Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich dem Hause mit, daß Herr Abgeordneter Lemp am 29. November 1967 als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Frede in den Bundestag eingetreten ist. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit mit uns.
Am 3. Dezember 1967 hat Herr Bundesminister Prof. Dr. Carlo Schmid seinen 71. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihm die Glückwünsche des Hauses aus.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 27. November 1967 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im dritten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1967 übersandt, die den Betrag von 10 000 DM übersteigen — Drucksache V/2312 —. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird diese Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen. Ich frage, ob das Haus einverstanden ist. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister der Finanzen hat am 28. November 1967 die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zollrechtsangleichung innerhalb der EWG — Drucksache V/2248 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2306 verteilt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1967 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Sechstes Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes
Gesetz zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Elfenbeinküste über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Gesetz zu dem Vertrag vom 10. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Sambia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Gesetz zu dem Abkommen vom 5. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Zweites Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt
Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gegen den Mißbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten
Zum Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gegen den Mißbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 ') diesem Protokoll beigefügt ist.
Beim Bundeswasserstraßengesetz hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1967 verlangt, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2337 verteilt.
Dem Gesetz über die Gebäude- und Wohnungszählung 1968 hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1967 gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zugestimmt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. November 1967 unter Bezug auf die Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 8. April 1959 und 16. Oktober 1964 eine Übersicht über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen nach dem Stand vom 1. Oktober 1967 übersandt, die als Drucksache V/2340 verteilt wird.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 30. November 1967 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, inzwischen vom Rat beschlossenen Verordnungen keine Einwendungen erhoben hat:
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Apfelsinen
— Drucksache V/2229 —
Verordnung des Rates zur Einführung einer Abweichung von Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 12 Absatz 3 der Verordnung Nr. 160/66/EWG des Rates
Drucksache V/2230 —
Verordnung des Rates zur Einführung einer zusätzlichen Beihilfe für in Italien verarbeitete Raps- und Rübsamen
Drucksache V/2235 —
Verordnung des Rates über die Einfuhr von In Anhang III des Assoziierungsabkommens genannten Obst- und Gemüseverarbeitungserzeugnissen mit Zusatz von Zucker aus Griechenland
— Drucksache V/2228 —
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Verordnung das Rates über besondere Maßnahmen zum Absatz von Butter in privater Lagerhaltung nach Verarbeitung der Butter zu Butterschmalz
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit
der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn
im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Vor Eintritt in die Tagesordnung hat Herr Abgeordneter Frehsee das Wort.
Herr Präsident! Meine Den und Herren! Die Fraktionen möchten die verbundene Tagesordnung um zwei Punkte erweitert wissen.
Gemäß § 26 — Zusatz — beantrage ich, die Drucksachen V/2316 und V/2246 — zweite und dritte
*) Siehe Anlage 2
7082 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Frehsee
Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung — auf die Tagesordnung zu setzen. Im zuständigen Ausschuß, dem Ausschuß für Arbeit, ist diesem Gesetzentwurf einmütig zugestimmt worden. Die Änderung soll zum 1. Januar 1968 in Kraft treten. Deswegen ist es notwendig, daß wir den Punkt noch in dieser Woche erledigen. — Ich bitte, Herr Präsident, diesen Tagesordnungspunkt, wenn möglich, noch heute vormittag aufzurufen.
Des weiteren bitte ich im Namen aller Fraktionen, die Drucksache_ V/2348 — Antrag aller Fraktionen des Hauses betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses — auf die Tagesordnung zu setzen. Gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes soll der Vermittlungsausschuß wegen des im Bundesrat — auch in der von diesem Ausschuß vorgeschlagenen Fassung — abgelehnten Gesetzes über die Gebäude- und Wohnungszählung 1968 einberufen werden.
Meine Damen und Herren! Soweit ich sehe, ist dieser interfraktionelle Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses Drucksache V/2348 unstreitig. — Ich höre keinen Widerspruch; der Punkt kommt auf die Tagesordnung.
Wie ist es mit der Drucksache V/2316? — Kein Widerspruch; dieser Punkt kommt ebenfalls auf die Tagesordnung.
Können beide Anträge ohne Aussprache erledigt werden?
— Dann setze ich die beiden Anträge nach Punkt 2 als Punkt 3 auf die Tagesordnung, und zwar zunächst den Antrag Drucksache V/2348 und danach den Antrag Drucksache V/2316.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Tagesordnung.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksachen V/2333, zu V/2333 —
Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Hat sich der Bundeskanzler von der SPD überzeugen lassen, daß die Politik der Stärke in der Außenpolitik nicht zum Erfolg führt?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundeskanzleramtes.
Herr Kollege Ertl, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: „Politik der Stärke" ist ein Schlagwort, das seit Jahren oft gebraucht wird. ohne daß man sich genau Rechenschaft darüber gibt, was darunter verstanden werden soll. Wer mit diesem Schlagwort eine Politik bezeichnen wollte, die außenpolitische Ziele mit Drohungen und Erpressungen zu erreichen sucht, dem ist zu antworten, daß keine Bundesregierung seit 1949 je eine solche Politik verfolgt hat. Wenn jedoch mit dem Wort der Stärke lediglich die Bereitschaft gemeint sein sollte, die Grundpositionen der deutschen Politik aufrechtzuerhalten und gegen Bedrohungen unserer nationalen Existenz gerüstet zu sein, dann würde es sich damit um eine selbstverständliche Voraussetzung unserer gemeinsam von beiden Koalitionpartnern getragenen Außenpolitik handeln, die es deshalb nicht nötig haben, sich gegenseitig von der Richtigkeit dieser Maxime zu überzeugen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Frage so bewerten, daß Sie in Ihrer Antwort den Fraktionsvorsitzenden der SPD dahin gehend belehren wollten, daß seine Meinung nicht zutrifft, die da lautet — nach „Kölner Stadtanzeiger" vom 27. November 1967 —:
Schmidt behauptete, Bundeskanzler Kiesinger habe sich von der SPD davon überzeugen lassen, daß die Politik der Stärke in der Außenpolitik nicht zum Erfolg führe.
Offensichtlich war das dem Fraktionsvorsitzenden Schmidt bis zu Ihrer Erläuterung nicht ganz klar.
Herr Kollege Ertl, ich bin nicht hier, um Interpretationen zu irgendwelchen Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der SPD zu geben, sondern ich bin hier, um auf Ihre Frage zu antworten, was die Bundesregierung zur Sache zu sagen hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich darf dann nochmals fragen: Sie erklären, daß die Politik, wie Sie interpretiert haben, Bestandteil der beiden Koalitionsfraktionen und somit die Fortführung der alten Politik ist?
Herr Kollege Ertl, ich habe erklärt, daß die sogenannte Politik der Stärke niemals so verstanden werden durfte, daß irgendeine Bundesregierung geglaubt habe, sich mit Drohungen oder Erpressungen durchsetzen zu können, gewiß auch nicht jene Regierungen, die von Ihrer Partei, Herr Kollege Ertl, mitgetragen wurden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7083
Herr Staatssekretär, weshalb dementieren Sie Dinge, die nie behauptet worden sind?
Ich habe hier nicht interpretiert, sondern ich habe ganz im Gegenteil die Bitte des Herrn Kollegen Ertl, zu interpretieren, was Herr Kollege Schmidt gesagt hat, abgelehnt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der Frage meines Kollegen Ertl frage ich Sie: Konnte in der Bundesregierung schon Übereinstimmung über die Frage erzielt werden, ob die derzeitige Ostpolitik der Bundesregierung eine neue oder noch die alte ist?
Die Bundesregierung führt eine gemeinsam von beiden Koalitionen getragene Ostpolitik, die sich selbstverständlich an die Änderungen der Weltlage angepaßt hat.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die Rechtslücken zu schließen, die es ausländischen Geheimdiensten straflos ermöglichen, in der Bundesrepublik Deutschland gegen dritte Staaten zu operieren?
Herr Kollege, Vorgänge in der Bundesrepublik im Sommer dieses Jahres haben Überlegungen darüber veranlaßt, wie man ausländischen Geheimdiensten strafrechtlich begegnen könnte. An diesen Überlegungen 'sind Innenministerium und Auswärtiges Amt beteiligt. Diese Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Es geht dabei einmal um die nicht leicht zu klärende Frage, wie man befugte und unbefugte geheimdienstliche Tätigkeit unterscheiden könnte. Außerdem muß, wenn wir eine strafrechtliche Lösung erreichen wollen, darauf Bedacht genommen werden, daß das, was im Strafrechtsänderungsgesetz zum Landesverrat, zu dessen Präzisierung und Abgrenzung vorgesehen ist, nicht wieder ins Schwimmen kommt. Die Überlegungen werden fortgesetzt, sind also noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau. Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dröscher. — Herr Abgeordneter Dröscher ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Frage 4 des Herrn Abgeordneten Matthöfer:
In welchem Verhältnis stehen die jetzt zu bewältigenden Aufgaben der Bundesnotaufnahmestelle 'in Berlin zu der Zahl der in dieser Dienststelle dort noch beschäftigten Beamten und Angestellten?
Herr Abgeordneter, das Bundesnotaufnahmeverfahren, das durch das Notaufnahmegesetz vom 22. August 1950 geregelt wurde, dient der Aufnahme und Verteilung von geflüchteten oder übergesiedelten Deutschen aus der Sowjetzone.
Die personelle Ausstattung der Notaufnahmedienststellen mußte sich naturgemäß nach den jeweiligen Verhältnissen richten. Während die Zahl der Bediensteten in der Berliner Dienststelle im Zeitpunkt der Errichteung der Mauer am 13. August 1961 noch 223 betrug, ist sie bis zum heutigen Tage auf 29 reduziert worden. Darunter sind ein Beamter, nämlich ein Oberregierungsrat, der von meinem Ministerium_ abgeordnet ist, als Leiter der Dienststelle, zwei Angestellte des höheren Dienstes und zehn Angestellte des gehobenen Dienstes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. etwa 300 Antragsteller im mündlichen bzw. schriftlichen Verfahren;
2. etwa 900 Anfragen und Amtshilfeersuchen;
3. etwa 150 persönliche Beratungen, insbesondere von ehemaligen politischen Häftlingen und Rentnerbesuchen aus Ost-Berlin und aus der SBZ;
4. Betreuung von etwa 200 in- und ausländischen Besuchern;
5. Mitarbeit an der Erstellung der Zentralen Ortskartei für das Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz. In diesem Zusammenhang werden monatlich zwischen 3000 und 4000 Akten ausgewertet.
Zusatzfrage.
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, Herr Bundesminister, daß nach Ihrer Überzeugung die Anzahl der Beschäftigten mit der anfallenden Arbeit ungefähr in Einklang steht, oder beabsichtigt die Bundesregierung einen weiteren Abbau?
Ich darf dazu sagen, daß zwei große Bereiche unverändert sind, die man zu berücksichtigen hat. Erstens werden, wie Sie wissen, die Leistungen nach den verschiedenen Betreuungsgesetzen nur gewährt, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren, wie das Notaufnahmeverfahren, abgewickelt ist. Zweitens ist, wie Ihnen bekannt ist, der Wille, die Absicht, in die Zone der Freiheit umzusiedeln, nach dem Bau der Mauer nicht geringer geworden. Deshalb werden Sie mir wohl darin
7084 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Bundesminister von Hassel
zustimmen, daß dieses Notaufnahmeverfahren und die Einrichtung in Berlin beibehalten werden müssen.
Andererseits ist es selbstverständlich, daß das Ministerium prüft, ob man weitere Verminderungen vornehmen muß oder nicht. Ich glaube, in absehbarer Zeit sollte eine Reduzierung des Personalbestandes nicht vorgenommen werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ist Vorsorge getroffen, daß die künftigen deutschen Atomkraftwerke über eine ausreichende Uranversorgung zu internationalen Konkurrenzpreisen verfügen?
Treffen Berichte zu, wonach durch die Verzögerung der Verhandlungen seitens der Bundesregierung mit den Denison Mines Ltd., Toronto, die das größte Uranerzvorkommen der westlichen Welt besitzen, sich inzwischen Japan die Hälfte der gegenwärtigen Forderung der Denison Ltd. gesichert hat und deswegen jetzt für Deutschland eine Uranversorgung nur noch unter wesentlich schlechteren Bedingungen möglich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat insofern Vorsorge für die künftige Uranversorgung deutscher Atomkraftwerke getroffen, als sie die politischen Voraussetzungen hierzu durch den Abschluß bilateraler Abkommen mit den USA und mit Kanada geschaffen hat. Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen deutscher Industriekreise, im In- und Ausland nach Uran zu prospektieren und Rechte an ausländischen Uranvorkommen zu erwerben. Bis 1972 ist die Uranversorgung der deutschen Kernkraftwerke durch Käufe der Betreiber sichergestellt. Die Betreiber, die Energieversorgungsunternehmen, haben sich mit Ausnahme der Betreiber des Kraftwerks Obrigheim bisher nicht entschließen können, Urankaufverträge über diesen Zeitpunkt hinaus abzuschließen. Am 15. Dezember 1967 und am 23. Januar 1968 sind Gespräche des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung mit Vertretern der großen deutschen Verbundunternehmen vorgesehen, in denen die Voraussetzungen für langfristige Verträge erörtert werden sollen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt .
Wie lange ist Ihrer Schätzung nach die Zeit, die für Ausbauinvestitionen entsprechender Uranbergwerke benöftigt wird, mit denen die deutsche Produktion sichergestellt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann ich nicht genau beantworten. Ich will es gern feststellen und Ihnen schriftlich mitteilen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt .
Kann die Meldung des Wirtschaftsdienstes „Energiewirtschaft" richtig sein, daß das bei einem Erzbergbau etwa sechs bis sieben Jahre und einen Einsatz von einer Milliarde erfordert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den mir zugegangenen Mitteilungen, Herr Abgeordneter, ist diese Zahl übertrieben.
Die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt beantworte ich wie folgt. Derartige Berichte treffen nicht zu. Die Bundesregierung kommt als Käufer für große Uranmengen nicht in Betracht und hat deshalb entsprechende Kaufverhandlungen weder geführt noch verzögert. Es trifft zu, daß die beiden größten japanischen EVUs für sich und die sieben anderen japanischen EVUs 15 500 short tons Uranoxyd zur Lieferung zwischen 1968 und 1982 bei den kanadischen Uranproduzenten Denison und Rio Algom gekauft haben. Es ist jedoch nicht erwiesen, daß deswegen für deutsche Verbraucher nur noch eine Uranversorgung zu schlechteren Bedingungen möglich wäre. Bei großen Urankaufverträgen verlangt der Verkäufer Vorauszahlung und sofortige Abnahme großer Jahresmengen, die zunächst noch gar nicht gebraucht werden." Erhebliche Zinszahlungen wären damit verbunden. Deshalb könnte das heute langfristig gekaufte Uran teurer werden als kurzfristig später gekauftes, da die künftige Entwicklung des Uranpreises ungewiß ist. Mit einem absoluten Mangel an Uran braucht nach unserem Dafürhalten nicht gerechnet zu werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, wird nicht die Frage des Uranverbrauchs eine sekundäre Rolle spielen, wenn die sogenannten schnellen Brüter installiert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, auch der Bedarf ist nicht mit Sicherheit vorauszusehen, da er ja sehr stark von den verwendeten Typen abhängt. Noch kann niemand mit Sicherheit absehen, wo die Zukunft bei den Reaktortypen liegt. Aber Sie haben recht: wenn wir mehr schnelle Brüter haben, wird der Bedarf geringer.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich dos Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7085
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Peters auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch Rechtsverordnung zu klären, daß alle landwirtschaftlichen Interventionspreise nach Einführung der Mehrwertsteuer Nettopreise sind, zu denen der Mehrwertsteuersatz an die Anbieter zu zahlen ist?
Bitte, Herr Minister!
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Peters wegen des Sachzusammenhanges gemeinsam zu beantworten.
Einverstanden. Ich rufe dann auch die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Peters auf:
Wird die Bundesregierung bei Inkrafttreten der Mehrwertsteuer bei allen agrarischen Importen die Einfuhrsteuer in Höhe des Mehrwertsteuersatzes erheben?
Kann die Bundesregierung nine Auskunft darüber geben, wie hoch die landwirtschaftlichen Bedarfsgüter: Gasöl, Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel, Schlepper, landwirtschaftliche Maschinen, Neubau von Wirtschaftsgebäuden, Maschinenreparaturen und Gebäudereparaturen bisher mit kumulativer Umsatzsteuer belastet sind?
Bitte, Herr Minister!
Zur ersten Frage möchte ich sagen, daß eine Verordnung nicht der richtige Weg ist, um eine solche Frage zu klären. Sie wird allein auf dem Wege der Auslegung der EWG-Marktordnungen und des geltenden Steuerrechts entschieden. Die Bundesregierung ist mit dieser Frage befaßt und wird bemüht sein, den beteiligten Wirtschaftskreisen ihre Entscheidung so schnell als möglich bekanntzugeben.
Zur zweiten Frage: Die Importe von Agrarprodukten können und sollen nicht anders behandelt werden, als es das Mehrwertsteuergesetz für alle Produkte vorschreibt.
Zur dritten Frage: Im Auftrag der Bundesregierung wurde im Jahre 1962 durch die Forschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode eine Untersuchung über die Steuervorbelastung durch die bisherige Umsatzsteuer für einzelne entscheidende landwirtschaftliche Betriebsmittel und Dienstleistungen angestellt. Dabei ist — mit all dem Vorbehalt, der solchen Rechnungen zugrunde liegen muß — folgendes festgestellt worden: Gasöl hat eine Umsatzsteuervorbelastung von 5 bis 6 %, Handelsdünger von 6 bis 7 %, Pflanzenschutzmittel von 7,5 bis 9 %, Schlepper von 8 bis 9 %, landwirtschaftliche Maschinen von 7,5 bis 8,5 %, Wirtschaftsgebäude von etwa 7 %, Maschinenreparaturen etwa 5 %. und Gebäudereparaturen etwa 5 °/o.
Diese Angaben unterliegen starken zeitlichen und örtlichen Schwankungen. Die Höhe der Belastungen hängt u. a. auch von der Zahl der Unternehmen ab, die die Ware auf ihrem Weg zum Verbraucher oder zum Käufer durchwandert, und den unterschiedlichen Gewinnspannen und Kosten des einzelnen Lieferanten. Es kann sich hier also nicht um genaue Zahlen, sondern nur um Anhaltspunkte handeln.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind wir uns darin einig, daß eine Erklärung des Interventionspreises zum Bruttopreis für die landwirtschaftlichen Erzeuger eine Preisminderung um 5 °/o bedeuten würde?
Ich möchte sagen: eine Preisminderung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Bundesminister, sind Sie in der Lage, diese Preisminderung annähernd auszurechnen und uns bekanntzugeben?
Dazu bin ich durchaus in der Lage. Ich weiß nur nicht, ob das Haus hier ein Rechenexempel von mir verlangt. Man müßte dann die bisherige und die jetzige Belastung miteinander in Vergleich setzen, wobei mein Standpunkt bekannt ist und sich mit Ihrer Auffassung deckt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise Landhändler ausgerechnet haben, daß das einen zusätzlichen Einnahmeverlust für die Landwirtschaft von etwas mehr als 500 Millionen DM bedeuten würde? Trifft das nach Ihrer Meinung zu?
Ich bin der Meinung, daß dieses „würde" nicht eintreten sollte.
Herr Abgeordneter Peters!
Herr Bundesminister, folgen Sie mir, daß bei Nichterheben der Umsatzeinfuhrsteuer bei agrarischen Produkten auf das deutsche Preisniveau ein Preisdruck von mindestens 5 % eintreten würde?
Ich möchte Ihnen nicht folgen, vielmehr bin ich der Meinung, daß die steuerliche Belastung bei der nächsten Stufe, bei der Verarbeitung, eintreten müßte, so daß für den Erzeuger kein effektiver Unterschied eintreten würde.
Eine weitere Zusatzfrage.
7086 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Herr Bundesminister, können Sie mir nicht folgen, daß diese Preisminderung, wenn sie bei der Bearbeitung einträte, wie Sie soeben gesagt haben, dann auf den Erzeuger, auf den Anbieter durchschlagen würde?
Ich bin der Meinung, daß der Erzeuger durch diese Regelung, ob sie nun so oder so getroffen wird, nicht benachteiligt wird.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin erklärt, daß die Belastung mit kumulativer Umsatzsteuer bei den einzelnen landwirtschaftlichen Bedarfsgütern etwa zwischen 5 und 9 °/o liegt. Folgen Sie mir, daß die Belastung durch die Mehrwertsteuer für diese Güter 10 % betragen wird, daß also eine zusätzliche Belastung, eine Verteuerung der Bedarfsgüter um ca. 3% — nach den Zahlen, die Sie soeben bekanntgegeben haben — eintreten wird?
Ich habe soeben mitteilen müssen, daß die Zahlen, die ich bekanntgegeben habe und die aus den Untersuchungen vom Jahre 1962 stammen, nur Globalzahlen und Anhaltspunkte, aber keine genauen Zahlen sind.
Deswegen kann ich Ihnen auch nicht folgen. Ich weiß auch nicht, warum Sie immer verlangen, daß ich Ihnen folgen soll. Ich kann höchstens Ihrer Meinung sein. Ich kann solche Pauschalurteile über die steuerliche Inzidenz hier nicht abgeben; das müßte ganz genau berechnet werden. Ich bin gern bereit, solche Berechnungen anzustellen, die natürlich ihre Zeit brauchen. Im übrigen glaube ich nicht, daß die Meinungen der Erzeuger, die sie ja bereits gehört haben, so pauschal und global ausfallen, wie Sie das vortragen.
Herr Abgeordneter Ertl!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß bei der Beratung der Mehrwertsteuer im Ernährungsausschuß von den Vertretern der Regierung erklärt worden ist, durch den Satz von 5 % für Erzeuger und 10 % — inzwischen 11 % — bei Betriebsmitteln und Bedarfsgütern werde sich eine gegenseitige Deckung ergeben? Offensichtlich ist es nun doch nicht so, offensichtlich besteht eine negative Bilanz insofern, als die Bedarfsgüter teurer werden und die Erzeuger zudem auch noch Einkommenseinbußen erleiden. Trifft das zu?
Ich weiß es nicht; ich war nicht anwesend. Wenn es so gewesen ist, daß der
Vertreter der Bundesregierung diese Erklärung abgegeben hat, dann spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie richtig ist.
Wir kommen zur Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dröscher. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Zunächst die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Geldner:
Welche Initiativen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Forderung des Bundesgesundheitsministers zu erfüllen, Bund, Länder und Gemeinden sollten künftig in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung alle Chancen zur Bekämpfung der Volks- und Zivilisationskrankheiten wahrnehmen?
Herr Kollege Geldner, eine vollständige Beantwortung dieser Frage würde meiner Meinung nach die Möglichkeiten der mündlichen Fragestunde weit übersteigen. Ich muß mich deswegen auf drei Schwerpunkthinweise beschränken.
Einmal hat das Bundesministerium für Gesundheitswesen beim Bundesgesundheitsamt in Berlin den Aufbau einer Abteilung Umweltschäden und Zivilisationskrankheiten begonnen. Aufgaben dieser Abteilung sollen sein: Beobachtung der Volks-und Zivilisationskrankheiten, ihres Verlaufs, ihrer Häufigkeit, vor allem der Zusammenhänge zwischen Krankheiten und heutigen Lebens- und Umweltverhältnissen sowie der demographischen Gegebenheiten, ebenso Möglichkeiten der Früherkennung und der Bekämpfung dieser Krankheiten.
Außerdem bemühen wir uns bekanntlich um eine Erweiterung der Bundeskompetenz, damit auch legislativ das Notwendige zur Verhütung, Früherkennung und Bekämpfung der Volks- und Zivilisationskrankheiten getan werden kann.
Als dritten Schwerpunkt würde ich die Gesundheitsaufklärung und die Gesundheitserziehung nennen. Sie ist verbreitert worden und wird weiter intensiviert, insbesondere auf dem Gebiete der Gesundheitsvorsorge durch eigene gesunde Lebensweise. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln bedient sich der heute möglichen Mittel, um die Eigenverantwortlichkeit der Menschen für ihre Gesundheit zu fördern, und sie arbeitet mit den Ländern und auch mit den freien Verbänden, die auf diesem Gebiet tätig sind, eng zusammen.
Frau Bundesministerin, ich bitte um Nachsicht, daß ich die Frage in der vorliegenden Form zugelassen habe. Sie entspricht nicht den Vorschriften der Geschäftsordnung unter Ziffer 5, wonach nur Einzelfragen zulässig sind. Die Frage beinhaltet in der Tat die Frage nach einem Programm.
Aber bitte, Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7087
Frau Bundesminister, sehen Sie hinsichtlich Ihrer Kompetenzen große Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit den Ländern und den Kommunen?
Herr Kollege Geldner, ich hatte gesagt: wir bemühen uns um eine Erweiterung der Bundeskompetenz. Das Bundeskabinett hat beschlossen, die Erweiterung der Bundeskompetenz auf dem Gebiete des Gesundheitswesens noch in dieser Legislaturperiode anzustreben, und hat das auch dem Bundesrat bereits mitgeteilt. Die entsprechenden Vorlagen sind aber im Kabinett noch nicht verabschiedet. Ich kenne die Reaktion der Länder darauf nicht. Der Versuch, bei den Gemeinschaftsaufgaben die Krankenhausfinanzierung einzubeziehen, trifft nicht in dieses Gebiet.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Bundesminister, würden Sie notfalls bei großen Widerständen der Länder auch eine Grundgesetzänderung anstreben?
Die Erweiterung der Bundeskompetenz ist eine Grundgesetzänderung, die wir anstreben, — nicht notfalls, sondern als Voraussetzung dafür, daß beispielsweise ein Bundesgesetz für die Erkennung und Bekämpfung der Volks- und Zivilisationskrankheiten geschaffen werden könnte.
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
In welchen westdeutschen Großstädten werden bereits mehr giftige Abgasbestandteile registriert als in vergleichbaren amerikanischen Städten?
Glaubt die Bundesregierung, daß allein über das Lebensmittelrecht der Gefahr zu begegnen ist, die darin liegt, daß von 100 Todesfällen angeblich annähernd 30 auf Erkrankungen zurückzuführen sind, die von der Ernährung beeinflußt werden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Dann die Fragen des Herrn Abgeordneten Biechele. — Zur Beantwortung, Frau Bundesministerin.
Herr Präsident, ich würde gern zuerst die Frage beantworten, die beim Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht.
Einverstanden, ich rufe dann die Frage 61 auf:
Kann die Bundesregierung über Verlauf und Ausbreitung der Tollwut, von der vor allem Baden-Württemberg betroffen ist, Auskunft geben?
Wie aus dem vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vierzehntäglich herausgegebenen Tierseuchenbericht, in dem unter anderem auch über Vorkommen und Ausbreitung der Tollwut berichtet wird, hervorgeht, sind in Baden-Württemberg zur Zeit in vier Regierungsbezirken mit 45 Kreisen und 195 Gemeinden Fälle von Tollwut registriert worden. An diesen Seuchenfällen sind beteiligt: der Fuchs mit etwa 80 %, die übrigen Wildtiere mit etwa 3 %, Haustiere mit etwa 17 %. Man kann davon ausgehen, daß diese Zahlenrelation in etwa auch für das übrige Bundesgebiet gilt.
Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, sehr verehrte Frau Minister, daß die Tollwut über die deutsch-schweizerische Grenze vorgedrungen ist und die ersten Tollwutfälle in den Kantonen Thurgau, Schaffhausen und Zürich gemeldet wurden, und besteht deswegen, was doch wünschenswert wäre, eine deutsch-schweizerische Zusammenarbeit in der Bekämpfung dieser Seuche?
Ja, Herr Kollege Biechele, idas ist bekannt. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten tauscht mit den eidgenössischen Dienststellen laufend die 14täglich erscheinenden Tierseuchenberichte aus, aus denen die jeweilige Seuchenlage der Tollwut in den angrenzenden Gebieten hervorgeht. Zwischen den örtlichen deutschen und schweizerischen Stellen besteht ein enger Kontakt, aber über Art und Umfang dieses Kontaktes kann ich leider ohne entsprechende Rückfragen, die längere Zeit in Anspruch nehmen würden, heute keine Auskunft geben.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Ministerin, würden Sie so freundlich sein, durch weitere Informationen Art und Wirksamkeit dieser Zusammenarbeit zwischen den deutschen und schweizerischen Stellen festzustellen.
Herr Kollege Biechele, an sich gehört das in das Gebiet der Tierseuchenbekämpfung. Dafür ist der Herr Kollege Höcherl zuständig. Ich bin aber überzeugt, daß er Ihrem Wunsch gern nachkommt.
Ich rufe jetzt die Frage 12 des Abgeordnete Biechele auf:
Welche vorbeugenden Schutzmaßnahmen wurden für die durch die Tollwut gefährdeten Menschen veranlaßt?
Ich darf diese Frage wie folgt beantworten: In allen Bundesländern besteht ein Netz von Toll-
7088 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Bundesminister Frau Strobel
wutberatungsstellen, die zum Teil Universitätskliniken oder größeren Krankenhäusern ,angeschlossen sind. Sie verfügen über besondere fachliche und klinische Erfahrungen; in ihnen kann sich jeder Bürger beraten lassen, wenn auch nur der geringste Verdacht einer Tollwutinfektion besteht. Nötigenfalls führen sie sogleich die Wutschutzbehandlung durch.
Bei der derzeitigen Verbreitung der Tollwut kommt der verstärkten Aufklärung der Bevölkerung neben anderen vorbeugenden Maßnahmen die größte Bedeutung zu. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln wird daher die Landesbildstellen und Filmotheken der Landesfilmdienste mit Kopien eines Films „Tollwut — Gefahr für Mensch und Tier" versorgen, um damit einen großen Personenkreis auf die Gefahren der Tollwut aufmerksam zu machen.
Zur Unterrichtung der Ärzte hat das Bundesgesundheitsamt das Merkblatt „Verhütung und Bekämpfung der Tollwut — Ratschläge an Ärzte —" herausgegeben.
Zusatzfrage.
Kennt die Bundesregierung die Folgen des Vorkommnisses — meines Wissens in Wangen im Allgäu —, daß vor kurzem von Tollwuterregern infiziertes Fleisch als Nahrungsmittel für Menschen verkauft wurde?
Folgen aus dem genannten Ereignis sind nach meiner Kenntnis bis jetzt nicht aufgetreten.
Zweite Zusatzfrage.
Sind Sie der Überzeugung, Frau Ministerin, daß die Länderregelungen „gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren" — das ist der Wortlaut des Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes — hier zur Bekämpfung der Tollwut ausreichen und deswegen kein Bedürfnis einer bundesgesetzlichen Regelung besteht?
Herr Kollege Biechele, wie Sie schon sagten, sind für die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren nicht die Länder zuständig, sondern der Bund hat die Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes. Er hat davon durch das Bundesseuchengesetz vom 18. Juli 1961 Gebrauch gemacht. Die Länder führen nach Art. 83 GG die Bundesgesetze und somit auch das Bundesseuchengesetz als eigene Angelegenheit aus.
Für den Gehalt Ihrer Frage möchte ich sagen: ich bin der Meinung, daß das Bundesseuchengesetz für den Humanbereich ausreicht. Hinsichtlich der Wildtiere gilt aber das Viehseuchengesetz. Eine diesbezügliche Antwort müßte nun wiederum mein
Kollege Höcherl geben. Ich fühle mich nicht berechtigt, darüber eine Aussage zu machen, ohne das Landwirtschaftsministerium konsultiert zu haben.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe zunächst die Frage 13 des Abgeordneten Ramms auf:
Teilt die Bundesregierung 'die Auffassung, daß durch sorgsamere Koordinierung insbesondere der Straßen- und Tiefbauvorhaben zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden hohe Beträge eingespart werden könnten?
Herr Kollege, selbstverständlich werden bei einer sorgfältigen Koordinierung aller Tiefbauarbeiten erhebliche Kosten eingespart, die zu leisten wären, wenn es an dieser Koordinierung fehlte.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Ramms auf:
Ist auf Grund der Tätigkeit des am 30. Juni 1966 konstituierten Koordinierungsausschusses für Straßenbauplanung eine Verbesserung der Koordinierung eingetreten?
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden nächsten Fragen gemeinsam beantworten könnte. Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich beide Fragen zusammen beantworte?
Dann rufe ich auch die Frage 15 des Abgeordneten Ramms auf:
Welche Aufgaben hat die Bundesregierung dem Koordinierungsausschuß für Straßenbauplanung zugewiesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Grundsätzlich kann Ihre erste Frage bejaht werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß beim Bundesstraßenbau die gesetzliche Grundlage für eine Koordinierungspflicht die §§ 16 und 18 des Bundesfernstraßengesetzes sind. Hierbei handelt es sich um die Vorschriften über das Raumordnungsverfahren und über das Planfeststellungsverfahren. Dieses gesetzliche Koordinierungsverfahren hat sich bewährt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. Erarbeitung einheitlicher Planungsgrundsätze, 2. Abstimmung der Maßstäbe für die Festlegung der Ausbaudringlichkeit, 3. Abstimmung von Planungen mehrerer Straßenbaulastträger und 4. Abstimmung der Baumaßnahmen in der Ausführung.
Die Tatsache, daß der Koordinierungsausschuß sich aus den Leitern der Straßenbauverwaltungen des Bundes und der Länder sowie aus entsprechenden Persönlichkeiten der kommunalen Spitzenverbände zusammensetzt, ermöglicht eine Abstimmung der Grundlagen zwischen allen Baulastträgern, wo-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7089
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
durch mittelbar eine Verbesserung der Koordinierung — auch der Straßen- und Tiefbauvorhaben — erreicht werden kann.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Koordinierungsausschuß zu sagen, er möge einmal die Straße, die von Dinslaken nach Bocholt führt, überprüfen, die heute im Kreis Dinslaken und Kreis Rees ausgebaut ist, deren Ausbau aber an der westfälischen Grenze, d. h. zum Kreis Borken-Bocholt, endet?
Herr Kollege, ich bin gerne bereit, der Angelegenheit nachzugehen. Ich muß nur darauf hinweisen, daß der Bundesminister für Verkehr lediglich im Rahmen seiner Zuständigkeit in solchen Dingen tätig werden kann. Wenn es sich um Landes- oder Kreisstraßen handelt, ist die Sache von der verfassungsrechtlichen Seite her etwas schwieriger.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Reichmann auf:
Sind Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer zollfreien Straße von Weil nach Lörrach durch die Schweiz inzwischen abgeschlossen?
Zur Beantwortung!
Herr Kollege, um den Beginn der Bauarbeiten an dieser Straße nicht bis zum Inkrafttreten eines notwendigen formellen Staatsvertrages hinausschieben zu müssen, soll als Grundlage für die Bauarbeiten eine technische Vereinbarung dienen. Über einen entsprechenden Entwurf wurde bei Verhandlungen zwischen dem Kanton Basel-Stadt und dem. Regierungspräsidium Südbaden bereits weitgehende Einigung erzielt. Allerdings bedarf es in dem wesentlichen Punkt, daß die Vereinbarung bereits ohne den formellen Staatsvertrag in Kraft treten kann, nochmaliger Verhandlungen. Das Regierungspräsidium Südbaden wird auf entsprechende Weisung des Innenministeriums Baden-Württemberg versuchen, auch in diesem Punkt mit dem Kanton Basel-Stadt eine Einigung zu erzielen. Der für den späteren Betrieb der Straße erforderliche formelle Staatsvertrag wird vorbereitet.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, bis zu welchem Zeitpunkt, glauben Sie, können diese technischen Vereinbarungen so weit abgeschlossen werden, daß mit der Inangriffnahme des Baues der Straße gerechnet werden kann?
Herr Kollege, ich glaube Ihnen auf Grund der Tatsache, daß sowohl der Kanton Basel-Stadt als auch das baden-württembergische Ministerium eingeschaltet sind, heute noch keine bindende Zusage geben bzw. keine zeitliche Begrenzung nennen zu können. Ich bin aber überzeugt, daß beide Partner sich bemühen werden, die Dinge sehr schnell in Ordnung zu bringen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte ich nach Abschluß dieser Vereinbarungen davon unterrichtet werden?
Aber sicher.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Reichmann auf:
Sind in den in Frage 16 erwähnten Verhandlungen Zeitpunkte zur Verwirklichung der zollfreien Straße vereinbart worden?
Herr Kollege, zu dieser Frage muß ich Ihnen sagen: Zeitpunkte zur Verwirklichung der Straße wurden bisher nicht festgelegt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Reichmann auf:
Bis wann kann mit der Einrichtung eines gemeinsamen deutschschweizerischen Zollamts in Weil gerechnet werden?
Herr Kollege, da an der zollfreien Straße Lörrach—Weil ein Zollamt nicht erforderlich wird, nehme ich an, daß mit dieser von Ihnen gestellten Frage das vorgesehene Zollamt an der Bundesautobahn gemeint ist. Die Autobahn endet, wie Sie wissen, zur Zeit in Weil, soll jedoch weiter über die Schweizer Grenze und durch die Stadt Basel in Richtung Zürich geführt werden. Die Errichtung des gemeinsamen Zollamtes an der deutsch-schweizerischen Grenze in Weil hängt in erster Linie von der Fertigstellung dieser Autobahnstrecke auf schweizerischem Gebiet ab.
Zusatzfrage!
Bis zu welchem Zeitpunkt etwa kann mit der Errichtung eines gemeinsamen Zollamtes gerechnet werden?
Herr Kollege, nach meinen Informationen ist die Planung der Autobahn auf schweizerischem Gebiet außerordentlich schwierig. Ich kann Ihnen heute deshalb nur sagen, daß
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Parlamentarischer Staatssekretär Börner
wir, wenn diese Autobahn auf schweizerischem Gebiet gebaut wird, sowohl das noch fehlende Stück zur Grenze als auch die Zollgebäude unverzüglich herstellen werden. Das ist keine Angelegenheit, die längere Zeit in Anspruch nehmen muß.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen: bestehen bereits derartige gemeinsame Zollämter?
Es gibt solche Zollämter an anderen Grenzpunkten, selbstverständlich. Ich bin überzeugt, daß wir auch mit der Schweiz eine Lösung finden, die den Bedürfnissen z. B. des großen Ferienreiseverkehrs gerecht wird.
Frage 19 des Herrn Abgeordneten Geldner:
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung aus dem Urteil des Dritten Zivilsenats des Bundesgerichtshofes für den Bereich der Bundesstraßen und Autobahnen, wonach die Mittelgebirgsstraßen ausreichend vor Steinschlag geschützt werden müssen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Forderung des Bundesgerichtshofs nach einer zumutbaren Sicherung gegen Steinschlag ist für den Bund ohne besondere Bedeutung. Die nötigen Schutzmaßnahmen sind schon bisher getroffen worden. Die Verkehrssicherungspflicht ist bei Bundesfernstraßen Sache der Auftragsverwaltungen. Die gefährdeten Strecken werden von den Straßenwärtern überwacht. Anfang 1966 ist ein besonderes Verkehrszeichen eingeführt worden, das vor Steinschlag warnt.
Keine Zusatzfrage.
Frage 20 des Herr Abgeordneten Ertl:
Aus welchen Gründen hat die Deutsche Bundesbahn nicht die Absicht, die Orte Holzkirchen und Wolfratshausen an das im Bau befindliche V-Bahnnetz anzuschließen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn hat von jeher die Einbeziehung der Vorortstrecken nach Holzkirchen und Wolfratshausen in das Münchner V-Bahn-Netz vorgesehen. Sie hat auch nicht die Absicht, diese Planungen zu ändern.
Herr Staatssekretär, sind Sie dann in der Lage, mir mitzuteilen, wann diese Planung in ein konkretes Stadium kommt, d. h. in das Baustadium?
Das ist von einer ganzen Reihe von technischen Maßnahmen abhängig, die jetzt im Großraum München im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Olympischen Spiele auch beim Ausbau des V-Bahn-Netzes getroffen werden müssen. Ich bin aber in der Lage, Ihnen heute zu sagen; daß das V-Bahn-Projekt vorsieht, die Südstrecken München—Holzkirchen und München—Wolfratshausen von Westen her in die bekannte Tunnelstrecke einzuführen. Hierzu ist eine Untertunnelung der Gleisanlagen des Münchner Hauptbahnhofs notwendig. Es ist keineswegs beabsichtigt, diese Planungen aufzugeben oder auf unbestimmte Zeit zurückzustellen. Nachdem jedoch die mit acht Jahren angesetzte Bauzeit für die Verwirklichung des Projekts im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 wesentlich verkürzt werden mußte, konnte die Einrichtung der Südstrecken bis zur Aufnahme des SBahn-Betriebs im Jahre 1972 nicht mehr garantiert werden. Der Vorstand der Bundesbahn hat deshalb am 13. Dezember 1965 dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München unter bestimmten Voraussetzungen die Inbetriebnahme der V-Bahn bis 1972 zugesagt, allerdings mit der Einschränkung, daß es voraussichtlich nicht gelingen werde, bis zu diesem Zeitpunkt auch die Südstrecken an den V-BahnTunnel unmittelbar anzubinden.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß neben vielen anderen betrieblichen Behinderungen, die der V-Bahn-Bau im Vorortbereich, insbesondere beim Bau der neuen Abzweigstellen mit den großen Bauwerken zwischen München-Hauptbahnhof und Pasing verursacht, nicht gleichzeitig noch weitere betriebliche Behinderungen auf sämtlichen Ferngleisen vor dem Münchner Hauptbahnhof in Kauf genommen werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß gerade an den Wochenenden ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem außerordentlich mangelhaften Nahverkehr nach dem Süden — sei es Wolfratshausen, sei es Tegernsee —, und zwar mit Fahrzeiten bei der Bundesbahn über eine Stunde für 50 km, und den überfüllten Straßen besteht, weil eben dadurch die Straßen bevorzugt werden und daher häufig Verkehrsunfälle eintreten? Wäre es da nicht notwendig, auch im Interesse der besseren Einnahmen der Bundesbahn, beschleunigt dieses Nahverkehrsnetz besser auszubauen, um auf höhere Einnahmen zu kommen?
