Meine Damen und Herren! In dem Sitzungszimmer, in dem der Haushaltsausschuß des Reichstags seine Sitzungen abzuhalten pflegte, war die Wand mit einem sehr hübschen Bild geschmückt — ich weiß nicht, vor welchem Maler —,
welches eine Sitzung der Budgetkommission des alten Reichstags darstellte. Dieses Bild gab eine Verhandlung der Budgetkommission wieder, einen Kampf des Kriegsministers um die Bewilligung seines Haushalts. Auf diesem Bild sind bekannte Gestalten, neben dem Kriegsminister zu sehen: Bebel, Richter, Kardorff, Spahn. Mir ist immer besonders eindrucksvoll gewesen. wie auf diesem Bild Bebel dargestellt war, halb aufgesprungen, die Arme auf den Tisch gesetzt, in Kampfstimmung dem Kriegsminister gegenüber. Es war also so, daß hier ein Kriegsminister um die Bewilligung seines Haushalts mit dem Parlament kämpfte. Das Bild, das die Älteren unter uns aus den Verhandlungen der Haushaltsausschüsse des Reichstags und des Landtags heute mit sich tragen, ist ein anderes. Das ist nicht der Kampf der Regierung um die Bewilligung der Haushaltsvorlage mit dem Parlament, sondern das ist der Kampf der Regierung gegen die Bewilligungsfreudigkeit aller Fraktionen.
Das haben wir im Reichstag erlebt, und das haben wir im Preußischen Landtag erlebt. Wir haben dann versucht, dieser. Entwicklung durch geschäftsordnungsmäßige Einrichtungen entgegenzutreten, indem wir in den Haushaltsausschüssen
Unterausschüsse, Köpfungsausschüsse oder Sparausschösse einsetzten, die dann die undankbare Aufgabe hatten, das, was an Mehrausgaben von den Ausschüssen selber beschlossen war, hernach wieder zusammenzustreichen.
Meine Damen und Herren! Diese Vorgänge, wie sie sich damals im Reichstag und im Preußischen Landtag, vielleicht auch in anderen deutschen Landtagen entwickelt hatten, haben dann dem Deutschen Juristentag im Jahre 1928 Anlaß gegeben, sich eingehend mit den Fragen des Haushaltsrechts zu beschäftigen. Dem Juristentag in Salzburg lagen damals zu diesen Fragen zwei Gutachten vor: ein Gutachten des Wiener Professors Merkle und ein Gutachten des Staatssekretärs Dorn. Damals hatten wir ja noch die schöne Übung, unseren Juristentag gemeinsam mit den deutschen Brüdern aus Österreich abzuhalten. Das Referat in dieser Frage war mir übertragen. Aus den Beschlüssen, die der Juristentag damals gefaßt hat, möchte ich einen herausheben, weil er dann nachher wieder die Veranlassung für die Abänderung der Geschäftsordnung des Reichstags selber geworden ist. Es heißt dort:
Ein Antrag auf Ausgabenerhöhung oder Einnahmensenkung darf, sofern die Regierung ihm nicht zustimmt, nur zugelassen werden, wenn gleichzeitig ein Ausgleichsantrag gestellt wird, der auf eine entsprechende Ausgabensenkung oder Einnahmeerhöhung gerichtet ist.
Das Weitere interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Dieser Beschluß des Juristentages in Salzburg ist dann später die Grundlage für die Ergänzung der Geschäftsordnung des Reichstags
gewesen.
Meine Damen und Herren! Als der Reichstag im Jahre 1931 seine Geschäftsordnung in diesem Sinne änderte und die sogenannte Deckungspflicht für Finanzvorlagen einführte, hat im Reichstag meines Wissens niemand davon gesprochen, daß dies etwa ein Eingriff in verfassungsrechtliche Rechte der Abgeordneten sein könnte.
Davon ist gar nicht die Rede gewesen.
