Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf vor Eintritt in die Tagesordnung folgende amtliche Mitteilungen verlesen: Durch das Ausscheiden einiger Kolleginnen und Kollegen sind Nachwahlen für einen Schriftführer und für verschiedene Gremien erforderlich geworden.
Erstens. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat für Herrn Krizsan die Abgeordnete Frau Eid als Nachfolgerin für das Amt des Schriftführers vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Frau Abgeordnete Eid als Schriftführerin gewählt.
Zweitens. Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes sind der Kollege Schily und Frau Beck-Oberdorf ausgeschieden. Die Fraktion DIE GRÜNEN schlägt als neues Mitglied den Abgeordneten Ströbele vor. Für den Sitz des Stellvertreters im Gemeinsamen Ausschuß wird der Abgeordnete Mann vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Ströbele als ordentliches und der Abgeordnete Mann als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses bestimmt.
Drittens. Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ist Frau Nickels ausgeschieden. Als Nachfolger im Vermittlungsausschuß wird von der Fraktion DIE GRÜNEN der Abgeordnete Dr. Schierholz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Schierholz als Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung — Drucksache 10/2889 — sowie um die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens — Drucksache 10/2523 — zu erweitern.
Der Antrag ist rechtzeitig zugegangen. Wird zu diesem Antrag das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion beantrage ich, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens auf die heutige Tagesordnung zu setzen und in zweiter und dritter Lesung zu beraten.
Die Ausschußberatungen sind abgeschlossen. Wir haben seit langem angekündigt, daß wir eine Verabschiedung dieses Gesetzes am heutigen Tage wünschen, damit der Bundesrat in der kommenden Woche ebenfalls abschließend votieren kann. Unser Ziel ist, für die Bevölkerung und die Industrie Klarheit zu schaffen
und darüber hinaus parlamentarisch auf eine schnelle Einigung über technische Normen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu drängen.
Ich bedaure, daß eine interfraktionelle Vereinbarung — insbesondere mit der SPD — über die Rufsetzung dieses Tagesordnungspunktes nicht möglich war. Die Einwände der Opposition sind vorgeschoben; sie kommen reichlich spät. Ziel der SPD ist es offensichtlich, neue Unsicherheiten zu schaffen.
— Hier sind offensichtlich diejenigen am fröhlichsten, die gestern abend nicht mehr im Parlament waren.
Viele, die gestern abend nicht mehr da waren, sind heute früh aufgestanden.
)
Vielleicht gehen Sie nachher in der Sachdebatte auf diese Punkte noch ein. Sie werden ja, Herr Fraktionsvorsitzender Vogel, Gelegenheit haben, dazu ausführlich Stellung zu nehmen.
9866 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Seiters
Die verfassungsrechtlichen Bedenken der SPD sind nicht stichhaltig. Das Verfahren, nach dem der Gesetzgeber die Ausfüllung von gesetzlichen Bestimmungen dem Verordnungsgeber überläßt, statt das Gesetz mit technischen Details zu überfrachten und es — entsprechend dem technischen Fortschritt — dauernd zu ändern, ist durchaus sinnvoll und üblich. Die SPD weiß sehr genau, daß es die Übertragung von Regelungsbefugnissen auf den Verordnungsgeber gibt, die zum Teil viel weitergehender sind als die Einstufung eines Personenkraftwagens in die Klassen „schadstoffarm" oder „nicht schadstoffarm". Die SPD bemängelt also im Endeffekt ein bewährtes, ständig praktiziertes Verfahren, dessen Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit bisher nie in Frage gestellt war.
Ziel der Opposition ist es, die Verabschiedung dieses Gesetzes zu verzögern. Das ist leider eine Politik der Obstruktion.
Meine Damen und Herren, das wird auch deutlich aus dem zweiten Punkt. Da die Opposition gleichzeitig Einwände erhebt gegen die zweite und dritte Beratung des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, beantrage ich auch insoweit die Aufsetzung auf die heutige Tagesordnung unmittelbar nach der Beratung des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Die SPD macht auch hier deutlich, daß ihr an einer schnellen und konstruktiven Beratung dieser Gesetze nichts liegt.
Die Mehrheit dieses Hauses aber wird sich den parlamentarischen Ablauf der notwendigen Beratungen nicht von der Opposition vorschreiben lassen, sondern das durchsetzen, was richtig und vernünftig ist im Interesse der Bürger unseres Landes.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion widerspreche ich den zwei Geschäftsordnungsanträgen, die der Kollege Seiters eben begründet hat. Eine ernst zu nehmende parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs zum schadstoffarmen Pkw ist heute unmöglich, weil derzeit überhaupt nicht feststeht, welche konkreten Wirkungen sich aus diesem Gesetz ergeben würden.
Der Gesetzentwurf enthält zwar komplizierte Neuregelungen über die steuerliche Förderung des schadstoffarmen Pkws, aber die Definition, was der schadstoffarme Pkw konkret eigentlich ist, eine verbindliche Definition als Voraussetzung für diese Neuregelung liegt diesem Hause bis heute nicht vor.
Sie soll erst nachträglich als europäische Norm festgelegt werden.
Der entscheidende Gesetzesinhalt bleibt somit offen und soll zu einem unsicheren Zeitpunkt von der Bundesregierung über eine Verordnung nachgeschoben werden.Dies bedeutet, daß die Zustimmung zu diesem Gesetz heute eine Blankovollmacht wäre, die die Bundesregierung zu willkürlichem Handeln auf diesem Gebiet ermächtigen würde,
einem Handeln, meine Damen und Herren, das nach unserer Erfahrung umweltpolitisch weit hinter das zurückfallen kann, was jetzt an Versprechungen abgegeben wird.
Damit würde der Bundestag bei einer zentralen steuerpolitischen und umweltpolitischen Entscheidung faktisch ausgeschaltet und zu einer reinen Zustimmungsmaschine für ein Blankettgesetz, das rechtlich unzulässig ist.Es ist auch einfach infam — das richte ich besonders auch an die Adresse des Bundesinnenministers —, wenn dieses Argument, das ich eben vorgetragen habe, jetzt in das Motiv umgefälscht wird, die SPD wolle hier ein umweltpolitisch wirkungsvolles Gesetz irgendwie verzögern oder verhindern.
Erstens ist es so, meine Damen und Herren, daß Ihnen heute jeder Fachmann sagt, daß dies im Bereich des schadstoffarmen Pkws unwirksam ist. Zweitens. Wenn man danach fragt, wer in den letzten beiden Jahren wirkungsvolle, überfällige Maßnahmen zum Umweltschutz beim schadstoffarmen Pkw in dilettantischer Manier verzögert hat, dann ist es die Bundesregierung und nicht die Opposition.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag, wir alle hier haben nicht das Recht, mit einer endgültigen Beratung heute so leichtfertig unsere Pflicht zur Entscheidung in unserer eigenen Verantwortung als Parlamentarier aus der Hand zu geben. Das ist weder mit dem Selbstverständnis des Bundestags noch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu vereinbaren.Eine abschließende Beratung dieser Gesetzeshülse — so muß ich sagen — wäre auch aus einem anderen Grund verfassungsrechtlich problematisch.
— Hören Sie sich das doch an! Ich habe Sie doch auch angehört. — Das Prinzip der Rechtstaatlichkeit gebietet es, daß Gesetze nach Inhalt, Gegenstand, Zweck hinreichend bestimmt und klar begrenzt sind. Diese vom Verfassungsgericht wiederholten Grundsätze der Normklarheit für den Bür-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9867
Dr. Spöriger verletzt der vorliegende Gesetzentwurf unübersehbar.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, endlich mal ihre Hausaufgaben zu machen, Herr Zimmermann, und umgehend in Abstimmung mit den EGPartnern die europäische Abgasnorm festzulegen, damit dieses Parlament auf einer seriösen Gesetzesgrundlage vor dem geplanten Inkrafttreten am 1. Juli 1985 rechtzeitig ordentlich parlamentarisch entscheiden kann. Wir als SPD-Fraktion sind zu jeder Sondersitzung bereit, um Termine zu halten.Ich will zusammenfassen: Mit einer Verabschiedung heute wäre die gebotene, von der Bundesregierung versprochene Klarheit für die Bürger, aber auch die Automobilindustrie und die Verwaltung nicht zu erreichen. Kein Abgeordneter, kein Kollege könnte heute abend in den Wahlkreis fahren und seinen Wählern wirklich präzise erklären, bis zu welcher Grenze die neuen Pkw steuerlich gefördert werden oder ab welcher Grenze sie mit einer Strafsteuer belegt werden, meine Damen und Herren.
Der Gesetzentwurf ist rechtlich in mehrfacher Sicht zweifelhaft. Die SPD-Fraktion legt deshalb bereits hier in aller Form Rechtsverwahrung ein.Das einzige, was mit dem Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU und der FDP erreicht wird, ist, daß die von der Verfassung dem Deutschen Bundestag zugedachte Rolle und die Ihnen als Abgeordnete zugedachte Rolle untergraben wird. Ich appelliere an Sie alle, uns diese Gesetzesfarce heute morgen zu ersparen, und ich bitte Sie daher, den Geschäftsordnungsantrag des ansonsten hochgeschätzten Kollegen Seiters abzulehnen. Die SPDFraktion lehnt ferner den Antrag — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Für Geschäftsordnungsanträge gibt es nur eine Redezeit von fünf Minuten. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Die SPD-Fraktion lehnt ferner den Antrag zur Aufsetzung des Gesetzentwurfs zur Stärkung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung ab.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits ein Blick auf die vorgelegte Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zeigt deutlich, daß dieses Gesetz unvollständig ist. Hier wurde mit heißen Typen geschrieben: „... die Termine für die Einführung einer im gesamten EG-Raum verbindlichen Europanorm". Dann wurde eingefügt: „durch die EG im einzelnen noch zu beschließenden". Ein solches Gesetz ist nicht verabschiedungsreif.
Wenn die Bundesregierung dennoch versucht, diesen Gesetzentwurf hier auf die Tagesordnung zu setzen, obwohl es sachlich nicht gerechtfertigt ist, dann kann es doch hier nur darum gehen, Erfolg vorzuspielen, wo Sie in einer langen Reihe von Mißerfolgen stehen. Nachdem Sie sich in der Katalysatorfrage von einem Mißerfolg zum anderen gehangelt haben, soll hier, um im nordrhein-westfälischen Wahlkampf den Eindruck umweltpolitischer Kompetenz vorzutäuschen, dieses Gesetz durchgepowert werden.
Wir werden dieses Gesetz diese Woche durchziehen. Damit ist schon deutlich gemacht worden, wie die Regierung die Gewaltenteilung und die Rolle dieses Parlaments einschätzt.
Die Herren und Damen von den Koalitionsfraktionen beklagen regelmäßig, wenn Demonstrationen stattfinden, den ach so bösen Druck der Straße. Dieser Druck der Straße hat Sie bisher noch nie wesentlich beeindruckt.
Schauen Sie doch mal, daß dieses Parlament hier unter dem Druck der Regierung steht, und lehnen Sie sich einmal dagegen auf! Daß dieses Gesetz heute behandelt werden soll, ist in höchstem Maße unseriös.
Da wir GRÜNEN uns an unseriösen Machenschaften nicht beteiligen, lehnen wir den Geschäftsordnungsantrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben gehört, die Ausschußberatungen sind abgeschlossen. Der Bundesrat soll jetzt tätig werden. Die Sache soll ja am 1. Juli in Kraft treten, eben so schnell wie möglich. Wir wollen hier keine Verzögerung. Der Weg des Gesetzes war mühsam. Wir wollen nicht neue Mühsale auf dem Wege des Gesetzes schaffen.
Deswegen, meine Kollegen von der SPD, sollten Sie sich an das halten, was bei der ersten Lesung des Gesetzes gesagt worden ist.
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Wolfgramm
Ich hätte es ganz nett gefunden, wenn der Kollege Lennartz, der in der ersten Lesung gesprochen hat, auch jetzt zur Geschäftsordnung gesprochen hätte.
Er hat gesagt:
Handeln Sie! Wir sind bereit, Sie in diesem Sinne zu unterstützen.
— Herr Kollege Spöri, Sie haben hier eine Rechtsposition aufgebaut, die die Freien Demokraten nicht teilen. Es ist nichts Neues, daß wir ein Rahmengesetz schaffen, dessen Inhalt noch nicht präzise festgelegt ist.
Ein Blick in das Bundes-Immissionsschutzgesetz zeigt Ihnen, daß in § 4 genehmigungsbedürftige Anlagen ebenfalls mit unbestimmten Rechtsbegriffen versehen werden.
Die entsprechenden Rechtsverordnungen füllen das später aus. Der Begriff „schadstoffarm" wird in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung geregelt. Da werden Sie später genau diese Positionen finden.
Sie wissen genau, daß wir — das haben wir alle hier in diesem Hause gewollt — Rechtspositionen an die EG abgetreten haben und daß wir auf Grund des Verfahrens in der EG diese Einzelheiten erst dann haben werden, nämlich Ende Juni.
Wollen Sie es auf sich nehmen, daß wir dann die entsprechenden Verzögerungen eintreten lassen?
Halten Sie sich an das, was Ihr Kollege in der ersten Lesung gesagt hat. Dem stimmen wir zu.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU. Wer der Erweiterung der Tagesordnung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe die Punkte 15a bis 15c der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985
— Drucksache 10/2102 — aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/3206 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer Dreßler
Cronenberg
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3211 —
Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring Kleinert
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Förderung der Beschäftigung
— Drucksachen 10/2132, 10/3206 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seehofer Dreßler
Cronenberg
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
— Drucksache 10/2283 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 10/3119 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Vogelsang
Zum Punkt 15a liegt auf Drucksache 10/3217 ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 15a bis 15c und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. — Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Wer ist der Berichterstatter?
Präsident Dr. Jenninger
— Herr Vogelsang hat das Wort als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Schriftlichen Bericht auf Drucksache 10/3119 sind drei Korrekturen anzubringen.
Auf dem Vorblatt, zweiter Absatz, Zeile 1 und 2 muß es nicht heißen „Befristung von Arbeitsplätzen", sondern „Befristung von Arbeitsverträgen".
Auf Seite 8, linke Spalte, vorletzter Absatz muß es richtig heißen: „Stimmen der Mehrheit ".
Auf der Seite 10, linke Spalte, vorletzter Absatz muß der Text richtig lauten:
Entsprechend einem Vorschlag des Bundesrates wurde eine Bestimmung über die Dauer der Befristung für Arbeitsverträge mit wissenschaftlichen Hilfskräften aufgenommen ; vgl. dazu auch § 57 a Satz 1 und § 57 b Abs. 4.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, diesen ungewöhnlichen Vorgang zu entschuldigen. Diese Korrektur hat ihren Grund auch darin, daß wir im Ausschuß in letzter Zeit unter einer erhöhten Streßsituation haben arbeiten müssen.
Vielen Dank.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Arbeits- und Sozialrecht orientiert sich traditionell an denen, die im Erwerbsleben stehen. Ich meine aber, daß es in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit notwendig ist, verstärkt auch an jene zu denken, die vor der Tür stehen und keine Arbeit haben.
Was wir jetzt brauchen, ist ein Stück weniger Egoismus und mehr Solidarität mit den Arbeitslosen.
Den Arbeitslosen helfen die schönsten Schutzrechte am Arbeitsplatz nichts, weil sie keinen Arbeitsplatz haben. Was Schutz für diejenigen ist, die Arbeit haben, kann oft Sperre für diejenigen sein, die draußen stehen. Diese Einstellungshürden zu überwinden ist Sinn und Zweck des Beschäftigungsförderungsgesetzes.
Dieses Gesetz richtet sich gegen niemanden, aber es hilft denen, die unter den wirtschaftlichen Problemen besonders zu leiden haben und zur Untätigkeit verurteilt sind. Wir setzen damit ein Zeichen der Solidarität mit den Arbeitslosen.
Niemand, der in einem Arbeitsverhältnis steht, braucht um seine Rechte am Arbeitsplatz zu fürchten. Daran wird nicht gerüttelt. Von einem Abbau der Rechte der Arbeitnehmer kann keine Rede sein.
Es geht einzig und allein darum, denjenigen, die keine Arbeit haben, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Deshalb werden wir einige Vorschriften im Arbeits- und Sozialrecht ändern und neue schaffen.Meine Damen und Herren, wir können bei hoher Arbeitslosigkeit auf Dauer nicht mit den gleichen rechtlichen Instrumenten arbeiten wie bei Vollbeschäftigung. Wir brauchen jetzt ein flexibles Recht, das auch die Interessen der Arbeitslosen berücksichtigt. Ich bin fest überzeugt: Den meisten Arbeitslosen ist ein Arbeitsplatz nach den Regeln des neuen Beschäftigungsförderungsgesetzes lieber als das Arbeitslosengeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz.
Wir setzen mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz unsere aktive Beschäftigungspolitik konsequent fort. Ich erinnere an die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, an das Vorruhestandsgesetz, an die Rückkehrförderung für Ausländer und an die drastische Erhöhung der Mittel für Arbeitsbeschaffung, Fortbildung und Umschulung.Dies ist eine Politik, die den Menschen praktisch hilft. Die SPD hat dies alles abgelehnt. Sie stemmt sich gegen jede Maßnahme zur Verbesserung der Beschäftigungslage,
auch gegen dieses Beschäftigungsförderungsgesetz.
Meine Damen und Herren von der Opposition, immer wenn es konkret gegen die Arbeitslosigkeit geht, stehlen Sie sich aus Ihrer Verantwortung.
Das einzige, worauf sich die SPD offensichtlich noch einigen kann, ist das Nein gegen alles.
Ich meine, eine Partei, die in 13 Regierungsjahren die Arbeitslosigkeit um 1 700 % hochgetrieben hat, sollte wenigstens jetzt in der Opposition mehr Herz für die Arbeitslosen zeigen.
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9870 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
SeehoferKernstück dieses Beschäftigungsförderungsgesetzes ist der erleichterte Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen bis zur Dauer von 18 Monaten dann,
wenn ein Arbeitnehmer neu eingestellt wird. Diese Regelung haben wir bis Anfang 1990 befristet.
— Herr Kollege Lutz, wenn Sie dauernd so kreischen:
Das erinnert mich ein bisserl an ein bayerisches Sprichwort, das da lautet — das wissen Sie als Bayer —: Die lautesten Kühe geben die wenigste Milch.
Durch diesen befristeten Arbeitsvertrag erhalten Arbeitslose, die sonst dem Risiko der Dauerarbeitslosigkeit ausgesetzt wären, eine Chance, wenigstens vorübergehend beschäftigt zu werden.
Dies gilt vor allem für diejenigen Arbeitssuchenden, die es ohnehin schwerer haben, eine Beschäftigung zu finden, z. B. die Schwerbehinderten. Ich meine: Befristet in Arbeit ist allemal besser als überhaupt keine Arbeit.
Herr Abgeordneter Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Nein. Da mir die Redezeit halbiert wurde, Herr Kollege Dreßler, ist es leider nicht möglich.
Ich rechne Ihnen das nicht auf die Redezeit an, Herr Abgeordneter Seehofer.
Ja, Herr Kollege Dreßler, Sie dürfen.
Die Erfahrung lehrt, daß viele befristete Arbeitsverhältnisse oft in eine unbefristete Beschäftigung münden werden.
Viele Betriebe weichen heute lieber in Überstunden oder Sonderschichten aus, statt Neueinstellungen vorzunehmen.
Davon haben die Arbeitslosen nichts. Durch denZeitvertrag sollen die Arbeitgeber vor allem veranlaßt werden, eine Verbesserung ihrer Auftragslage auch den Arbeitslosen zugute kommen zu lassen.
Natürlich kann man die Frage stellen, warum man den Abschluß des befristeten Arbeitsvertrages erleichtern muß, da doch dieser Zeitvertrag heute schon möglich ist. Dieser Zeitvertrag ist heute möglich, sofern ein sachlicher Grund im Sinn der Rechtsprechung vorliegt. Genau hier liegt das Problem. Dieser Rechtfertigungszwang hat sich in der Praxis in vielen Fällen als höchst kompliziert und einstellungshemmend erwiesen. Wie schwierig die Frage zu beurteilen ist, ob ein sachlicher Grund im Sinn der Rechtsprechung vorliegt, ergibt sich schon daraus, daß die entsprechende Sammlung des Bundesarbeitsgerichts 70 wichtige Entscheidungen zu diesem Thema ausweist. Bezeichnend ist auch, das selbst der Bundesminister der Justiz vor dem Bundesarbeitsgericht in einem Prozeß unterlegen ist, weil er bei der Befristung eines 1980 abgeschlossenen Arbeitsvertrags den sachlichen Grund falsch beurteilt hat.
Wir können einem Handwerksmeister nicht zumuten, sich in diesem juristischen Dickicht zurechtzufinden.
Ich denke, daß es bei dieser hohen Arbeitslosigkeit eine moralische Verpflichtung des Gesetzgebers gibt, hier für mehr Klarheit und Beweglichkeit zu sorgen.
Die Erleichterungen beim befristeten Arbeitsvertrag sind von der Opposition mit viel Verdrehungen und Polemik überzogen worden.
Zum Beispiel wird behauptet, der Kündigungsschutz würde abgebaut,
Arbeitnehmerrechte würden zurückgeschraubt.
Richtig ist, daß der Kündigungsschutz bestehender Arbeitsverhältnisse nicht angetastet wird.
Und von einem unbefristeten Arbeitsverhältnis in ein befristetes Arbeitsverhältnis wird jemand doch nur dann wechseln, wenn es für ihn vorteilhaft ist.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn. Freitag, den 19. April 1985 9871SeehoferArbeitslosen, Frau Kollegin Fuchs, kann man den Kündigungsschutz nicht nehmen, weil sie keinen haben. Dieses Schutzrecht nutzt ihnen nichts, da sie keinen Arbeitsplatz haben.
Im übrigen möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß der befristete Arbeitsvertrag nicht ordentlich gekündigt werden kann. es sei denn, die beteiligten Vertragspartner vereinbaren etwas anderes.
Diese Arbeitnehmer haben also befristet eine größere Arbeitsplatzsicherheit als unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer.
Wie immer, wenn alle politischen Argumente ausgehen, wird behauptet, die ganze Sache sei mit der Verfassung nicht in Einklang. Wir haben die Frage, ob der erleichterte Abschluß des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Grundgesetz in Einklang steht, sehr sorgfältig geprüft. Wir haben auch die Expertenanhörung ausgewertet. Für uns steht fest: Diese Regelung steht mit dem Grundgesetz in Einklang.
Wir sagen sogar darüber hinaus: Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes verpflichtet den Gesetzgeber geradezu, auch für diejenigen zu sorgen, die keinen Arbeitsplatz haben
und von ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl Gebrauch machen wollen.
Ich meine, den Arbeitslosen nützt es wenig, wenn wir hier jetzt spitzfindig juristische Fragen durch den Fleischwolf drehen. Die Arbeitslosen warten darauf, daß wir ihnen praktisch helfen.
Meine Damen und Herren, dies alles ist echte Beschäftigungsförderung.
Wer dies, wie Sie, Kollege Lutz, das gestern getan haben, als Sozialabbau oder gar Beschäftigungsverhinderung bezeichnet, ist blind gegenüber den Problemen der Arbeitslosen.
Sie sollten einmal in der Ausgabe Nr. 14 des „Spiegel" aus diesem Jahr nachlesen. Dort wird uns auf Seite 101 vorgehalten, daß wir viel zu bescheiden bei der Reform des Arbeitsrechts vorgehen. Da heißt es:Statt zumindest all jene Arbeitsplatzhemmnisse, die deutsche Arbeitsrechtler aus Unkenntnis des Arbeits- und Wirtschaftslebens erdachten, zu beheben, gibt es nur kleine Korrekturen.So im „Spiegel", Seite 101.
Kein Wort von sozialer Demontage.
]: Sie sollten im Neuen Testament nachlesen! Danach sind Sie zur Solidarität verpflichtet!)
Wir müssen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit alle Möglichkeiten ausschöpfen. Wir versuchen mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz einen neuen Weg. Die Regierungskoalition leistet damit einen weiteren wichtigen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Ich weise heute schon darauf hin, daß wir bei nächster Gelegenheit noch sozialrechtlich flankierende Vorschriften zu diesem Gesetz einbringen werden, die aus formalen Gründen in diesem Beratungsverfahren zurückgezogen werden mußten.
Wir schaffen mit diesem Gesetz Rahmenbedingungen. Paragraphen allein bewirken noch nichts; sie müssen jetzt mit Leben erfüllt werden. Wir fordern daher die Tarifvertragsparteien — die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Betriebs- und Personalräte — auf, die durch dieses Gesetz eröffneten Möglichkeiten in vollem Umfang zu nutzen.
In erster Linie stehen sie und nicht der Staat in der Verantwortung, wenn es um die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten geht.
Wir appellieren an die Betriebe und die Unternehmen der privaten Wirtschaft und auch der öffentlichen Hand, Überstunden abzubauen und Neueinstellungen vorzunehmen.
Wir brauchen jetzt eine Welle der Hilfsbereitschaft für die arbeitslosen Menschen.
Meine Damen und Herren, mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wird ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Beschäftigung gesetzt. Nutzen wir jetzt gemeinsam die gebotenen Möglichkeiten wirkungsvoll im Interesse der arbeitslosen Mitbürger.
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9872 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muß das Training von Generationen haben, um Arbeitnehmer so verschaukeln zu können, wie Sie das hier heute morgen in Ihrer Rede gemacht haben, Herr Seehofer.
In den 70er Jahren war der Begriff „Flexibilisierung" durch die Sozialdemokraten positiv besetzt. Was Sie hier machen, ist eine Pervertierung dieses Begriffs.
Sie erklären: die Regierung setzt die aktive Arbeitsmarktpolitik fort.
Haben Sie sich einmal den Anstieg der Arbeitslosenzahlen angesehen?
Und das noch mit diesen Begriffen zu besetzen! Daß Sie sich nicht schämen!
Meine Damen und Herren, wir verhandeln hier über ein Gesetz, dessen wirkliche Bedeutung in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht richtig erkannt worden ist. Den meisten wird es so erscheinen, als ob wieder einmal die eine oder andere gesetzliche Regelung verändert werde. Ob es etwas hilft, das kann man dann glauben oder auch nicht.
Meine Damen und Herren, bei diesem Gesetz geht es um sehr viel mehr. Die Arbeitsbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland, die Stellung aller Arbeitnehmer im Arbeitsleben werden in ihrer Substanz durch dieses Gesetz verändert.
— Wenn dieser Gesetzentwurf Wirklichkeit wird, Herr George, dann werden wir für die arbeitenden Menschen, deren einzige Einkommensquelle die bezahlte Arbeit ist, in wenigen Jahren eine ganz andere Republik haben.
Und das ist ja in weiten Teilen auch das Ziel dieses Gesetzentwurfs.
Die von den Fraktionen der Bundesregierung nachgeschobenen weiteren Verschlechterungen zeigen das unwiderlegbar.
Der Regierungsentwurf sah für den Abschluß von Zeitarbeitsverträgen wenigstens noch den Anschein einer Begründung vor. So ganz hemmungslos wollte man sich wohl doch nicht über die höchstrichterliche Rechtsprechung hinwegsetzen. Nur junge Menschen nach Abschluß der Ausbildung und Arbeitslose sollten nach dem Entwurf die Opfer dieser Regelung werden.
Jetzt soll die Frist auf eineinhalb Jahre ausgedehnt werden, und die befristeten Arbeitsverträge können für alle nach dem 1. Mai begründeten Arbeitsverhältnisse gelten. Antragsteller: die Christlich Demokratische Union
und die sogenannten Liberalen,
die auch mit drei Mann hier sind.Schon heute bei dem Zwang zur Begründung von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen haben befristete Arbeitsverträge einen Anteil von fast 40% an allen angebotenen offenen Stellen. Folgerichtig kommt schon fast jeder fünfte Arbeitslose aus einem befristeten Arbeitsverhältnis.
70 % aller Arbeitslosen, die in eine befristete Beschäftigung eintreten, bleiben auf Dauer in solchen Arbeitsverhältnissen zweiter Klasse,
und zwar immer wieder unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit.
Die jetzt von Ihnen vorgesehene Regelung macht den zeitlich befristeten Arbeitsplatz von der Ausnahme zum gleichberechtigten Regelfall neben den verbleibenden Dauerarbeitsplätzen.
— Beruhigen Sie sich, hören Sie mal zu.Sie wissen genausogut wie wir, daß jährlich Millionen von Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz wechseln.
Das wissen Sie. Wenn in den nächsten Jahren nur 50 % aller Arbeitsverträge zeitlich befristet werden, dann werden wir in wenigen Jahren einen total gespaltenen Arbeitsmarkt und damit gespalteneDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9873DreßlerBelegschaften, Arbeitnehmer erster Klasse und zweiter Klasse haben.
Genau damit sind das Kündigungsschutzrecht für Millionen von Arbeitnehmern, ist soziale Sicherheit für diese Arbeitnehmer und ihre Familien abgeschafft.
Das ist die Konsequenz aus dem, was Sie tun. Und das wollen Sie j a auch.
Das wollen diejenigen, die Ihre Gesetzentwürfe in den Verbandsetagen bejubeln, auch.
Sie schaffen mit leichter Hand damit auch noch den Kündigungsschutz für werdende Mütter ab.
Sie schaffen faktisch den Kündigungsschutz für junge Männer ab, die ihren Wehr- oder Zivildienst noch nicht abgeleistet haben.
Sie verstümmeln den Kündigungsschutz für behinderte Arbeitnehmer bis zur Unkenntlichkeit.
Das alles politisch zu wollen kann Ihnen natürlich niemand verwehren.
Ihre Gelenkigkeit bei der Zerschlagung von Arbeitnehmerschutzrechten ist hinlänglich bekannt. Aber sagen Sie dann endlich auch offen, daß Sie das wollen, und schmeißen Sie nicht diese Nebelkerzen in die Bundesrepublik.
Die Arbeitnehmer in diesem Land haben einen Anspruch darauf, zu wissen, wie künftig die Christlichen Demokraten mit ihnen Achterbahn fahren wollen. Die Arbeitsplatzsuchenden haben einen Anspruch darauf, zu wissen, wie sie dafür bestraft werden sollen, daß sie einmal arbeitslos geworden sind.
Was tun Sie statt dessen, Herr Blüm? Sie stellen sich hier hin und vergewaltigen die deutsche Sprache.
Sie behaupten, Sie wollten die Beschäftigung fördern. Nach aller Logik muß das ja wohl heißen,daß es hinterher mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose gibt.
Sie schaffen damit keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz.
Sie sorgen nur dafür, daß es eine ständige Rotation zwischen Arbeitslosigkeit und Arbeit gibt.
Sie und Ihr Bundeskanzler — von dem man annehmen kann, daß er ohnehin nichts von den Problemen der Arbeitnehmer versteht — stellen sich hin und bitten — bitten! — um den Abbau von Überstunden.
Schön ist das, Herr Blüm. Das hört sich so gut an. Aber dann erklären Sie uns einmal vor diesem Deutschen Bundestag — wenn Sie darum bitten —,
warum denn bei mehr als 2,4 Millionen registrierten Arbeitssuchenden — auch vor den Fernsehkameras sollten Sie das erklären, wenn ich bitten darf: diesen Menschen und ihren Familien — in diesem Parlament ein Arbeitszeitgesetz, von Ihnen vorgelegt, in der Beratung ist, das mehr als 1 Milliarde Überstunden überhaupt erst festschreibt. Erklären Sie uns das einmal.
Wer per Gesetz, Herr Blüm, die 48-Stunden-Woche festschreibt, sollte sich wenigstens die geheuchelten Appelle ersparen.
Wann, Herr Bundesarbeitsminister, begeben Sie sich endlich zurück auf den Pfad der Logik und der Ehrlichkeit, wie es einem Bundesarbeitsminister zustünde?
Als Arbeitnehmer-Feigenblatt der CDU/CSU können Sie ja reden, was Sie wollen. Da können Sie auch solchen Unsinn verbreiten, wie Ihre Freunde das zur Zeit in Zeitungsanzeigen tun. Aber als Bundesarbeitsminister, Herr Blüm, werden an Sie andere Anforderungen gestellt.
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9874 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
DreßlerSie sind verpflichtet, Herr Blüm, dem ganzen Volk zu dienen.
Sie sind immer noch verpflichtet, den Arbeitnehmern und den Arbeitslosen sowie deren Familien, die nämlich dazugehören, Rücksicht zu schenken.
Bei Ihrer Arbeit haben Sie sich an die Normen unserer Verfassung zu halten. Ebenso haben Sie die Normen für ein rechtsstaatliches Gesetzgebungsverfahren auszufüllen.
Sie tun aber etwas völlig anderes. Erstens. Sie kehren 30 Jahre höchstrichterliche Rechtsprechung über die Zulässigkeit von Zeitarbeitsverträgen einfach in die Ecke.
Damit kehren Sie die Begründung dieser Rechtsprechung, die aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes abgeleitet ist, in die Ecke, als ob es sich um einen Schaufensterbeschluß der Sozialausschüsse handelte.
Die von der Mehrheit der Verfassungsrechtler in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung geäußerten schweren Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzentwurfes nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht fordert gerade bei einem Gesetzgebungsverfahren, das tief in die Grundrechte eingreift, eine besondere Sorgfalt. Und dieses Gesetz greift tief in die Grundrechte ein.
Herr Dr. Faltlhauser, ein Mensch, der 10 000 DM im Monat verdient, klingt nicht seriös, wenn er einem der 1 600 DM verdient, weismachen will, daß er auch mit 1 400 DM auskommen könne.
Berührt wird Art. 3 des Grundgesetzes, der zum Gleichbehandlungsgebot und zum Diskriminierungsverbot führt. Berührt ist Art. 2 des Grundgesetzes: In Zeiten anhaltender Massenarbeitslosigkeit werden die Freiwilligkeitsbedingungen zum Abschluß von Arbeitsverträgen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer verändert. Und berührt ist Art. 12 des Grundgesetzes, weil die Subjektstellung der Arbeitnehmer bei der Kündigungsabwehr aufgegeben wird. Berührt ist Art. 6 des Grundgesetzes: Massenhaft nehmen Sie den werdenden Müttern den Kündigungsschutz.
Insgesamt ist Art. 20 des Grundgesetzes berührt, der Artikel, den der Bundesarbeitsminister ganz besonders zu seinem Arbeitsfeld machen sollte.
