Rede von
Eberhard
Bueb
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur sogenannten „Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung" führt nach unserer Meinung nicht zu einer Stärkung der Rentenfinanzen, sondern zu einer Schwächung der Lage der kleinen Rentnerinnen und Rentner. Die Regierungskoalition hat mit ihrem Entwurf wieder einmal bewiesen, daß sie keinerlei Interesse an der Bekämpfung der Armut im Alter hat.
Armut im Alter ist vor allem Armut alter Frauen.
Wir stellen fest: Norbert Blüm kratzt mit seiner
Rentenpolitik den „frauenfreundlichen" Lack ab,
den Propagandachef Geißler zwecks Wahlkampf
aufträgt.
Der vorgelegte Entwurf führt den alten Bonner Verschiebebahnhof zwischen den Sozialversicherungen fort. Was hier geschieht, sind Finanzmanipulationen an den Rentenversicherungen. Dieses Papier müßte eigentlich Gesetz zur Manipulierung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenfinanzierung heißen.
Durch diesen Entwurf wird — erstens — erreicht, daß durch die gleichzeitige Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zugunsten der Beitragsanhebung in der Rentenversicherung die Arbeitslosenversicherung in einer Zeit geschwächt wird, in der sie ohnehin stark belastet ist. Die Folgen dieser Manipulation an der Arbeitslosenversicherung werden die Erwerbslosen bald zu spüren bekommen.
Zweitens: Die ohnehin nur einmalige Anhebung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 1,5 Milliarden DM bleibt völlig unzureichend.
Drittens — dies dürfte für die Betroffenen wohl am wichtigsten sein —: Die durch dieses Gesetz bewirkten Rentenerhöhungen von ca. 1% stellen eine Beleidigung für die kleinen Rentnerinnen und Rentner dar.
Wenn eine Rentnerin mit 500 DM Rente eine Erhöhung um lächerliche 5 DM bekommt, ein Beamtenpensionist mit 5000 DM in diesem Jahr jedoch etwa 140 DM mehr erhält, dann wird Armut im Alter fortgeschrieben.
Wie sieht denn die Realität aus? Die neuesten Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besagen, daß mehr als 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner weniger als 1000 DM im Monat zur Verfügung haben.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1985 9903
Bueb
Aber nicht nur der Herr Blüm hat zur wachsenden Altersarmut beigetragen, auch die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie haben ihren Anteil daran. Ein Vergleich der tatsächlich gezahlten Durchschnittsrente mit dem Durchschnitt der real gezahlten Nettolohn- und -gehaltssumme je Arbeitnehmer verdeutlicht nämlich, daß Rentnerinnen und Rentner schon unter der sozialliberalen Koalition immer weniger bekamen. 1977 erhielten sie im Durchschnitt noch 50,3% der Nettolöhne und -gehälter. 1982 war dieser Anteil bereits auf 45,3% gesunken, und heute dürfte der Anteil noch wesentlich niedriger sein.
Daß es vor allem Frauen sind, die das auszubaden haben, hat zwei Gründe.
Ein Grund ist die fehlende Berücksichtigung der Kindererziehung im Rentenrecht. Herr Blüm, Sie erreichen auch nichts damit, wenn Sie um 25 DM im Monat aufstocken.
Der zweite Grund ist die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt. Entweder kommen sie in diesen Arbeitsmarkt überhaupt nicht hinein, oder — wenn sie im Erwerbsleben stehen — sie erhalten wesentlich niedrigere Löhne als ihre männlichen Kollegen, die die gleiche Arbeit leisten.
Vor diesem Hintergrund der Altersarmut, vor allem der Frauen, wird so richtig deutlich, was Norbert Blüm meinte, als er in den letzten Tagen von der sogenannten Leistungsbezogenheit der Rentenversicherung sprach. Als nämlich der dilettantische Vorschlag seines Kollegen Bangemann zur Rentendiskussion kam, erhob Blüm mit ihm die große Rentenkoalition der Etablierten und der Interessenverbände das große Geschrei. Aber was heißt denn Leistungsbezogenheit angesichts der Altersarmut? Herr Blüm, Herr Kollege Glombig — der leider nicht da ist —, und wie die anderen alle heißen, haben Sie doch endlich mal den Mumm und schenken Sie der Öffentlichkeit reinen Wein ein, was hinter diesem ominösen Äquivalenzprinzip der Beitrags- und Leistungsbezogenheit der Rente steckt! Dahinter steckt nämlich die Moral einer kapitalistischen Wolfsgesellschaft:
Haste im Leben nicht die Ellbogen gebraucht, so biste im Alter halt arm.