Nun, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, . ob Ihnen das Buch von Gaston Jèze bekannt ist. Es ist eine ausgezeichnete Darstellung des Haushaltsrechts aus der Hand eines Franzosen, uns bekanntgeworden auch durch eine vortreffliche deutsche Übersetzung von Neumarck. Gaston Jèze prägt in diesem Buch das Wort: „Bald sind die Regierungen, bald sind die Parlamente verschwenderisch." Ein hartes Wort, aber vielleicht der Wahrheit nicht allzufern. Aber ich frage Sie nun: Wer schützt das Volk gegen die Verschwendungssucht der Regierung? Sie werden mir ohne weiteres antworten: Das Parlament! Aber wer schützt nun das Volk gegen die Verschwendungssucht des Parlaments? Gewiß einschränkende Bestimmungen der Verfassung, wie wir sie in dem vielzitierten Artikel 113 unseres Grundgesetzes haben; aber, meine Damen und Herren, darüber hinaus nur eins: nämlich die Selbstzucht des Parlaments selbst!
Einen anderen Weg gibt es auf diesem Gebiet überhaupt nicht.
I Man hat hier davon gesprochen, daß entsprechende Vorschriften der Geschäftsordnung einen Eingriff in die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte des einzelnen Abgeordneten seien. Gewiß, meine Damen und Herren, der einzelne Abgeordnete hat das Recht, das Wort zu ergreifen; er hat das Recht, Anträge zu stellen, kleine Anfragen und Interpellationen vorzubringen. Aber alle Bestimmungen unserer Geschäftsordnung sind ja doch eine Einschränkung dieser Rechte. Nach der Geschäftsordnung hat der einzelne Abgeordnete nicht das Recht, Anträge, Anfragen und Interpellationen vorzubringen, sondern er kann das Recht nur mit einer Gruppe von gleichgesinnten Abgeordneten ausüben. Gewiß, er hat das Recht, das Wort zu nehmen; aber es kann ihm auch dieses Recht beschränkt werden auf Grund der Geschäftsordnung, indem eme Redezeit festgesetzt wird.
Gerade in dieser Beziehung gehen andere Parlamente noch viel weiter, als das bei uns üblich ist. Als ich vor ein paar Tagen in den Erinnerungen von Churchill las, stieß ich dort auf folgende Erzählung. Churchill, Anfang der dreißiger Jahre ein einflußloser Abgeordneter, nicht mehr Mitglied der Regierung, erzählt mit einem gewissen Stolz:gleichwohl habe ihm der Speaker einige Male das Wort erteilt. Ja, meine Damen und Herren, das bedeutet — und das ist ja auch der englische Brauch —
, daß der Abgeordnete des Unter hausec nicht das Recht hat, das Wort zu ergreifen, wie er will, sondern daß es voll und ganz von dem Ermessen des Sneakers abhängt, ob er ihm das Wort erteilen will oder nicht.
Sie ersehen daraus, daß das englische Parlament ) solche Eingriffe für durchaus vereinbar hält mit den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten der Abgeordneten.
Nun, meine Damen und Herren, mögen solche Fesseln, die die Geschäftsordnung dem einzelnen auferlegt, natürlich von der Opposition stärker empfunden werden; denn dort besteht natürlich die Neigung, sich auf der Fettweide der Opposition etwas freier zu tummeln,
während die Mitglieder einer Regierungskoalition immer von dem Finanzminister in ein bestimmtes Gehege verwiesen werden und sich daher nicht so frei bewegen können. Aber, Herr Kollege Mücke, Sie werden ja auch nicht immer in der Opposition sein, und wir werden ja auch nicht immer in der Regierungskoalition sein.
Auch Sie werden nachher einschränkende Bestimmungen, die für den ordnungsmäßigen und sachlichen Ablauf der Arbeit des Parlamentes sorgen sollen, unter keinen Umständen entbehren können.
Meine Damen und Herren! Wir haben eine parlamentarische Demokratie bei uns in Deutsch-. land erst verhältnismäßig spät entwickelt und sind gewohnt, auf das Musterbeispiel der westlichen Länder hinzuweisen. Die einschränkenden Bestimmungen der Geschäftsordnung des englischen Unterhauses sind im allgemeinen bekannt und wurden hier schon des öfteren erwähnt. Ich möchte sie aber doch noch einmal hier im Wortlaut vorlesen:
Standing Order Nr. 78
Dieses Haus wird weder einen Antrag, für öffentliche Dienste eine Summe zu bewilligen, entgegennehmen,
— entgegennehmen! —
noch auf einen Antrag auf eine Bewilligung oder eine Belastung der öffentlichen Einkünfte eingehen, einerlei ob zahlbar aus dem konsolidierten Fonds oder aus den vom Parlament bewilligten Geldern, es sei denn auf Empfehlung der Krone.
