Meine Damen und Herren! Jene von uns, die die Ehre hatten, dem Parlamentarischen Rat anzugehören, werden sich noch der langen Debatten erinnern, die wir über den Artikel 113, vor allem aber über die verschiedenen Entwürfe und die Anträge zu ihrer Abänderung geführt haben. Sie werden sich wohl auch noch daran erinnern, daß wir bei dieser Gelegenheit die Grundsatzfrage erörtert haben, inwieweit das Initiativrecht des Parlaments eingeschränkt oder ohne jede Einschränkung sollte geltend gemacht werden können. Der Kollege Höpker-Aschoff hat uns damals schon in sehr beredten Worten aus der Fülle seiner Sachkunde heraus gewisse Einschränkungen des Initiativrechts als praktisch notwendig empfohlen. Wir haben diese seine Ausführungen mit sehr viel Ernst diskutiert und haben ihnen alles Gewicht zugemessen, das ihnen gebührt. Aber wir haben uns trotzdem dafür entschieden, daß der Bundestag ein uneingeschränktes Recht auf gesetzgeberische Initiative haben solle, und wir haben Anträge, die fast wörtlich so lauteten wie der Vorschlag, den der Ausschuß uns jetzt macht, im Parlamentarischen Rat mit Mehrheit abgelehnt.
Wir haben sie deswegen abgelehnt, weil außer den Beschränkungen, die das Grundgesetz selbst vorsieht, dem Parlament keine Einschränkungen auferlegt werden sollten. Dieses Parlament sollte die Initiativen ergreifen können, von denen es glauben sollte, daß sie ergriffen werden müßten. Wir haben das 'getan, obwohl uns Herr Kollege Höpker-Aschoff und andere Mitglieder des Parlamentarischen Rates dargelegt haben, daß im Weimarer Reichstag eine Geschäftsordnungsbestimmung der beantragten Art schon existiert hat, und obwohl damals schon auf die Rechte der
englischen Krone hingewiesen und obwohl damals schon mit der französischen Geschäftsordnung argumentiert worden ist. Daraus ergibt sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Einschränkungen des Initiativrechts, insbesondere Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt wesentlich fiskalischer Rücksichten nicht bestehen sollten.
Man hat heute das verführerische Argument von der Selbstzucht, die das Parlament sich auferlegen sollte, gebraucht. Meine Damen und Herren, es ist etwas Schönes um eine solche Selbstzucht. Aber wenn diese Selbstzucht praktisch darin besteht, daß eine Mehrheit — die vielleicht nicht einmal so überwältigend groß ist — es einer Minderheit unmöglich macht, ihre Verantwortung den Wählern gegenüber voll zu erfüllen, dann kann man nicht mehr gut von der Selbstzucht eines Parlaments sprechen.
— Es ist richtig, Herr Kollege Euler, man kommt ohne Abstimmungen und ohne das Auszählen von Mehrheiten nicht aus. Aber vielleicht sollte man sich überlegen, ob man einer Minderheit zumuten sollte, sich schlechthin Mehrheitsabstimmungen zu stellen, die ihr praktisch wesentliche Teile ihrer parlamentarischen Möglichkeiten aus der Hand nimmt. Das ist a u c h eine Frage der Demokratie. Demokratie .besteht ja nicht nur in Arithmetik, sondern Demokratie besteht auch darin, daß man dem anderen eine Chance, und zwar eine faire Chance gibt und läßt.
{Sehr wahr! bei der SPD.)
Diese aber nehmen Sie ihm mit Ihrem Antrag.
— Sie wird genommen, Herr von Brentano. Was würde denn geschehen, wenn die beantragte Änderung der Geschäftsordnung angenommen werden sollte? Praktisch ergäbe sich damit, daß das Initiativrecht der Regierung und das Initiativrecht des Parlaments verschiedenwertig werden.
Die Regierung kann jederzeit ein Gesetz einbringen und braucht sich um weiter nichts zu kümmern, während das Parlament —, praktisch also die Opposition -- einen Gesetzentwurf nui einbringen kann, wenn er gewisse Bedingungen erfüllt. Mit anderen Worten, Sie stellen damit die Opposition unter das Gesetz differentieller Behandlung.
— Sie können das nicht bestreiten, meine Herren. Die Regierung kann jede Initiative auf jede ihr beliebende Weise ergreifen; sie kann uns zwingen, über einen Gesetzentwurf zu debattieren, ohne daß sie sich die Mühe zu nehmen braucht, uns zu sagen, wie sie die eventuellen Kosten aufbringen will. Wenn demgegenüber von dieser Seite des Hauses aus ein Initiativantrag käme, könnten Sie sagen: Wir nehmen von diesem Antrag nicht einmal Kenntnis, denn ihr seid ja nicht in der Lage, uns zu sagen, wie die Kosten aufgebracht werden sollen. So schaffen Sie letzten Endes ein Privileg für die Reglerungsmehrheit. Denn die Regierung ist doch, bei Licht betrachtet, so etwas wie ein Ausschuß der Regierungsmehrheit, der Parteien, die die Koalition bilden.
