Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung dieses Gesetzes sollte nach meiner Meinung nicht so sehr die Überlegung im Vordergrunde stehen, wie man vielleicht den einen oder anderen Antrag behandeln kann, sondern die Frage, wie sich das Haus seine Position gegenüber der Regierung sichert, die nach der Verfassung eigentlich schon eine übermächtige Stellung hat. Die Verfassung des westdeutschen Bundes hat ein Experiment bezüglich der Stärkung der Regierung unternommen, indem sie das konstruktive Mißtrauensvotum eingebaut hat. Daraus resultiert, daß sie praktisch für die Dauer einer Legislaturperiode kaum gestürzt werden kann. Dementsprechend ist es notwendig, die Position des Parlaments zu festigen und sie nicht etwa durch Anträge, Beschlüsse und Gesetze noch zu schwächen, wie es beispielsweise der heute vorliegende Antrag tut. Dieser § 48 a, den ich. den „Maulkorbparagraphen" für dieses Parlament nennen möchte,
bedeutet praktisch die Subalternisierung dieses Hohen Hauses. Denn auf die Dauer läßt sich -- darüber müssen wir uns klar sein — eine konstruktive Opposition, aber auch eine konstruktive Arbeit des Parlaments überhaupt nicht durchführen, ohne daß dabei, und zwar durch Anträge, auch finanzielle Fragen berührt werden. Das trifft, wie ebeyi einer der Herren Vorredner gesagt hat, keineswegs bloß die Opposition. Ich erinnere daran, daß das Agitationsbedürfnis nach den bisher vorliegenden fünfhundertundsoundsoviel Anträgen bei der Opposition eigentlich das geringere gewesen zu sein scheint.
Es kommt aber nicht darauf an, das Recht der Opposition allein zu sichern, sondern darauf, das Recht des Parlaments gegenüber der Regierung zu sichern. Wir haben nun einmal weder ein englisches System der Demokratie noch ein amerikanisches System der Präsidentschaftsregierung, das nur eine lockere Überwachung durch das Parlament erfährt. Wir haben ein echtes parlamentarisches Regierungssystem und wehren uns dagegen, daß es durch solche Anträge „verbogen" wird. Wenn man diesem Antrag stattgeben würde, dann würde eine „Verbiegung" des parlamentarischen Systems erfolgen. Das geht nicht!
Es geht nicht allein um die Frage, ob es zweckmäßig ist, so zu verfahren, und ich widerspreche dem Gedanken, daß es zweckmäßig sei, diese Einschränkung vorzunehmen. Ich widerspreche dieser Absicht, die Bedeutung des Parlaments und seine Autonomie einzuschränken, weil es der Entwicklung des demokratischen Gedankens Abbruch tut, wenn man das Parlament zu einer halben oder zu einer Dreiviertel-Ohnmacht verdonnern und verdammen würde. Aber es ist wichtiger, auf jeden Fall streng rechtlich beim Erlaubten zu bleiben. Nicht nur die Zweckmäßigkeit, sondern auch die Rechtmäßigkeit muß geprüft werden. Der Grundgedanke des parlamentarischen Regierungssystems kann nicht ohne Verletzung der Verfassung durchbrochen werden, und in dem vorliegenden Falle bedeutet die vorgesehene Einschränkung eine nach unserer Meinung, der Meinung der Zentrums-Fraktion, absolut klare Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte sowohl des Parlaments in seiner Gesamtheit als auch eine Verletzung der Rechte der einzelnen Abgeordneten, die nun einmal das Recht auf Gesetzesinitiative, und zwar uneingeschränkt im Rahmen des Bonner Grundgesetzes haben, mit der einen Maßgabe, daß der Artikel 113 schon alle notwendigen Vorkehrungen vorsieht, um einem etwaigen Agitationsbedürfnis entgegenzuarbeiten. Der Artikel 113 schaltet die Regierung schon ein, indem er ausdrücklich festlegt, daß Beschlüsse des Bundestages, welche die von der Bundesregierung vorgesehenen' Ausgaben erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen, der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen, und über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus bedeutet das Vorhandensein dieser Bestimmung nach meiner Meinung schon, was sich aus dem Zusammenhang der ganzen Bundesverfassung ergibt, daß Einschränkungen des Initiativrechts und der Autonomie nur in der Verfassung getroffen sein können. Sonst hätte man eine solche Bestimmung nicht nötig gehabt und hätte sich darauf verlassen können, daß die Geschäftsordnung des Hauses so etwas schon vorsehe. Da man dies aber nicht getan hat, da man eine Einschränkung des Initiativrechts und der Parlamentsautonomie in die Verfassung hineingebracht hat, so ist es notwendig, etwaige Ergänzungen im Wege eines verfassungsergänzenden Gesetzes, in Wirklichkeit, materiell gesehen, im Wege eines verfassungsändernden Gesetzes vorzunehmen. Wenn man allein von dem Artikel 113 ausgeht und dem Herrn Vorredner
zustimmt, der den Gedanken dieser Beschränkung, dieses „Maulkorbparagraphen" bejaht und zugegeben hat, daß es sich um eine Ergänzung dieser Einschränkung handelt, dann muß man auch die Notwendigkeit zugeben, diese Ergänzung auf dem Wege der formell erklärten Verfassungsänderung vorzunehmen. Ich bezweifle, daß die dazu notwendige qualifizierte Mehrheit zustande kommen wird, und ich gebe zu bedenken, daß eine abweichende Beschlußfassung darüber mit Sicherheit demnächst der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen wird. Es hat gar keinen Zweck, sich Illusionen darüber zu machen und diese rein rechtliche Frage nach politischen Gesichtspunkten entscheiden zu wollen. Es kommt ganz einfach darauf an, was mart demnächst an objektiver Stelle, nicht von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, zu dieser Frage sagen wird. Nachdem aber die Rechtmäßigkeit zumindest in tiefbegründeten Zweifel gezogen wird, die Zweckmäßigkeit zu verneinen ist und ein Bedürfnis nicht vorliegt, so vermag ich nicht einzusehen, daß ein solches Vorgehen überhaupt noch sinnvoll ist. Wenn man von Agitationsbedürfnissen spricht, so trifft dieser Vorwurf nach meiner Meinung höchstens die, die die meisten Anträge solcher Art gestellt haben oder überhaupt die meisten Anträge gestellt haben, die finanzielle Dinge berührten. Ich befinde mich heute zum zweiten Male in der Gelegenheit, für eine Fraktion zu sprechen, bei der es offensichtlich ist, daß dieser Gedanke für sie bisher weder eine Rolle gespielt hat noch nach unserer Tradition eine Rolle spielen wird, die hier also lediglich aus der nüchternen und sachlichen Überlegung spricht, daß man das Ansehen des Parlaments nicht dadurch hebt, daß man seine Wirkungskraft herabsetzt, sondern nur dadurch, daß man an das Bewußtsein der Eigenverantwortung vor der Offentlichkeit appelliert. Ich bin überzeugt, daß sich nach einiger Zeit in allen Fraktionen die Überzeugung durchsetzen wird, daß man auf lange Sicht Politik vor dem deutschen Volk nur vertreten kann, wenn man nicht Agitationsanträge stellt, sondern wenn man sich die gebotene Zurückhaltung selber auferlegt, für welche man das Korsett des „Maulkorbparagraphen" nicht notwendig hat.