Es wird — ich bedaure das, weil die Politik eigentlich nicht darauf angewiesen sein sollte — dem Bundesverfassungsgericht überlassen bleiben, hier die Daten zu setzen; denn daß dieses Gesetz spätestens bei den ersten Arbeitsgerichtsverfahren dort landet, liegt nach den Anhörungen des Ausschusses auf der Hand.In diesem Verfahren wird gefragt werden, wo denn die Grundlagen für Ihr Gesetz sind. Wo sind die Daten, wo die Fakten, wo die Prognosen, die eine so grundlegende Änderung des Arbeitslebens rechtfertigen? Was Sie und Ihre Freunde bisher als Rechtfertigung vorgetragen haben, waren Glaubensbekenntnisse, wobei ich Ihnen nicht einmal abnehme, daß Sie das, was Sie sagen, selber glauben.
Sie wissen selbst sehr gut, daß mehr Beschäftigung nur entsteht, wenn es mehr Arbeit gibt
und wenn alle weniger arbeiten.Eines, Herr George, will ich nicht bestreiten: Sie sind wenigstens konsequent. Ob mit Ihrer „Sozialpolitik", ob mit Ihrer Steuerpolitik oder ob jetzt mit diesem Gesetzentwurf,
das Ziel, Herr George, ist immer das gleiche:
die Zerteilung der Gesellschaft in möglichst kleine Gruppen,
die Verhinderung von Solidarität, das Ausspielen der Menschen gegeneinander, immer das gleiche Ziel!
Ich wage es ja kaum noch an Ihre Adresse zu sagen, weil es wohl, Ihren Zwischenrufen entsprechend, niemanden von Ihnen interessiert, aber stellen Sie sich doch einmal die Frage, wie sich das Klima unter den Arbeitnehmern in den Betrieben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9875
Dreßlerverändern wird, wenn Sie hier das Zweiklassenarbeitsrecht beschließen. Was ist das Betriebsverfassungsgesetz, was ist das Kündigungsschutzgesetz dann noch wert? Man kann dieses Gesetz nur im Zusammenhang mit anderen Gesetzen und Gesetzesvorhaben sehen, z. B. mit den Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes, die Sie vorhaben, oder mit den Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes, die die Einheitsgewerkschaften handlungsunfähig machen sollen.
— Ich spreche im Augenblick von den Einheitsgewerkschaften, nicht von Ihrem Verband der Unternehmer, Herr Kolb. Können Sie sich einmal daran gewöhnen, daß es auch noch einen anderen Teil dieser Gesellschaft gibt?
Sie wollen von den einzelnen Arbeitnehmern über die Betriebsräte bis zu den Gewerkschaften und folgerichtig im Arbeitsrecht jede Möglichkeit der Arbeitnehmer beschneiden, als gleichberechtigte Wirtschaftsbürger zu handeln.
Ziel Ihres Handelns ist es, den Arbeitgebern jede Verantwortung für ihr Tun abzunehmen. Ob Arbeit auf Abruf oder Job-Sharing, ob Regelungen der Sozialplanansprüche, immer gibt es eine Risikoverlagerung vom Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer.
Die Arbeitgeber brauchen keine verantwortliche Personalplanung mehr;
sie können ja heuern und feuern.
In Massenentlassungen können die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze und ihre Existenzgrundlage verlieren.
Einen wenigstens geringen Ausgleich ihrer Verluste über einen vernünftigen Sozialplan gibt es dann nicht mehr.
— Ja, zeigen Sie mir doch einmal ein Unternehmen in diesem Lande, das wegen unmäßiger Sozialplanforderungen der Arbeitnehmervertretung zugrunde gegangen wäre!
Diesen Beweis sind Sie doch bis heute schuldig geblieben!
Nein, Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wollen die Schutzfunktion des Betriebsrates beschneiden.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung in dieser Republik ist stets davon ausgegangen, daß der einzelne Arbeitnehmer im Arbeitsleben in der schwächeren Position ist. Bisher dachte ich,
daß diese Tatsache wenigstens im sogenannten Arbeitnehmerflügel der Union bekannt wäre. Dem scheint nicht so zu sein.
Was Sie anstreben — Herr Kolb, ich räume gerade Ihnen ein: mit voller Überzeugung —, ist die völlige Zersplitterung der Belegschaften, in denen ein Kampf „jeder gegen jeden" herrschen wird. Das wird in den Stammbelegschaften so sein, weil jeder Angst hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren;
denn dann gibt es für ihn nur noch Zeitarbeitsverträge. Diejenigen, die in den Randbelegschaften sind und mit Zeitverträgen arbeiten, werden gegeneinander gehetzt,
weil jeder mit der vagen Hoffnung lebt, einmal einen Dauerarbeitsplatz zu erhaschen.
Was für einen Begriff von Menschenwürde haben Sie eigentlich noch, wenn Sie die Krise benutzen, um solche Verhältnisse zu installieren,
wobei Sie ganz genau wissen, daß Sie nicht einen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffen?
Ganze Gruppen der Bevölkerung werden auf Arbeitsverhältnisse minderen Rechts verwiesen. Das gilt ganz besonders für Frauen. — Ihnen kann ich sagen: Bei uns dürfen alle reden, weil alle davon etwas verstehen. Das ist bei Ihnen augenscheinlich weniger der Fall.
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9876 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
DreßlerTrotzdem machen Sie sich daran, Formen der Teilzeitarbeit zuzulassen, die wirklich inakzeptabel sind.
Oder was ist sonst davon zu halten, daß Sie Arbeitsverträge ermöglichen, die gerade zehn Stunden Arbeit in der Woche garantieren?
Selbst das Risiko, daß ein Arbeitskollege krank wird oder sonst verhindert ist, bürden Sie mit Ihren Regelungen einer „kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit" den Arbeitnehmern auf.
Herr Blüm, mit diesem Gesetz machen Sie nicht das Arbeitsrecht gelenkiger; Sie brechen dem Arbeitsrecht endgültig die Knochen.
Neben der Zerschlagung des Arbeitsrechts gehört ja leider auch noch die Sozialversicherung zu Ihren Aufgaben.
Wie stellen Sie sich eigentlich auf lange Sicht die Rentenfinanzierung, aber auch die Höhe der Renten vor, wenn Sie die Voraussetzungen für völlig unstete Arbeitsbiographien schaffen, die immer wieder von Arbeitslosigkeit unterbrochen werden? Was soll eigentlich aus der betrieblichen Altersversorgung werden, wenn wesentliche Teile der Belegschaften nur noch in zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnissen stecken? Und weiter: Was ist eigentlich mit der viel gepriesenen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, mit Bausparen, Ausbildungsrücklagen für die Kinder, mit der Bildung von Wohneigentum? Von Menschen, deren soziale Sicherheit auf 18 Monate begrenzt ist, meine Damen und Herren von der Christlich Demokratischen Partei, können Sie das schwerlich erwarten.
Noch eine Frage will ich Ihnen stellen:
Was wird eigentlich aus dem sozialen und politischen Leben in unseren Städten und Gemeinden? Auch hier gilt nämlich: Menschen, deren Perspektive auf den Ablauf des jeweils nächsten Arbeitsvertrages beschränkt ist, sind auch in der Wahrnehmung dieser Rechte behindert. Das bedeutet Schaden für die Demokratie.Ich will zum Schluß auf einen Punkt kommen, der wirklich von einer bemerkenswerten politischen Hinterhältigkeit zeugt. Es ist ohnehin schon perfide genug, dieses Antiarbeitnehmergesetz am 1. Mai in Kraft treten zu lassen.
Wirklich perfide ist es aber, daß diese Regierung, die seit ihrem Regierungsantritt nichts anderes als einen schlecht verschleierten Rachefeldzug gegen die Gewerkschaften führt, jetzt auch noch die Erfolge der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften enteignen will.
Sie haben in den harten Tarifauseinandersetzungen — Herr Kolb, dessen können Sie sich auch „rühmen" — des letzten Jahres die Gewerkschaften in ihrem Kampf für die Arbeitszeitverkürzung behindert, wo Sie nur konnten.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders geschmackvoll und logisch, daß die Tarifvertragsparteien jetzt die Verantwortung für die Beschäftigung übernehmen sollen. Als die Gewerkschaften das taten, Herr Blüm, da haben Sie sie beschimpft.
Ihre Pressekonferenz im Herbst kann ich Ihnen schon heute diktieren. Bis dahin werden die Neueinstellungen erfolgen, die durch die Verkürzung der Arbeitszeit, die die Gewerkschaften erreicht haben, nötig werden.
Wir wissen schon heute, daß dies Zehntausende sein werden, denn das veröffentlichen sogar die Unternehmen. Genau diese Neueinstellungen, die nur befristete Neueinstellungen sein können statt Dauerarbeitsplätze, werden Sie dann als Erfolg Ihres sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes, das besser Entlassungserleichterungsgesetz genannt würde, verkaufen.
Ich will trotzdem, weil ich von Hause aus Optimist bin,
trotzdem an diese Regierung appellieren und in einem letzten Versuch auch an Sie appellieren:
Hören Sie bitte auf mit Ihrem Kampf gegen denSozialstaat, hören Sie auf mit Ihrem Kampf gegen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9877
Dreßlerdie Rechte der Arbeitnehmer, die diese Republik aufgebaut haben,
hören Sie auf mit Ihrem Kampf gegen die Einheitsgewerkschaft!
Ziehen Sie wenigstens wenige Tage vor dem 8. Mai die Lehren aus Weimar!
Sorgen Sie für mehr Dauerarbeitsplätze, sorgen Sie statt dessen für soziale Gerechtigkeit in diesem Lande, und hören Sie endlich auf,
ils treue Diener Ihrer Herren die soziale, wirtschaftliche und politische Stabilität dieses Landes aufs Spiel zu setzen.Danke.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Laut, unsachlich, kein überzeugendes Argument für Mehreinstellung, totaler Schutz für diejenigen, die Arbeit haben, Null Interesse an Mehreinstellungen: Das ist die Überschrift, unter der diese Ausführungen zu bewerten sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Tat brauchen wir viel Einsatz und viel Mut, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Viel Mut braucht man allerdings auch, wenn man hier in ein paar Minuten über Ursachen und Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie über ein umfangreiches differenziertes Gesetzgebungsverfahren sprechen soll.Ich muß um Verständnis bitten, wenn ich mich auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränke und hier nur auf mir besonders wichtig erscheinende Details eingehen kann.Unbestritten ist, daß die weltwirtschaftliche Entwicklung, der internationale Strukturwandel und innerstaatliche Rahmenbedingungen, z. B. ein überproportionaler Zugang bei den Beschäftigten oder die Entwicklung der Arbeitskosten, wesentlich zur Verschärfung der Situation am Arbeitsmarkt beigetragen haben.Jedermann, der ehrlich diskutiert, weiß, daß es kein Patentrezept gibt. Preisstabilität und Haushaltskonsolidierung waren die ersten Voraussetzungen für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Dabei ist nicht zu leugnen — auch wenn dies immer wieder geschieht —, daß ein Zusammenhang zwischen dem Preis für Arbeit — Lohn und Lohnnebenkosten — und der offiziell geleisteten Arbeit besteht.
Wir wissen, daß es bei uns genügend Arbeit gibt, aber nicht zu den Konditionen, zu denen Arbeit angeboten werden darf.
Herr Kollege Lutz, völlig zu Unrecht wird mir und meinen Freunden in diesem Zusammenhang — wie auch gerade wieder — unterstellt, wir wollten das Tarifvertragssystem aus den Angeln heben.
Lassen Sie sich von mir klar, deutlich und unmißverständlich sagen, daß das nicht der Fall ist.
Mehr Flexibilisierung ist aktive Beschäftigungspolitik.Ist es denn eigentlich so falsch, wenn ein Betrieb, der Verluste statt Gewinne macht, dies bei der Lohngestaltung berücksichtigt? Ist es eigentlich falsch, wenn in Krisenbranchen andere Löhne gezahlt werden als in Wachstumsbranchen? Warum ist es denn eigentlich so falsch, daß in Frankfurt andere Löhne gezahlt werden als meinethalben in Friesland? Dies geschieht doch auch,
aber nicht in ausreichendem Umfang.
Beide Tarifvertragsparteien möchte ich an dieser Stelle auffordern, in höchstmöglichem Umfang auf die Bedürfnisse und die Lage der einzelnen Unternehmen und der einzelnen Branchen Rücksicht zu nehmen. Das ist notwendig, das ist richtig und die beste Voraussetzung für mehr Einstellungen, die wir brauchen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage nicht, daß das Lohngefüge insgesamt falsch wäre. Aber ich sage: Die Lohnbestimmung nimmt nicht die notwendige Rücksicht auf die Qualifikation der Beschäftigten und auf die Struktur der vorhandenen und angebotenen Arbeit.
9878 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985Cronenberg
Wer kann denn eigentlich mit Anstand einer solchen These widersprechen? Ist denn eigentlich nicht jeder verpflichtet, Lösungen für diese offensichtlich vorhandene Problematik zu suchen? Ich persönlich bin sogar überzeugt, daß die Abschaffung der Niedriglohngruppen ein ungewollter Beitrag zur Vernichtung vieler Arbeitsplätze war.
Gut gemeint ist eben nicht gut getan; das kann man dazu sagen. Das gilt auch für die Sozialpläne, die die Fortführung gesunder Betriebsteile verhindern, Kollege Dreßler, notwendige Schließungen oder Umstrukturierungen erschweren und so weitere Arbeitsplätze gefährden.Wir wissen auch, daß sich die Verfestigung und die Verrechtlichung der Arbeitsverhältnisse bedauerlicherweise als Einstellungshemmnis erwiesen haben.Wer nicht dem Traum — ich möchte fast sagen: dem Trauma — eines omnipotenten und omnipräsenten Staates verfällt, muß sich konsequenterweise darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu setzen, die auch denen, die heute ohne Beschäftigung sind, neue Chancen bieten.
Mit diesem Gesetzentwurf reagiert der Gesetzgeber auf die strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Wir sehen in dem Gesetzentwurf einen richtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir verhehlen aber nicht — insbesondere ich —, daß sich weitere von mir im Interesse arbeitsloser Mitbürger für sinnvoll gehaltene Änderungen nicht durchgesetzt haben. Wir haben uns, wenn Sie so wollen, in der Koalition in diesem Punkt nicht durchsetzen können.Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist neben der Regelung der Teilzeitarbeit, der Arbeit nach Arbeitsanfall und anderer Arbeitszeitformen die erleichterte Möglichkeit, befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Worum es hier geht, sind der Abbau von Einstellungshemmnisen und Arbeitslosen die Möglichkeit zu bieten, wenn schon nicht unbefristet, dann zumindest befristet Arbeit zu finden. Selbst Sie, Herr Kollege Dreßler, räumen in Ihrem Teil des Berichts zu diesem Gesetz ein, daß dies zu Dauerarbeitsplätzen führen kann.
Es heißt in dem Bericht:Die Befristung auf 18 Monate bedeute in Wirklichkeit eine verlängerte Probezeit und führe dazu, daß der befristet eingestellte Arbeitnehmer infolge seiner so geschaffenen Abhängigkeit auf seine Rechte weitgehend verzichten werde, um seine denkbare Übernahme ... nicht zu gefährden.
Bitte, das ist doch der Beweis für das, was ich gerade gesagt habe.Meine Damen und Herren, damit die Verabschiedung dieses dringend notwendigen Gesetzes nicht mit Hilfe der Geschäftsordnung verzögert wird, haben wir unseren Antrag, alle Angestellten, die von Vollzeit- auf Teilzeitarbeit übergehen — was wir ja wünschen — und die als Angestellte mindestens fünf Jahre nicht versicherungspflichtig und bei privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert waren, von der Versicherungspflicht befreien zu lassen, zurückziehen müssen. Aus den gleichen Gründen haben wir den weiteren Antrag auf Anwendung des § 520 der Reichsversicherungsordnung auf die Ersatzkassen — trotz Bedenken der Arbeitgeber — ebenfalls nicht weiter verfolgen können. Aber die Koalitionsfraktionen sind sich darüber einig, daß sie dies so schnell wie möglich nachholen wollen.
Wer sich zur Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf nicht durchringen kann — bedauerlicherweise, meine ich —,
sollte wenigstens bereit sein, sachgerecht zu diskutieren. Der Gegenbeweis für eine sachgerechte Diskussion war soeben die Rede meines verehrten Vorredners.
Mit großem Bedauern, vollem Ernst und fast mit Erschrecken
muß ich feststellen — und das ist auch eine Diskussionsverweigerung —, daß der Kollege Egon Lutz Leute, die meiner Meinung sind, öffentlich als „Terroristen im Nadelstreifenanzug" bezeichnet.
Ich gehe davon aus, daß diese Diskussionsverweigerung ihre Ursache darin hat, daß Egon Lutz und seine Kollegen keine besseren, keine vernünftigen Argumente gegen diese Vorlage vorzubringen haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eigentlich müßte ich ja beleidigt sein.
Aber wenn man die flinke Zunge von Egon Lutz —um den Ausdruck „freche Schnauze" zu vermeiden— kennt, dann kann man nur sagen: Egon, ego te
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9879
Cronenberg
absolvo. Das erspart dir, Ihnen die Notwendigkeit der Entschuldigung.
Die Diskussion, Herr Kollege Lutz, wird ja nicht nur von Ihnen, sondern auch vom DGB oder WDR verweigert. Wie erklärt es sich denn sonst, daß sich der DGB im Hessischen Rundfunk nicht bereit erklärt, sich verweigert hat, mit Frau Dr. Adam-Schwaetzer
über diese Problematik zu diskutieren?
Der WDR macht eine zweieinhalbstündige Sendung über dieses Thema mit Gott und der Welt, aber die Liberalen werden natürlich ausgegrenzt, weil man unsere Argumente fürchtet.
Nun, beim WDR ist dies wohl nicht verwunderlich. Denn für faire Behandlung der FDP und objektive Berichterstattung ist der WDR bei Gott nicht zuständig.Lassen Sie mich zum Schluß eindeutig feststellen, daß mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz der Weg zu Neueinstellungen erleichtert werden soll und erleichtert wird, erleichtert, meine Damen und Herren, ohne daß dabei Arbeitsschutzrechte der Beschäftigten in ihrer Substanz tangiert werden.
Wer dies als Abbau sozialer Schutzrechte oder gar als soziale Demontage bezeichnet,
muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er an der Aufhebung der Zweiteilung unserer Gesellschaft — hier Arbeitsbesitzende, dort Arbeitslose — nicht interessiert und nicht bereit ist,
die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um zu mehr Beschäftigung zu kommen.
Und für eine solche Politik setzt sich — da greife ich die Formulierung von vorhin auf — der sogenannte Arbeitnehmervertreter Dreßler ein! Dafür fehlt mir jegliches Verständnis.
Ich appelliere an Wirtschaft und Gewerkschaften: Nutzen Sie die gegebenen Vorgaben! Helfen Sie, daß an Stelle von Dauerüberstunden neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden!
Haben Sie — so, meine ich, muß man Gewerkschaften und den Unternehmern zurufen — den Mut, mehr Arbeitslosen Beschäftigung zu geben! Wir haben ihnen dazu ein wirksames und sozial vertretbares Gesetz an die Hand gegeben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, wenn ich zu Beginn meiner Rede zunächst die Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen sowie die Betriebsräte von Ford, Mannesmann und Hoesch sowie Kaufhof auf der Besuchertribüne begrüße, die eigens — —
Herr Abgeordneter, es ist nicht üblich, daß hier Begrüßungsaktionen veranstaltet werden.
— — als Betroffene dieses Gesetzesvorhabens, die Debatte heute mitverfolgen.
In meiner heutigen sogenannten Jungfernrede habe ich im Interesse der Fraktion DIE GRÜNEN und der zahlreich betroffenen Beschäftigten dieses Gesetzentwurfes der Bundesregierung die Aufgabe, eine Stellungnahme aus der Perspektive eines einfachen Industriearbeiters aus Ulm abzugeben — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Nein, ich möchte meine erste Rede einmal so fortführen.
Gilt das grundsätzlich? Tischer : Das gilt für alle.— — dessen Vergangenheit nicht in den Universitäten oder Hochschulen geprägt wurde, sondern dessen Vergangenheit im erbitterten Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze als Streiksprecher einer dreiwöchigen Betriebsbesetzung mit 1 700 Kollegen bei der Firma Videocolor in Ulm und in einer anschließenden Arbeitslosigkeit zu finden ist.
Auf Grund dieser persönlichen Vergangenheitmaße ich mir an — im Unterschied zu vielen anderen Kollegen hier im Hause —, diesen Gesetzent-
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9880 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Tischerwurf der Bundesregierung aus der Perspektive eines unmittelbar Betroffenen oder ehemaligen Betroffenen kritisieren zu können.
— Ich war durch diese Betriebsschließung anderthalb Jahre arbeitslos.
Dieser Gesetzentwurf, von welchem die Bundesregierung gegenüber den Beschäftigten behauptet, er fördere die Beschäftigung, scheint mir nur die Spitze jenes Speeres zu sein, welchen diese Bundesregierung Zug um Zug den Millionen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und insbesondere den betroffenen Frauen in das soziale Rückgrat rammt.
Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung, dessen heilbringender Titel „Beschäftigungsförderungsgesetz" lautet, womit wohl der gefährliche Inhalt verdeckt werden soll, sieht vor, von den Gewerkschaften mühselig erkämpfte Arbeitnehmerrechte und soziale Errungenschaften auf eine Methode zu beschneiden, wie sie bislang nur von Gaunern aus dem Hinterhalt praktiziert worden ist.
Der Gesetzentwurf sieht trotz der hohen Jugendarbeitslosigkeit und der unerfüllten Lehrstellenversprechen des Ankündigungskanzlers vor, zukünftigen Auszubildenden nach Abschluß ihrer Ausbildung
bis zu 18 Monaten befristete Arbeitsverträge einzuräumen,
ohne daß die Befristung vom Unternehmer gegenüber dem Betroffenen begründet werden muß. Zu erwartende Praxis dürfte dann sein, daß Auszubildende bereits in ihrer Ausbildungszeit oder danach in puncto Arbeitnehmerintensität ungeachtet des Jugendschutzgesetzes erpreßbar und untereinander spaltbar sind, da sie sich schließlich um unbefristete Arbeitsverträge bemühen müssen. Gewerkschaftlich engagierte Azubis geraten zwangsweise in das Dilemma, entweder den Mund zu halten oder durch Verweigerung eines Anschlußarbeitsvertrages gefeuert zu werden. Befristete Arbeitsverträge in allen Bereichen schaffen soziale Unsicherheit und machen den Betroffenen zum Freiwild der Arbeitgeber.
Dieses Demokratieverständnis der Bundesregierung geht zurück in Kaisers Zeiten, in welchem „Ducken und ja nicht mucken" das Motto war.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht auch vor, grundsätzlich die Möglichkeit und die damit verbundenen Zwänge der Teilzeitarbeit auszuweiten. Diese Form der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich nimmt den Betroffenen wichtige Rechte aus der sozialen Sicherung und verschlechtert zudem den arbeitsrechtlichen Schutz wie auch die Arbeitsbedingungen.
— Sie müssen erst einmal arbeiten gehen und dann die Situation dort kennenlernen.
Teilzeitarbeit kommt den Rationalisierungsstrategen der Unternehmer aus Gründen des flexibleren Arbeitseinsatzes unbestreitbar entgegen, was konkret bedeutet, daß durch Teilzeitarbeit Arbeitsplätze vernichtet und nicht neue geschaffen werden.
Selbst aus unternehmerischer Sicht ist diese Flexibilisierungsabsicht der Bundesregierung durch Teilzeitarbeit, langfristig gesehen, ein absoluter Blödsinn.
Die Zerstückelung der Arbeit — jetzt hören Sie mal besser zu, weil Sie aus dem Unternehmerlager kommen —
durch Teilzeitarbeit und Jobsharing führt erfahrungsgemäß zur Dequalifizierung bislang qualifizierter Tätigkeiten. Wichtiges Fachwissen Vollzeitbeschäftigter wird somit auf Betriebsebene durch die Zerstückelung von Vollzeitarbeitsplätzen in Teilzeitarbeitsplätze zunichte gemacht. Tatsache dürfte auch nach Prognose des WSI in Düsseldorf sein, daß die von der Bundesregierung im Gesetzentwurf eingeschlagene Arbeitszeitteilungsstrategie nicht zur Einstellung Arbeitsuchender, sondern zur Umschichtung Vollzeitbeschäftigter in Teilzeitbeschäftigte führt.
Gerade die im Gesetzentwurf enthaltene Arbeitszeitteilungsstrategie ist es, welche die Diskriminierung der Frau endgültig festschreibt. Teilzeitarbeit und Arbeitsplatzteilung verhindern unbestreitbar die Veränderung traditioneller Rollen- und Arbeitsteilung in der Hausarbeit und Kindererziehung zu Lasten der Frauen,
denen durch das Fehlen von Vollzeitarbeitsplätzenein beruflicher Ein- und Aufstieg verwehrt bleibt.Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9881TischerKein Teilzeitarbeitsplatz und kein geteilter Arbeitsplatz geben so viel Einkommen her, daß eine finanzielle Unabhängigkeit vom männlichen Partner gewährleistet ist.
Fazit: Die Bundesregierung mit ihrem hohen C, welches angeblich für „christlich" stehen soll, verhindert für die Frauen eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben und somit ihr Recht auf bezahlte Arbeit.
Doch glauben Sie, Herr Bundeskanzler, Herr Blüm und vor allem Herr Geißler, daß die Frauen auch ihre rechte Wange hinhalten, wenn Sie ihnen auf die linke hauen? Verlassen Sie sich darauf: Langsam, aber sicher schlagen diese Frauen zurück.
Dies geht auch an die Teile der SPD, die den Traum der Flexibilisierung träumen und moderne Computer und Roboter bereits im Hinterkopf haben.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht weiter vor, bislang praktizierte und richterlich abgesegnete Sozialplanregelungen kräftig zu beschneiden. Besonders dieser Gesetzesteil wird von mir als eine Unverschämtheit der Bundesregierung gegenüber denjenigen Beschäftigten gesehen, die ohnehin schon die Entlassungspapiere in der Hand und eine menschenunwürdige Zeit der Arbeitslosigkeit vor sich haben.
Ich sage es nicht in absichtlicher Polemik, sondern als ehemaliger Arbeitsloser, der mit 1 700 Beschäftigten 1982 nach der Videocolor-Schließung in Ulm auf die Straße gesetzt wurde.
— Das hat Ihr Kabinett 1982 behandelt, das müssen Sie eigentlich besser wissen als ich. — Es ist eine Ungeheuerlichkeit der angeblich christlichen Bundesregierung, Kündigungsbetroffenen durch gesetzliche Sozialplanbeschneidungen die letzten Groschen aus der Tasche zu ziehen,
während sie sich mit saftigen Diätenerhöhungen den Bauch vollschlägt.
Es war der Prälat Sauer aus Augsburg — das war ein Kirchenvertreter, und da hören Sie mal auf diesen Satz —, der 1982 auf einer Streikversammlung bei Videocolor in Ulm einen mir wichtigen Satz sagte,
welcher wie kein anderer zu diesem Ihrem Gesetz paßt: Ein Gesetz verliert dann seinen Sinn, wenn es den Menschen hindert, Mensch zu sein.
Dieses Gesetz hindert den Menschen, Mensch zu sein.Besonders der Punkt Leiharbeit Ihres Beschäftigungsförderungsgesetzes — damit komme ich zum Punkt 4 der mir wichtigen Gesetzespassagen — zeigt auf, was Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Blüm, der Sie sich so gerne als der christliche Arbeiterführer vermarkten lassen, mit den Arbeitern und Arbeiterinnen dieser Republik vorhaben. Sie erweitern den modernen Sklavenmarkt
dieser ach so schrecklich modernen und fortschrittlichen Republik mit der Idee, zukünftig Beschäftigte statt bislang nur drei zukünftig sechs Monate an andere Firmen verleihen zu lassen.
Es ist Ihnen als Vertreter eines Berufsstandes, der von den Mängeln dieses Gesetzes niemals betroffen wird, anscheinend unklar — —
— Herr Präsident — —
Es ist Ihnen als Vertreter eines Berufsstandes, der von den Mängeln dieses Gesetzes niemals betroffen wird, anscheinend unklar, daß Sie die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Punkt Leiharbeit einem mittelalterlichen Sklavenmarkt aussetzen und aus dem Arbeitsmarkt einen orientalischen Basar machen,
der den Unternehmern zukünftig gestattet, den Menschen als Handelsware zu begreifen, den man mal hier und mal dort hinschiebt. Dabei vergißt man, daß es sich um Leben handelt, welches es zu schützen gilt. Diese Machart eines Gesetzes, diese Unberührtheit gegenüber den zukünftig betroffenen Menschen entspricht der Sichtweise des Kommandanten eines untergetauchten U-Bootes, der nicht mehr begreift, daß es um ihn Leben gibt.
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9882 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
TischerDer Trend dieses Unternehmerfördergesetzes, wie ich es lieber nenne, zielt eindeutig und unverkennbar auf die Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, wie es sich die Herren Lambsdorff und Haussmann vorstellen. Es ist eine Zumutung für die Beschäftigten, wenn sie mithören müssen, wie Lambsdorff und Haussmann davon reden,
zukünftig auch untertarifliche Löhne zulassen zu wollen, während Diäten in Parlamenten kräftig angehoben werden und die Flicksehen Gelder in die Taschen verschiedener Vertreter solcher Thesen fließen.
Wen mag es da noch wundern, daß gerade diese teilweise von Unternehmen finanzierten Koalitionsparteien
das Betriebsverfassungsgesetz so verändern wollen,
daß per Vetorecht gelbe, unternehmerfreundliche Splittergewerkschaften wie z. B. der CDU-nahe CMV solche Rechte eingeräumt bekommen, daß sie letztendlich Mehrheitsbeschlüsse von Betriebsratsgremien blockieren können und somit zum Schaden der betroffenen Arbeitnehmer werden?Die GRÜNEN sind nicht bereit, eine derart arbeitnehmerfeindliche Politik zu unterstützen.
Gemeinsam mit den Arbeitnehmern werden sich die GRÜNEN gegen solche Entdemokratisierungsversuche wehren. Wir lehnen diesen Gesetzesentwurf aufs schärfste ab.
Beim Antrag der SPD stimmen wir — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bin gleich fertig; einen Satz bitte noch.
Beim Antrag der SPD-Fraktion stimmen wir in die Kritik über den von der Bundesregierung praktizierten Sozialabbau mit dem Wissen ein, daß bereits der vorherige Bundeskanzler Schmidt diese Phase eingeleitet hatte.
Da das Programm jedoch auf Wachstum aufgebaut
ist und sich unzureichend an ökologischen und sozialen Notwendigkeiten orientiert, werden wir uns hier der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren, ich appelliere an alle Seiten des Hauses, mit Zwischenrufen etwas zurückhaltend zu sein.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
— Ich bitte, die Störung auf der Tribüne abzustellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dreßler hat diesem Gesetz den totalen Mißerfolg vorausgesagt.
Meine Damen und Herren, betrachten wir uns doch die Treffsicherheit der Voraussagen der Sozialdemokraten zu Sozialgesetzen dieser Bundesregierung. Als wir das Rückkehrhilfegesetz vorgelegt haben, hat es der Kollege Dreßler als einen Schuß in den Ofen bezeichnet. Nicht 50 000, wie wir vorsichtig geschätzt haben, sondern 160 000 haben dieses Rückkehrhilfegesetz in Anspruch genommen.
Als wir das Vorruhestandsgesetz eingebracht haben, hat die sozialdemokratische Partei durch ihren Kollegen Lutz erklären lassen, nur Gewerkschaften, die von einem kollektiven Schwachsinn befallen wären, würden dieses Gesetz nutzen. Inzwischen haben die Gewerkschaften dieses Gesetz in über 220 Tarifverträgen genutzt. Ich muß auch die IG Metall gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, sie sei vom kollektiven Schwachsinn befallen. Denn sie hat das Gesetz in Anspruch genommen.
Wer so oft danebenschießt, sollte sich hier nicht als sozialpolitischer Schützenkönig aufspielen.
Nun zu unserem Beschäftigungsförderungsgesetz. Arbeit für alle, das, meine Damen und Herren, ist das wichtigste sozialpolitische Gebot der Stunde. Denn keine Unterstützung, auch keine Arbeitslosenunterstützung, kann die Zufriedenheit ersetzen, die aus dem Bewußtsein herrührt, sich seinen Lebensunterhalt selber zu verdienen. Deshalb hat jeder, ob alt ob jung, ob Mann ob Frau, ob gesund oder behindert, ein Recht, im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Arbeit teilzuhaben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9883
Bundesminister Dr. BlümMeine Damen und Herren, spürt nicht jeder die Gefahr einer neuen Spaltung? Ich meine nicht die, die Herr Dreßler beschrieben hat, nämlich die zwischen Arbeitnehmern mit befristeten Arbeitsverträgen und Arbeitnehmern in Dauerarbeitsverhältnissen. Die neue Spaltung, die uns droht, sieht so aus: Die Insider setzen sich in der Erwerbsgesellschaft fest und zerren die Beute des Aufschwungs hinter die Festungsmauern, während die anderen draußen ohne Arbeit sitzen bleiben. Das ist die neue Klassenspaltung.
Das ist eine Spaltung zwischen denjenigen, die Arbeit besitzen, und Arbeitslosen. Ich gebe zu: Der Karl Marx bietet dafür kein Rezept, weil er immer nur die Front zwischen Kapital und Arbeit gesehen hat. Da sitzen welche im Schützengraben und schießen, aber es ist schon gar keiner mehr da. Wir sehen die neuen Gefahren einer Spaltung.Deshalb soll das Sozialrecht, das wir wollen, nicht nur diejenigen schützen, die drinnen sind, sondern es soll auch denjenigen helfen zurückzukommen, die draußen stehen.
Es geht darum, Zugbrücken herunterzulassen, Festungsmauern zu sprengen, nicht aber darum, Gräben aufzureißen. Wenn die Sozialdemokraten sagen, das sei ein Gesetz zum Heuern und Feuern, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Zum Heuern soll es dienen. Alles, was dem Heuern, dem Einstellen dient, muß jetzt gemacht werden.
Ich gebe zu, daß wir neue, unkonventionelle Wege gehen, aber die alten Wege haben in die Sackgasse geführt. Ich gebe auch zu, daß mit neuen Wegen Risiken verbunden sind, aber das größte Risiko ist die Tatenlosigkeit. Laßt uns neue Wege probieren, um aus dem Talkessel der Arbeitslosigkeit herauszukommen.Im Mittelpunkt des Beschäftigungsförderungsgesetzes steht das Angebot zum unkomplizierten Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen. Befristete Arbeitsverträge gibt es schon heute. Nur, ich fürchte, gerade der kleine Handwerksmeister, der mittelständische Unternehmer kann nachts nicht die arbeitsrechtliche Literatur studieren, damit er tagsüber jede Chance nutzen kann. Wir wollen keine Sozialpolitik nur für die Cleveren. Wir wollen das Sozialrecht auch einfacher machen, damit es auch zur Einstellung genutzt werden kann.In Zeiten des konjunkturellen Überganges bestehen Hemmungen, Dauerarbeitsverhältnisse zu vereinbaren. Das Ergebnis ist dauernde Arbeitslosigkeit. Wir wollen den frühzeitigen Einstieg mit befristeten Arbeitsverhältnissen versuchen. Befristete Arbeit — dabei bleibe ich — ist immer noch besser, als unbefristet arbeitslos zu sein.