— Ich weiß, in den Staatsrechtslehrbüchern steht es anders. Danach ist die Regierung ein Organ des Staates, ein „An und für sich", also etwas ganz anderes als nur ein Ausschuß der Mehrheit. — Es gehört zu meinem Beruf, solche Dinge zu wissen, Herr Kollege.
Aber praktisch ist es doch so, daß Sie in Ihren Fraktionssitzungen die Mitglieder des Kabinetts, die Ihnen zugehören, veranlassen können, im Kabinett gewisse Gesetzesanträge zum Beschluß erheben zu lassen, die dann hier im Hause eingebracht werden. Damit ist wirklich -- aber wirklich! — bewiesen, daß durch die Annahme dieses Ihres Antrags zwischen den Rechten der Minorität und denen der Majorität ein Unterschied geschaffen würde.
-- Es tut mir leid, daß der alte Reichstag sich auf diesen Weg begeben hat. Ich will nicht sagen, Herr Kollege von Brentano, daß d es w e g e n Hitler kam. Aber es ist nicht uribezeichnend, daß man, zwei Jahre bevor Hitler gekommen ist, geglaubt hat, mit solchen Palliativmitteln einer politischen Situation begegnen zu können.
Es wurde davon gesprochen, parlamentum heiße „Schwatzbude", wenn man das Wort bösartig übersetzen wollte. — Ja, Herr Kollege Dr. Laforet, so ist gesagt worden; aber es ist falsch. Parlamentum hieß ursprünglich, als das Wort aufkam: das Haus, in dem man sprechen darf; parlamentum hieß: das Haus der Auseinandersetzungen. Und nun frage ich Sie: wollen Sie das ändern? Wollen Sie, daß das Parlament nicht mehr das Haus der Auseinandersetzungen, und zwar das Haus der freien Auseinandersetzungen ist? Ein Parlament, das nicht soviel Vertrauen zu sich hat, daß es, ohne künstliche Verfahrensvorschriften, Anträge, die die Parteien glauben stellen zu müssen, entgegennimmt, diskutiert, annimmt oder ablehnt, verliert, glaube ich, draußen im Volk mehr an Kredit als ein Haus, das sich weigert, sich allzusehr durch Geschäftsordnungsbestimmungen einengen zu lassen.
Ohne eine gewisse Risikofreudigkeit gibt es keine Demokratie.
Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff, von dem schönen Bild in dem Ausschußzimmer des Reichstags gesprochen haben, wo der Kriegsminister sich mit den Abgeordneten um seine Kredite rauft, so meine ich dazu: nun, damals war es so, daß hauptsächlich die Kriegsminister Geld haben wollten.
Weil man ihnen damals vielleicht zuviel Geld gegeben hat, brauchen wir jetzt Geld, um den Opfern der Kriege, die mit diesem Geld geführt wurden, wenigstens ein Minium zum Leben zu geben.
Es mag sein, daß manche in diesem Hause ihre
Aufgabe darin sehen, denen, die dafür nun bezahlen müßten, die Last so gering wie möglich zu
machen. Das ist keine Schande; es ist ein sehr legitimes Interesse.
Auf der andern Seite gibt es hier aber auch Leute, die der Meinung sind, daß man unter allen Umständen den Opfern dieser Kriege soviel Ausgleich wie möglich leisten sollte — unter Hintansetzung dieser Interessen.
Und das ist vielleicht die Ursache dafür, daß die einen in diesem Hause fiskalischer und andere weniger fiskalisch denken.
— Herr Kollege Dr. Laforet, ich danke für die Belehrung. Aber ich glaube, verantworten zu können, was ich gesagt habe. Was heute hier geschehen wird, ist von großer Wichtigkeit. Es geht nicht nur um eine technische Änderung der Geschäftsordnung, es geht letzten Endes darum, ob man dieses Parlament im wesentlichen — im wesentlichen, nicht ausschließlich; das behaupte ich nicht — als einen Gehilfen der Regierung betrachten will oder als eine selbständige Kraft, die aus eigenem, Recht der Regierung Impulse zu geben und auch ihren zögernden Sachverstand vorwärtszutreiben hat. Mit der Bestimmung, die Sie vorschlagen, lähmen Sie das Parlament!