Herr Kollege, das ist vorgesehen. Die Bundesbahn bemüht sich nach Kräften, die Dinge in Ordnung zu bringen. Sie hat, wie Sie richtig vermuten, ein großes wirtschaftliches Interesse, das U-Bahn-Netz so schnell wie möglich herzustellen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7091
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Ich muß hier nur darauf hinweisen, daß es gerade bei elektrifizierten Strecken für die Techniker ein Dilemma ist, wenn unter fließendem Verkehr gebaut werden muß; dadurch wird dann eventuell auch der gegenwärtige, dort auf diesen Strecken liegende Verkehr durch Bauarbeiten erheblich behindert. Die Bundesbahn bemüht sich, hier die Behinderung möglichst klein zu halten. Aber ich glaube, Sie sind mit mir einig, wenn ich Ihnen sage, daß im Hinblick auf die hohe Belastung dieses Netzes vor, während und nach den Olympischen Spielen alles getan werden muß, um die Strecke bald auszubauen, und daß gegenwärtige Behinderungen da und dort leider in Kauf genommen werden müssen.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Lemmrich auf:
Wann legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag deli Bericht des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vom 30. Juni 1967 vor, den der Bundesverkehrsminister angefordert hatte?
Sie wird von Herrn Abgeordneten Klepsch übernommen.
Herr Kollege, der auf Anforderung des Bundesministers für Verkehr vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn vorgelegte Bericht vom 30. Juni 1967 hat den Charakter einer ressortinternen Arbeitsunterlage. Er diente neben anderen Unterlagen als Material zur Aufstellung von Vorschlägen des Bundesministers für Verkehr zu dem Verkehrspolitischen Programm der Bundesregierung. Aus diesen Gründen war eine Vorlage des Berichts an den Deutschen Bundestag nicht geboten.
Eine Zusatz-. trage.
Wäre die Bundesregierung im Hinblick auf die besondere Bedeutung gerade dieses Berichts bereit, ihn dem Deutschen Bundestag zugänglich zu machen?
Herr Kollege, im Zusammenhang mit der Vorlage des Verkehrspolitischen Programms, das wahrscheinlich zu Beginn des neuen Jahres hier im Hohen Hause beraten wird, ist vorgesehen — und das habe ich biet früherer Gelegenheit schon ausführen dürfen —, dem Hohen Hause bzw. dem zuständigen Ausschuß alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die man braucht, um die Vorschläge des Verkehrspolitischen Programms richtig und grundlegend beraten zu können. In diesem Zusammenhang ist es selbstverständlich, daß die Vorstellungen des Vorstands der Deutschen Bundesbahn im Verkehrsausschuß des Hohen Hauses entsprechend beraten werden und daß auch die Unterlagen herangezogen werden können, die Sie in der Fragestellung angesprochen haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Verstehe ich Sie richtig, daß wir den vollständigen Text auf diese Weise erhalten werden?
Das kann ich Ihnen nicht zusagen, weil es sich zum Teil um betriebsinterne Angaben handelt, die die Konkurrenzsituation der Deutschen Bundesbahn als Wirtschaftsunternehmen betreffen. Ich bin aber bereit, Ihnen zuzusagen, daß alle für die Urteilsbildung des Hohen Hauses notwendigen Unterlagen aus dieser Vorlage zur Verfügung gestellt werden, soweit dadurch nicht eine Tangierung dieses Gesichtspunkts, den ich eben genannt habe, erfolgt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung dazu, daß, ohne daß uns der Bericht des Vorstands der Deutschen Bundesbahn vorliegt, bereits lein kalter Abbau von Bundesbahndirektionen erfolgt, wie dies z. B. bei der Bundesbahndirektion Augsburg in der Weise geschieht, daß ein neuer Präsident nicht mehr berufen worden ist?
Herr Kollege, auch diese Frage, die Sie anschneiden, steht in engem Zusammenhang mit bestimmten Aussagen, die das Verkehrspolitische Programm der Bundesregierung trifft. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Frage der Rationalisierung der Verwaltung der Deutschen Bundesbahn nicht erst in dem Verkehrspolitischen Programm aufgegriffen wird, sondern eine Angelegenheit ist, die schon seit Jahren betrieben wird. Ich halte es deshalb für sinnvoll, daß bestimmte Möglichkeiten der Einsparung von Dienstposten auch heute schon ergriffen werden, und sehe darin keinesfalls eine Präjudizierung von Entscheidungen des Hohen Hauses. Wenn das Hohe Haus z. B. im Rahmen der Beratungen des Verkehrspolitischen Programms zu der Konsequenz käme, daß Augsburg unbedingt seine Bundesbahndirektion behalten soll und dafür gewisse andere Einsparungsmaßnahmen in Kauf genommen werden sollen, dann ist es sicher nur eine Frage ganz kurzer Zeit, einen neuen Präsidenten zu berufen. Ich bin aber der Meinung, daß die jetzt getroffene Regelung im Hinblick auf die Schwierigkeit der Verwaltungsrationalisierung der Deutschen Bundesbahn durchaus besser ist, als es die Berufung eines neuen Präsidenten gewesen wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiland.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung wenigstens bereit, diesen Bericht der Deutschen Bundesbahn den Mitgliedern des Verkehrsausschusses im Originalwortlaut vorzulegen?
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Herr Kollege, das habe ich vorher ja angedeutet, daß sie dazu bereit ist. Ich bin sicher, wir werden uns über einige wichtige Aussagen dieser Unterlagen noch zu unterhalten haben.
Herr Staatssekretär, ich hatte Sie leider dahingehend verstanden, daß Sie den Mitgliedern des Verkehrsausschusses nur den Auszug vorlegen wollen. Ich habe dankbar zur Kenntnis genommen, daß der Originaltext vorgelegt wird.
Herr Kollege, ich habe — um es noch einmal zu präzisieren — gesagt, daß ich der Meinung bin, daß nur wie bisher auch in anderen Fällen vermieden werden sollte, hier interne Teile der Betriebsrechnung bekanntzugeben, da eine öffentliche Debatte darüber die Konkurrenzsituation der Bundesbahn eventuell noch schwieriger machen könnte, als sie heute ist. Diese Einschränkung muß ich machen. Ich sehe aber darin keinen Gegensatz zu dem, was Sie im Grunde für die politische Beratung hier an Unterlagen haben wollen.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Was geschieht mit den im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugen, wenn im Sommer 1968 die von der Bundesregierung angekündigte Verordnung erlassen wird, wonach alle Hersteller von Kraftfahrzeugen gezwungen werden, Abgasreiniger einzubauen, wie das bereits bei einem Teil der nach den USA exportierten Fahrzeuge geschieht?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Leber vom 6. Dezember 1967 lautet:
Die für Sommer 1968 vorgesehene Verordnung soll den Anteil schädlicher Stoffe in den Abgasen der Kraftfahrzeuge bei verschiedenen Betriebszuständen begrenzen. Sie wird nur auf neu in den Verkehr kommende Fahrzeuge angewendet werden, da eine nachträgliche Ausrüstung bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge auf erhebliche technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten stößt.
Bei Fahrzeugen, die nach 1962 in den Verkehr gekommen sind, soll jedoch der Kohlenmonoxydgehalt des Abgases im Leerlauf auf höchstens 4,5 Vol. % festgelegt werden. Dieser Wert ist so gewählt, daß er ohne zusätzliche Einrichtungen durch genaue Motor- und Vergasereinstellung eingehalten werden kann. Eine Verordnung hierzu ist bereits mit den Bundesressorts abgestimmt und wird voraussichtlich noch in diesem Monat dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet werden.
Nun die Fragen 23 und 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer:
Entspricht die in dem Brief des Präsidenten der Bundesbahndirektion Stuttgart an den Bürgermeister der Gemeinde Oberstenfeld vom 25. November 1967 dargelegte Absicht, das Gelände der Bottwartalbahn nördlich von Steinheim zu verkaufen, dem langfristigen Verkehrsplan der Bundesregierung, in dem die Deutsche Bundesbahn auch in Zukunft das Rückgrat unseres Verkehrsnetzes sein soll?
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß bei der Stillegung der Strecke nördlich von Steinheim zwar alle Kosten verursachenden Bahnanlagen abgebaut werden, jedoch das Gelände im Besitz der Deutschen Bundesbahn bleibt, um die Trasse für mögliche Entwicklungen in der Zukunft offenzuhalten?
Die Fragen werden auch im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Leber vom 6. Dezember 1967 lautet:
In die Beurteilung eines Antrages des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn auf Einstellung des Gesamtbetriebes einer Strecke wird auch die Frage einbezogen, ob die bisherige Trasse beibehalten werden soll oder nicht. Im Falle der Bottwartalbahn ist allerdings eine Entscheidung über die Einstellung des Gesamtbetriebes solange zurückgestellt, bis mir ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Land Baden-Württemberg, der Deutschen Bundesbahn und den Verkehrsinteressenten über eine Weiterführung des Schienenbetriebes zwischen Marbach und Steinheim vorliegt. Selbstverständlich wird bei der Behandlung des Antrages des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn die verkehrspolitische Konzeption der Bundesrepublik beachtet.
Bei den Überlegungen, das Plenum einer stillzulegenden Strecke beizubehalten, ist zu beachten, daß zwar gewisse Kosten verursachende Bahnanlagen abgebaut werden können, daß aber die Vorhaltung des Plenums laufend unvermeidliche Kosten verursacht. So sind z. B. Durchlässe, Bahnübergänge, Stützmauern usw. laufend zu unterhalten. Je nach den örtlichen Gegebenheiten einer Strecke können sich dabei beachtliche Beträge ergeben. Im Falle der schmalspurigen Bottwartalbahn müßte darüber hinaus noch geprüft werden, inwieweit die vorhandene Trasse für einen anderen Verkehrsweg geeignet ist. Wahrscheinlich müßte sogar an zusätzlichen Geländeerwerb zur Verbesserung der Linienführung gedacht werden.
Aus den vorgenannten Gründen, denen nur ein geringer Verkehrswert der Strecke gegenüberzustellen ist, wird kaum eine Möglichkeit bestehen, der Deutschen Bundesbahn die Erhaltung der Trasse aufzuerlegen.
Frage 25 ides Herrn Abgeordneten Dr. Enders:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung vorzubereiten, um eventuellen Schwierigkeiten vorzubeugen, die sich aus der Sperrung der Zonen-Reichsbahnstrecke zwischen Dankmars-hausen und Gerstungen für die osthessische Kaliindustrie in . organisatorischer, betrieblicher oder finanzieller Hinsicht ergeben könnten?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat gemeinsam mit der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn und der Hers-felder Kreisbahn rechtzeitig Vorsorge getroffen, daß bei Sperrung der Zonenreichsbahnstrecke zwischen Dankmarshausen und Gerstungen keine organisatorischen oder betrieblichen Schwierigkeiten für die osthessische Kaliindustrie entstehen. Infolgedessen konnten bereits am 1. Dezember 1967, am Tage der Sperre, Kalizüge über die Hersfelder Kreisbahn nach Bebra gefahren werden.
Für die Deutsche Bundesbahn entstehen durch die neue Streckenführung gewisse betriebliche Schwierigkeiten infolge größerer Steigungen und engerer Kurven auf der Hersfelder Kreisbahnstrecke. Es müssen entweder Kalizüge geteilt oder mit Vorspann-Loks gefahren werden. Finanziell entstehen der osthessischen Kaliindustrie keine höheren Kosten, jedoch wird sich nach Abschluß der noch laufenden Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und der Hersfelder Kreisbahn ergeben, ob und welche Mehrkosten der Deutschen Bundesbahn entstehen und wer diese Mehrkosten zu tragen hat.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, da zweifellos durch eine politische Entscheidung im anderen Teil Deutschlands für das osthessische Zonenrandgebiet eine veränderte Situation entstanden ist, frage ich, ob die Bundesregierung bereit ist, eventuelle Verbesserungen an der Hersfelder Kreisbahn in technischer Hinsicht oder an den Bahnanlagen finanziell zu unterstützen.
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich die noch laufenden Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundes-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7093
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
bahn und der Hersfelder Kreisbahn heute nicht durch eine Meinungsäußerung stören möchte. Ich möchte nur grundsätzlich sagen, daß ich mit Ihnen über die Ursache der jetzigen Schwierigkeiten völlig einig bin und daß sich daraus auch eine politische Verpflichtung der Bundesregierung ergibt.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, es ergibt sich noch ein zweites Problem durch die schienengleichen Bahnübergänge, die gerade auf dieser Strecke häufig sind. In einer Ortschaft, in Sorga, sind es allein drei. Ist die Bundesregierung bereit, dazu beizutragen, daß jetzt auf Grund des stärkeren Verkehrs die Sicherheit an diesen Bahnübergängen durch die Anlage von Blinklichtampeln oder vielleicht durch Über- oder Unterführungen erhöht wird?
Herr Kollege, auch diese Frage berührt die von mir erwähnten noch laufenden Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und der Hersfelder Kreisbahn. Ich bin aber durchaus mit Ihnen einer Meinung, daß eine Verstärkung des Verkehrs auf dieser Strecke auch eine strengere Überprüfung der Sicherheitsbestimmungen nötig macht. Ich darf aber darauf hinweisen, daß bei Kalizügen auch geringe Geschwindigkeiten gefahren werden und daß durch das Läutwerk bzw. die Dampfpfeife der Lok entsprechende Vorsignale gegeben werden können. Ich bin aber gern bereit, Ihrer Anregung nachzugehen und zu bitten, daß dieser Gesichtspunkt in den Verhandlungen besonders berücksichtigt wird.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Opitz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Bundesbahndirektionen bei Vermietung von bundesbahneigenen Immobilien an gewerbliche Unternehmer die bisherige Bruttomiete zur Nettomiete erklärt haben und darauf 10 % Mehrwertsteuer verlangen?
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Abgeordneten Opitz zusammen beantworten zu dürfen.
Bitte sehr. Ich rufe auch die Frage 27 des Abgeordneten Opitz auf:
Hält die Bundesregierung die Berechnung der Bruttomiete für vermietete Immobilien durch die Bundesbahndirektionen für vereinbar mit den Bemühungen, bei der Einführung der Mehrwertsteuer die Nettopreise gegenüber den früheren Bruttopreisen angemessen zu senken?
Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn mit gewerblichen Unternehmern die bisherigen Mieten und Pachten mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an als Nettoentgelte vereinbart und dazu von diesem Zeitpunkt an 10 % Mehrwertsteuer verlangen wird. Diesem Vorgehen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Die Entgelte aus der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken sind bisher umsatzsteuerfrei. Daher besteht nicht die Möglichkeit, daß die Deutsche Bundesbahn diese Entgelte um einen eigenen Umsatzsteueranteil ermäßigt.
2. Für das Gesamtunternehmen Deutsche Bundesbahn wird die durch den Wegfall der Umsatzsteuer bei den Vorlieferungen und Vorleistungen. entstehende Entlastung im wesentlichen durch Belastungen ausgeglichen, die mit der Einführung des Mehrwertsteuergesetzes verbunden sind.
Im Hinblick auf den speziellen Bereich der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken kommt hinzu, daß Vorlieferungen und Vorleistungen für diesen Bereich kaum in Anspruch genommen werden. Eine Entlastung von der Umsatzsteuer auf solche Vorlieferungen und Vorleistungen ist daher kaum zu verzeichnen. Nach den Berechnungen der Deutschen Bundesbahn tritt allenfalls eine Entlastung zwischen 0,29 und 0,56 0/o ein. Eine Ermäßigung der Mieten und Pachten um solche Bruchteile von Prozenten würde aber schon allein durch den Verwaltungsaufwand ausgeglichen werden, der der Deutschen Bundesbahn durch die Neuberechnung der Mieten und Pachten entstehen würde.
Keine Zusatzfragen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend. Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Westphal auf:
Mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung mit den obersten Jugendbehörden der Länder darüber verhandelt, das Forderungsprogramm für Erzieher in Wohnheimen der Jugendhilfe aus dem Bundesjugendplan in die Förderung durch die Länder zu überführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß die beiden ersten Fragen zusammen beantwortet werden.
Bitte sehr. Dann rufe ich noch die Frage 29 des Abgeordneten Westphal auf:
Haben die obersten Jugendbehörden der Länder ihre Zuständigkeit für die Förderung des in Frage 28 erwähnten Programms pädagogischer Hilfen in Jugendwohnheimen prinzipiell anerkannt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß sich die Bundesregierung schon im Jahre 1964 bemüht hat, den Bundesjugendplan nach den Vorschriften des Jugendwohlfahrtsgesetzes umzugestalten. Im Zuge dieser Verhandlungen hat die Bundesregierung die Länder auch darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeit für die Förderung der pädagogischen Betreuungskräfte in den Wohnheimen der Jugendhilfe bei ihnen liege. Die obersten Leiter der Jugendbehörden der Länder haben dieser Erklärung nicht widersprochen. In der Folgezeit hat die Bundesregierung mehrfach darauf hingewiesen, daß eine Förderung durch den Bund nur noch
7094 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Staatssekretär Dr. Barth
für begrenzte Zeit möglich sei. Zuletzt ist das mit dem Durchführungserlaß vom 14. Dezember 1966 für den derzeitigen Bundesjugendplan und dann noch einmal durch ein besonderes Rundschreiben vom März dieses Jahres geschehen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß sie die Länder eindringlich auf die Folgen hingewiesen hat, die entstehen müssen, wenn die Übernahme dieser Programme durch die Länder nicht erfolgen sollte.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, haben die Länder in den Verhandlungen, die der Bund ja schon zu einem recht frühen Zeitpunkt geführt hat, auch das Argument vorgebracht, eine Neuverteilung der Förderungsaufgaben der Jugendhilfe könne nur im Zusammenhang mit den Debatten über die Finanzreform zwischen Bund und Ländern, also nicht im Einzelfall wie hier bei diesem Förderungsprojekt für die Jugendwohnheime, vorgenommen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Jahre 1964 fanden noch keine Verhandlungen oder Besprechungen über eine Finanzreform statt. Deswegen kann mir ein solcher. Hinweis der Länder auch nicht bekannt sein.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung zu dem Zeitpunkt, als sie den Entwurf des Bundesjugendplans 1968 für den Haushaltsentwurf fertigstellte und keinen Ansatz für dieses Programm mehr ausbrachte, gewußt, daß die Mehrzahl der Länder nicht bereit und in der Lage sein würde, die Ansätze zu übernehmen und selbst das Förderungsprogramm fortzuführen?
Dr. Barth, .Staatssekretär im Bundesministerium für Familie und Jugend: Herr Abgeordneter, der Bundesregierung war von einer solchen Haltung der Länder im einzelnen nichts bekannt. Sie hat allerdings schon damals befürchten müssen, daß die Länder — zum Teil jedenfalls — trotz klarer Zuständigkeit nicht bereit sein würden, dieses Programm zu übernehmen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie verhält sich nach Ansicht der Bundesregierung diese ablehnende Haltung zu den bekannten Bemühungen einiger Länder, dem Bund einen Teil seiner Zuständigkeiten für Förderungsaufgaben der Jugendhilfe wegzunehmen, was leider im Karlsruher Urteil vom 18. Juli 1967 zu der Folge geführt hat, daß diese Zuständigkeit in gewisser Weise eingeschränkt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf darauf hinweisen, daß die Länder noch unmittelbar vor der Verkündung des Karlsruher Urteils in einer Kommission, die die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern untersuchen sollte, die Auffassung vertreten haben, der Bundesjugendplan insgesamt sei der Zuständigkeit der Länder zuzurechnen, mit Ausnahme der Aufgaben aus dem Bereich der auswärtigen Beziehungen und mit Ausnahme der gesamtdeutschen Aufgaben.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, zu diesem Komplex die letzte Frage. Welche Ländier haben sich zur Fortführung des Förderungsprogramms bereit erklärt, wieviel Mittel haben sie angesetzt, und wie viele von den über tausend Jugendwohnheimen, die es gibt, können daraufhin in Zukunft weiterhin pädagogische Helfer beschäftigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, bis jetzt haben sich nach Unterrichtung der Bundesregierung die Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen zur teilweisen Übernahme dieses Förderungsprogramms bereiterklärt. Die Bundesregierung glaubt zu wissen, daß von seiten der Länder dafür ein Betrag in Höhe von 900 000 DM gegenüber 2,53 Millionen DM, die bisher für dieses Programm aus dem Bundesjugendplan aufgewandt worden sind, bereitgestellt wird. Die Bundesregierung geht davon aus, daß, wenn die anderen Länder die Programme nicht übernehmen sollten, etwa ein Drittel der derzeitigen Betreuungskräfte in den Wohnheimen der Jugendhilfe nicht mehr gefördert werden können, aber etwa zwei Drittel doch noch ihre Tätigkeit fortsetzen können.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Baier.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die zwischen Bund und Ländern offensichtlich ungeklärte Förderungsfrage auf dem Rücken der jungen Menschen ausgetragen wird, weil bei einer Nicht-Bezuschussung im kommenden Jahr eben nicht genügend Erzieher in den Wohnheimen zur Verfügung stehen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß diese Frage so nicht richtig gestellt ist. Nicht der Bundesregierung ist zuzurechnen, daß diese Streitfrage eventuell auf dem Rücken der Betreuungskräfte ausgetragen wird. Für die Bundesregierung steht seit 1964 fest, daß sie für die Förderung dieses Programms nicht zuständig ist. Sie hat dies mit aller wünschenswerten und notwendigen Deutlichkeit seit 1964 immer wieder zum Ausdruck gebracht. Wenn also schon davon gesprochen wird, daß dieser Konflikt auf dem Rücken der Betreuungskräfte ausgetragen wird, muß gesagt wer-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7095
Staatssekretär Dr. Barth
den, daß das in diesem Fall allein den Ländern zuzuschreiben ist.
Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Strohmayr das Wort.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß für den Fall, daß die Länder die Kosten für die Betreuungshelfer nicht mehr übernehmen, die Träger dieser Heime ganz einfach gezwungen sind, diese Betreuer zu entlassen, weil ja in Jugendheimen bekanntlich nur mit Defizit gearbeitet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist der Bundesregierung bekannt; sie hat nicht unterlassen, die Länder auf diese Konsequenzen hinzuweisen.
Damit kommen wir zur letzten Frage. — Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Westphal auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Länder das in Frage 28 erwähnte Forderungsprogramm im Jahre 1969 übernehmen werden, wenn es gelingen würde, auf Bundesebene für 1968 eine Übergangsregelung zustande zu bringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, leider besteht nach den Erfahrungen, die bisher in dieser Frage gemacht worden sind, nach Auffassung der Bundesregierung keine Aussicht, daß durch eine überbrückende Maßnahme die Schwierigkeiten im Jahre 1969 behoben werden könnten. Die Bundesregierung würde es sehr begrüßen, wenn — vielleicht in einer nochmaligen Erörterung dieser Frage mit den Ländern — ein Weg gefunden werden könnte, der zu einer Lösung beiträgt.
Eine Zusatzfrage !
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht sagen, daß das Argument der Länder, daß man diese Fragen des Förderungsprogramms und der neuen Zuständigkeitsordnung im Bundesjugendplan zusammenfassend behandelt und nicht im Einzelfall vorwegnimmt, eine gewisse Berechtigung hat, auch wenn ich Ihrer Ansicht zustimme, daß Sie rechtzeitig damit begonnen haben, das den Ländern klarzumachen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich würde diese Frage bejahen, wenn nicht in diesem Fall die Länder schon seit vier Jahren auf die Folgen hingewiesen worden wären.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, müssen wir also am Schluß dieses Gesprächs leider feststellen: die negative Antwort der Länder bedeutet, daß ein sehr erfolgreiches Programm durch die mangelnde Förderungsbereitschaft der Länder kaputtzugehen droht, selbst wenn der Bundestag bereit wäre, eine Übergangslösung für ein Jahr zustande zu bringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich fürchte, Herr Abgeordneter, daß diese Annahme begründet ist.
Nun noch die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer:
Erhalten studentische Organisationen, die gegen die grundgesetzliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland agitieren, Unterstützungen aus öffentlichen Kassen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung seiner Frage einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Meine Damen und Herren, auf die Bitte der Fraktion der SPD unterbreche ich die Sitzung bis 10.30 Uhr.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion hat mich gebeten, ihr noch eine weitere Überlegungsfrist bis um 11 Uhr zu geben. Ich entspreche diesem Wunsch. Ich bedaure, meine Damen und Herren; sonst haben wir nur eine Verlängerung der Debatte hier im Plenum. Also bis 11 Uhr unterbrochen.
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Arbeitsplan
— Drucksache V/2346 —
Die Drucksache liegt Ihnen vor. Wird das Wort zu dem Tagesordnungspunkt gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Frehsee!
Ich spreche zur Geschäftsordnung. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD beantrage ich gemäß § 26 Abs. 4 der Geschäftsordnung Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung der Plenarsitzung und Verweisung des Gegenstandes — Arbeitsplan des Bundestages — an den Ältestenrat.
Die Fraktion der SPD ist der Meinung, daß die Verständigung über den Arbeitsplan des Bundestages und über den Geschäftsplan nach § 14 der Ge-
7096 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Frehsee
schäftsordnung Angelegenheit des Präsidenten nach Verständigung zwischen den Fraktionen im Ältestenrat ist.
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Rasner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen. Wir befinden uns in der vorletzten Arbeitswoche dieses Jahres und haben über den Arbeitsrhythmus des nächsten Jahres zu beschließen. Dieses Haus und alle Kollegen haben ein Anrecht darauf, disponieren zu können.
Ich schlage Ihnen vor, Herr Präsident, daß wir hier über den Arbeitsrhythmus gemäß dem Antrag, den wir vorgelegt haben und den mein Kollege Wagner begründen wird, abstimmen und alle Einzelheiten, die sich nach der Entscheidung über den Arbeitsrhythmus ergeben, danach im Ältestenrat festlegen.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag zu, die Sache heute von der Tagesordnung abzusetzen, weil wir nicht der Meinung sind, daß Fragen, die so weitgehend in die Arbeitsfähigkeit des Hauses eingreifen, hier in einer Abstimmung entschieden werden sollten.
Wir sind aber der Ansicht, daß der Bundestag noch in dieser Woche seinen Arbeitsrhythmus festlegen muß.
Ich bitte Sie deshalb, Herr Präsident, den Ältestenrat auf morgen einzuberufen, damit wir am Freitag abschließend von dem Arbeitsrhythmus Kenntnis nehmen können.
Meine Damen und Herren, ehe ich abstimmen lasse, möchte ich folgendes zur Sache sagen, da die Angelegenheit in die Kompetenz des Hauses und des Präsidenten fällt.
§ 14 der Geschäftsordnung, auf den sich Herr Abgeordneter Frehsee bezogen hat, bestimmt die Aufgaben des Ältestenrates; er sagt aber ausdrücklich, daß der Ältestenrat kein Beschlußorgan ist.
Die Vereinbarungen im Ältestenrat können immer nur unter der Voraussetzung getroffen werden, daß ihnen das Haus nicht widerspricht.
In einer so wichtigen Frage, wie sie der Arbeitsplan des ganzen Hauses darstellt, wäre es gegenüber dem Hohen Hause unfair, wenn man ihm nicht wenigstens die Möglichkeit der stillschweigenden Einlassung gäbe. Das haben wir getan; es wird auch in Zukunft sichergestellt werden.
Im übrigen kann gar kein Zweifel darüber bestehen, meine Damen und Herren, daß der Bundestag in eigener Kompetenz in dieser Sache bestimmt. Das impliziert schon Art. 39 Abs. 3 des Grundgesetzes, wo es heißt:
Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen.
Das bedeutet: er ist Herr seines Arbeitsplans.
Wenn wir im Ältestenrat zu einem Einvernehmen kommen, das vom Hause mitgetragen wird, ist die Sache in Ordnung. Wenn aber Widerspruch erhoben wird, muß das Haus entscheiden.
Maine Damen und Herren, ich lasse jetzt über den Antrag des Herrn. Abgeordneten Frehsee abstimmen, der darauf hinausläuft: Neuerwägung im Ältestenrat, dann aber Bericht an das Haus. Ich brauche für eine so weitgehende Sache einfach die Zustimmung des Hauses.
Herr Abgeordneter Schmidt, zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Ich wäre dankbar, wenn das Präsidium dieses Hauses bei der Festsetzung des Zeitplans genauso verfahren würde, wie das seit 1949 auch geschehen ist.
Herr Abgeordneter Schmidt, ,dem steht gar nichts im Wege.
Bis jetzt war die Sache immer einvernehmlich. — Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz richtig, bis jetzt war die Sache immer einvernehmlich. Dieses Haus wird sich niemals einstimmig auf einen Arbeitsplan einigen können. Das ist völlig ausgeschlossen, weil die arbeitsmäßige Situation eines jeden Kollegen anders ist. Das ist eindeutig. Bisher ist eine Einigung im Ältestenrat erzielt worden, und die ist dem Haus vorgetragen worden. Das Haus hat zwar den Ältestenrat oft beschimpft und gesagt: Was haben die da wieder ausgemacht! Aber es hat das akzeptiert. Eine Plenarabstimmung hat es bisher über diese Frage noch nie gegeben. Im Ältestenrat sind wir in der vorigen Woche einig gewesen. Allerdings ist im Plenum, wenn ich die Debatte vom vergangenen Freitag richtig sehe
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7097
Rasner
— keine Debatte —, als der Präsident das bekanntgab, sehr erheblich gemurrt und Widerspruch eingelegt worden. Infolgedessen hat der Präsident gesagt, es müsse ein Antrag gestellt werden. Ich persönlich halte diese Methode nicht für zweckmäßig.
Wir haben es dennoch getan. Aber ich halte gar nichts davon, daß das Haus sich jetzt auch noch der Abstimmung über den Rhythmus entzieht. Lassen Sie uns wenigstens den Rhythmus beschließen. Die technischen Einzelheiten mögen dann dem Ältestenrat überlassen bleiben. Dann haben wir wenigstens eine klare Entscheidung in diesem Hause.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem, was heute morgen in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion besprochen worden ist, fühle ich mich berechtigt, zu sagen, daß auf der neuen Basis im Ältestenrat sehr rasch ein Übereinkommen erzielt werden könnte. Ich halte das für besser, als wenn wir hier in einer Kampfabstimmung entscheiden, bei der auf jeden Fall Unzufriedene zurückbleiben werden — wie überhaupt bei jeder Regelung, die wir im Ältestenrat vereinbaren. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zuzustimmen, den Punkt von der Tagesordnung abzusetzen und dem Ältestenrat noch einmal Gelegenheit zu geben, sich über den Zeitplan zu verständigen.
Meine Damen und Herren, es liegen zwei Anträge vor. Der weitergehende ist der Antrag von Herrn Abgeordneten Frehsee, die Sache jetzt abzusetzen und an den Ältestenrat zurückzuverweisen. Das bedeutet allerdings, daß die Sache unter Umständen erneut an das Plenum kommen kann. Nach dem anderen Antrag, der nach wie vor besteht, soll jetzt über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache V/2346 entschieden werden.
Ich lasse zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Frehsee abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Im Sitzungsvorstand besteht Uneinigkeit. Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten Frehsee ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Einmütigkeit im Sitzungsvorstand: das letztere ist die Mehrheit; der Antrag des Herrn Abgeordneten Frehsee ist abgelehnt.
Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU hat Herr Abgeordneter Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen meine Herren! Es gibt keinen Zweifel: es gibt eine breite Unzufriedenheit mit den bisherigen Regelungen unseres Arbeits- und Zeitplans. Jede Woche wiederholen sich die gleichen Klagen.
Die Ausschüsse haben zu wenig Zeit für ihre Beratungen. Ob Sie als Beispiel den Haushaltsausschuß, den Finanzausschuß, den Sozialpolitischen Ausschuß, den Innenaussschuß oder den Recht sausschuß nehmen, — sie alle suchen mühselig nach Tagungszeiten.
Beschließt ein Ausschuß die Anhörung von Sachverständigen, wird die andere Ausschußarbeit oft auf Wochen hinaus lahmgelegt. Ich bin der Meinung, daß sich dieses Problem der Anhörungen im nächsten Jahr verstärkt stellen wird.
In bezug auf das Plenum gibt es die gleiche Klage. Wir hören: das Plenum ist zu wenig aktuell. Der Bundestag in Gänze hat jeweils erst am Mittwoch die Möglichkeit zu debattieren. Wir finden zu wenig Zeit für das Plenum. So mußte beispielsweise in der letzten Woche eine so wesentliche Diskussion wie die über die Sportförderung zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt ausgetragen werden; es gab keine andere Möglichkeit.
Dazu kommt, daß der Freitag als voller Sitzungstag weitgehend entwertet ist. Wir muten unseren Kollegen zu, jede Woche zehn bis zwölf Stunden für die Anreise und die gleiche Zeit für die Rückfahrt aufzuwenden.
Besonders stark wird die Kritik über die Arbeitsmöglichkeiten der Fraktionen geführt. Wir kommen heute in den Fraktionssitzungen gerade dazu, die laufenden Punkte der Tagesordnung der betreffenden Woche zu erörtern. Für ausführlichere Gespräche bleibt keine Zeit. Wenn wir z. B. das Finanzänderungsgesetz in dieser Woche termingerecht verabschieden können, ist das sicherlich allein der Tatsache zu verdanken, daß wir in einer Berliner Sitzungswoche die Möglichkeit hatten, uns an mehreren Tagen in den Fraktionen auszusprechen, zu einigen und damit die Grundlage für die jetzige Entscheidung zu legen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Arbeitspensum des nächsten Jahres — ich nenne nur die Themen Notstandsrecht, Finanzverfassungsreform, Strafrechtsreform, Unehelichenrecht — wird es noch mehr notwendig machen, in den Fraktionen ausführlich zu beraten.
Wenn der Bundestag seine Aufgabe als Kontrollorgan auf der einen Seite und als Gesetzgebungsorgan mit eigenem Initiativrecht auf der anderen Seite voll nützen will, braucht er mehr Zeitfür seine Beratungen. Wenn wir diese Zeit nicht gewinnen, laufen wir Gefahr, nur zu einem Akklamationsorgan zu werden, ohne wesentlich auf die Gestaltung der Entscheidungen Einfluß zu nehmen.
Der Vorschlag, den Ihnen die CDU/CSU vorlegt, ist sicherlich nicht die Ideallösung, aber ein wesentlicher Schritt nach vorn. Lassen Sie mich dazu ein paar Zahlen nennen. Die Zahl der Arbeitswochen in der Zeit von Januar bis Juli beträgt in diesem Jahr
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Wagner
14. Wir würden im nächsten Jahr im gleichen Zeitraum 13 Arbeitswochen haben. Für die Fraktionsarbeit aber würden insgesamt statt 21 Tagen 26 volle Tage zur Verfügung stehen. Das Plenum könnte an Stelle von 21 Tagen an 26 Tagen zusammentreten. Die Ausschüsse würden sieben volle Tage gewinnen; eine Steigerung von 14 auf 21 Tage.
Ich komme zu dem Ergebnis, daß dieser Vorschlag eine wesentliche Besserung bedeutet. Der einzige Einwand, den ich bisher gehört habe, lautet, daß vielleicht das eine oder andere Wochenende für die Arbeit in den Wahlkreisen verlorenginge.
Meine Damen und Herren, seien wir doch redlich und erkennen wir an, daß die Samstage und Sonntage für politische Arbeit schon weitgehend ihren Wert verloren haben. Wir gewinnen mehr, wenn wir nach zwei Arbeitswochen eine sitzungsfreie Woche für die Arbeit im Wahlkreis anschließen; bisher stand dafür nur jede vierte Woche zur Verfügung. Sagen wir weiter genauso redlich, daß doch für einen großen Teilunserer Kollegen dieses Wochenende gar nicht ausfällt, nämlich für alle diejenigen nicht, die hier im Westen der Bundesrepublik wohnen. Dieser Anteil wird sich sicherlich noch verstärken, wenn die in Aussicht genommene Regelung Platz greift, daß wir ab Beginn des kommenden Jahres die Möglichkeit haben, Flugzeuge und Schlafwagen zu benutzen.
Ich komme also abschließend zu der Auffassung, daß wir mit der von uns vorgeschlagenen Regelung eine Verbesserung unserer Arbeitsweise erzielen können. Ich bin der Meinung, daß diese Regelung es wert ist, daß wir sie wenigstens bis zur Sommerpause versuchsweise einführen. Ich möchte Sie daher bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Ich präzisiere ihn nach der Anregung ,des Kollegen Rasner in der Form, daß wir jetzt beschließen, einen Arbeitsrhythmus einzuführen, der zwei Wochen zu einer Arbeitseinheit zusammenfaßt und darauf eine sitzungsfreie Woche folgen läßt. Die Einzelheiten der Ausgestaltung der Arbeitswochen können wir dann im Ältestenrat vereinbaren. Ich bitte Sie noch einmal, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD habe ich Absetzung von der Tagesordnung und Zurückverweisung an den Ältestenrat beantragt. Diesem Antrag ist nicht stattgegeben worden. Konsequenterweise — konsequent insofern, als die Fraktion der SPD diesen Antrag auf Absetzung ja mit der Begründung gestellt hat, daß es nicht Sache des Plenums sein kann, über die Einzelheiten der Gestaltung seines Arbeitsplanes zu verhandeln —
nehmen wir zum Sachgegenstand nicht Stellung. Die
Fraktion der SPD ist nach wie vor der Meinung,
daß sachliche Auseinandersetzungen über die Gestaltung des Arbeitsplanes und die Überlegungen, die notwendig sind, um die verschiedenartigsten persönlichen Bedürfnisse soweit als möglich zu berücksichtigen, in den Ältestenrat gehören.
Die Fraktion der SPD kann aus diesem Grunde dem Antrag der CDU/CSU auf Drucksache V/2346 ihre Zustimmung nicht geben und wird ihn ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß das Haus auf Grund unübersichtlicher Mehrheitsverhältnisse — wie ich ohne Kritik am Präsidium feststellen möchte — gezwungen wird, heute in der Sache zu entscheiden. Wir sind bereit, einem Rhythmus: zwei Tagungswochen, eine sitzungsfreie Woche, zuzustimmen; wenn sich die Beschlußfassung ausschließlich darauf bezieht, werden wir zustimmen. Wir erwarten aber, daß die Ausfüllung dieses Beschlusses noch in dieser Woche in einer Ältestenratssitzung erfolgt.
Uns leitet dabei das Bestreben, eine Reihe von Korrekturen an dem Vorschlag der CDU anzubringen. Insbesondere scheint uns der Vorschlag der CDU nicht die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse, die rationelle Ausnutzung der Plenarsitzungen und eine ordnungsgemäße und ausführliche Parlamentsberichterstattung zu gewährleisten. Um diesen Bedenken Rechnung tragen zu können, wünschen wir eine erneute Beratung im Ältestenrat, aber auch eine abschließende Klärung, damit die Kollegen am Ende dieser Woche auch insoweit disponieren können.
Herr Abgeordneter, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie jetzt eine Änderung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU insoweit beantragt, als die beiden Zeilen „Präzenzpflicht: . . ." und „Freitags . . ." jetzt nicht Gegenstand der Abstimmung sein sollen. Habe ich Sie recht verstanden?
Ich bitte, zu trennen — soweit das bei einem solchen Antrag möglich ist — und nur über die Worte zu beschließen:
Arbeitsplan
Arbeitsrhythmus: 2 Tagungswochen
1 sitzungsfreie Woche,
im übrigen aber den Antrag nicht zur Entscheidung zu stellen.
Das würde also bedeuten, daß hinter den Worten „1 sitzungsfreie Woche" ein Punkt gemacht und über den Antrag bis dahin abgestimmt wird. Ich werde das
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7099
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
beim Aufruf zur Abstimmung berücksichtigen. — Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie ich schon einleitend gesagt habe, müssen wir darauf bestehen, daß wenigstens über den Arbeitsrhythmus hier und heute abgestimmt wird. Ich stimme also insoweit dem Kollegen Genscher zu, daß alle Einzelheiten im Ältestenrat beraten werden sollten. Auch wir bestehen darauf, Herr Präsident, daß die Entscheidung darüber noch in dieser Woche gefällt und dem Hause bekanntgegeben wird. Dieses Haus muß disponieren können. Unser Antrag kann also von dem Wort „Präsenzpflicht" an gestrichen werden.
Das bedeutet also, daß Sie Ihren Antrag insoweit modifizieren, daß er mit dem Antrag des Herrn Abgeordneten Genscher übereinstimmt.
Das Wort zur Begründung eines Änderungsantrags der Abgeordneten Collet, Marx, Müller, Neumann, Sänger und Genossen hat der Herr Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es auch lieber gesehen, wenn diese Angelegenheit gleich dem Ältestenrat überwiesen worden wäre. Ich hatte mich auch für diesen Antrag entschieden. Andererseits bin ich der Meinung, daß es, da es sich um einen Vorschlag handelt, der der Effektivität der Arbeit dieses Hauses dienen soll, auch nichts schaden kann, wenn wir uns über diese Frage einmal hier unterhalten.
Seit langem konnte man bei vielen Abgeordneten — die Zahl ließ sich nie feststellen — ein Unbehagen über den derzeitigen Arbeitsrhythmus bemerken, den viele als unrationell empfanden. In der privaten Wirtschaft wäre es unmöglich, daß man vor der Alternative steht: entweder Einzelwochen mit 48 Reisetagen im Jahr oder Doppelwochen mit 24 Reisetagen im Jahr.