Nirgendwo steht geschrieben, daß die befristeten Arbeitsverhältnisse nicht in unbefristete münden. Wer für ein entkrampftes Arbeitsrecht eintritt, der muß jetzt auch die Chance der befristeten Arbeitsverhältnisse durch Einstellungen nutzen. Wenn dieses Gesetz sein Ziel nicht erreichen würde, dann gäbe es nur einen Rückfall in das alte starre Arbeitsschutzrecht. Ein Mißerfolg dieses Gesetzes wäre ein Triumph für die sozialistischen Betonierer. Wer für Flexibilität ist, der muß diesem Gesetz zum Erfolg verhelfen.Die Unternehmer stehen jetzt auch unter der Beweislast. Einstellen geht vor Überstunden. Tausende von Unternehmern — Handwerker, Klein-und Großbetriebe — haben ja einen Lehrplatzrekord zustande gebracht, ohne Reglementierung, ohne staatliche Bürokratie, durch Einsicht und Verantwortung. Das ist ja auch ein Beweis dafür, daß man in dieser Gesellschaft durch Appelle an das Verantwortungsbewußtsein noch etwas zustande bringen kann, daß unsere Gesellschaft nicht so verfettet, verkrampft ist, daß sie immer nur Bürokratien und Paragraphen braucht, um etwas zu bewegen. Diesem Lehrplatzwunder muß jetzt eine Einstellungswelle folgen.
Auch hier stehen wir unter der Beweislast, daß Flexibilität weiter führt als kollektive Einebnung.Die Einsicht, daß befristete Arbeitsverträge einer Notwendigkeit unserer Zeit entsprechen, hat sich auch in den sozialistischen Parteien Spaniens und Frankreichs inzwischen herumgesprochen. Die Sozialdemokraten leiden wieder einmal unter einer Verspätung. In einem Décret vom 3./4. dieses Monats läßt die französische Regierung Zeitarbeitsverträge mit Arbeitslosen bis zu 24 Monaten zu. Herr Lutz, hören Sie zu! Der sozialistische Arbeitsminister — —
— Ja, er ist in seiner Höflichkeit wieder unübertroffen. Die Dialogbereitschaft des Herrn Lutz dokumentiert sich gerade wieder in einer ausgesprochenen Unhöflichkeit.
Ich wende mich an alle Gewerkschafter. Die französischen nicht-kommunistischen Gewerkschafter waren bereit, auf diesen Boden zu gehen.Der sozialistische spanische Ministerpräsident hat im spanischen Fernsehen erklärt — ich zitiere ihn jetzt —:Es ist für einen Jugendlichen von 21 Jahren viel besser, wenn man ihm eine Beschäftigungsmöglichkeit von einem oder zwei Jahren anbietet, als wenn er keine Beschäftigungsmöglichkeit hat oder wenn er, wie im 19. Jahrhundert, ohne soziale Sicherheit in der Illegalität arbeiten muß.
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9884 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Bundesminister Dr. BlümIch empfehle den Sozialdemokraten, Entwicklungshilfe bei ihren sozialistischen Genossen in Frankreich und Spanien zu nehmen.
Wir machen auch die Teilzeitarbeit — das ist Ziel dieses Gesetzes — arbeitsrechtlich salonfähig. Sie soll kein Arbeitsverhältnis zweiter Klasse sein. Deshalb braucht die Teilzeitarbeit einen Standard von sozialem Schutz. Denn auch hier haben wir ein Defizit.Während in Schweden jeder vierte Arbeitsplatz ein Teilzeitarbeitsplatz ist, ist es bei uns nur jeder zehnte. Und Schweden war doch immer das Mekka der Sozialdemokraten. Das werden Sie doch nicht als das Ausbeutungsmusterland bezeichnen.Es ist auch Quatsch, wenn die IG Metall behauptet, mit Teilzeitarbeit sei — ich zitiere — „profitorientierte Zerschlagung von Vollarbeitsplätzen" geplant. Ich kann darauf nur sagen: Arbeitnehmer brauchen keinen Vormund. 240 000 Arbeitslose suchen gar keinen Vollerwerbsarbeitsplatz; sie suchen Teilzeitarbeitsplätze.Deshalb soll sich niemand aufspielen, dem Arbeitnehmer zu sagen, was sein Arbeitszeitwunsch ist. Maßstab unserer Politik sind die Bedürfnisse und die Wünsche der Menschen und nicht die Lehrsätze von ideologischen Schulmeistern.
Ich schließe mich deshalb dem Appell von Hermann Rappe, dem Vorsitzenden der IG Chemie, an,
der den Gewerkschaften empfahl, eine offene Diskussion über Teilzeitarbeit zu führen.Die Teilzeitarbeit ist auch eine Chance, den Arbeitsrhythmus mit dem Lebensrhythmus zu versöhnen. Diese standardisierten Arbeitszeiten: 8 Stunden am Tag, 5 Tage in der Woche, 45 Wochen im Jahr, 45 Jahre im Arbeitsleben: Entsprechen sie den Wünschen der Menschen? Sind sie nicht stark am Muster einer Kolonnengesellschaft orientiert, die nur den Gleichschritt kennt? Wir bevorzugen die zivile Gangart einer Gesellschaft, die der Eintönigkeit die Vielfalt vorzieht.Unsere sozialpolitische Alternative heißt nicht „Alles oder nichts", „Entweder für jeden oder für niemand". Wir bevorzugen das Teils-Teils, wir ziehen das Sowohl-als-Auch dem Entweder-Oder vor. Geplagt von der Angst vor Unterschieden versinkt die Gesellschaft in graue Nivellierung.Wir brauchen Arbeitszeiten nach Maß, nach menschlichem Maß, nicht Arbeitszeiten von der Stange. Ich gebe zu, daß die Herstellung von Maßanzügen anstrengender ist. Aber sie haben den Vorteil: Sie passen auch besser. Und wir brauchen passendere Arbeitszeiten.Der technische Fortschritt bietet zum ersten Mal seit 200 Jahren die Chance der Individualisierungvon Arbeitszeiten. Diese Kolonnengesellschaft war möglicherweise unumgänglich in der Durchbruchsphase der Industrialisierung, als die heimatlosen Handwerksburschen und Bauernsöhne in die Disziplin einer Fließbandgesellschaft gezwungen wurden. Das haben wir doch überwunden. Der Mikroprozessor ist doch nicht Job-Killer. Er bietet auch die Chance der Dezentralisierung, der Individualisierung von Arbeitszeiten.
Und dies muß im Sinn der Befreiung genutzt werden. Die Kollektivisten haben immer gern die große Masse und, wenn's geht, „Im Gleichschritt marsch!".Nein, wir bleiben dabei: Eine Welt, die nach den Wünschen der Menschen eingerichtet ist.Der Sozialplan — ein weiterer wichtiger Bestandteil — soll seine Befriedungsfunktion behalten. Meine Damen und Herren, ich wünsche keinem deutschen Arbeitnehmer, daß er bei Betriebsänderungen so behandelt wird, wie sozialdemokratische Zeitungsverlage ihre Arbeitnehmer behandelt haben. Das wünsche ich keinem Arbeitnehmer.
Es gehört nicht zu den Zielen unseres Beschäftigungsförderungsgesetzes, daß man in sozialdemokratischen Betrieben aus der Zeitung erfahren hat, ob ein Betrieb stillgelegt wird.
Ich meine, Sie sollten erst einmal vor Ihrer eigenen Tür kehren, bevor Sie uns bezüglich unserer Sozialplanforderungen Vorwürfe machen.
Der Sozialplan soll den technischen Wandel sozial abfangen, dämpfen, aber er darf ihn nicht verhindern. Die Mentalität einer Sozialplangesellschaft verhindert Investitionen, Innovationen, Initiative. Wir dürfen uns nicht die Zukunft verbauen; denn Fortschritt liegt nur im Wandel. Der Sozialplan darf den Wandel nicht behindern. Er muß ihn — ich sage es noch einmal — sozial abfangen.Wir wollen, daß der Sozialplan dem zugute kommt, dem hilft, der tatsächlich entlassen wird. Denselben Anspruch hat nicht derjenige, der wieder einen Arbeitsplatz findet, möglicherweise im selben Konzern. Dieses Gebot der Verhältnismäßigkeit ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit.
Neue Betriebe sollen für die erste Zeit von Sozialplanpflichten befreit bleiben. Wer den Versuch der Existenzgründung sofort mit der Kalkulation eines Sozialplans belastet, vermindert Einstellungen. Wenn es nicht mehr Einstellungen gibt, dann gibt es zu guter Letzt auch nicht mehr Sozialpläne. Das ist die herbste Form der Sozialplanverhinderung.
Ich komme zur Leiharbeit. Meine Damen und Herren, auch die Leiharbeit soll eine unter vielen verschiedenen ordentlichen Möglichkeiten des Ar-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9885
Bundesminister Dr. Blümbeitsverhältnisses sein. Deshalb braucht sie auch einen größeren Spielraum. Ich kenne Arbeitnehmer, die es vorziehen, mit sozialem Schutz an verschiedenen Arbeitsplätzen zu arbeiten, die es vorziehen, den Arbeitsplatz zu wechseln, deren Traum es nicht ist, 40 Jahre vor einem Schraubstock zu stehen, 40 Jahre hinter einer Schreibmaschine zu sitzen, die wechseln wollen.Vielleicht wächst hier ein Potential von Erfahrung, von beruflicher Weiterbildung. Solche Leiharbeitsplätze, wenn sie mit sozialem Schutz verbunden sind — und den sollen sie erhalten —, bieten auch die Chance, Arbeitsplatzreservierungen praktikabel zu machen, die Zwischenzeiten mit Leiharbeitsverhältnissen zu überbrücken.Das Ausgleichsverfahren beim Mutterschutz soll erweitert werden. Sie sehen: Wir helfen den Frauen nicht durch emanzipatorische Lyrik, sondern durch Praxis, durch handfeste Politik, die Einstellungshemmnisse abbaut.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz wird die Rückkehr in das Berufsleben erleichtern. Wenn Mütter der Kindererziehung wegen auf die Erwerbsarbeit verzichtet haben, ist ja das große Hemmnis, wie sie wieder zurückkommen können. Der Anspruch auf Bildung soll erweitert werden, damit solche Arbeitsplatzverzichte mit Rückfahrkarten verbunden sind. Das alles ist ganz praktische Politik, handfeste Politik.Das Monopol der Bundesanstalt für Arbeit bei der Lehrlingsvermittlung soll nicht aufgelöst werden. Aber auch die Bundesanstalt muß vom hohen Roß herunter und sich mehr unter die Leute mischen. Es ist nicht verständlich — jedenfalls mir nicht—, daß Gruppen und Personen, die, voll guten Willens und ohne dabei ein Geschäft machen zu wollen, der Bundesanstalt für Arbeit bei der Lehrlingsvermittlung helfen wollen, mit Bußgeldern bedroht werden. Solche Gruppen, solche Mitbürger verdienen eine Auszeichnung und keinen Strafzettel.
Ich unterstütze den Appell von Ernst Breit und Otto Esser, der Neueinstellung den Vorzug vor Überstunden zu geben. Überstunden als Regelarbeitszeit sind eine Rücksichtslosigkeit gegenüber denjenigen, die keine Überstunden machen können, sondern null Stunden arbeiten müssen, weil sie nämlich arbeitslos sind.Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist nur soviel wert,
wie es von den Betrieben, den Unternehmen und den Gewerkschaften genutzt wird. Es ist in der Tat mein Verständnis, daß solche Gesetze ein Angebot sind. Dabei ist man auf eine freiwillige Mitwirkung angewiesen. Eine Gesellschaft, die Freiwilligkeit nicht schätzt, muß bürokratisieren. Aber Bürokratisierung hilft nicht, Initiativen freizulegen. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der es sich lohnt, intitiativzu sein, in der es sich lohnt zu investieren, in der es sich lohnt, etwas Neues auszuprobieren. Und das Arbeitsrecht darf hier nicht der große Hemmer sein.Das Gesetz bedarf der Ergänzung durch die Tarifpartner. Viele Regelungen, die wir anbieten, können durch die Tarifpartner ersetzt, ergänzt werden. Dem Tüchtigen freie Bahn! Der Tarifvertrag — auch das möchte ich in dieser Stunde sagen — ist eine der größten Erfindungen der Sozialgeschichte. Seine Ordnungsfunktion ist unerläßlich. Eine Tarifvertragspolitik nach der Rosinentheorie kann es nicht geben. Tarifvertrag ist wechselseitiges Geben und Nehmen. Ein Tarifvertrag, in dem jede Seite versuchen würde, nur das für sie Erwünschte verbindlich zu machen, würde seine Ordnungsfunktion verlieren. Der Tarifvertrag behält seine Ordnungsfunktion, wenn er für beide Seiten verbindlich bleibt und beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in die Pflicht nimmt. Er ist ein Ausweis der Kompromißfähigkeit unserer Gesellschaft. Und der Kompromiß ist das Gegenstück zum Klassenkampf.Wir brauchen mehr Miteinander. Wir haben 1945 die Trümmer nicht mit den Klassenkämpfern zur Seite geräumt; wir haben das, was andere das Wirtschaftswunder genannt haben, nur zustande gebracht, weil Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Unternehmen zusammengehalten haben. Und diesen Aufbruch brauchen wir zugunsten der Arbeitslosen. Deshalb appelliere ich an die Betriebsräte, an die Unternehmer, an die Gewerkschaften, an die Arbeitgeberverbände, die Chance dieses Gesetzes zu nutzen. Einstellungen, das ist jetzt das Gebot der Stunde. Wir brauchen nicht kleinkarierte parteipolitische Zänkerei, wir brauchen eine übergroße Koalition für die Arbeitslosen und gegen die Arbeitslosigkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben hat zu Ihnen der oberste sozialpolitische Nebelkerzenwerfer der Nation gesprochen.
Es lohnte nicht einmal einen Zwischenruf.
Um den Kollegen Seehofer zu bemühen und das Südbayerische ins Fränkische zu übertragen: In Franken brüllen nur die Ochsen.
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9886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
LutzIhre heutige Inszenierung, meine Damen und Herren, gerät zu einem schwarzen Freitag des bundesdeutschen Sozialstaates.
Mit Ihrer Stimme für das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz zerstören Sie ein wichtiges Element, auf das unsere Republik gegründet ist. Sie heben auf dem Feld des Arbeitsvertragsrechts den Zwang zum Ausgleich der Interessen auf. An die Stelle der Kooperation tritt das Faustrecht des Stärkeren.
Hier wird eklatant wider Geist und Gebot der Verfassung verstoßen. Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Theodor Heuß und Hans Böckler wollten keine Republik der Bereicherer;
sie wollten eine Heimstatt für Menschen aller Klassen.Und das heißt im Klartext: Dieser Staat hat dafür zu sorgen, daß keine Situation herbeigeführt wird, in der die eine Gesellschaftsschicht der anderen Unzumutbares zumuten kann.
Die tölpelhaften Erben der Gründungsväter ruinieren mit ihrer Prämisse „Reichtum muß sich wieder lohnen" die Grundforderung nach dem immer wieder herbeizuführenden Interessenausgleich.
Der ist in unserer Verfassung vorgegeben.Das Gesetz, das Sie heute mit Ihrer Mehrheit durchpeitschen wollen,
ist nicht nur ein ungewöhnlich hastig zusammengeschustertes und ein ungewöhnlich schludriges Gesetz, sondern ist ein Anschlag auf den Sozialstaat.
— Herr Kollege Faltlhauser, der auf 18 bzw. 20 Monate befristete und vom Begründungszwang befreite Zeitvertrag ist ein Anschlag auf die Menschenwürde, ein Verstoß gegen die Art. 1 und 2 des Grundgesetzes.
Er ist ein Anschlag auf den Gleichberechtigungsgrundsatz der Verfassung, Art. 3 des Grundgesetzes. Er ist ein Anschlag auf das Verfassungsgebot des Schutzes der Mütter, Art. 6 des Grundgesetzes. Und er schränkt das Recht der freien Berufs-, Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzwahl unzulässig ein, Art. 12 des Grundgesetzes. Kurzum: Schon § 1 desArt. 1 Ihres Machwerkes ist ein verfassungspolitischer Skandal.
— Wenn heute nicht die Einsicht siegt, wird Ihnen das oberste Gericht in den Arm fallen.Rechtzeitig zum Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen hat die CDU die deutsche Frau entdeckt und deren tatsächliche Gleichberechtigung gefordert. Heute gehen dieselben Damen und Herren her und diskriminieren mit diesem Wechselbalg von Gesetz die Frau gleich auf mehrfache Weise:
Erstens berauben Sie sie über den Zeitvertrag des besonderen Kündigungsschutzes der werdenden Mutter.Zweitens erreichen Sie über Ihre Neuregelung, daß Frauen im gebärfähigen Alter — so uncharmant drücken sich die Experten aus — nur noch Zeitverträge angeboten bekommen.
Drittens geben Sie der besonders häßlichen Form von Teilzeitarbeit, der Arbeit auf Abruf, eine gesetzliche Grundlage. Die Frau wird zur beliebig abrufbaren Arbeitskraft. Genau das müßte verboten werden.
Viertens legalisieren Sie das sogenannte Jobsharing als Teilung eines Arbeitsplatzes zwischen zwei Arbeitnehmerinnen. Was Sie da als Wohltat preisen, ist eigentlich nur die totale Überwälzung des Personalrisikos auf die Arbeitnehmerinnen.
Fünftens wird die absolute Abwertung des Sozialplanes die am meisten bedrohte Gruppe, nämlich die Arbeitnehmerinnen, besonders hart treffen.
Sechstens verewigen Sie das üble Institut der Zeitarbeit unterhalb der Sozialversicherungsschwelle. Damit programmieren Sie Armut im Alter für die Frau vor.
Siebtens werden Sie, wenn Sie das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit auf dem Ausbildungsstellenmarkt aufbrechen, die Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern ein weiteres Mal vertiefen; denn diese privaten Vermittler werden schnelle Erfolge vorweisen wollen. Das geht zu Lasten der jungen Frauen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9887
LutzAchtens drängen Sie durch die Ausweitung der Leiharbeit zwangsläufig immer mehr Frauen in diese instabile Form von Beschäftigung.Ich will nicht verschweigen, daß der Gesetzentwurf zwei Verbesserungen für Frauen enthält. Einmal wird durch das verbesserte Ausgleichsverfahren das Risiko Mutterschaft für die Kleinbetriebe beherrschbarer. Zweitens werden die Voraussetzungen zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben für die Mütter verbessert. Aber das wiegt gering angesichts all dessen, was Sie den Frauen vorher in dieser Republik zumuten.
Ich habe nur eine Personengruppe herausgegriffen, die Sie mit Ihrer heutigen Entscheidung besonders negativ treffen. Ich muß hinzufügen, daß das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz einem Generalangriff auf die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften gleichkommt.
Mit dem Zeitvertrag wandern Sie zurück in die Ära des Frühkapitalismus.
Die von Ihnen legalisierten Formen von Teilzeitarbeit machen den Arbeitnehmer zur disponiblen Masse. Der Sozialplan wird in seinen Voraussetzungen und in seinem materiellen Gehalt künftig zur Farce. Beharrlich betreiben Sie Ihre Strategie, per Tarifvertrag das Unterlaufen gesetzlicher Mindestnormen zu ermöglichen, weiter.In vielen Tausenden von Kleinbetrieben wird es einen gesetzlichen Kündigungsschutz nicht mehr geben. Der besondere Kündigungsschutz für werdende Mütter, für Behinderte, für Wehrpflichtige wird bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sie legalisieren die widerlichen Versuche, das Vergeben von Ausbildungsplätzen zum Lotteriespiel oder zur Börsenaktion verkommen zu lassen.
Offensichtlich wollen Sie die evangelische oder katholische oder CDU- oder FDP- oder SPD-Ausbildungsplatzvergabe.Sie fördern tatsächlich die Verewigung von Arbeitsverhältnissen unterhalb der Versicherungsschwelle, und Sie begünstigen den Arbeitnehmerverleih. Damit fördern Sie nicht die Beschäftigung, sondern Sie passen unter Außerachtlassung aller ethischen Bedenken den Menschen den Bedürfnissen der Unternehmen an.
Die Stammbelegschaften werden ausgedünnt. Die Arbeitskraft wird zur beliebig abrufbaren Ware. Sie führen bewußt eine Zeit herbei, in der die berufliche Zukunft eines Menschen vom Augenbrauenzucken des Vorgesetzten abhängt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Da ich keine vernünftige Frage erwarte, möchte ich sie nicht zulassen.
Meine Damen und Herren, zu diesem Vorgehen haben Sie kein Mandat. Sie können nicht beliebig den Sozialstaat zuschanden reiten. Vor Ihren Absichten steht das Grundgesetz — und dann, wenn Sie es weiter mißachten, das Bundesverfassungsgericht! Nicht ohne Grund haben wir Sitzung für Sitzung, Paragraph für Paragraph von Ihnen wissen wollen, welche beschäftigungspolitischen Wirkungen von der beabsichtigten Demontage des Sozialstaates zu erwarten sein. Sie haben — das ist allerdings bei diesem Bundesarbeitsminister nichts Neues — außer Geschwafel keine einzige quantifizierte und nachprüfbare Prognose angeboten.
Ich mag nicht glauben, daß Ihre zutage getretene naive Erwartung an dieses Gesetz von Ihnen wirklich mitgedacht wird.
Ich kann, ich mag nicht glauben, daß der Gewerkschafter — und das gilt wenigstens für einige unter Ihnen — heute ein gutes Gewissen hat.
Aber auch mit einem schlechten Gewissen kann man den Sozialstaat ruinieren.
Damit Sie sich — Frau für Frau und Mann für Mann — noch einmal prüfen können, ob Sie für dieses Machwerk Ihre Stimme wirklich erheben dürfen, beantragen wir namentliche Abstimmung in der dritten Lesung.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach sowiel armseliger Primitivphilosophie meines verehrten Vorredners
darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen lenken. Es ist ein dringend notwendiges Gesetz, weil erhebliche Rechtsunsicherheiten beseitigt werden müssen;
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Frau Dr. Wisniewski
Rechtssicherheit aber ist die Grundlage für die Schaffung und Bewahrung von Arbeitsplätzen.
Das Gesetz betrifft als Detailregelung lediglich eine Randzone der bisherigen Tarifregelungen. Insofern ist, glaube ich, die Aufregung, die im Zusammenhang mit dem Tarifrecht gelegentlich aufkommt, unbegründet.
Die bekannte bisherige Ausnahmeregelung im Tarifvertrag ist für den Bereich der Wissenschaft und namentlich in der Nachwuchsausbildung Grundlage für ein umfassendes reguläres Instrumentarium gewesen. Das Gesetz wird daher zuverlässig und eindeutig befristete Arbeitsverträge in Hochschulen und Forschungseinrichtungen ermöglichen und die notwendigen Grundlagen schaffen. Hochschulen, Forschungseinrichtungen, aber auch Museen, in denen Forschung betrieben wird, wird es damit ermöglicht, wissenschaftliche Mitarbeiter mit eindeutig befristeten Arbeitsverträgen einzustellen; ebenso kann das Gesetz für künstlerische Mitarbeiter, für das Personal mit ärztlichen Aufgaben und für Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben gelten. Dabei ist natürlich nicht — das wird in der Diskussion manchmal falsch dargestellt — ausgeschlossen, daß der umschriebene Personenkreis auch wie bisher in Dauerstellungen tätig sein kann. Das betrifft namentlich die Lektoren.
Für wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen reichen die bisherigen tarifvertraglichen Regelungen nicht aus. Eine Vielzahl von Prozessen beweist das. So haben beispielsweise an der Universität Münster von 381 wissenschaftlichen Angestellten auf Zeitstellen 50 durch Gerichtsurteil unbefristete Verträge erlangt, an der Universität Bonn in den letzten Jahren von 188 Zeitangestellten 23. Vermutlich ist das ein Glück für die einzelnen Betroffenen, aber das ist gleichzeitig eine erhebliche Chancenminderung für die Generation nachfolgender junger Wissenschaftler. Sie hätten sich auf diesen Stellen weiter qualifizieren und ihre beruflichen Chancen wahrnehmen können.
Bedenklich sind auch die indirekten Folgen dieser unklaren Rechtslage. Statt fester Arbeitsverhältnisse werden heute vielfach nur Werkverträge oder Spezial-Aufträge, z. B. für Korrekturlesen, an den Hochschulen vergeben. Verträge, die risikoreich erscheinen, werden überhaupt nicht mehr abgeschlossen. Das betrifft vor allem auch qualifizierte Mitarbeiter, deren Verträge man gern verlängern würde, aber nicht zu verlängern wagt, um nicht die gesamte Stellenstruktur einer wissenschaftlichen Einrichtung zu gefährden. Deshalb ist so manches Forschungsprojekt nicht begonnen oder auch nicht fortgesetzt worden. Das heißt, die bisherigen tarifvertraglichen Regelungen sind nicht wissenschaftsadäquat und behindern die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuches.
Deshalb ist das Handeln des Gesetzgebers dringend erforderlich.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß das heute zu verabschiedende Gesetz objektive und sicher anwendbare Entscheidungskriterien für das wissenschaftliche Personal festlegen wird.
Eine solche Sonderregelung ist besonders notwendig, weil Wissenschaft und Forschung eben nicht mit den Produktionsverhältnissen in der Wirtschaft, worauf die tarifvertraglichen Vereinbarungen ja grundlegend abzielen, vergleichbar sind.
Die Durchführung von spezifischen und zeitlich begrenzten Forschungsprojekten bedarf einer flexiblen Personalplanung. Befristete Arbeitsverhältnisse sind daher — es sei wiederholt — im Bereich der Forschung nicht der Ausnahmefall — und darauf zielen ja die vertraglichen Regelungen in den Tarifverträgen ab —, sondern sie sind ein notwendiges und reguläres Instrument zur Erfüllung wissenschaftlicher Aufgaben in Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Leistungsfähigkeit der Forschung hängt in nicht unerheblichem Maß von der Möglichkeit ab, wechselnde Forschungsprojekte mit entsprechend wechselnden Experten als Mitarbeitern durchzuführen. Das ist mit Sicherheit von hohem gesamtgesellschaftlichen Interesse.
Ebenso liegt die Gewährleistung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Interesse der gesamten Bevölkerung. Die Nachwuchspflege im Bereich der Wissenschaft findet — das weiß man ja — unter schwierigeren Umständen als im normalen Berufsleben statt. Dort ist es selbstverständlich, daß Lehrlinge im Alter von 16 bis 20 Jahren stehen. Wissenschaftliche Nachwuchskräfte sind wesentlich älter, nämlich 25 bis 30 Jahre alt. Sie befinden sich aber in einer ähnlichen Anlernoder Weiterbildungsphase wie Lehrlinge — trotz ihres höheren Alters. Das Streben nach einer Dauerstellung ist für dieses Alter absolut natürlich, zumal wenn es sich dann auf 30 oder 40 Jahre zubewegt. Aber im allgemeinen Interesse muß dieses Streben nach Dauerstellungen hinter dem Anliegen zurücktreten, befristete Ausbildungsstellen im Interesse der Absolventen späterer Jahrgänge bereitzuhalten.
Die Frage, ob mit diesem Gesetz widerrechtlich in die Tarifautonomie eingegriffen wurde, ist mehrfach erörtert worden, zuletzt in einer Anhörung mit vier Sachverständigen aus dem Bereich des Arbeits- und Verfassungsrechts. Dabei ergab es sich, daß es geradezu die Pflicht des Gesetzgebers ist, Normen in einem Teilbereich des Arbeitslebens zu setzen, wenn Rechtsunsicherheit besteht und auf tarifvertraglichem Wege nicht beseitigt werden kann.
Es ist mehrfach versucht worden, zu vernünftigen tarifvertraglichen Regelungen zu kommen. Seit 1979 haben dies die Bundesregierungen versucht. Es konnte keine Einigung über solche Formulierungen erzielt werden. Dadurch sind die Schwierigkei-
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Frau Dr. Wisniewski
ten, wie ich sie soeben kurz andeutete, entstanden bzw. nicht beseitigt worden.
Das Gesetz über Zeitverträge für wissenschaftliches Personal bringt für die in erster Linie Betroffenen — das sind nicht die Professoren; denn diese sind bekanntlich Beamte —, also für die wissenschaftlichen Mitarbeiter, eine Reihe von Verbesserungen mit sich. Ohne Begründung kann ein Eingangsvertrag bis zur Dauer von zwei Jahren abgeschlossen werden. Daran kann sich ein Vertrag anschließen, der bis zum Abschluß eines Promotionsvorhabens dauern kann. Danach kann ein Fünfjahresvertrag abgeschlossen werden. Unterbrechungen bis zu zwei Jahren mit entsprechender Fristverlängerung sind für Auslandsaufenthalte, Familienpflege, Mutterschaft und Grund- und Zivildienst möglich.
Durch die neu eröffneten Möglichkeiten entsteht ein Instrument zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, das reichlich Zeit bietet, sich für geeignete Dauerstellungen zu qualifizieren und sich darum zu bewerben.
Zum erstenmal ist in einem Gesetz dieses Bereichs auch auf die besonderen Belange der Frauen bzw. der Männer, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu versorgen haben, Rücksicht genommen worden. Indirekt handelt es sich mit Sicherheit um ein frauenfreundliches Gesetz; denn Rechtssicherheit, Klarheit bei der Finanzierung von Stellen aus Drittmitteln und flexibles Offenhalten der Stellen werden dazu führen, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Daß Frauen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen besonders beliebt sind, wissen wir aus der Statistik. Damit eröffnen sich den Frauen auch mehr Aufstiegschancen durch Weiterqualifizierung für höhere wissenschaftliche Positionen, in denen der Frauenanteil dringend erhöht werden muß.
Ich komme zum Schluß. Das Gesetz wird mehr Rechtssicherheit bieten und damit mehr Stellen schaffen. Es wird zu mehr privatem Engagement in der Forschung führen. Damit wird mehr soziale Marktwirtschaft in den Bereich der Forschung und der Hochschulen einziehen. Dies ist dringend geboten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, Sie wollen heute einem Gesetz Ihre Zustimmung geben, das nicht darauf abstellt — ich betone das, weil es von Ihnen irrtümlicherweise oft so vorgetragen wird —, Zeitverträge zu ermöglichen, sondern in dem es darum geht, eine Ausweitung von Zeitverträgen für wissenschaftlich und künstlerisch tätige Mitarbeiter herbeizuführen. Denn die Bundesregierung selbst hat in der Begründung ihres Gesetzentwurfs dargelegt, daß bereits vier Fünftel all dieser Beschäftigten eine Beschäftigung auf Grund einesZeitvertrags nach dem Bundesangestelltentarifvertrag ausüben.
Deshalb muß doch die Frage gestellt werden, was Sie mit diesem Gesetz wollen. Die offizielle Begründung ist erstens, daß Sie den Kreis der Zeitbeschäftigten ausdehnen wollen. Ihre Begründung ist zweitens, daß Sie die Rechtssicherheit erhöhen wollen.Wenn Sie den Kreis der auf Grund von Zeitverträgen Beschäftigten ausdehnen wollen, müssen Sie sagen, wen Sie damit meinen. Soll das eine Fünftel, das heute noch in Dauerstellung ist, kontinuierlich in Zeitverträge übergeführt werden, oder wollen Sie den Gesamtkreis der Zeitbeschäftigten ausdehnen? Niemand — weder Sie noch die Sachverständigen — hat bisher eine schlüssige Antwort darauf geben können, ob das Ausdehnen von Zeitverträgen überhaupt möglich sein wird. Sie bauen also sowohl für die eine als auch für die andere Argumentation einzig und allein auf das Prinzip Hoffnung und verlieren sich bei der Diskussion in Annahmen und Vermutungen. Sie berufen sich auf die Wissenschaftsorganisationen und sagen: Die fordern das. Es ist zwar richtig, daß die das fordern, aber bedenken Sie auch, daß die Wissenschaftsorganisationen mit Nachdruck gefordert haben, einer tarifvertraglichen Regelung Vorrang vor einer gesetzlichen zu geben.
Ich bin der Auffassung, daß es außerordentlich zweifelhaft ist, ob sich das Anliegen, das Sie in diesem Gesetzentwurf vorbringen, mehr Beschäftigte mit Zeitverträgen auszustatten, überhaupt verwirklichen läßt.Nun haben Sie, verehrte Frau Dr. Wisniewski, soeben auch das zweite Argument angeführt. Es geht Ihnen um mehr Rechtssicherheit. Aber bedenken Sie, daß Sie unter diesem Gesichtspunkt einen massiven Eingriff in eine tarifvertragliche Regelung vornehmen.
Wir jedenfalls sehen darin — und nicht nur wir Sozialdemokraten sehen das so — auch einen massiven Eingriff in die Tarifautonomie.
Damit geraten Sie in die Situation, daß dieses Gesetz auch von seiner Verfassungsmäßigkeit her zumindest Zweifel aufkommen läßt, und diese Zweifel können j a wohl nicht zu mehr Rechtssicherheit führen.Nun, Sie haben auch vom arbeitsrechtlichen Risiko gesprochen. Aber bitte: Die knapp 32 000 Beschäftigten, die heute einen Zeitvertrag haben, werden ja von diesem Gesetz nicht erfaßt — das ist ja gemeinsamer Wille —, so daß das arbeitsrechtliche Risiko, sofern es eines gibt, für diese 32 000 Beschäftigten weiterhin bestehen bleibt.
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VogelsangSie beseitigen also für diese 32 000 Beschäftigten ein arbeitsrechtliches Risiko nicht.
Abgesehen davon müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß auch dieses neue Gesetz arbeitsrechtliche Risiken in sich birgt, die aber nicht sofort auftreten, weil das Gesetz so angelegt ist, daß seine Wirkungen erst in der Zukunft sichtbar werden. Sie verlagern also das arbeitsrechtliche Risiko in die Zukunft hinein.
Herr Abgeordneter Vogelsang, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wisniewski?
Ja.
Frau Abgeordnete, bitte schön.
Herr Vogelsang, geben Sie mir zu, daß viele der bereits bestehenden Zeitverträge im Laufe der nächsten Monate bzw. des nächsten und übernächsten Jahres auslaufen und insofern natürlich in sehr absehbarer Zeit im Falle der Verlängerung von diesem Gesetz betroffen sein werden?