Also eine ganz starke Einschränkung der Rechte des einzelnen Abgeordneten, insbesondere auch seines Initiativrechtes, durch die Geschäftsordnung des englischen Unterhauses!
Aber viel weniger bekannt ist -- und auch darauf möchte ich hier noch einmal hinweisen —, daß auch die Geschäftsordnung der französischen Kammer entsprechende einschränkende Bestimmungen hat. Allerdings kann ich Ihnen hier nicht den neuesten Stand wiedergeben; das, was ich jetzt anführe, ist die Geschäftsordnung der französischen Kammer am Ende der zwanziger Jahre, wie ich sie aus dem Buch von. Gaston Jèze entnehme. Aber wenn das heute auch etwas geändert sein sollte, so beeinträchtigt das ja nicht die Beweiskraft meiner Argumente. Es heißt nun in den Bestimmungen der französischen Geschäftsordnung — ich lese hier nur einige Worte aus dem Artikel 96 a vor — :
Vorbehaltlich des ausdrücklichen Wunsches der Regierung kann kein Regierungsentwurf, kein sonstiger Gesetzentwurf und kein abgetrennter Abänderungsantrag auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn er zur Übernahme fortdauernder Ausgaben oder zur 0 Herabsetzung bestehender Einnahmen führt und nicht Bestimmungen enthält, die die Deckung dieser Ausgaben oder den Ausgleich der Einnahmenherabsetzung sichern. Es ist kein Einspruch zulässig, wenn der Vorsitzende des Finanzausschusses, der Hauptberichterstatter oder der Sonderberichterstatter des gleichen Ausschusses erklären, daß die erwähnte Bedingung nicht erfüllt ist.
Also, meine Damen und Herren, Sie haben hier in nute dieselbe einschränkende Bestimmung, die wir Ihnen mit unserem Antrag vorgeschlagen haben.
Ich glaube, man muß davon ausgehen: alle Bestimmungen der Geschäftsordnung sind Einschränkungen der Freiheit der einzelnen; aber sie sind gebotene Einschränkungen der Freiheit des einzelnen, wenn ein Parlament seine Aufgabe ordnungsmäßig erledigen soll. Wir bitten Sie daher dringend darum, unseren Antrag in der Form, in der er die Zustimmung des Ausschusses gefunden hat, anzunehmen.
Aber ich möchte doch gleich auch hervorheben, daß dies nicht der letzte Antrag sein wird, den meine Freunde zur Geschäftsordnung einbringen werden. Wir haben dabei vor allem eins im Auge: wir möchten einen Weg suchen, der dieses Haus von der Flut der Entschließungsanträge befreit,
der Entschließungsanträge, die hier zunächst in
erster Lesung, dann in den Ausschüssen und dann
in zweiter und dritter Lesung beraten werden,
Entschließungsanträge, die oftmals große Hoffnungen im Lande erwecken, die dann nachher nicht erfüllt werden können, und schließlich nur noch das Ergebnis haben, daß in 75 Prozent aller Fälle nach drei Monaten eine Erklärung der Regierung eingeht, daß die Regierung aus den oder den Gründen leider nicht in der Lage gewesen sei, diesen Entschließungsanträgen nachzukommen.
Meine Damen und Herren! Ich habe viel Sinn für große, leidenschaftliche Auseinandersetzungen, wenn es um große Dinge geht. Ich habe aber nicht das geringste Verständnis dafür, wenn die laufenden Aufgaben eines Parlaments in langatmigen, langweiligen Erörterungen abgewickelt werden.
Das Ansehen eines Parlamentes hängt davon ab,
daß es seine Arbeit knapp und sachlich erledigt
Vom alten Reichstag hat man gesagt, er sei eine
Halle der Wiederholungen gewesen, und oft genug wird gesagt, die Parlamente seien Schwatzbuden. Meine Damen und Herren, es ist nicht
gleichgültig, ob wir draußen im Volk ein Ansehen haben oder ob wir es nicht haben. Ich bin
davon überzeugt, daß wir unser Ansehen nur
erhöhen können, wenn wir uns eine Geschäftsordnung geben, die den reibungslosen, glatten
und klaren Ablauf unserer Arbeit gewährleistet.