Es ist natürlich recht schwierig, zwischen der Arbeit hier im Hause und der Tätigkeit im Wahlkreis den richtigen Arbeitsrhythmus zu finden. Im Wahlkreis werden die Abgeordneten ständig angegriffen, weil sie dort nicht genügend zur Verfügung stehen, und hier sollen sie in den Plenarsitzungen ihre Pflicht tun. Nach der derzeitigen Regelung sollen sie praktisch ständig aus dem Koffer leben und immer wieder unerledigte Akten von Bonn in den Wahlkreis und vom Wahlkreis nach Bonn transportieren, weil ihre Arbeit hier und dort nie richtig anlaufen- kann;
sie müssen darüber hinaus Rücksicht auf günstige Termine für Veranstaltungen im Wahlkreis nehmen. Solch ein günstiger Termin ist mit Sicherheit — wegen des bevorstehenden Wochenendes — der Freitagabend. Dem steht aber entgegen, daß häufig freitags nachmittags Sitzung ist. Andere gute Ter-
mine sind die Samstage und sonntags nach den Gottesdiensten die politischen Frühschoppen.
Auf der Suche nach einer möglichst günstigen, kontinuierlichen Arbeitsmöglichkeit zwischen Bonn und dem Wahlkreis ergibt sich jetzt für den Abgeordneten nichts weiter als eine Hetze, die in der Vergangenheit manchen hier auch gesundheitlich schon schwer getroffen hat.
Es mag erstaunlich sein, daß ein Abgeordneter, der erst seit zwei Jahren die Ehre hat, diesem Hohen Hause anzugehören, und der erst dreimal zu politischen Sachfragen gesprochen hat, sich nun hier besonders engagiert. Aber vielleicht hat er noch nicht so resigniert und steht noch im Kampf mit sich selber in der Auseinandersetzung um rationelles Arbeiten. Ich kenne die Argumente von Abgeordneten, die diesem Hohen Hause schon lange angehören. Sie sagen: Wir haben alles versucht; es hat doch keinen Wert, wir können es nicht ändern.
Nun, ich bin der Meinung, daß auch der Antrag der CDU/CSU dieser Vorstellung von der rationellen Arbeitsweise dienen soll und von da aus auch die Unterstützung eines Teiles der Mitunterzeichner dieses Änderungsantrages finden könnte. Aber er hat mehr wichtige Freitage in seinem Plan, als sie mein Änderungsplan hier vorsieht. Gerade diese Freitagstermine in den Wahlkreisen sind von Bedeutung.
Ich darf also noch einmal sagen, es dreht sich hier nicht um einen Gegensatz oder Gegenantrag zum CDU-Antrag, sondern er hat vielmehr das gleiche Ziel und will den vorhandenen Gedanken lediglich weiterentwickeln. Ich habe das Problem dadurch zu lösen versucht, daß in dem Plan die gleiche Anzahl von Tagungswochen enthalten ist — vergleichen Sie bitte, meine Damen und Herren —, allerdings soll die Osterpause statt vier Wochen nur drei Wochen dauern und die Sommerpause eine Woche später beginnen. Damit haben wir aber den Zwei-zweiTurnus als Basis. Aber der Samstag in der Mitte der Doppelwoche — nicht der letzte; da soll ja freitags mittags schon Schluß sein, damit man noch in den Wahlkreis gehen kann — soll dann hier als echter Einsatztag, als halber Arbeitstag vorgesehen werden.
Ich darf also feststellen: dieser Änderungsantrag enthält drei volle Arbeitstage mehr — wenn ich halbe Tage zusammenrechne —, nicht etwa weniger, und gibt doch die Möglichkeit des Doppelrhythmus statt des Rhythmus zwei-eins.
Ich darf nun diejenigen, die in der Nähe — in Bonn und Umgebung — wohnen und täglich nach Hause fahren können, und auch diejenigen, die in jedem Fall — ganz gleich, welchen Rhythmus wir hier beschließen — am Wochenende nach Hause fahren können, bitten, zugunsten eines Teiles derer, die den Rhythmus zwei-zwei bevorzugen, doch einmal ihren Standpunkt zu überprüfen. Ich glaube, das wäre ein Akt der Gerechtigkeit.
Ich bitte, da es sich nicht um einen eigenen Antrag, sondern um einen Änderungsantrag S) zur vor-
*) Siehe Anlage 3
7100 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Collet
liegenden Drucksache handelt, vorweg darüber abzustimmen. Damit ist immer noch die Chance für die Antragsteller selbst gegeben, hinterher je nach Ausgang der Vorabstimmung über ihren Antrag zu entscheiden. Ich darf also um Ihre Zustimmung bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie haben die Geschäftsordnung für sich. Es wird auf jeden Fall zuerst über den Änderungsantrag abgestimmt werden.
Aber vor den Abstimmungen haben sich noch eine Reihe von Kollegen gemeldet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, daß sich nach langen, langen Jahren einmal das Plenum dazu aufrafft, eine für jeden Kollegen primäre Entscheidung in die eigene Hand zu nehmen und damit dem Diktat des Ältestenrates zu entfleuchen.
Ich glaube, daß ein so höchstpersönliches Recht — und hierüber wird jetzt entschieden — eben nicht von einem nichtverantwortlichen Nicht-Beschlußgremium disponiert werden kann, sondern daß das hier disponibel gemacht werden muß, und das geschieht. Eine ganze Reihe von Freunden aus der CDU/CSU-Fraktion haben mich beauftragt, ausdrücklich zu erklären, daß wir den Antrag der Kollegen Collet, Marx, Müller, Neumann, Sänger und Genossen unterstützen wollen.
Die wirklichen Mehrheitverhältnisse in diesem Hause, meine Damen und Herren, werden jetzt bei diesen Abstimmungen tatsächlich einmal herauskommen und nicht durch die Beschlüsse in der leisen Kammer des Ältestenrates überdeckt werden.
Ich halte es für außerordentlich bedeutsam, daß sich hier Kollegen aus den entfernten Regionen der Bundesrepublik Deutschland zusammenfinden, um einmal zu versuchen, ob nicht auch auf sie in einer solchen Frage Rücksicht genommen werden kann. Nach dem Echo, nach der Stimmung im Hause zu urteilen, scheint es so, daß das möglich ist. Ich möchte allerdings sagen — nachdem vorher der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Rasner, ausdrücklich gesagt hat, im Einvernehmen mit dem Antrag des Kollegen Genscher, daß wir nur über den Rhythmus entscheiden sollten und keine weitere Einzelbegründung, auch den Zeitplan nicht im einzelnen festlegen sollten —, daß das auch für den Antrag der Abgeordneten Collet und Genossen gelten sollte. Wir sollten also auch hier nur über den Rhythmus — zwei Wochen, zwei Wochen — entscheiden; nicht über die Einzelheiten. Dafür spreche ich mich aus und bitte um Ihre Zustimmung.
Ehe ich das Wort weitergebe, frage ich den Herrn Abgeordneten Collet, ob er mit dieser Änderung seines Änderungsantrages einverstanden ist. Das bedeutet, es würde abgestimmt werden über den Arbeitsrhythmus: zwei Tagungswochen, zwei sitzungsfreie Wochen. Der andere Antrag geht auf Einführung eines Rhythmus von zwei Tagungswochen und einer sitzungsfreien Woche. Sind Sie mit dieser Änderung einverstanden? — Der Änderungsantrag der Herren Abgeordneten Collet und Genossen auf Umdruck 315 wird entsprechend geändert, d. h. gekürzt.
Nun hat der Herr Abgeordnete Genscher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als dienst- und lebensalterjüngstes Mitglied des Ältestenrates vermerke ich als besondere Delikatesse, daß ausgerechnet der Vorsitzende eines sehr großen Ausschusses hier die Stimme für die Mehrheit der Unterdrückten in diesem Hohen Hause erhoben hat.
Herr Kollege Zimmermann, natürlich machen wir uns alle Gedanken über die Frage, wie außerparlamentarische Verpflichtungen und parlamentarische Verpflichtungen in Einklang gebracht werden können. Wir glauben aber, daß der andere Arbeitsrhythmus hier den richtigen Weg zeigt. Wir dürfen bei aller Respektierung Ihrer Motive nicht verkennen, daß die parlamentarische Demokratie am Ende doch vom Wechselspiel Parlament—Regierung, von der Kontrolle der Regierung durch das Parlament, lebt. Wir sollten die Zeit der Abwesenheit des Parlaments vom Regierungsort nicht zu sehr ausdehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Persönlich muß ich bemerken, daß ich 'den Gang der Debatte bedauere und daß wir in der Motivierung unseres Antrages bestätigt sind,
die Regelung des Zeitplanes nicht im Plenum vorzunehmen, sondern sie dem Ältestenrat, der dazu geschaffen ist, vorzubehalten. Wir haben schließlich sehr wichtige Sachgegenstände auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung,
die nun zumindest zeitlich Schaden nehmen.
Für die Fraktion der SPD habe ich zu erklären: Nachdem der Herr Kollege Rasner doch wohl namens der Fraktion der CDU/CSU — wenn ich es recht verstanden habe — den Antrag auf Drucksache V/2346 auf den Arbeitsrhythmus reduziert hat — das sind also in der Drucksache die beiden Zeilen „Arbeitsrhythmus: zwei Tagungswochen, eine sitzungsfreie Woche" —, erklärt sich die Fraktion der SPD damit einverstanden. Sie wird diesem An-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7101
Frehsee
trag zustimmen und geht davon aus, daß Einzelheiten im Ältestenrat geregelt werden.
Der Ältestenrat hat nach Auffassung der Fraktion der SPD — nach der letzten Sitzung des Ältestenrates zu urteilen und auch schon nach der vorletzten, könnte ich eigentlich sagen: wohl auch nach Auffassung der CDU/CSU — das Recht, über die Einzelheiten Verständigung mit den Fraktionen herbeizuführen und den Präsidenten zur Bekanntgabe eines Zeitplans für den Deutschen Bundestag zu ermächtigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mir wünschen, daß dieses Haus nicht nur dann .so lebendig diskutiert, wenn es sich um die persönlichen Angelegenheiten unserer Arbeitsweise handelt,
sondern auch dann, wenn es sich um Sachprobleme handelt.
— Ich bedauere außerordentlich, daß Sie dabei „Pfui" rufen. Ich meine, die Sachprobleme sollten ebenso unkanalisiert, ebenso frisch und ebenso entscheidungsbereit hier entschieden werden
wie die persönlichen Probleme.
Meine Damen und Herren, sehr stutzig macht mich die Tatsache, daß hier ausgerechnet die Frage der Präsenzpflicht ausgeklammert werden soll. Das Ärgernis ,des Freitages ist doch die Tatsache, daß schon zu Zeiten abgereist wird, wenn hier noch wichtige Entscheidungen anstehen.
— Meine Damen und Herren, Sie mögen sagen, was Sie wollen. Wenn diese Entscheidung über den Arbeitsrhythmus nicht dahin getroffen wird, daß am Freitag und Sonnabend der ersten Arbeitswoche eine Präzenspflicht besteht, dann können Sie, meine Damen und Herren, die ganze Regelung aufgeben. Das Ergebnis ist idann, daß nur weniger gearbeitet wird als bisher. Das kann nicht im Interesse dieses Hauses liegen. Wir müssen insbesondere Gelegenheit haben, am Freitag in den Ausschüssen intensiver und bei einer größeren Präzens zu arbeiten.
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Diskussion jetzt nach der sachlichen Seite erledigt ist. Ich möchte jetzt das Wort 'nicht weiter zur Geschäftsordnung geben. Ich finde, wir können jetzt abstimmen.
Zu der Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt verweise ich auf die gesetzliche Bestimmung des § 4 Abs. 2 des Diätengesetzes.
Danach ist der Präsident ermächtigt, im Benehmen mit dem Ältestenrat Präsenzpflichten festzusetzen. Das ist in seinem Ermessen und insoweit nicht im Ermessen des Hauses. Ich glaube, meine Damen und Herren, damit können wir diese Diskussion beenden.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Collet, Marx und Genossen auf Umdruck 315 *). Dieser Änderungsantrag ist modifiziert. Es wird abgestimmt bis zu den Worten „2 -sitzungsfreie Wochen", also nur über den Arbeitsrhythmus. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 315 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Wir haben hier den Eindruck, .daß das letzte die Mehrheit ist, aber zur Sicherheit bitte ich, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 315 ist abgelehnt.
Ich lasse über den modifizierten Antrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache V/2346 abstimmen, und zwar ebenfalls nur über die beiden Zeilen:
Arbeitsrhythmus : 2 Tagungswochen
1 sitzungsfreie Woche
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Das erste ist die Mehrheit; dieser Antrag der Fraktion der CDU/CSU in der modifizierten Form ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich werde dem Hause noch in dieser Woche über das Ergebnis der Beratung im Ältestenrat berichten bzw. ich werde den neuen Arbeitsplan dem Hause zur Kenntnis bringen.
Ich rufe nunmehr die neu aufgenommenen Punkte auf, die in der gedruckten Tagesordnung nicht vorliegen, zunächst den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses wegen des Gesetzes über die Gebäude- und Wohnungszählung 1968
— Drucksache V/2348 —
Ich frage, ob dieser Antrag begründet wird. — Keine Begründung. Wird das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Ich rufe dann den zweiten Punkt auf, der ebenfalls nicht in die gedruckte Tagesordnung aufgenommen worden ist:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
— Drucksache V/2246 — *) Siehe Anlage 3
7102 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit
— Drucksache V/2316 —
Berichterstatter: Abgeordneter Weimer
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet.
Ich rufe in zweiter Lesung auf Art. I, — II, — III, — Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten stimmt der mit dieser Vorlage der SPD vorgesehenen Anhebung des Zuschlages für die Bauwirtschaft — dem Schlechtwettergeld — zu, obwohl sie es lieber gesehen hätte, wenn, wie ursprünglich auch von der Bundesregierung vorgesehen, diese Anhebung im Rahmen des bereits dem Hohen Hause vorliegenden Arbeitsförderungsgesetzes erfolgt wäre.
Wir haben im Ausschuß festgestellt, daß die Bundesregierung an ihrer Auffassung, die auch wir vertreten haben — die Sache im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes mit zu beraten —, festgehalten hat. Wir wären daher daran interessiert, vor der Abstimmung im Hohen Hause von der Bundesregierung zu erfahren, ob sie inzwischen ihre Meinung geändert hat oder ob sie weiterhin gegen die Vorwegnahme eines Teiles, eines positiven Teiles, einer Rosine des Arbeitsförderungsgesetzes, Bedenken hat. Wir würden es begrüßen, wenn dem Hohen Hause vorher von der Bundesregierung hierzu eine Stellungnahme abgegeben würde.
Keine weiteren Wortmeldungen. Herr Abgeordneter Folger hat eine schriftliche Erklärung zu Protokoll gegeben. *) — Abstimmung über die §§ 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Bei drei Gegenstimmen ist diese Vorlage in zweiter Lesung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Bei einigen Gegenstimmen auch in dritter Lesung angenommen.
Dann kommen wir zu Punkt 3 unserer gedruckten Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
— Drucksache V/1743 — *) Siehe Anlage 5
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksachen V/2317, zu V/2313 —
Berichterstatter: Abgeordneter Busse
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Busse. Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, die Drucksache V/2317 vorzunehmen, in der in der Eile, mit der hier gearbeitet werden mußte, einige Druckfehler sind, die berichtigt werden müssen.
Auf Seite 3 muß Ziffer 1 a lauten: „An § 556 a Abs. 5 wird folgender Satz 2 angefügt".
Des weiteren muß auf Seite 2 dieser Drucksache in Abs. 2 des § 556 a im ersten Satz in Zeile 3 das Wort „solange" getrennt geschrieben werden, nicht in einem Wort, wie es in der Vorlage steht.
Ich darf weiter auf einen Fehler auf Seite 6 in Artikes II a — „Rechtszug" — hinweisen. Da finden Sie in der Vorlage in der Überschrift „§ 1". Da dieser Artikel nur einen Paragraphen enthält, muß diese Überschrift „§ 1" gestrichen werden.
Auf Seite 7 fehlt in § 4 Abs. 1 die Zahl 1968. Es. muß also heißen:
§§ 1 bis 3 dieses Artikels treten am 1. Januar 1968 in Kraft.
Ich möchte mir ersparen, den immerhin nicht ganz kurzen Bericht zu dieser Gesetzesvorlage vorzulesen. Ich selbst habe ihn erst heute morgen gedruckt vorgelegt bekommen. Ich habe beim flüchtigen Durchsehen auf Seite 5 vor dem Abschnitt b) — linke Spalte — einen Druckfehler gefunden. Es muß dort heißen: „Es soll vielmehr genügen", nicht: „vielwehr genügen". Ich bitte also, das „w" in ein „m" zu korrigieren. Im übrigen will ich es mir ersparen, heute auf diesen Bericht einzugehen. Ich glaube, ich kann darauf verweisen, obgleich ich die Befürchtung habe, daß bei der Kürze der Zeit nur ein geringer Teil des Hauses Gelegenheit hatte, die Vorlage wirklich anzusehen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich rufe in zweiter Beratung den Art. I auf. Hier ist ein Änderungsantrag zu Nr. 2 gestellt. Wird er begründet?
— Ach, erst in dritter Lesung; Entschuldigung. Dann
ist also kein Änderungsantrag in zweiter Lesung ge-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7103
Vizepräsident Dr. Jaeger
stellt. Mir war gesagt worden, er sei in zweiter Lesung gestellt.
Dann rufe ich in zweiter Lesung auf Art. I, — II, — II a, — III, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Reischl.
— Sie können in der allgemeinen Aussprache sagen, was Sie wollen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst noch nicht für die Fraktion zu der allgemeinen Aussprache sprechen, sondern die zwei Anträge *), die in der dritten Lesung angenommen werden sollen, kurz begründen. Dem Hause liegen sie noch nicht vor. Ich muß sie deshalb vorlesen.
In Art. I Nr. 2 soll § 556 a Abs. 6 Satz 2 wie folgt gefaßt werden:
Hat der Vermieter nicht rechtzeitig vor Ablauf der Widerspruchsfrist den in § 564 a Abs. 2 bezeichneten Hinweis oder die nach § 564 a Abs. 3 verlangte Auskunft erteilt, so kann der Mieter den Widerspruch noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits erklären.
Die Änderung ist durch den Wegfall des Güteverfahrens bedingt, das ursprünglich im Entwurf enthalten war und herausgestrichen worden ist. Es ist also eine Ausbesserung eines Versehens.
Bei Art. II a — Rechtszug — soll folgende Änderung angebracht werden. Nach Satz 2 in Abs. 1 werden folgende weitere Sätze eingefügt:
Über die Vorlage ist ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Entscheidung ist für das Landgericht bindend.
Diese Regelung soll der Klarstellung dienen, daß der Rechtsentscheid nicht vom Landgericht übergangen werden kann. Ich glaube, die Ergänzung ist auch aus sich heraus verständlich. Sie entspricht einem Wunsch, der im Rechtsausschuß des Bundesrates — unseres Erachtens zu Recht — vorgebracht worden ist. Um hier Schwierigkeiten zu vermeiden, sollen die beiden Sätze eingefügt werden. Ebenso soll dann der Abs. 3 des Art. II a gestrichen werden.
Das wären die Änderungen, denen ich in dritter Lesung zuzustimmen bitte.
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
`) Siehe Anlage 4
Wir werden uns bei diesen Anträgen der Stimme enthalten. In sich sind sie sachgemäß und richtig. Da wir aber das ganze Gesetz ablehnen, kommen wir auch hier zu einer Stimmenthaltung.
Wird in der allgemeinen Aussprache weiter das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf den Antrag, den Herr Kollege Reischl für beide Fraktionen eingebracht hat, hier ebenfalls für meine Freunde unterstützen.
Als wir im Sommer dieses Jahres im Hohen Hause in erster Lesung den auf Initiative des Bundesrats eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über eine Änderung von Mietrechtsbestimmungen sowie die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu berieten, die ihreseits einen recht umfassenden zusätzlichen Vorschlag gebracht hatte, war in der Diskussion davon die Rede, daß Korrekturen an den Bestimmungen des sozialen Mietrechts wohl möglich seien, daß aber andererseits der Blick auf die Prämissen, wie sie uns das Grundgesetz als das verfassungsmäßige Fundament unserer Staatsordnung an die Hand gibt, dabei nicht verlorengehen dürfe.
Mit meinen Freunden bin ich der Überzeugung, daß wir mit dieser Novelle, wie sie Ihnen als Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß und der vorausgehenden Mitberatung im Wohnungsbauausschuß nun zur Verabschiedung vorliegt, tatsächlich die Forderung beachtet wird, die einmal der Staatsrechtslehrer Dr. Krüger aus Hamburg aufstellte, als er sagte, der Gesetzgeber könne keinen Schritt tun, ohne zuvor der Verfassung gehuldigt zu haben.
Mit diesem Vorschlag ist nun weder der Rubikon überschritten, der aus dem Hauseigentümer einen, wie einmal befürchtet wurde, an Stelle des Staates verpflichteten Fürsorgeträger macht, noch hat andererseits jenes Bild eines Vermieters bei den Beratungen den Ausschlag gegeben, wie es die Klagen der Interessenvertreter auf der Mieterseite gerne zeichnen, das Bild eines Vermieters, der mit dem Damoklesschwert ständig drohender Kündigung das Mietervolk in Angst und Schrecken hält, um in regelmäßigen Abständen seine ohnedies nicht gerechtfertigten Mietpreise heraufschrauben zu können.
Entspräche dieses Bild vom Vermieter der Wirklichkeit, dann müßte Friedrich Schiller, lebte er heute noch, seine Widmung „in tyrannos" mangels absolutistischer Fürsten gegen die Eigentümer von Mietwohnungen schleudern. Doch es ist ein Zerrbild, eine Verallgemeinerung bedauerlicher Einzelfälle. Im Grunde müssen auch die Hauseigentümer an einem Mietrecht interessiert sein, das Auswüchse verhindert, die den ganzen Stand in Mißkredit bringen können.
Es ist verständlich, meine Damen und Herren, daß sich gerade auf dem Feld des sozialen Mietrechts
7104 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Dr. Hauser
die Diskussion so leicht nicht beruhigt. Das ist nicht nur deswegen so, weil hier selbstverständlich die persönlichsten Interessen so vieler Menschen unseres Volkes berührt werden, sondern vor allem auch, weil die Notwendigkeit, die mietrechtlichen Vorschriften des BGB unter sozialen Gesichtspunkten zu gestalten, schon seit seinem Inkrafttreten, also vor bald 70 Jahren erkannt worden ist. Schon damals bestand das richtige Gefühl, daß ganz verschiedene soziale Tatbestände gegeben sind, wenn etwa jemand in einer „Leihbücherei" ein Buch entnimmt —rechtlich liegt hier ja ein Mietvertrag vor — oder wenn jemand eine Wohnung mietet, um sie auf lange Zeit zum Mittelpunkt seines Familienlebens zu machen, obwohl beide Sachverhalte unter die gleichen mietvertraglichen Bestimmungen eingeordnet sind. Und wer kennt nicht jene bissige Bemerkung des Rechtslehrers Cosack, daß die Miete einer Wohnung und die Miete eines Esels nicht das gleiche seien!
Diesen Unterschied hatten die Kodifikatoren des alten BGB in der Tat übersehen, als sie die Mietrechtsvorschriften praktisch nur als gesetzliche Mustervorschläge ausgestalteten, die jederzeit durch Vereinbarung geändert werden konnten. Diese Unzulänglichkeit, einen angemessenen Ausgleich zwischen Vermieter- und Mieterinteressen sicherzustellen, erwies sich dann in der Wohnungsnot während des ersten Weltkrieges und danach. Der Staat konnte damals nicht untätig bleiben. Die in jener Zeit eingeführte Wohnungszwangswirtschaft, die noch bis zum Abbaugesetz im Jahre 1960 fortbestand, hat im Laufe ihrer langen Dauer erst recht die Erkenntnis bestärkt, daß die Bestimmungen des BGB niemals ausreichten, um den besonderen sozialen Aspekten des Wohnungsmietverhältnisses gerecht zu werden.
So ist es wirklich begreiflich, daß sich bei Überführung der Wohnungswirtschaft in die freie und soziale Marktwirtschaft und bei gleichzeitiger Einführung des Mietwohnrechtes, das als Sonderrecht sein Leben gehabt hat, in das allgemeine bürgerliche Recht die Auffassungen auf Vermieter- wie auf Mieterseite diametral gegenüberstanden, ob nun einer der wesentlichen Grundsätze des Mieterschutzgesetzes, nämlich die Auflösbarkeit des Mietverhältnisses nur bei Vorliegen besonderer, im Gesetz abschließend geregelter Gründe, beibehalten oder ob andererseits zur freien Kündigungsmöglichkeit des Bürgerlichen Gesetzbuches zurückgekehrt werden sollte, die weder die Angabe noch das Vorliegen eines Kündigungsgrundes voraussetzt.
Der Gesetzgeber hat sich mit der Sozialklausel hier für den goldenen Mittelweg entschieden. Nicht die sogenannte „motivlose Kündigung" ist Gesetz geworden, wie oft behauptet wurde, sondern im Ergebnis rückt diese Bestimmung von der Kündigung ohne Angabe von Gründen ab und verlangt, daß der Vermieter seine Kündigungsgründe offenlegt. Es ist lediglich die Initiative zur Anrufung des Gerichts auf den Mieter übertragen worden, indem ihm die Möglichkeit an die Hand gegeben wird, Widerspruch gegen die ausgesprochene Kündigung zu erheben. Damit muß zwangsläufig eine Interessenabwägung und eine Interessenbewertung zwischen Mieter und Vermieter erfolgen.
Nun waren Auslegung und Bedeutung dieser sogenannten Sozialklausel ob dieser Umstände seit Anbeginn strittig gewesen. Die Rechtsprechung ist gleichfalls nicht in vollem Umfang den Intentionen des Gesetzgebers gefolgt, wie grundsätzlich auch das- Gutachten von Professor Westermann in Münster, das dieser Tage zu den gleichen Fragen erstellt worden ist, eingeräumt hat. Diese veranlaßte nun auch den Bundesrat zu seiner Initiative, die in erster Linie Anlaß und Ursache dafür war, daß sich dieses Hohe Haus damit zu beschäftigen hat. Dabei wollte der Bundesrat im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere auch die Schwierigkeiten bei der Beschaffung einer Ersatzwohnung als besonderes Anliegen berücksichtigt wissen. Die Ausschüsse haben nun sicherlich eine einfachere Fassung des § 556 a BGB gewählt, bei der aber das ursprüngliche Prinzip der Abwägung der Interessen beider Mietvertragsteile beibehalten wird. Die Befürchtung ist also gegenstandslos, daß etwa mit einer Neufassung dieser Vorschrift das Verhältnis von Kündigung und Widerspruch in das Gegenteil verschoben sei; müssen doch die Tatsachen, die der Mieter als besondere Härte ins Feld zu führen hat, um zu seinen Gunsten die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erwirken, gegen die berechtigten Interessen seines Vermieters abgewogen werden. In diesem Wortlaut ist auch das ausdrückliche Anliegen des Bundesrates eingeschlossen, so daß es einer gesonderten Regelung über die Beschaffung von Ersatzraum nicht bedarf; dies um so mehr, wenn man bedenkt, daß nicht die allgemeine ungünstige Wohnungsmarktlage eines Ortes automatisch in allen Fällen die Bejahung des Härtegrundes nach sich ziehen kann, sondern eben allein die besondere Beschaffungsschwierigkeit im Einzelfall berücksichtigt werden kann. Nur dies konnte der Bundesrat eigentlich im Auge gehabt haben.
Auch das Problem einer Verlängerung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit, wie es im Laufe der Beratungen gerade zugunsten von alten und gebrechlichen Leuten sowie Schwer- und Dauerkranken in die Debatte gelangt war, ist auf besondere Ausnahmefälle eingegrenzt. Insoweit dürften verfassungsrechtliche Bedenken gleichfalls ausgeräumt sein.
Die Einwände, die gegen die Regelung erhoben wurden, dem Vermieter eine Belehrung über Form und Frist des Widerspruchs, dazu weiterhin eine Pflicht zur Aufklärung seiner Kündigungsgründe aufzugeben, fallen nicht mehr so sehr ins Gewicht, sofern, wie jetzt gleichfalls vorgesehen, für den Mieter eine nämliche Verpflichtung statuiert wird, nach der dieser auf Verlangen seines Vermieters ebenfalls seine Gründe für einen geltend gemachten Widerspruch mitzuteilen hat, will er nicht in Kauf nehmen, selbst im obsiegenden Räumungsstreit unter Umständen die Prozeßkosten tragen zu müssen.
So hat der Gesetzgeber beiden Seiten gleiche Chancen eingeräumt, beiden Seiten die Möglichkeit
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Dr. Hauser
offengelassen, jeweils ihr Prozeßrisiko zu kalkulieren. Ja, der Gesetzgeber wirkt mit dieser Lösung unweigerlich auf die Nützlichkeit eines vorprozessualen Gesprächs unter den Mietvertragspartnern hin, bei dem dann beide das Ziel haben müssen, ihrerseits einen Prozeß zu vermeiden.
Jeder Räumungsprozeß hat sein Kostenrisiko. Deshalb liegt auch das Gespräch, das geführt wird, bevor man vor den Richtertisch tritt, im beiderseitigen Interesse. Man kann daher nicht mehr behaupten, der Hinweis auf den Kündigungswiderspruch laufe dem Vermieterinteresse zuwider, weil er nur die Gegenseite zum Widerspruch anreize. Darüber hinaus wird aber jedes Gespräch, das Vermieter und Mieter vor einer prozessualen Auseinandersetzung führen, selbstverständlich auch zu einem Gespräch über eine mögliche Räumungsfrist. So trägt jedes derartige Gespräch dazu bei, einen unnötigen Kündigungswiderspruch zu verhindern. Umgekehrt bedarf der Mieter dieses Gesprächs über eine Räumungsfrist, weil er wiederum die Kostensonderregelung des § 93 Abs. 3 ZPO nicht herbeiführen kann, wenn er diese Räumungsfrist nicht zuvor begehrt hat.
Hier sollten nur die entscheidenden neuen materiellen Gedanken angesprochen sein, um darzutun, daß in der Tat in einem ausgewogenen Verhältnis die Grundsätze weitergeführt werden, die ursprünglich Leitsätze bei Einführung des sozialen Mietrechts gewesen sind, nämlich auf ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Mietparteien hinzuwirken und so möglichst einen Prozeß zu vermeiden.
Was die neuen prozessualen Vorschriften angeht, ist vor allem die Bestimmung über den Rechtszug von Bedeutung, wie er in der Vorlage nunmehr vorgesehen ist. Bedenken wir hier den Unmut über das Fehlen einer einheitlichen Rechtsprechung gerade hinsichtlich der Sozialklausel, und bedenken wir darüber hinaus, daß sich die Kritik an dieser Sozialklausel aus eben diesem Fehlen herleitete. Um möglichst schnell zu einer einheitlichen Rechtsprechung zu finden, war daran gedacht, die entsprechenden Rechtsfragen durch Obergerichte entscheiden zu lassen.
Die ursprüngliche Konzeption, wie sie die Bundesregierung im Auge hatte, war nach den Vorstellungen der beiden Ausschüsse wenig glücklich. So wurde die Möglichkeit eines sogenannten Rechtsentscheides eröffnet. Man griff damit auf ein Institut zurück, das schon im alten Mieterschutzgesetz vorgesehen war. Das Landgericht muß nämlich, wenn es von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts abweichen möchte, vorab die Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts herbeiführen, also ex officio eine Vorlage bei dem übergeordneten Oberlandesgericht machen, ebenso auch bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, die bis dahin in der Rechtsprechung noch nicht entschieden worden sind. Hier ist also der Wunsch realisiert, die die Rechtsprechung so rasch wie möglich zu vereinheitlichen. Wenn etwa Bedenken laut werden sollten, mit diesem Institut werde etwas vorweggenomfen, was an sich erst in die große Prozeßreform hineingehöre, so bin ich der Meinung, daß dieses Institut nur für eine Einlaufzeit von Bedeutung ist und von Bedeutung sein kann. In meiner ganzen früheren richterlichen Tätigkeit bin ich nie auf einen solchen Rechtsentscheid gestoßen, weil in der Tat die Rechtsprechung hier zu einer festen Form gefunden hat. Diese gleiche Erfahrung erwarte ich nunmehr auch in diesem Fall. Warum soll man eigentlich diesen neuen Weg nicht wagen?
Wenn wir nun am Abschluß eines Ringens um eine neue Fassung vor allem der Sozialklausel stehen, die die Gewichte gerecht verteilt hat, dann möchte man insgeheim gerne einen flüchtigen Blick in die Zukunft werfen, um bestätigt zu bekommen, daß man den Richtern nunmehr das richtige Handwerkszeug in die Hand geben konnte und daß auf diese Weise die Intentionen, die der Gesetzgeber damit verbindet, auch wirklich zum Tragen kommen.
Man ist dann an jenes Bild erinnert, das Rudolf von Ihering, der große Rechtsgelehrte des vergangenen Jahrhunderts, an den Anfang seiner Plaudereien über „Scherz und Satyre in der Jurisprudenz" stellte. Er gewährt dort dem neugierigen Menschen an der Hand des Teufels einen Blick in die Geheimnisse der Zimmer und Studierstuben, um ihn entdecken zu lassen, was bei „nächtlicher Weile", wie er sagt, die Träger der Wissenschaft bei emsigem Tun aus dem Schacht zivilistischer Weisheit holen. Nun, dies Bild besteht nur in der Phantasie, und erst recht wollen wir uns nicht mit dem hinkenden Teufel liieren.
Wir wollen vielmehr zuversichtlich hoffen, daß nunmehr die Form gefunden worden ist, mit der die Lebensverhältnisse, wie sie gerade im Bereich des Mietverhältnisses zum Ausdruck kommen, wirklich erfaßt werden können. So darf ich diesem Gesetz auch im Auftrag der Freunde meiner Fraktion einen guten Start wünschen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reischl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Hauser, der ja im Ausschuß auch zugleich Mitberichterstatter war, hier dankenswerterweise alle Grundlagen des Gesetzentwurfs dargelegt hat, kann ich mich in meinen Darlegungen namens meiner Fraktion sehr kurz fassen.
An die Spitze darf ich stellen: die SPD-Fraktion wird diesem Gesetz gern zustimmen; denn dieser Gesetzentwurf erfüllt eine alte Forderung der SPD-Fraktion, die sie seit 1960, seit dem Inkrafttreten des sogenannten Lücke-Planes und der damaligen Sozialklausel erhoben hat.
Das Kernstück des neuen Entwurfs ist denn auch eine Neufassung der Sozialklausel des § 556 a BGB. Die Fassung, die jetzt in den Verhandlungen des Rechtsausschusses gefunden worden ist, macht wohl am besten den Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter deutlich. Aus dieser Klausel, so wie sie jetzt gefaßt wird, geht ganz klar hervor, daß
7106 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Dr. Reischl
die Interessen von Vermieter und Mieter bei der Abwägung, die die Gerichte im Falle eines Widerspruchs vornehmen müssen, gleichberechtigt berücksichtigt werden müssen. Das wird hier klar. Ich halte deshalb die Klausel für eine glückliche Lösung.
Auch ist jetzt endlich klargestellt, wie es mit Verlängerungen von Mietverhältnissen auf unbestimmte Zeit ist. Auch diese Frage war in der Rechtsprechung sehr umstritten. Es ist jetzt klar, daß die Verlängerung auf unbestimmte Zeit die Ausnahme bleiben muß, daß sie aber möglich ist.
Sehr wichtig wird sein, daß nun die Gerichte zu einer einheitlichen Rechtsprechung auf diesem Gebiet kommen. Denn ein Gefälle der Rechtsprechung zwischen den verschiedenen Teilen der Bundesrepublik wäre das Unglücklichste, was uns passieren könnte. Ein solches Gefälle hat ja letzten Endes auch dazu geführt, daß die Sozialklausel in dieser Weise geändert werden mußte. Ich hoffe, daß den Gerichten jetzt eine Handhabe gegeben ist, mit der sie zu einer einheitlichen Rechtsprechung kommen werden; vor allem auch dadurch, daß wir einen neuen Weg gewagt haben. Ich gebe zu — gerade als Richter, genau wie mein Kollege Hauser —, daß wir bei einer Neuerung im ersten Moment immer gewisse Bedenken haben. Aber ich glaube, es ist uns gelungen, auch beim Rechtszug einen Weg zu finden, der für die Parteien und für die Gerichte der einfachste ist und der auf der anderen Seite mit aller Wahrscheinlichkeit in kürzester Zeit zu einer einheitlichen Rechtsprechung führen wird. Ich halte diesen Versuch — der in der deutschen Zivilprozeßordnung völlig neu ist — deswegen für besonders glücklich, weil kein neuer Rechtszug angehängt wird, sondern das Landgericht gezwungen wird, die Sache einfach dem Oberlandesgericht vorzulegen, wenn es sich um eine grundsätzlich wichtige Frage handelt. Dadurch wird erstens Zeit gespart — wogegen durch ein Anfügen weiterer Rechtszüge logischerweise die Prozeßdauer verlängert würde —, und zweitens entstehen beiden Parteien durch dieses Hinaufgeben zum Oberlandesgericht keine Kosten. Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt.
Herr Abgeordneter Reischl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jacobi?
Jacobi Köln) : Herr Kollege Reischl, darf ich noch einmal auf einen mir wichtig erscheinenden Punkt, den § 556 a und die Auslegung dieser Bestimmung, zurückkommen. Darf ich feststellen, daß Sie ebenso wie der Kollege Hauser die Auffassung vertreten, daß das ursprüngliche Anliegen, in die Abwägung auch die Schwierigkeit der Beschaffung angemessenen Ersatzwohnraums einzubeziehen, durch die Neufassung voll gedeckt wird?
Ich darfdazu sagen, daß ich mich hier völlig dem anschließe, was Herr Kollege Hauser bereits vorgetragen hat. Der Rechtsausschuß war einmütig der Auffassung, daß die Schwierigkeit der Ersatzraumbeschaffung selbstverständlich einer der Gründe ist, die zugunsten des Mieters gewürdigt werden müssen. Ich möchte das hiermit ganz klar herausstellen, auch für die Verhandlungen im Bundesrat.
Und da ich vom Bundesrat spreche, darf ich den Bundesrat bitten, diesen neuen Weg in der Rechtsprechung mitzugehen. Wir haben keinen anderen Weg gefunden, der so billig und so schnell ist. Man sollte es doch wenigstens probieren und sollte dogmatische Bedenken zurückstellen. Ich weiß, daß diese unter Juristen immer sehr groß geschrieben werden, meine aber, der Gesetzgeber muß auch das Recht haben, einmal einen neuen Weg zu gehen, vor allem wenn es für die Beteiligten der bessere Weg ist.
Dieser Versuch kann auch ein Versuch für die Zukunft werden. Es wird ja allgemein von einer Reform des Zivilprozeßrechts gesprochen. Da wird man noch einmal überprüfen können, wie dieser Versuch eingeschlagen hat. Jedenfalls ist es notwendig, daß jetzt innerhalb weniger Jahre eine einheitliche Rechtsprechung herbeigeführt wird. Das scheint mir nur auf diesem Wege möglich zu sein.
Damit, meine Damen und Herren, möchte ich meine Bemerkungen schließen. Ich darf nochmals sagen, daß wir den Gesetzentwurf herzlichst begrüßen. Er entspricht ganz unseren Wünschen und Forderungen. Die SPD-Fraktion wird dem Entwurf zustimmen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in den Beratungen fortfahren, habe ich bekanntzugeben, daß der Ältestenrat unmittelbar im Anschluß an diese Sitzung einberufen ist, frühestens 13 Uhr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Zu meinem eigenen Bedauern muß ich meine Ausführungen zur dritten Lesung mit einer persönlichen Bemerkung beginnen. Im „Münchener Stadtanzeiger" Nr. 47 hat der Kollege Dr. Günther Müller einen Artikel erscheinen lassen, in dem es u. a. heißt, daß „hinter den verschlossenen Türen des Rechtsausschusses" die FDP — und das heißt: insbesondere ich — versucht habe, „die Beratung des Regierungsentwurfs zur Verbesserung des sozialen Mietrechts zu hintertreiben". Ich darf zunächst der Ordnung halber klarstellen, wie die Dinge gelegen haben.
Nachdem einige Wochen früher der Rechtsausschuß klargestellt hatte, daß die Beratung der verschiedenen Vorlagen erst im Januar des nächsten Jahres erfolgen könnte, wurde dann — ich weiß nicht, in welchem Kreise — beschlossen, die Beratung bereits am vergangenen Mittwoch durchzuführen. Ich hatte das Vergnügen, Berichterstatter in dieser Angelegenheit zu sein, und alten guten Gepflogenheiten gemäß wäre es wohl richtig gewesen, den Berichterstatter von solchen Entscheidungen
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7107
Busse
zu verständigen, zumal wenn sie schon am Dienstag vorher getroffen werden. Alles mögliche wurde hier im Hause geraunt; nur einer wurde nicht informiert: der Berichterstatter. Er bekam mit dem berühmten Eilbotenbrief am Samstag morgen die Nachricht, daß er das Vergnügen habe, am Mittwoch in dieser immerhin nicht ganz einfachen Sache seiner Berichterstatterpflicht zu genügen. Dagegen habe ich mich freilich gewandt, und ich darf den Damen und Herren, die sich dieser alten Gepflogenheit gemäß meinem Wunsche, die Sache in den zwei Stunden, die uns zur Verfügung standen, nicht zu beraten, angeschlossen haben, hier klar und deutlich meinen Dank aussprechen. Daß sie von Motiven geleitet gewesen wären, wie sie in dieser Glosse angedeutet sind, ist genauso abwegig, wie man es mir zu unterstellen versucht.
