aller Fraktionen.

    (Zurufe: Sehr richtig!)

    Das haben wir im Reichstag erlebt, und das haben wir im Preußischen Landtag erlebt. Wir haben dann versucht, dieser. Entwicklung durch geschäftsordnungsmäßige Einrichtungen entgegenzutreten, indem wir in den Haushaltsausschüssen
    Unterausschüsse, Köpfungsausschüsse oder Sparausschösse einsetzten, die dann die undankbare Aufgabe hatten, das, was an Mehrausgaben von den Ausschüssen selber beschlossen war, hernach wieder zusammenzustreichen.
    Meine Damen und Herren! Diese Vorgänge, wie sie sich damals im Reichstag und im Preußischen Landtag, vielleicht auch in anderen deutschen Landtagen entwickelt hatten, haben dann dem Deutschen Juristentag im Jahre 1928 Anlaß gegeben, sich eingehend mit den Fragen des Haushaltsrechts zu beschäftigen. Dem Juristentag in Salzburg lagen damals zu diesen Fragen zwei Gutachten vor: ein Gutachten des Wiener Professors Merkle und ein Gutachten des Staatssekretärs Dorn. Damals hatten wir ja noch die schöne Übung, unseren Juristentag gemeinsam mit den deutschen Brüdern aus Österreich abzuhalten. Das Referat in dieser Frage war mir übertragen. Aus den Beschlüssen, die der Juristentag damals gefaßt hat, möchte ich einen herausheben, weil er dann nachher wieder die Veranlassung für die Abänderung der Geschäftsordnung des Reichstags selber geworden ist. Es heißt dort:
    Ein Antrag auf Ausgabenerhöhung oder Einnahmensenkung darf, sofern die Regierung ihm nicht zustimmt, nur zugelassen werden, wenn gleichzeitig ein Ausgleichsantrag gestellt wird, der auf eine entsprechende Ausgabensenkung oder Einnahmeerhöhung gerichtet ist.
    Das Weitere interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Dieser Beschluß des Juristentages in Salzburg ist dann später die Grundlage für die Ergänzung der Geschäftsordnung des Reichstags
    gewesen.
    Meine Damen und Herren! Als der Reichstag im Jahre 1931 seine Geschäftsordnung in diesem Sinne änderte und die sogenannte Deckungspflicht für Finanzvorlagen einführte, hat im Reichstag meines Wissens niemand davon gesprochen, daß dies etwa ein Eingriff in verfassungsrechtliche Rechte der Abgeordneten sein könnte.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Davon ist gar nicht die Rede gewesen.
    Nun, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, . ob Ihnen das Buch von Gaston Jèze bekannt ist. Es ist eine ausgezeichnete Darstellung des Haushaltsrechts aus der Hand eines Franzosen, uns bekanntgeworden auch durch eine vortreffliche deutsche Übersetzung von Neumarck. Gaston Jèze prägt in diesem Buch das Wort: „Bald sind die Regierungen, bald sind die Parlamente verschwenderisch." Ein hartes Wort, aber vielleicht der Wahrheit nicht allzufern. Aber ich frage Sie nun: Wer schützt das Volk gegen die Verschwendungssucht der Regierung? Sie werden mir ohne weiteres antworten: Das Parlament! Aber wer schützt nun das Volk gegen die Verschwendungssucht des Parlaments? Gewiß einschränkende Bestimmungen der Verfassung, wie wir sie in dem vielzitierten Artikel 113 unseres Grundgesetzes haben; aber, meine Damen und Herren, darüber hinaus nur eins: nämlich die Selbstzucht des Parlaments selbst!

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Einen anderen Weg gibt es auf diesem Gebiet überhaupt nicht.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)



    (Dr. Dr. Höpker-Aschoff)