Frau Kollegin, es richtet sich jeweils nach dem Ablaufen der Verträge nach dem Zeitvertragsgesetz. Aber das ändert nichts daran — Sie bestätigen das mit Ihrer Frage —, daß die Wirkungen dieses Gesetzes in der Zukunft liegen und daß keine arbeitsrechtlichen Risiken abgedeckt werden, die möglicherweise schon bei bestehenden Verträgen vorhanden sind.
Wir können also die Risiken in schon abgeschlossenen Zeitverträgen über dieses Gesetz nicht ausräumen.
Abgesehen davon: Wenn diese 32 000 Verträge, um die es geht, abgelaufen sind, gibt es, so glaube ich, kein arbeitsrechtliches Risiko mehr, weil die Rechtslage dann völlig geklärt sein wird, möglicherweise auch durch weitere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Warum also wollen Sie dieses Gesetz?
Ich fasse zusammen. Erstens. Wir können uns Ihren Annahmen und Vermutungen nicht anschließen, daß hinsichtlich einer Ausweitung der Zeitverträge die Wirkungen eintreten, die Sie wollen. Zweitens. Wir sind nicht der Auffassung, daß dieses Gesetz in der Lage sein wird, mehr Rechtssicherheit herbeizuführen, aber wir sagen Ihnen, daß Sie durch diesen Eingriff in einem bestehenden Tarifvertrag einen tarifvertraglichen Consensus aufbrechen. Wir sagen Ihnen, daß Sie nicht bereit sind, auf die Akzeptanz der Betroffenen überhaupt Rücksicht zu nehmen, und sie einseitig den Interessen der anderen Seite unterordnen.
Ich wollte Ihnen zum Abschluß sagen: Sie haben kein Herz für Arbeitnehmer.
— Ich will es j a so hart nicht ausdrücken.
Aber ich sage Ihnen: Sie sind nicht dazu bereit, hier eine Interessenabwägung in einer vernünftigen Art und Weise vorzunehmen, sondern Sie stellen die Interessen der betroffenen Mitarbeiter hinten an. Das ist der Grund dafür, weshalb wir als Sozialdemokraten diesem Gesetz nicht zustimmen können.
Das Wort hat Professor Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Vogelsang, ich weiß nicht, wen Sie mit der „anderen Seite" gemeint haben. Muß ich mich zu der anderen Seite rechnen? — Dann will ich gerne dazu Stellung nehmen.
— Mit Schreien haben wir Probleme noch nie gelöst. Darf ich hier auch einmal ein paar Gedanken entwickeln. Danke schön.
Herr Vogelsang hat gesagt, wir sollten warten, bis das Bundesarbeitsgericht weitere Entscheidungen getroffen hat. Weil aber die Arbeitsgerichte sich immer wieder und in zunehmendem Maße mit diesen Problemen beschäftigen müssen, denke ich, liegt doch ein Regelungsbedarf vor. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, diesem Regelungsbedarf zu entsprechen.
Dies tun wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf.
Ich höre immer: die Interessen der anderen Seite. Ich möchte einmal wissen, wer das ist. Wenn ich das so betrachte, ist das offensichtlich nur die Bürokratie, die Verwaltung von Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wenn wir als Professoren gerade einem Mitarbeiter noch helfen wollen, weil er in einer von der Verwaltung festgesetzten kurzen Vertragsfrist — wir möchten manchmal gerne länger — nicht mit seiner Arbeit fertig wird, und wir um ein halbes Jahr Verlängerung nachsuchen, wird uns dies versagt mit dem Hinweis darauf: Dies ist ein Kettenvertrag, und es besteht die Gefahr, daß der Mann dann anschließend vor dem Arbeitsgericht auf Daueranstellung klagt.
Wem helfen wir also? Wo ist eigentlich die andere Seite? Denken wir doch daran und gehen wir davon aus, daß wir hier jungen Leuten, jungen Nachwuchswissenschaftlern helfen wollen. Nicht nur diejenigen, die drin sind, sollen eine Chance haben, sondern auch Nachwuchskräfte sollen weiterhin eine Möglichkeit haben, in dieses Unternehmen
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Dr.-Ing. Laermann
Wissenschaft und in die wissenschaftliche Entwicklung einzutreten.
Da geht es nicht darum, hier das Prinzip Hoffnung darzustellen, sondern da geht es wirklich darum, mit diesen Maßnahmen Rechtsunsicherheit für den wissenschaftlichen Nachwuchs, für die wissenschaftlichen Angestellten konkret zu beseitigen. Das ist der Kernpunkt des ganzen Unternehmens. Ich möchte das noch einmal deutlich herausstellen.
Das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein wesentliches Instrument zur Erhaltung der Funktions- und Erneuerungsfähigkeit der Hochschulen und im Wissenschaftsbereich. Befristete Arbeitsverhältnisse sind im Bereich der Forschung nicht Ausnahmefall — das ist hier deutlich dargestellt worden —, sondern es ist ein reguläres Instrument zur Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Der Staat hat auch nach dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichtes von Verfassungs wegen Vorkehrungen zu treffen, daß die Funktionsfähigkeit einer wissenschaftlichen Einrichtung gewährleistet ist. Dazu gehören auch Vorkehrungen für den Einsatz des wissenschaftlichen Personals. Ich füge hinzu: Das hat nichts damit zu tun — dem wird hier nicht das Wort geredet —, daß wir sagen: Wir wollen jetzt schrankenlos die Zulässigkeit von Zeitverträgen hier durchsetzen. Wir wollen vielmehr das Instrument, das da ist, verbessern, wir wollen Rechtssicherheit für die Betroffenen schaffen, wir wollen verhindern, daß sich die zweite und dritte Qualität über solche Möglichkeiten auf Dauer einklagt; denn die guten und die besten Leute des wissenschaftlichen Nachwuchses haben auch in anderen Bereichen immer noch eine Chance. Es würde nicht einer verantwortungsvollen Politik für die Zukunft unserer Wissenschaftslandschaft entsprechen, wenn wir hier nicht steuernd eingriffen.
Die Hochschulen und die Wissenschaftsorganisationen haben in den Anhörungen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft im Februar 1984, des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Januar 1985 und schon Jahre vorher die zunehmende Rechtsunsicherheit beim Abschluß von Zeitverträgen beklagt. Ich kann aus der eigenen praktischen tagtäglichen Erfahrung nur noch einmal darlegen, welche Schwierigkeiten wir mit den Hochschulverwaltungen haben, um wirklich jungen Leuten, Nachwuchskräften im Sinne unseres originären Auftrages zu helfen. Diese Rechtsunsicherheit soll für den Wissenschaftsbereich durch dieses Gesetz beseitigt werden. Dabei haben wir uns bemüht, eine sachgerechte Abwägung zwischen den Belangen der Hochschulen einerseits und den wissenschaftlichen Mitarbeitern andererseits zu treffen.
Andererseits muß aber auch eine klare Regelung für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Wegfall von Drittmitteln getroffen werden. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, daß gerade dieses Problem gelöst wird; denn auch aus der öffentlichen Hand heraus erteilte Forschungsförderung, Projektmittel über das Landesamt für Forschung, über das Forschungsministerium, über die DFG sind zeitlich befristet, und da die Mittel zeitlich befristet sind, wird keine Hochschulverwaltung, keine Wissenschaftsverwaltung hingehen und etwa Arbeitsverträge abschließen, die über den Zeitraum dieser bewilligten Mittel hinausgehen. Hier wollen wir auch dafür sorgen, daß nun die Möglichkeit besteht, die Leute über die Gesamtlaufzeit eines Projektes einzustellen und die Einstellung nicht davon abhängig zu machen, wie und ob am Ende eines Jahres auch eine Fortsetzung der Förderung erfolgt.
Ich habe am 31. Dezember schlaflose Nächte, weil ich nicht weiß, ob solche Leute, die ich hier fördern will, am 1. Januar dann auch noch eine Arbeit haben. Es ist geradezu grotesk: Wenn dann ein wissenschaftlicher Nachwuchsmann bereit ist, als Arbeitsloser auch einmal eine befristete Zeit an der Hochschule tätig zu sein, weil er sagt, er hat die ganze Infrastruktur zur Verfügung und kann sich seiner wissenschaftlichen Arbeit voll widmen, und ich ihn anschließend einstellen will, sagt mir die Hochschulverwaltung: Haben Sie nicht einen anderen? Der ist ja arbeitslos, und der wird in jedem Fall bei jedem Arbeitsgerichtsprozeß recht bekommen, weil er sich in der Notlage der Arbeitslosigkeit befand. Es ist doch geradezu grotesk, dann so zu verfahren. Wir wollen diese Verwaltungspraxis mit diesem Gesetz beenden. Wir wollen die Chancen in der Tat verbessern und nicht, wie hier dargestellt wird, der anderen Seite — nebulös, was das auch immer sein mag — hier einfach mehr Rechte gegenüber den Betroffenen geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesen Gründen sind wir mit Nachdruck dafür, daß dieses Gesetz in der vorliegenden Form so verabschiedet wird. Wir stimmen dem Gesetz jedenfalls zu.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, bevor ich der Frau Bundesminister Dr. Wilms das Wort gebe, möchte ich Sie eindringlich bitten, die notwendige Ruhe herzustellen, damit sich die Rednerin kurz, aber hörbar zu Wort melden kann.
Frau Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz über die befristeten Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen sowohl die Leistungsfähigkeit der Forschung gestärkt als auch die Arbeitschancen für junge Wissenschaftler verbessert werden. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen werden nach dem Gesetz künftig ihre Aufgaben auf dem Gebiet der Forschung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses besser erfüllen können. Die
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Bundesminister Frau Dr. WilmsHochschulen müssen sich auch heute, zu Zeiten der Überlastbewältigung, der Doppelaufgabe stellen, eine solide Breitenausbildung anzubieten und zugleich wissenschaftliche Spitzenleistung zu fördern.Befristete Arbeitsverträge, meine Damen und Herren, sind im Bereich der Hochschulen und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen kein Ausnahmefall, sondern ein reguläres Instrument für ihre Aufgabenerfüllung. Denn ohne den Zustrom neuer Ideen und eine ständige personelle Erneuerung droht die Forschung zu erstarren. Außerdem wollen wir mehr jungen Wissenschaftlern als heute Arbeits- und Forschungschancen bieten.Beim Abschluß befristeter Arbeitsverträge im Hochschul- und Forschungsbereich ist in der Vergangenheit zunehmend Rechtsunsicherheit aufgetreten. Die für die Befristung von Arbeitsverträgen geltenden Grundsätze, die durch die Rechtsprechung entwickelt wurden, tragen den spezifischen Belangen von Wissenschaft und Forschung nicht hinreichend Rechnung. Sie stellen insbesondere zu sehr auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ab und erschweren damit eine einfache und vor allen Dingen unbürokratische Handhabung des Zeitvertragsinstruments. Das haben die Hochschul- und Wissenschaftsorganisationen in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt und haben von sich aus Rechtsänderungen gefordert.
Frau Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. — Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal den Versuch unternehmen, Sie eindringlich zu bitten Platz zu nehmen und die Gespräche einzustellen.
Es ist unmöglich, daß die Frau Minister nicht die mindeste Chance hat, sich durchzusetzen. Wer sein Redebedürfnis überhaupt nicht einschränken kann, für den steht die Lobby zur Verfügung.
Frau Minister, Sie haben das Wort.
Ich sagte Ihnen, daß die Wissenschafts- und Hochschulorganisationen schon gegenüber der alten Regierung Rechtsänderungen gefordert haben. Dies hat z. B. auch der Wissenschaftsrat im Mai 1982 eindringlich getan.
Dieses Zeitvertragsgesetz wird die aufgetretenen Unsicherheiten ausräumen und damit zur Rechtssichereit beitragen. Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen des Kollegen Blüm vorhin noch einmal betonen: Mit diesem Gesetzentwurf werden auch die Voraussetzungen verbessert, einer größeren Zahl von Hochschulabsolventen einen Arbeitsplatz auf Zeit anzubieten. Ich denke, hier stellt sich wirklich die Frage: Wollen wir junge Wissenschaftler arbeitslos auf der Straße stehen haben, oder wollen wir ihnen wenigstens befristet eine Zeit der Arbeit und der Forschung einräumen?
Außerdem können wir mit diesem neuen Vertrag auch die Einführung und die Einwerbung von Drittmitteln in der sogenannten Drittmittelforschung erweitern. Das ist auch etwas, was wir dringend brauchen. Auch hier, glaube ich, besteht weithin Konsens mit der Wissenschaft und der Forschung.
Meine Damen und Herren, gegen den Gesetzentwurf wurde gelegentlich eingewendet — Herr Kollege Vogelsang, Sie haben darauf hingewiesen —, das Gesetz verletze die durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützte Tarifautonomie. Die Bundesregierung sieht sich durch die Ergebnisse der Anhörung des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft in ihrer Auffassung bestätigt, daß das Gesetz nicht gegen das Grundgesetz verstößt und auch die Tarifautonomie nicht verletzt. In einem einmütigen Votum hat auch der Rechtsausschuß des Bundesrates diesen Gesetzentwurf unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte geprüft und sieht keine Bedenken. Der Gesetzentwurf enthält eine ausgewogene Regelung, die sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch die Belange der Forschung berücksichtigt.
Die Bundesregierung begrüßt die Veränderungen, die jetzt im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens durch den Bundesrat und den Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft eingebracht worden sind, weil wir glauben, daß damit das Gesetz noch weiter verbessert werden konnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend die Überzeugung der Bundesregierung noch einmal zum Ausdruck bringen: Auch dieses neue Zeitvertragsgesetz für den wissenschaftlichen Bereich wird einen Beitrag dazu leisten, die Leistungsfähigkeit der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen zu sichern und die Berufschancen junger Wissenschaftler zu verbessern.
Ich bedanke mich bei den Kollegen des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft für die zügige Beratung dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 15 a, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes. Ich rufe die Art. 1 bis 15, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit. Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. MeineDamen und Herren, die Fraktion der SPD hat ge-
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Vizepräsident Cronenbergmäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.Während der Auszählung werde ich über die Entschließungsanträge abstimmen lassen. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Nein.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, damit wir, wie angekündigt, über die Entschließungsanträge abstimmen können. Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Abstimmung nicht beteiligen wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen.
— Dies war eine ernstgemeinte Aufforderung; auch an die Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3271 ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 15 b. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 10/3206 unter Nr. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen nun zur Einzelberatung der Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 15 c, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Das Gesetz ist somit als Ganzes angenommen.Meine Damen und Herren, bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses unterbreche ich nunmehr die Sitzung. —Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen im Interesse einer schnellen Heimkehr mitteilen, daßdie Fraktionen damit einverstanden sind, daß wir nunmehr den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung beraten. Deshalb rufe ich Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksache 10/2889 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/3207 —Berichterstatter:Abgeordnete GüntherHeyennFrau Dr. Adam-Schwaetzerb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/3212 —Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. FriedmannFrau Seiler-Albring Kleinert
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen worden.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann gebe ich dem Abgeordneten Müller das Wort. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Ich habe aber noch einmal die eindringliche Bitte, doch die Gespräche außerhalb des Saales führen zu wollen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Der hohe Stand unserer Alterssicherung findet seinen Ausdruck in dem erreichten hohen Rentenniveau." Wenn wir diesen Satz des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt als Meßlatte nähmen, schnitten wir im Vergleich zur SPD-Regierungszeit sehr gut ab.
1980, als Sie noch an der Regierung waren, meine Damen und Herren von der SPD, und Ihr damaliger Kanzler diesen Satz prägte, lag das Nettorentenniveau nach 45 Versicherungsjahren bei 71,1 %, nach 40 Jahren bei 63,2 %.1984, also zwei Jahre nach dem Regierungswechsel, hatten wir ein Nettorentenniveau von 73,4 % bzw. 65,3 %.
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Ich denke, man braucht kein großer Rechenkünstler zu sein, um festzustellen, daß wir uns mit unserer Rentenpolitik sehr gut sehen lassen können,
insbesondere dann, wenn man dabei auch noch die Halbierung der Inflationsrate berücksichtigt.
Die niedrige Inflationsrate, meine Damen und Herren, ist die größte soziale Tat, die unsere Regierung erreicht hat.
Es ist daher schon ein wenig abenteuerlich, wenn die SPD in diesen Wochen immer wieder von der Verarmung bei den Rentnern spricht.
Dies ist Panikmache und Wahlkampfpropaganda, nichts anderes.
Den Rentnern ging es im vergangenen Jahr besser als zum Ende der Regierung Schmidt. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern.Wir haben in den vergangenen Jahren aber nicht nur das Nettorentenniveau erhöhen können, sondern wir haben — und dies war unsere vordringlichste Aufgabe — die Renten sicher gemacht. Als Norbert Blüm im Herbst 1982 die notwendige Bestandsaufnahme in der Rentenkasse machte, war dies alles andere als ein Freudentag für ihn, erst recht nicht für die Rentner und die Beitragszahler, die treu und brav ihre Beiträge eingezahlt hatten.
Die Rentenversicherung, meine Damen und Herren, stand damals vor dem finanziellen Ruin. Ihre Reserven waren nahezu aufgebraucht, und für das Jahr 1983 mußte das Schlimmste befürchtet werden. Die Missetaten der SPD-Regierung waren und sind offensichtlich. Immer wieder griff die damalige Regierung Schmidt in die Rentenkasse, um Lücken im Haushalt zu schließen. Ich erinnere nur an die Kürzung des Bundeszuschusses um 3,5 Milliarden DM im Jahre 1981.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Nein.
Angesichts dieser Pfuscharbeiten der SPD am Rentenbau mußte die jetzige Bundesregierung eine Vielzahl von Maßnahmen ergreifen, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung zu sichern.
Sie hat diese Aufgabe entschlossen angepackt.
Durch Leistungsanpassungen und Einnahmenverbesserungen wurde die Finanzlage der Rentenversicherung für die Zeiträume von 1983 bis 1987 um insgesamt 89 Milliarden DM verbessert. Die Renten, meine Damen und Herren, sind heute so sicher wie das Amen in der Kirche.
Kein Rentner braucht um seine Rente zu bangen. An der pünktlichen Zahlung der Renten gibt es keinen Zweifel. Und wir werden nicht müde werden, dies den Bürgern immer wieder zu sagen.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht zulassen, daß Schindluder mit den Renten getrieben wird. Ich wende mich dabei ganz besonders an Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Machen Sie keine Politik, insbesondere keinen Wahlkampf, auf dem Rücken der alten Menschen.
Kritisieren Sie, aber diffamieren Sie nicht. Wir haben eine Rentenversicherung für alle Bürger in unserem Lande. Die Rentenversicherung ist kein Feld, auf dem man — auch im nordrhein-westfälischen Wahlkampf — sein parteipolitisches Süppchen kochen kann.
Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden Gesetzentwurf, der eine Stärkung der Finanzgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht, leisten wir unseren Beitrag zur mittelfristigen Sicherung der Renten. Durch diese mittelfristige Sicherung können wir uns zugleich der zweiten Herausforderung mit der nötigen Sorgfalt und ohne zeitlichen Druck stellen, nämlich der umfassenden Strukturreform der Rentenversicherung.
Diese Strukturreform dürfen wir aber nicht übers Knie brechen, wie dies die Opposition will. Sie will die anstehenden Herausforderungen quasi in einem Aufwasch erledigen.
Doch solch übereiltes Handeln lehnen wir ab. Wir halten es da lieber mit dem Sprichwort: „Gut Ding will Weile haben." — Hektik und Nervosität wären die falschen Antworten auf die Herausforderungen einer langfristigen Sicherung. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP haben daher den einzig richtigen Weg gewählt. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Rentenfinanzen mittelfristig sichert
und den Überlegungen für eine Strukturreform genügend Raum gibt.
Die Gründe, warum wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben und heute verabschieden wollen, sind allen bekannt: Mehrausgaben bei der Rückkehrförderung für Ausländer von über 2 Milliarden DM und um 1,2 Milliarden DM geringere Beitragseinnahmen auf Grund von niedrigeren Lohnabschlüssen sowie Streik und Aussperrung in 1984
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haben Maßnahmen zur mittelfristigen Sicherung der Renten notwendig gemacht.
Unsere Maßnahmen im Rentenfinanzierungsgesetz beziehen alle in die Verantwortung mit ein, die Beitragszahler, die Rentner und den Bund. Sie sollen und müssen gemeinsam einen Beitrag zur weiteren Stärkung der Rentenfinanzen leisten.
Meine Damen und Herren, wir erhöhen — erstens — die Beiträge zur Rentenversicherung für eine befristete Zeit vom 1. Juni dieses Jahres bis zum 31. Dezember 1986 von 18,7 auf 19,2 % und senken in demselben Zeitraum die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 4,4 auf 4,1 %. Zweitens: Wir erhöhen weiter den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner. Er wird am 1. Juli dieses Jahres auf 4,5%, im Juli des kommenden Jahres auf 5,2 % und ein Jahr später, also am 1. Juli 1987, auf 5,9% steigen.
Lassen Sie mich zu diesem Punkt zwei Sätze sagen: Über die generelle Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages kann es zwischen CDU/ CSU, FDP und SPD keinerlei Meinungsunterschiede geben; denn auch bei den Sozialdemokraten war zu deren Regierungszeit vorgesehen, einen solchen Krankenversicherungsbeitrag einzuführen. Es ist mir eigentlich unbegreiflich, daß wir uns heute um ein halbes Prozent streiten. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wollen den Beitrag zur Krankenversicherung um 1 % auf 4 % erhöhen, und wir erhöhen ihn um 1,5% auf 4,5%. Warum sagen Sie heute nicht, dieser Beitrag sei notwendig, damit die Rentenversicherung gestärkt wird?
Sie verunsichern mit Ihrer Propaganda lediglich die Rentner.
Wir halten an unserem Standpunkt fest: Auch die Rentner müssen einen Beitrag zur Krankenversicherung leisten.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Egert wünscht eine Zwischenfrage. Darf ich noch einmal fragen: Lassen Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen zu?
Nein.Es ist gerechtfertigt, die Rentner auch an den Kosten zur Krankenversicherung genauso wie die Arbeitnehmer zu beteiligen, und zwar sozial vertretbar.
Drittens: Wir erhöhen den Bundeszuschuß um bis zu 1,5 Milliarden DM. Nachdem die SPD jahrelang die Zahlung des Bundeszuschusses entweder unverzinslich aufgeschoben oder ihn einfach gekürzt hat, wird er nun erstmals wieder erhöht. Es ist mir daher völlig unverständlich, wieso der Kollege Lutzdiesen Betrag von 1,5 Milliarden DM in der ersten Lesung eine lächerliche Summe genannt hat.
Darf ich Ihnen einmal die Beträge nennen, um die während der Regierungszeit der SPD der Bundeszuschuß gekürzt wurde; manchmal wurde seine Zahlung auch aufgeschoben?
1970 — hören Sie genau zu — Kürzung um 1 185 000 000 DM, 1971: 1 185 000 000 DM, 1973: 2,5 Milliarden DM, 1974: 650 000 000 DM,
1975: 2,5 Milliarden DM
und 1981 um 3,5 Milliarden DM. Wenn Sie das addieren, kommt eine Kürzung von 11 520 000 000 DM heraus. Hätten wir dieses Geld heute in der Kasse, hätten wir eine ganze Reihe von Sorgen weniger.
Das ist eigentlich das Sündenregister der SPD gegenüber den Rentnern. Sie wären doch in Jubel ausgebrochen, hätte sich der Bundeszuschuß zu Ihrer Regierungszeit um 1,5 Milliarden DM erhöht.Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zur notwendigen Strukturreform im Rentenrecht machen, die wir in der kommenden Legislaturperiode in Angriff nehmen wollen. Daß wir eine solche Strukturreform brauchen, wird heute von niemandem mehr in Frage gestellt. Die demographische Entwicklung führt in den kommenden Jahren, vor allem nach der Jahrtausendwende, zu immer mehr Rentnern und immer weniger Beitragszahlern. An dieser Tatsache können wir nicht vorbeisehen, zumal der veränderte Altersaufbau der Bevölkerung bereits heute sichtbar wird.Die Zahl der Rentner ist rapide gestiegen. Hatten wir 1964 8,5 Millionen Rentner, so waren es 1983 bereits 13,6 Millionen Rentner. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Erwerbstätigen um 6 % gesunken. In der Vergangenheit hat sich auch gezeigt, daß die durchschnittliche Rentenbezugsdauer seit 1957 um vier Jahre gestiegen ist. Das hat seine Ursache sowohl in der gestiegenen Lebenserwartung als auch im niedrigeren Renteneintrittsalter. Beides müssen wir daher bei der Strukturreform der Rentenversicherung berücksichtigen.Von zwei Grundsätzen sollten wir uns bei dieser Reform leiten lassen. Erstens: In der Rentenversicherung können wir nicht am grünen Tisch planen, sondern wir müssen von den bestehenden Strukturen ausgehen. Ein in 100 Jahren gewachsenes System kann nicht einfach auf den Kopf gestellt wer-
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den. Alterssicherungsfragen verlangen Seriosität, Kontinuität und Verläßlichkeit.
Deswegen sind Experimente völlig fehl am Platze.
Ich sage daher: Die Rente muß beitrags- und leistungsorientiert bleiben,
und es darf nicht so weit kommen, daß wir praktisch eine Staatsrente zahlen. Wer lange arbeitet und viel in die Rentenkasse einzahlt,
bekommt im Alter entsprechend mehr heraus. Daran darf es auch für die Zukunft keinen Zweifel geben.Das Festhalten am System der beitrags- und leistungsorientierten Rente bedeutet auch, daß die Rentenversicherung auch zukünftig nicht imstande ist, alle Ungerechtigkeiten des Lebens wettzumachen. Dort, wo es notwendig ist, müssen andere Sicherungssysteme greifen. Die Sozialhilfe ist ein bewußt geschaffenes zusätzliches Sicherungsnetz. Sie ist Ausdruck einer gelebten Solidarität gegenüber denjenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage sind oder waren, für ihren Lebensabend vorzusorgen.Lassen Sie mich noch einen zweiten Grundsatz nennen, den wir bei der Reform berücksichtigen sollten. Die Strukturreform kann weder allein von den Beitragszahlern noch allein von den Rentnern und auch nicht allein vom Bund getragen werden.
Rentner, Beitragszahler und Bund
müssen bei der Strukturreform gemeinsam einen aktiven Beitrag zur langfristigen Sicherung der Renten leisten.Meine Damen und Herren, der Bundeszuschuß muß — daran führt kein Weg vorbei — langfristig an die Ausgabenentwicklung gekoppelt werden, und es führt auch kein Weg daran vorbei, daß wir eine Modifizierung der Rentenformel finden, die sicherstellt, daß sich Renten und Einkommen der Arbeitnehmer gleichgewichtig entwickeln.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein Wort zu der von der SPD immer wieder geforderten Maschinensteuer oder Wertschöpfungsabgabe sagen. Ich halte eine solche Maschinensteuer oder Wertschöpfungsabgabe für sehr problematisch und sehe mich in meiner Skepsis durch das Gutachten des Verbandes der Rentenversicherungsträger bestärkt. Kurzfristig, meine Damen und Herren von der SPD, mag eine solche Lösung einige Vorteile bringen; langfristig aber überwiegen die Nachteile, und das solltenSie in Ihren Diskussionen sehr gut untersuchen. Ich befürchte nämlich, daß es durch die Einführung einer Maschinensteuer zu einer Schwächung des Systems der Rentenversicherung insgesamt kommen wird,
und ich sehe in der Einführung einer solchen Maschinensteuer kein geeignetes Mittel zur Lösung der Strukturfragen der Rentenversicherung.Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben seit der Regierungsübernahme im Jahre 1982 bewiesen, daß sie bereit und in der Lage sind, die in der Rentenversicherung anstehenden Probleme zu lösen.
Wir lassen es an der nötigen Entschlossenheit nicht fehlen. Mit der Verabschiedung des heute vorliegenden Gesetzentwurfes stärken wir die Grundlagen der Rentenfinanzen und sichern damit die Renten für einen mittelfristigen Zeitraum. Wir schaffen damit die Voraussetzung für eine sorgfältige Beratung der anstehenden Strukturreform, die die langfristige Sicherung der Renten zum Ziel hat.Ich bitte Sie, diesem Gesetz im Interesse der Rentner zuzustimmen,und ich bitte Sie, endlich damit aufzuhören, die Rentner durch Ihr Gerede weiter zu verunsichern.
Bevor ich dem Abgeordneten Heyenn das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes auf Drucksache 10/2102 bekannt.Von den voll abstimmungsberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 431 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 248, mit Nein 182 Abgeordnete gestimmt. Es gab 1 Enthaltung.19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme wie folgt abgegeben: Ja-Stimmen: 9, Enthaltungen: 10.
— Es tut mir schrecklich leid. Auch ich habe das mit Verblüffung gelesen. Offensichtlich ist dann das von vier Schriftführern unterzeichnete Protokoll falsch. Wir bitten kurz um Überprüfung.*)
Wegen der Unwahrscheinlichkeit des Ergebnisses — trotz der vier Unterschriften— habe ich mir erlaubt, das Protokoll noch einmal überprüfen zu lassen.Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. *) Berichtigtes Ergebnis Seite 9907
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Müller, ich glaube, nicht Sozialdemokraten verunsichern die Rentner, sondern Sie verunsichern durch Ihre Politik die Rentner.
Sie haben hier schöne Rechnungen über die Kürzung von Bundeszuschüssen aufgemacht. Wenn Ihnen das alles so dramatisch vorkam, warum sind Sie dann in diese Zeit der Wende eingestiegen und haben den Bundeszuschuß im ersten Jahr um 900 Millionen DM gekürzt? Warum haben Sie Beiträge in Höhe von 5 Milliarden DM jährlich geklaut? Und hören Sie doch bitte auf mit diesen ewigen Schummeleien mit dem Nettorentenniveau. Sie wissen doch genau, das bedeutet, Sand in die Augen zu streuen, denn Nettorentenniveau heißt, daß Sie die Renten ins Verhältnis zum sinkenden Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer setzen. Insofern haben die Rentner nicht mehr, wie Sie vorgaukeln, sondern sie haben weniger.
— An Ihrer Stelle würde ich es mir nicht erlauben, über das Niveau anderer zu urteilen.
Ich halte es für peinlich, was hier passiert. Ich halte es für unerträglich, daß die Rentendebatten und die Rentenbeschlüsse, die der Arbeitsminister diesem Parlament zumutet, sich in immer kürzeren Abständen wiederholen. Wir brauchen eine grundsätzliche, eine dauerhaft tragfähige und sozial ausgewogene Lösung zur Sicherung der Rentenfinanzen. Wir haben sie vorgeschlagen. Aber die Unfähigkeit des Arbeitsministers, die Uneinigkeit in der Koalition und die Haltung eines Kanzlers, dessen Gewicht vielleicht vorübergehend abnimmt, dessen Entscheidungsfähigkeit aber stetig abnimmt — all dies führt dazu, daß Sie verschieben, vertagen, daß Sie von der Hand in den Mund leben. Wenn Sie überhaupt noch eines deutlich machen können, dann ist es das: Ihre Zukunft ist vorbei.Lassen Sie mich als Berichterstatter sagen: Immer unverantwortlicher wird der Termindruck — das sage ich, glaube ich, auch in Ihrem Namen —, unter den dieser Bundesarbeitsminister den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung setzt.
In immer kürzeren Abständen — da hilft auch kein Lächeln, lieber Kollege Blüm — werden kurzatmige Korrekturen vorgeschlagen, die zur Sicherung der Renten völlig unzureichend sind. Billige Ausreden müssen dann herhalten, auf niedrige Tarifabschlüsse wird hingewiesen. Mit unschuldigen Kinderaugen erklärt Herr Blüm, völlig überraschend hätte es geringe Lohnsteigerungen gegeben. Dabeiwar er es, der nicht geringe Lohnsteigerungen, sondern sogar Lohnpausen gefordert hat.
Ich glaube, dies ist ein untauglicher Versuch, von einer unfähigen Rentenpolitik abzulenken. Nichts macht den Termindruck deutlicher als die Tatsache, daß die Beamten des Arbeitsministeriums und des Ausschußsekretariats den Entwurf des Ausschußberichtes bereits fertigstellen mußten, bevor die Beratungen überhaupt abgeschlossen waren. Das Gesetz hätte nicht zum 1. Juni in Kraft treten können, die Rentenversicherungsträger wären in diesem Jahr zahlungsunfähig geworden, wenn sich das abschließende Gespräch der Berichterstatter auch nur geringfügig verzögert hätte. Diese Vorgänge, ein erneut überstürztes Gesetzgebungsverfahren, lassen nur ein Urteil zu: Die parlamentarischen Manieren dieser Bundesregierung sind auf einen Tiefstand gesunken.
Schlechte Manieren sind bedingt durch Unsicherheit, und aus Unsicherheit folgen miserable Gesetzentwürfe. Noch keine drei Jahre im Amt, und schon müßte man das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung das Ministerium für das Auflösen der sozialen Ordnung nennen. Zum viertenmal innerhalb von 20 Monaten bzw., wenn ich die Beitragspflichtigkeit des Krankengeldes dazunehme, zum fünftenmal in 20 Monaten wird der Beitrag erhöht, wird mit untauglichen Mitteln versucht, die Renten zu sichern.Sie haben seit März 1983 die Finanzierungslasten vom Bundeshaushalt und von der Bundesanstalt für Arbeit auf die Rentenversicherung geschoben, von der Rentenversicherung auf die Krankenversicherung, von der knappschaftlichen Rentenversicherung auf die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, von der knappschaftlichen Rentnerkrankenversicherung auf die Krankenkassen und von der Krankenversicherung auf die Bundesanstalt für Arbeit. Jetzt schieben Sie erneut. Wann soll das eigentlich ein Ende nehmen?Und dann ist dies alles auch noch eine unbedachte Politik, denn Sie schädigen durch diese unterjährige und überraschende Beitragserhöhung eindeutig die Wohlfahrtsverbände in dieser Republik.
Von den über 10 Millionen DM Mehrkosten dieser Verbände in diesem Jahr — wahrscheinlich sind es mehr als 12 Millionen DM — kann nur ein Viertel über höhere Pflegekosten und ähnliches abgewälzt werden. Das heißt, mit einem Betrag von 10 Millionen DM bleiben die Wohlfahrtsverbände durch Ihr Verhalten in diesem Jahr hängen.
Sie machen bei der Rente Schulden. Herr Blüm wird in die Geschichte eingehen,
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Heyennund zwar nicht wegen positiver Dinge, sondern weil zum erstenmal in hundert Jahren Geschichte der Rentenpolitik Renten auf Pump gezahlt wurden.
— Lieber Herr Kollege Kolb, ich halte mich, wie es sonst nicht meine Art ist, an das Beispiel des Kollegen Müller.Niemand hat wie Sie in der Geschichte der Bundesrepublik an der Beitragsschraube gedreht. Wenn dies nicht so traurig wäre, müßte man Ihnen gratulieren. Dies ist ein Rekord.Vor den Wahlen hieß es: Kampf dem Steuer- und Abgabenstaat! Aber heute begründen der Bundesarbeitsminister und Herr Müller innerhalb von 20 Monaten die fünfte Beitragserhöhung in der Rentenversicherung.