Ich darf aber einen Rat an die Spitzen der Fraktionen anschließen. Denn in der genannten Glosse ist nicht nur das soeben von mir Erwähnte enthalten, sondern ist auch von einer geheimen Koalition zwischen FDP und CDU/CSU in gewissen Fragen die Rede. Meine Herren, bitte überprüfen Sie dringend diese so wichtige. Angelegenheit, damit Sie endlich wissen, wie Ihre eigenen Koalitionsverhältnisse auszugestalten sind.
Soviel zu dieser Glosse.
Ich meine aber, eine andere. Tatsache sollte einmal auch hier in der Öffentlichkeit ebenso deutlich angesprochen werden: das ist die Art der Behandlung eines so wichtigen Gesetzes. Wie hier verfahren worden ist, ist jedenfalls in der bisherigen Praxis des Rechtsausschusses wohl einmalig. Wir haben mit einer kurzen Unterbrechung, die durch andere Ausschußsitzungen erforderlich war, von morgens 1/210 Uhr bis nachts 1/211 gearbeitet, und ich kann, ohne zu übertreiben, feststellen, daß alle Beteiligten im Schluß dieser Sitzung nicht mehr in der Lage waren, die Beratung mit der Gründlichkeit, Sauberkeit und Ordentlichkeit zu führen, wie es eine solche Sache an sich verlangt hätte. Daraus erklären sich gewisse Dinge, die heute noch auf den Tisch des Hauses kommen mußten und die wegen der heißen Nadel, mit der alles genäht wurde, hier nachträglich korrigiert werden mußten.
Dabei ergab sich noch etwas, was vielleicht auch einmal für die Öffentlichkeit ganz interessant ist: Wenn sich die Beratungen des Ausschusses festgefahren zu haben schienen, dann kam man nicht etwa zur Abstimmung, um nunmehr die Meinung des Ausschusses festzustellen, sondern dann wurde die Sitzung des Ausschusses unterbrochen, damit koalitionsinterne Gespräche geführt werden konnten, derenErgebnis dann der staunenden Mitwelt am Schluß dieser internen Beratungen mitgeteilt wurde, und wo dann eben feststand: so soll es künftig kein. Das ist ein Verfahren, das, glaube ich, mit den Grundsätzen des Art. 38 des Grundgesetzes nicht ohne weiteres in Einklang gebracht werden kann. Ich kann dem Rechtsausschuß nur wünschen — aber ich habe inzwischen gehört, daß ähnliche Dinge in noch krasserer Form auch in anderen
Ausschüssen passiert sind —, daß sich derartige Dinge nicht wiederholen.
Im Rechtsausschuß wie bei. anderen Gelegenheiten habe ich namens der FDP erklärt, daß wir den vorliegenden Entwurf ebenso wie die anderen den) Rechtsausschuß in dem Zusammenhang überwiesenen Gesetzentwürfe ablehnen. Zur Begründung möchte ich heute nur die wesentlichsten Gesichtspunkte vortragen, obgleich sich dazu auch im Detail eine ganze Menge sagen ließe.
Der wesentlichste Gesichtspunkt ist ein rein rechtspolitischer. Ich möchte hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die Ausführungen zitieren, ,die der Mietrechtsausschuß des Deutschen Anwaltsvereins in einer Eingabe an das Hohe Haus gemacht hat. In der Einleitung heißt es:
Der Ausschuß bedauert es, daß Bundesrat und Bundesregierung sich schon jetzt veranlaßt sehen, eine Änderung des § 556 a BGB in Angriff zu nehmen. Diese Vorschrift ist erst 1960 rin das BGB eingeführt worden und noch nicht einmal in allen Teilen des Bundesgebiets in Kraft getreten. Mit den Vorschriften des BGB sollte nicht unnötig experimentiert werden.
— Herr Jacobi, nicht so allgemein! Damit kann man mit einer so diffizilen Frage wenig machen.
— Nein, mit den Menschen wird experimentiert, wenn man mit dem BGB experimentiert; denn das BGB steht nicht im luftleeren Raum, sondern es betrifft jeden einzelnen Menschen.
Mit der Gesetzesvorlage — um das einmal ganz klar in diesem Zusammenhang auszusprechen —, die Sie heute 'beschließen wollen, greifen Sie wieder in Millionen bestehender Mietverträge ein, ohne daß dafür eine zwingende Notwendigkeit vorliegt. Das ist das Experiment mit den Menschen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe damit schon einen wesentlichen Gesichtspunkt angesprochen, den ich sonst im Laufe meiner Ausführungen später gebracht hätte. Die Rechtssicherheit in unserem Staat ist gerade im Interesse der davon betroffenen Menschen ein so wichtiges Gut, daß man nur bei zwingender Notwendigkeit Eingriffe in bestehende Rechtssituationen, vor allem des Zivilrechts und hier insbesondere in Verträge des täglichen Lebens, vornehmen sollte.
Nun ist behauptet worden, solche zwingenden Notwendigkeiten lägen vor. Ich habe gefragt; womit man denn diese zwingenden Notwendigkeiten begründen wolle. Eine Antwort darauf, ,außer der allgemeinen Behauptung, sie seien gegeben, habe
7108 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Busse
ich nicht gehört, und es wird auch niemand den Beweis dafür antreten können.
— Herr Jacobi, nach dem bestehenden Recht haben sich anfänglich wohl Unklarheiten ergeben, die aus der allgemeinen Formulierung dieser Klausel eigentlich naturnotwendig hervorgehen mußten. Aber tim Laufe der Zeit hat die Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, die, glaube ich, zu einer so vernünftigen Regelung . der Mietverhältnisses führen konnten, die so sehr die wirklich berechtigten Interessen auch des Mieters berücksichtigten, daß sich mit diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen gut arbeiten ließ.
Was soll demgegenüber die jetzt vorgesehene Änderung?
Der eine oder andere von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, hatte vielleicht einmal Gelegenheit, nachzulesen, was Ihr Kollege Jahn im Jahre 1960 bei der Beratung über die jetzt geltende Mieterschutzklausel des § 556 a BGB ausgeführt hat. Er hat damals gesagt:
Hier wird ein gefährlicher Weg gegangen. Hier tut der Gesetzgeber das, was er nicht tun sollte. Er schafft Generalklauseln, die dann zur Disposition des Richters stehen, und erst der Richter schafft das Recht, das eigentlich er — der Bundestag — schaffen sollte.
Das war das, was der Kollege Jahn gesagt hat. Was machen Sie heute? An Stelle einer schon weit gefaßten Allgemeinklausel, die aber immerhin einige konkrete Anhaltspunkte enthielt, schaffen Sie eine völlig frei gestaltete Generalklausel, die nicht einmal mehr die Kriterien enthält, die das bisherige Recht enthalten hat und dem Richter gewisse Anhaltspunkte gab. Nur die Interessenabwägung — sie war auch im alten Recht drin — ist noch übriggeblieben, und das ist alles, was dazu zu sagen 'ist. Das ist die angebliche, große Verbesserung, die Sie geschaffen haben: eine schon weit gefaßte Generalklausel durch eine noch weiter gefaßte Generalklausel zu ersetzen. Das ist der große Erfolg, den Sie erzielt haben.
Herr Abgeordneter Busse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauser?
Herr Kollege Busse, sind Sie bei dem Gedanken von der Interessenabwägung, den Sie gerade entwickelt haben, nicht mit mir einer Meinung, daß hier Härten gegenüber den Interessen auf der anderen Seite abzuwägen sind?
Ich sprach von .der Interessenabwägung, und zur Abwägung gehören immer zwei Waagschalen, wenn ich so sagen darf.
Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht lange zu unterhalten. Was wesentlich ist, ist doch das, daß hier auch wieder nicht nur keine, sondern noch weniger Gesichtspunkte festgesetzt sind, nach denen der Richter diese Abwägung vornehmen sollte.
Herr Kollege Dr. Hauser, ich komme in diesem Zusammenhang auf das zurück, was Sie gerade ausgeführt haben, daß man nun ja eine wunderbare Einrichtung getroffen habe, daß sich nämlich Mieter und Vermieter gegenseitig Mitteilung machen müßten — der eine, warum er gekündigt habe; der andere, warum er nicht auszuziehen wünsche. Das steht nun im Gesetz. Sie haben gesagt, das solle dazu dienen, einem Prozeß vorzubeugen, das Risiko abzuschätzen. Ich bedauere die Herren Kollegen — ich bin Anwalt von Beruf — draußen in der Bundesrepublik, die auf Grund dieser Generalklausel, nachdem Vermieter und Mieter gesagt haben, warum der eine so, der andere anders will, nun einen verantwortlichen Rat erteilen sollen, wie der Richter in einem solchen Prozeß entscheiden wird.
Herr Abgeordneter Busse, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger-Heise?
Herr Kollege Busse, entsinnen Sie sich der Diskussion, als wir das erste Mal den § 556 a abänderten, und entsinnen Sie sich eines Sprechers, der sagte, wir müßten es endlich schaffen, daß der Vermieter wieder Herr im Hause werde?
Ja, das war ich!
Das waren Sie. Darf ich Sie fragen: glauben Sie nicht, daß wir von diesem Standpunkt durch die jetzige Fassung des § 556 a abgekommen sind, weil er einseitig war, und daß wir darum dem Richter erlauben, jetzt beide Interessen abzuwägen?
Frau Kollegin, 'ich darf Ihr Zitat — ich bin jetzt zwar auch auf mein Gedächtnis angewiesen — in einem Punkte doch wohl richtigstellen. Ich glaube nicht, daß ich mich da irre. Ich habe gesagt, daß er irgendwann einmal wieder Herr im eigenen Hause sein müsse. Entschuldigen Sie, das ist etwas wesentlich anderes als das, was. Sie jetzt zitiert haben.
Das Wort „Herr im Hause" klingt manchem zwar nicht gut im Ohr, auch mir nicht; aber was ich damit sagen wollte, ist jedem, der nicht böswillig an die Interpretation herangeht, verständlich: der Hauswirt und Vermieter ist der Eigentümer, und
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Busse
dieser Stellung des Eigentümers — wie sie das Grundgesetz anerkennt — muß irgendwann immer einmal wieder Rechnung getragen werden.
Daran ist doch nichts zu drehen und zu deuteln.
Vizepräsident Dr. Jaeger Herr Abgeordneter Busse, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Meermann?
Herr Busse, würden Sie mir bitte noch eine Präzisierung geben. Sie haben eben sinngemäß gesagt, daß Sie den Rechtsanwalt bedauern, der, nachdem er die Gründe des Vermieters und des Mieters kennt, einen Rat geben soll. Halten Sie es für leichter, wenn der Rechtsanwalt einen Rat geben soll und überhaupt keine Gründe oder nur die Gründe einer Seite kennt?
Nein, verehrte gnädige Frau, ich halte diese gegenseitige Mitteilungspflicht schon für gut und zweckmäßig. Ich war sogar bei der Verabschiedung des Gesetzes 1963, als wir das soziale Mietrecht einführten, derjenige, der diese beiderseitige Mitteilungspflicht über den damaligen § 93 b ZPO mit ins Gespräch gebracht hat und der zu der Regelung beigetragen hat. Das ist klar. Aber ebenso klar ist, daß schon damals nach § 556 a BGB die Abwägung, die Prognose in bezug auf ein Urteil schwierig war. Heute ist die Aufgabe, die dort gestellt wird, einfach unlösbar. Und daran vermag auch nichts der neugeschaffene „Rechtszug" zu ändern, der jetzt immer wieder eine so große Rolle spielt.
Gewiß, gerade die Abstraktheit dieser Generalklausel, die praktisch alles dem Richter in die Hand gibt, gerade diese Generalklausel bringt natürlich doppelt und dreifach die Gefahr einer Rechtszersplitterung mit sich. In Anbetracht dieser vagen Vorschrift, die wir jetzt hier verabschieden sollen, müssen die entsprechenden Kautelen eingebaut werden. So weit, so gut.
Wenn ich mir aber vorstelle, daß ausgerechnet im Mietrecht und in keinem anderen Recht bisher die Dinge sogar über reine Rechtsfragen bis hinauf zum Bundesgerichtshof getrieben werden können, so frage ich mich freilich: Ist das wirklich alles als Sonderregelung für das Mietrecht erforderlich?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?
Herr Kollege, sind Sie mit mir darin einig, daß wir doch zumindest — ohne jetzt in die Beurteilung „Generalklausel oder nicht" einzutreten — davon ausgehen können, daß unter den hier angeführten berechtigten Interessen des Vermieters a 11 e Interessen, die ihm als Eigentümer zustehen, verstanden werden und daß diese gegenüber den Härten, die einem Mieter erwachsen, abzuwägen sind?
Ja, Herr Kollege Czaja. Ich kann nur unterstreichen, was Sie sagen. Ich kann sogar hervorheben, daß auch deshalb entscheidend von der Regierungsvorlage, die ja eine ganz andere Abwägung vorsah, als es jetzt der Fall ist, abgewichen worden ist und daß in die Interessen — es ist der Plural gebraucht worden — des Vermieters auch seine Rechtsstellung als Eigentümer mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen einzubeziehen ist.
Ich wollte noch einen anderen Gedanken anführen, der es uns einfach unmöglich macht, einem solchen Gesetz zuzustimmen. Hier ist zum erstenmal in unserem gesamten bürgerlichen Recht eine Vorschrift aufgenommen worden, die besagt, daß der kündigende Vermieter seinen Mieter sogleich darauf hinweisen soll, was er gegen diese Kündigung unternehmen kann. Ein solches Institut haben wir bei gänzlich anders gearteten Verhältnissen, nämlich dort, wo der Staat, die Obrigkeit, dem Bürger gegenübertritt; daß aber im Rahmen des Zivilrechts einer der Vertragspartner dem anderen sagen soll, was er gegen die rechtlich zulässige Maßnahme seines Kontrahenten unternehmen kann, ich glaube, das ist einmalig und sollte hier gebührend als einmalig hervorgehoben werden. Selbst im Arbeitsrecht, meine Damen und Herren, wo die beiderseitigen Verpflichtungen der Fürsorge entscheidend anders gestaltet und durch die Rechtsprechung immer weiter entwickelt worden sind, kennt man ein solches Rechtsinstitut bisher nicht. Dort kann der Arbeitnehmer, dem gekündigt wurde, zum Gericht hingehen und dagegen angehen. Aber niemand hat je daran gedacht, für den Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer gegenüber bestimmte soziale Verpflichtungen hat, eine solche Verpflichtung zu stipulieren, daß er nämlich dem Arbeitnehmer auch noch sagen muß: Gegen diese Kündigung kannst du angehen. Das haben wir hier zum erstenmal. Ich glaube, man sollte hier bereits den Anfängen wehren, denn irgendein vernünftiger Grund für eine solche Regelung ist nicht einzusehen. Ob man theoretisch davon ausgeht, ein Hauswirt sei immer der Klügere, oder von welchen Vorstellungen auch immer: Mir ist es nicht recht begreiflich.
Ich meine jedenfalls — und das ist wiederum ein Grundsatz, der sich allgemein weit durch unsere Rechtsordnung hindurchzieht —, daß der Mieter, der glaubt, Gründe dafür zu haben, daß er nicht ausziehen müsse, Stellen genug in der Bundesrepublik findet, zu denen er gehen kann und bei denen er sich Rat darüber holen kann, wie er seine Rechte und seine Rechtsposition wahrnehmen und durchsetzen kann. Warum also diese völlig anomale Bestimmung?
In der Beratung des Rechtsausschusses fiel das Wort — das ich mir in diesem Sinne nicht zu eigen mache, das man aber doch einmal sehr ruhig überlegen sollte —, daß das Verlangen, derart gegen seine eigenen Interessen im Privatrecht zu handeln, mindestens an die Grenze der Menschenwürde heranreiche. Ich glaube, die Frage sollte man in aller Ruhe überlegen.
7110 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Busse
Wie gesagt, ich könnte noch eine Reihe von weiteren Punkten anführen, bei denen erhebliche Bedenken gegen das Gesetz geltend zu machen sind. Eines zeigt sich mit aller Deutlichkeit: Auch die Änderungen, die das jetzt vorliegende Gesetz am bestehenden Recht vornimmt, sind nicht so, daß sich aus ihnen selbst heraus die Notwendigkeit der Rechtsänderung ergäbe. Im Gegenteil, die Änderungen, die vorgenommen werden, zeigen, daß eine vernünftige Rechtsprechung, eine vernünftige Handhabung der bestehenden Rechte und Gesetze durch die Richter alle die Erfolge herbeiführen kann und bereits herbeigeführt hat, die jetzt angestrebt werden.
Darum — ich sagte es am Anfang — warne ich, mit dem BGB zu experimentieren. Lassen Sie die Rechtsprechung sich weiterentwickeln. Sie wird vernünftig sein. Darüber hinaus aber werden die soeben von mir erwähnten allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts in so entscheidender Weise angetastet, daß wir uns veranlaßt sehen, dieses Gesetz abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den rechtspolitischen Überlegungen, die Herr Abgeordneter Busse gegen dieses Gesetz geltend gemacht hat, möchte ich auf zwei Punkte besonders hinweisen. Herr Abgeordneter Busse, wenn Sie auf die Entschließung des Mietrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins in Bremen Bezug nehmen, dann gehört es nach meiner Meinung zu einer vollständigen Bezugnahme, auch darauf hinzuweisen, daß der Berichterstatter im Mietrechtsausschuß, Herr Dr. Weimar, beim Deutschen Anwaltverein in Bremen einen ganz anderen Standpunkt vertreten hat. Er hat als Berichterstatter des Mietrechtsausschusses sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Sozialklausel in der bisherigen Form sich nach seiner Auffassung nicht bewährt habe und daß sie nicht die Erwartungen erfüllt habe, die die Schöpfer dieser Klausel damit verbunden hätten. Es ist richtig, daß eine Mehrheit im Mietrechtsausschuß das erklärt hat, was Sie sagten. Aber schon dieser Hinweis auf den Berichterstatter macht deutlich, daß die Meinungen auch im Deutschen Anwaltverein sehr geteilt waren. Das ist es ja, was wir meinen: Es besteht eine große Unzufriedenheit mit der jetzigen Sozialklausel.
Meine Damen und Herren, der Mietrechtsausschuß des Deutschen Anwaltvereins selbst hat dann auch einen Vorschlag zur Änderung des § 556 a gemacht in derselben Entschließung, die Herr Abgeordneter Busse zitiert hat. Diese neue Fassung des § 556 a des Deutschen Anwaltvereins geht viel weiter als die Regierungsvorlage.
Sie verlangt nämlich, daß eine Kündigung, die sozial nicht gerechtfertigt ist, unwirksam sei. Das haben wir nie verlangt, und das halten wir auch rechtspolitisch für bedenklich. Der Deutsche Anwaltverein geht also weiter als die Bundesregierung selbst.
Ich muß auch darauf hinweisen, daß es in der Rechtsprechung leider eine Reihe von Urteilen gibt, die deutlich machen, wie unzulänglich die Sozialklausel in der jetzigen Fassung ist. Herr Präsident, wenn es erlaubt ist, darf ich aus einem Urteil nur einen kurzen Absatz zitieren, um damit einmal deutlich zu machen, wie sich die Rechtsprechung zu der bisherigen Fassung der Sozialklausel stellt. Das Landgericht in Hagen — das Urteil ist weitgehend bekannt — hat im Jahre 1964 in einem Fall, in dem eine Frau mit vier minderjährigen Kindern aus einer Wohnung hinausgeklagt wurde, dem Klagebegehren schließlich entsprochen, weil es das, wie es meinte, nach dem Wortlaut des Gesetzes tun mußte. Es hat dann im Schluß seines Urteils zum Ausdruck gebracht:
Gegen diese Auslegung
— die das Gericht dem § 556 a gibt —
kann nicht eingewandt werden, sie werde dem Charakter der Vorschrift als sogenannte Sozialklausel nicht gerecht. Die an die Gesetze gebundenen Gerichte sind nicht befugt, einer Vorschrift eine größere soziale Tendenz beizulegen, als der Gesetzgeber durch die Fassung des Gesetzestatbestands angeordnet hat.
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Aus dem Wortlaut und dem Sinn des § 556 a BGB ergibt sich eindeutig, daß gewisse soziale Härten, vielleicht sogar die menschlich bedauernswertesten, durch diese Vorschrift nicht gemildert werden sollen. Dieser vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachte Rechtszustand kann nicht durch die Gerichte allein auf Grund der programmatischen Tendenz der Vorschrift geändert werden. Für eine solche Änderung war vielmehr der Gesetzgeber zuständig.
Meine Damen und Herren, wenn die Gerichte so nach dem Gesetzgeber rufen, ist es nach Meinung der Bundesregierung Aufgabe des Gesetzgebers, danach zu handeln und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Aus diesen beiden Hinweisen, die ich noch einmal deutlich machen wollte, ergibt sich ohne weiteres die Notwendigkeit zu einer Verbesserung der jetzigen Sozialklausel. Denn — das unterstreicht dieses Urteil doch auch — sie war bisher im wesentlichen eine Ausnahmeklausel für besondere Härtefälle, und sie hat eben nicht das gebracht, was nach unserer Meinung notwendig ist: einen Interessenausgleich zwischen dem berechtigten Interesse des Vermieters und den mit einer Kündigung des Mietverhältnisses möglicherweise verbundenen Härten.
Es wird gesagt: als Eigentümer — ich glaube, Herr Busse hat es auch so zum Ausdruck bringen wollen — muß der Vermieter jederzeit das Recht haben, kündigen zu können, er darf sich jeweils auf sein Eigentum berufen. Ich möchte dazu folgendes sagen. Wir müssen sehr eindringlich darauf hinweisen, daß, als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Ja-
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Bundesminister Dr. Lauritzen
nuar 1900 in Kraft trat, die Vorstellung vom Eigenturn eine ganz andere war als in der heutigen Zeit.
Wenn es im § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt, der Eigentümer könne nach Belieben mit seinem Eigentum verfahren, so gilt das heute eben nicht mehr. Das ergibt sich aus Art. 14 Abs. 2 GG, ist aber auch aus Art. 20 GG abzuleiten. Wir meinen, daß die Sozialgebundenheit des Eigentums — das ist in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch zum Ausdruck gebracht worden —, wie sie auch aus der neuen Fassung des § 556 a herzuleiten ist, zu einer echten Abwägung der Interessen führen muß.
Dann wird gesagt, wir seien auch in den Verfahrensvorschriften etwas zu weit gegangen. Es ist doch unbefriedigend, daß es in einem Rechtsgebiet wie dem Mietrecht, das für den sozialen Frieden, für die Lebensverhältnisse jeder Familie so entscheidend ist, nur zwei Instanzen gibt. Herr Kollege Erhard, erinnern Sie sich noch einer Diskussion im Hessischen Landtag, als wir uns lange über ein falsches Urteil des Landgerichts in Darmstadt unterhielten? Das hat doch deutlich gemacht, wie unbefriedigend es ist, daß in Rechtsfragen nicht ein Obergericht entscheiden kann. Mehr wollen wir doch dabei nicht erreichen.
Die Bundesregierung mißt diesem Gesetzentwurf wegen seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung eine große und für die Zukunft wichtige Aufgabe zu. Wir möchten erreichen, daß durch eine gleichgewichtige Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Partnerschaft entsteht, von der so oft gesprochen wird. Wir glauben, daß dieses Gesetz auch einen entscheidenden Beitrag zu einem besseren sozialen Frieden leisten wird.
Wird weiterhin das Wort in der Aussprache gewünscht? — Herr Abgeordneter Erhard!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Hinweis des Herrn Ministers auf frühere Vorgänge und kontroverse Meinungen, die wir nicht in diesem Hause, sondern im Hessischen Landtag ausgetragen haben, gibt mir den Mut, einiges zu dieser Vorlage zu sagen.
Ich habe in den ersten Wochen nach meiner Wahl in diesen Bundestag einen sehr interessanten Aufsatz von dem jetzigen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Helmut Schmidt, über die Art und Weise der Gesetzesmacherei gelesen. Dieser Aufsatz hat mich sehr überzeugt. Er hat damals meine ganze Zustimmung gefunden und hat sie noch heute.
Wir sollten uns als Gesetzgeber etwas mehr Sorgfalt und Mühe bei der Formulierung von Gesetzen geben. Ich halte es für unerträglich, daß man als Mitglied eines Ausschusses wie des Rechtsausschusses z. B., wie der Herr Berichterstatter eben angegeben hat, am Sonnabend, wenn man nach Hause kommt, einen Eilbrief bekommt und darin überhaupt erst erfährt, daß am nächsten Mittwoch eine so wichtige Sache wie die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Mietsachen behandelt werden soll, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo eine Plenarsitzung angesetzt war.
— Nein. Der mitberatende Ausschuß hatte gerade vorher im Umdruckverfahren seine Stellungnahme abgegeben, die wir dann gleichzeitig bekommen haben.
Jedenfalls ist eine solche Art, ist allein schon die Terminierung und die Mitteilung, die wahrscheinlich nur im Getriebe des Hauses liegt, die der Vorsitzende gar nicht in der Hand hat, sehr unbefriedigend. Das wollte ich auf alle Fälle gesagt haben.
Ein zweites. Wenn man dann im Rechtsausschuß die Dinge in einer Sitzung an einem Plenarsitzungstag behandelt, ist man bei den Formulierungen teilweise auch überfordert.
— Ja, die Beratung war unterbrochen worden. — So entstehen dann Vorgänge wie der, daß wir heute korrigierende Anträge von den beiden großen Fraktionen vorgelegt bekommen, um die Lücken im Gesetz wieder glattzubügeln.
Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, eine Verbesserung der Sozialklausel ist dringend notwendig; damit darüber nicht der geringste Zweifel besteht. Ich bin aber der Meinung, daß man nicht nur diesen einen Punkt dieser Vorlage sehen darf, sondern auch andere sehen muß. Darf ich Sie jetzt einmal rein vom Gesetzestechnischen auf folgendes aufmerksam machen. Nehmen Sie bitte einmal die Vorlage zur Hand und schauen Sie die Seite 6 an. Dort ist in Art. II a — Rechtszug — die Möglichkeit der Vereinheitlichung des Rechts durch die höheren Gerichte vorgesehen. Das ist nach meiner Ansicht notwendig und richtig. Aber warum muß denn das praktisch in einem eigenen Gesetz, überschrieben mit „Art. II a", „§ 1" und Schluß, stehen, und warum steht das nicht logisch und richtig in den Bestimmungen, wo die Berufungsmöglichkeiten vom Landgericht zum Oberlandesgericht geregelt sind, in der Zivilprozeßordnung? Da gehört däs hin.
Wer soll sich denn in einer solchen Art von Gesetzgebung und Rechtsetzung auf die Dauer überhaupt noch auskennen? Man braucht ja heute schon einen übergroß dimensionierten Schreibtisch, um die entsprechenden mietrechtlichen Vorschriften in der Gesetzesform für einen konkreten Rechtsfall überhaupt nebeneinander hinlegen und betrachten zu können. Das verstärken wir durch solch eine Art von Gesetzgebung. Ich bin also absolut gegen diese Art von unübersichtlichen Regelungen eingestellt, weil wir damit Rechtsunsicherheit schaffen, wo wir Rechtssicherheit und Rechtsklarheit haben wollen.
Ein weiteres. Ich stimme dem Herrn Kollegen Dr. Hauser vällig zu, wenn er sagt: Wir haben versucht, die Rechte des Vermieters und des Mie-
7112 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Erhard
fers möglichst ausgewogen gegeneinander zu stellen; mit einer wesentlichen Ausnahme aber — und die soll auch klar sein —, mit der Ausnahme nämlich, daß wir, erstmals in unserem gesamten bürgerlichen Recht, soweit ich das erkenne, eine Vorschrift in das Gesetz aufnehmen, die dem öffentlichen Recht entlehnt ist, nämlich die Rechtsbelehrung über die Frist für den Widerspruch. Im gesamten Verwaltungsbereich, im Steuerbereich und im Strafrecht gibt es das. Wenn ein Strafbefehl ergeht, wird gesagt: Bitte, du hast die Möglichkeit, innerhalb einer Woche Einspruch einzulegen. Im Bereich des Verwaltungsrechts gilt Ähnliches hinsichtlich des Widerspruchs. Das ist richtig. Hier aber wird in den zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen dem einen Rechtssubjekt, dem Vermieter, der nicht immer eine große Wohnungsbaugesellschaft ist — bitte schlagen wir uns doch diese Vorstellung aus dem Kopf! —, eine Verpflichtung auferlegt. Er soll — nicht muß, soll — den Vertragspartner, den Mieter, darauf hinweisen, was er für Rechtsbehelfe — in welcher Frist und in welcher Form — er gegen einen Rechtsakt hat, nämlich den einseitig gestaltenden Akt der Kündigung. Das mag noch angehen, wenn ich es als Soll-Vorschrift nehme. Wenn ich aber an die Nichtbeachtung dieser Soll-Vorschrift die Konsequenz knüpfe, daß der Widerspruch damit in Wirklichkeit nicht mehr fristgebunden ist, daß er noch im Prozeß bis vor Stellung der ersten streitigen Anträge geltend gemacht werden kann, dann habe ich die Rechtsunsicherheit ,aus einer Soll-Vorschrift in die endgültige Beziehung hineingetragen. Ich meine, das sollten wir nicht tun.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Even.
Herr Kollege Erhard, würden Sie mir nicht in der Auffassung zustimmen, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Sie die Ausführungen, die Sie jetzt im Plenum machen, in den Ausschußberatungen vorgetragen hätten, vor allen Dingen im Rechtsausschuß und auch in den Arbeitskreissitzungen unserer Fraktion?
Herr Kollege Even, Sie haben an sich völlig recht. Nur bitte ich Sie, Ihnen folgendes sagen zu dürfen. Mir ist in der vorigen Woche wegen Magenkrämpfe vom Arzt Bettruhe verordnet worden. Deswegen konnte ich an der Rechtsausschußsitzung in der vorigen Woche nicht teilnehmen. Ich habe aber meine Auffassung gesagt. Ich weiß, daß diese Vorlage ein Kompromiß ist. Nur bin ich der Meinung, daß dieser Kompromiß nicht nur einige gute, sondern auch einige so schlechte Dinge enthält, ,daß man einen solchen Entwurf eigentlich nicht annehmen sollte. Das wollte ich sagen.
Ganz Ähnliches gilt für die kostenrechtlichen Bestimmungen.
Lassen Sie mich zum Abschluß eines sagen. Wir fügen in das Gesetz hier wieder Vorstellungen ein, die aus dem alten und in der Bundesrepublik beinahe nirgendwo mehr geltenden Mieterschutzrecht entnommen sind. Wir schaffen nach meiner Ansicht im Prozeßgang und in der Beurteilung von Prozessen und für die Rechtsprechung zusätzliche Unsicherheiten, was wir uns eigentlich besser überlegen sollten.
Ich kann diesem Gesetz nicht zustimmen, weil ich es einfach nicht für ausgetragen halte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich in den Begründungen und Stellungnahmen, die hier abgegeben worden sind, eine Fülle divergenter Meinungen gehört habe. Ich möchte deshalb bemerken, daß ich davon ausgehe, daß wir nicht über diese oder jene Auslegung, die hier gegeben worden ist, abzustimmen haben, sondern über Wortlaut und Sinn von Art. I, insbesondere über — und hier waren die divergenten Auslegungen —§ 556 a Abs. 1.
Mit Recht hat der Herr Minister ein Urteil aus Hagen zitiert. Dieses sagt in dem ersten Satz — darin hat er es auch nicht angegriffen —, daß sich das Gericht an Wortlaut und Sinn der Gesetzesvorschrift und an nichts anderes halten könne. Wortlaut und Sinn der Gesetzesvorschrift, über die wir abstimmen, besagen aber, daß eine Härte, die für den Mieter oder seine Familie entsteht und nicht zu rechtfertigen ist, bei der Würdigung gegen die berechtigten Interessen des Vermieters abzuwägen ist. Was berechtigte Interessen bei uns sind, sagt das Grundgesetz insofern, als es unter dem Begriff des sozialen Rechtsstaats die berechtigten Interessen des Eigentümers schützt. Ich wiederhole also: Es ist eine nicht zu rechtfertigende Härte für den Mieter und seine Familie auf der einen Seite gegen die durch das Grundgesetz mit dem Begriff des sozialen Rechtsstaates — dazu gehört auch der Schutz des Eigentums — geschützten Interessen des Vermieters auf der anderen Seite abzuwägen. Ich glaubte, es war notwendig, dies zur Klarstellung zu sagen.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme nun in dritter Beratung zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 316, und zwar der Änderung, die zu Art. I Nr. 2 vorgeschlagen ist. In der Vorlage, die Sie haben, ist ein Tippfehler. Der Herr Berichterstatter hat bereits richtig vorgetragen, daß es § 564 a Abs. 2 heißen muß.
Dieser Änderungsantrag ist begründet und wohl auch ausreichend diskutiert worden. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7113
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich lasse nunmehr über Art. I einschließlich der bereits angenommenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. -- Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich komme dann zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 316 *) zu Art. II a: Ergänzung des § 1 Abs. 1, Streichung des Abs. 3 und Streichung der Bezeichnung „§ 1". Darüber kann ich wohl gemeinsam abstimmen lassen. — Kein Widerspruch.
Wer dieser Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Art. II in der Neufassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platze zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Entwurf ist gegen die Stimmen der FDP und die Stimmen etlicher Abgeordneter der CDU/ CSU mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich will noch folgendes mitteilen. Die übrigen Punkte, die heute vormittag behandelt werden sollten, werden morgen nach der Fragestunde behandelt. Heute nachmittag um 14.30 Uhr wird mit Punkt 8 der Tagesordnung — Verteidigungspolitik — begonnen.
Ferner habe ich Ihnen im Auftrage des Ältestenrates noch folgende wichtige Mitteilung zu machen. § 37 der Geschäftsordnung enthält den Satz:
Im Wortlaut vorbereitete Reden sollen eine Ausnahme sein und dürfen nur mit Genehmigung des Präsidenten vorgelesen werden.
Der Ältestenrat hat sich dahin ausgesprochen — und die Präsidenten werden in Zukunft danach verfahren —, daß jeder Redner, der eine vorbereitete Rede verlesen will, dies vorher ankündigt und die Genehmigung des Präsidenten erbittet. Der Redner wird zumindest in der ersten Zeit regelmäßig diese Genehmigung erhalten. Es soll jedem einzelnen überlassen werden, sich zu entscheiden, aber er soll gezwungen sein, den Präsidenten ausdrücklich um Genehmigung zu bitten.
Meine Damen und Herren, außerdem ist für heute nachmittag eine Selbstbeschränkung der Redezeit vorgesehen. Das heißt, es soll nicht beschlossen werden, die Redezeit zu begrenzen, sondern jeder Redner soll in der Verteidigungsdebatte dem Präsidenten vorher ankündigen, wie lange er zu sprechen gedenkt; er ist dann an diese Ankündigung gebunden. Allerdings kann niemand länger als jene 60 Minuten sprechen, die an sich als Höchstredezeit in diesem Hause gelten. Diese neue Regelung ist dem Gebrauch der europäischen Parlamente entnommen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
*) Siehe Anlage 4
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor ich Punkt 8 der Tagesordnung aufrufe, möchte ich bekanntgeben, daß die Punkte 4, 5, 6 und 7, die wir heute morgen nicht mehr behandeln konnten, am Donnerstag — unmittelbar nach der Fragestunde — aufgerufen werden.
Wir kommen nun zu Punkt 8 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verteidigungspolitik
— Drucksache V/2016 —
b) Große Anfrage der Fraktion der FDP
betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache V/2025 —
c) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteidigungspolitik
— Drucksache V/2041 —
d) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Wehrpflichtgesetzes
— Drucksache V/1741 —
e) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Ausrüstung der Bundeswehr
— Drucksache V/1990 —
Zu diesem Punkt 8 hat Herr Abgeordneter Dr. Wörner zur Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle den Antrag, die Redezeit in der nun folgenden Debatte über Punkt 8 des Tagesordnung zu begrenzen, und zwar — mit Ausnahme der Begründungen — auf 30 Minuten für den ersten Redner jeder Fraktion und auf 15 Minuten für jeden weiteren Redner.
Eine Begründung meines Antrags kann ich mir ersparen. Ich darf darauf hinweisen, daß sich dieses Verfahren bei den Debatten, bei denen wir es praktiziert haben, bewährt hat. Und was für Wissenschaft, Sport und Raumfahrt gut ist, ist auch für Verteidigungspolitik richtig und durchführbar. — Damit soll nicht der Regelung der Weg abgeschnitten werden, die vom Herrn Präsidenten heute vormittag angeregt wurde, nämlich die Gepflogenheit einzuführen, daß der betreffende Redner seine Redezeit, die er in Anspruch zu nehmen beabsichtigt, vorher dem Hohen Hause kundtut. — Ich danke Ihnen.
Motors ist, ist gut für Amerika!)
Meine Kolleginnen und Kollegen, heute morgen ist von dem amtierenden
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Vizepräsident Scheel
Präsidenten mitgeteilt worden, daß für diesen Nachmittag eine Selbstbeschränkung der Redezeit vorgenommen werden soll. Es soll, wie Sie eben erwähnt haben, jeder Redner vorher ankündigen, wie lange er zu sprechen gedenkt; er ist dann daran gebunden. Ich glaube fast, diese Regelung ist flexibler als das Verfahren, das Herr Abgeordneter Dr. Wörner vorschlägt.
Aber der Antrag ist hier gestellt; ich muß über diesen Antrag des Abgeordneten Dr. Wörner abstimmen lassen.
Hierzu hat Herr Abgeordneter Dorn das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte das Verfahren, das sich hier allmählich einspielen soll, für äußerst problematisch.
Ich darf sagen, daß ein großer Teil der Sprecher meiner Fraktion mit Sicherheit in der Lage sein wird, auch innerhalb von 15 Minuten das auszusagen, um was es geht, Herr Kollege Dr. Wörner.
Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Parlament hat auch in der Vergangenheit bestimmte Möglichkeiten gehabt, sich selbst zu beschränken. Diese Selbstbeschränkung, die als Selbstdisziplin für die Abgeordneten gelten sollte, soll man nach meiner Auffassung nicht in einen solchen Antrag einmünden lassen, daß man von vornherein jedem weiteren Redner die Beschränkung auferlegt, nur 15 Minuten zu sprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die erste Verteidigungsdebatte, die wir hier seit vielen Monaten führen. Wir haben darauf Rücksicht genommen, daß der Herr Verteidigungsminister erkrankt war. Wir freuen uns, daß er heute wieder unter uns ist.
Aber ich meine, es ist von ganz besonderer Bedeutung, daß in der Debatte über diese entscheidende Frage heute nicht eine erneute Redezeitbeschränkung eingeführt wird.
Ich bitte die Damen und Herren des Hohen Hauses, den Antrag des Herrn Kollegen Dr. Wörner abzulehnen.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hatte die Ankündigung des Herrn amtierenden Präsidenten heute vormittag mit Recht äls die Ankündigung einer interfraktionellen Vereinbarung für die Abwicklung dieser Debatte verstanden. Ich halte den Versuch, hier einmal den Gedanken der Selbstbeschränkung zu praktizieren, für gut. Das Ist eine gute Gelegenheit. Wer viel redet, kann doch aber zur Sache wenig sagen. Wir sollten deshalb durchaus versuchen, mit einer Selbstbeschränkung zurechtzukommen.
Herr Kollege Wörner, ich glaube, wir tun uns alle einen Dienst, wenn wir bei der Ankündigung am Vormittag, die ja auf einer gemeinsamen Überlegung beruht, bleiben und jetzt nicht andes verfahren.
Herr Kollege Wörner, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, es mir nicht als Hartnäckigkeit auszulegen, wenn ich auf dem Antrag bestehe. Ich bin gezwungen, jetzt noch ein wenig zur Begründung hinzuzufügen.
Diese vorgesehene Selbstbeschränkung
soll dadurch nicht außer Kraft treten. Wie ist die Lage? Es liegen drei Große Anfragen vor. Dreimal wird eine Stunde gesprochen werden können. Darauf wird der Herr Minister reden. Auch diese Rede wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Dann kommen die Kollegen, die sich an der Debatte beteiligen wollen. Ich meine: es muß nicht einer alles gesagt haben, sondern es können ruhig ein paar Mitglieder des Hauses verschiedene Aspekte des Debattengegenstands aufzeigen.
Es wäre ein Beitrag zur Belebung dieses Hauses, wenn wir uns auch in diesem Fall an die Begrenzung der Redezeit halten könnten, wie wir das in anderen Fällen bereits praktiziert haben.
Vizepräsident Scheel: Zur Geschäftsordnung Herr Kollege Dr. Mende!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint, daß durch einen formellen Antrag dieses Hohen Hauses, die Redezeit auf 15 Minuten zu begrenzen, ein gefährlicher Weg zur Beschränkung der parlamentarischen Opposition beschritten wird.