    I Man hat hier davon gesprochen, daß entsprechende Vorschriften der Geschäftsordnung einen Eingriff in die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte des einzelnen Abgeordneten seien. Gewiß, meine Damen und Herren, der einzelne Abgeordnete hat das Recht, das Wort zu ergreifen; er hat das Recht, Anträge zu stellen, kleine Anfragen und Interpellationen vorzubringen. Aber alle Bestimmungen unserer Geschäftsordnung sind ja doch eine Einschränkung dieser Rechte. Nach der Geschäftsordnung hat der einzelne Abgeordnete nicht das Recht, Anträge, Anfragen und Interpellationen vorzubringen, sondern er kann das Recht nur mit einer Gruppe von gleichgesinnten Abgeordneten ausüben. Gewiß, er hat das Recht, das Wort zu nehmen; aber es kann ihm auch dieses Recht beschränkt werden auf Grund der Geschäftsordnung, indem eme Redezeit festgesetzt wird.
    Gerade in dieser Beziehung gehen andere Parlamente noch viel weiter, als das bei uns üblich ist. Als ich vor ein paar Tagen in den Erinnerungen von Churchill las, stieß ich dort auf folgende Erzählung. Churchill, Anfang der dreißiger Jahre ein einflußloser Abgeordneter, nicht mehr Mitglied der Regierung, erzählt mit einem gewissen Stolz:gleichwohl habe ihm der Speaker einige Male das Wort erteilt. Ja, meine Damen und Herren, das bedeutet — und das ist ja auch der englische Brauch —
    , daß der Abgeordnete des Unter hausec nicht das Recht hat, das Wort zu ergreifen, wie er will, sondern daß es voll und ganz von dem Ermessen des Sneakers abhängt, ob er ihm das Wort erteilen will oder nicht.

    (Zuruf des Abg. Renner.)

    Sie ersehen daraus, daß das englische Parlament ) solche Eingriffe für durchaus vereinbar hält mit den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten der Abgeordneten.
    Nun, meine Damen und Herren, mögen solche Fesseln, die die Geschäftsordnung dem einzelnen auferlegt, natürlich von der Opposition stärker empfunden werden; denn dort besteht natürlich die Neigung, sich auf der Fettweide der Opposition etwas freier zu tummeln,

    (Heiterkeit und Zurufe)

    während die Mitglieder einer Regierungskoalition immer von dem Finanzminister in ein bestimmtes Gehege verwiesen werden und sich daher nicht so frei bewegen können. Aber, Herr Kollege Mücke, Sie werden ja auch nicht immer in der Opposition sein, und wir werden ja auch nicht immer in der Regierungskoalition sein.

    (Erneute Heiterkeit und Zurufe.)

    Auch Sie werden nachher einschränkende Bestimmungen, die für den ordnungsmäßigen und sachlichen Ablauf der Arbeit des Parlamentes sorgen sollen, unter keinen Umständen entbehren können.
    Meine Damen und Herren! Wir haben eine parlamentarische Demokratie bei uns in Deutsch-. land erst verhältnismäßig spät entwickelt und sind gewohnt, auf das Musterbeispiel der westlichen Länder hinzuweisen. Die einschränkenden Bestimmungen der Geschäftsordnung des englischen Unterhauses sind im allgemeinen bekannt und wurden hier schon des öfteren erwähnt. Ich möchte sie aber doch noch einmal hier im Wortlaut vorlesen:
    Standing Order Nr. 78
    Dieses Haus wird weder einen Antrag, für öffentliche Dienste eine Summe zu bewilligen, entgegennehmen,
    — entgegennehmen! —
    noch auf einen Antrag auf eine Bewilligung oder eine Belastung der öffentlichen Einkünfte eingehen, einerlei ob zahlbar aus dem konsolidierten Fonds oder aus den vom Parlament bewilligten Geldern, es sei denn auf Empfehlung der Krone.
    Also eine ganz starke Einschränkung der Rechte des einzelnen Abgeordneten, insbesondere auch seines Initiativrechtes, durch die Geschäftsordnung des englischen Unterhauses!
    Aber viel weniger bekannt ist -- und auch darauf möchte ich hier noch einmal hinweisen —, daß auch die Geschäftsordnung der französischen Kammer entsprechende einschränkende Bestimmungen hat. Allerdings kann ich Ihnen hier nicht den neuesten Stand wiedergeben; das, was ich jetzt anführe, ist die Geschäftsordnung der französischen Kammer am Ende der zwanziger Jahre, wie ich sie aus dem Buch von. Gaston Jèze entnehme. Aber wenn das heute auch etwas geändert sein sollte, so beeinträchtigt das ja nicht die Beweiskraft meiner Argumente. Es heißt nun in den Bestimmungen der französischen Geschäftsordnung — ich lese hier nur einige Worte aus dem Artikel 96 a vor — :
    Vorbehaltlich des ausdrücklichen Wunsches der Regierung kann kein Regierungsentwurf, kein sonstiger Gesetzentwurf und kein abgetrennter Abänderungsantrag auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn er zur Übernahme fortdauernder Ausgaben oder zur 0 Herabsetzung bestehender Einnahmen führt und nicht Bestimmungen enthält, die die Deckung dieser Ausgaben oder den Ausgleich der Einnahmenherabsetzung sichern. Es ist kein Einspruch zulässig, wenn der Vorsitzende des Finanzausschusses, der Hauptberichterstatter oder der Sonderberichterstatter des gleichen Ausschusses erklären, daß die erwähnte Bedingung nicht erfüllt ist.
    Also, meine Damen und Herren, Sie haben hier in nute dieselbe einschränkende Bestimmung, die wir Ihnen mit unserem Antrag vorgeschlagen haben.
    Ich glaube, man muß davon ausgehen: alle Bestimmungen der Geschäftsordnung sind Einschränkungen der Freiheit der einzelnen; aber sie sind gebotene Einschränkungen der Freiheit des einzelnen, wenn ein Parlament seine Aufgabe ordnungsmäßig erledigen soll. Wir bitten Sie daher dringend darum, unseren Antrag in der Form, in der er die Zustimmung des Ausschusses gefunden hat, anzunehmen.
    Aber ich möchte doch gleich auch hervorheben, daß dies nicht der letzte Antrag sein wird, den meine Freunde zur Geschäftsordnung einbringen werden. Wir haben dabei vor allem eins im Auge: wir möchten einen Weg suchen, der dieses Haus von der Flut der Entschließungsanträge befreit,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    der Entschließungsanträge, die hier zunächst in
    erster Lesung, dann in den Ausschüssen und dann
    in zweiter und dritter Lesung beraten werden,