Wer auf die Quizfrage, was Norbert Blüms Politik mit Glaubwürdigkeit zu tun hat, mit „nichts" antwortet, bekäme hier den ersten Preis.
— Hören Sie doch bitte mit dem Vorwurf der Kassenplünderung auf! Es hat noch nie in der Geschichte eine Situation gegeben, wie sie zum Jahresende 1984 bestand, als nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestrücklagen in den Kassen waren. Dies haben doch wohl Sie zu verantworten.
In Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es:Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.In Art. 14 wird von der Gewährleistung des Eigentums gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu deutliches gesagt.In diesem Zusammenhang muß ich fragen: Wie entwickelt sich eigentlich die tatsächliche Höhe der Renten? Wie ist es mit der Verschiebung der Anpassung, mit den beinahe lächerlichen Rentenanpassungen, bedingt durch Aktualisierung, bedingt durch zu hohe Abzüge beim Krankenversicherungsbeitrag der Rentner? Wie verhält es sich mit der zynischen Streichung von Rentenansprüchen bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Wir Sozialdemokraten meinen: Sie treiben hier Schindluder mit gewachsenen Rechtspositionen unserer Rentner.
Seit der Wende, meine Damen und Herren — das setzt sich auch in diesem Jahr fort —, hat es noch keine einzige bruttolohnbezogene Rentenanpassung entsprechend der Rentenformel gegeben. Das gilt auch für dieses Jahr. 1,4 % liegen unterhalb der Geldentwertungsrate.Herr Kollege Müller, Sie haben hier gesagt, die größte soziale Tat sei die geringe Geldentwertung.Schauen Sie sich einmal die Hochrechnungen für dieses Jahr an; da geht es schon auf 4 %.
Die Rentenanpassung beträgt aber nur 1,4 %.Lassen Sie sich einmal fragen: Was bedeutet es, wenn die Rentner mehrere Prozent unter der Geldentwertung bleiben, wie es bei Ihnen der Fall ist, ohne daß es in den künftigen Jahren einen Ausgleich geben wird, wenn in Rentnerhaushalten Miete, Heizungskosten und Stromkosten überproportional steigen?
Ich glaube, das ist eine verhängnisvolle Rentenpolitik. Wir brauchen eine neue und verläßliche Rentenformel.
— Nein, das heißt — wir haben Ihnen das vorgelegt —: endlich eine Strukturreform, Schluß mit dem Herumwursteln, mit der „Blümschusterei" in der Politik.
Sie wissen doch schon heute, daß wir hier nach dem Auslaufen dieser befristeten Beitragsanhebung am 31. Dezember 1986 mit einem neuen Gesetzentwurf zu rechnen haben werden, der beinhalten wird, diese Befristung aufzuheben.
Kein Geringerer als Herr Bangemann, der die Wirtschaftsdaten doch wohl kennen muß, hat in diesen Tagen gesagt, daß die Rentenfinanzen nur bis 1987 gesichert seien,
und das hat er nicht zurückgenommen. Herr Blüm meint im Gegensatz dazu, diese Maßnahmen reichten bis zum Ende des Jahrzehnts. Wir stimmen hier mit Herrn Bangemann überein. Denn entgegen Ihren Annahmen kann wohl kaum mit einer Zunahme der Beschäftigtenzahlen in den kommenden Jahren gerechnet werden. Sie rechnen zwar einen Aufschwung ein, dieser schlägt aber nur bei den Einkünften der Unternehmer zu Buche.
Deren Erträge gehen aber nicht in Investitionen und in neue Arbeitsplätze, sondern wandern zur Anlage in die Vereinigten Staaten ab. Sie haben nicht, wie Sie sich das vorstellen, die Atempause, um eine Strukturreform in den kommenden Jahren— vielleicht zum Ende des Jahrzehnts — in Ruhe beraten zu können. Denn wir werden in den nächsten Abschwung der Konjunktur mit einem Arbeitslosensockel von 2 Millionen hineingehen. Sie werden bald gezwungen sein, neue Reparaturen vorzunehmen.Mittel- und langfristige Perspektiven, meine Damen und Herren, das Schaffen eines neuen Ver-Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9899Heyenntrauens der Rentner, das wäre heute gefragt, Sie aber vergrößern die Probleme. Sie wollen, daß wir hier über ein Teil-Babyjahr entscheiden, dessen Finanzierung Sie selbst nur bis 1989 sicherstellen können und von dem Sie heute — genauso gut wie ich — wissen, daß Sie die Finanzierung dieser Leistung ab 1989 durch neue Leistungskürzungen bei den Rentnern werden bezahlen müssen.
— Hetze? Das ist eine Tatsache. Warum finanzieren Sie das nicht über 1989 hinaus? Sie wissen genau — Sie können ja auch lesen, Herr Kollege Seehofer —, daß sich bei günstigen wirtschaftlichen Annahmen errechnen läßt, daß wir in der 15-Jahres-Rechnung bis zum Jahre 1998 in der Rentenbilanz, wenn nichts passiert, einen Fehlbetrag von sage und schreibe 150 Milliarden DM haben werden.Und die Geschichte geht weiter, das Abenteuer bleibt spannend. Im laufenden Jahr mögen die Rücklagen bei der Bundesanstalt für Arbeit, entstanden durch rigorose Sparmaßnahmen zu Lasten der Arbeitslosen, ausreichen, um den Einnahmeausfall durch die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zu kompensieren. Aber es gibt Berechnungen, nach denen die Bundesansalt in Nürnberg bereits im kommenden Jahr wieder in die roten Zahlen kommen wird.
Nach den Erfahrungen von gut zwei Jahren, die für die Sozialpolitik sicherlich keine guten Jahre waren, befürchten wir, daß damit neue Kürzungen auf dem Rücken der Arbeitslosen vorprogrammiert sind,
um diese Defizite auszugleichen.Wir lehnen dieses Gesetz ab, Herr Kollege Kolb, weil seine Verteilungswirkungen unsozial sind. Ich will Sie noch einmal daran erinnern: Das Loch in der Rentenversicherung ist doch dadurch entstanden, daß Herr Stoltenberg die Zunahme bei der Nettokreditaufnahme frisieren wollte, indem er der Rentenversicherung seit 1983 kontinuierlich jährlich 5 Milliarden DM durch die Senkung der Beiträge der Arbeitslosengeld- und der Arbeitslosenhilfebezieher entzieht.
So hat er dann Geld für eine Steuerreform, Geld, das dem sozialen Bereich entwendet worden ist. Dort nimmt er von den Beschäftigten höhere Beiträge, dort zahlt er niedrigere Rentenerhöhungen. Auf der anderen Seite gibt es dann eine Steuerreform, die in erster Linie den Besserbetuchten in die Tasche geht.
Mit den vorliegenden Rentenbeschlüssen werden die Rentner betrogen. Sie erhalten in diesem Jahr eine minimale Verbesserung, indem der Krankenversicherungsbeitrag nicht auf 5 %, sondern nur auf 4,5% angehoben wird. Wir kennen die Gründe: die Wahlen. Dafür müssen die Rentner dann in den kommenden Jahren doppelt und dreifach zahlen, indem Sie über die Grenze von 5% bis auf 5,9 % hinausgehen.
Dies steht noch nicht im Gesetz, dort stehen im Moment noch 5 %.Ich kann es mir nicht versagen, meine Damen und Herren, an dieser Stelle kurz auf die Neuentdeckung des Monats einzugehen. Die Republik hat einen neuen Rentenexperten. Wir waren j a nach dem wenig arbeitnehmerfreundlichen Vorschlag von Herrn Haussmann zur flexibleren Tarifpolitik schon auf einiges gefaßt, aber der neue Rentenfachmann hat alle Erwartungen übertroffen. Seine Vorschläge sind unseriös, in erster Linie auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen gemünzt; ein glatter Rohrkrepierer. Niemand mochte sich für diese Vorschläge erwärmen. Ich glaube, die Peinlichkeit dieses Vorgangs kann man auch nicht dadurch mildern, daß Herr Bangemann jetzt sagt, er habe sich mißverständlich ausgedrückt. Der Wortlaut des „Express"-Interviews ist eindeutig. Die Rentenansprüche in der Republik sollten wesentlich herabgefahren werden, und wer über Sozialhilfeniveau hinaus mehr haben wollte, der möchte bitte Beiträge alleine zahlen, ohne die Beteiligung des Arbeitgebers, und wer noch mehr haben wollte, der sollte zur Allianz oder zur Victoria des Grafen Lambsdorff gehen.
Wir halten von dieser Politik nichts. Herr Kollege Müller, ich stimme mit Ihnen in der Beibehaltung der beitragsbezogenen Rente überein.Wenn allerdings über die Strukturreform hinaus an Weiterentwicklungen gedacht wird, so muß man sich natürlich fragen, wie es sich mit den Problemen einer bedarfsorientierten Mindestrente
für diejenigen verhält, die heute wegen dauernder Krankheit oder Alters ständig Sozialhilfe beziehen, und ob wir sie nicht über einen Finanzausgleich in den sozialen Schutz der Rentenversicherung hineinnehmen.
Wer weiterdenkt, muß sich natürlich auch fragen, wie das mit dem Wertschöpfungsbeitrag ist.
Ich habe heute von einem Gutachten gelesen, das diesen Wertschöpfungsbeitrag ablehnt. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß Sie ohne dieses Instrument bei den Veränderungen in der Struktur des Arbeitsmarktes gar nicht in der Lage sein werden,
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Heyenndie Systeme der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik langfristig zu finanzieren.
Niemand, meine Damen und Herren, wird erwarten, daß wir diesem miserablen Gesetzentwurf zustimmen. Wir lehnen ihn insgesamt ab. Wir halten die einzelnen Maßnahmen bis auf eine Ausnahme für verfehlt. Wir können keine Politik des Reparierens mittragen, die sich vor den dringend notwendigen strukturellen Reformen permanent drückt.
Es muß Schluß sein mit diesem permanenten Rentenchaos. Hören Sie mit der Verunsicherung der Rentner in der Republik durch Ihre Politik auf!
Uns reichen diese ewigen kurzatmigen Beschlüsse — fünf seit 1983 — nicht aus, die dann immer wieder gerade bis zum nächsten Horizont für wenige Monate die Rentenfinanzen sichern und dann immer wieder zu erneuten Schlagzeilen führen. Sie haben die Renten in der Bundesrepublik ins Gerede gebracht, und wir haben die Vorschläge vorgelegt, um sie da wieder herauszuholen.Wir haben in unserem Reformgesetz gesagt, daß Sie sich diese Stümperei ersparen könnten, wenn Sie Ihre Kardinalssünde rückgängig machen, nämlich die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit. Wir haben entsprechende Anträge im Ausschuß gestellt. Damit wären die akuten Finanzierungs- und Liquiditätsprobleme der Rentenversicherung gelöst. Wir haben eine umfassende Reform des Finanzierungssystems und der Rentendynamik vorgeschlagen, die uns in die Lage versetzen würde, die Rentenversicherung auch in einer Zeit wachsender Belastungen durch Verschiebungen im Altersaufbau aus der Tagespolitik und aus dem täglichen Gerede, aus der täglichen Diskussion herauszuhalten.Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß diese Reformvorschläge zumindest in dem Bereich der Wiederherstellung der vollen Beiträge in Stufen für die Arbeitslosen uns heute aus der Misere herausbringen würden.
Ihre Vorschläge lehnen wir ab; ich habe das begründet.
— Am 1. Juli 1978 haben wir das aus wohlerwogenen Gründen eingeführt,
nämlich weil wir die Rentenversicherung von konjunkturellen Schwankungen unabhängig machen wollten. Das hat sich bewährt, und Sie haben dieses Instrument zerschlagen.
Wir wollen, Herr Kollege Kolb, eine umfassende Strukturreform jetzt in Angriff nehmen. Das sagen alle Fachleute. Die Beratungen mögen dauern, aber fangen Sie jetzt an! Dazu haben auch Ihre Freunde in den Anhörungen Sie aufgefordert. Ich kann nur vermuten: Der Kollege Blüm verfügt nicht über Mehrheiten in der Koalition, um jetzt gerechte und tragende Lösungen auf Dauer vorzulegen.
Ich will Ihnen sagen — damit komme ich zum Schluß —: Stellen Sie wieder die volle Beitragsleistung der Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger her, machen Sie die Rentenversicherung wieder konjunkturunabhängig! Wenn Sie das machen — um zu einer aktuellen Diskussion ein kurzes Wort zu sagen —, wenn Sie den alten Zustand, der nie zu einem so starken Minus, zu dem Nichterfüllen der gesetzlichen Mindestreserven geführt hat wie bei Ihnen, wiederherstellen, dann
Herr Kolb, aber erst dann können wir über Gemeinsamkeiten in der Rentenpolitik reden.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Heyenn, ich weiß, daß Sie des Lesens kundig sind, und deshalb empfehle ich Ihnen, das nächste Mal etwas durchzulesen, bevor Sie anfangen, in dieser Weise über Vorschläge zu polemisieren, die aus unserer Fraktion kommen.
— Kollege Lutz, genauso wie Sie es machen, nämlich politische Gegner mit der Verwendung des Begriffs „Terroristen" zu diffamieren und sich damit der Auseinandersetzung zu verweigern, genauso versuchen Ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen offensichtlich, Ihre eigenen Wähler zu mobilisieren und an die Urnen zu bekommen.
Dieses ist aber einer Demokratie unwürdig. Herr Lutz, ich sage Ihnen, es ist unwürdig.Meine Damen und Herren, die Rente wird auch in der Zukunft selbstverständlich beitragsbezogen und leistungsorientiert bleiben.
Herr Kollege Heyenn, wir teilen durchaus die Forderung nach der langfristigen Strukturreform. Sie wird im übrigen kommen.
Ich möchte Sie aber daran erinnern, daß Sie inIhrem gesamten Beitrag ein sehr selektives Erinne-
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Frau Dr. Adam-Schwaetzerrungsvermögen an den Tag gelegt haben, und dieses selektive Erinnerungsvermögen bezieht sich auf die Zeit, wo Sie selber noch den Arbeitsminister gestellt haben — ich sage das natürlich ganz offen —, in einer Koalition mit uns.
Das war ein SPD-Arbeitsminister. Bereits seit 1977 sind eine ganze Reihe von Eingriffen in die Rentenversicherung notwendig gewesen. Ich darf Sie an dieser Stelle vielleicht einmal daran erinnern, daß ein Teil dieser Eingriffe nicht notwendig gewesen wäre,
wenn Sie sich damals schon zu der Einsicht hätten durchringen können, daß die Einkommen der Rentner nicht stärker als die Einkommen der aktiven Arbeitnehmer steigen sollten. Diese Forderung haben die freien Demokraten bereits 1977 in die Diskussion gebracht. Sie konnten uns damals nicht folgen, auch die CDU konnte uns damals nicht folgen. Inzwischen sind beide Parteien auf diese Forderung eingeschwenkt. Der Rentenversicherung wäre es sehr gut bekommen, wenn sich diese Erkenntnis bei Ihnen schon etwas früher durchgesetzt hätte.
Meine Damen und Herren, die Ursachen, die für die jetzigen Schwierigkeiten von dem Kollegen der SPD-Fraktion aufgezählt worden sind, treffen natürlich nicht den Kern der Sache, und er hat einiges vergessen.
Er hat nämlich vergessen, daß die Rentenversicherung durch zwei Dinge stärker in Anspruch genommen worden ist, als wir voraussehen konnten: einmal durch eine erhöhte Beitragsrückerstattung im Rahmen der Rückkehrförderung für ausländische Arbeitnehmer und zum anderen dadurch, daß die Lohnabschlüsse des vergangenen Jahres besonders maßvoll ausgefallen sind,
d. h. unter den Prognosen lagen, die wir haben konnten, weil eine tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeitverkürzung vernünftigerweise in die Berechnung dieser Lohnabschlüsse Eingang gefunden hat. Deshalb ist eine Verbesserung der finanziellen Grundlage der Rentenversicherung notwendig. Sie wird natürlich knapp kalkuliert sein,
weil wir ja die zusätzliche Belastung der Beitragszahler und des Bundeshaushalts so gering wie möglich halten möchten.Die vorgeschlagene Lösung reicht nach allen Vorausschätzungen, das Schwankungsreservesoll 1985über eine Monatsausgabe zu erhöhen. Es wird möglich sein, die Rücklage mittelfristig aufzubauen.
Ein wichtiger Punkt wird dabei natürlich die wirtschaftliche Entwicklung sein.
Aber die Rahmendaten lassen hoffen, daß dies auch in ausreichendem Umfang möglich sein wird.Die heute zu verabschiedende Regelung entspricht in zwei Punkten unseren Vorstellungen, die auch für die Strukturreform der Rentenversicherung wichtig sind. Zum einen werden die Probleme dort gelöst, wo sie anfallen, nämlich in der Rentenversicherung eine Beitragssatzerhöhung, in der Arbeitslosenversicherung eine Beitragssatzsenkung. Zweitens wird der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner stufenweise auf die Hälfte des durchschnittlichen Krankenversicherungsbeitrags der Arbeitnehmer angehoben. Das ist eine systemgerechte Lösung der Probleme.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, Sie haben eben davon gesprochen, daß nach Ihrer Auffassung die Rentenfinanzen mit diesem Gesetz mittelfristig gesichert sind. Die folgende Aussage ist im Präsidium der FDP nicht zurückgenommen worden. Herr Bangemann sagt im „Express" vom 12. April, daß die heutige Rentenfinanzierung nur bis 1987 gesichert ist. Distanzieren Sie sich von dieser Aussage?
Ich habe eben schon darauf hingewiesen, daß nach unserer Auffassung eine Strukturreform notwendig ist. Ich will gerne wiederholen, welche Elemente nach unserer Auffassung in dieser Strukturreform eine besondere Beachtung finden müssen,
u. a. eine Berücksichtigung der demographischen Entwicklung. Eine solche Komponente müßte eingeführt werden. Das ist von mir so gesagt worden. Ich denke, daß wir dann auch über Ihre Vorschläge zur Strukturreform werden diskutieren müssen. Einige davon sind sicherlich erwägenswert, andere werden wir in dieser Form selbstverständlich nicht mittragen können.
Meine Damen und Herren, was wir heute verabschieden, ist eine Mischung unterschiedlicher Elemente zur Sicherung der Finanzierung der Renten. Sie bezieht sich einerseits darauf, daß der Bundeszuschuß erhöht werden kann. Das halten wir für eine sehr vernünftige und notwendige Maßnahme. Denn es entspricht unserer Zielvorstellung, den Bundeszuschuß schrittweise anzuheben, umzuge-
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Frau Dr. Adam-Schwaetzer
stalten. Das wird ein Element sein, das in der Strukturreform weitere Beachtung finden muß.
Auch die schrittweise Anhebung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner ist nach unserer Auffassung vernünftig.
Die Beitragssatzerhöhung, soweit sie durch eine Senkung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung abgedeckt ist, entspricht ebenfalls unseren Vorstellungen. Die darüber hinaus vorzunehmende Erhöhung um 0,2 Prozentpunkte beim Beitragssatz in der Rentenversicherung halten wir allerdings für bedenklich. Wir bedauern es, daß es keine andere Möglichkeit gegeben hat als diese zusätzliche Belastung des Faktors Arbeit.
Wir hätten uns eine andere Regelung vorstellen können, nämlich, daß unter Berücksichtigung des früher verminderten Bundeszuschusses, unter Berücksichtigung der verbesserten Haushaltskonsolidierung und des erhöhten Bundesbankgewinns durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, eine stärkere Anhebung des Bundeszuschusses vorzunehmen und dadurch die Probleme für 1985 und 1986 zu lösen.
Wir haben uns dafür entschieden, der weiteren Haushaltskonsolidierung den Vorrang zu geben
und haben deshalb unsere Bedenken gegen eine Erhöhung der Lohnnebenkosten zurückgestellt.
Für uns bleibt aber das Problem der Beitragssatzstabilität ein wichtiges Element. Denn Beitragssatzstabilität ist aktive Beschäftigungspolitik.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung, aber auch uns selbst auf, dieses Ziel sehr ernst zu nehmen. Wir möchten alle vernünftigen Schritte unternehmen, damit wir diesem Ziel in der Zukunft näher kommen. Dies wird gerade in der Rentenversicherung nicht einfach sein, wenn man die demographische Entwicklung bedenkt. Wir müssen aber gerade im Hinblick auf die Zahl der Arbeitslosen, die uns alle bedrückt, alles unternehmen, damit wir nicht gezwungen sind, in der Zukunft eine zusätzliche Verteuerung des Faktors Arbeit vorzunehmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur sogenannten „Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung" führt nach unserer Meinung nicht zu einer Stärkung der Rentenfinanzen, sondern zu einer Schwächung der Lage der kleinen Rentnerinnen und Rentner. Die Regierungskoalition hat mit ihrem Entwurf wieder einmal bewiesen, daß sie keinerlei Interesse an der Bekämpfung der Armut im Alter hat.
Armut im Alter ist vor allem Armut alter Frauen.
Wir stellen fest: Norbert Blüm kratzt mit seiner
Rentenpolitik den „frauenfreundlichen" Lack ab,
den Propagandachef Geißler zwecks Wahlkampf
aufträgt.
Der vorgelegte Entwurf führt den alten Bonner Verschiebebahnhof zwischen den Sozialversicherungen fort. Was hier geschieht, sind Finanzmanipulationen an den Rentenversicherungen. Dieses Papier müßte eigentlich Gesetz zur Manipulierung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenfinanzierung heißen.
Durch diesen Entwurf wird — erstens — erreicht, daß durch die gleichzeitige Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zugunsten der Beitragsanhebung in der Rentenversicherung die Arbeitslosenversicherung in einer Zeit geschwächt wird, in der sie ohnehin stark belastet ist. Die Folgen dieser Manipulation an der Arbeitslosenversicherung werden die Erwerbslosen bald zu spüren bekommen.
Zweitens: Die ohnehin nur einmalige Anhebung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 1,5 Milliarden DM bleibt völlig unzureichend.
Drittens — dies dürfte für die Betroffenen wohl am wichtigsten sein —: Die durch dieses Gesetz bewirkten Rentenerhöhungen von ca. 1% stellen eine Beleidigung für die kleinen Rentnerinnen und Rentner dar.
Wenn eine Rentnerin mit 500 DM Rente eine Erhöhung um lächerliche 5 DM bekommt, ein Beamtenpensionist mit 5000 DM in diesem Jahr jedoch etwa 140 DM mehr erhält, dann wird Armut im Alter fortgeschrieben.
Wie sieht denn die Realität aus? Die neuesten Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besagen, daß mehr als 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner weniger als 1000 DM im Monat zur Verfügung haben.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9903
Bueb
Aber nicht nur der Herr Blüm hat zur wachsenden Altersarmut beigetragen, auch die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie haben ihren Anteil daran. Ein Vergleich der tatsächlich gezahlten Durchschnittsrente mit dem Durchschnitt der real gezahlten Nettolohn- und -gehaltssumme je Arbeitnehmer verdeutlicht nämlich, daß Rentnerinnen und Rentner schon unter der sozialliberalen Koalition immer weniger bekamen. 1977 erhielten sie im Durchschnitt noch 50,3% der Nettolöhne und -gehälter. 1982 war dieser Anteil bereits auf 45,3% gesunken, und heute dürfte der Anteil noch wesentlich niedriger sein.
Daß es vor allem Frauen sind, die das auszubaden haben, hat zwei Gründe.
Ein Grund ist die fehlende Berücksichtigung der Kindererziehung im Rentenrecht. Herr Blüm, Sie erreichen auch nichts damit, wenn Sie um 25 DM im Monat aufstocken.
Der zweite Grund ist die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt. Entweder kommen sie in diesen Arbeitsmarkt überhaupt nicht hinein, oder — wenn sie im Erwerbsleben stehen — sie erhalten wesentlich niedrigere Löhne als ihre männlichen Kollegen, die die gleiche Arbeit leisten.
Vor diesem Hintergrund der Altersarmut, vor allem der Frauen, wird so richtig deutlich, was Norbert Blüm meinte, als er in den letzten Tagen von der sogenannten Leistungsbezogenheit der Rentenversicherung sprach. Als nämlich der dilettantische Vorschlag seines Kollegen Bangemann zur Rentendiskussion kam, erhob Blüm mit ihm die große Rentenkoalition der Etablierten und der Interessenverbände das große Geschrei. Aber was heißt denn Leistungsbezogenheit angesichts der Altersarmut? Herr Blüm, Herr Kollege Glombig — der leider nicht da ist —, und wie die anderen alle heißen, haben Sie doch endlich mal den Mumm und schenken Sie der Öffentlichkeit reinen Wein ein, was hinter diesem ominösen Äquivalenzprinzip der Beitrags- und Leistungsbezogenheit der Rente steckt! Dahinter steckt nämlich die Moral einer kapitalistischen Wolfsgesellschaft:
Haste im Leben nicht die Ellbogen gebraucht, so biste im Alter halt arm.
Herr Kollege Bueb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Nein, ich habe nur fünf Minuten.Und: Biste Frau, ziehste Kinder groß,
kriegste zwar warme Worte, doch im Alter siehste nichts.
Ich möchte es mir an dieser Stelle aber nicht verkneifen, dem Herrn Bangemann noch eine Bemerkung zukommen zu lassen. Wir haben zur Kenntnis genommen, daß Sie, Herr Bangemann, den Gedanken einer steuerfinanzierten Grundrente, auf der eine obligatorische Zusatzrente aufbauen soll, befürwortet haben, wohl aber mit der Absicht, diese auf Sozialhilfeniveau anzusiedeln. Außerdem sprachen Sie davon, daß die Soziallasten auf den einzelnen abgewälzt werden sollen. „Privatisierung" sagten Sie dazu. Das bedeutet für uns jedenfalls weiteren Abbau von Sozialleistungen. Dafür werden Sie unsere Zustimmung nicht kriegen.
Noch mal zum vorgelegten Entwurf. Hier haben die Sozialdemokraten jedes Recht verwirkt, sich als Schulmeister dieser Nation aufzuspielen.
So waren es gerade Sozialdemokraten, die in den Jahren des Wirtschaftswachstums den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung immer weiter absenkten. Wenn Sie heute seine Erhöhung fordern, ist das pure Heuchelei.
Wir sollten uns auch daran erinnern, daß in Sachen Schwankungsreserve der Rentenversicherung die SPD bereits 1977 dazu beigetragen hat, die Rentenversicherung an die Zahlungsunfähigkeit heranzuführen. Damals beschloß man gesetzlich die Herabsetzung der Mindestgrenze für die Schwankungsreserve von drei Monaten auf einen Monat. Bis 1990 sollte diese Reserve laut Rentenanpassungsbericht 1980 ohne Beitragsanhebung und ohne Anhebung der Bundeszuschüsse nicht unterschritten werden. Tatsächlich wurden die Beitragssätze zweimal erhöht. Auch die gesammelten unsozialen Finanzbeschaffungsmaßnahmen konnten das Unterschreiten der gesetzlichen Schwankungsreserve nicht verhindern.Mit diesen Rentenmanipulationen haben die letzten Regierungen, wie die Bundesbank in dieser Woche zu Recht feststellte, Unruhe in das System der gesetzlichen Rentenversicherung getragen.Die ständigen Fehlkalkulationen haben eine weitere Ursache. So basieren bereits die Modellrechnungen im Rentenanpassungsbericht von 1980 auf einer unrealistischen Zuwachsrate der Bruttolohn- und -gehaltssumme. Wir müssen heute feststellen, daß wir in den letzten vier Jahren ca. 2,5% Erhöhung hatten. Sie hatten gesagt, ungefähr 4 bis 6 % werde die Lohn- und Gehaltssumme steigen.
— Genau. Es ist diese leichtfertige Hoffnung von Sozialdemokratie und Konservativen auf ein Wirtschaftswachstum, das quasi automatisch eine Konsolidierung der Sozialfinanzen sichern soll, die sich immer wieder als gefährliche Illusion erwiesen hat und erweisen wird.
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BuebDarüber hinaus hat dieser Wachstumsfetischismus dazu geführt, daß Sie blind für die Folgen dieses Wachstums sind. Zum einen weisen mehr als 50 % Rentenzugänge, die wegen Erwerbsunfähigkeit erfolgen, auf die erschreckende Vernutzung der Menschen in der industriellen kapitalistischen Produktionsweise hin.
Zum anderen hat die Altersarmut neben ihrem materiellem ein zweites Gesicht: die soziale Armut, Einsamkeit und die Erfahrung der Nutzlosigkeit im Alter. Die heutzutage oft beklagte Sinnlosigkeit des Alters hat ebenfalls sehr viel mit der Wachstumspolitik zu tun; denn der Arbeitsprozeß ist immer mehr durchrationalisiert worden,
so daß ältere Menschen gar keinen Platz mehr darin finden.Allerdings halten wir überhaupt nichts von den Vorschlägen, die Rentenzugangsgrenze nach oben zu verlegen, sogar vielleicht auf 70 Jahre, wie von einigen Koalitionspolitikern bereits hinter der vorgehaltenen Hand diskutiert wird.
— Klar; kommt, kommt.
Wir fordern eine Grundrente ab 60 Jahre, doch die alten Menschen sollen selbst entscheiden können, ob sie noch länger im Erwerbsleben dabeisein wollen.
Ich fasse unsere Einwendungen gegen das hier vorgelegte Finanzierungskonzept zusammen.
Erstens. Das Sozialversicherungssystem ist auf die Dauer nur zu halten, wenn nicht wie bisher eine Umverteilung von unten nach oben, sondern umgekehrt erfolgt.
Zweitens. Das Sozialversicherungssystem ist auf Dauer nur zu sichern, wenn dieses Wirtschaftssystem nicht immer mehr soziale und ökologische Folgekosten verursacht.Drittens. Wir stellen uns andere, erheblich solidere Finanzierungsformen vor: 1. Ausdehnung der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung auf alle, d. h. auch auf die Beamten, Selbständigen und Vielverdiener;
2. deutliche Anhebung der Bundeszuschüsse auf ca. 30 % der Rentenausgaben; 3. Suche nach anderen Steuergrundlagen. Wir schlagen beispielsweise die Finanzierung der Grundrente durch eine Bruttowertschöpfungssteuer vor.Viertens nenne ich die Anhebung der Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die gesetzliche Rentenversicherung auf 100 %, um die Rentenversicherung wieder unabhängig vom Arbeitsmarkt zu machen.
Die Vorschläge der GRÜNEN würden die Finanzsituation der Rentenversicherung tatsächlich stärken. Sie böten wirksame Hilfen gegen die Altersarmut. Hierzu schweigen die etablierten Parteien auf allen Seiten.
Doch ich bin sicher, daß sich Ihr etabliertes Pharisäertum auf Dauer nicht auszahlen wird.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja heute nicht das erste Mal, daß die Sozialdemokratische Partei mit beredten Worten die Finanzlage der Rentenversicherung beklagt. Mich erinnert das an jenen Bauern, der erst das Saatgut verfuttert und sich im nächsten Jahr wundert, daß nichts wächst.Sie haben neun Monatsrücklagen übernommen, als Sie die Regierung antraten. Mit zwei Monatsausgaben Rücklage haben Sie die Rentenversicherung auf einer abschüssigen Strecke zurückgelassen. Wären wir nicht gekommen, wäre die Rentenversicherung schon Mitte des Jahres 1983 bankrott gewesen. Wie kommen Sie eigentlich dazu, die Finanzlage zu beklagen? Sie haben doch die Voraussetzungen für das geschaffen, was wir jetzt sanieren müssen.Herr Bueb, Ihren so flammenden Appell gegen die Wolfsgesellschaft, die Sie im Äquivalenzprinzip — Leistung für Gegenleistung — ausgedrückt sehen, verstehe ich ganz und gar nicht. Ich habe Sie immer als einen flammenden Anhänger der Emanzipation gehört. Ich sehe in dem Prinzip „Leistung für Gegenleistung" eher eine Emanzipation als in der Zuteilung durch einen Wohltäter, auch wenn er Staat heißt.Das Äquivalenzprinzip ist ein Prinzip der Selbstachtung. Die älteren Mitbürger sollten ihre Rente nicht so auffassen, als schenkte ihnen jemand etwas; sie haben sich ihre Rente durch Arbeit und Beitragsleistung sauer verdient. Daran wollen wir nicht rütteln lassen.