Lassen Sie mich als einen derjenigen, die die Ehre haben, seit 1949 hier im Hause zu sitzen, Ihnen, Herr Kollege Wörner, folgendes sagen: Wo lagen die Gründe für die ersten Redezeitbeschränkungen des 1. Deutschen Bundestages? — In den Besorgnissen, daß zwei radikale Gruppierungen, die Kommunistische Partei mit ihren 16 Abgeordneten und die Deutsche Reichspartei — die ihren Namen mehrfach wechselte — mit ihren 5 Abgeordneten dieses Hohe Haus durch eine Vielzahl von Wortmeldungen und ein Überziehen der Redezeiten bewußt in Schwierig-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7115
Dr. Mende
keiten bringen wollten. Daraufhin ist seinerzeit — ich war damals Parlamentarischer Geschäftsführer — der erste Versuch der Redezeitbeschränkung gemacht worden, aus der Notwendigkeit, den Mißbrauch der Redemöglichkeit im Deutschen Bundestag durch radikale Kräfte zu verhindern. Im zweiten, dritten und vierten Deutschen Bundestag hat es sich als nicht notwendig erwiesen, Redezeitbeschränkungen vorzunehmen. Im März 1958 hat es hier fünf Tage lang eine erbitterte geistige Auseinandersetzung um die Grundlagen der deutschen Verteidigungs- und Bündnispolitik gegeben, bis tief in das Wochenende hinein, und niemand dachte daran, weder bei der absoluten Mehrheit der CDU/CSU noch bei der damaligen sozialdemokratischen Opposition oder bei der freidemokratischen Opposition, eine Redezeitbegrenzung vorzunehmen.
Ich glaube, der Weg, den der Kollege Schmitt-Vockenhausen vorschlug, ist der bessere, nämlich durch den Präsidenten gelegentlich zu einer gewissen Selbstdisziplin mahnen und an eine Themenpflicht der Redner erinnern zu lassen sowie die Abgeordneten anzuhalten, in freier Rede zu sprechen. Hier scheint mir das beste Erziehungsmittel gegen unnötige Vielrederei zu liegen.
Aber eine schematische Begrenzung auf 15 Minuten muß die Freie Demokratische Partei als eine Beschränkung ihrer Oppositionsmöglichkeit im Deutschen Bundestag zurückweisen.
Ich darf vielleicht zur Verteidigung der Abmachungen im Altestenrat ein Wort sagen. Herr Kollege Wörner, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir nach den langen Einleitungen sehr spät zur Debatte kommen und daß Sie den Wert auf die Debatte legen. Ihr Antrag beschränkt natürlich nicht die Einleitung, sondern die Debatte; darüber sind Sie sich doch wohl im klaren.
— Er beschränkt die Zeit der Debatte, während die Einleitungen zur Debatte so lang bleiben, wie die jeweiligen Redner es wollen.
Ich darf darauf hinweisen, daß der Antrag eine Zweidrittelmehrheit braucht, weil es sich um eine Änderung der Geschäftsordnung handelt. Ich lasse über den Antrag von Herrn Kollegen Wörner abstimmen. Wer für diesen Geschäftsordnungsantrag des Herrn Kollegen Wörner ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Wir verfahren so, wie es der Ältestenrat dem Hohen Hause vorgeschlagen hat.
Wir kommen zunächst zu Punkt 8 a, zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verteidigungspolitik. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat Herr Kollege Berkhan.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf, bevor ich zu den einzelnen Fragen der sozialdemokratischen Fraktion ein paar Bemerkungen mache, grundsätzlich ausführen, daß die Regierungserklärung — die ich mir bei der Vorbereitung auf diese Debatte noch einmal sehr sorgfältig durchgelesen habe — eigentlich nur in sehr wenigen Punkten auf die Fragen der Landesverteidigung und der Sicherheitspolitik eingeht. Einmal sagte der Bundeskanzler am 13. Dezember 1966 in diesem Hause, daß die Regierung eine Politik der Friedenssicherung, der Entspannung und der Verringerung militärischer Gefahrenmomente betreibe, und zum anderen ging er dann, direkt auf den Verteidigungshaushalt gezielt, zu der Aussage über, daß die Ausgaben für die Verteidigungspolitik keine Reservekasse für den Bundeshaushalt schlechthin seien.
In der Diskussion machte der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Helmut Schmidt Ausführungen zur Regierungserklärung, aus denen ich entnommen habe, daß die sozialdemokratische Fraktion zwar bedauerte, daß wir nicht schon damals mehr über die eigentliche Verteidigungspolitik und Verteidigungskonzeption hören konnten; aber wir hatten Verständnis dafür, daß so kurz nach der Regierungsneubildung der Bundeskanzler zu diesen Fragen noch keine Stellung nehmen konnte. Dennoch wurde ganz klar gesagt, daß meine Fraktion erwartete, ,daß noch in diesem Jahr, d. h. im Jahre 1967, eine Verteidigungsdebatte geführt werde und daß bei dieser Debatte endgültig die Position der Regierung, ihre Pläne, ihre Vorausschau dargelegt würde.
Es gab dann ein paar Wochen und Monate, wo die Diskussion weniger in diesem Hause und mehr in der Publizistik und auf Tagungen geführt wurde. Ich will darauf nicht eingehen. Am 9. Mai kam es zu der NATO-Direktive durch die bestimmte Festlegungen getroffen wurden. Uns wurden diese Festlegungen und Erklärungen durch Minister Schröder etwa eine Woche danach im Verteidigungsausschuß bekanntgegeben — wenn ich mich richtig erinnere, am 16. Mai. — Herr Minister Schröder, ich rede jetzt direkt mit Ihnen, und das ist ein Anlaß, Ihnen zu sagen, daß sich die Sozialdemokratische Partei freut, 'Sie so munter wieder in diesem Hause zu sehen.
Ich bin sicher, daß Sie streitbar wie eh und je sind
— was ja nicht beinhaltet, daß sie streitlustig sind.
— Wir haben uns damals informiert, konnten aber aus dieser Information keine neue Konzeption der Bundesregierung ablesen. Sie werden sich erinnern, Herr Minister, was Sie dem Ausschuß vorgetragen haben.
Danach kam es im Juli dieses Jahres zu Veröffentlichungen im Bulletin der Bundesregierung im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung. Ich darf hier noch einmal auf das Bulletin Nr. 73, Seite 627, hinweisen. Dort heißt es ausdrücklich unter „I. Militärische und zivile Verteidigung":
Entwicklung einer neuen Verteidigungskonzeption mit dem Ziel:
7116 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Berkhan
a) Einschränkung des Personalbestandes der Bundeswehr,
b) wesentliche Streckung bzw. Einschränkung von notwendigen Umrüstungen und Neubeschaffungen der Bundeswehr;
Auf den Absatz c) brauche ich hier nicht einzugehen, er beschäftigt sich mit der zivilen Verteidigung.
Diese Darstellung im Bulletin wurde ergänzt durch weitere Aussagen in anderen Bulletins. So heißt es in Nr. 66 in einem Aufsatz, der von Finanzminister Strauß gezeichnet ist:
Der bestehende Ausgabenüberhang zwingt allerdings zunächst zu einer Herabsetzung der Verteidigungsausgaben im Rahmen einer neu zu entwickelnden Verteidigungskonzeption.
Im Bulletin Nr. 79 wird dann endgültig aufgeschlüsselt, wie die Zahlen in den kommenden Jahren zu sehen sind, und es wird ganz klar dargelegt, was wir an finanziellen Mitteln in den kommenden Jahren zu erwarten haben.
Wenn ich mich richtig erinnere, waren diese Veröffentlichungen und die Gespräche im Kabinett Anlaß dafür, daß ein Teil der Presse angebliche Äußerungen des Herrn Ministers Schröder bekanntgab, und es kam zu der bekannten Zahl einer Kürzung um 60 000 Soldaten, die im Gespräch sei. Damit waren nun wesentliche Probleme der Sicherheits-und Verteidigungspolitik, der Verteidigungskonzeption und der Umstrukturierung der Bundeswehr angesprochen, ohne daß die Regierung auf diese Fragen eine Antwort gegeben hätte.
So war die Situation vor der Sommerpause des Parlaments für die Sozialdemokraten eigentlich noch unklarer als vorher. Weder das Parlament noch die Öffentlichkeit noch die Bundeswehr wußte, wohin der Kurs nun eigentlich geht. Das war der Anlaß für unseren Entschluß, am 10. Juli eine Große Anfrage zur Verteidigungspolitik einzureichen, um eben eine Stellungnahme der Regierung zu den angesprochenen Fragen und eine Debatte im Bundestag vorzubereiten — ich will nicht sagen: zu erzwingen — und einzuleiten, um Klarheit zu schaffen.
Es war wohl so, daß bei allen Fraktionen des Bundestages die gleiche Grundstimmung herrschte, denn eine Woche nach uns, am 17. Juli, reichte die FDP ihre Große Anfrage ein, und eine weitere Woche später, am 24. Juli, folgte die CDU/CSU mit ihrer eigenen Anfrage. Am 7. September endlich wurde der Verteidigungsausschuß durch den Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Adorno, über den Stand der Bundeswehrplanung im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung unterrichtet.
Danach verschob sich dann die Debatte aus diesem Hause heraus. Im Ausschuß haben wir weniger über diese Fragen sprechen können, vielmehr konnte man in verschiedenen Zeitungen lesen, daß mal der eine, mal der andere zu diesen Fragen Äußerungen gemacht hat. Zum einen waren es Politiker, zum anderen waren es aber auch hochgestellte Generale der Bundeswehr,
leider nicht das Ministerium selber. Es haben damals — ich zitiere hier aus einer offiziellen Schrift — drei Generale und ein Admiral im Westdeutschen Rundfunk gesprochen. Da heißt es einmal: Organisation, Bewaffnung und die innere Struktur der Truppe sind gesund. Zum anderen heißt es: Streitkräfte sind ein lebender Organismus, in den man nicht plötzlich eingreifen sollte; ihre Entwicklung ist immer evolutionär. Der zweiten Feststellung kann ich vollinhaltlich zustimmen; bei der ersten wage ich, namens meiner Fraktion ein großes Fragezeichen anzumelden. Herr Minister, sind wirklich Organisation, Bewaffnung und innere Struktur der Truppe gesund? — Ein anderer General sagte, daß der Prozeß des .Übergangs des deutschen Heeres in eine verbesserte Struktur unter keinem Zeitdruck stehe. Ein Dritter meinte, daß die Luftwaffe ihren Auftrag im Frieden und im Verteidigungsfall erfüllen könne. Nur einer, nämlich der Admiral, machte Anmerkungen, aus denen man schließen könnte, daß die Einführung moderner Waffensysteme noch immer ein Hauptanliegen der Marine sei und daß es darum gehe, eine Umstellung auf Flugkörperwaffen vorzunehmen. Er machte dann auch noch ein paar Ausführungen zu den Zerstörern.
Einer der Generale äußerte sich dann ein paar Wochen später wieder in der Öffentlichkeit. Er sprach wiederum von der Luftwaffe und meinte, sie würde in den kommenden Jahren vorwiegend eine bemannte Luftwaffe bleiben, weil das Flugzeug in der Strategie der flexible response eine Renaissance erlebe. Dann kommt — wenn Sie es mir gestatten — ein weiteres Zitat, wieder ein General, der auch bei der ersten Unterredung beteiligt war. Er sprach von Mängeln beim Heer, die nur beim Großgerät lägen; es komme darauf an, den Grad der Wasserbeweglichkeit und der Luftbeweglichkeit des Heeres erheblich zu erhöhen; das seien aber wesentlich Gerätefragen. Die Detailuntersuchungen zur Umstrukturierung der Landstreitkräfte im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung werden uns auch noch nach 1968 beschäftigen müssen. — So weit die Zitate.
Ich will gern zugeben, daß sich auch in anderen Ministerien mitunter hohe Beamte und Diplomaten äußern, ohne daß ihr Minister vor diesem Hause gesprochen hat. Diese Unsitte scheint allgemein zu sein. Ich will für meine Fraktion nur feststellen: In der Zukunft möchten wir, daß diese Fragen erst im Parlament und, wenn es vor dem ganzen Parlament nicht geht, zumindest im Ausschuß des Parlaments gründlich und 'detailliert besprochen werden,
bevor der eine oder der andere in der Offentlichkeit Aussagen macht, die dann ja gewisse Festlegungen darstellen.
Wir erkennen an, daß die Verzögerung der Beantwortung der Großen Anfragen — aller drei Anfragen — natürlich durch die bedauerliche Erkrankung des Ministers Anfang September wesentlich verursacht wurde. Dies kann mich jedoch nicht davon abhalten, hier festzustellen, daß erstens die
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Regierung der Großen Koalition die Fragen unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik bisher sehr dilatorisch behandelt hat und zweitens, daß der jetzige Zeitpunkt, 6. Dezember 1967, sehr ungünstig ist. Denn bereits in einer Woche tritt in Brüssel der Ministerrat der NATO zusammen. Durch das schnelle Aufeinanderfolgen dieser Debatte und der Information des Hauses und der NATO-Beratung ist natürlich die Regierung in ihren Aussagen heute nicht mehr so frei, wie sie es z. B. im Frühherbst oder im auslaufenden Sommer gewesen wäre.
Ich darf mich dem ersten Fragenkomplex zuwenden. Wir gehen immer davon aus, daß eine Einheit zwischen Außen- und Sicherheitspolitik besteht. In der Regierungserklärung hat der Bundeskanzler gesagt, er wolle nur zu Dingen Neues sagen, wo Neues zu sagen sei. In der Aufzählung war dann die Außenpolitik ausdrücklich genannt. Wir glauben, daß, wenn etwas Neues gesagt wird, man davon ausgehen kann, daß da auch eine gewisse Wandlung in den außenpolitischen Zielsetzungen eingetreten ist. Diese Wandlung muß begleitet sein von einem politischen Verhalten, von einer Anpassung der Verteidigungspolitik. Sonst wird nach unserer Auffassung entweder die Außenpolitik oder die Verteidigungspolitik unglaubhaft.
Schwerpunkte der gesamten Regierungspolitik — ich sagte es schon — sollen die Friedenssicherung, Entspannung, Initiativen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung sein. Wir wissen, daß die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag — auch wir hier — in diesen Fragen nicht völlig frei sind; denn wir haben Rücksicht zu nehmen auf unsere Partner im atlantischen Bündnis. Wir haben unsere besonderen deutschen Probleme und Interessen. Sie lassen nur eine Verteidigungspolitik zu, die einer möglichst breiten Unterstützung im Bündnis und in Europa sicher sein kann.
Das langjährige Dilemma der Sicherheitspolitik unseres Landes war die Unklarheit über Ziele und Wege unserer eigenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch die Ungewißheit unserer Bündnispartner und anderer europäischer Staaten über die Absichten, die die Bundesregierung verfolgt. Daraus entwuchsen dann Mißtrauen und die Gefahr einer außenpolitischen Isolation. Die entstandenen Risiken werden wachsen, wenn die Regierung weiterhin diesen Zustand der Unklarheit und der Unentschlossenheit für Parlament und Öffentlichkeit belassen würde.
Wir fragen daher die Bundesregierung:
Ergeben sich aus der außenpolitischen Gesamtvorstellung, welche die Bundesregierung seit dem Dezember 1966 entwickelt hat, Konsequenzen für unsere Sicherheitspolitik und welche sind das?
Wir wären der Bundesregierung dankbar, wenn sie in der Debatte heute über ihre bisherigen Schritte, ihre Vorstellungen und ihre für möglich gehaltenen Lösungen zur Verringerung der militärischen Gefahren, z. B. Gewaltverzicht, Rüstungsverminderung, Abrüstung, berichten würde.
Ich darf an die sozialdemokratische Analyse der internationalen Sicherheit erinnern, wie sie auf dem Dortmunder Parteitag meiner Partei im Juni des vergangenen Jahres ihren Niederschlag gefunden hat. Noch in der Opposition haben wir damals festgestellt, daß die Vorstellung von einer hochgespannten antagonistischen Bipolarität, wie sie fast zwei Jahrzehnte in Europa gegolten hat, weitgehend dein Bewußtsein mindestens teilweiser „kooperativer Bipolarität" gewichen sei. Frankreich und Rumänien hätten diesen Prozeß am stärksten ausgebeutet, „offensichtlich ohne dabei Angst zu haben vor einer eigenen militärischen Verletzbarkeit und offensichtlich ohne Angst zu haben, daß sie dabei den Sicherheitsrückhalt der .eigenen Bündnisvormacht aufs Spiel setzen könnten".
Es wurde damals weiterhin festgestellt, daß andere Staaten möglicherweise diesem Beispiel folgen werden, insbesondere wenn die gegenseitige Neutralisierung der beiden in Europa engagierten Weltmächte weitergehen sollte. Damit würde sich auch die Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland erweitern. „Es könnte sogar, wenn die Krise im Bündnis nicht schnell beseitigt wird, die weitere Entwicklung in Europa die Bundesrepublik erstmalig in den Zwang versetzen, ihre Außenpolitik vom Grunde her selbst konzipieren zu müssen."
Wir Sozialdemokraten haben damals vor einer Unterbewertung der Verteidigungsnotwendigkeiten gewarnt, und wir haben gefordert, daß einer weiteren Erosion im Bündnis Einhalt geboten werde. Wir haben weiter eine verstärkte Aktivität der Bundesregierung auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und der Abrüstung verlangt. Unsere Vorstellungen vom Dortmunder Parteitag sind in das sozialdemokratische 8-Punkte-Programm zur Bildung einer neuen Bundesregierung, aber auch in die verschiedenen außenpolitischen Stellungnahmen der Regierung der Großen Koalition eingegangen. Wir müssen heute aber folgendes hinzufügen: Sollte die Bundesregierung bei ihren Versuchen die aktive Mithilfe unserer Bündnispartner in Fragen der Verminderung militärischer Gefahrenherde nicht in ausreichendem Maße oder nicht zeitgerecht finden können, dann sehen wir in nicht allzu ferner Zukunft den Zeitpunkt für gekommen, an dem die Bundesregierung selbständige Schritte in Richtung auf Abrüstung und Rüstungskontrolle sorgfältig überprüfen sollte.
Ich sage: sorgfältig überprüfen sollte; das bedeutet noch nicht: einleiten sollte. Wir werden sehen, was bei einer solchen eventuell notwendigen Überprüfung herauskommt. Daher behalten wir uns vor, auf die Antwort der Bundesregierung zu dieser ersten Frage in der Debatte weitere Fragen aufzuwerfen und gegebenenfalls Anregungen zu geben.
Zum zweiten Komplex. Ein langjähriges Dilemma unserer Sicherheitspolitik war ohne Frage die Unklarheit im Bündnis über eine mögliche gemeinsame politische Plattform der Verteidigungspolitik, und zum anderen das Fehlen eines strategischen Konzeptes seit Anfang der 60er Jahre, zumindest das Fehlen eines für alle Partner verbindlichen strategischen Konzeptes.
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Am 9. Mai 1967 haben die Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten der NATO in ihrer Eigenschaft als Ausschuß für Verteidigungsplanung eine neue politische Direktive zur Verteidigungspolitik angenommen. Wir bedauern, daß dies ohne Frankreich geschehen mußte. Doch stellten wir fest, daß dann in der Folge am 15. September die Stabschefs der Mitgliedstaaten der NATO in ihrer Sitzung in Oslo den Entwurf einer neuen strategischen Weisung behandelt haben, der auf der genannten politischen Direktive basiert. Am 12. Dezember dieses Jahres, also in der kommenden Woche, wird der Ausschuß für Verteidigungsplanung der NATO dieses Dokument voraussichtlich zu behandeln und eventuell zu verabschieden haben.
In der Direktive vom 9. Mai wurde in einem wichtigen Punkt eine Annäherung der Standpunkte der Regierungen zur Frage der politischen und strategischen Warnzeit erreicht. Es sieht so aus, als ob dies bezüglich der politischen Warnzeit weniger der Fall war als in bezug auf die strategische Warnzeit. Sei es, wie es sei. Wir meinen jedenfalls, daß diese Annäherung der Standpunkte ihren Niederschlag in den Maßnahmen der Bundesregierung finden müßte, um in Zukunft besser in der Lage zu sein, in Krisenlagen gemeinsam mit anderen Bündnispartnern die der Bundesregierung zukommende Rolle aus nationalem Sicherheitsinteresse zur Beilegung solcher Krisen zu übernehmen. Dies müßte auch seinen Niederschlag bei Änderungen in Organisation und Struktur der Bundeswehr selbst finden. Wir erwarten von der Bundesregierung eine Erläuterung des neuen strategischen Konzepts aus ihrer Sicht und die Darlegung ihrer Auffassung zu den konkreten Schlußfolgerungen, die sich dadurch für unsere Politik und die Bundeswehr ergeben.
Wir fragen daher die Bundesregierung als Zweites:
Welche Folgerung zieht die Bundesregierung aus der politischen Direktive, die der Ausschuß für Verteidigungsplanung der NATO in seiner Sitzung am 9. Mai 1967 verabschiedete, für die weitere Entwicklung der Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses?
Ich wende mich dem dritten Komplex zu. Es scheint Klarheit darüber zu bestehen, daß es die erklärte Absicht der Bundesregierung ist, nicht nur auf Grund der angespannten Haushaltslage und der mittelfristigen Finanzplanung, sondern auch aus ganz allgemeinen politischen Gründen und im besonderen wegen der großen strukturellen Aufgaben, die in den nächsten Jahren vor uns liegen, den Verteidigungshaushalt im beschlossenen Zeitabschnitt der mittelfristigen Finanzplanung geringer ansteigen zu lassen als das geschätzte voraussichtliche Wachstum des Bruttosozialprodukts. Wenn ich richtig gerechnet habe, geht man bei der Verteidigung von etwa 3 % aus, beim Bruttosozialprodukt von einer Steigerung in Höhe von 5 %. Diese Begrenzung der Mittel für die militärische Verteidigung in den kommenden Jahren — auch darüber besteht Klarheit — werden den Bundesminister der Verteidigung zu Konsequenzen veranlassen müssen. Ich habe das Bulletin der Bundesregierung bereits erwähnt, und ich habe darauf hingewiesen, daß es sich um den personellen Umfang der Bundeswehr handeln kann, aber auch um die Frage der Umrüstung und Beschaffung, die gegebenenfalls gestreckt oder eingeschränkt werden müßte. Die Bundesregierung scheint zu der Auffassung gekommen zu sein — und wir Sozialdemokraten teilen diese Auffassung —, daß auf Grund außenpolitischer Konstellationen drastische Kürzungen des Personalumfangs der Bundeswehr zunächst nicht ins. Auge gefaßt werden können. Ein solches Verhalten kann auch nach unserer Auffassung der Stabilität in Mitteleuropa und damit der Entspannungspolitik dienen, wenn es den Raum für Fehlkalkulationen einengt.
Andererseits sind wir der Auffassung, daß der Prozeß der Entspannung mit dem Ziel der stabilen Friedensordnung in Europa eine Verringerung der Rüstungsaufwendungen und Rüstungsanstrengungen in Ost und West notwendig machen wird. Die Bundesregierung sollte daher die jetzt geübte Zurückhaltung in der Frage der Reduzierung der Truppenstärken und die Zeit, die dadurch gewonnen wird, nutzen, um eigene Vorschläge für eine solche gleichgewichtige Truppenreduzierung in Gesamteuropa zu entwickeln und dann einzeln mit unseren Verbündeten die Frage der Realisierung dieser Vorschläge zu diskutieren und zu prüfen.
Sie sollte dabei in ihre Überprüfung mit einbeziehen, wie die Lage in den osteuropäischen Staaten ist und ob dort ähnliche Gedankengänge entwickelt werden oder gar entwickelt worden sind, die auf die eine oder andere Weise Erfolgschancen für eigene Initiativen erkennen lassen.
Die Bundesregierung selbst hat in ihrem Beschluß vom 6. Juli dieses Jahres über die Finanzplanung des Bundes bis 1971 von der Notwendigkeit einer Streckung und Einschränkung der Umrüstungs- und Beschaffungsprogramme gesprochen. Wir machen in diesem Zusammenhang auf zwei uns wesentlich erscheinende Punkte aufmerksam, die ich bereits früher einmal anläßlich der Plenardebatte zum Verteidigungshaushalt 1967 mit Nachdruck hier erwähnt habe.
Wir Sozialdemokraten werden keinem einzelnen Beschaffungsprogramm der Bundesregierung mehr zustimmen können, wenn nicht vorher dargestellt wurde, in welche langfristige Aufgabenstellung und Zielsetzung es eingepaßt ist, und wenn nicht vorher der Nachweis erbracht wurde, daß das vorgeschlagene Beschaffungsprogramm in seinen einmaligen Kosten, aber auch in den laufenden Folgekosten sorgfältig mit den Methoden moderner Systemanalyse überprüft worden ist und daß es sich dann als die optimale Lösung herausgestellt hat.
Eine Streckung und Einschränkung von Umrüstungs- und Beschaffungsprogrammen kann jedoch nur eine kurzfristige Übergangslösung sein, um die fortlaufenden Ausgaben im Verteidigungshaushalt zu stabilisieren und in den folgenden Jahren so zu reduzieren, daß eine dringend notwendig werdende Modernisierung der Bundeswehr auf längere Sicht möglich bleibt. Mit anderen Worten, das Verhältnis
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zwischen laufenden Ausgaben und frei verfügbaren Mitteln für die Beschaffung muß ganz wesentlich verbessert werden.
Für das. Gespräch müssen wir uns bemühen, eine einheitliche Basis zu finden. Man muß also wissen, welche Mittel als beweglich angesehen werden: Sind es die reinen Beschaffungskosten, oder wollen wir andere Positionen des viergeteilten Blocks des Einzelplans 14 dazurechnen?
Zahlenmäßige Begrenzung und Streckung bzw. Einschränkung von Umrüstungs- und Beschaffungsprogrammen für einen bestimmten Zeitraum können jedoch allein das gesteckte Ziel nicht erreichen, die Verteidigungsausgaben im Rahmen des Gesamthaushalts und die großen Ausgabenblöcke innerhalb des Verteidigungshaushalts auf die Dauer zu stabilisieren. Dazu ist es erforderlich, zusätzliche Maßnahmen zur Erreichung einer hohen Wirtschaftlichkeit im Verteidigungsbereich zu ergreifen. Der Zwang zur Rationalisierung des laufenden Betriebs mit betriebswirtschaftlichen und betriebstechnischen Methoden in der gesamten Bundeswehr vom Ministerium bis zur Truppe und auch in der Verwaltung ist heute unausweichlich geworden. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß der Bundesminister der Verteidigung gut beraten wäre, wenn er sich hierzu der Hilfe großer Industrieberatungsfirmen bediente, die über umfassende Erfahrungen aus Industrie und Wirtschaft verfügen.
Wir fragen daher die Bundesregierung drittens:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung bei Berücksichtigung der mehrjährigen Finanzplanung und der bündnispolitischen Notwendigkeiten zur Erreichung einer höheren Wirtschaftlichkeit im Verteidigungsbereich?
— Darum können wir ja hier auch noch einmal fragen, Herr van Delden. Der Verteidigungsausschuß ist nicht das Parlament. —
Aber ich wollte die Anfrage meiner Fraktion begründen und mich nicht ablenken lassen.
Ich komme zum vierten Komplex; das ist die Anpassung der Verteidigungspolitik an die Außenpolitik, ihre Einordnung und die Einordnung der Ausgaben für die militärische Verteidigung in den Gesamthaushalt unter Berücksichtigung der großen Zukunftsaufgaben. Das wird nach unserer Meinung Auswirkungen auf die Struktur und die Organisation und die Ausbildung der Bundeswehr haben müssen. Solche Änderungen müssen natürlich mit unseren Bündnispartnern diskutiert werden, und Entscheidungen über diese Änderungen können nur im Rahmen der NATO-Planung getroffen werden. Das ist uns klar. Wir erwarten jedoch, daß innerhalb der Allianz der deutsche Standpunkt eindeutiger und fundierter vertreten wird, als dies in der Vergangenheit zum Teil der Fall gewesen ist.
Die in der Direktive der NATO vom 9. Mai dieses Jahres enthaltene Definition einer strategischen
Warnzeit gibt uns doch die Möglichkeit, eine, wie es jetzt heißt, „abgestufte Präsenz" durchzuführen. Dabei muß der größere Teil der Brigade auf eine Stärke gebracht werden, die ihre sofortige Verwendungsfähigkeit sicherstellt. Die restliche Zahl von Brigaden ist in Kadereinheiten umzugliedern, deren kurzfristige Auffüllung durch das Inübunghalten einer entsprechenden Zahl von Reservisten sicherzustellen ist. Hierzu erscheint es uns möglich, zunächst 5000 Reservistenstellen einzuplanen, so daß bei einem vierwöchigen Übungsturnus im Jahr etwa 50 000 Reservisten ständig in Übung gehalten werden können. Hierzu ist aber eine gründliche Überprüfung des gesamten Mobilisierungssystems notwendig. Das Mobilmachungssystem sollte personell und materiell auf eine Kapazität beschränkt bleiben, die zur raschen Herstellung der Verwendungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der vorhandenen Friedensorganisation erforderlich ist. Anderen Vorstellungen, einen großen Teil des inzwischen auf 1 Million Mann angestiegenen Reservistenpotentials heranzuziehen, müssen wir entgegentreten. Ein Mobilmachungssystem, das so ausgelegt wäre, daß in einer ernsten Krise oder im Verteidigungsfall zusätzliche Großverbände in größerer Zahl aufgestellt werden könnten, müßte nach unserer Auffassung außenpolitisch verheerende Wirkungen haben.
Als weitere strukturelle und organisatorische Maßnahmen würden wir für erforderlich halten: eine Straffung der zentralen militärischen Behörden im Raume Köln—Koblenz — auch hierfür erschiene uns eine Hilfe von außen durch leistungsfähige Industrieberatungen, die durchaus vorhanden sind, oder durch ähnliche Institutionen zweckmäßig —, organisatorische und personelle Maßnahmen zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit und Effektivität in einer lang-und mittelfristigen Forschungs-, Entwicklungs und Ausrüstungsplanung sowie des gesamten Beschaffungswesens, darüber hinaus eine Vereinfachung der regionalen Struktur durch Zusammenlegung der Wehrbereichkommandos, der Wehrbereichsverwaltungen und der Korpsstäbe, wobei selbstveständlich der operative Befehlsstrang aus der NATO und in die NATO hinein und der nationale territoriale Führungsstrang klar voneinander abgegrenzt bleiben müssen.
Wir kennen die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der militärischen Ausbildung, die nicht zuletzt ihren Grund in der angespannten Personallage der Bundeswehr haben. Dies aber ist einer der Gründe, warum wir zu diesem Zeitpunkt einer Verkürzung des Grundwehrdienstes nicht zustimmen können. Wir halten die Zeit noch nicht für gekommen. Zu dieser Frage wird einer meiner Kollegen im Rahmen der Debatte Stellung nehmen.
Trotzdem glauben wir, daß Überprüfungen erforderlich sind, wie Effektivität und Qualität der Ausbildung noch gesteigert werden können. Wir meinen, daß auf manchen Gebieten noch eine Straffung und Konzentration von Ausbildungsvorhaben und Ausbildungseinrichtungen möglich sind. Eine bessere materielle Ausstattung in machen Ausbildungszweigen ist allerdings eine notwendige Voraussetzung hierfür.
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Im Zusammenhang mit der von uns vorgeschlagenen Prüfung der Frage der abgestuften Präsenz sollte das Bundesministerium der Verteidigung sein besonderes Augenmerk auf eine Verbesserung der Effektivität und der Qualität der Reservistenausbildung und des lnübunghaltens richten. Hier muß jeder Leerlauf vermieden und die Ausbildung auf das für den Verwendungszweck unmittelbar Notwendige beschränkt werden. Wir wissen, daß dies hohe Anforderungen stellt, und haben auch deshalb die Zahl der uns notwendig erscheinenden Reservistenstellen auf ein Mindestmaß von 5000 beschränkt.
Wir fragen daher die Bundesregierung 4.:
Beabsichtigt die Bundesregierung Reformen von Struktur, Organisation und Ausbildung der Bundeswehr?
Ich darf den fünften Komplex angreifen. Die Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß das gesteckte Ziel einer Eingrenzung der Ausgaben für die militärische Verteidigung einerseits und die Anpassung an die außenpolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung andererseits auch zu einem Neudurchdenken der Aufgabenstellung für die Streitkräfte führen muß, wobei der Grundsatz der Angemessenheit von Aufgabe und verfügbaren Mitteln uns besonders wichtig erscheint.
Wir meinen, daß die Aufgabenstellung für das Heer unter Beachtung der NATO-Direktive vom 9. Mai etwa aufrechterhalten werden sollte. Die Aufgaben der Luftwaffe müssen nach unserer Auffassung der veränderten Lage angepaßt werden. Die Aufgabenstellung für die Marine sollte eingegrenzt werden. Die Aufgabenstellung muß in Übereinstimmung mit der Begrenzung der Mittel gebracht werden. Dies wird Konsequenzen für die mittelfristige Beschaffungsplanung haben müssen.
Daraus haben wir folgende Vorstellungen entwickelt. Für das Heer: Verzicht auf schnellen Ausbau der Lufttransportkapazität. Das bedeutet auch einstweilen Verzicht auf ein Programm für Hubschrauber, die für mittlere Lasten ausgelegt sind.
Wir meinen, daß jedenfalls bis 1973 auf die Umrüstung auf einen neuen Kampfpanzer verzichtet werden muß. Wir sind der Auffassung, daß der „Leopard" bei Ausnutzung der vorhandenen Verbesserungsmöglichkeiten auch als Nachfolgemuster für den M 48 durchaus geeignet ist. Darüber hinaus sollte das zahlenmäßige Verhältnis zwischen dem Kampfpanzer „Leopard" und dem Jagdpanzer überprüft werden. Der Jagdpanzer ist billiger als der Kampfpanzer, und er hat den Vorteil, daß er eindeutig eine Defensivwaffe ist. Das besondere Augenmerk sollte hingegen auf die Weiterentwicklung und Einführung moderner konventioneller Panzerwaffen und Flächenfeuerwaffen gelegt werden.
Die Ausstattung des Heeres mit nuklearen Trägerwaffen sollte jener entsprechen, welche die auf unserem Boden stationierten verbündeten Truppen besitzen. Vor allem aber auch angesichts der Ausstattung der Nationalen Volksarmeen der Warschauer-Pakt-Staaten mit ähnlichen nuklearen Waffenträgern können wir Vorschlägen, die auf eine Entblößung der Bundeswehr von solchen nuklearen Trägerwaffen hinzielen, nicht zustimmen; jedenfalls können wir solange nicht zustimmen, bis es zu einer gleichgewichtigen und kontrollierten Rüstungsbegrenzung in Gesamteuropa gekommen ist.
Es sollte geprüft werden, ob die Luftlandetruppen noch zweckmäßig und erforderlich sind. Wir meinen, daß die Fallschirmjägerverbände in Panzergrenadiereinheiten umgegliedert und umgerüstet werden können.
Bei der Luftwaffe müßte stärker als bisher das Schwergewicht bei der konventionellen Unterstützung des Heeres — beim ground support —, auf der Aufklärung und daneben auf der Luftverteidigung liegen. Das sind die drei Positionen. Die Beteiligung an dem integrierten nuklearen Strike-Programm von SACEUR sollte auf dem derzeitigen Stand eingefroren werden. Wir halten einen weiteren Ausbau weder für notwendig noch für politisch vertretbar. Ein Absinken dieses Potentials in den kommenden Jahren entsprechend der natürlichen Ausfallrate der F 104 G erscheint zweckmäßig, zumal in dieser Zeit die Pershing-Staffeln einsatzbereit sein werden.
Für den Ersatz der eventuell außer Dienst gestellten F-104-G-Flugzeuge sollte keine Zwischenlösung getroffen werden. Statt dessen sollte später eine klare Trennung zwischen dem Nachfolgemuster für einen Strike-Einsatz — soweit dann noch Flugzeuge dort erforderlich sind — und für die anderen, quantitativ weit überwiegenden Aufgaben der Luftwaffe gewählt werden. Dies aber sollte ein robustes Flugzeug für modernsten konventionellen Einsatz sein, das gleichzeitig als Ersatz für die mit konventionellen Aufgaben beauftragten G-91- und F-104-G-Verbände dienen kann. Wenn hier eine europäische Lösung gefunden werden könnte, wäre sie nach unserer Auffassung anderen Lösungen vorzuziehen.
Die seit langem vernachlässigte Einführung moderner Rohrwaffen zur Luftverteidigung und ihre Weiterentwicklung erscheinen uns besonders dringlich. Andererseits sollten die Einsatzfähigkeit und die derzeitige Einsatzbereitschaft der Fla-Raketensysteme streng überprüft und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen aus einer solchen Überprüfung gezogen werden.
Notwendig erscheint uns auch, zu überprüfen, ob die Bundeswehr nicht,. wie es in anderen Ländern die Streitkräfte seit langem getan haben, ein einheitliches Lufttransportkommando für alle Teilstreitkräfte schaffen sollte. Hierbei sollte die zweckmäßigste, den Erfordernissen der Bundeswehr entsprechende typenmäßige Zusammensetzung besonders sorgfältig geprüft werden. Die Transall-Planung der vergangenen Jahre ist für uns ein warnendes Beispiel für das Fehlen einer fundierten Planung.
Ich komme zur Marine und nenne deren Aufgaben. Wir meinen, sie sind auf den ursprünglichen Auftrag — Verteidigung der Ostseeausgänge und Überwachung des Vorfeldes — einzuschränken, wobei natürlich die Sicherung der Seewege in der
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Nordsee nur so weit ins Auge gefaßt werden sollte,
als dies aus Gründen der Versorgung notwendig ist.
Wir sind gegen die Ausstattung der Marine mit nuklearen Trägerwaffen jeder Art. Der Grund hierfür liegt nicht nur in dem hohen Investitionsaufwand und in den hohen laufenden Kosten, die ein solches Waffensystem erfordert, sondern auch in der Überzeugung, daß sie seekriegstaktisch zur Verteidigung der Ostseeausgänge nicht erforderlich sind. Die Abdeckung der Nordflanke durch die NATO-Luftwaffen scheint uns ausreichend zu sein, und eine Ausstattung der Marine mit solchen Waffen könnte psychologisch-politisch höchst nachteilige Folgen haben.
Entsprechend der Eingrenzung der Aufgaben auf den ursprünglichen Auftrag erscheint uns eine Verringerung der Zerstörerflotte zweckmäßig und notwendig. Hierbei sollten die Leih-Zerstörer Zug um Zug außer Dienst gestellt werden — Leih-Zerstörer heißen sie darum, weil sie aus den USA geliehen sind, und nicht etwa, weil sie von einem gewissen „Ley" abstammten; so alt sind sie auch wieder nicht —,
damit die Kosten für ihre Instandsetzung und Betrieb, die ständig steigen, aus dem Haushalt verschwinden. Über die drei in Bau befindlichen Raketenzerstörer hinaus sind nach unserer -Auffassung weitere Schiffe dieser Art nicht mehr zu beschaffen.
Sorgfältig muß auch geprüft werden, ob wir auf das geplante Tatar-Korvettenprogramm zumindest zur Zeit verzichten können oder ob es andere Lösungen gibt. Wir meinen, wir können zur Zeit darauf verzichten.
Der Schwerpunkt zukünftiger Beschaffungsprogramme der Marine sollte auf einen Schnellboottyp gelegt werden, der mit Schiff-zu-Schiff-Lenkraketen ausgestattet werden kann, sowie auf eine Modernisierung der Minenleg- und Minenräumverbände.
Die U-Boot-Bekämpfung" sollte in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnerstaaten geprüft und zuv erünftigen Lösungen geführt werden. Solche Lösungen müssen auf die besonderen Eigenarten der in Frage kommenden Seegebiete abgestimmt sein. Eine Überprüfung der zweckmäßigen Aufgaben für die Breguet-Atlantic scheint in diesem' Zusammenhang notwendig zu sein.
Der Schwerpunkt der Marine-Luftwaffe sollte in der Aufklärung und in der konventionellen Bekämpfung von Schiffszielen liegen. Keinesfalls darf sich die Marine an ein Nachfolgemuster für die jetzige F-104 G im Strike-Einsatz anhängen, falls dies überhaupt zur Diskussion stehen sollte. Ebenso wie die Luftwaffe wird auch die Marine als Nachfolgemuster für die jetzigen mit der F-104 G ausgerüsteten fliegenden Verbände einen robusten, auf die besonderen Verhältnisse der Marine und die begrenzte Einsatzaufgabe angepaßten Typ auszuwählen haben.
Ich will einen kurzen Hinweis auf die Bemerkungen machen, die Herr Minister Schröder gestern im DUD in einem Aufsatz über die Marine gemacht hat. Auch wir bedauern, daß nicht mehr Geld zur Verfügung steht. Aber wir können der Marine den Trost geben: Vielleicht ist es besser, klein und fein oder klein und intakt zu sein, als daß sie durch die schwierigen technischen Krankheiten — wie z. B. die Luftwaffe — hindurchgeführt würde.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Frage der langfristigen Umrüstung und Beschaffungsplanung der Bundeswehr noch den Wunsch äußern, daß sich in der Bundeswehr nun allmählich der Grundsatz durchsetzen möge, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch vernünftig ist. Die Truppe braucht den Aufgaben angemessene, zuverlässige und robuste Waffensysteme, deren Anforderungen in Unterhalt und Wartung die Möglichkeiten der Truppe nicht ständig überfordern. Wir wissen, daß auch im politischen Interesse einer straffen Führung der Streitkräfte und zur Erreichung höchster Wirtschaftlichkeit moderne elektronische Führungssysteme und Datenverarbeitungsanlagen notwendig sind. Aber auch auf diesem Gebiet sollte die optimale Lösung aus Personallage und Qualität der Ausbildung die Grenzen aufzeigen, und diese Grenzen dürfen nicht überschritten werden.
Daher fragen wir die Bundesregierung in unserer letzten Frage:
Welche langfristigen Pläne bestehen für eine Umrüstung zur Anpassung der Bundeswehr an die zukünftigen Erfordernisse?