    (Dr. Dr. Höpker-Aschoff)

    Entschließungsanträge, die oftmals große Hoffnungen im Lande erwecken, die dann nachher nicht erfüllt werden können, und schließlich nur noch das Ergebnis haben, daß in 75 Prozent aller Fälle nach drei Monaten eine Erklärung der Regierung eingeht, daß die Regierung aus den oder den Gründen leider nicht in der Lage gewesen sei, diesen Entschließungsanträgen nachzukommen.
    Meine Damen und Herren! Ich habe viel Sinn für große, leidenschaftliche Auseinandersetzungen, wenn es um große Dinge geht. Ich habe aber nicht das geringste Verständnis dafür, wenn die laufenden Aufgaben eines Parlaments in langatmigen, langweiligen Erörterungen abgewickelt werden.

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Das Ansehen eines Parlamentes hängt davon ab,
    daß es seine Arbeit knapp und sachlich erledigt
    Vom alten Reichstag hat man gesagt, er sei eine
    Halle der Wiederholungen gewesen, und oft genug wird gesagt, die Parlamente seien Schwatzbuden. Meine Damen und Herren, es ist nicht
    gleichgültig, ob wir draußen im Volk ein Ansehen haben oder ob wir es nicht haben. Ich bin
    davon überzeugt, daß wir unser Ansehen nur
    erhöhen können, wenn wir uns eine Geschäftsordnung geben, die den reibungslosen, glatten
    und klaren Ablauf unserer Arbeit gewährleistet.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man bösartig ist, kann man in der Tat das Wort „Parlament" mit „Schwatzbude" übersetzen.

    (Abg. Strauss: Das ist aber eine schlechte Übersetzung!)

    Aber dann muß das Parlament dazu Anlaß geben. Ich fürchte, unsere werdende deutsche Demokratie läuft Gefahr, zu einer so bösartigen Kennzeichnung immer wieder Anlaß zu geben. Wäre dieser Antrag nicht aus den Reihen der Freien Demokratischen Partei gestellt worden, meine Damen und Herren, dann wäre er sicher .aus unseren Reihen gestellt worden.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe links.) — Ich möchte auch Herrn Kollegen Mücke das gleich zum Troste sagen, nicht etwa gewendet gegen unsere große Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, sondern auch gegen uns selbst: wir wollten hierdurch eine Selbstkontrolle einführen. Wir sind ja nicht so starr und uniform und sind nicht nach einem -einzigen Exerzierreglement ausgerichtet, daß nicht auch aus unseren Reihen sehr lebhaft Initiativen wüchsen. Auch in unseren Reihen wollten wir das etwas dämpfen. Wir wollten nicht nur agitatorische Anträge zurückhalten, sondern wir wollten alle diejenigen Anträge zurückhalten, die finanziell nicht sorgfältig genug durchdacht sind.