Die Begründung für dieses Gesetz lautet: Sicherheit für die Renten. Es gibt zwei Gründe dafür, daß dieses Gesetz heute notwendig wird: erstens die Rückkehrförderung, zweitens der Arbeitskampf. Das Gesetz zur Rückkehrförderung — wir haben vorhin schon darüber gesprochen — war ein großer
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Bundesminister Dr. BlümErfolg, größer, als wir ihn selbst eingeschätzt haben. 160 000 ausländische Mitbürger sind nicht mit leeren Händen. sondern mit ihrer Rentenanwartschaft in die Heimat zurückgekehrt. Dadurch haben sie freilich auch den deutschen Arbeitsmarkt entlastet. Ihnen war geholfen, uns ist geholfen. Freilich, das hat die Rentenversicherung Geld gekostet: 2,6 Milliarden DM; das ist ein Geld, das ihr jetzt fehlt. — Ich will der Vollständigkeit halber dazusagen, daß die Rückkehrförderung natürlich auch eine Entlastung von Risiken ist, eine Befreiung von Ansprüchen und insofern langfristig der Rentenversicherung keine Schwierigkeiten bereitet.Der zweite Punkt: Arbeitskampf. Ja, meine Damen und Herren, Sie werden doch von der Bundesregierung nicht verlangen, daß sie einen Arbeitskampf und seine Folgen in ihre Rechnung einsetzt! Da hätten wir doch ein Ergebnis vorweggenommen, das wir nicht haben wollten. So weit geht unsere Nächstenliebe auch nicht.Ich habe immer, in allen jenen Zeiten, häufig unter dem Gelächter der Sozialdemokraten, gesagt: Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich geht gegen die Arbeitslosen in dieser Zeit, und Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich geht gegen die Rentner. Dieses Dilemma ist doch keine Überraschung.Meine Damen und Herren, das ist auch der Unterschied zur Lohnpause, falls Sie da einen Widerspruch sehen. Ich habe Lohnpause in einer Zeit vorgeschlagen, als wir Null-Wachstum hatten. Jetzt gibt es Gott sei Dank wieder Fortschritt, Wachstum, und da ist die Frage, wie er verteilt wird. Wenn er in Freizeit umgesetzt wird — das muß man wissen —, dann gehen die Rentner leer aus; denn ihre Rente hängt an der Lohnentwicklung.Das Gesetz, meine Damen und Herren, liefert vier Beweise für eine gute Politik für die Rentner:Erstens. Es beweist die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung.Zweitens. Es bestätigt eine Politik der sozialen Balance zwischen Alt und Jung.Drittens. Es unterstreicht eine ehrliche Finanzierung unseres Sozialsystems.Viertens. Es ist Ausdruck der Solidarität mit der älteren Generation.Ich will die vier Beweise gerne begründen:Erstens. Postwendend, noch am selben Tag, an dem die neuen Schätzungen der Rentenversicherungsträger bekanntgeworden waren, trafen die Koalitionsfraktionen ihre Entscheidung für dieses Gesetz. Schneller, unmittelbarer hat noch keine Koalition gehandelt.Zweitens. Zur Sicherung der Rentenfinanzierung tragen alle bei, Alt und Jung. Das ist die Balance. Wir laden es nicht auf die Schultern einer Seite. Alt und Jung. Die Beitragszahler zahlen mehr Beiträge, die Rentner beteiligen sich durch einen Krankenversicherungsbeitrag an den Kosten der Krankenversicherung; der Beitrag steigt schrittweise bis zur Hälfte jenes Beitrages, den die Rentenversicherungan die Krankenversicherung abführt. Das ist völlig parallel zu den Beitragspflichten der Arbeitnehmer, die die Hälfte ihres Beitrages an ihre Versicherung zahlen, während die andere Hälfte der Arbeitgeber zahlt.Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, Sie sollten Ihr Gedächtnis auffrischen: Genau das war auch Ihr Plan. Bis zur Hälfte des Betrages, den die Rentenversicherung an die Krankenversicherung zahlt, sollten sich die Rentner beteiligen. Falls ich dem Kollegen Lutz, der wieder einmal den Kopf schüttelt, Gedächtnisstütze geben kann: Regierungserklärung Helmut Schmidt, 24. November 1980, Ankündigung — Zitat —:daß die Rentner ... schrittweise bis zur Höhe des halben Krankenversicherungsbeitrages so wie aktive Arbeitnehmer an der Finanzierung ihrer Krankenversicherung beteiligt werden ...Das war Ihre Absicht. Dementieren Sie doch nicht Ihre eigenen Pläne! Wir machen doch nur das, was Sie selber vorhatten. Man wird Ihnen doch einmal folgen dürfen, ohne daß Sie uns beschimpfen.
Diese hälftige Beteiligung erreichen wir am 1. Juli 1987. Schrittweise nähern wir uns also dem alten sozialdemokratischen Ziel bis zum 1. Juli 1987.Meine Damen und Herren, ich will die Gelegenheit auch nutzen, deutlich zu machen, daß ich Vorschlägen nicht zustimmen kann, wie sie öffentlich vorgetragen wurden, die Rentnerkrankenversicherung sozusagen von der Solidarität der Krankenversicherung abzukoppeln. Das wäre ein elementarer Solidaritätsverstoß. Zu der Solidarität, wie wir sie hier wohl alle verstehen müssen, gehört, daß die Jungen und die Alten zusammenhalten müssen. Jeder, der jung ist, muß auch wissen, daß er einmal älter wird und daß deshalb auch die Alten einen Anspruch auf die Solidarität in der Krankenversicherung haben, selbst wenn die Kosten bei den Alteren überproportional sind. Jeder wird älter. Das ist ein solidarischer Ausgleich, der völlig im Sinne unseres Systemes ist.
Dritter Punkt: Wir befriedigen die Finanzbedürfnisse dort, wo sie entstehen. Darauf hat schon Frau Adam-Schwaetzer hingewiesen. Wir erhöhen den Beitrag in der Rentenversicherung, weil dort Geld gebraucht wird, und senken ihn in der Arbeitslosenversicherung, weil dort Überschuß ist. Ja, die Alternative von Ihnen war doch, daß die Arbeitslosenversicherung einfach Geld an die Rentenversicherung zahlen sollte. Jetzt frage ich Sie: Was ist denn ehrlicher, was ist denn Verschiebebahnhof? Verschiebebahnhof ist, wenn Sie den Bürgern nicht zeigen, wo Geld gebraucht wird und wo Geld übrig ist, sondern wenn Sie hinter den Kulissen Geldströme hin und her schieben. Wir machen Schluß mit dem Verschiebebahnhof. Auf offener Bühne wird gezeigt, wo Geld gebraucht wird und wo Geld übrig ist.
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9906 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Bundesminister Dr. BlümDas ist das Gegenteil eines Verschiebebahnhofs.Im übrigen: Sie sollten doch nicht so stolz sein auf die 100%, die Sie einmal vier Jahre lang von der Arbeitslosenversicherung an die Rentenversicherung gezahlt haben, von 1978 bis 1982. Sie selbst haben doch Zweifel gehabt, ob das durchzuhalten war. Sie selbst hatten doch Pläne, diesen Betrag abzusenken. In der gleichen Zeit, in der die Arbeitslosenversicherung an die Rentenversicherung 17,3 Milliarden DM gezahlt hat, hat der Finanzminister an die Bundesanstalt für Arbeit 17,1 Milliarden DM gezahlt. Das ist doch Umwegfinanzierung. Über die Bande spielen wir nicht.Wenn einer sagt, die Rentenversicherung sollte konjunkturunabhängig werden: Meine Damen und Herren, es gibt keine Sozialversicherung, die vom Arbeitsmarkt unabhängig wäre. Das sind alles nur Techniken der Verteilung. Bezahlt wird soziale Sicherheit immer aus der Arbeit derjenigen, die Arbeit haben. Alles andere sind Organisationstechniken.
Ich bin dagegen, daß wir uns solche Lebenslügen beschaffen, um uns selber zu trösten, als gäbe es eine Rentenversicherung im Himmel der Seligen. Wir brauchen Vollbeschäftigung, auch zur Sicherheit der Rentner. Das ist der wichtigste Beitrag.
Viertens. Dieses Gesetz beweist die Solidarität der staatlichen Gemeinschaft mit den Rentnern. Wir sind die erste Regierung — zum Mitschreiben für Sozialdemokraten; ich sage es ganz langsam —, die den Bundeszuschuß erhöht: bis zu 1,5 Milliarden DM. Das ist keine Variante im Vergleich zu unseren Vorgängern, das ist das Gegenteil. Die haben den Bundeszuschuß nämlich immer gekürzt. Und noch einmal — der Kollege Müller hat es schon getan, aber die Wahrheit kann man nicht oft genug sagen — ganz, ganz langsam: 1973 wurde die Zahlung des Bundeszuschusses in Höhe von 2,5 Milliarden DM unverzinslich aufgeschoben; 1973 regierten die Sozialdemokraten. 1974 wurde die Zahlung des Bundeszuschusses in Höhe von 650 Millionen DM verzinslich aufgeschoben; 1974 regierten die Sozialdemokraten. 1975 dann um 2,5 Milliarden DM; 1975 regierten die Sozialdemokraten. Und weil sich die SPD offenbar so gut daran gewöhnt hatte, wurde der Bundeszuschuß an die Rentenkasse auch 1981 noch einmal gekürzt, und zwar um 3,5 Milliarden DM. Sie haben die Rentenkasse doch wie die Ersatzkasse des Herrn Matthöfer behandelt. Sie haben sie doch zum Selbstbedienungsladen Ihrer Finanzminister gemacht.
Der Höhepunkt ist wirklich, Herr Kollege Heyenn, wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten 1983 mit 900 Millionen DM Kürzung begonnen. Ja, wir haben Ihren Plan um 400 Millionen DM reduziert. Sie wollten sie um 1,3 Milliarden DM kürzen. Mit Müh und Not haben wir das um 400 Millionen heruntergedrückt.
Ihr Angriff sollte sich andere Ziele suchen.Wir stocken nicht nur den Bundeszuschuß auf, wir sind auch bereit, jederzeit und ohne Umstände der Rentenversicherung mit zinslosen Betriebsmitteldarlehen bis zu 5 Milliarden DM zur Seite zu stehen. Sie sehen, wir lassen die Bundesgarantie nicht auf einem Blatt Papier stehen. Wir konkretisieren die Bundesgarantie.Ich gebe zu, wir haben eine schwierige Strecke der Rentenpolitik hinter uns und noch große Aufgaben vor uns. Ich stehe nicht hier und sage, alle Probleme sind gelöst.
— Nein, so stehe ich in der Tat nicht hier. Wissen Sie, ich gehöre nicht zu denjenigen, die vor Wahlen sagen, es gebe nur kleine Problemchen, und nach den Wahlen ihren Arbeitsminister in die Wüste schicken. Mit dieser Partei habe ich nie etwas zu tun gehabt. Das muß ich schon sagen.
Wir haben die Talfahrt gebremst. Wir haben allein in dieser Legislaturperiode 60 Milliarden DM mehr Geld für die Rentenversicherung beschafft. 60 Milliarden DM! Wissen Sie, das ist auch ein Widerspruch: Einerseits werfen Sie uns vor, es sei zuwenig Geld in der Kasse, und andererseits sagen Sie im nächsten Satz, ohne Luft zu holen, wir hätten zuviel gespart. Ja, was gilt denn jetzt? Wenn wir weniger gespart hätten, wäre doch noch weniger Geld in der Kasse! Sie müssen Ihre Vorwürfe einmal sortieren und müssen überlegen, welche davon gerade gelten sollen. Jedenfalls sollten Sie hier nicht an einem Tage solche Widersprüche produzieren; vielleicht verteilen Sie sie auf mehrere Tage, denn dann fällt es nicht so auf.
Nein, meine Damen und Herren, wir machen eine Politik der Rentensicherheit, und wir haben eine wichtige Etappe erreicht. Ich berufe mich ausdrücklich auf den neuesten Monatsbericht der Bundesbank, der uns bestätigt, daß wir nunmehr die Rentenversicherung mittelfristig auf eine solide finanzielle Grundlage stellen. Auch der Schätzerkreis hat dies schließlich vorgestern noch bestätigt.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir kommen in der Rentenpolitik nicht weiter — auch nicht bei der Einigung, die ich für notwendig halte —, wenn wir mit Rentnerängsten Politik machen. Sie sollten auch nicht allzu große Hoffnungen darauf setzen, daß dies von den Rentnern honoriert wird. Die jüngste Untersuchung von Infratest — das ist ja ein Institut, das sich immer auch Ihrer Wertschätzung erfreut hat — zeigt, daß 73 % der Rentner der Meinung sind, es gehe ihnen sehr gut, gut oder einigermaßen gut. Bei der Gesamtbevölkerung sind es 76 %, bei den SPD-Anhängern 72 %. Nur 7 % der Rentner und auch 7% der Gesamtbevölkerung sind anderer Ansicht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9907
Bundesminister Dr. BlümMeine Damen und Herren, ich bestreite doch gar nicht, daß es unter den alten Menschen auch Armut gibt. Das bestreitet doch niemand! Ich behaupte nur: Erstens ist das keine Massenerscheinung, und zweitens hat die Armut ihre eigentliche Ursache nicht in der Rentenversicherung. Die Armut hat ihre Ursache vielmehr auch darin, daß zu wenige Beiträge gezahlt wurden, zu niedrige Beiträge
in zu wenigen Jahren. Ich sage Ihnen, diese Armut müssen wir auf einem anderen Wege bekämpfen, nicht über die Kassen der Rentenversicherungsträger.
Die Rentenversicherung ist nicht der Lastwagen für alle sozialen Probleme, denn je mehr wir auf diesen Lastwagen laden, um so eher bricht er zusammen.Sie haben auch ganz vergessen, daß die Rentenversicherung durch die Beitragszahler finanziert wird. Soziale Aufgaben durch Beitragszahler finanzieren zu lassen, ist etwas anderes, als wenn Steuerzahler soziale Aufgaben finanzieren. Beim Beitragszahlen zahlen alle den gleichen Beitrag, die Bezieher höherer Einkommen sogar nur bis zur Beitragbemessungsgrenze. Wenn Sie das gleiche aus dem Steueraufkommen finanzieren, geht es nach der Belastbarkeit.Deshalb, verehrter Herr Bueb und verehrte Sozialdemokraten, allgemeine Probleme der Alterssicherung so zu lösen, daß immer mehr Aufgaben in die Rentenversicherung hineingedrängt werden, ist genau das Entgegengesetzte von dem, was. Sie sagen; es ist eine Subventionierung der höheren Einkommen durch die kleineren Einkommen. Das war j a immer der bekannte sozialdemokratische Weg: sich für Fortschritte feiern zu lassen und sie von den Malochern draußen bezahlen zu lassen. Das machen wir nicht!
Wir wollen eine saubere Trennung zwischen den Aufgaben der Versicherung und den Aufgaben des allgemeinen sozialen Ausgleichs.Wir haben dazu auch unseren Beitrag geleistet. Das Volumen des Wohngeldes wird um 39 % erhöht werden. Ich denke, daß das auch bei den einzelnen ankommt und gerade jenen Älteren zugute kommt, die möglicherweise in Not sind.Dennoch möchte ich auch noch darauf hinweisen, daß die Rentenhöhe noch nichts über den Lebensstandard sagt. Denn ein Unterschied gegenüber der Generation unserer Großväter liegt auch darin, daß viele Rentner heute — Gott sei Dank! — neben der Rente noch ein zweites oder sogar ein drittes Einkommen haben. Das sei ihnen gegönnt; auch das haben sie sich meistens sauer verdient. 51% der Rentner haben ein zweites Einkommen, 21 % sogar ein drittes Einkommen.Meine Damen und Herren, der Rentnerschrei, den ich höre, kommt aus einer ganz anderen Gegend, als in der hektischen Rentendiskussion immer angenommen wird. Die neue Rentnerarmut, von der ich höre, ist die Armut jener alten Frau, die sechs Jahre lang tot in ihrem gut ausgestatteten Appartement liegt, ohne daß es jemand bemerkt. Die Mechanismen dieser Wohlstandsgesellschaft haben perfekt funktioniert: Vom Konto der BfA wurde die Renten angewiesen, und die Miete wurde abgebucht. Laßt uns diese neue Armut, die Armut der Einsamkeit, die Armut des sozialen Mangels, nicht hinter materiellen Fragen zurücktreten lassen. Es geht in einer Politik für die Alten nicht nur um Mark und Pfennig, es geht auch um einen Platz, an dem die Alten Nachbarn sind, an dem sie — auch von den Jungen — gebraucht werden. Es geht um eine menschliche Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um Rentenhöhe.
Meine Damen und Herren, bevor ich der Frau Abgeordneten Fuchs das Wort erteile, möchte ich das korrigierte von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes auf Drucksache 10/2102 bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 431 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 248 gestimmt, mit Nein haben 182 gestimmt, Enthaltungen eine. Das entspricht dem eben verlesenen Ergebnis. 19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 9 gestimmt, mit Nein haben 10 gestimmt. — Sie mögen daraus ersehen, daß vier ehrenwerte Mitglieder dieses Hauses in der Lage sind, sich zu irren, und für menschlichen Irrtum sollte man immer Verständnis haben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 431 und 19 der Berliner Abgeordneten; davonja: 248 und 9 der Berliner Abgeordnetennein: 182 und 10 der Berliner Abgeordnetenenthalten: 1JaCDU/CSUFrau Augustin AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerBiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchert BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens
Carstensen ClemensConrad
Dr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer
Dr. FriedmannGanz
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9908 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Vizepräsident CronenbergFrau GeigerDr. GeißlerDr. von Geldern Dr. GeorgeGerlach GersteinGerster Dr. GöhnerGötzerDr. Häfelevon Hammerstein Hanz HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HupkaGraf HuynJäger JagodaDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJung Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKiechleKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LandréDr. LangnerLattmannDr. LaufsLenzerLink Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerDr. MöllerDr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode Frau Rönsch Dr. RoseRossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken StommelStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von WartenbergWeißWerner Frau Will-Feld Frau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannWittmann Dr. WörnerWürzbach Dr. Wulff ZiererDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteBoroffkaBuschbom DolataFeilckeKalischDr. h. c. LorenzSchulze StraßmeirSPDDr. Scheer FDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlDr. FeldmannGallusGattermann GrünbeckFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch Hoff ieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburger Dr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAmlingAntretter Dr. Apel BahrBambergBecker BerschkeitBindigFrau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ColletConradiCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelorme DreßlerDuveDr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EwenFiebigFischer
Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Grunenberg Dr. HaackHaase
Hansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff HeistermannHerterich HettlingHeyennDr. Holtz HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenDr. JensJung Junghans Jungmann KastningKiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowDr. Kübler Kühbacher Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Dr. Nöbel
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9909
Vizepräsident CronenbergFrau Odendahl Oostergetelo PaternaDr. PennerPeter PfuhlPorznerPoßPurpsRankerRapp ReimannFrau Renger ReschkeReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzSchlagaSchlatterSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schulte
Dr. Schwenk SielaffFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriStahl SteinerFrau Steinhauer StieglerStocklebenDr. StruckFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVogelsangVoigt Waltemathe WaltherWeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalDr. WieczorekWiefelvon der Wiesche Wimmer WitekDr. de WithWolfram
Würtz
Zander Zeitler Frau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich EgertHeimann LöfflerFrau LuukDr. Mitzscherling StobbeDr. Vogel Wartenberg
DIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau DannFrau EidFrau HönesLangeMannDr. Müller SchilySchmidt
Schulte TischerVogel VolmerFrau WagnerWerner Werner (Westerland) Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter StröbeleEnthaltenDIE GRÜNEN SuhrDas Gesetz ist damit angenommen. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat es mit seiner Rentenpolitik aus meiner Sicht fertiggebracht, das schöne Weihnachtslied „Alle Jahre wieder" in den Schatten zu stellen, denn bei ihm heißt es, seit er Rentenpolitik macht, „Alle Monate wieder". Herr Bundesarbeitsminister, so schön wie Weihnachten ist es mit Ihrer Rentenpolitik nicht. Sie haben heute morgen gesagt: Wer so oft danebenschießt, sollte mit sozialpolitischen Prognosen vorsichtig sein. Da haben Sie — vor allem was Sie selbst angeht — recht, Herr Bundesarbeitsminister. Was Sie uns jetzt an Sicherheit der Renten vorgaukeln, ist in der Tat aus meiner Sicht zynisch.
Wie war denn das? Erst hatten wir 18 % Beiträge, dann 18,5, 18,7, 19,2 % Krankenversicherungsbeiträge für die Rentner, Einbeziehung der Weihnachtsgelder in die Einmalzahlungen, und immer hieß es: „Die Renten sind sicher", „Die Renten sind aber sicher", „Die Renten sind aber ganz sicher", und jetzt heißt es: „Die Renten sind aber ganz, ganz sicher". Meine Damen und Herren, sicher sind die Renten nicht, weil die Finanzierungsart, die Sie uns auch heute wieder vorschlagen, erstens bis 1986 befristet ist und zum anderen nicht ausreichen wird — Sie wissen das —, Ihren Kardinalfehler rückgängig zu machen: Sie haben dafür gesorgt, daß den Rentenfinanzen jährlich 5 Milliarden DM fehlen, weil Sie die Bundesanstalt für Arbeit zu wenige Beiträge an die Rentenversicherung zahlen lassen.
Da können Sie reden, wie Sie wollen, Herr Kolb, Herr Bundesarbeitsminister, dieses ist die richtige Zuordnung, denn die Probleme entstehen in unserem Lande wegen der Massenarbeitslosigkeit. Deswegen kommt es darauf an, daß man für arbeitslose Menschen volle Beiträge an die Rentenversicherung zahlt. Dann ist das Risiko dort abgedeckt, wo es hingehört, nämlich in der Arbeitslosenversicherung, und dann hätten wir Kraft und Mut genug, um all das miteinander zu besprechen, was wir für die Strukturreform der Zukunft brauchen. Sie tun dieses nicht, und deswegen haben Sie unser Vertrauen in dieser Frage verspielt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Ich nehme das Wort von Herrn Lutz auf: Ich erwarte keine vernünftige Zwischenfrage, also lasse ich sie auch nicht zu.
Noch nie zuvor hat eine Bundesregierung Rente auf Pump gezahlt. Dieses ist die erste Regierung, die den Rentenfinanzen 5 Milliarden DM jährlich vorenthält. Deswegen wird auch Ihr vierter Konsolidierungsversuch nichts fruchten. Norbert Blüm wird ein Synonym werden für Flickschusterei, Beitragsmanipulation und Rentenwirrwarr. Alle Jahre wieder wird das geschehen. Erst waren die Renten sicher, jetzt sollen sie es sein, nur ist das nicht der Fall.Nun ist uns in der Sachdebatte hinlänglich bekannt, wo die Punkte liegen; denn diese Beitragserhöhung ist bis Ende 1986 befristet. Was wollen Sie denn eigentlich machen? Herr Bangemann hat j a recht, wenn er sagt: Höchstens bis 1987 sind die Renten sicher. Danach werden Sie weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Wir werden erleben, daß die Regierungskoalition dann die Befristung dieser Beitragsanhebung aufheben muß, weil sonst die Rentenfinanzen wiederum nicht in Ordnung sind. Ich will darauf hinweisen — wir kennen alle die
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9910 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Frau Fuchs
Zahlen —, daß die Maßnahmen nicht ausreichen. Im Bundeshaushalt sind 5 Milliarden DM vorgesehen, um Überbrückungskredite zu finanzieren. Was ist denn ein Überbrückungskredit? Das heißt doch, Sie selbst gehen davon aus, daß die Einnahmen der Rentenversicherung nicht ausreichen, um die Ausgaben zu tätigen.
Der Bund muß der Rentenversicherung Kredite einräumen, damit die Renten ausgezahlt werden. Es bleibt also in der Struktur so, daß wir Rente auf Pump auch in diesem Jahr haben werden.
Dann ist interessant, daß Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken. Haben Sie im Ohr, was der Präsident der Bundesanstalt gesagt hat? Er hat gesagt: auch die Bundesanstalt für Arbeit kommt in Schwierigkeiten. Denn Ende 1986 sind auch dort die Überschüsse verbraucht. Sie stopfen also ein Loch mit dem anderen. Und Ende 1986 sind wir nicht einmal mehr in der Lage, die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit vernünftig wahrnehmen zu lassen.
Mich bedrückt, wie der Arbeitsminister über die neue Armut spricht.
Natürlich geht es bei alten Menschen nicht nur darum, wie sie materiell versorgt sind. Wissen Sie eigentlich nicht, Herr Bundesarbeitsminister, was sich in unserem Lande tut? Haben Sie nicht gehört, was der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes gesagt hat? Er hat gesagt, es sei ein Barometer, daß die Kleiderkammern des Deutschen Roten Kreuzes seit zwei Jahren wieder mehr in Anspruch genommen würden. Das ist doch die neue Armut, die Sie geschaffen haben, meine Damen und Herren.
Natürlich, Herr Bundesarbeitsminister, kann die Rentenversicherung nicht jegliche Leistung im Alter erbringen. Richtig! Aber damit ist das Thema der Armut älterer Frauen nicht aus der Welt.
Deswegen müssen Sie doch mit uns zusammen der Auffassung sein: Wir brauchen auch eine vernünftige Grundsicherung.
Wir brauchen eine Anhebung der Sozialhilfe fürältere Frauen. Wir brauchen die Anerkennung vonKindererziehungszeiten für ältere Frauen, nicht nur für jene, die nach 1920 geboren sind.
Wir brauchen die bedarfsorientierte Mindestrente, meine Damen und Herren.
Wir brauchen die Rente nach Mindesteinkommen — das ist unsere Strategie —, damit die Frauen im Alter nicht in Armut geraten.
Das könnten Sie mitmachen, statt zu sagen, dort gebe es keine Armut.
Deswegen habe ich gedacht, Herr Bangemann will nun mit uns zusammen eine Grundsicherung im Alter konzipieren. Ich dachte, sein erster Vorschlag würde darin bestehen, daß er für eine Anhebung der Sozialhilfe plädiert oder mit uns Sozialdemokraten für die Rente nach Mindesteinkommen eintritt.Insgesamt war mir heute auch wieder nicht klar, warum Sie jetzt eigentlich nicht mit uns unser Rentenreformprogramm durchsetzen. Sie reden von unserer Formel. Sie übernehmen unsere Konzepte. Aber dennoch tun Sie nichts.
In Ihren Gedanken haben Sie unsere Konzepte übernommen. Aber Sie sind nicht handlungsfähig, meine Damen und Herren, und verschieben alles auf die nächste Legislaturperiode.
Aber Herr Bangemann, das Greenhorn, wie das „Handelsblatt" mit Recht geschrieben hat, war nicht nur ein Tolpatsch. — Ich finde übrigens: Sein Vertrauen als Wirtschaftsminister hat auch nicht zugenommen. Wenn es in der Wirtschaftspolitik bei ihm auch so geht, daß er aus der Hüfte schießt und Vorschläge am nächsten Tag zurücknimmt, dann werden wir in diesem Lande in der Zukunft eine noch unerträglichere Wirtschaftspolitik haben. — Aber er war kein Tolpatsch, glaube ich. Denn er hat eigentlich artikuliert, was die FDP schon immer wollte: Schrumpfen der Rentenversicherung auf eine Grundversorgung; und dann soll jeder zur privaten Versicherung gehen, um sich zusätzlich abzusichern. Das ist Politik der FDP. Herr Bangemann hat es etwas unglücklich ausgedrückt; aber im Grunde steckt diese Zielrichtung dahinter.
Von daher kann man über die Männer der FDP nur lächeln: Mölle-, Hauss-, Gatter-, Laer-, Beck-, Feld- und Bangemänner. Haben Sie nicht mal ein paar ordentliche Sozialpolitiker aufzubieten, die in der Lage sind, die Zukunftsprobleme mit uns wirklich zu lösen? Mit diesen Männern werden Sie, meine Damen und Herren von der FDP, so glaube
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9911
Frau Fuchs
ich, keine zukunftsträchtige Politik machen können.
Ich komme zum Schluß. — Haben wir noch mehr Männer? Wir haben viele Männer. So ist es. — Die Männer gehen ja noch; aber wenn diese dann auch noch komische Politik machen und sich geballt in der FDP-Fraktion wiedertreffen, dann wird es, wie mein Kollege Wolfgang Roth gesagt hat, in der Tat allmählich gemeingefährlich für die politische Entwicklung dieses Landes.
Ich fasse zusammen. Herr Bundesarbeitsminister, mit der Art, wie Sie Armut definieren, werden wir Sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Ich wiederhole: Die Rentenversicherung ist nicht für alle sozialen Leistungen zuständig. Dann müssen Sie aber insgesamt in der Bundesregierung dafür sorgen, daß die Armut im Alter nicht zunimmt. Die Hauptursache ist natürlich die Arbeitslosigkeit mit ihren finanziellen Folgen. Sie aber tun nichts zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Sie richten sich auf Massenarbeitslosigkeit ein, Sie richten sich auf die 55 Milliarden DM ein, die diese Arbeitslosigkeit kostet. Und wenn Sie glauben, Sie könnten mit Ihrer Philosophie der Kürzung von Arbeitnehmerrechten auch nur einen Arbeitsplatz schaffen, dann sage ich Ihnen: Das tun Sie nicht!Von daher sage ich noch einmal — vielleicht denken Sie nach —:
Machen Sie mit uns jetzt eine Rentenreform, damit die Renten aus dem Gerede kommen!
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, Sie sprachen z. B. von der Sozialhilfe. Gestern abend ist ja eine erste Lesung gewesen,
um hier Verbesserungen durchzuführen. Das heißt: Diese Probleme werden angepackt. Im übrigen teile ich Ihre Meinung, daß man gegen all das, was mit jetzt vorhandener Armut zusammenhängt, die eine andere Armut ist, als sie es vor 10, 20 oder 40 Jahren war, gezielt etwas tun muß und das nicht generell über die Rentenversicherung machen kann.Aber das Hauptproblem, vor dem wir stehen, ist doch ein ganz anderes. Wenn ich die Debatten über die Rentenversicherung der letzten 20 Jahre gedanklich Revue passieren lasse, dann habe ich den Eindruck, daß das eine Art Parade der Verdrängungsweltmeister war. Denn es wurde immer verdrängt, welche Strukturschwierigkeiten in unseremRentenversicherungssystem auf Dauer sind. Ich bedaure, daß es so lange gedauert hat, bis die Erkenntnis gewachsen ist, diese Strukturmängel zu beseitigen. Die soeben von mir angedeutete Haltung ist in beiden Fraktionen, in der der SPD und der der CDU/CSU, leider so lange vorhanden gewesen, daß heute stärkere Einschnitte notwendig sind, als vor zehn oder 20 Jahren notwendig gewesen wären. Das ist der Tatbestand.
Ich bin sehr froh, daß man heute überhaupt darüber reden kann, daß man bei der künftigen Rentenentwicklung das verfügbare Einkommen zur Grundlage nimmt. Als wir vor zehn Jahren davon sprachen, wurde das als eine Demontage des ganzen Rentensystems betrachtet.
Wir hätten uns viel erspart, wenn wir diesen Weg früher gegangen wären.Aus den Vorschlägen, die auch die SPD macht, geht hervor, daß dies mittel- und langfristig nicht ausreichen wird, daß wegen der demographischen Entwicklung zusätzliche Überlegungen angestellt werden müssen. Das heißt gleichzeitig aber auch: Wenn wir die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung aus dem Bundeshaushalt höher gestaltet hätten und die Arbeitslosenversicherung dann höhere Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt hätte, dann würde das genauso wenig eine langfristige Lösung der Gesamtprobleme darstellen. Es wäre auch wieder nur eine Überbrückung für einen bestimmten Zeitraum. Denn im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung ist Arbeitslosigkeit nur eine Ursache für mangelnde Beitragseinnahmen. Daher wäre es keine Lösung des Gesamtproblems auf Dauer, wenn man hier volle Beiträge zahlte. Auch das muß man ganz nüchtern sehen.
Deshalb wird es in der nächsten Legislaturperiode notwendig sein — nichts anderes hat Bangemann gesagt —, hier zu langfristigen Lösungen zu kommen. Ich sehe im Augenblick — bei niemandem — kein Patentrezept, das auf dem Tisch läge und das alle Probleme bis zum Ende dieses Jahrtausends lösen würde. Aber es gibt viele Ansatzpunkte, über die wir ernsthaft miteinander reden müssen. Wogegen ich mich allerdings wehre, ist, daß dann, wenn ein Vorschlag gemacht wird, der ein bißchen aus dem vorgestanzten Denken herausfällt,
sofort von sozialer Demontage, Einheitsrente und was weiß ich alles gesprochen wird. Es wäre sehr viel besser und viel angemessener, wenn man sich jedes Mal dann, wenn man Überlegungen anstellt und darlegt, die zu einer langfristigen Lösung beitragen sollen, mehr der Sachdiskussion widmen würde, als daraus eine polemische Schlacht zu entfesseln.
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9912 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
MischnickUm nun noch einmal ganz klar zu einem Punkt Stellung zu nehmen: Kein Mensch denkt bei uns daran, von der beitragsbezogenen Rente abzugehen.
Kein Mensch denkt daran, eine Einheitsrente zu machen.
— Sehen Sie, wenn Sie jetzt „Einheitsgrundrente" sagen, aber weglassen, was in den nächsten Sätzen von Herrn Bangemann gestanden hat, in denen von einer beitragsgerechten, vom Staat kontrollierten, beaufsichtigten Rente die Rede war — wo natürlich hinzugefügt ist, daß entsprechend dem Beitrag auch eine entsprechende Rente gezahlt wird —,
dann zeigt das, daß Sie mit dieser Vereinfachung eben nicht die Sachauseinandersetzung wollen, sondern ausschließlich die Polemik. Das nützt diesen ganzen Problemen gar nichts.
— Das nützt gar nichts. Da können Sie noch so viele Zwischenrufe machen.Nun kommt der nächste Punkt. Wir sind uns einig, daß wir bei der Frage, wie die Gesamtgestaltung in Zukunft sein wird, bei oberen Beitragsgrenzen anlangen. Dies heißt wiederum, daß wir bei der Gestaltung der zukünftigen Zuwächse sehen müssen, ob sie entsprechend dem Einkommenszuwachs möglich sind, und wir prüfen müssen, wie weit der Bundeszuschuß verändert wird. Wenn ich aber den Bundeszuschuß im höheren Maße in Anspruch nehmen muß, möglicherweise über das hinaus, was als Ausgleich für Ersatzzeiten, Ausfallzeiten, Kriegszeiten usw. heute der Fall ist, wird sich auch die Frage stellen — nicht in den nächsten vier, fünf, sechs Jahren, aber vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren —, ob die Art der Verwendung des Bundeszuschusses auf Dauer in der gleichen Form erfolgen kann wie heute oder nicht. Daß man darüber diskutieren soll, sollte für diejenigen, die sich wirklich Gedanken machen, nicht etwas Außergewöhnliches sein.Ein weiterer Gesichtspunkt. Frau Kollegin AdamSchwaetzer hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es uns schwerfällt, diese 19,2 % Beiträge zu akzeptieren. Da auf der anderen Seite gegenübersteht, durch eine Erhöhung des Kreditbedarfs an der Zinsfront möglicherweise eine negative Bewegung auszulösen und damit wirtschaftliche Auswirkungen zu haben, die am Ende dazu führen, daß die Arbeitsmarktsituation nicht besser, sondern schlechter wird, haben wir uns für diese Lösung entschieden; nicht voller Begeisterung, aber aus der Erkenntnis heraus, daß in der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung dies wahrscheinlich — niemand kann das vorher bis ins letzte voraussagen— der bessere Weg ist.Deshalb stimmen wir dieser Lösung zu; wohlwissend, daß dies alles Maßnahmen sind, die nichts von dem verbauen, was wir langfristig an Überlegungen brauchen, um sicherzustellen, daß wir nicht in den nächsten zwei, drei Jahren erneut Entscheidungen an der Beitragsfront vorzunehmen haben, um aber auch sicherzustellen, daß die Rentenanpassungen 1985, 1986, 1987 unter Berücksichtigung der Preisentwicklung in einer Größenordnung stattfinden, die eine Beteiligung der Rentner am Wirtschaftswachstum gewährleistet.Daß wir nicht mehr zu Erhöhungen kommen können, wie wir sie in der Vergangenheit mit 10 %, 8% oder wieviel Prozent immer gehabt haben, weiß jeder. Wer ehrlich vor sich selber ist, der muß doch zugeben, daß die Entscheidung, 1976 9,9% Rentenerhöhung durchzuführen, eines der Hauptübel war, die uns heute zu schaffen machen, weil man damals — querbeet — nicht den Mut hatte, schon zu sagen: Wir können nicht in einem so starken Maße über die Entwicklung der Löhne und Gehälter hinausgehen. Dies war ein systemimmanenter Fehler.