Meine Damen und Herren, wir haben diese Fragen gestellt, weil wir Klarheit vor der Öffentlichkeit, aber auch Klarheit für die Bundeswehr wünschen. Die Soldaten und Zivilbediensteten der Bundeswehr haben Anspruch auf diese Klarheit. Wir wissen, daß sie ihren Dienst bisher treu und sauber verrichtet haben. Dafür sagen wir ihnen in diesem Hause unseren Dank.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 b: Große Anfrage der Freien Demokratischen Partei: Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Schultz das Wort.
Schultz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei darf ich zunächst unserem Bedauern Ausdruck geben, daß diese sehr wichtige und von uns allen lange erwartete Debatte erst am Nachmittag dieses Tages beginnen kann. Ich selbst bin ja, wie Sie aus dem Handbuch des Deutschen Bundestages wissen, Landwirt und Winzer, und ich habe mich besonders darüber gefreut, daß wir vor drei Wochen einen ganzen Tag, Mittwoch nämlich, für ,die Probleme der Landwirtschaft zur Verfügung gehabt haben. Wir haben damals in der Frühe mit der 'Debatte angefangen. Ich meine, daß Verteidigungsprobleme sicher ebenso wichtig sind wie landwirtschaftliche Probleme; sonst hätte ich mich auch gar nicht auf diese Sparte hier im Bundestag verlegt. Ich
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meine also, es wäre nützlicher gewesen, wenn wir schon heute früh mit dieser Debatte hätten anfangen können, damit Sie alle frisch genug sind, um sie auch bis zum Ende durchzuhalten.
Dies als erste Vorbemerkung zur Begründung unserer Großen Anfrage.
Die zweite beschäftigt sich mit dem, was Kollege Berkhan am Anfang seiner Begründung ausgeführt hat. Er hat ja eine Reihe Generale und Admirale zitiert, die .sich da und dort über verteidigungspolitische Probleme geäußert haben. Ich möchte Sie, Kollege Berkhan, eigentlich so verstanden haben, daß Sie damit meinten, daß das, was die Generale und Admirale .auf Befragen• von sich aus und, wie ich glaube, auch mit Genehmigung ,des Ministeriums dazu gesagt haben, vorher von der politischen Führung selber hätte gesagt werden müssen.
— Ich freue mich, daß ich Sie richtig verstanden habe. Es ist ja ein ganz entscheidender Punkt der neuen Bundeswehr, daß wir den Staatsbürger in Uniform, den Staatsbürger mit ,der eigenen Meinung in ihr haben wollen. Ich bin der Auffassung, genauso, wie wir unsere Meinung frei und offen sagen sollen und uns bemühen sollen, immer und überall die rechte Zivilcourage zu zeigen, so soll das auch von den Soldaten — auch von den Beamten, Angestellten, Arbeitern, von jedem in der Bundeswehr
— verlangt und praktiziert werden. Wir sollten uns darüber freuen, wenn so etwas geschieht. Nur dann, glaube ich, werden wir diesem Gedanken vom Staatsbürger in Uniform in gutem und richtigem Sinne gerecht.
Nun darf ich mich der Begründung der Großen Anfrage der Freien Demokratischen Partei zuwenden und darf zunächst den Herrn Präsidenten um die Genehmigung bitten, weite Passagen meiner Begründung vorlesen zu dürfen.
Bei einer Begründung ist das durchaus gerechtfertigt; genehmigt!
Schultz (FDP) : Danke sehr!
Wir hatten, meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits zweimal in diesem Jahr Gelegenheit, uns über die Vorstellungen der Freien Demokraten zur Verteidigungs- und auch zur Außenpolitik zu äußern, und zwar zum erstenmal Ende April, als es darum ging, eine gewisse Abklärung des Standpunkts zu dem Atomwaffensperrvertrag festzulegen, und zum zweitenmal im Juni bei der Haushaltsberatung. Beide Male wurde uns bedeutet, es sei vielleicht zwar ganz nett und interessant, daß wir jetzt bei diesen beiden Gelegenheiten über Verteidigungspolitik sprächen, aber selbstverständlich könne all das, was wir da ansprächen, erst dann erörtert werden, wenn man zur großen verteidigungspolitischen Debatte komme, die noch in diesem Jahr vor uns stehe.
Wir haben bei diesen Gelegenheiten die Regierung des öfteren gefragt, in welcher Weise sie unsere Verteidigungsanstrengungen zu organisieren gedenke, um ein größtmögliches Maß an Sicherheit bei erträglichen Preisen zu erreichen. Dabei gingen wir außerdem davon aus, daß unsere Verteidigungspolitik kein Hindernis für eine Verbesserung unserer Beziehungen zum Ausland — insbesondere zu den osteuropäischen Staaten — sein darf.
Eine Reihe von dem, was ich nun vortragen werde, haben Sie in der Form des Anstoßes an die Regierung, eine Überprüfung vorzunehmen, schon von Herrn Kollegen Berkhan gehört. Ich möchte fast sagen, ich fühlte mich in frühere Zeiten zurückversetzt; denn ich hatte ein wenig den Eindruck von „Opposition in der Koalition". Aber das ist sehr nütztlich und sehr gut. Das, was hier nur angetippt wurde, klar und unmißverständlich in Forderungen zu kleiden, ist, wie ich glaube, Aufgabe der Opposition.
Wir haben zum Beispiel mehrfach darauf hingewiesen — das ist allerdings ein Punkt, der hier bisher noch nicht behandelt worden ist —, daß durch die Absage Frankreichs an die integrierte NATO, durch das Bekenntnis der NATO-Ministerkonferenz zum Prinzip der flexiblen Antwort und durch die veränderte Waffentechnik eine Situation entstanden ist, die es strikt verbietet, unsere Verteidigungsanstrengungen auf die gleiche Weise weiterzuführen wie bisher. Sie wissen alle, daß der Aufbau der Bundeswehr seinerzeit unter dem Konzept der massiven Abschreckung vorgenommen und auch laufend durchgeführt wurde — ich möchte sagen: bis in den heutigen Tag hinein. Dabei war unserer Auffassung nach spätestens 1963 zu erkennen, daß das, was heute als flexible response — oder als bewegliche Reaktion — bezeichnet wird, einmal zur übereinstimmenden Doktrin der NATO-Partnerstaaten werden würde. Wir hätten natürlich gewünscht, daß man sich auf diese Entwicklung früher eingestellt hätte.
Es ist uns nämlich bisher leider nicht gelungen, die Regierung zu konkreten Aussagen über das zu bewegen, was sie eigentlich vorhat oder was sie vorgehabt hätte. Statt dessen wird aus dem Verteidigungsministerium heraus eine zum Teil widersprüchliche Informationspolitik betrieben, die zu Gerüchten seltsamster Art geführt hat. Ich erinnere nur an die gezielten Indiskretionen über die Folgen, die sich angeblich aus der Reduzierung der finanziellen Zielvorstellung des Verteidigungsministers für die Präsenzstärke der Bundeswehr ergeben sollten. Ich möchte darauf verzichten, jetzt noch einmal dieses Trauerspiel vom Sommer vor Ihnen auszubreiten. Es bleibt aber jedenfalls das Faktum zu konstatieren, daß durch Indiskretion und Pressemitteilungen handfeste Politik gemacht wurde,
wähnend weder das Parlament als Ganzes noch der Verteidigungsausschuß in nennenswertem Umfang herangezogen wurde, um gemeinsam eine realistische, moderne Verteidigungspolitik für die Bundesrepublik zu erarbeiten. Man spricht oft davon, daß Politik langweilig würde, wenn sie gemeinsam
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würde, daß Politik und auch die Demokratie nur von dem Gegensatz lebten. Ich meine aber, daß gerade auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik und auf dem Gebiet der Außenpolitik ein möglichst großes Maß an Übereinstimmung herbeigeführt werden sollte.
Um der Bundesregierung eine gewisse Denkhilfe zu geben und um gleichzeitig der deutschen Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich selbst ein Bild über die verwickelten Probleme der Verteidigungspolitik zu machen, haben die Freien Demokraten bereits im Juli die Große Anfrage eingebracht, die ich leider erst heute begründen kann. Mein Kollege Dorn hat schon das ausgesprochen, was auch der Kollege Berkhan gesagt hat: wir freuen uns, daß der Minister heute wieder unter uns ist. Ich habe auch gehört, daß der Herr Minister schon sehr viel früher diese Anfragen hätte beantworten wollen. Aber vielleicht ist es so, daß die Rekonvaleszenz der Regierung ganz zupaß kam, um ihre unterschiedlichen Zielvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen, soweit dies übberhaupt möglich ist.
Unsere Anfrage unterscheidet sich in ihrem Umfang erheblich von den Anfragen der beiden anderen Fraktionen, obwohl die gleichen Fragestellungen wiederkehren. Aber wir glauben, daß es, um eine wirkliche Klärung der Probleme zu erreichen und diese Probleme auch öffentlich zu klären, notwendig ist, so präzis, so genau und so detailliert wie möglich zu fragen. Wir können dabei nur hoffen, daß sich die Bundesregierung zu ebenso klaren wie präzisen Antworten herbeiläßt.
Wir bitten jetzt schon darum, nicht mit dem Argument zu kommen, daß zwingende Geheimhaltungserfordernisse einer exakten Beantwortung unserer Fragen entgegenstünden. Das mag für drei Fragen in diesem Bereich zutreffen; aber die anderen sind sicher ganz frei und offen zu beantworten. Wir meinen, daß der deutsche Steuerzahler einen Anspruch darauf hat, zu wissen, wieviel Milliarden des Verteidigungsetats ihm tatsächlich Jahr für Jahr ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren. Übertriebene Geheimniskrämerei erweckt nur den Verdacht, als wolle man eine mangelhafte Politik vor dien Augen der Öffentlichkeit verbergen. Der Steuerzahler hat auch Anspruch darauf, zu erfahren, ob es nicht Wege zum Ziel der Sicherheit gibt, die sich billiger bahnen lassen, ohne deshalb in der Qualität des Straßenbelags schlechter zu sein.
Aus dieser Erkenntnis ist die Frage 1 unserer Großen Anfrage hervorgegangen. Am 6. Juli dieses Jahres hat die Bundesregierung im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung ein neues Verteidigungskonzept angekündigt. Wir Freien Demokraten erwarten, daß dieses Konzept dem Parlament als Ganzes unterbreitet wird. Deswegen haben wir die Frage, ob sie das tun will, an den Anfang gestellt. Wir meinen, daß dieses Konzept dann auch nach allen Richtungen abgesucht werden muß und daß dabei nicht nur die militärische und finanzielle Seite der Angelegenheit, sondern insbesondere auch die außenpolitischen Folgen jeder Verteidigungspolitik und somit auch unserer Verteidigungspolitik zu prüfen sind.
Von besonderer Wichtigkeit und von besonderem Interesse ist natürlich die Frage nach der Höhe der Präsenzstärke der Bundeswehr. Wir haben zwar etwas von der abgestuften Präsenz gehört, und wir haben auf der anderen Seite wieder gehört, daß sich die Stärke nicht verändern soll. Ich glaube aber, es ist notwendig, daß man hier Klarheit schafft. Wir alle wissen und haben es miterlebt, welcher außenpolitische Schaden der Bundesregierung bei den Verbündeten durch die unterschiedlichen Meinungsäußerungen aus dem Verteidigungsministerium und aus dem Bundeskanzleramt entstanden ist. Die Bundesregierung muß unserer Auffassung nach jetzt klipp und klar sagen, ob sie die Präsenzstärke der Bundeswehr überhaupt verkürzen will und, wenn ja, in welchem Umfang. Das Rätselraten über die Frage, ob nur 15 000, 19 000, 30 000 oder gar 60 000 Mann oder überhaupt niemand weniger vorhanden sein werden als in der Vergangenheit, muß aufhören. Es handelt sich bei der Personalstärke der Bundeswehr um eine Zahl von hoher politischer Bedeutung. Das ist oft genug gesagt worden und oft genug auch in Artikeln und Meinungsäußerungen dargestellt worden. Hier ist, wie wir 'meinen, die Unklarheit schlimmer ,als jede Entscheidung, wie auch immer sie aussehen mag.
Es ist ganz sicher, daß eine langfristige Verminderung der Personalstärke gegenüber den Verbündeten begründet werden müßte. Wir sind aber sogar der Meinung, daß sie begründet werden kann, besonders wenn man die Aktivierung des Reservistenpotentials — von dem man auch gehört hat — ins Spielbringt. Es ist nach unserer Auffassung bei der Erörterung dieser Fragen absolut nicht notwendig, daß damit eine zweite Rotationswelle der alliierten Truppen eingeläutet wird. Mir scheint, daß, wenn man über diese Probleme offen und ehrlich auch mit den Verbündeten spricht, sie dann in gegenseitigem Einvernehmen und in vernünftiger Weise gelöst werden können. Wir haben aber sehr viel mehr den Eindruck, daß die Bundesregierung jeder Entscheidung ausweichen will bzw. eben noch nicht in sich den kleinsten Nenner einer gemeinsamen Entscheidung gefunden hat. Ich glaube, sie muß dieser Entscheidung auch ausweichen — insofern habe ich Verständnis dafür —, weil sie eben kein mittelfristiges Verteidigungskonzept besitzt. Sie befindet sich außerdem in finanzieller Beengtheit, weil sie auf das Potential an atomaren Trägerwaffen nicht verzichten will.
In den Fragen 2, 3 und 4 beschäftigen wir uns mit dem Zusammenhang zwischen der Verteidigungspolitik und der Außenpolitik. Denn wir sind uns wohl alle darüber einig, daß die Verteidigungspolitik ein Teil der Außenpolitik ist, und zwar ein sehr wichtiger und sehr bedeutender Teil. Das gilt, wie wir glauben, nicht nur in bezug auf unsere westlichen Partner, sondern auch und vielleicht gerade in unserem Verhältnis zu Osteuropa. Nirgendwo werden unsere Verteidigungsanstrengungen so aufmerksam verfolgt wie dort. Die Bundesregierung wollte im Laufe des vergangenen Jahres eine angeblich neue Ostpolitik einleiten, die auf
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Frieden und Verständigung mit unseren osteuropäischen Nachbarn ausgerichtet sein sollte. Eine solche Politik ist in ihrer Ernsthaftigkeit durch nichts so leicht zu torpedieren wie durch eine Verteidigungspolitik, die man als aggressiv deuten könnte.
Die Ausstattung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen erweist sich zunehmend als ein Hemmnis bei unseren Bemühungen um Verständigung. Kritische Beobachter folgern, daß es der Bundesrepublik immer noch darum gehe, ein Stückchen Besitz oder Mitbesitz an Atomwaffen zu ergattern. Selbst alle Beteuerungen — die, wie ich glaube, keine Beteuerungen im schlechten Sinne, sondern ernsthafte Feststellungen sind —, daß sie einen solchen Besitz oder Mitbesitz nicht anstrebe, sind wertlos, solange die Ausstattung der Bundeswehr eben vorhanden ist. Jedem kritischen Beobachter unserer Politik im Ostblock drängt sich die Überlegung auf, daß die Bundesrepublik zwar über keine atomaren Sprengsätze verfügt, aber offenbar immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben hat, in ihren Besitz zu gelangen. Anders, so sagt man, seien die kostspieligen Ausgaben für eben diesen Teil der Rüstung auf sinnvolle Weise nicht zu erklären.
Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten mehrfach dargelegt, daß die Ausstattung der Bundeswehr mit Trägerwaffen ohne die dazugehörigen atomaren Sprengsätze militärisch sinnlos ist und uns wegen der außergewöhnlichen Kosten nur daran hindert, eine schlagkräftige konventionelle Rüstung aufzubauen. Ich habe im übrigen weiterhin keinen Zweifel daran gelassen, daß wir Atomwaffen auch zu Verteidigungszwecken selbst dann nicht in Mitteleuropa einsetzen können, wenn sie uns von den Amerikanern freigegeben werden. Die Folgen für unsere eigene Bevölkerung wären zu verheerend, zumal es sicher nicht bei einem selektiven Einsatz bleiben kann, sondern dieser Einsatz sich durch Eskalation in einen atomaren Weltkrieg auswächst.
Diese Gedanken finden ihre Bestätigung auch dadurch, daß- sich jetzt die NATO-Verteidigungsministerkonferenz zum Prinzip der flexiblen Antwort bekannt hat. Allerdings ist die Auslegung dieses Begriffs sehr verschieden. Der Herr Verteidigungsminister hat vor einigen Monaten erklärt, flexible Antwort bedeute seiner Ansicht nach immer noch, daß man auf starke konventionelle Angriffe auch mit atomaren Mitteln antworten könne oder sogar müsse; nur wenn diese Möglichkeit bestehe, gehe davon eine ausreichende abschreckende Wirkung aus.
Ich bin der Meinung, daß sich die Bundesregierung mit dieser Auffassung nicht in Übereinstimmung mit dem Sinn der Beschlüsse der NATO-Verteidigungsministerkonferenz vom Mai dieses Jahres befindet. Die von der Regierung erhoffte abschreckende Wirkung, auch unkalkulierbares Risiko genannt, kann nicht eintreten, weil der potentielle Gegner genausogut wie wir weiß, daß unsere Verbündeten gar nicht daran denken, bei einem Angriff konventioneller Art einen Einsatz von Atomwaffen zur Verteidigung zu gestatten. Die Entwicklung der Kriege in Korea und Vietnam beweist das mehr als deutlich. Eine abschreckende Wirkung geht nur von einer Verteidigungskonzeption aus, die so gehalten ist, daß auf konventionelle Angriffe konventionell geantwortet werden kann. Nur eine solche Verteidigungspolitik gewährt der deutschen Bevölkerung eine größtmögliche Sicherheit, nur sie, so glauben wir, unterstützt auch unsere Friedens-und Verständigungsbemühungen gegenüber Osteuropa, und nur sie befindet sich in Übereinstimmung mit den soeben genannten Entschließungen.
Es wäre falsch, wenn man aus dem, was ich soeben gesagt habe, nun schließen wollte, daß eine solche andere, nach unserer Auffassung konzipierte Politik einen Verzicht auf atomare Abschreckung bedeuten würde. Sie berücksichtigt lediglich die unbestreitbare Tatsache, daß mit atomaren Mitteln nur der abschrecken kann, der auch über solche zum atomaren Gegenschlag in eigener Entscheidungsfreiheit verfügt. Das sind nun einmal im NATO-Bündnis die Vereinigten Staaten. Da wir an diesem Bündnis festhalten wollen und müssen, bis ein gleichmäßiger Abbau beider Militärblöcke erreicht wird oder ein anderes Sicherheitssystem vorhanden ist, ist unsere Sicherheit im atomaren Bereich durch das Potential der Amerikaner nach menschlichem Ermessen gewährleistet, und es wird sich auch an der Abhängigkeit in diesem Bereich von unserem stärksten Partner innerhalb der NATO nichts ändern.
Es spricht, so glaube ich, alles dafür, insbesondere wenn man wiederum die Entwicklung auf den leider zahlreichen Kriegsschauplätzen auf der Erde seit 1945 betrachtet, daß die Vereinigten Staaten auf den Einsatz von Atomwaffen auch kleiner Kaliber so lange verzichten werden, solange auch der Gegner von einem Einsatz dieser Waffen absieht. Umgekehrt gilt wohl für die Sowjetunion das gleiche. Die beiden Atomgiganten gemeinsame Furcht vor einer Eskalation, die sie bis ins Mark treffen würde, ist der Kern des atomaren Patt. Diese Furcht veranlaßt beide Staaten, dafür zu sorgen, daß Atomwaffen auf möglichst wenige Länder beschränkt bleiben.
Diese Furcht allein ist allerdings noch nicht geeignet, jeden Krieg zu verhindern und ihn unmöglich zu machen. Deswegen meinen wir, daß man, wenn man über diese Dinge nachdenkt, dann auch über die möglichen Konflikte nachdenken und sich dabei über das mögliche Kriegsbild klarwerden muß. Deswegen haben wir in Punkt 5 unserer Großen Anfrage die Frage gestellt:
Welches Kriegsbild hält die Bundesregierung
unter den möglichen für das wahrscheinlichste?
Mir scheint, daß man zwar ein Kriegsbild kennt, das man für wahrscheinlich hält, daß man aber daneben auch die unwahrscheinlichen Kriegsbilder abdecken will und daß das letzten Endes dazu führt, daß man der Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann. Ich erinnere mich an den Ausspruch von Friedrich dem Großen, der einmal gesagt hat: „Wer alles defendieren will, defendieret nichts." Wenn die Bundesregierung, wie man manchmal den Ein-
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druck hat, glaubt, befürchten zu müssen, daß der potentielle Gegner die Bundesrepublik plötzlich mit Atomwaffen überfallen könnte, dann wären, so könnte man sagen, vermutlich alle bisher unternommenen Verteidigungsanstrengungen ohne Sinn gewesen. Denn dann würde sofort der Kampf der Giganten gegeneinander beginnen, und wir wären nur mehr reines Objekt. Wir meinen aber, daß ein solches Kriegsbild zur Zeit das unwahrscheinlichste ist.
Für ähnlich unwahrscheinlich halten wir auch einen Versuch der Sowjets, mit geballter konventioneller Kraft und vielen Panzerdivisionen plötzlich bis zum Atlantik durchzustoßen; denn auch ein solcher Versuch, so glauben wir, würde dazu führen, daß wir den dritten großen Weltkrieg hätten.
Wir glauben sehr viel mehr, daß auch in Mitteleuropa begrenzte Konflikte, wenn sie auch sehr unwahrscheinlich sind, nicht völlig auszuschließen sind. Sie können das Ziel haben, dem potentiellen Gegner Faustpfänder zu verschaffen, sie können auch nur allgemein als militärisches Druckmittel und Demonstration der Stärke gedacht sein. In beiden Fällen, so glauben wird, muß die Bundeswehr im Rahmen der NATO in der Lage sein, erfolgreich Widerstand zu leisten und die Unversehrtheit des Territoriums wiederherzustellen. Nur glauben wir, es muß auch für den Gegner erkennbar sein, daß wir dazu fähig und in der Lage sind. Nur dann wird von unserer Verteidigungskonzeption eine abschreckende Wirkung ausgehen. Nicht die unlängst noch von verschiedenen CDU-Kollegen beschworene angebliche Ungewißheit des Gegners, ob und wann wir Atomwaffen zu unserer Verteidigung einsetzen werden, wirkt abschreckend, vielmehr schreckt der Gegner nur dann vor dem Versuch zurück, seine politischen Ziele mit militärischen Mitteln durchzusetzen, wenn wir, die Bundesrepublik, eine Wehrausgestaltung haben, die wir im Ernstfall auch praktizieren können ohne Angst, mit anderen zusammen dann Selbstmord begehen zu müssen. Deswegen wollten wir zu diesem Problem auch eine Antwort der Bundesregierung haben und haben in Frage 6 gefragt:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der mögliche Gegner nur dann vor der Durchsetzung politischer Ziele mit militärischen Mitteln zurückschreckt, wenn unsere eigene Verteidigungskonzeption erkennbar im Ernstfall durchzusetzen ist?
Wir glauben zu wissen, daß die Vereinigten Staaten auch bei einem überlegenen konventionellen Angriff aus dem Osten nicht daran denken, den Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen freizugeben, und wir glauben, daß aus dieser Erkenntnis Schlußfolgerungen gezogen werden müssen. Deswegen meinen wir, daß die konventionelle Rüstung, die nichtatomare Rüstung, durch Umorganisation der Bundeswehr und verschiedene andere Maßnahmen so verbessert werden muß, daß ein Angriff für den Gegner auch im Hinblick auf unsere konventionelle Abwehrkraft zu riskant ist. Nach dieser Umorganisation und danach, welche Maßnahmen notwendig sind, um das zu erreichen, fragen wir in unseren
Fragen 7 und 8. Wir fragen danach, ob nach der NATO-Doktrin das Prinzip der flexiblen Antwort die Möglichkeit einschließt, taktische atomare Kampfmittel schon bei einem als überlegen bezeichneten konventionellen Angriff einzusetzen. Und wir fragen weiter:
Welche Folgerungen sind, wenn Frage 7 verneint wird, für Rüstung, Forschung, Entwicklung, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr zu ziehen?
Wir glauben, daß hier noch manches zu tun ist und daß hier eine detaillierte Antwort nützlich und nötig wäre.
Im Zusammenhang mit dieser Frage der Ausrüstung und der Bewaffnung fragen wir dann in den Fragen 9 und 10:
Ist die derzeitige konventionelle Bewaffnung der Bundeswehr ausreichend, Angriffe von gepanzerten Verbänden abzuwehren?
Sind atomare Waffen taktischer und strategischer Art geeignet, Angriffe gepanzerter Verbände größeren Umfangs abzuwehren?
Denn wir glauben, daß, wenn überhaupt ein solches Unternehmen in die Betrachtung einbezogen wird, natürlich ein Angreifer gepanzerte Verbände einsetzen wird. Mir scheint, daß sich die Bundesregierung hier eben doch immer noch im unklaren ist, wie solche Angriffe abgewendet werden können, zum Einsturz gebracht werden können.
Ich darf mich hier vielleicht noch einmal auf den Kollegen Schmidt berufen, der auch in der Neuauflage seines Buches „Verteidigung oder Vergeltung" vom Jahre 1965 überzeugend dargelegt hat, daß ein Einsatz von Atomwaffen auch taktischer Art kein besonders geeignetes Mittel ist, um Panzer zu bekämpfen. Ich fürchte allerdings, daß er sich zu einer nächsten unveränderten Neuauflage nicht wird entschließen können, da er ja seit der Zugehörigkeit der SPD zur Regierung die von ihm früher mit überzeugenden Argumenten bekämpfte Auffassung vertritt, die nukleare Komponente sei für die Bundeswehr nötig. Wie dem auch sei, da die Bundeswehr im Ernstfall nicht über Sprengkörper atomarer Art zur Bekämpfung von Panzern verfügen wird, ist es interessant zu wissen, wie sich die Regierung eine konventionelle Abwehr vorstellt. Es dürfte unbestritten sein, daß gepanzerte Verbände nach wie vor zur Abwehr von Panzerangriffen gut geeignet sind. Wir erinnern uns an das Manöver, das kürzlich in der norddeutschen Tiefebene stattgefunden hat. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, daß eine ganze Anzahl von militärischen Fachleuten darauf verweist, daß Panzer nicht das allein seligmachende Mittel sind. Wir meinen, daß den traditionellen Panzerbekämpfungsmitteln mit Kanonen und mit Kanonenjagdpanzern noch eine sehr viel stärkere Bedeutung zukommt, als das heute vielfach bei den verantwortlichen Stellen gesehen wird, und daß insbesondere auch den traditionellen Infanterieverbänden ein ebensolcher Wert beizumessen ist. Dieser Gesichtspunkt sollte deswegen nicht vernachlässigt werden, weil Infanterieeinheiten oder Grenadiereinheiten — wie man heute sagen würde — billiger als gepan-
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zerte Verbände aufzustellen und zu unterhalten sind und natürlich auch ein weniger hohes Maß an technischem Können beanspruchen.
Ich darf darauf verweisen, daß es für alle diejenigen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, nützlich wäre, einmal die Schrift „Infanterie im Atomzeitalter" von einem Herrn Uhle-Wettler zu lesen. Das ist eine sehr nützliche und sehr vernünftige Studie, die sicher auch im Ministerium schon gelesen wurde, allerdings sicher noch nicht dazu geführt hat, daß man sich näher damit beschäftigt.
Es kommt ein Weiteres dazu, und zwar fragen wir nun wegen der notwendigen Umorganisation in Frage 13:
Hat die Bundesregierung die Absicht, beim Streben nach größerer Wirtschaftlichkeit im Bereich der Streitkräfte dem Parlament Gesetzesänderungen vorzuschlagen oder Organisationsformen, Verordnungen und Vorschriften personeller Art in eigener Zuständigkeit zu ändern?
Wir fragen das deswegen, weil wir glauben, daß das ganze Wehrsystem, das wir in der heutigen Zeit benötigen, eigentlich noch nie vorhanden war und daß es das noch nie gegeben hat. Es wird sicher anders sein als in der vergangenen Zeit.
Ich spiele nur darauf an, daß man sich gerade mit der Frage des Reservistenpotentials besonders beschäftigen muß und daß man auch hier natürlich in die uns umgebenden Länder hineinsehen sollte. Die Schweiz wird hierbei oft genannt. Man braucht sicher nicht so weit zu gehen wie die Schweiz, die auf Berufssoldaten, von wenigen Ausnahmen in hohen und höchsten Stellen abgesehen, fast ganz verzichtet. Aber eines muß sicher sein, daß die dortige Miliz weit davon entfernt ist, das zu sein, als welches sie hier manchmal apostrophiert wird, als eine Art „verbesserter Volkssturm." Diese Miliz ist ein latent immer vorhandenes Reservistenheer, dessen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften in zahlreichen regelmäßigen Übungen aufeinander eingespielt werden. Sie können im Falle einer Mobilmachung in ganz wenigen Stunden zur Verteidigung insbesondere ihrer näheren Umgebung zur Verfügung stehen. Mir scheint notwendig zu sein, daß wir ein System finden, in dem diese Elemente mit der gegenwärtigen Struktur der Bundeswehr verbunden werden. Gerade dazu ist es auch notwendig, daß wir uns in der Waffenausstattung auf einfache Waffen konzentrieren und nicht immer der vollen Perfektion und der Übertechnisierung nachjagen, was wir immer wieder beobachten müssen.
Es kommt darauf an, daß die Waffen und Geräte einfach sind und daß sie genormt sind. Von der Vielfalt der Typen nicht nur im Fahrzeugpark muß zumindest dann abgegangen werden, wenn es sich um Reservisteneinheiten handelt. Wir glauben, daß hier nicht alles der sogenannte „letzte Schrei" sein müßte, sondern deß es mehr darauf ankommt, daß Waffen und Geräte den Männern vertraut sind und daß sie im Ernstfall schnell zur Hand sind. Die komplizierteren Waffen werden zu ihrer Bedienung von
Berufs- und Zeitsoldaten und auch die Wehrpflichtigen, die sich gerade in der Ausbildung befinden, erfordern.
Allerdings kommt es hierbei natürlich auch darauf an, daß das, was an Munition vorhanden ist, verfügbar ist. Ich möchte auf diese Sache jetzt nicht weiter eingehen, aber man hat ja gelesen, daß z. B. nicht alle Panzerfäuste verwendbar sein sollen. Wenn das, was hier in einer Zeitung angedeutet wurde, auch auf Wahrheit beruht, würde ich sagen, daß unsere Verteidigung auf recht tönernen Füßen steht.
— Gut, eine Zeitschrift, Herr Kollege Lenze.
Nun, wir haben zu diesen Dingen einige Fragen für die Fragestunde gestellt, und wir haben auch einen Zwischenbericht des Ministeriums darüber bekommen, der allerdings schon dem Umfang nach
— 11/2 Seiten — nicht sehr eingehend sein kann.
Ich möchte hier in diesem Zusammenhang eine Frage ganz kurz anschneiden, vorausgesetzt, wir werden jetzt im Verteidigungsausschuß darüber unterrichtet, was da falsch und was da richtig gewesen ist; den das wird in Aussicht gestellt; das Ministerium sagt: „Ich bin aber bereit, dem Verteidigungsausschuß detaillierte Auskünfte zu geben." Wenn sich nun das bewahrheiten sollte, was da geschrieben worden ist, was soll dann eigentlich geschehen, was soll dann der Verteidigungsausschuß machen, was soll das Hohe Haus dann eigentlich machen, wie werden wir dann unserer Kontrolle gerecht? Denn natürlich wird diese Unterrichtung unter der Verpflichtung der Geheimhaltung gegeben. Das bedeutet selbstverständlich, daß wir darüber nicht mehr sprechen können.
Es ist natürlich für einen Parlamentarier sehr schwierig, zu unterscheiden, wann nun in der Tat militärisch wichtiges Material aus Gründen der Landesverteidigung geheim ist, wo das anfängt, wo das aufhört, wo es andererseits nur darum geht, sagen wir, den Mantel des politischen Geheimnisses über etwas zu breiten.
Ich bin z. B. der Meinung — um das an einem unverfänglichen Beispiel zu demonstrieren —, daß das Problem HS 30 nie geheim war im Sinne eines Geheimnisverrats, daß der Gegner also Einblick in eine Ausrüstung bekommt, wenn man etwas darüber sagt. Ich bin sehr viel mehr der Meinung, daß dieses ganze Geheimnis, das um den HS 30 gebildet worden ist, und der Schleier, der darüber gezogen wurde, sehr viel mehr ein politisches Geheimnis der Regierung und des Verteidigungsministeriums ist.
Eine interessante Frage! Ich will sie hier nicht weiter erörtern. Aber wir sollten einmal darüber nachdenken.
— Verzeihen Sie, das war ein Irrtum. Wir waren zur Zeit der Beschaffung des HS 30 nicht in der Bundesregierung, wir waren in der Opposition, mit
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Ihnen zusammen. Lassen Sie uns doch noch darin sein!
— Der seinerzeitige Abgeordnete Manteuffel gehörte zu dieser Zeit nicht der Fraktion der Freien Demokratischen Partei an.
— Nicht mehr, selbstverständlich.
Der Kollege Berkhan hat schon zur Umrüstung der Bundeswehr gesprochen. Er hat hier auch von Flächenfeuerwaffen, Salven-Raketenwerfern gesprochen. Diese Fragen haben auch wir aufgegriffen. Wir glauben, sie sollten danach beantwortet werden, wie die Ausrüstung der Bundeswehr für die Zukunft aussehen wird. Es wäre natürlich interessant, zu wissen, ob eine Bemerkung des verehrten früheren Bundeskanzlers Adenauer heute immer noch Gedankengut der Freunde von der ChristlichDemokratischen Union ist, nämlich, daß atomare Waffen taktischer Art nur eine Weiterentwicklung der herkömmlichen Artillerie seien. Wenn man sich dieses Wort einmal plastisch vor Augen hält, dann findet man sehr viel leichter zu Entscheidungen, die für die Zukunft notwendig sind.
Bisher konnte in den Jahren des Aufbaus der Bundeswehr natürlich noch nicht die größtmögliche Effektivität erreicht werden, weder in der Bewaffnung noch in der Organisation. Mit anderen Worten, die Mittel, die aufgebracht worden sind, konnten nicht immer effektiv genug eingesetzt werden. Auch hierüber hat Kollege Berkhan in seiner Begründung schon gesprochen. Deswegen kann ich mir manches ersparen, was ich mir aufgeschrieben hatte.
Aber eines möchte ich doch sagen. Dabei möchte ich mich auf den Kollegen Rommerskirchen berufen, der vor einigen Monaten eine Reihe von Rationalisierungsmöglichkeiten aufgezählt hat und z. B. erwähnt hat, daß nach seiner Ansicht ein Großteil der Offiziere im Kölner Truppenamt nicht sinnvoll beschäftigt seien. Inzwischen haben sich auch hier die Verhältnisse geändert. Wir haben inzwischen den Stellenplan des neuen Haushalts im Verteidigungsausschuß beraten und haben hier eine Anhebung des Amtschefs im Rang vorgenommen. Wir haben ihr zugestimmt, weil die Argumente, die von seiten der Regierung vorgetragen wurden, so überzeugend waren, daß wir uns ihnen nicht entziehen konnten.
Ich will damit nur andeuten — hier stimme ich mit Berkhan überein —: die Prüfung der Frage, ob diese Argumente in der Tat alle richtig sind, ist immer wieder notwendig. Man hört nämlich einen neuen Ausdruck in der Bundeswehr. Er lautet „Glasbläserstäbe" und besagt, daß Leute am Werk sind, die viel Luft hineinblasen, ohne daß damit irgendeine Effektivität erreicht werden kann.
— Sicher. Vergleiche hinken ja immer, Kollege Mende.
Hierher paßt die Aussage eines Stabsoffiziers, der sich im Gespräch mit Händen und Füßen sträubte, einen bestimmten Posten weiter zu besetzen, und zwar deshalb, weil er in den sechs Wochen, die er jetzt dort gewesen war — er hatte ihn neu angetreten —, keinerlei Posteingang hatte und statt dessen eine Menge Kreuzworträtsel gelöst hat. Eigenartig ist, daß uns als Abgeordneten so etwas gesagt wird, daß man aber, wenn wir solche Beobachtungen höherenorts melden, sagt: Dieser Mann ist fehl am Platze, Arbeit haben wir für alle, und wer nicht arbeitet, ist quasi selbst daran schuld. Man ist nicht bereit, solchen Mitteilungen nachzugehen. Das vermissen wir in der Organisation des Ministeriums.
Ich könnte mir denken, daß nachher einer der Kollegen sagen wird, ich hätte die Bundeswehr schlecht gemacht. Ich möchte dem gleich entgegnen und sagen: Wir wissen, daß die überwiegende Mehrzahl der in der Bundeswehr Tätigen, Zivilisten wie Soldaten, ihre Pflicht ordentlich erfüllen. Das sollten wir von vornherein beiseite lassen. Damit wird nämlich versucht, notwendigen Überprüfungen aus dem Wege zu gehen. Da wird dann politisch so argumentiert.
Wir meinen auch, daß die Umgliederung des Heeres eine Frage ist, die erörtert werden muß. Sie wird bisher nur allgemein draußen erörtert. Eine verbindliche Erklärung der Bundesregierung dazu fehlt noch. Wir wissen, daß diese Umgliederungen notwendig sind.
Die Vorgänge in der Teilstreitkraft Luftwaffe geben ein Zeugnis davon. Wir haben den Eindruck, daß hier ein richtiger Weg beschritten worden ist, daß hier versucht wird, die größtmögliche Effektivität zu erreichen. Aber nur dann, wenn dieses Problem auch in Angriff genommen wird, wenn man sich darüber Gedanken macht und sich nicht in den Schwierigkeiten des Apparats selber verfängt, wird man Erfolg haben.
Wir glauben nach wie vor, daß eine straffere Gliederung der Spitze notwendig ist. Wir meinen, daß der Gedanke, die Stäbe der territorialen Verteidigung des Heeres zusammenzulegen, ein vernünftiger Gedanke ist und daß er zu Einsparungen führen kann und soll. Davon ist ganz unbetroffen die Position des Verteidigungsministers, der nach wie vor der oberste Befehlshaber sowohl der der NATO assignierten Verbände als auch für die bisherige Territorialverteidigung bleibt. Im Ernstfall ist sowieso allies anders, dann befiehlt die NATO.
Wir meinen abler nun, daß es, wenn man die Gesamtverteidigung betrachtet, nur ein Stückwerk wäre, wollte man sich nur mit dem Problem Bundeswehr beschäftigen. Wir glauben, daß solche Rationalisierung die ganze Landesverteidigung betreffen muß, und zwar so, daß sowohl der militärische als auch der zivile Bereich betroffen werden.
Wir fragen deshalb in Frage 14:
Welche Maßnahmen sind notwendig, um über
die Verabschiedung der Verfassungsänderungen
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über den äußeren Notstand hinaus die militärischen und zivilen Bereiche der Landesverteidigung in der Bundesrepublik besser als bisher zu koordinieren?
Wir sind der Auffassung, daß es vielleicht nützlicher wäre, im Bundesministerium des Innern die schöpferischen Kräfte auf diese Frage zu konzentrieren statt auf die Frage, wie der innere Notstand bewältigt werden kann.
Es käme mehr darauf an, eine zweckmäßige Form der Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium zu finden, eine Koordinierung dieser beiden Bereiche, die sicher dann wohl im Bundeskanzleramt münden müßte; darauf müssen wir leider immer noch warten.
Eine andere Frage haben wir in Nr. 15 angesprochen:
Welche Schritte sind zu unternehmen, um die Ausbildung der Wehrpflichtigen gleichzeitig zu intensivieren und zeitlich abzukürzen?
Die Bundesregierung scheint nach wie vor die psychologischen Gefahren zu unterschätzen, die sich aus einer mangelnden oder sinnlosen Beschäftigung unserer Wehrpflichtigen während der Dauer des Grundwehrdienstes für den Wehrwillen der jüngeren Jahrgänge ergeben. Das berüchtigte Wort vom „Gammeldienst" in der Truppe wird zwar von Politikern und Offizieren und auch Unteroffizieren häufig zurückgewiesen, aber von den Wehrpflichtigen selbst und ihren Angehörigen immer wieder in Gesprächen und Briefen durch eine Unzahl drastischer Beispiele belegt. Bei allem Sinn für die Notwfendigkeit auch langweiliger Wartungs- und Pflegearbeiten in technisierten Truppenteilen habe ich keinen Zweifel, daß hier etwas geschehen kann und muß. Die Ausbildung der Wehrpflichtigen muß gleichzeitig intensiviert und abgekürzt werden, das glauben wir.
Wir haben deshalb dem Hohen Hause einen Antrag vorgelegt, der auch hier Gegenstand der ersten Beratung ist, in dem wir fordern, den Grundwehrdienst von 18 wieder auf 12 Monate zu verkürzen. Das scheint uns das am besten geeignete Mittel des Parlaments zu sein, als Kontrollorgan der Regierung die Regierung zu zwingen, sich der zahlreichen Unzuträglichkeiten in der Ausbildung anzunehmen. Wir scheuen uns dabei nicht, zu sagen, daß die Ausbildung in den verbleibenden zwölf Monaten auch auf Kosten der Freizeit der Wehrpflichtigen, etwa am Wochenende, intensiviert werden muß.
Es ist einfach ein Unding, wenn festgestellt werden muß, daß auf 18 Monate Wehrdienst 220 oder 230 Tage aus diesen oder jenen Gründen dienstfrei sind. Ich bin der Überzeugung, daß unseren jungen Männern mehr damit gedient ist, wenn der Wehrdienst auf zwölf Monate verkürzt wird, auch wenn sie in dieser Zeit mehr als bisher tätig sein müssen.
Allerdings — das ist das Problem dabei — muß eine Mehrbelastung 'der Ausbilder vermieden werden.