    Was liegt denn hier mit diesem Antrag vor? Wir alle haben eine selbstverständliche, und zwar verfassungsrechtliche Pflicht, uns bei Einbringung jeder Vorlage klarzumachen, was sie kosten wird und ob die Mittel dafür vorhanden sind. Das ist das, was jeder von uns verfassungsrechtlich zu tun verpflichtet ist. Und nun meine ich, daß diese
    Pflicht durch die vorgesehene Regelung der Geschäftsordnung jetzt nur rechtliche Form annimmt. Der Herr Kollege Dr. Mücke hat leider den Juristen von der Mehrheit des Ausschusses eine schlechte Zensur erteilt; aber leider pflegt es ja manchmal so zu gehen, daß man sich über Zensuren nicht einigen kann. Ich kann mich auch über diese Zensur nicht einigen und muß daher zu den Rechtsfragen, die hier in Frage stehen, noch eine kurze Bemerkung machen.
    Die erste Frage: Wird denn wirklich das Initiativrecht des Bundestags durch diese Bestimmung verletzt oder auch nur gefährdet? Die zweite Frage wäre: Ist es richtig, daß die vorgesehene Regelung durch Artikel 113 überflüssig oder gar verfassungswidrig erschiene?
    Zum Initiativrecht ist folgendes zu sagen: Unser Grundgesetz enthält dafür die einzige Bestimmung des Artikel 76, die besagt, daß Gesetzesvorlagen beim Bundestag und — soweit der Bundestag selbst in Frage kommt — aus der Mitte des Bundestags einzubringen sind. Was bestimmt nun die neue Regelung der Geschäftsordnung hierzu? Nun, die Einbringung einer Gesetzesvorlage beim Bundesrat läuft technisch so ab, daß zunächst einmal der Antrag beim Präsidenten des Bundestags eingereicht wird. Und nun handelt es sich um die weitere Behandlung. Das kann so geschehen, daß der Bundestagspräsident nunmehr den Antrag dem Plenum zuleitet. Das kann aber auch so geschehen, daß er zunächst diesen Antrag einem Ausschuß zuleitet, wenn er dazu die Ermächtigung des Bundestages hat.

    (Abg. Renner: Da müssen wir das Grundgesetz ändern!)

    Diese Ermächtigung des Hauses könnte ihm speziell erteilt werden. Sie kann ihm aber auch generell durch eine entsprechende Bestimmung der Geschäftsordnung erteilt werden. Diese generelle Ermächtigung wird in dem neuen § 48 a vorgesehen. Dadurch wird die Autonomie des Bundestags in keiner Weise beeinträchtigt, denn er selbst gibt sich ja diese Ordnung.

    (Lachen bei der KPD.)

    Es ist dies, was Herr Dr. Höpker-Aschoff gesagt hat: eine Maßnahme der Selbstdisziplin aus diesem Parlament heraus.

    (Abg. Renner: Eine Diktatur der Mehrheit!)

    — Dieses Argument, Herr Renner, lasse ich methodisch gelten. Wenn ein Argument gegeben wird, dann müßte es ein Argument aus dem Gesichtspunkt des Minderheitsschutzes sein. Aber dieses Argument geht auch fehl. Es ist nun einmal sa, daß in einem Parlament mit Mehrheit entschieden wird; wir sind Demokraten.

    (Abg. Dr. Seelos: Aber nicht gegen die Geschäftsordnung!)

    Es gibt Minderheitsprobleme, die durchaus geschützt werden müssen und geschützt werden. — Verzeihung, Herr Seelos, ich habe Ihren Einwand nicht verstanden.

    (Abg. Dr. Seelos: Ich sagte, Sie dürfen nicht Mehrheitsentscheidungen gegen die Geschäftsordnung treffen!)

    — Nein, wir wollen ja die Geschäftsordnung ändern, wir wollen auf Grund der geänderten Geschäftsordnung in. Zukunft arbeiten.
    Ich sehe wirklich kein Argument, das aus Gesichtspunkten des Minderheitsschutzes herkommen könnte, denn, meine Damen und Herren, Sie ha-


    (Kiesinger)

    ben ja die Möglichkeit, in Zukunft Ihre Anträge zu stellen. Es wird Ihnen nur die Aufgabe gestellt, das, was Sie ohnehin überlegen müssen: „Woher kommt das Geld?", auch äußerlich zur Darstellung zu bringen.
    Man muß wirklich sagen, wenn das Initiativrecht eingeschränkt würde, wäre dies verfassungswidrig. Das Initiativrecht wird aber nicht eingeschränkt, es ist eine Verfahrensregelung, lediglich ein modus procedendi, der ohne weiteres jedem Abgeordneten, auch Ihnen, Herr Renner, die Möglichkeit gibt, den Antrag, den Sie zu stellen beabsichtigen, auch zu stellen. Warum wehren Sie sich denn so sehr dagegen, daß Sie gleichzeitig mit ihrem Antrag sagen: „Ich mache den und den Ausgleichsvorschlag?" Ich habe bisher in den Versammlungen draußen, in denen ich über dieses Problem gesprochen habe, die ungeteilte Zustimmung nicht nur der CDU-Zuhörer, sondern auch der andern Zuhörer gefunden, und ich habe es gewiß nicht einseitig dargestellt.