Wenn man das sieht, wenn man das wenigstens nachträglich einsieht, müßte eigentlich die Sachdiskussion für morgen und übermorgen leichter fallen.Jetzt ist der Vorwurf erhoben worden, daß wir das jetzt noch nicht machen. Wer den parlamentarischen Betrieb ein bißchen kennt, der wird doch zugeben, daß man nicht etwa 1985 eine so schwierige Materie bis zur nächsten Bundestagswahl über die Bühne bringen kann. Worauf kommt es also an? Daß ich jetzt Entscheidungen treffe, die mir diese Lösungen morgen, wenn ich eine gesamte Legislaturperiode vor mir habe, nicht verbauen.
— Das ist j a nicht wahr. Die Vorbereitungen dazu sind selbstverständlich im Gange.
Unsere Entscheidungen, die wir treffen, sind so vorgesehen und werden so gefaßt, daß wir in dieser Entwicklung für die künftige Gesamtveränderung, die notwendig ist, bleiben und nicht etwa abweichen und heute Weichen stellen, die wir dann wieder in eine andere Richtung stellen müssen. Wir haben uns aber natürlich vorbehalten, nach der nächsten Bundestagswahl im Detail diese Frage zu besprechen. Da wird jeder seine Gedanken einbringen, und jeder wird das Recht haben — Sie wie die Kollegen der Union wie wir —, vor der Bundestagswahl zu sagen, wie er sich die Lösung der Probleme vorstellt. Ich wäre nur froh, wenn dann eine Sachdiskussion und keine polemische Auseinandersetzung stattfände; denn die hilft weder den Beitragszahlern noch den Rentnern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9913
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Rentenanpassung stellen Sie sich wieder einmal das Zeugnis einer unausgewogenen und unsoliden Politik aus, obwohl doch Ihr Noch-Regierungsmitglied Dr. Geißler am Dienstag im Deutschlandfunk sagte, daß Sie als Volkspartei CDU eine Politik für alle Bürger machen müßten. Nun frage ich mich: Wie sieht denn diese Politik für alle Bürger aus? Für große und breite Massen eine schlechte und für eine kleine Minderheit dieser Gesellschaft eine außerordentlich gute Politik.
Im Grunde genommen findet sich das auch im Prinzip Ihrer Regierungspolitik wieder, und zwar auch in dem jetzigen Gesetzentwurf. Weil hier soviel von den aufgerissenen Löchern gesprochen wird, Herr Minister, sage ich: Das Stopfen und Flicken selbst aufgerissener Löcher ist die Folge Ihrer sozialen Kürzungspolitik, ist die Folge einer schon fast leichtfertigen Aufforderung zu Lohnpausen, ist die Folge einer Aufforderung für die Zukunft, Tariflöhne zu unterschreiten, ist die Folge zu erwartender Arbeitszeitverkürzungen, die Sie ohne Lohnausgleich wollen.
Herr Mischnick, eine Senkung der Vermögensteuer ist für mich schlimmer als eine Anpassung der Rente um 9%.
Allein die Kürzungen in der Rentenpolitik belaufen sich nach wissenschaftlichen Untersuchungen auf 5 Milliarden DM. Daß hier Kaufkraft ausfällt,
welche wiederum, Herr Kolb, zu weiterer Arbeitslosigkeit führt, kommt Ihnen überhaupt nicht in den Sinn.
Daß das weiter zur Arbeitslosigkeit führt und es damit zu weiteren Rentendefiziten und damit zu neuen Löchern kommt, ist Folge Ihrer Politik. Begreifen Sie das doch mal endlich!
Der Teufelskreis wird von Ihnen aufgemacht, und Sie selbst haben durch die Kürzungen mitverursacht, daß es zum Rentendefizit in dieser Höhe gekommen ist, und Sie werden weiter dafür sorgen, daß es bis zum Ende des Jahres noch zum Rentendefizit in Höhe von 3 bis 5 Milliarden DM kommen wird.
Aber was noch schlimmer ist: Um das alles runterzuspielen, versuchen Sie nun, um die Wogen zu glätten, die Arbeitnehmer gegen die Rentner auszuspielen.
Aussagen wie „die Belastungen sind zu hoch", obwohl Sie selbst zur Zeit die Beitragssätze weiter erhöhen müssen, machen das deutlich.
Sie schüren ein Feuer, das zur Entsolidarisierung der Gruppen innerhalb dieser Gesellschaft führt, und ich sage dazu: Das wollen Sie.
Bei Licht betrachtet, meine Damen und Herren, geht der verheißende Aufschwung sowohl an großen Teilen der Arbeitnehmer als auch den Rentnern vorbei. Der „Spiegel" stellte am 15. April 1985 fest — ich zitiere —:
Die Wende im Verteilungskampf ist längst vollzogen. 1982 gingen die Gewinne um 13,3% nach oben, 1983 setzten die Firmen ein Plus von 43% drauf, und 1984 waren es noch einmal 17 %.
Das heißt doch, daß die Arbeitnehmer, daß die Rentner immer mehr, stärker als je zuvor, in eine Negativbilanz rutschen. Ich zitiere hier den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, der sagt: „Ein Aufschwung, der nur der Dividenden wegen vorgenommen wird, kann uns gestohlen bleiben, wenn dieser Aufschwung an den Arbeitnehmern und an den Rentnern dieser Gesellschaft vorbeigeht".
Ihre Regierungszeit von nur zwei Jahren hat einen Reallohnverlust in nie gekanntem Maße für die Rentner gebracht, trotz des von Ihnen verheißenen Aufschwungs. Kommen Sie mir nicht immer wieder mit dem Argument, aber die Preise seien stabil geblieben! Das Absinken der Lohnquote oder des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit hat Ende 1980 einen Anteil von 74,7 % am Volkseinkommen gehabt. Bis Ende vorigen Jahres sank diese Zahl auf 69,9 % ab. Das gleicht auch die von Ihnen so viel beschworene Preisstabilität in den letzten zwei Jahren nicht mehr aus.
Die Wählerinnen und Wähler aus kleinen und mittleren Schichten spüren tagtäglich an ihrem Geldbeutel, wie Ihre Politik aussieht.
Manchmal frage ich mich, ob Sie überhaupt noch die Beurteilungskraft für die finanzielle Situation der kleinen und mittleren Einkommen in dieser Bundesrepublik haben.
Herr Minister Blüm, Sie reden so gerne von den hochdotierten Rentnern — Sie haben es eben wieder getan — und von den vielen Mehrfacheinkommen der Rentner in der Familie.
Sie tun so, als hätten die Rentner keine anderen Sorgen, als die luxuriösen Wünsche ihrer Enkel zu finanzieren. Wie die Wirklichkeit für viele Rentner aussieht, konnte ich zumindest aus einem Fernsehbericht entnehmen, wo es hieß: „Rentner essen
9914 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Reimann
Kitekat" oder „Rentner kochen sich einen Topf Suppe für die ganze Woche, weil ihr Geld zu mehr nicht reicht".
— Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt, meine Herren.
Ein Blick in die Statistiken zeigt — jetzt passen Sie einmal gut auf —, daß nach 35 Versicherungsjahren die Durchschnittsrente der Arbeiter 1174 DM beträgt. Wenn eine Witwe davon 60 % bekommt, sind das sage und schreibe 704 DM Rente. Nun frage ich mich: Fällt denn, wenn der Partner stirbt, automatisch auch die Hälfte der Unkosten für die zurückgebliebene Rentnerin weg? Mit Sicherheit nicht.
Herr Blüm, man kann nicht davon reden, daß die Renten dazu da sind, Omas oder Opas in der Gesellschaft reich zu machen. Denn fast 80 % aller Arbeitnehmerrenten von Frauen liegen unter 700 DM. Jetzt sagen sie bitte nicht, daß uns nur eine Differenz von 0,3 Prozentpunkten trennt. Millionen von Menschen in dieser Gesellschaft sind auf jeden Pfennig angewiesen. Deshalb kämpfen wir so für diese Rentenangleichung
um einen höheren Prozentsatz, als Sie ihn vorgenommen haben.
Wenn Sie weiter von den Rentnern Sparopfer verlangen, ist das ein Hohn für diese Gesellschaft durch Sie.
Ihre Politik macht die Reichen in diesem Land reicher und die Armen ärmer.
Es ist so, wie es der große Philosoph Bloch formuliert hat: Weil das Geld für alle nicht ausreicht, müssen die Armen aushelfen. So sieht Ihre Rentenpolitik in dieser Gesellschaft aus, meine Damen und meine Herren.
Ihre ständigen Diskussionen um die Rente und Ihr ungenügendes Handeln schüren auch die Angst bei jüngeren Menschen.
In der Tat: Wenn Sie noch lange weiterregieren würden, wäre die Frage berechtigt, wie in zehn oder zwanzig Jahren die Rente aussieht. Wenn Sie immer davon tönen, daß die Rente in dieser Gesellschaft sicher sei, dann kann man natürlich sagen: Das ist richtig. Aber in welcher Höhe? Die Rente
wird immer niedriger. Somit kommen immer mehr Rentner in die Sozialhilfe.
Damit schaffen Sie eine neue Verelendung. Damit schaffen Sie eine neue Armut in dieser Gesellschaft. Aber das ist die Wende. Das haben Sie gewollt. Diese Wende haben Sie gewollt.
Wenn hier soviel vom Zuschuß gesprochen wird, den die Bundesregierung jetzt eingebracht hat, dann will ich Ihnen in Erinnerung rufen, daß sich der Herr Stoltenberg als Finanzminister sehr wohl bei dem Zuschuß, den er jetzt zu erbringen hat, schadlos halten wird. Ich befürchte, daß weitere und neue soziale Kürzungen von Ihnen in dieser Gesellschaft schon in Vorbereitung sind und daß wir sie in den nächsten Monaten und Jahren zu erwarten haben.
Der Herr Bangemann, der j a hier so oft zitiert wird, hat zwar seinen Vorschlag zur Grundrente zurückgenommen, aber er hat viel Schaden angerichtet. Ich sage es jetzt einmal ketzerisch und provokativ: Manchmal kommt mir der Herr Wirtschaftsminister vor, als sei er der teuerste Auszubildende der Bundesrepublik.
Ich frage mich, wie Sie mit diesen Fragen fertig werden wollen, da Sie im Rahmen Ihrer Kürzungspolitik auch für die kommende Zeit einen Verschiebebahnhof vorprogrammiert haben. Ich sage Ihnen: Es wäre gut für Sie, wenn Sie die Vorschläge unserer Partei annehmen würden.
Es wäre gut für Sie, wenn Sie unsere Vorschläge zur Konsolidierung der Rentenfinanzen übernehmen würden. Es ist wenige Minuten vor zwölf —, bei mir auch, denn meine Redezeit läuft ab.
— Das freut Sie, denn es tut ja weh, wenn Sie sich anhören müssen, was ich Ihnen sage.
Ich sage Ihnen: Wenn der Sachverstand, den Sie und Ihre Regierung haben, nicht ausreicht, um die Rentenproblematik zu lösen, dann nehmen Sie unseren Sachverstand in Anspruch,
denn wir werden Ihnen beweisen, daß wir in der Lage sind, trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen die sozialen Probleme dieser Gesellschaft zu lösen.
— Nachdem Sie sich hier durch Zwischenrufe und
Proteste voll ausgetobt haben, empfehle ich Ihnen,
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn. Freitag, den 19. April 1985 9915
Reimann
gegen Ihren Gesetzesvorschlag zu stimmen und unsere Vorlagen anzunehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Abgeordnete Bueb hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet. — Bitte.
Meine Damen und Herren! Ich beantrage gemäß § 45 Abs. 2 der Geschäftsordnung, die Beschlußfähigkeit dieses Hauses feststellen zu lassen. Wir halten es auf Grund der Bedeutung des Themas für angemessen, daß hier die Beschlußfähigkeit festgestellt wird.
Es gibt eine weitere Wortmeldung des Abgeordneten Seiters. — Bitte schön, Herr Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vier Bemerkungen zu diesem Antrag machen.
Erstens. Es ist Ihr Recht, einen solchen Antrag zu stellen. Wir nehmen das zur Kenntnis. Angesichts der Besprechungen, die wir in dieser Woche und in der letzten Woche bei der Planung dieser Beratungen geführt haben, werden wir unser künftiges Verhalten auch geschäftsordnungsmäßig hierauf einstellen. Ich möchte Ihnen das ausdrücklich erklären.
Eine zweite Bemerkung. Ich nehme zur Kenntnis, daß die Fraktion DIE GRÜNEN hier zwar großartig erklärt, angesichts der Bedeutung des Themas müsse vor vollbesetztem Hause debattiert werden, aber ich muß jedoch feststellen, daß nicht einmal ein Viertel oder ein Fünftel der Mitglieder Ihrer Fraktion bei dieser Beratung anwesend ist.
Eine dritte Bemerkung. Sie werden dieses Gesetz so oder so nicht verhindern können. Wir werden es mit unserer parlamentarischen Mehrheit durchsetzen. Was Sie hier machen, ist ein erneutes Schauspiel, das die nach der Rotation nachgerückten Abgeordneten offensichtlich hier vorführen wollen, wie das vor zwei Jahren schon einmal geschehen ist. Damit werden wir fertig. Nur, ich sage Ihnen vor
aller Öffentlichkeit: Was Sie betreiben, ist Obstruktion.
Vierte Bemerkung. Herr Präsident, ich beantrage gemäß § 45 Abs. 2 der Geschäftsordnung, die Abstimmung über diesen Antrag für etwa 15 Minuten auszusetzen.
Meine Damen und Herren, es ist ein Geschäftsordnungsantrag gestellt worden, über den nicht abgestimmt zu werden braucht. Das gilt übrigens auch für den ersten Antrag zur Geschäftsordnung.Ich werde folgendermaßen verfahren: Die Einzelberatung und Schlußabstimmung über Art. 1 bis 10, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs erfolgt im Zusammenhang mit der Feststellung der Beschlußfähigkeit des Hauses in zehn Minuten. Das heißt, ich werde Sie jetzt bitten, den Saal zu verlassen und dann über Artikel 1 bis 10, Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer diese Vorschriften annehmen will, wird aufgefordert, dann, nach zehn Minuten — wir werden dazu aufrufen —, durch die Ja-Tür hereinzukommen. Wer dagegen stimmt, wird aufgefordert, durch die Nein-Tür hereinzukommen. Für die Enthaltung gilt Entsprechendes. Wir stellen damit sowohl fest, ob das Gesetz in zweiter Lesung angenommen wird, als auch, ob die Beschlußfähigkeit vorhanden ist.Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten.Die Schriftführer werden gebeten, sich zunächst bei den Obmännern zu treffen und sich dann einzuteilen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist nun wieder eröffnet.Wir kommen zur Abstimmung durch Zählung der Stimmen.
Ich bitte die Schriftführer an den Türen, die Berliner Abgeordneten gesondert zu zählen. Es handelt sich auch um die Abstimmung über einen Gesetzentwurf.Die Abstimmung ist eröffnet. Ich bitte, den Saal entsprechend Ihrer Stimmentscheidung zu betreten.Meine Damen und Herren, gibt es noch einen Abgeordneten, der von seinem Stimmrecht Gebrauch machen will, der noch nicht den Saal betreten hat? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen und mir das Ergebnis mitzuteilen.
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9916 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Vizepräsident WestphalMeine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt darauf aufmerksam machen, daß es gleich, weil es sich auch um eine Abstimmung über ein Gesetz handelt, noch einer Feststellung bedarf, wie die Berliner Abgeordneten gestimmt haben. Dazu bedarf ich eines bißchens Ruhe.Ich bitte Sie herzlich, hier auch noch zu bleiben. Es spielt sich auch noch Weiteres ab, worüber ich Sie erst unterrichten kann, wenn ich weiß, was jetzt kommt.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden. Das erleichtert das Geschäft.Zunächst gebe ich das Ergebnis der Feststellung unserer Beschlußfähigkeit bekannt. Es haben 302 Abgeordnete an der Abstimmung teilgenommen. Die Beschlußfähigkeit besteht.
Da es sich um eine Abstimmung über ein Gesetz handelte und die entsprechende Feststellung an den Türen leider nicht gelungen ist, muß ich jetzt eine Sonderfeststellung zum Ergebnis der Abstimmung unserer Berliner Kollegen treffen. Ich wäre also dankbar, wenn die Berliner Abgeordneten, die dem Gesetz ihre Zustimmung geben wollen, jetzt ihre Hand erheben würden, damit wir auszählen können. — Es sind 9 Stimmen. Wer von den Berliner Abgeordneten stimmt gegen das Gesetz? —6 Stimmen. Wer von den Berliner Abgeordneten enthält sich der Stimme? — Keiner. Somit haben 15 Berliner Abgeordnete an der Abstimmung teilgenommen.Zur Abstimmung über das Gesetz in zweiter Lesung stelle ich also fest: Mit Ja haben 200 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 81 Abgeordnete gestimmt,
6 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Von den Berliner Abgeordneten haben 9 mit Ja und 6 mit Nein gestimmt.Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen nun zurdritten Beratung.Zur Geschäftsordnung hat sich der Abgeordnete Seiters zu Wort gemeldet.
Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir hier einmal feststellen wollen, wer am Freitagmittag seinen parlamentarischen Pflichten nachkommt, beantrage ich für die
dritte Lesung namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung.
Herr Präsident, ich kündige an, daß ich den gleichen Antrag auf namentliche Abstimmung auch für den nächsten Tagesordnungspunkt stellen werde.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Schlußabstimmung ein. Ich bitte zunächst die Schriftführer, die Urnen zu holen und aufzustellen.
— Ich bitte noch einen Moment um Ruhe! Solange die Urnen nicht aufgestellt sind, eröffne ich nicht die Abstimmung.
Zur Abstimmung möchte ich mitteilen, um was es geht. Wer dem Gesetz seine Zustimmung erteilen möchte, wird aufgefordert, die Stimmkarte mit Ja in die Urne zu werfen. Wer dem Gesetz seine Zustimmung nicht erteilen will, wird aufgefordert, die Nein-Stimme abzugeben; bei Enthaltung bitte die entsprechende Karte in die Urne werfen.
Sind die Schriftführer jetzt an den Urnen? — Ich muß sicherstellen, daß die Berliner Kollegen extra berücksichtigt werden.
Auf dieser Seite fehlt noch ein Schriftführer, ich bitte also noch einen Moment um Geduld.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten abzugeben.
Meine Damen und Herren, gibt es noch Abgeordnete, die von Ihrem Stimmrecht Gebrauch machen wollen und dies noch nicht getan haben?
Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich nehme an, Sie sind einverstanden, wenn wir in der Zwischenzeit mit unserer Tagesordnung fortfahren. Deshalb bitte ich, die Plätze einzunehmen, damit ich den Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung aufrufen kann. — Ich wäre dankbar, wenn Sie Platz nähmen; das würde die Arbeit hier erleichtern.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens
— Drucksache 10/2523 —
a) Zweite Beschlußempfehlung und Zweiter Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/3205 —
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9917
Vizepräsident Westphal
Berichterstatter:
Abgeordnete Lennartz
Dr. Lippold
b) Zweiter Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3213 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens Dr. Weng (Gerlingen)
Frau Simonis
Kleinert
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten
— ich betone immer das „bis zu" — für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Entschließung und der Entscheidung heute über das Gesetz zur steuerlichen Begünstigung schadstoffarmer Autos werden wir wieder einen entscheidenden Schritt tun, der uns im Umweltschutz voranbringt und der deutlich unsere Pionierrolle in Europa unterstreicht.
Bei der letzten Diskussion hierüber am 28. März wurde die Frage gestellt: Stimmt die EG-Kommission den Grundvorstellungen der Bundesregierung zur Einführung der steuerlichen Entlastung der schadstoffarmen Autos, wie es bereits im Vorjahr im Umweltrat vereinbart war, zu? Die SPD, insbesondere Herr Spöri, konnte ihre Erwartung einer Ablehnung der Ergebnisse des Umweltrats gar nicht verhehlen. Originalton Spöri in der letzten Debatte am 28. März dieses Jahres — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Das war noch nicht das Ende der Fahnenstange. Das, was wir jetzt von der Brüsseler Umweltratstagung als Ergebnis vorliegen haben, ist keineswegs gesichert. Am 2. April wird die EG-Kommission zusammentreten und nochmals verhandeln.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich das bisherige Ergebnis ändert.
— Herr Spöri, das waren Sie! Und haben Sie gesagt:
Wir haben heute noch nicht die letzte Chaos-variante beim schadstoffarmen Auto auf dem Tisch liegen.
Aus den Worten von Herrn Spöri und damit auch der SPD-Fraktion läßt sich herleiten: Keinerlei Unterstützung durch die SPD-Fraktion für das umweltfreundliche Auto bei den Aktionen der Bundesregierung in der EG. Das war eine fast unverhohlene Aufforderung an die Europäer, die im Umweltrat gefundene Lösung zu verschlechtern und den Umweltschutz für Mensch und Wald zu verhindern — um das deutlich zu sagen.
Ich sage Ihnen ganz offen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten: Ihnen geht es doch gar nicht um den Schutz der Kinder, um den Schutz der Gesundheit der Menschen,
um den Schutz der Wälder; darum geht es Ihnen doch gar nicht. Sie wollen gar keine Lösung des Problems auf europäischer Ebene.
Ihnen wäre es lieb, wir hätten keinen Erfolg erzielt, damit Sie dies aus wahlkampftaktischen und parteiopportunistischen Gründen ausschlachten könnten.
Das ist doch Ihre Strategie. Das ist im Grunde verantwortungslos.
Gott sei Dank — aus Ihrer Sicht sicherlich leider — haben sich Ihre gesundheits- und umweltfeindlichen Erwartungen nicht erfüllt. Die Kommission hat den Ergebnissen zugestimmt. Damit kann das umweltfreundliche Auto europaweit starten. Wir können feststellen, daß diese Haltung auch in den anderen Ländern vorangetrieben wird.
Immerhin kommen 50 % der Belastung aus dem Ausland. Deshalb ist das Erreichte ein Erfolg.
Was bedeutet das Gesetz? Wer jetzt ein umweltfreundliches Fahrzeug kauft, braucht — je nach Hubraum — für einen bestimmten Zeitraum keine Kraftfahrzeugsteuer zu zahlen. Für Autos bis 1 400 Kubikzentimeter beträgt der Vorteil 750 DM, ab 1 400 Kubikzentimeter beträgt er 2 200 DM, und für die umrüstbaren Fahrzeuge ist die Förderung gestaffelt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, je später die Zulassung, desto mehr verringert sich die steuerliche Vergünstigung. Deshalb ist ein rasches Umsteigen von Vorteil; das dient auch unserer Umwelt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ?
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9918 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Nein, die Zeit ist zu knapp, im Augenblick nicht.
— Ach, Herr Spöri, wenn ich soviel Zeit hätte wie Sie, dann könnte ich auch viel längere Ausführungen machen. Aber man kann auch in kurzer Zeit viel sagen. Sie sagen in viel Zeit wenig; das ist der Unterschied. —
Wenn zum Schluß noch Zeit bleibt, werde ich eine Zwischenfrage zulassen. —Ich glaube, daraus wird deutlich — auch die Strafsteuer ist hier von Bedeutung —, daß dieses Gesetz den Weg für das umweltfreundliche Auto freimacht.
Es sollte nun von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Nicht wir, sondern der ADAC berät Fragesteller, die fragen, was sie bestellen sollen, wenn sie das gewünschte Auto mit Katalysator nicht bekommen, wie folgt — in der „Welt" von heute nachzulesen —Auf keinen Fall mit dem Kauf warten. Gibt es Ihren Neuwagen nicht, weichen Sie auf einen anderen Typ aus.Das macht ganz offensichtlich deutlich: Das Katalysatorfahrzeug wird angenommen. Es gibt offensichtlich sogar Lieferschwierigkeiten bei der Automobilindustrie.
Ich zitiere aus der „FAZ" vom 12. April dieses Jahres,
die sich auf eine interne Studie des Verbandes der Automobilindustrie bezieht, die nicht veröffentlicht werden soll und die auch noch nicht nach draußen gegangen ist. Daraus geht hervor:Fast alle Autoproduzenten haben derzeit zum Teil stattliche Lieferfristen für die Autos mit der umweltfreundlicheren Technik. So muß man je nach Modell und gewünschter Ausstattung bis zu sieben Monate nach der Bestellung auf die Auslieferung warten.Wenn Herr Fiala sagt, daß das jetzt zur Zurückhaltung führe, dann muß ich natürlich dagegen halten:
Wenn VW Ende März dieses Jahres gesagt hat, man werde tausend neue Leute einstellen, und Herr Fiala zehn Tage später sagt, hier sei eine Zurückhaltung festzustellen, dann verstehe ich diese Vorstandsentscheidung nicht. Denn man wird ja bei dem Beschluß über die Einstellung von tausend neuen Leuten etwas weiter in die Zukunft gesehen haben als zehn Tage, um das hier einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.
Meine Damen und Herren, um diesen wünschenswerten Prozeß voranzutreiben, werden wir die Entscheidung hier und heute herbeiführen, weil das — das ist ganz klar — ein Fortschritt für uns ist.
In dieser Debatte ist eines deutlich geworden: Die weiteren Bedenken, die Sie jetzt ins Feld führen, etwa mehr Bürokratisierung, haben Sie doch mit Wünschen, die wir gemeinsam getragen haben, mit verursacht.
Wer zusätzliche Differenzierung will, darf sich hinterher nicht wundern, daß sich dies natürlich in einer komplizierteren Regelung niederschlägt. Aber lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wenn sich die Medien dieser Beschlüsse jetzt konkret annehmen können, wenn die Möglichkeit zur Information und Beratung gegeben ist, wird der Käufer damit zurechtkommmen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch ganz kurz einiges sagen: Diejenigen, die sich hier und heute
hinstellen und diesen Gesetzentwurf kritisieren, sind diejenigen — das muß man ihnen immer wieder sagen —, die zwölf Jahre lang unter eigener Verantwortung nichts getan haben,
die sich noch 1975 im Baiersbronner Abkommen mit der Automobilindustrie darauf verständigt haben, zehn Jahre lang nichts zu tun, gesetzlich nichts zu verändern und damit zehn Jahre lang auf Umweltschutz zu verzichten.
Wer das vereinbart hat, kann sich hier heute nichthinstellen und sagen, es sei zuwenig getan worden.
Ganz abgesehen davon: Es ist natürlich ein bißchen wenig, wenn man nach dieser Zeit des Nichtstun heute nur ein völlig unmögliches Konzept auf den Tisch legt. Nachdem wir dieses angegriffen haben, haben Sie auch nicht mehr viel davon gesprochen. Jetzt kritisieren Sie ja nur noch. Sie heben ja die Vorzüge Ihres Entwurfs gar nicht mehr hervor. Ich kann das verstehen; denn dieser Entwurf hat ja auch keine Vorzüge. Er wäre in der EG noch we-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9919
Dr. Lippoldsentlich deutlicher zum Scheitern verurteilt gewesen als alles andere, was gemacht worden ist.
Wer in zwölf Jahren Regierungsverantwortung nicht in der Lage gewesen ist, hier etwas Vernünftiges vorzulegen, hat das Recht zur Kritik — lassen Sie mich das hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen — ganz eindeutig verwirkt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja, gerne.
Mich läßt er fragen; vielen Dank.
Räumen Sie ein, Herr Kollege Lippold, daß, wenn wir auf europäischer Ebene mit einer Tempobeschränkung auf Tempo 100 sozusagen einen Geleitschutz gegeben hätten, einiges auf europäischer Ebene anders gelaufen wäre, als es jetzt mit diesem Hin und Her und diesem Verwirrspiel gelaufen ist?
Herr Abgeordneter, das ist wirklich eine rein theoretische Frage,
weil uns das bei den Verhandlungen — das ist abgecheckt worden — im wesentlichen nicht weitergebracht hätte. Das war Begleitmusik. Es geht um den Kern, es geht um die Beseitigung des Übels an der Wurzel, und das kann nur am Auto geschehen.
Das ist der ganz entscheidende Fakt. Das ist auch das, was langfristig eine ganz entscheidende Bedeutung hat und was uns weiterhelfen wird.
Herr Spöri, haben Sie immer noch eine Frage? Es ist noch eine Minute Zeit.
— Okay, ich stelle fest, Herr Spöri hat keine Frage mehr.
Dann darf ich abschließend noch mal eines sagen. Ich glaube, auch wenn dieser Kompromiß auf europäischer Ebene nicht alle Erwartungen erfüllt, ist er immerhin doch ein ganz entscheidender Schritt nach vorne. Ich danke der Bundesregierung für das, was sie in zähen Verhandlungen hier erreicht hat.
Meine Damen und Herren, ich kann ja verstehen, daß in unserer Nachmittagssituation ein bißchen Erregung da ist, aber derAusruf, Kollege Spöri, „Dreckschleuder" ist nicht parlamentarisch. Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.Bevor ich weiter das Wort erteile, muß ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung auf Drucksache 10/2889 bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 300 ihre Stimme abgegeben, davon war keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 200, mit Nein 99; es hat eine Enthaltung gegeben.
Von den 15 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 9 gestimmt, mit Nein 6; es hat keine Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 297 und 15 der Berliner Abgeordneten; davonja: 198 und 9 der Berliner Abgeordnetennein: 98 und 6 der Berliner Abgeordnetenenthalten: 1JaCDU/CSUFrau Augustin Austermann Dr. Barzel BayhaDr. Becker BiehleDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBraunBreuerBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) Conrad (Riegelsberg) Dr. CzajaDr. Daniels Frau DempwolfDeresDörflinger DossDr. Dregger EigenErhard
Fellner
Frau Fischer Fischer
Dr. Friedmann Ganz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach
GersteinGerster Dr. GöhnerGüntherDr. Häfelevon HammersteinHaungsHauser
Hauser Freiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrath HinrichsHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. Hornhues HornungFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaJäger JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Jung Frau Karwatzki Dr. Köhler (Wolfsburg)Dr. KohlKolbKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLenzerLink LinsmeierDr. LippoldLöher
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9920 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Vizepräsident WestphalLohmann LowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski Dr. MarxDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannRaweReddemann RepnikDr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch RossmanithRufSauer
Sauer
SaurinDr. Schäuble Schartz SchemkenSchlottmann SchmidbauerSchmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. StavenhagenStrubeStutzerSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeißWerner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wulff ZiererZinkBerliner AbgeordneteBoroffka Buschbom DolataFeilckeKalischDr. h. c. LorenzSchulze StraßmeirFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard ErtlDr. Feldmann Gattermann GrünbeckFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAmlingDr. ApelBahrBecker BernrathBindigBuckpesch Buschfort ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DelormeDreßlerDr. EhrenbergDr. Enders EwenFischer
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombigDr. HaackDr. Hauff HeistermannHeyenn Dr. Holtz Huonker Jahn
Jung Jungmann KirschnerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowDr. Kübler Lambinus Lennartz Leonhart LiedtkeLutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-MaierDr. Mertens Müller (Düsseldorf) MünteferingNagelFrau Odendahl OostergeteloPaternaDr. Penner Porzner PoßReimann Frau RengerRohde Schäfer (Offenburg) SchanzSchlagaSchmidt
Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeSchulte
Frau SimonisDr. SpöriFrau SteinhauerTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg VerheugenVogelsangDr. WernitzWestphalWiefelvon der Wiesche Dr. de WithZanderBerliner AbgeordneteDr. Diederich EgertLöffler Stobbe Dr. VogelDIE GRÜNENAuhagenBuebFrau Dann Frau Hönes Frau KellyKleinert MannSchilySchulte
SuhrTischerVogel VolmerFrau Wagner Werner Werner (Westerland)Berliner Abgeordneter StröbeleEnthaltenFDPDr. SolmsDamit ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen worden.Wir fahren nun in unserer Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten müssen, heißt — man höre zu — „Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens". Mit einem Gesetz, genauer gesagt: mit dem Instrument eines Steuergesetzes, soll erreicht werden, daß es mehr und mehr abgasarme Pkws auf deutschen Straßen geben soll. Das ist klug formuliert, denn wenn das Gesetz den Namen hätte „Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Senkung von Kfz-Emissionen", müßte die Bundesregierung
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9921
Lennartz
zugeben, daß das Ziel des Gesetzes nicht erreicht worden ist.
Die jetzige Bezeichnung besagt nur, daß das abgasarme Auto gefördert werden soll. Das ist ein feiner, aber bedeutungsschwerer Unterschied.
Die Frage ist nämlich zu stellen: Was ist ein abgasarmer Pkw?
Das weiß niemand. Was jeder weiß, ist, daß Ihr Vorschlag zur Förderung von abgasarmen Pkw noch lange keine Senkung der Kfz-Emissionen mit sich bringt.
Was ist das für ein Gesetz, meine Damen und Herren, daß die Auspuffschadstoffe reduzieren will, aber in Wirklichkeit erhöht? Die einschlägigen Institute in der Bundesrepublik Deutschland haben Ihnen das bestätigt, daß sich der Stickoxidausstoß des Kraftfahrzeugverkehrs bis in die 90er Jahre stetig erhöhen wird.
Das ist Ihre Politik. Dafür, Herr Innenminister, haben Sie monatelang die Republik auf den Kopf gestellt.
Überhaupt haben Sie in den letzten Monaten, was das Thema Kraftfahrzeug und Waldsterben angeht, nur Schau gemacht und die Bevölkerung geblendet.
Ihr Großversuch in Sachen Tempolimit kostet viel Geld und dauert lange, obwohl jeder weiß, daß ein Auto bei hoher Geschwindigkeit mehr Schadstoffe ausstößt als bei niedriger Geschwindigkeit.
Die jährliche Abgassonderuntersuchung, die am 1. April — welch ein bezeichnendes Datum — in Kraft getreten ist, bringt außer einer Menge Aufwand und zusätzlichen Kosten für die Autofahrer nur einen nennenswerten Effekt: Durch die Motoreinstellung wird der Stickoxidausstoß erhöht. Das ist Ihr zusätzlicher Beitrag, Herr Innenminister, zum Waldsterben, der sich leider Gottes sehen lassen kann. Sie waren über diesen Tatbestand, daß der Stickoxidausstoß durch dieses Gesetz gefördert, erhöht wird, informiert. Ich habe Sie an dieser Stelle im Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr darauf aufmerksam gemacht. Mir liegt ein Schreiben des Verkehrsministers aus dem gleichen Zeitraum vor, der ebenfalls auf den erhöhten Stickoxidausstoß nach der Motoreinstellung aufmerksam gemacht hat. Sie hielten es allerdings für angebracht, 25 Millionen Pkw-Halter jährlich in die Werkstätten und zum TÜV zu jagen und 660 Millionen DM bezahlen zu lassen, um Ihren umweltpolitischen Aktivismus hier unter Beweis zu stellen. Die Abgassonderuntersuchung ist verfassungsrechtlich
bedenklich, weil sie den Autofahrern Belastungen zumutet, die in keinem Verhältnis zum Ergebnis stehen. Sie riskieren Hunderte und Tausende von Klagen, und Sie können vom Verfassungsgericht zur Nachbesserung der Verordnung gezwungen werden. Das hat Sie, meine Damen und Herren, sehr wenig interessiert. Wie sollten Sie sich auch die Lust am Regieren von verfassungsrechtlichen oder umweltpolitischen Bedenken irgendwie vermiesen lassen!