— Ja, 'da brauchen Sie 'gar nicht zu lachen. Das kann dadurch geschehen, 'daß, wie die FDP es vorschlägt, durch .die Herabsetzung der Dauer ,des Grundwehrdienstes gleichzeitig auch der Anteil der Wehrpflichtigen an der Bundeswehr verringert wird und sich damit natürlich auch eine Verringerung der im Dienst befindlichen Verbände ergeben wird. Damit würde sich nämlich automatisch die Zahl der Ausbilder, 'die nach wie vor zu klein ist, erhöhen. Wir haben diese Sache schon einmal im Jahre 1964 beantragt. Ich kann es mir 'deswegen ersparen, jetzt noch einmal darauf einzugehen, es sei denn, es ist in der Debatte notwendig.
Ich möchte Ihnen aber auch ein Beispiel dafür geben, wie wir uns das vorstellen. Die FDP möchte mitihrem Antrag auf Herabsetzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate den Anteil der Wehrpflichtigen an der Präsenzstärke der Bundeswehr von zur Zeit 47 % senken. Die Folge wäre, daß die Bundeswehr rund 60 000 Wehrpflichtige weniger unter Waffen halten würde. Da kommt das Problem der Verminderung der zu° geringen Präsenzstärke, Auswirkungen nach draußen usw. Wir glauben aber, daß zum Ausgleich dieser verminderten Präsenz beispielsweise etwa 30 000 Wehrpflichtige jeweils vier Wochen lang zu Wehrübungen eingezogen werden können. Wenn wir davon ausgehen, daß ein Wehrübender doppelt 'soviel kostet wie ein Wehrpflichtiger, verbrauchen die Wehrübenden nach unserer Konzeption gar keine zusätzlichen Personalkosten. Wir haben dann aber nach wie vor eine ständige Präsenz von etwa 430 000 Soldaten. Man könnte diese Zahl selbstverständlich auch variieren.
Um es noch einmal zusammengefaßt zusagen: Es würde bedeuten: 460 000 gegenwärtiger Stand minus 60 000 Wehrpflichtige wegen Herabsetzung der Dauer des Grundwehrdienstes plus ständig 30 000 wehrübende Reservisten. Wir glauben, daß die Verminderung der Präsenzstärke um 30 000 — wenn man 460 000 als augenblickliche Zahl nimmt — dadurch mehr als ausgeglichen wird, daß Jahr für Jahr insgesamt 360 000 Reservisten ihre Kenntnisse auffrischen.
Daß das selbstverständlich zunächst einmal Schwierigkeiten in der Organisation bringt und daß man das genau durchdenken und durchrechnen muß, ist sicher. Aber mir scheint, wir müssen damit beginnen.
Das Mißverhältnis zwischen der Zahl der auszubildenden Wehrpflichtigen und dem Bestand an ausbildenden Offizieren und Unteroffizieren ist ein Problem, das uns allen bekannt ist und das man auch noch auf andere Weise in den Griff bekommen muß. Es heißt zwar aus dem Verteidigungsministerium, daß der Fehlbestand an Offizieren gar nicht mehr so 'erheblich sei. Das ist natürlich sehr erfreulich, insbesondere dann, wenn es sich um eine erhöhte Zahl von Bewerbungen handelt. Allerdings wäre es nicht so erfreulich, wenn sich die Zahl ver-
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mehrt hätte, weil die Anforderungen herabgesetzt worden wären.
Demgegenüber hat sich aber am Fehlbestand an Unteroffizieren nicht sehr viel verändert. Es spielt hier offenkundig eine Rolle, daß der Unteroffiziersberuf mit seinen gegenwärtigen Aufstiegschancen für viele junge Leute nicht interessant genug ist. Wir haben hier einen Entschließungsantrag vorgelegt und sind der Meinung, daß man hier auch zur Tat schreiten muß und die Dinge nicht weiter vor sich herschieben kann. Ich ,spiele auf die sogenannte dritte Laufbahn an. Darüber hinaus scheint es uns aber notwendig zu sein, die Stellung des Unteroffiziers auch in seinem Dienst aufzuwerten, und zwar dadurch, daß er nicht nur reiner Hilfsausbilder des Kompaniechefs ist, sondern daß zumindest die Gruppe, die wir früher Portepee-Unteroffiziere nannten, also Feldwebel und die aufsteigenden Dienstgrade, das Recht zur Durchführung erzieherischer Maßnahmen erhalten. Das ist ein sehr schwieriges und wichtiges Problem, das auch unter politischen Vorzeichen gesehen werden muß. Aber ich bin der Meinung, wenn wir uns dieser Sache nicht annehmen, werden wird die Schwierigkeiten, die wir augenblicklich haben, nicht beseitigen können.
Meine Damen und Herren, in Frage 18 — damit komme ich zum Schluß — fragen wir:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die vom Bundesminister des Auswärtigen konzipierte europäische Friedensordnung herbeizuführen?
Wir wollen damit noch einmal deutlich machen, was ich vorhin schon sagte, daß die Verteidigungspolitik ein Teil der Außenpolitik ist. Wir glauben das auch deswegen sagen zu müssen, weil wir der Meinung sind, daß die an sich unproduktiven Rüstungsausgaben kein Selbstzweck sind. Deshalb gilt es wohl dafür zu sorgen, daß sie auf lange Sicht nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus in Europa und in der Welt schlechthin eingeschränkt werden, wenn nicht gar überflüssig werden; dies werden wir wahrscheinlich nie erreichen, aber es wäre das Schönste. Wir haben als Fraktion und Partei Abrüstungsbemühungen jeder Form immer wieder unterstützt. Allerdings sind wir auch der Auffassung, daß dabei das militärische Gleichgewicht gewahrt bleiben muß.
Wir haben es aus diesem Grund begrüßt, daß der Bundesminister des Auswärtigen vor einigen Monaten die Umrisse einer europäischen Friedensordnung skizzierte. Wir sind allerdings der Meinung, daß es im Interesse einer glaubhaften Politik unserer Regierung notwendig ist, dafür zu sorgen, daß es nicht bei solchen mehr oder minder vagen Andeutungen bleibt. Man muß vielmehr konkret sagen, was man in Verhandlungen mit wem vorschlagen möchte. Man muß zumindest eine Andeutung darüber von sich geben.
Es wird also nicht allein darauf ankommen, das Angebot des Austausches von Gewaltverzichtserklärungen zu machen, sondern es wird etwas mehr notwendig sein. Wir meinen, daß man tatsächlich konkrete Vorschläge vorlegen müßte, wie eine europäische Friedensordnung aussehen kann und welche Grundlage sie als europäisches Sicherheitssystem haben sollte.
Wir können die Diskussion über diese sehr wichtige Frage nicht den osteuropäischen Staatsmännern allein überlassen, z. B. dem polnischen Außenminister. Wir sind der Meinung, daß nicht alles, was von dort kommt, zweckmäßig ist und Sinn und Grundlage unserer Politik sein sollte. So halten wir es nicht für nützlich, wenn wir die Empfehlung annehmen, die Deutsche Demokratische Republik anzuerkennen. Aber wir sind nach wie vor der Ansicht, daß z. B. der Plan zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa ein Schritt sein kann, um zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu kommen und um überhaupt einmal anzufangen, darüber zu diskutieren.
Wir wissen, daß in dem einen Teil der Regierung und der Regierungsfraktionen die Widerstände gegen das, was ich Ihnen gesagt habe, verhältnismäßig groß sind. Aber ich beziehe mich auf den verehrten Kollegen Berkhan, der meinte, in den vielen Prüfungen, die vorgenommen werden müßten, sei auch die Prüfung der Vorschläge Rapackis enthalten, und so könnte es durchaus möglich sein, daß auch die Bundesregierung zu der Prüfung und vielleicht sogar zu Entschlüssen kommt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich zum Schluß kommen und vielleicht, wenn es der Herr Präsident gestattet, mit einem Zitat enden. Es stammt wiederum von meinem verehrten Kollegen Berkhan. Er sagte einmal: „Schröder hat es schwer. Dennoch kann er nicht weiter wie ein U-Boot auf dem Grund liegen; er muß auftauchen." — Wir können nur sagen: Herr Minister, tauchen Sie auf und bringen Sie etwas „gründliche" Substanz mit!
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU hat der Kollege Rommerskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat am 24. Juli ihre Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die ich zu begründen habe. Wir wollten die Bundesregierung mit unseren sechs Einzelfragen veranlassen, sich wieder einmal in aller Öffentlichkeit zu erklären, angesichts der bedeutsamen Veränderungen, die sich in den letzten Jahren im weltweiten Rahmen, innerhalb des nordatlantischen Bündnisses wie auch der europäischen Verteidigungsorganisation und nicht zuletzt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland vollzogen haben. Wir lassen bei der Herausforderung einer solchen öffentlichen Erklärung das Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Informationsbedürfnis und dem allgemeinen Sicherheitsinteresse nicht außer acht, sondern wir haben volles Verständnis dafür, wenn bei entsprechender Güteabwägung von Detaildarstellungen, die sich für eine öffentliche Erörterung ohne
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Schädigung unseres Sicherheitsinteresses einfach nicht eignen, aus Verantwortung dann auch abgesehen wird. Die Beobachtung gleichgearteter Vorgänge in anderen demokratischen Staaten ergibt eindeutig, daß man sich auch dort diesem Dilemma gegenübersieht und in Wahrung beider Interessenstandpunkte öffentlich erörtert, was dazu angetan ist, und nichtöffentlich berät, was der Sache nach diese Einschränkung gebietet.
Herr Bundesverteidigungsminister, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal anregen, daß Sie vielleicht doch von der unterschiedlichen Informierung der Journalisten und Publizisten — nämlich in zwei verschiedenen Formen — noch öfter als zuvor Gebrauch machen. Ich meine einerseits die Information über Tatsachen und Vorhaben, die völlig offen angesprochen werden können, und andererseits die Darstellung und Erläuterung von Sachverhalten, deren Kenntnis nicht für jedermann bestimmt, aber als Hintergrund für den Journalisten höchst bedeutsam sein kann.
Wir dürfen, so meine ich, sicher davon ausgehen, daß eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Regierung, die dem Interesse des Bürgers an Sicherheit besonders Rechnung zu tragen hat, und den Organen der öffentlichen Meinungsbildung, die naturgemäß dem Recht des Bürgers auf Information zu entsprechen suchen, angesichts der Mitverantwortung aller für das gemeinsame Wohl nicht mißbraucht wird. Ich meine, wenn es doch geschähe, sollte das im Rahmen der publizistischen Selbstverwaltung und Selbstkontrolle geahndet werden. Warum sollten eigentlich bei uns, in diesem unserem Lande, die demokratischen Spielregeln im gemeinsamen Interesse weniger eingehalten werden als in Ländern mit vielleicht längerer diesbezüglicher Tradition.
Unsere Große Anfrage war nicht zuletzt von der Sorge bestimmt, daß ein zu langes Schweigen seitens der Regierung über Probleme, die infolge akuter Anlässe viele bange Fragen aufgeworfen und ganz zweifellos neben sachkundigen Betrachtungen und Vorschlägen auch dilettantische Überlegungen und Forderungen mit sich gebracht haben, sich einfach schädlich auswirken muß. So wäre es doch bedauerlich, wenn unsere Bündnispartner infolge solcher ungeklärter Fragen und infolge entsprechenden Kritisierens und Spekulierens irritiert würden, wenn sie sich dadurch etwa mehr und mehr zu der Überlegung veranlaßt sähen, ob wir Deutsche uns auf Grund interner Schwierigkeiten aus der gemeinsamen Verantwortung für eine wirksame Sicherung der Freiheit herausschmuggeln wollen. Solche Gedanken sollten wir nicht verargen. Wir wissen doch selber aus Erfahrung, wie schnell mancher — auch in unserem Lande — mit Verdächtigungen solcher Art bei der Hand war, wenn andere Partner uns über beabsichtigte oder vermeintliche Änderungen zu lange im unklaren ließen.
Wir möchten durch unsere Große Anfrage auch vermeiden helfen, daß infolge mangelnder Sachaufklärung über Gegebenes und Notwendiges die deutsche Offentlichkeit unnötig in Unruhe gerät und gar zu falschen Schlüssen bzw. Einstellungen kommt.
In diesem Zusammenhang muß wohl wieder einmal unmißverständlich festgehalten werden, daß die Erhaltung der Freiheit, die Absicherung unserer freiheitlichen Lebens-, Gesellschafts- und Staatsgestaltung gegen gewaltsame Eingriffe von innen wie auch von außen die Mitwirkung und entsprechende Anstrengungen und Opfer aller freien Bürger gebietet. Ich meine, nach wie vor gilt das Wort, das selbst neutrale Staaten wie die Schweiz mit großem Ernst beherzigen: „Der Preis der Freiheit ist Wachsamkeit, Abwehrbereitschaft und Verteidigungskraft aller, die den Schutz des Staates erwarten."
Deshalb möchte ich feststellen dürfen — und ich habe guten Grund dazu —: Wer nach dem Einsatzwert der Bundeswehr, wer nach der geistig-politischen Verfassung der Soldaten, nach der sogenannten „Moral der Truppe" fragt — und das geschah in den letzten Monaten sehr oft —, der sollte selbstkritisch beachten, daß die Verteidigungskraft der Bürger in Uniform, also unserer Soldaten, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wehrbereitschaft des ganzen Volkes steht.
Hier sei schon angemerkt, daß die militärische und die zivile Verteidigung zwei Seiten derselben Medaille sind, nämlich der Glaubhaftigkeit unseres freiheitlichen Lebens- und Überlebenswillens.
Unsere Große Anfrage will alsdann mit Klarheit schaffen helfen im Interesse unserer Bundeswehr selber, der wegen ihrer Zuverlässigkeit und großartigen Leistung auch heute wieder unsere Anerkennung und unser Dank öffentlich ausgesprochen werden sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Armee — ich denke, wir sollten das immer beachten — ist ohne lebendiges Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein und ohne eine entsprechende Zuversichtlichkeit ein wenig überzeugender Verteidigungsfaktor.
Wie sehr aber wird dieser innere Einsatzwert, wird die Verteidigungsmoral eingeschränkt, wenn beinahe alles, was geschah und was vorhanden ist, alles, was für nötig erachtet und geplant wird, fragwürdig sein soll. In der Feststellung, daß der Auftrag der Bundeswehr als solcher den heutigen Gegebenheiten nicht mehr entspräche und deshalb dringend geändert werden müßte, gipfelt meines Erachtens diese geradezu selbstzerstörerische Infragestellung, die zudem nicht selten mit penetranter Kritikasterei und Besserwisserei verbunden ist.
Lassen Sie mich unsere sechs Einzelfragen kurz erläutern! — Wenn wir von der Bundesregierung, deren Politik nach der wiederholten Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers wie nach den ausgewiesenen Bemühungen im auslaufenden ersten Regierungsjahr noch akzentuierter als zuvor eine solche für Entspannung und Frieden ist, noch einmal
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eine Erläuterung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Entspannungswillen und Sicherheitsbeitrag erbitten, dann hat das gute Gründe. Diejenigen, die auch für die Zukunft die Fähigkeit fordern, sich gegen Unzumutbares zur Wehr zu setzen, werden heute in unserem Lande nicht selten, nein: zunehmend als Gegner der Entspannung oder als Spielverderber beim Mühen um eine Friedensordnung angesehen. Aber ich meine, Entspannung sei nicht gleichbedeutend mit Sicherheit. Für nicht wenige in unsedem Volke sind Vorleistungen im Sinne von Preisgabe bestehender Anrechte, einseitiges Abrüsten und Vermindern der Abwehrfähigkeit anscheinend ein wirksames Mittel zur Entspannung. Ich darf für meine politischen Freunde sagen: wir sind leidenschaftlich für eine Entspannungs- und Friedenspolitik, aber déshalb auch nur für Maßnahmen, die diesem Ziele wirklich dienen.
Entspannung geht überall da vor sich, wo man zugefügtes Unrecht wiedergutzumachen sucht,
wo man Explosionsherde durch gerechte und vernünftige Regelungen ausräumt, wo man Zankäpfel mittels sauberer Kompromisse beseitigt, wo man sich zum Nebeneinander in wirklicher Friedfertigkeit, zur Koexistenz in der Wahrheit bekennt. Wer das, was ungeordnet ist, nicht zu regeln bereit ist, wer nicht über die Beseitigung von Ungerechtigkeiten mit sich sprechen lassen, sondern nur über das verhandeln will, was ins eigene politische Konzept paßt oder was man zu fragwürdigem Besitz noch hinzubekommen möchte, der trägt nicht zur Entspannung bei und der wird auch einen ohnmächtigen Verhandlungspartner ganz gewiß nicht nur nicht achten, sondern ihn eventuell der Erpressung oder Nötigung auszusetzen suchen. Sicherheit wird, so meine ich, nur dann größer, wenn allgemeine, kontrollierte Abrüstung bei gleichwertiger Potentialminderung erfolgt.
Ist es deshalb nicht konsequent, wenn die Partner der freien Welt sich auch weiterhin vor der Gefahr wappnen, von denen zu einseitigen Zugeständnissen, etwa mittels Gewaltanwendung, gezwungen zu wer- den, die nach wie vor nach ihrer eigenen Erklärung auf eine uniforme Umgestaltung andersgearteter Gesellschafts- und Staatssysteme — und das gegebenenfalls auch mit Nachdruck — abzielen? Wir sind der Meinung, daß der Entspannungsvorgang nicht nur vom Trachten und Streben des Menschen nach der Möglichkeit freier und selbstverantwortlicher Daseingestaltung in Gang gehalten, sondern auch politisch forciert werden sollte. Aber — ich darf es noch einmal sagen — durch einseitigen Verzicht auf abwehrende Stärke würde er meines Erachtens gerade aufgehalten. Es interessiert uns aber die Auffassung der Bundesregierung hierzu im Zusammenhang mit ihrer zielstrebigen Friedens- und Sicherheitspolitik.
Unsere zweite Frage hängt mit dem Vorhergesagten ursächlich zusammen. Die jüngste Geschichte, die durch die brutale Gewaltpolitik totalitärer Systerne so wesentlich bestimmt ist, weist doch wohl eindeutig aus, daß eine der entscheidenden Voraussetzungen für den Verlust der Freiheit die mangelnde Abschreckung dessen ist, der glaubt, sich dieser Mittel bedienen zu sollen. Politik kann und darf sich nicht vom Wunschdenken nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf" bestimmen lassen. Wir haben das oft gesagt. Da wir bei uns selber erlebt haben, wie sich bei totalitären Staaten die Verbindung von Ideologie und Macht auszuwirken vermag, interessiert uns auch heute noch einmal, wie die Bundesregierung die derzeitige Situation in der Welt im allgemeinen und in Europa im besonderen im Hinblick auf die ideologisch-politische Zielsetzung, auf die Interessenlage und die Absichtserklärungen und das militärische Machtpotential des Kommunismus beurteilt. Die Sprache, die im kommunistischen Machtbereich in Form von Beschimpfungen, Drohungen und Truppendemonstrationen gesprochen wird, muß uns doch, darf uns doch besorgt sein und bleiben lassen. Wenn die Demonstrationen in Moskau aus Anlaß des Jubiläums der kommunistischen Revolution mit der Überschrift: „Partei + Raketen = Sowjetmacht" charakterisiert wurden, so entspricht das wohl zweifellos bolchewistischem Selbstverständnis. Wir fragen in diesem Zusammenhang also die Bundesregierung, ob für uns prinzipiell oder aktuell eine Bedrohung mit der Gefahr der Gewaltanwendung und Übermächtigung noch besteht.
Wir möchten Klarheit darüber haben, ob in Gegenwart und voraussehbarer Zukunft wesentliche Änderungen der atlantischen Abschreckungs- und Verteidigungsorganisation gerechtfertigt oder gar geboten sind. Wir möchten wissen, ob die Umstellung vom strategischen Konzept der „massiven Vergeltung" auf das der „flexiblen Entgegnung" noch ein unkalkulierbares Risiko für denjenigen bedeutet, der meint, zur Durchsetzung politischer Ziele militärische Macht einsetzen zu können. Uns interessiert auch die Auffassung der Bündnispartner über die Zeitspannen, die sie im Hinblick auf notwendige Gegenmaßnahmen für gegeben halten, sowie über den Grad der erforderlichen Abwehrbereitschaft. Sind Überraschungen etwa völlig undenkbar geworden?
Die Fraktion der CDU/CSU fragt in ihrer Großen Anfrage alsdann die Bundesregierung nach den Konsequenzen, die sich aus den NATO-Richtlinien vom Mai dieses Jahres für den deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben. Gerade in dieser Hinsicht war ja die Diskussion innerhalb der deutschen Öffentlichkeit außerordentlich lebhaft, aber leider zugleich auch verwirrend. Deshalb ist nach unserer Auffassung nicht zuletzt auch in diesem Zusammenhang Klarheit dringend geboten. Selbst die Feststellung, daß im Grunde kein Staat und Volk mehr sein Geschick im nationalen Alleingang meistern kann, sondern jeder Staat und jedes Volk hineinverwoben ist in Verbindungen und Verkettungen größten, weltweiten Umfanges, wurde in den letzten Monaten plötzlich — ich meine allerdings: von Gestrigen, die das Phänomen dieser verbundenen einen Welt noch nicht begriffen haben — da und dort bestritten. Wir möchten jedenfalls noch einmal klargestellt wissen, welche Rolle uns als Verbündetem und Partner in der Allianz und ihrer Organisation heute und mor-
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gen zufällt. Wir möchten von der Bundesregierung hören, wie sie über das sogenannte Prinzip der Arbeitsteilung innerhalb des Bündnisses im Hinblick auf den Abschreckungswert, der unseres Erachtens von der Fähigkeit zu konventioneller und atomarer Verteidigung abhängig ist, angesichts der Kräftekonstellation in der Welt und in Europa denkt.
Es drängt sich zusätzlich die Frage auf, ob auch nach 1969 das Prinzip der Präsenzstrategie des atlantischen Verteidigungsbündnisses für Europa, das heißt also für uns in der Bundesrepublik auch das Prinzip der Vorneverteidigung durch möglichst starke Kräfte möglichst vieler Bündnispartner, noch wirksam gilt oder ob nach 1969 die Lastenverteilung etwa zu unseren Ungunsten anders aussehen soll oder muß. Es interessiert, ob neue Anstrengungen unternommen werden, um die Sicherheit Europas auch für den Fall sicherzustellen, daß sein mächtigster Partner, die Vereinigten Staaten von Amerika, gleichzeitig andernorts in der Welt besonders stark engagiert ist. In diesem Zusammenhang ist wohl auch noch einmal eine Darstellung der nunmehr geltenden Formen des Zusammenwirkens zwischen Frankreich und den übrigen NATO-Partnern erforderlich. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland sowohl auf die Herstellung von wie auch auf die Verfügungsgewalt über atomare Sprengmittel verzichtet hat, ist es wohl unser legitimes Recht, uns fortdauernd besorgt darum zu kümmern, daß wir an der Schutzfunktion, die das Gleichgewicht der Abschreckung hat, weiterhin wirkungsvoll teilhaben.
Unser Wehrsystem ist gerade in jüngster Zeit nicht zuletzt auf Grund der Frage nach der Wehrgerechtigkeit einer kritischen Betrachtung unterzogen worden. Dabei hat es auch nicht an Vorstellungen über grundlegende Veränderungen gefehlt. Wir haben ja auch eben wieder solche Vorstellungen aus dem Munde von Herrn Kollegen Schultz vernommen. So ist z. B. der Vorschlag gemacht worden — er ist nicht in seinen Vorschlägen enthalten gewesen, ist aber anderswo unterbreitet worden —, die Umstellung auf eine Berufsarmee, die durch Milizkräfte zu ergänzen wäre, vorzunehmen. Wir wissen, daß solche Vorstellungen einer verantwortlichen, sorgfältigen Überprüfung im Bundesverteidigungsministerium unterzogen wurden, und hoffen, daß wir über die Ergebnisse einschließlich der Frage einer stärkeren Ausschöpfung des Wehrpflichtigen- und Reservistenpotentials einschließlich der Frage nach Ersatzabgaben wie einschließlich der Frage nach den Kosten der verschiedenen Regelungen auch heute noch einmal Näheres hören werden.
Die Feststellung, daß sich gerade in unserer Lage als unmittelbare Anrainer am kommunistischen System waghalsige Experimente verbieten — ich treffe sie —, will keine verantwortbare und nützliche Änderung ausschließen. Nach unserer Auffassung darf aber ohne zwingendes Gebot keine wesentliche Struktur- und Gesamtorganisationsänderung vorgenommen werden, solange nicht die langfristigen Auswirkungen voll abzusehen sind und keine Garantie für eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse besteht. Ich meine, es sei doch von jedermann zu bedenken, daß ein so komplizierter
Organismus, wie ihn eine große Armee nun einmal darstellt, nicht fortlaufend umgebastelt werden darf, soll er nicht seine Funktionsfähigkeit einbüßen.
Wenn es unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Belange möglich ist, der Mitverantwortung und Mitverpflichtung aller Bürger des Staates für den Schutz der Freiheit und des Friedens im Bereich der militärischen wie der zivilen Verteidigung noch konsequenter als bisher schon zu entsprechen, finden — darauf können Sie sich verlassen, Herr Minister — entsprechende Vorschläge unsere besonders aufmerksame Beobachtung und, wenn sie brauchbar sind, unsere Unterstützung. Und wenn unter Ausnutzung des nun doch schon beachtlichen Reservistenpotentials sinnvolle Umgliederungen ohne unannehmbare Beeinträchtigung der Abwehr- und Verteidigungsmöglichkeit auch bei etwaigen Überraschungen möglich sind, werden wir auch dem unsere Zustimmung nicht versagen. — Über das sogenannte Prinzip der „abgestuften Präsenz" — ich erlaube mir hinzuzufügen: eine sprachliche Definition, die ich nicht für glücklich halte, weil sie nach meiner Meinung Mißdeutungen zu großen Spielraum gibt — werden wir wohl ebenfalls in der Regierungserklärung noch Näheres erfahren.
Wir müssen in aller Öffentlichkeit noch einmal betonen, daß die Bundesrepublik Deutschland in ein Bündnissystem eingefügt ist, daß ,also unsere Bundeswehr dementsprechend im großen und ganzen Glied in einer Kette ist und deshalb von uns aus nichts geschehen darf, was das gemeinsame Band schwächt. Wer etwa — und darauf will ich hinaus — einer Verkürzung der Wehrpflicht bei uns das Wort redet, muß sich darüber Rechenschaft geben, was unsere Partner ihren waffenfähigen jungen Männern zumuten, und er muß der Prüfung zustimmen, ob dann noch die Verteidigungsbereitschaft im gebotenen Umfang und in der erforderlichen Einsatzfähigkeit gewährleistet ist.
Ich meine, es ist auch nicht uninteressant, wenn wir erst wieder in diesen Tagen hörten, daß der Oberbefehlshaber Europa-Mitte auf die Konsequenzen hinwies, die sich aus einer Verringerung der Wehrdienstzeit für die schnelle und geschlossene Einsatzfähigkeit der Großverbände ergäben, und daß er deshalb ganz konkret vor einer Dienstzeitverkürzung warnte. Dabei, so meine ich, sollte man gerechterweise bedenken, daß die amerikanischen Soldaten, die als ein beachtliches Kontingent auch bei uns in Deutschland auf Posten für die Freiheit stehen, sich sogar einer zweijährigen Wehrpflicht unterziehen müssen.
Mit dem Gesagten hängt unmittelbar unsere Frage zusammen, was geschehen muß und geschehen kann, um sowohl dem Sicherheitsinteresse wie der finanzpolitischen Situation gerecht zu werden. Es sollte unbestritten sein, daß das Mindestmaß dessen, was zum Schutz unserer freiheitlichen Lebens-, Gesellschafts- und Staatsordnung gegen gewaltsame Veränderungen erforderlich ist, von uns auch aufgebracht und geleistet wird. Wir sollten auch keine Verärgerung über ein ungerechtfer-
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tigtes Mißverhältnis zwischen Bündnispartnern aufkommen oder bestehen lassen, zumal im Bedenken eventueller schädlicher Auswirkungen bei deren Leistungen bei oder für uns. Andererseits können und dürfen — und das muß mit großem Ernst hinzugefügt werden — wir uns auch nicht übernehmen und dadurch eventuell schwere Schädigungen des inneren volkswirtschaftlichen Organismus herbeiführen.
So gilt es — ein schwieriges Geschäft —, immerzu um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gebotenem und Möglichem, zwischen Unerläßlichem und Verzichtbarem bemüht zu sein. Das ist wirklich leichter zu fordern als zu meistern. Der Meinung bin auch ich. Aber wir meinen, daß die Uberprüfung aller Leistungen mit dem Ziel, die Effektivität des deutschen Verteidigungsbeitrags als solchen nicht zu mindern, nicht unbedingt Nötiges dagegen wegfallen zu lassen, ganz sorgfältig und zielstrebig geschehen muß. Straffung durch Beseitigung von Überflüssigem, das es geben kann und das wir uns möglicherweise in der Zeit, als es uns entsprechend ging, erlaubt haben, ist nicht gleich Schwächung und Kampfkraftminderung. Das sollten auch diejenigen gelten lassen, die von Aufwendigerem und Liebgewonnenem verständlicherweise nicht gerne lassen wollen. Sich nach der Decke zu strecken, bleibt nun einmal ein vernünftiges Lebensgesetz.
Aber ich füge hinzu — das ist eine schwierige Sache, ich weiß —: Die in diesem Zusammenhang notwendige angedeutete Überprüfung darf allerdings nicht davor zurückschrecken, notwendige Verbesserungen vorzunehmen, auch wenn diese gegebenenfalls einmal mit höheren Kosten verbunden sind. Die müssen dann eben an weniger bedeutsamer Stelle wieder eingespart werden. Ich konkretisiere: trotz aller Bemühungen um technische Leistungssteigerungen sollte der Mensch, der Soldat, immerzu, wie das bislang der Fall war, im Mittelpunkt unserer Sorge bleiben.
Ich denke hier ganz besonders an die Frage der gerechten, gesellschaftspolitisch angemessenen Einstufung unserer Unteroffiziere in der hochtechnisierten Armee.
Dennoch wird jeder verstehen: Priorität sollten auf jeden Fall alle jene Anstrengungen und Kräfte haben und behalten, die den Abschreckungswert, um den es geht, wesentlich mitbestimmen und im Verteidigungsfall die Einsicht des Angreifers in das mit seiner Gewaltanwendung eingegangene Risiko und die Verantwortung für eine eventuelle Eskalation wie seinen Halt zu erzwingen haben.
Wir haben in einer entsprechenden Frage die Regierung gefragt, welche konkreten Straffungsund Rationalisierungsmaßnahmen ohne Reduzierung der eigentlichen Abwehrkraft möglich sind, und wir sind auf die Antwort gespannt.
Zuletzt und doch keineswegs am Rande fragen wir die Bundesregierung, was geschehen kann und was veranlaßt ist, um den technologischen Status der Bundesrepublik Deutschland ihren übrigen Leistungen anzupassen, um die nötigen Grundlagen für den Leistungswettbewerb und die Rolle, die auch uns bei der Erfüllung weltweiter Aufgaben zugemutet und abverlangt wird, sicherzustellen. Wir verkennen dabei das Dilemma nicht, das einerseits durch die berechtigte, ja die gebotene Forderung nach einem möglichst hohen Maß an Standardisierung innerhalb des Bündnisses und andererseits durch das Bestreben, die nationalen Kapazitäten zu verbessern, gegeben ist. Aber dabei verhehlen wir auch unsere Auffassung nicht, daß sich die notwendige und förderliche Zusammenarbeit im multi-oder bilateralen Rahmen weitmöglichst unter Anerkennung und Beachtung gleicher Rechte und gleicher Pflichten abspielen muß. Was immer sinnvoll bei uns in dieser Hinsicht investiert wird, um die Verteidigungswirtschaft unseres Landes in die Lage zu versetzen, auch ihrerseits Anteil zu nehmen an der angemessenen Meisterung der Zukunftsaufgaben, muß als deutscher Verteidigungsbeitrag Anrechnung finden. Aber auch in dieser Hinsicht sind wir und ist zweifellos die deutsche Öffentlichkeit an den Überlegungen, die von der Bundesregierung angestellt worden sind und werden, in hohem Maße interessiert, auch an der Antwort auf die Zusatzfrage, ob in diesem Zusammenhang positive Aussichten ohne europäische Größenordnungen nennenswert überhaupt noch bestehen.
Vielleicht, Herr Bundesminister, ist es angebracht, auch unsererseits noch die Frage anzufügen, was es mit Munitionsschwierigkeiten oder gar mit einem diesbezüglichen Skandal auf sich hat.
Sehr verehrter Herr Bundesverteidigungsminister, wir freuen uns mit Ihnen, daß Sie, von Ihrer schweren Krankheit genesen, heute selber mit gewohnter Kraft in der Lage sind, für die Bundesregierung unsere Große Anfrage zu beantworten. Wir danken Ihnen schon jetzt für Ihren verantwortlichen Einsatz!
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort dem Herrn Bundesverteidigungsminister zur Beantwortung dieser Großen Anfragen gebe, erlauben Sie mir, folgende Mitteilung zu machen.
Erstens. Ich habe den Arbeits- und Zeitplan für die erste Hälfte 1968 heute nach einer ausführlichen Erörterung im Ältestenrat dem Haus zur Kenntnis gebracht. Der Plan wird Ihnen heute abend noch vorlegen.
Zweitens. Ich muß meinen Kollegen, den amtierenden Präsidenten, insoweit berichtigen, als der Ältestenrat neuerdings beschlossen hat, morgen zunächst um 9 Uhr die heute vormittag abgebrochene Debatte fortzusetzen. Wenn wir mit diesen Punkten fertig sind, schließt sich unverzüglich die Fragestunde an, so daß wir das Haus morgen nicht zweimal einberufen müssen. Wir hoffen, morgen vormittag mit beidem fertig zu werden, so daß morgen nachmittag ,die Ausschüsse tagen können.
Damit, meine Damen und Herren, kehren wir zu unserem Tagesordnungspunkt zurück. Das Wort zur
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Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Beantwortung der Großen Anfragen hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst für die freundlichen Worte herzlich bedanken, die ich anläßlich meiner Rückkehr in dieses Hohe Haus habe hören dürfen.
Ich habe heute die Ehre, dein Hohen Hause die erste Regierungserklärung der im Dezember vergangenen Jahres gebildeten Regierung der Großen Koalition zur Verteidigungspolitik bekanntzugeben. Diese Regierungserklärung behandelt die mit unserer Sicherheit und unseren Verteidigungsanstrengungen zusammenhängenden Fragen in einer Gesamtschau. Nach meiner Kenntnis ist dies bislang im Deutschen Bundestag in einer umfassenden und zusammenhängenden Weise noch nicht geschehen. Natürlich sind viele wichtige, ja entscheidende Einzelkomplexe intensiv behandelt worden.
Ich darf auf folgendes hinweisen: Es ist gesagt worden, daß ,die Anfragen, die den Gegenstand der heutigen Beantwortung bilden, erst im Juli gestellt worden sind, also mehr oder weniger doch in den Ferien, nämlich am 10. Juli, am 17. Juli und am 24. Juli. Es 'ist ferner gesagt worden, daß man schon vorher, etwa im Mai, die Absicht gehabt habe, über Fragen der Verteidigungspolitik zu diskutieren. Das hätte geschehen können, wenn man das tatsächlich gewollt hätte. Ich finde es also nicht richtig, die Verschiebung dieser Debatte auf den Dezember etwa als einen Vorwurf an die Regierung darstellen zu wollen. Ich 'glaube, die Regierung wäre in der Lage gewesen — jedenfalls nach meiner Meinung muß sie in der Lage sein —, sich in jedem Stadium des Verfahrens zu den an sie gerichteten Fragen zu äußern. Das mag sein, wie es will.
Die heutige Regierungserklärung geht auf die genannte Initiative zurück. Die Fragen sind unter dem Eindruck der mittelfristigen Finanzplanung und angesichts vielschichtiger und 'internationaler Entwicklungen gestellt worden. Es bestand sehr wohl der Wunsch und die Notwendigkeit, Auskunft über unsere zukünftige Verteidigungspolitik und die Gewährleistung unserer Sicherheit zu erhalten. In diesen drei Anfragen sind nun 29 Einzelfragen aufgeworfen. Die Regierungserklärung behandelt die in diesen Einzelfragen aufgeworfenen Probleme und stellt gleichzeitig den Umriß der zukünftigen Struktur der Bundeswehr dar. Sie stellt unsere Verteidigungspolitik in den Zusammenhang, in den sie gehört, nämlich in unsere Sicherheits- und Außenpolitik. Es sind nur ein paar Fälle, die aus Gründen der Geheimhaltung nicht zu einer Beantwortung der Fragen hier führen. Das sind die Fragen 10, 11 und 12 der FDP-Liste. Ich habe diese Fragen gegenüber Vertretern der FDP-Fraktion unmittelbar beantwortet und bin natürlich auch bereit, sie im Verteidigungsausschuß zu erörtern.
Lassen Sie mich nun noch ein einleitendes Wort zu dem sagen, was nach meinem Wissen draußen im Land hinsichtlich unserer Verteidigung gedacht und empfunden wird. Es gibt da Äußerungen der Resignation — Äußerungen etwa der Art, unsere Bundeswehr habe keinen Sinn, wir könnten im Ernstfall doch nichts unternehmen. Ich glaube aber nicht, daß diese Stimmen repräsentativ sind. Aus den vielen Zuschriften, aus meinen Gesprächen und aus Befragungen wird vielmehr deutlich erkennbar, daß die Bevölkerung ungeachtet der großen Schwierigkeiten, denen wir uns in finanzieller Hinsicht und in außenpolitischer Beziehung gegenübersehen, ja, vielleicht gerade wegen dieser Schwierigkeiten, die Notwendigkeit fortlaufender eigener Verteidigungsanstrengungen im Rahmen des Bündnisses eindeutig bejaht. Die Erhaltung einer modernen und qualitativ erstklassigen Bundeswehr wird für richtig und erforderlich angesehen. Das ist nicht nur die Meinung der Wähler, sondern auch die der heranwachsenden Generation, der oft kritisierten Studenten, die sich nach einer Repräsentativumfrage erst kürzlich zu 75 % dahin ausgesprochen haben, daß die Bundeswehr notwendig ist.
Ich komme nun in Beantwortung der drei Fragen zunächst auf die Ziele der deutschen Sicherheitspolitik zu sprechen. Die deutsche Verteidigungspolitik ist vornehmlich auf die sicherheitspolitische Lage in Europa bezogen; sie muß aber auch die gesamtstrategische Situation in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Seitdem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion über interkontinental verwendbare nukleare Waffensysteme verfügen, mit denen sie sich gegenseitig schwersten Schaden zufügen können, ist das Muster der Machtstruktur, das der Weltpolitik zugrunde liegt, nicht entscheidend verändert worden. Solange eine ausgewogene nukleare Abrüstung nicht verwirklicht werden kann, sind das nukleare Patt und die Überlegenheit der Vereinigten Staaten auf nuklearem Gebiet wesentlich für die Erhaltung des Weltfriedens.
Andererseits kann die nukleare Pattsituation lokale Konflikte und Aggressionen nicht verhindern. Die nukleare Überlegenheit der Vereinigten Staaten im strategischen Bereich ist keine ausreichende Abschreckung für alle Formen der Aggression. Die Weltmächte können ihre nukleare Macht nicht mehr ohne weiteres in politische Kontrolle oder diplomatischen Einfluß umsetzen.
Ein weiterer komplizierender Faktor ist der Aufbau des. nuklearen Potentials der Volksrepublik China, das im strategischen Kalkül der Mächte vermehrt an Bedeutung gewinnt. Es hat die Vereinigten Staaten veranlaßt, auf ihrem Territorium Abwehrraketensysteme zu errichten, deren Schutzeffekt nach dem heutigen technischen Stand zunächst vor allem gegenüber chinesischen Raketen gegeben sein dürfte.
Die strategische Gesamtlage spiegelt sich in der unmittelbaren Konfrontation der beiden Weltmächte und der großen Militär-Allianzen auf deutschem Boden wider.
Unsere Lage im Zentrum der Ost-West-Auseinandersetzung um Europa hat die außenpolitische Gesamtvorstellung der deutschen Regierung bestimmt. Sie gründet sich auf den Willen zur Verständigung zwischen den Völkern und die Verantwortung für
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Bundesminister Dr. Schröder
den Frieden in diesem Teil der Welt. Das Ziel der deutschen Außenpolitik ist eine Friedensordnung Europas, die allen europäischen Staaten ausreichende Stabilität sichert und eine gerechte und dauerhafte Lösung der deutschen Frage vorsieht. Die deutsche Regierung weiß, daß sich nur in einer Periode der Entspannung der Weg für eine solche europäische Friedensregelung bereiten läßt.
Bis eine gerechte europäische Friedensordnung geschaffen ist, kann die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nur durch ein politisch geschlossenes und militärisch starkes Nordatlantisches Bündnis gewährleistet werden. Ohne den festen Rückhalt in der Allianz können wir keine Politik der Entspannung treiben. Ohne Entspannung des Ost-West-Verhältnisses läßt sich unser politisches Ziel — die Schaffung einer europäischen Friedensordnung und eine gerechte und dauerhafte Lösung der deutschen Frage — nicht verwirklichen.
Aus dieser. außenpolitischen Gesamtvorstellung der deutschen Regierung folgt für die deutsche Sicherheitspolitik eine doppelte Zielsetzung:
Erstens. Die deutsche Regierung wird auch künftig in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die sie gegenüber der Nordatlantischen Allianz übernommen hat, einen militärisch wirksamen und ihren Möglichkeiten angemessenen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung leisten.