    (Abg. Renner: Das will ich glauben: die CDU und Herr Pferdmenges werden ohne weiteres damit zufrieden sein!)

    Zu Artikel 113. Da verstehe ich die Gedankengänge der Gegner des Antrages am allerwenigsten. Der Artikel 113 gibt der Regierung — das ist neu im deutschen Parlamentsrecht — das Recht, eine Zustimmung zu Vorlagen zu geben, die Ausgabenerhöhungen mit sich bringen. Wie nun durch Artikel 113 dieser beabsichtigte § 48 a überflüssig oder gar verfassungswidrig werden soll, ist mir schlechterdings unbegreiflich.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ebenso unbegreiflich ist mir, daß, wie Herr Dr. Mücke sagte, der Artikel 113 etwa gegenstandslos werden soll. Ich sehe im Gegenteil in diesem § 48 a eine höchst sinnvolle Ergänzung des Artikel 113.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Dr. Mücke hat eigentlich selbst das Stichwort gegeben, indem er sagte „der viel weitergehende Artikel 113". In der Tat, er geht sehr viel weiter. Sehen wir den Fall ganz einfach, wie er abläuft: Es wird ein Antrag gestellt, der eine Ausgabenerhöhung mit sich bringt. Mit diesem Antrag muß der Antragsteller nun sofort den Ausgleichsvorschlag verbinden. Nun hat die Regierung die Gelegenheit, ihr Ja oder ihr Nein zu sagen. Wie soll denn da der Regierung die politische Verantwortung abgenommen werden? Es wird doch in dieser grundsätzlichen Frage überhaupt nichts geändert. Aber was sehr wichtig ist: ein Auseinanderklaffen zwischen der Stellungnahme der Regierung und dem, was der Antragsteller beabsichtigt, wird dadurch außerordentlich gemildert. Es besteht die Möglichkeit, daß schon sehr früh eine Annäherung der Standpunkte erreicht werden kann. Also man kann doch wirklich nicht sagen, daß der Artikel 113 dadurch gegenstandslos geworden sei. Meine Freunde sehen daher in diesem Antrag keinerlei Beeinträchtigung der Rechte des Plenums, der Rechte des einzelnen Abgeordneten; sie halten die Neufassung für durchaus mit dem Grundgesetz übereinstimmend.
    Ich möchte der Opposition doch immerhin noch eines sagen: wir haben die wirklich gefährlichen Bestimmungen in sehr ernster Erwägung der Grundsätze der Verfassung herausgenommen. Wir haben die zwei Bestimmungen herausgenommen, die wirklich verfassungswidrig oder mindestens bedenklich gewesen wären: einmal daß die Behandlungsweise durch den Präsidenten des Bundestages von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig gemacht wurde, und zum anderen — und das ist sicher der wichtigste Eingriff in den ursprünglichen Vorschlag gewesen —, daß wir nicht verlangt haben, daß für den Ausgleichsantrag eine Anerkennung der Regierung zu holen ist, sondern daß die Regierung dazu nur zu hören ist. Man kann uns also von der Mehrheit der Ausschüsse wirklich nicht den Vorwurf machen, daß wir das Grundgesetz nicht berücksichtigt hätten.
    Zur Zweckmäßigkeit der Vorschrift sollte im übrigen wirklich nicht sehr viel zu sagen sein. Ich möchte nur die Opposition bitten, zu glauben, daß es uns -- leider wird auch das allmählich zu einem Schlagwort — nicht darum geht, die Opposition „abzuwürgen" oder zurückzudrängen. Herr Kollege Dr. Arndt, es ist nicht so. Ich kann Ihnen sagen, auch meine Freunde, mit denen ich darüber beraten habe, wollten damit das erreichen, was Herr Dr. Höpker-Aschoff glänzend formuliert hat: wir wollten dieses Parlament in die Lage versetzen, so sachlich zu arbeiten, daß es endlich das Ansehen im Volke erwirbt, das es braucht, damit nicht dieses Parlament selbst und die ganze deutsche Demokratie in ein paar Jahren verwirtschaftet wird. Daher bitten wir Sie, den Antrag anzunehmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)