Der dritte Akt: die Mineralölsteuer, deren Spreizwirkung völlig unzureichend ist.
Heute ist doch der Tatbestand zu verzeichnen, daß bleifreies Benzin noch immer der teuerste Treibstoff in dieser Republik ist.
Die Schweizer senken den Steuersatz für bleifreies Benzin um über 10 Pfennig je Liter. So arbeitet man, wenn man wirklich eine Preisparität erreichen will. Doch Sie hatten bei der Änderung der Mineralölsteuer keine umweltpolitischen, sondern haushaltspolitische Motive.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie?
Bitte schön.
Herr Kollege, waren Sie in den letzten Tagen oder Wochen schon mal an einer Tankstelle, und haben Sie dabei nicht feststellen können, daß heute das unverbleite Normalbenzin nur noch ein bis zwei Pfennig teurer als das verbleite und erheblich billiger als Super oder Diesel ist?
Herr Hoffie, ich weiß zwar nicht, wo Sie tanken. 150 Meter von diesem Hause entfernt können Sie es erkennen. Vielleicht lassen Sie sich nur chauffieren und wissen nicht mehr, was das Benzin kostet. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Fahren Sie mal selber zum Tanken!
Meine Damen und Herren, Sie haben durch diesen Coup dem Bundesfinanzminister ca. 1,7 Milliarden DM mehr Einnahmen durch die Erhöhung der Mineralölsteuer verschafft. Herr Stoltenberg — das kann ich mir vorstellen — ist froh über derartige Preisdifferenzen zwischen bleifreiem und bleihaltigem Benzin.
Das ist die Auswirkung der Umweltpolitik: die Erhöhung der Staatseinnahmen.Was haben Sie gemacht? Großversuch auf Autobahnen, Abgassonderuntersuchungen, Änderung der Mineralölsteuer — Betriebsamkeit ohne Ergeb-
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9922 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Lennartznisse. Leise rieseln die Nadeln im deutschen Wald. Das ist Ihr Ergebnis.
Einzig der Dollar und der Export sind mit Ihnen bisher gnädig verfahren; sonst hätte die deutsche Automobilindustrie die hohen Lagerbestände absolut nicht verkraften können.Denn wer soll Autos kaufen, wenn er nicht weiß, woran er ist? 60 000 Pkw mehr als sonst zu dieser Jahreszeit liegen in den Autofabriken und Händlerpavillons auf Lager. Die Neuzulassungen sind um über 22% gefallen, Herr Kollege Lippold. Schauen Sie sich einmal die Statistik an! Wer rechnet, der weiß heute: Am besten kommt er weg, wenn er sich einen ganz normalen Neuwagen kauft, ohne Aufpreis für Katalysator oder andere Systeme, ohne Wartungskostenrisiko,
und wenn bleifreies Benzin irgendwann tatsächlich noch einmal preiswerter wird, kann er noch bleifrei tanken.Von den Neuzulassungen im Jahre 1985 werden ca. nur 200 000 Katalysatorautos sein; nicht viel, Herr Zimmermann, wenn man sich an Ihre vollmundigen Schätzungen erinnert. Sie sprachen von Millionen Zulassungen in diesem Bereich. Orginalton Automobilindustrie, VW-Vorstand Fiala: „Aus heutiger Sicht ist es sinnvoll, ein ganz normales Auto zu kaufen". Das, meine Damen und Herren, ist ein Ergebnis Ihrer unglaubwürdigen Politik. Das sagt der größte deutsche Automobilhersteller. Das ist die Empfehlung aus umweltpolitischen Gründen.
Sehr geehrter Herr Zimmermann, bis Sie in Brüssel die neue Euronorm für die Abgasgrenzwerte ausgehandelt haben, wird die Talfahrt der deutschen Automobilindustrie weitergehen, werden mehr Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Herr Zimmermann, Sie haben sich alles, was Sie hier im deutschen Bundestag formuliert haben, im Protokoll nachzulesen — nationaler Alleingang, direkte Kaufsubventionen —, in Brüssel abhandeln lassen.
Das einzige, womit wir rechnen können, wenn es um die Euronorm geht, ist, daß wir bis Juni weiterhin Abstriche machen müssen. Darauf kann man sich verlassen, auf sonst gar nichts. Denn wir haben heute zwar Pkw-Klassen schadstoffarm oder bedingt schadstoffarm in Stufen A, B oder C, aber keiner weiß, was darunter zu verstehen ist.Wir wissen nur: Werden die Abgasgrenzwerte auf der Basis des Europa-Fahrzyklus festgelegt, so müssen die Grenzwerte lediglich bei Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h eingehalten werden. An das Abgasverhalten oberhalb von 50 km/h werden keinerlei Anforderungen gestellt. Das heißt in der Praxis: Über 50 km/h kann gesündigt werden.Meine Damen und Herren, acht Millionen Autofahrer erhalten Steuererleichterungen, ohne dafür einen Handschlag getan zu haben.
Die einzige Arbeit besteht darin, den Kfz-Brief umzuschreiben.
Diese sogenannten Grenzwerte einhalten zu müssen, umzuschreiben statt umzurüsten, das ist das, was von Ihrer Umweltpolitik übriggeblieben ist.
Diese Fahrzeuge, meine Damen und Herren, werden genausoviel Schadstoffe wie vorher ausstoßen und — jetzt hören Sie genau zu — vier- bis fünfzehnmal soviel Stickoxide, wie nach den US-Grenzwerten erlaubt ist. Das ist keine Zahl von uns. Aus Ihrem eigenen Amt, aus dem Umweltbundesamt, sind diese Indiskretionen bekanntgeworden.
Stellen Sie sich bitte zu dieser Frage.
Trotzdem, meine Damen und Herren, werden Steuervergünstigungen gewährt. Was ist das für ein Gesetz? Was ist aus der Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutschland geworden? Womit haben wir das verdient? Bluff, Schau, Blendung, Täuschung als Ersatz für Umweltpolitik, das ist die Devise, nach der Sie handeln.
Ihr Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens ist also in Wahrheit, Herr Zimmermann, ein Gesetz zur Erhöhung des Stickoxidausstoßes,
damit ein Gesetz zur Förderung des Waldsterbens, ein Haushaltssanierungsgesetz auf Kosten des deutschen Waldes, der Autofahrer und der Bundesländer, gleichzeitig ein Verwaltungsaufblähgesetz zur Schaffung zusätzlicher Stellen bei den KfzSteuer-Behörden,
ein Gesetz zur Schwächung der Automobilindustrie, somit ein Arbeitsgefährdungsgesetz mit Ausbreitungseffekt auf die Zulieferindustrie, ein Gesetz zur Vertuschung der umweltpolitischen Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung,
ein Gesetz, Herr Zimmermann, das zwar hervorragend in das Bild der Bundesregierung im April 1985
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9923
Lennartzpaßt, aber ganz und gar nicht in die umweltpolitische Landschaft.
Meine Damen und Herren, man scheut sich schon fast, diese Ihre so hoffnungslos falsche Politik anzuprangern, Herr Zimmermann.
Wer nur ein wenig hinter die Kulissen schaut, der kann nur noch Mitleid empfinden.
Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich, und seinen Worten traut man nicht.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich noch eine Auskunft geben. Ich bin gefragt worden, ob es eine weitere namentliche Abstimmung gibt. — Sie ist bereits beantragt.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lennartz, nach Ihrem Beitrag, in dem Sie gefragt haben: Womit haben wir das verdient? muß man sich ernsthaft fragen: Womit haben wir Sie und Ihre Darstellung hier verdient, indem Sie die deutsche Bevölkerung aufrufen, schadstoffarme Autos nicht zu kaufen?
Damit sprechen Sie sich nicht nur gegen Europa aus, sondern in eklatanter Weise auch gegen den Umweltschutz.Meine Damen und Herren, wer wie SPD und die GRÜNEN
den Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung schadstoffarmer Pkw ablehnt,
der verantwortet weiter anhaltende Unsicherheit und Kaufzurückhaltung,
der schwächt die Auftragslage und die Wettbewerbsposition der gesamten deutschen Automobilindustrie,
der gefährdet damit Arbeitsplätze,
der macht eine europäische Gesamtlösung zunichte und schadet dem Wald und der Gesundheit der Menschen.
Meine Damen und Herren, mit den GRÜNEN will ich mich hier nicht lange auseinandersetzen. Sie lehnen j a eine steuerliche Förderung und damit überhaupt jeden Anreiz ab,
womit das schadstoffarme Auto attraktiver gemacht und das Waldsterben schneller bekämpft werden könnte. Ihre ideologische Position heißt: keine Subventionierung von Konsumgütern, auch wenn es um den Umweltschutz geht. Dabei handelt es sich gar nicht um eine staatliche Subventionierung; vielmehr werden die unterschiedlich hohen Beiträge der Autofahrer zur Kraftfahrzeugversicherung gegeneinander aufgerechnet.
— Herr Spöri, ich werde Ihre Fragen am Ende meiner Ausführungen beantworten; ich habe wenig Zeit. Ich tue das dann gern.Es geht den GRÜNEN nicht um die Belohnung derjenigen, die die Umwelt entlasten, sondern allein um die Bestrafung derjenigen,
die die Umwelt belasten. Aber dies allein schafft nicht den Anreiz, den wir alle gemeinsam wollen, damit die neue Technik schneller angeschafft wird. Das müssen Sie erst noch lernen.
Meine Damen und Herren, Ihre Forderung nach einem nationalen Alleingang und nach einem sofortigen Tempolimit als Alternative ist immer noch eine schlechtere Lösung, als es ein noch schlechterer europäischer Kompromiß gewesen wäre. Das haben wir Ihnen jetzt oft genug vorgerechnet.
Sie riskieren, falls Ihre Vorstellungen Wirklichkeit werden, einen europäischen Handelskrieg auf breiter Front sowie Arbeitsplatzverluste, deren Ausmaß nicht absehbar wäre.
Meine Damen und Herren, die SPD, mit der ich mich jetzt auseinandersetzen will, lehnt den Gesetzentwurf ab, weil die Grenzwerte noch nicht abschließend geregelt seien, weil die finanziellen Anreize zu gering seien, weil die Benachteiligung sozial Schwacher zu groß sei, weil der Verwaltungsaufwand zu hoch sei und weil — so wird behauptet— der Staat am Umweltschutz auch noch verdiene.
— Warum protestieren Sie denn dagegen? Das sind doch Argumente der SPD; ich habe sie wörtlich vor-
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Hoffiegelesen. — Keines dieser Argumente aber überzeugt.Erstens. Sie haben monatelang die Kaufzurückhaltung, die Beschäftigungsrisiken und eine mangelnde Entscheidungsfähigkeit allein deshalb beklagt, weil der Bürger im unklaren über die Höhe der steuerlichen Vergünstigungen sei. Heute, da wir hier im Deutschen Bundestag über den Umfang einer Steuerbefreiung oder über die Höhe einer Steuerermäßigung zu befinden haben, tun Sie so, als hänge die Kaufentscheidung des Bürgers davon ab, ob die Europa-Norm Punkt für Punkt und Komma für Komma den US-Abgasgrenzwerten entspricht. Bisher haben Sie immer gesagt, die Kaufentscheidung hänge allein von der Höhe der Förderung ab. Sie wissen dabei ganz genau, daß es darauf überhaupt nicht ankommt, weil alle Katalysator-Fahrzeuge, die heute auf dem Markt sind oder sich noch in der Entwicklung befinden, allein auf die US-Abgasgrenzwerte ausgelegt sind.
Sie können Autos mit Katalysator-Technik, deren Abgaswerte unter dieser Norm liegen, gar nicht erwerben. Im übrigen ist festgeschrieben, daß die Europa-Norm und die US-Norm gleichwertig sein müssen.
Zweitens. Im krassen Gegensatz zu den GRÜNEN, die ja jeden finanziellen Anreiz kategorisch ablehnen, reichen der SPD die festgelegten Fördersätze nicht aus, da sie umweltpolitisch wirkungslos seien. Daß Sie diesbezüglich von den GRÜNEN noch weiter entfernt sind als die Regierung, muß schon verwundern, aber genauso bemerkenswert ist, daß Ihre Sprecher noch vor wenigen Wochen die Regelung Österreichs, wo jeder, der ein Katalysator-Fahrzeug kauft, 1 000 DM bar auf die Hand bekommt, als vorbildlich bejubelt haben, während Sie heute, da wir festschreiben, daß die Käufer solcher Autos mehr als das Doppelte, nämlich bis zu 2 200 DM bekommen, sagen, dies sei eine schlechte Lösung. Meine Damen und Herren, so ändern sich Ihre Argumente.Dritter Punkt. Sie unterstellen dem Staat, er mache Geschäfte mit dem Umweltschutz. Es ist klar, daß wir — auf zehn Jahre gerechnet — aufkommensneutral verfahren. Es ist auch klar, daß wir erklärt haben, wir seien zu Korrekturen bereit, wenn sich zeigt, daß der Staat dabei die höheren Einnahmen hat. Aber das kann erst entschieden werden, wenn wir wissen, wie sich das Käuferverhalten nach der heutigen Festlegung tatsächlich entwickelt.
Vierter Punkt. Die SPD lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf ab, weil das vorgesehene Gesetz Einkommensschwache benachteilige. Richtig ist Ihre Auffassung, sozial Schwächere könnten sich weniger häufig einen Neuwagen kaufen, sie müßten meist auf Gebrauchtwagen ausweichen. Aber wer sich von diesen ebenfalls umweltfreundlich verhalten will, hat die Möglichkeit, zu günstigen Bedingungen auf die Nachrüstungsmöglichkeiten zu setzen. Er wird in der Regel, wenn er ein Gebrauchtfahrzeug schon immer gekauft und gefahren hat, beim nächsten Gebrauchtwagenkauf eben ein schadstoffarmes oder einen Diesel kaufen. Und was die kleine Mittelklasse angeht: Schon die Mehrheit der Golfklasse — schon bei 1 400 und einigen Kubik — bekommt die gleichen 2 200 DM Förderung, die auch der Fünf-Liter-Wagen bekommt,
bei dem der Katalysator erheblich teurer ist; beim Kleinen haben Sie mehr als die Katalysatorkosten drin.Im übrigen respektieren anders als die SPD
zwei Drittel unserer Bürger das Verursacherprinzip. Denn zwei Drittel erklären nach wie vor, sie sind unter Inkaufnahme von Eigenbelastung, von Mehrkosten zur Fahrt mit dem schadstoffarmen Auto bereit.Was den Verwaltungsaufwand — letzter Punkt — angeht: Kompliziertes Gesetzeswerk? Es war die FDP, die sechs, sieben andere Vorschläge gemacht hat, ein anderes Steuersystem zu nutzen, nicht die Kraftfahrzeugsteuer, die immer kompliziert sein muß,
mit einer Vielzahl von Klassen.
All das ist am Widerstand der Finanzbehörden aller Länder gescheitert, besonders der SPD-regierten Länder, die gesagt haben: Das kann kurz- und mittelfristig von unserer Steuerverwaltung nicht geleistet werden.Im übrigen frage ich im Zeitalter der Computer: Ist es denn so schwierig für die Finanzämter, genauso effizient wie alle Autoversicherungsunternehmungen zu verfahren, die mit einer Vielzahl von Klassen, Prämien, Rückvergütungen und weiterer Merkmale den gleichen Aufwand sehr effizient betreiben? Was dort in der privaten Wirtschaft möglich ist, müßte ja endlich einmal auch bei den Finanzämtern möglich sein.
Wir beschließen heute den letzten und entscheidenden Schritt zur Einführung dieses schadstoffarmen Autos. Der erste Schritt war die jährliche Abgaskontrolle. Sie ist wirkungsvoll. Der zweite Schritt war die Verbilligung des bleifreien Benzins. Der ADAC hat heute überall veröffentlicht, Herr Kollege Lennartz: Im Schnitt ist der bleifreie Sprit nur noch einen bis zwei Pfennige teurer als das verbleite Normalbenzin und um mehrere Pfennige billiger als Diesel oder Super. Kommen Sie nicht mit solchen falschen Behauptungen!
Der nächste Schritt waren unsere Fördermaßnahmen für die schnelle Umrüstung der Tankstellen, damit bleifreier Sprit möglichst flächendeckend angeboten werden kann. Da sind wir auf einem gutenDeutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9925HoffieWeg. Wir haben demnächst 2 000 solcher Tankstellen.Wenn Sie jetzt Weiteres und Besseres erreichen wollen, sind Sie herzlich eingeladen, sich unseren weiteren flankierenden Maßnahmen zuzuwenden. Dann werden wir mit Ihnen gemeinsam nach dem Großversuch über differenziertes Tempolimit als dem größtmöglichen Anreiz jenseits aller finanziellen Förderung sprechen können. Dann müssen Sie mit uns über das Verbot des Verkaufs von verbleitem Normalbenzin reden, damit wir noch mehr und schneller Säulen für das unverbleite Benzin freibekommen und damit ein noch größerer Anreiz zum Umstieg auf die neue Technik kommt. Und dann müssen Sie mit uns auch darüber sprechen, dem Bürger die Chance zu eröffnen, sich selber als umweltfreundlich auszuweisen, indem wir auf den Nummernschildern die letzte Ziffer durch den Buchstaben ersetzen, der für die Schadstoffkategorie steht.
Das wären vernünftige weitere flankierende Maßnahmen über dieses Gesetz hinaus. Ich lade Sie ein, darin mit uns in einen Wettbewerb einzutreten.Wir stimmen diesem Gesetzentwuf zu. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde!
Ich möchte kurz zu meinen Vorrednern bemerken: Herr Lippold, Sie haben meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Ich hätte Sie gefragt, ob Sie immer noch Vertreter des BDI sind. Nachdem Sie hier Ihre Rede vorgetragen haben, bin ich sicher: Sie müssen es noch sein.
Herr Hoffie, Sie wären besser gleich Manager des VDA geworden; dann hätten Sie Ihren Sehnsüchten, ein Sportwagenfahrer zu sein, eher gerecht werden können als hier im Bundestag.
Nach jahrelangen Ankündigungen und vollmundigen Versprechungen, die Abgasgrenzwerte ab 1986 auf das US-Niveau zu senken, nach monatelangen Verhandlungen in Brüssel liegt nun ein umweltpolitischer Scherbenhaufen vor uns. Minister Zimmermann, von der Presse zu Beginn seinerAmtszeit als Umweltschützer Nummer eins gefeiert,
hat sich von den Lobbyvertretern der Automobilindustrie zu einem Umweltversager auf ganzer Linie degradieren lassen.
Bei den EG-Verhandlungen hat letztlich kaum noch gezählt, was künftig aus den Auspufftöpfen kommt, sondern entscheidend war, was in die Säkkel der Automobilbosse hineinfließt. Der grausame Zustand des Waldes in Deutschland und Europa hat anscheinend überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Unsere Natur muß also weiter sterben, die Menschen müssen noch jahrzehntelang an giftigen Abgasen erkranken, weil ja schließlich die heilige Kuh des Homo automobilens nicht angetastet, geschweige denn geschlachtet werden darf.
Wo ist eigentlich der Herr Minister?
Bilanziert man nach zweieinhalb Jahren die Umweltpolitik des Herrn Zimmermann und mißt nicht seine Worte, sondern seine Taten an dem, was notwendig wäre, so reicht die Notenskala nach unten nicht aus. Eine Wende hat beim Umweltschutz nicht stattgefunden. Diese Regierung setzt im Umwelt- und Naturschutzbereich konsequent die Tu-nichtsPolitik der SPD/FDP-Koalition fort.
Darüber kann auch nicht die derzeitige Hektik beim vorliegenden Gesetzentwurf über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens hinwegtäuschen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen: Die geplanten steuerlichen Anreize für Katalysatorfahrzeuge stellen eine weitere Subventionierung des Autoverkehrs dar. Mit dem Verzicht auf Milliardenbeträge an Kfz-Steuern wird der Kraftfahrzeugverkehr noch weniger als bisher seine gesellschaftlichen Kosten selber tragen. Würde man endlich das von allen Parteien — übrigens auch von Ihrer Partei, Herr Hoffie — seit Jahren geforderte Verursacherprinzip beim Auto anwenden, so hätte der Autofahrer die Mehrkosten für den Katalysator selber zu tragen. Fahrzeuge ohne Abgasminderung müßten steuerlich wesentlich stärker belastet werden. Doch Ihnen liegt nicht das Verursacherprinzip am Herzen, sondern Ihr Handeln wird vom Streben nach Wählerstimmen zum Machterhalt bestimmt.
Der vorliegende Gesetzentwurf, den man kaum als einen solchen bezeichnen kann, stellt sich zur Zeit nur als ein Gerippe dar, das aus Zahlenkolon-
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Schulte
nen von Hubraumklassen, ihnen zugeordneten Steuerbefreiungszeiträumen und Schadstoffstufen zusammengewürfelt ist. Es ist kaum zu fassen, daß Sie, Herr Zimmermann, dem Parlament zumuten wollen, Ihnen für diesen den faulen Kompromissen der EG angepaßten Gesetzeswirrwarr auch noch eine Blankovollmacht zu erteilen. Glauben Sie denn allen Ernstes, daß Ihnen auch nur ein Bürger dieses Landes nach all den verbalen Bauchlandungen, die Sie hinter sich gebracht haben, abnimmt, daß Sie bei den mit der EG erst noch auszuhandelnden Schadstoffgrenzwerten auf einer strengen Abgasnorm beharren wollen, die der scharfen US-Norm gleichwertig sein soll? Als Minister — ich meine: als Meister — —
— Daran können Sie sich hochziehen. Sie können meinetwegen beides haben: Als Minister und Meister im Vorspiegeln falscher Tatsachen haben Sie in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau" am 14. April gesagt, daß die europäischen Abgasstandards in ihren Umweltauswirkungen den US-Normen gleichwertig sein müßten.Warum diese Verrenkungen? Warum nicht gleich eine direkte Übernahme der US-Abgasvorschriften?
Ich will es Ihnen sagen: Sie wollen der Öffentlichkeit die Gleichwertigkeit beider Normen nur vortäuschen. Dahinter verbirgt sich eine schwer überprüfbare Aufweichung der US-Abgasgrenzwerte, die im Juni während der neuen EG-Runde ausgemauschelt wird.
Es ist schon vorprogrammiert, daß Sie, Herr Ankündigungsminister — inzwischen ist er auch wieder da —, aus diesen Verhandlungen endgültig als gerupftes Huhn herausgehen werden.
In den vorliegenden Gesetzentwurf ist ebenfalls die steuerliche Begünstigung von Abgasverminderungen bei Altfahrzeugen aufgenommen worden. Diese Variante wurde als Lieblingskind der CDU/ CSU-Fraktion dem Bundeskabinett vorgeschlagen, offenbar in der Absicht, den immer lauter werdenden Rufen nach einem Tempolimit 100/80 km/h ein wirksames Gegenrezept zu verpassen.
Spätestens seit der Anhörung des Innenausschusses zur Nachrüstung — —
— Herr Präsident, könnten Sie bitte dafür sorgen, daß ein bißchen Ruhe eintritt.
Spätestens seit der Anhörung des Innenausschusses zur Nachrüstung von Altfahrzeugen wissen wir, daß die Regierung dem Umweltschutz damit ein faules Ei untergeschoben hat. Von den 25 Millionen Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik sind lediglich 3 Millionen Kraftfahrzeuge effektiv umrüstbar. Nach Angaben des TÜV Rheinland ergibt sich somit bei Altfahrzeugen eine jährliche Stickoxidminderung von nur etwa 100 000 t. Selbst die unterste Abschätzung des Umweltbundesamtes ergibt jedoch für ein Tempolimit über 120 000 t Stickoxidminderung jährlich.
Somit bringt ein Tempolimit deutlich mehr als die Schadstoffsanierung sämtlicher Altfahrzeuge. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist darüber hinaus eine sofort wirksame Maßnahme, während Umrüsten Jahre in Anspruch nimmt. Es ist geradezu beschämend, daß die beharrliche Verweigerung dieser Maßnahme, die unproblematisch im nationalen Alleingang durchgeführt werden könnte, die Regierung von Mal zu Mal in Engpässe bei Verhandlungen im Rahmen der EG bringt. Wer auf der einen Seite Vorreiter spielen will, kann nicht auf der anderen Seite Schlußlicht in Europa sein.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf in Bausch und Bogen ab. Er ist nicht geeignet, die erforderlichen schnell wirksamen Maßnahmen gegen das Waldsterben, gegen die Versäuerung des Bodens und unserer Gewässer, gegen das Zerbröckeln unserer Bauwerke und vor allem gegen die Gesundheitsgefährdung des Menschen durch Luftschadstoffe einzuleiten.Meine Damen und Herren, um diese Umweltprobleme wirklich lösen zu können, muß endlich Schluß sein mit dem ständigen Herumkurieren an Symptomen. Was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Neuorientierung in der Verkehrspolitik.Ich will nur daran erinnern, daß dem Auto seit 1945 über eine halbe Million Menschen geopfert wurden und sich allein die, Unfallfolgekosten seitdem auf über 1 Billion DM hochgeschaukelt haben. Daß Sie dennoch am Auto festhalten, ist Wahnsinn. Aber der Wahnsinn hat Methode.
Schließlich muß ja das Bruttosozialprodukt steigen. Je mehr Menschen durch das Auto verunglücken, je mehr Menschen getötet oder verletzt werden, um so positiver wirken sich Reparatur, Neukauf, Krankenhausaufenthalte, Beerdigungen auf das Bruttosozialprodukt aus.
Das ist die Wachstumsideologie, die im Straßenverkehr ihre ganze Grausamkeit offenbart.
Wir von der Fraktion DIE GRÜNEN fordern Sie auf, im Rahmen einer konzertierten Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden die tatsächlich um-
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weltfreundlichen und sozialen Verkehrsmittel, also den öffentlichen Personennahverkehr und die Bundesbahn, optimal auszubauen.Meine Damen und Herren, sollte diese blamable Gesetzesänderung tatsächlich am 1. Juli in Kraft treten, so werden die GRÜNEN vorschlagen, den 1. Juli zum gesetzlichen Umwelttrauertag zu erklären.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus kann heute das Gesetz für das umweltfreundliche Auto verabschieden, weil es nach schwierigem Ringen in der EG gelungen ist, den Widerstand, der europaweit gegen unser Vorhaben bestand, zu überwinden. Dies ist ein Fortschritt.
Es ist ein Fortschritt, daß wir jetzt nicht langwährende Prozesse haben werden. Es ist ein Fortschritt, daß wir nicht einen Handelskampf in Europa bekommen werden. Es ist auch ein Fortschritt, daß die anderen europäischen Staaten das umweltfreundliche Auto jetzt selber vorantreiben wollen. Vor einem Jahr war das früheste Datum noch der 1. Januar 1995. Inzwischen sind auch in anderen europäischen Ländern schon die 80er Jahre ins Auge gefaßt worden.
Deswegen, meine Kollegen von der SPD, Herr Kollege Lennartz, der Sie für die SPD gesprochen haben, machen Sie einen ganz großen Fehler: Sie übertreiben in Ihrer Kritik. Sie haben den Fortschritt hier nicht gewürdigt. Deshalb stellen Sie sich mit Ihrer Kritik selbst vom Platz, weil das, was Sie hier vorgetragen haben, weit überzogen war.
Meine Damen und Herren, natürlich mußten wir Abstriche machen. Wir hätten es lieber so gehabt, wie wir es vorgeschlagen hatten. Aber das war der Preis für diesen Fortschritt. — Auch hier kritisieren Sie jetzt wieder und sagen, es sei nach wie vor technisch nicht geklärt, welches denn die Stufen seien. Das trifft nicht zu. Beim Bundesrat liegt schon der Entwurf der Verordnung für die Stufen A, B, C, also für die Umrüstungsstufen A und B und auch für die Stufe C für die kleineren Fahrzeuge mit Motoren bis 1 400 ccm. Der Entwurf dieser Verordnung liegt schon beim Bundesrat und soll dort in den nächsten Wochen verabschiedet werden. Insoweit brauchen wir keine europäische Formulierung mehr. Das konnten wir selbst formulieren.
Es steht nur noch die technische Norm aus — aber wir tun alles, um auch das vollends zu klären —, die Verordnung mit der technischen Norm für das, was man heute den „DreiwegkatalysatorWagen" nennt. Jedermann weiß, worum es geht. Es gibt im Augenblick keine 90%ige Entgiftung — außer über den Dreiwegkatalysator. Sie sagen, das sei nicht geklärt. Jeder weiß doch z. B.: Da steht ein Kinderwagen; wie ich ihn definieren soli, weiß ich nicht. Trotzdem weiß jeder Bürger: Das ist ein Kinderwagen.
Genauso ist es hier. Es ist nur noch eine Frage der technischen Norm,
aber jeder weiß, die 90%ige Entgiftung gibt es jetzt nur durch den Katalysator-Wagen. Es besteht Klarheit, und die Bürger wissen, was jetzt zu machen ist.
Meine Damen und Herren, Sie führen diese Diskussion in den letzten Wochen ja nur, um neue Unsicherheiten zu schaffen. Das ist der einzige Grund, aus dem Sie hier diese Schwierigkeiten machen. Aber die Diskussion hat auch ihr Gutes gehabt. Wir haben jetzt die staatlichen Rahmenbedingungen gesetzt, aber jedermann sieht, daß es natürlich auch auf den Bürger ankommt. Jetzt kommt es darauf an, daß dieses Angebot angenommen wird, und jeder weiß, daß letztlich natürlich das Verursacherprinzip gilt. Alles hat seinen Preis. Auch eine gesunde Umwelt hat ihren Preis. Meinungsumfragen besagen, daß über zwei Drittel der Bürger bereit sind, für den sauberen Wagen etwas zu bezahlen. Wenn das stimmt, ist jetzt, nachdem der Staat die Rahmenbedingungen gesetzt hat, der Appell am Platz: Die Industrie wird aufgefordert, und die Bürger werden gebeten, jetzt den fortschrittlichen Wagen einzuführen. Das Fahren mit dem umweltfreundlichen Auto muß jetzt in Gang kommen, damit wir in ein paar Jahren sagen können: Wir haben es geschafft, und zwar in ganz Europa.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Hierzu ist von der CDU/CSU-Fraktion namentliche Abstimmung beantragt worden.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, muß die Ja-Stimmkarte in die Urne werfen, wer mit Nein zu stimmen wünscht, muß die entsprechende Karte nehmen, und das gleiche gilt für die Enthaltungen.
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9928 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985
Vizepräsident WestphalIch eröffne die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.Meine Damen und Herren, zu Ihrer Information sage ich, daß nach dieser Abstimmung vom Präsidenten nur noch das Ergebnis mitgeteilt wird, und dann wird die Sitzung geschlossen. —Ist noch ein Abgeordneter anwesend, der von seinem Stimmrecht Gebrauch machen möchte? — Wenn das nicht mehr der Fall ist, kann ich die Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen und mir dann das Resultat zu übermitteln.Meine Damen und Herren, ich kann jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf betreffend steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens — Drucksache 10/2523 — bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 313 ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 204, mit Nein 108 gestimmt; eine Enthaltung. Von den Stimmen der 15 Berliner Abgeordneten, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, war keine ungültig; mit Ja haben 8, mit Nein 7 gestimmt, und es hat keine Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 310 und 15 der Berliner Abgeordneten; davonja: 203 und 8 der Berliner Abgeordnetennein: 106 und 7 der Berliner Abgeordnetenenthalten: 1JaCDU/CSUFrau Augustin AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Borchert BraunBreuerBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) Conrad (Riegelsberg) Dr. CzajaDr. Daniels DeresDörflinger DossDr. DreggerEigenErhard
Fellner
Frau FischerFischer Dr. Friedmann Ganz (St. Wendel) Frau GeigerDr. GeißlerDr. von Geldern Dr. George Gerlach GersteinGerster
Dr. Göhner GüntherDr. Häfelevon Hammerstein Hanz HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHöffkesHöpfingerDr. Hoffacker Dr. Hornhues HornungFrau Hürland Dr. Hüsch Dr. HupkaJäger JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerDr. Köhler KolbKreyFrau Krone-AppuhnDr. KronenbergLamersLandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs LenzerLink LinsmeierDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes Dr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPfeffermann PfeiferDr. Pinger PöpplPohlmann RaweReddemann RepnikDr. RiesenhuberRode
Frau Rönsch Rossmanith RufSauer
Sauer
SaurinDr. SchäubleSchartz Schemken Schlottmann SchmidbauerSchmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schwarz
Dr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. StavenhagenStrubeStutzerSussetTillmannUldallDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel Vogt (Düren)Dr. Voigt Dr. VossDr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeißWerner
Frau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WörnerDr. WulffZiererDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteBoroffka Buschbom DolataFeilckeDr. h. c. LorenzSchulze StraßmeirFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBeckmannCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardDr. Feldmann Gattermann GrünbeckFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)Berliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAmling Dr. Apel
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9929
Vizepräsident WestphalBahrBecker BernrathBindigBuckpeschDr. von BülowBuschfort ColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DelormeDreßlerDr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EwenFischer
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombigDr. GlotzDr. Haack Dr. Hauchler HauckDr. Hauff HeyennDr. HoltzHuonkerImmer Jahn (Marburg)Jung Jungmann KirschnerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowDr. Kübler Lambinus Leonhart LiedtkeLutzFrau Dr. Martiny-GlotzFrau Matthäus-Maier MatthöferDr. Mertens Müller (Düsseldorf) MünteferingNagelOostergetelo PaternaDr. Penner PorznerPoßReimannFrau Renger ReschkeRohde Schäfer (Offenburg) SchanzDr. ScheerSchlagaFrau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Schulte Frau Simonis Dr. SpöriFrau SteinhauerTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugen VogelsangDr. Wernitz WestphalWiefelvon der WiescheDr. de With Wolfram
Zander
Berliner Abgeordnete Dr. Diederich
EgertHeimann LöfflerStobbeDr. VogelDIE GRÜNENAuhagenBuebFrau Dann Frau EidFrau Hönes Frau KellyKleinert MannSchilySchmidt
Schulte
SuhrTischerVogel
VolmerFrau WagnerWerner
Werner
Berliner Abgeordneter StröbeleEnthaltenFDP ErtlDamit ist das Gesetz in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. April 1985, 13 Uhr ein.Ich wünsche den letzten Anwesenden ein angenehmes Wochenende, eigentlich auch den anderen, aber ich kann es ihnen nicht mehr persönlich sagen.Die Sitzung ist geschlossen.