Zweitens. Die deutsche Regierung strebt an, im Zusammenwirken mit ihren Verbündeten zu Ost-West-Absprachen und Vereinbarungen über Entspannungsmaßnahmen und insbesondere auch über Rüstungskontrollmaßnahmen zu gelangen. Sie tritt dafür ein, durch eine ausgewogene Verminderung der Streitkräfte beiderseits der Demarkationslinie zur Sicherheit Europas und damit zum Frieden in der Welt beizutragen.
Beide Ziele deutscher Sicherheitspolitik — die Wahrung unserer Sicherheit im Zusammenwirken mit unseren Partnern im Nordatlantischen Bündnis und eine aktive Rüstungskontrollpolitik — sind nur erreichbar, wenn das bestehende militärische Kräfteverhältnis nicht zum Nachteil des Westens verändert wird. Die Verbündeten, und mit ihnen die deutsche Regierung, handelten unverantwortlich, wenn sie ohne Gegenleistung die Kampfkraft ihrer Streitkräfte verringerten. Die deutsche Regierung würde damit nicht nur ihrer Sicherheitspolitik, sondern auch ihrer Entspannungspolitik die Grundlage entziehen.
Der Wunsch der deutschen Regierung, unsere Verpflichtungen gegenüber der NATO zu erfüllen, und unser Bestreben, das militärische Kräfteverhältnis nicht einseitig zum Nachteil des Westens zu verändern, bestimmt auch die Haltung der deutschen Regierung in der Frage der Ausstattung der Bundeswehr mit Trägermitteln für nukleare Waffen.
Die deutsche Regierung ist entschlossen, Schritte zu unternehmen und Vorschläge zu unterstützen, die zu einer militärisch ausgewogenen Rüstungsverminderung auf nuklearem und konventionellem Gebiet beitragen können. Sie ist jedoch überzeugt, daß einseitige Vorleistungen eine aktive Rüstungskontrollpolitik erschweren und nicht erleichtern würden.
Hierbei muß daran erinnert werden, daß die im anderen Teil Deutschlands massierten Streitkräfte der Sowjetunion und der Nationalen Volksarmee ebenso wie die Streitkräfte Polens und der Tschechoslowakei mit Trägermitteln für nukleare Waffen ausgestattet sind.
Die deutsche Regierung ist der Auffassung, daß die geradlinige und beharrliche Verfolgung einer Politik der Solidarität mit den Verbündeten und der Bereitschaft zur Rüstungsbegrenzung im Ost-West-Verhältnis unsere Sicherheit gewährleistet und zugleich aber auch der östlichen Hälfte Europas den Friedens- und Verständigungswillen der deutschen Regierung deutlich vor Augen führt. Die deutsche Regierung ist, wie sie schon öfters erklärt hat, bereit, ihren Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Lösung strittiger Fragen auch gegenüber den Staaten im Osten förmlich zu bekräftigen, und zwar in einer Form, die keinen Zweifel läßt, daß der Gewaltverzicht ebenso gegenüber dem anderen Teil Deutschlands und für das offene Problem der Wiedervereinigung gilt.
Ich komme nun zu Grundlagen der deutschen Verteidigungspolitik. Aus der außenpolitischen Konzeption der deutschen Regierung folgt, daß ihre Verteidigungspolitik einen rein defensiven Charakter trägt und daß daher das Maß ihrer Verteidigungsanstrengungen vom Verhalten und dem militärischen Potential des möglichen Gegners abhängig ist. Aus diesem Grunde stellt sich für die deutsche Verteidigungspolitik immer wieder die Frage nach der Stärke der Bedrohung. Die deutsche Verteidigungspolitik muß von der Tatsache ausgehen, daß im anderen Teil Deutschlands unvermindert starke sowjetische Streitkräfte massiert sind und daß das militärische Potential, das die Sowjetunion und ihre Verbündeten Westeuropa gegenüber konzentriert haben, niemals größer und schlagkräftiger war als heute. Im Warschauer Pakt dominiert im militärischen Bereich die Sowjetunion. Sie bestimmt die Strategie und ist zugleich mit ihrem überragenden Wehrpotential der stärkste Staat des Warschauer Pakts. Alle entscheidenden militärischen Führungspositionen sind im Besitz der Sowjetunion, die Umfang, Gliederung, Bewaffnung, Logistik und Ausbildung aller Streitkräfte des Warschauer Pakts und deren Aufgaben entscheidend beeinflußt.
Die jährlich steigenden Militärausgaben lassen .erkennen, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten ihre Wehrkraft weiter zu stärken beabsichtigen. Für ihre Verteidigung wendet die Sowjetunion einen größeren Prozentsatz ihres Bruttosozialprodukts auf als die Vereinigten Staaten
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Bundesminister Dr. Schröder
und einen wesentlich größeren Prozentsatz als die Bundesrepublik Deutschland. Die Masse der sowjetischen Streitkräfte ist nach wir vor im anderen Teil Deutschlands, in Polen, Ungarn und der westlichen Sowjetunion stationiert. Das wachsende Engagement der Sowjetunion im Mittelmeer kündet eine zusätzliche Machtkonzentration gegenüber dem europäischen NATO-Gebiet an. Das Streben der Sowjetunion, ihre militärische Handlungsfähigkeit zu erweitern, findet auch in der Errichtung eines Raketenabwehrsystems, eines Nuklearen Orbitalen Waffensystem und in der Wandlung des seestrategischen Denkens seinen Ausdruck. Diese neue Seestrategie hat einen Ausbau des maritimen Potentials zur Folge.
Die Staaten des Warschauer Pakts sind im Besitz eines militärischen Instruments, mit welchem sie in der Lage wären, Angriffsoperationen jeder Art und Größenordnung durchzuführen. An dieser Tatsache kann man nicht vorbeigehen, auch wenn die deutsche Regierung, ebenso wie ihre Verbündeten, annimmt, daß die Mächte des Warschauer Pakts zur Zeit keine Angriffsabsichten gegenüber der NATO haben. Niemand kann jedoch übersehen, daß das vorhandene Machtinstrumentarium des Warschauer Pakts zum Zwecke der politischen Pression benutzt werden könnte.
Die Verteidigungsplanung muß ferner davon ausgehen, daß ein allgemeiner nuklearer Krieg solange unwahrscheinlich ist, wie die beiden Weltmächte selbst nach einem atomaren Überraschungsangriff im Gegenschlag den Angreifer zu treffen vermögen. Dagegen können nicht als ebenso unwahrscheinlich Kriege bezeichnet werden, die nach politischer Zielstrebung, Raum oder eingesetzten Kräften begrenzt sind. Ein begrenzter Krieg kann in seinen Erscheinungsformen von örtlichen Kampfhandlungen über begrenzte Angriffe stärkerer Kräfte bis zum umfassenden konventionellen Angriff reichen. Auch ein solcher begrenzter Krieg würde für die Bundesrepublik Deutschland schwerwiegende Folgen haben. Zusammen mit unseren Verbündeten wird jedoch die Bundesrepublik Deutschland in der Lage sein, gegen eine solche Form des Angriffs eine erfolgversprechende Verteidigung und einen wirksamen Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.
Ich komme zur Strategie der Nordatlantischen Allianz. Die Strategie des Bündnisses muß sich an der langfristigen Zielsetzung und der Leistungsfähigkeit der Streitkräfte möglicher Gegner orientieren und nicht an den im Augenblick erkennbaren Absichten. Die deutschen Auffassungen über Bedrohung und die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Formen eines Krieges decken sich weitgehend mit denen unserer NATO-Partner. Sie fanden ihren Niederschlag in der Ministerweisung an die NATO-Militärbehörden, die von den Verteidigungsministern der NATO am 9. Mai 1967 verabschiedet wurde und Richtlinien für die Strategie der NATO enthält. Ihr Ziel ist es, Frieden und Sicherheit durch glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten und im Falle einer Aggression die Integrität und Sicherheit des NATO-Gebietes zu erhalten oder wiederherzustellen.
Voraussetzung für eine lückenlose und glaubhafte Abschreckung sind der klare Wille und die erkennbare Fähigkeit des Verteidigers zu wirkungsvoller Verteidigung gegenüber allen Formen einer Aggression. So soll es dem Gegner unmöglich gemacht werden, die Reaktion der NATO vorherzusagen und sein Risiko zu kalkulieren. Der Gegner muß mit der Möglichkeit rechnen, daß auch bei einem nur mit konventionellen Waffen geführten Angriff, welcher den Erfolg der eigenen, konventionell geführten Abwehr in Frage stellt, Nuklearwaffen eingesetzt werden.
Flexible Reaktion und das in der Ministerweisung geforderte operative Prinzip der Vorneverteidigung verlangen für die NATO konventionelle Land-, Luft- und Seestreitkräfte sowie strategische und taktische Nuklearstreitkräfte in ausreichender Stärke und Präsenz. Die strategischen Nuklearstreitkräfte der Vereinigten Staaten und Großbritanniens bilden die Grundlagen der Abschreckung. Für die abgestufte Abschreckung ist es jedoch notwendig, daß der Oberste NATO-Befehlshaber in Europa auch über Nuklearwaffen für den taktischen Einsatz verfügt. Einem feindlichen Angriff kann eine Vorwarnzeit vorausgehen, die für politische und militärische Maßnahmen zu nutzen wäre, jedoch ist auch ein Überraschungsangriff nicht auszuschließen. Nur unter diesen Voraussetzungen wird es möglich sein, jeder Art von Aggression durch flexible Reaktion so zu begegnen, daß Aufwand und Risiko des Angreifers in keinem vertretbaren Verhältnis zu seinen Zielen stehen.
Aus den in der Ministerweisung festgelegten Richtlinien für die NATO-Strategie lassen sich für die Streitkräfteplanung der Bundesrepublik Deutschland folgende Forderungen ableiten:
1. Die Bundeswehr muß in Aufbau, Gliederung und Ausrüstung klar die ausschließlich defensive Zielsetzung der Nordatlantischen Allianz und der deutschen Verteidigungspolitik erkennen lassen.
2. Die Bundeswehr muß einen Beitrag zur abgestuften Abschreckung leisten, der auch Trägermittel für atomare Sprengkörper einschließt.
3. Die Streitkräfteplanung der Bundeswehr hat sich vornehmlich nach den Erscheinungsformen eines begrenzten Krieges auszurichten. Die Möglichkeit von Überraschungsangriffen sowie die hohe technische und mobile Ausrüstung des Gegners erfordern ausreichend starke, präsente, einsatzbereite Verbände, eine Verstärkung der konventionellen Feuerkraft, insbesondere zur Panzerabwehr, und eine hohe Beweglichkeit.
4. Die Streitkräfte müssen in der Lage sein, durch intensive Aufklärung in Krisenzeiten und im Krieg die Grundlagen für die Beurteilung und Entschlußfassung der politischen und militärischen Führung zu schaffen.
5. Im Falle einer Aggression haben sie im .Rahmen der gemeinsamen NATO-Verteidigung Umfang und Zielsetzung feindlicher Angriffe festzustellen, Feindangriffe so weit vorn wie möglich aufzufangen, zu zerschlagen oder Zeit zu gewinnen, um die Vor-
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bereitungen zum Zurückwerfen des Angreifers auf seine Ausgangsstellungen zu treffen.
6. Die Kommandostruktur muß in den integrierten Rahmen eingepaßt bleiben und zugleich die Wahrnehmung der Verteidigungsaufgaben gewährleisten, die nationaler Zuständigkeit übergeben sind.
7. Die Möglichkeit einer Vorwarnzeit erlaubt es, sich für Teile der benötigten Streitkräfte auf Mobilmachungsmaßnahmen abzustützen.
8. Der Gegner muß das Risiko eines Angriffes tragen. Im Interesse der Glaubwürdigkeit der Abschreckung muß es unkalkulierbar bleiben.
Ich komme nun zu militärpolitischen und strategischen Einzelproblemen.
Eine deutsche Beteiligung an den taktischen Atomstreitkräften ist notwendig, damit an allen Frontabschnitten, auch an denjenigen, die deutschen Truppen zugewiesen sind, Trägermittel für atomare Sprengkörper vorhanden sind. Sonst wäre die Abschreckung im wahrsten Sinne des Wortes lückenhaft, die Bewaffnung der Abwehrkräfte unterschiedlich und das flexible Reagieren nicht an jedem Ort der Abwehrfront möglich. Die deutschen Streitkräfte müssen bei gleichem Auftrag und im gleichen Operationsgebiet mit gleichen Waffen wie die Truppen der Verbündeten ausgestattet sein.
Durch die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland und durch die Einlagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden ist sichergestellt, daß im Einsatzfall diesen Trägermitteln zeitgerecht die atomaren Sprengkörper zugeführt werden können.
Eine Arbeitsteilung zwischen den Verbündeten, die es in der Tat auf strategischem Gebiet aus verschiedenen Gründen gibt, ist für das Gefechtsfeld unzweckmäßig und gefährlich.
Die Ausrüstung unserer Streitkräfte mit diesen Trägermitteln steht nicht im Widerspruch zu den friedlichen Absichten und zu der Entspannungspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Das beweisen die von uns selbst übernommenen Beschränkungen. Ich zähle die Beschränkungen auf: Erstens der gegenüber den Vertragspartnern des Brüsseler Vertrags erklärte kontrollierte Verzicht der Bundesrepublik Deutschland, Kernwaffen herzustellen, zweitens der Verzicht auf die nationale Verfügungsgewalt über atomare Sprengkörper und drittens die Unterwerfung aller wissenschaftlichen und industriellen Anlagen, die der friedlichen Nutzung der Kernenergie dienen, unter die Kontrolle von Euratom. Hier möchte ich auch besonders unsere Unterstützung des Prinzips der Nichtverbreitung von nuklearen Waffen, die ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen ist, hervorheben.
Die gegenwärtig von der Sowjetunion und den USA durch die Installierung von Abwehrraketensystemen begonnene Ausweitung der atomaren Rüstung wird die europäischen NATO-Staaten vor schwerwiegende Probleme stellen. Sie werden untersuchen müssen, welche Auswirkungen diese Systeme auf ihre Sicherheit haben werden. Sie werden sich zu gegebener Zeit entscheiden müssen, ob sie im Interesse des Schutzes ihrer Bevölkerung in Europa ein mit dem Prinzip der Nichtverbreitung von Atomwaffen zu vereinbarendes Abwehrraketensystem installieren wollen. Voraussetzung dafür ist, daß es gelingt, ein Abwehrsystem zu schaffen, das auf kurze Entfernung anfliegende Raketen abfangen kann. Die Errichtung eines Abwehrraketensystems würde hohe finanzielle Leistungen von den europäischen Partnern fordern. Diese Leistungen dürfen nicht zu Lasten der konventionellen Streitkräfte in Europa gehen.
Ich komme zu der bisherigen Planung und zu den Auswirkungen der mittelfristigen Finanzplanung auf die Verteidigungsplanung. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr wurde, wie Sie ja alle wissen, seit 1955 nach Plänen aufgestellt, die nur zum Teil für einen längeren Zeitraum ausgelegt waren. Ihre Realisierung wurde durch die nach dem Haushaltsgesetz jeweils für ein Jahr bewilligten Mittel beeinflußt. Der Aufbau von Streitkräften, insbesondere die sich über sieben bis zehn Jahre erstreckende Entwicklung großer Waffensysteme, erfordern aber eine längerfristige Finanzplanung, damit Unausgewogenheiten in der Gesamtstruktur vermieden werden. Solche Unausgewogenheiten wurden in der Vergangenheit nicht nur durch unvorhergesehene finanzielle Einwirkungen verursacht, sondern unter anderem auch durch das unzureichende Aufkommen an längerdienendem Personal.
Zur Verbesserung der Streitkräftestruktur und der Realisierbarkeit der Planung wurde in der Konsolidierungsphase der Bundeswehr im Jahre 1964 ein neues Planungsverfahren unter Einbeziehung wirtschaftswissenschaftlicher und mathematischer Methoden eingeführt. Mit dessen Hilfe hat das Bundesministerium der Verteidigung im Mai 1965 das erste vorläufige Fünfjahresprogramm der Bundeswehr für den Zeitraum 1966 bis 1970 erstellt. Dieses Programm basierte auf den Forderungen der NATO und sah einen Friedensumfang von rund 508 000 Soldaten und 205 000 Zivilbediensteten vor. Der finanzielle Bedarf für diesen Zeitraum wurde vom Bundesministerium der Verteidigung zunächst auf rund 111 Milliarden DM geschätzt. Im Finanzbericht 1966 wurden dafür 98,5 Milliarden DM vorgesehen. Der vom Bundesministerium der Verteidigung für den Fünfjahreszeitraum 1967 bis 1971 errechnete Finanzbedarf betrug rund 113 Milliarden DM, wobei der jährliche Bedarf von 19,9 Milliarden DM im Jahre 1967 auf 23,4 Milliarden DM im Jahre 1971 anstieg. Dabei lag dieses Finanzvolumen noch um 10 °/o niedriger als der Bedarf, den die NATO für die Verwirklichung der gleichen Streitkräfteziele errechnet hatte.
Zweifel an der Realisierbarkeit dieses ersten Programms setzten schon 1965/1966 ein, als die wirtschaftliche Rezession sich auf die Einkünfte des Bundes auszuwirken begann und Eingriffe in die Ausgabenstruktur des Bundes unvermeidbar wurden. Die Haushaltsfestsetzung 1966, die Eingriffe in die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel 1966 mit
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der Auflage hoher Minderausgaben sowie die Begrenzung des Personalumfangs auf 460 000 Soldaten und 167 000 zivile Bedienstete führten von einer Periode verlangsamten Wachstums zum Anhalten des Aufbaus der Streitkräfte zu Anfang des Jahres 1967. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundeswehr folgenden Aufbaustand erreicht:
Beim Heer waren von den 37 vorgesehenen Brigaden 32 voll und 2 teilweise aufgestellt, in der Luftwaffe 17 der 18 vorgesehenen fliegenden Geschwader sowie 9 Bataillone Hawk und 6 Bataillone Nike mit den notwendigen Unterstützungsverbänden im Bereich der Luftverteidigung, in der Marine 137 der geforderten 209 Kampfschiffe und 125 Kampfflugzeuge, im Bereich außerhalb der Teilstreitkräfte 42 000 von den vorgesehenen 60 000 Soldaten und 17 000 der geplanten 50 000 Soldaten der Heimatschutztruppe.
Durch das Anhalten des Aufbaus sind die Verbände nicht alle in gleicher Weise aufgefüllt, Außerdem blieb die Personalstruktur trotz inzwischen erreichter wesentlicher Verbesserungen mit einem Fehl von 15,2 % Offizieren und 23,1 % Unteroffizieren unbefriedigend.
Neue Überlegungen zur Verbesserung der Struktur der Streitkräfte und für ein realisierbares Fünfjahresprogramm haben Anfang 1967 eingesetzt. Sie wurden nachhaltig durch die Entscheidungen der deutschen Regierung zur mittelfristigen Finanzplanung beeinflußt.
Die mittelfristige Finanzplanung sieht im Rahmen der konjunkturgerechten Haushaltspolitik der deutschen Regierung zusammen mit der Haushaltsbewilligung 1967 für die militärische Verteidigung Mittel vor, die 'erheblich unter dem im Jahre 1965 errechneten Finanzbedarf liegen. Die Absicht, eine Friedensbundeswehr von 508 000 Soldaten und 205 000 zivilen Bediensteten zu unterhalten, mußte aufgegeben werden.
Ich komme nun zur detaillierten Strukturplanung, zunächst zu den Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, insbesondere den Sparmaßnahmen.
Auf Grund dieser gerade begründeten Erkenntnis wurden zunächst Untersuchungen angestellt mit dem Ziel, die vorhandenen finanziellen Mittel durch Rationalisierung in höchstem Maße auszunutzen. Es sei hier an die Rede erinnert, die ich anläßlich der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1967 am 13. Juni dieses Jahres gehalten habe. Ich habe damals folgendes gesagt:
Die Rationalisierung des Betriebes der Bundeswehr ist ein sich täglich neu stellendes Problem. Selbstverständlich wird und muß ein Wirtschaftsbetrieb mit einem Umsatz von rund 18 Milliarden DM und einem Personalaufwand von über 600 000 Mann laufend Organisationsprüfungen, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und Rationalisierungsmaßnahmen vornehmen. Das tut auch die Bundeswehr seit Jahren.
Diese an sich selbstverständlichen Prüfungen und
Untersuchungen führten bereits zu einer Reihe
von Entscheidungen, deren Ausführung allerdings zum Teil Gesetzesänderungen voraussetzt. Soweit die Regierung diese Gesetzesänderungen schon beschlossen hat, sind sie im Entwurf des Finanzänderungsgesetzes 1967 in Art. 9 enthalten. Das Hohe Haus hat den Entwurf am 27. Oktober 1967 in erster Lesung behandelt und den Ausschüssen zur weiteren Beratung überwiesen. Wenn das Gesetz in der von der Regierung vorgelegten Fassung mit Wirkung vom 1. Januar 1968 verabschiedet wird —wovon ich zunächst einmal ausgehe —, dürfte es 1968 im Verteidigungshaushalt rund 67 Millionen DM Einsparungen erbringen.
Etwa gleich hohe Einsparungen werden im gleichen Jahre von zahlreichen weiteren Maßnahmen erwartet, die der Bundesminister der Verteidigung im Rahmen seiner Zuständigkeit unverzüglich durchzuführen beabsichtigt.
In den nächsten Jahren werden sich noch einschneidendere Einsparungsmaßnahmen in allen Bereichen der Bundeswehr auswirken. Einige dieser Maßnahmen sind bereits veranlaßt worden, andere werden hinsichtlich ihrer Konsequenzen noch untersucht. Sie betreffen nicht nur die Struktur der Streitkräfte, sondern auch deren Betrieb sowie die Infrastruktur und Rüstung.
Ich möchte dafür nur folgende Beispiele aufführen: eine Straffung der Kommandostruktur bei den Landstreitkräften, bei der Luftwaffe und bei der Marine; eine Rationalisierung im Bereich der Ausbildung durch Konzentration; eine Überprüfung der gesamten vorliegenden Infrastrukturvorhaben im Hinblick auf die Strukturänderung der Bundeswehr und unter Berücksichtigung von freiwerdenden Anlagen der Stationierungsstreitkräfte; die Streichung besonderer Bauten für Reservelazarettgruppen, die nunmehr in bestehenden Kasernen untergebracht werden; die Reduzierung der Anzahl der Versorgungsartikel durch Anwendung moderner Bewirtschaftungsverfahren und Ausnutzung der elektronischen Datenverarbeitung.
Das Hohe Haus darf allerdings von diesen Maßnahmen nicht die Lösung der Schwierigkeiten erwarten, die dem Verteidigungsressort durch die mittelfristige Finanzplanung entstanden sind. Die Maßnahmen, die ich geschildert habe, werden im besten Falle einen Beitrag zur Kompensierung der zwangsläufig ständig ansteigenden Betriebskosten leisten können. Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen müssen, abgesehen von verfassungs- und haushaltsrechtlichen Bestimmungen, dort ihre Grenze finden, wo ihre Durchführung die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr herabsetzen und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn für seine Soldaten und zivilen Bediensteten beeinträchtigen würde.
Ich darf nun auf gewisse Erkenntnisse aus den Alternativuntersuchungen zu sprechen kommen. Gleichzeitig wurden unter dem Gesichtspunkt der Kostenwirksamkeit Möglichkeiten untersucht, die zu umfangreichen militärischen Forderungen an die knappen finanziellen. und personellen Mittel anzupassen.
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Die anzustrebenden Lösungen wurden von folgenden Faktoren bestimmt:
Die Kosten haben eine steigende Tendenz. Dies gilt sowohl für Personal- als auch für Materialkosten. Allein die Aufwendungen für Personal-Gehälter, Löhne, Versicherungsbeiträge, Versorgungsleistungen für die Soldaten, Fürsorgeleistungen — betragen bereits heute mehr als die Hälfte der Betriebskosten. Darüber hinaus ist auch bei den großen Waffensystemen eine sprunghafte Steigerung der Entwicklungs-, Beschaffungs- und Unterhaltungskosten zu verzeichnen. So kostet z. B. ein Kampfpanzer „Leopard" das Doppelte eines Kampfpanzers M 48, ein Kampfpanzer 70 würde voraussichtlich wiederum das Doppelte des „Leopard" kosten.
Investitionen und Betriebskosten müssen in ein so ausgewogenes Verhältnis gebracht werden, daß ausreichende Mittel für die Modernisierung und für die Erhaltung der Schlagkraft mit kampfentscheidenden Waffensystemen verfügbar bleiben.
Wir haben aber eine neue Verteidigungskonzeption nicht als Folge von Einsparungsmaßnahmen in der Vergangenheit und auch heute noch gefordert, sondern weil sich die weltpolitische Lage verändert hat
und zwangsläufig auch die Lage der Bundesrepublik im Bündnis.
— Das ist gar nicht so ganz neu. Herr Rommerskirchen hat vorhin noch in der Begründung erklärt, Herr Kollege Marx, daß sich die weltpolitische Lage verändert habe. Sie mögen das bestreiten; dann sind Sie einer der ganz wenigen hier in diesem Hause, der das bestreitet.
Wir waren der Auffassung, daß wegen der veränderten Lage die Konzeption geändert werden müsse und daß zum anderen unsere Verteidigungspolitik sich einzufügen habe in die außenpolitischen Anstrengungen, zu einer Entspannung und zum Ausgleich mit unseren früheren Gegnern zu kommen. Wir wollten immer eine Anpassung unseres Instrumentes Bundeswehr an den reinen Verteidigungsauftrag; wir wollten ihr einen reinen Verteidigungscharakter geben.
— Es könnte beispielsweise bedeuten, daß ich auf atomare Träger verzichte.
— Ja, das wollten Sie hören; das weiß ich, und deshalb sage ich es Ihnen noch einmal.
Nun hätten wir heute erwartet, daß die Bundesregierung in Verfolg ihrer Ankündigung vom Juli eine neue Verteidigungskonzeption vorgelegt hätte. Aber, Herr Bundesverteidigungsminister, von einer neuen Konzeption war in Ihrer umfangreichen Rede nicht allzuviel zu spüren.
Wir werden weiterhin konventionell unterlegen sein mit der Gefahr einer weiteren Verringerung der glaubhaften Abschreckung, Herr Marx.
Denn auch die konventionelle Rüstung ist ein Teil der glaubhaften Abschreckung und, wie die Dinge zur Zeit aussehen, für uns die glaubhafte Abschreckung überhaupt.
Wir werden weiterhin keine Verwendung für Reservisten finden, wir werden eine Million Reservisten, die wir für teures Geld ausgebildet haben, weiter unausgenutzt lassen. Im Jahre 1970 werden es rund 1,5 Millionen sein.
Wir werden ,es auch weiterhin nicht möglich machen können, daß alle Wehrpflichtigen eingezogen werden.
— Nach den Ausführungen des Bundesverteidigungsministers wird es eben weiterhin so sein, weil ja schon beim Einfrieren auf dem derzeitigen Stand nur die Hälfte der verfügbaren jungen Menschen eingezogen werden kann.
Es hilft gar nichts, wenn wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Nachteile für die Betroffenen dadurch ausgleichen können, ,daß wir den Nichtbetroffenen Abgaben auferlegen. Ich wünsche Ihnen, wenn Sie ein solches Verfahren vorhaben sollten, viel Glück bei der Durchführung. Wir werden weiterhin mit einer Flut von Zuschriften eingedeckt werden, wenn wir versuchen, Ausgaben, die wir als nicht immer gerechtfertigt ansehen, zu kürzen. Die Kürzung wird nicht möglich sein, und die vorgeschlagenen Einsparungsmaßnahmen auf diesem Sektor im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung werden eben nicht durchgeführt. Das scheint doch heute schon festzustehen.
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Eine Änderung ,der Verteidigungsplanung ist auch aus einem anderen Grunde vordringlich geworden. Der NATO-Pakt wird, ob wir es wahrhaben mögen oder nicht, in Zukunft sicherlich einigen Veränderungen unterworfen sein. Als Folge der Annahme, daß eine akute Bedrohung durch die Warschauer Pakt-Mächte nicht besteht, ist bei vielen unserer Partner eine gewisse Allianzmüdigkeit festzustellen. Wir kennen ja die Kontingentverringerungspläne unserer Freunde; ich nenne hier die Vereinigten Staaten, ich nenne hier ,die Briten und auch die Belgier. Eine Änderung des NATO-Konzeptes und auch der NATO selbst hätte doch ,die Folge, daß die deutsche Bundesrepublik, daß das Verteidigungsministerium Überlegrungen anstellt, wie das entstehende Fehl an Kräften zu decken ist, wie man die Kampfkraft unserer Bundeswehr auf dem konventionellen Sektor so steigert, daß ein Abzug von Truppenkontingenten anderer Mächte nicht zu einer Schwächung unserer Verteidigungskraft führen muß.
Nun habe ich heute noch gelesen, daß einige Militärfachleute der Meinung sind, das sei gar nicht Aufgabe der Bundesrepublik, darüber nachzudenken, wie die Verteidigungskraft wieder gestärkt werden könnte oder wie sie auf dem gegenwärtigen Stand erhalten werden könnte; die Bundesrepublik habe nur schlicht und einfach, ohne danach zu fragen, ob es zweckmäßig sei, eine bestimmte Zahl von Soldaten zu stellen, und alles andere machten dann unsere Freunde.
Sicherlich mag der Brückenkopf Bundesrepublik in den strategischen Überlegungen der USA eine große Rolle spielen, und von da her mögen Entscheidungen gefällt werden, die nicht immer gerade in unserem Interesse liegen müssen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß dieser Brückenkopf die Bundesrepublik Deutschland insgesamt bedeutet, unser Land, in dem wir alle leben und arbeiten.
Nun meinen wir — und wir haben hier entsprechende Anträge vorgelegt —, daß ein möglicher Weg zur Verstärkung der konventionellen Verteidigungskraft unserer Bundeswehr angesichts der Beschränktheit unserer finanziellen Mittel, die ja nicht ins Uferlose eingesetzt werden können, der wäre, auf Trägerwaffen zu verzichten. Wir meinen das, weil sich gezeigt hat, daß das Risiko, das die Atomwaffen besitzenden Mächte bei dem Versuch, atomare Mittel einzusetzen, eingehen, sie davon abhält, mit dem Gedanken des Einsatzes überhaupt nur noch zu spielen. Wir wissen, daß sich die Auseinandersetzungen seit 1945 konventionell abgespielt haben und abspielen, auch dort, wo sich die Atomwaffen besitzenden Mächte im konventionellen Kampf schwertun. Sie hüten sich, auch nur taktische Atomwaffen einzusetzen, weil man die Eskalation von dem taktischen Einsatz bis zum strategischen Einsatz nicht in der Hand hat, weil man dann den Einsatz nicht mehr steuern kann. Selbst wenn man taktisch beginnt, wird man strategisch enden. Es kann nicht im Sinne unserer Bevölkerung sein, daß wir dann die Leidtragenden eines solchen Einsatzes strategischer Waffen sind, der bei dem Versuch, sich durch Einsatz taktischer Waffen Luft zu verschaffen, zwangsläufig hervorgerufen wird, da der Gegner ja über die gleichen Waffen verfügt.
Wir sind also der Auffassung, daß die Bundeswehr konventionell ausgerüstet sein sollte und daß alle Anstrengungen in dieser Richtung unternommen werden müssen. Herr Berkhan hat ja vorhin bei der Begründung der Großen Anfrage seiner Fraktion für einen großen Bereich unserer Verteidigung die Anwendung taktischer Waffen gleich ausgeschlossen: für den Bereich der Marine. Was für den Bereich der Marine gültig ist, muß für den Bereich des Landheeres und den Bereich der Luftwaffe die gleiche Gültigkeit haben.
Wie stellen wir uns nun unsere Verteidigungsanstrengungen für die nächste Zukunft vor? Ein plötzlicher Zusammenstoß zwischen Ost und West wegen einer Streitfrage, die sich aus dem mitteleuropäischen Raum her ergibt, erscheint unwahrscheinlich. Es wird keine Auseinandersetzung stattfinden, ohne daß ihr eine Spannungs- und eine Vorwarnungszeit vorausgeht.
Zu dieser Erkenntnis ist ja auch die NATO-Konferenz im Mai 1967 gekommen. Ich weiß, daß diese Erkenntnis einige Kollegen in Bestürzung versetzt hat. Es ist sogar geäußert worden, daß es entsetzlich sei, daß auf Grund dieser Erkenntnis die Vereinigten Staaten eine Änderung ihrer Präsenz in Deutschland vornehmen würden.
Die Bundeswehr wird die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß ein Einfall feindlicher Kräfte mit Panzern und mit Panzerunterstützung möglichst weit vorn aufgefangen werden kann, damit keine Beeinträchtigung unseres schmalen Bundesgebietes eintritt. Zum anderen sind wir gezwungen, so früh wie möglich aufzufangen, weil wir nicht über die Tiefe des Raumes verfügen, um unsere Streitkräfte sinnvoll und zweckmäßig einzusetzen.
— Es bestehen erhebliche Zweifel, Herr Damm, daß die Bundeswehr in ihrer jetzigen Gliederung und Ausstattung hierzu in .der Lage ist. Die Bundeswehr insgesamt scheint uns zu technisiert zu sein, ausgerüstet mit zu komplizierten Verteidigungssystemen. Wir wissen alle, daß das Verhältnis Fahrzeug zu Mann in den Ostblockstaaten 1:7 beträgt. Wir sind inzwischen bei 1:4 angelangt. Auch wissen ja alle, die Gelegenheit hatten, im letzten Kriege gegen den mutmaßlichen Gegner von heute damals schon zu kämpfen, daß dieser Gegner unangenehm war, beispielsweise wegen der Vielzahl von Granatwerfern — fast jeder dritte Soldat hatte so einen Granatwerfer unter dem Arm — und wegen des massierten Einsatzes von Raketenwaffen, beispielsweise der Stalinorgel.
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Unsere Bundeswehr muß so ausgelegt sein, daß der Zwang zum Atomwaffeneinsatz mit Sicherheit vermieden wird. Daher muß die jetzt vorhandene konventionelle Kampfkraft erhöht werden. Das werden wir nicht können, Herr Bundesverteidigungsminister, wenn Sie nicht auf anderen Sektoren zu erheblichen Einsparungen kommen. Diese Einsparungen können Sie aber allein mit Veränderungen in der Organisation nicht erreichen. Sie müssen die Bundeswehr für dieses Ziel der Abwehr eines Panzerangriffs ausrüsten. Sie müssen sie also mit Panzern ausrüsten, vornehmlich aber auch mit panzerbekämpfenden und panzerbrechenden Waffen, die nicht kompliziert, robust und verhältnismäßig einfach in ihrer Verwendung sind.
Um dieses Ziel zu erreichen, müßte der Aufbau unserer Bundeswehr verändert werden, weil die finanzielle Enge, in der wir uns befinden, die Fortführung des derzeitigen Systems nicht angeraten sein läßt. Wir sind, wie ich eingangs erwähnte, einfach nicht in der Lage, bei einer geforderten Präsenz von 460 000 Mann von dem Reservistenpotential Gebrauch zu machen, das jährlich um 160 000 Mann anwächst. Welch eine gigantische Fehlinvestition! Als wenn die Kampfkraft und die Verteidigungskraft eines Volkes und der Bundeswehr nur von der präsenten Truppe abhingen und nicht von den Möglichkeiten, die unser ganzes Volk uns bietet!
Es schadet bestimmt nicht unserer Stärke und der Abschreckung, wenn die aktive Bundeswehr zahlenmäßig kleiner, dafür aber in der Lage ist, Kadereinheiten mitzuführen, mit deren Hilfe sie in kürzester Frist ihre aktiven Verbände durch Auffüllung mit Reservisten über das bestehende Maß hinaus verstärken kann.
— Herr Kollege Zimmermann, erklären sie mir mal, wie sie bei unserer finanziellen Lage, die uns dazu zwingt, uns mit einem Bestand von 460 000 Mann zu begnügen, noch Kadereinheiten aufbauen wollen, die in der Lage sind, jährlich 360 000 Reservisten aufzunehmen, damit die 1,5 Millionen Reservisten, die wir bis 1970 haben werden, in Übung bleiben! Auch Sie vergessen doch, wenn Sie zehn Jahre lang nicht gefordert werden, das, was Sie gelernt haben. Wir aber ziehen immer neue junge Soldaten ein und bilden sie aus. Ein Jahr brauchen wir nach den Darlegungen des Herrn Ministers, bis sie kampfkräftig sind, und haben 1 Million kampfkräftige Leute beschäftigungslos.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Ollesch?
Herr Kollege Ollesch, wollen Sie allen Ernstes 360 00 Reservisten in Übung halten, und glauben Sie, daß das mit unserer außenpolitischen Situation zu vereinbaren ist?
Herr Kollege Berkhan, es kommt mir nicht auf unsere außenpolitische Situation an.
Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, daß unsere Verteidigungsanstrengungen glaubhaft bleiben. Wenn sie glaubhafte Verteidigungsanstrengungen nachweisen kann, dann befindet sie sich in einer besseren außenpolitischen Situation als zur Zeit.
— Herr Kollege Lenze, Sie kennen mich; ich würde gern zehn oder zwölf Zusatzfragen zulassen. Wir haben uns freiwillig in der Redezeit auf 30 Minuten begrenzt, und ihre Fragen würden dann von meiner begrenzten Redezeit abgehen.
— Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Sie hier ein gerade unter folgendem Gesichtspunkt außergewöhnlich ernstes Problem ansprechen: es muß damit gerechnet werden, daß die Alliierten in den kommenden Jahren — siehe Big Lift und Rotation — hier Verbände abziehen und daß infolgedessen gerade für die deutsche Bundeswehr die Frage der Verringerung der voll einsatzbereiten, der sofort einsatzbereiten Verbände eine Frage allerersten Ranges ist, daß infolgedessen hier mit äußerster Vorsicht vorgegangen und sehr vieles überlegt werden muß?
Herr Kollege Lenze, ziehen Sie von den voll einsatzbereiten Verbänden erst einmal 160 000 neu eingezogene Soldaten ab. Dann haben Sie eine niedrigere Zahl, als wenn wir unsere aktiven Verbände so weit verringern, daß wir in der Lage sind, von unserem Reservistenpotential Gebrauch zu machen. Ich wehre mich einfach gegen den Unsinn, Herr Lenze, daß wir ständig neue Soldaten einziehen — mit all den Schwierigkeiten, die das Einziehsystem uns zur Zeit bereitet — und daß wir die Leute nach eineinhalb Jahren entlassen und nie wieder von ihnen Gebrauch machen.
Sehen Sie, Herr Lenze, Sie können das Problem so wie bisher nicht lösen, sonst hätten wir es nicht; sonst wäre es nicht da, es wäre vom Tisch.
Wir werden also — das ist mein Vorschlag — die Bundeswehr so umgliedern, daß sie aus aktiven, jederzeit eingreifbereiten Verbänden besteht, vornehmlich aus längerdienenden Soldaten, die wir ja ohnehin in Höhe von über 240 000 Mann haben, daneben, meine Damen und Herren, die Kadereinheiten, die der Herr Minister vorschlägt — mögen Sie sie nennen, wie Sie wollen —, die in der Lage
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sind, die Reservisten einzuziehen und sie zur Verstärkung unserer Kampfkraft heranzuziehen.
— Nein, die gedienten Reservisten.
Es wurde vorhin in der Diskussion über unseren Antrag, die Wehrpflichtzeit zu verkürzen, darauf hingewiesen, daß das aus diesen oder jenen Gründen nicht möglich sei. Bei der Verkürzung der Wehrpflicht nach unserem Antrag, bei der die Präsenzstärke um 60 000 Mann sinkt, sind wir mit den freiwerdenden Mitteln in der Lage, eben diese 360 000 Reservisten jährlich einzuziehen. Das lassen Sie sich von den Experten einmal vorrechnen; das stimmt.
— Ja, sehen Sie einmal, wir haben es nämlich schon durchgerechnet im Gegensatz zu Ihnen, weil wir uns wirkliche Gedanken über die Erhöhung unserer Verteidigungsbereitschaft machen.
Wir brauchen also eine Bundeswehr aus aktiven längerdienenden Soldaten als Eingreifarmee, darüber hinaus die Kaderverbände, wie sie der Herr Minister auch haben will, mit Reservisten, die aufgefüllt werden. In Verbindung mit der territorialen Verteidigung und unserem Bevölkerungsschutz kämen wir auf die gleiche Anzahl von präsenten Soldaten, wie sie heute auch vorhanden ist.
Ich frage mich, wieso ein solcher Umbau uns in Schwierigkeiten außenpolitischer Art bringen könnte, ein solcher Umbau, bei dem die Bundeswehr genau so effektiv oder sogar noch effektiver ist als bisher. Dazu kommt, meine Damen und Herren, der Umbau der Luftwaffe im Rahmen der Auffassung, daß der zukünftige Krieg, wenn er stattfindet, sich konventionell abspielen wird. Diese Überlegung ist ja nicht aus der Luft gegriffen. Unsere Starfighterverbände befinden sich zum großen Teil in der Umrüstung oder sollen umgerüstet werden. Wenn das aber so ist, dann sollte man sich für die Zukunft überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, ein teures Waffensystem, das für strike ausgelegt ist, für den Erdkampf zu verwenden, weil dieses Waffensystem eben nicht die Kriterien aufweist, die ein für den Erdkampf und für die Truppenunterstützung gebautes Flugzeug aufzuweisen hat.
Vor allen Dingen ist das Flugzeug, das für die Erdkampfunterstützung gedacht ist, nur halb so teuer wie das Flugzeug, das für den strike gedacht ist.
Dazu kommt noch der Umbau, der Ausbau der Marine auf die ursprüngliche Aufgabe hin, nämlich die, für das Heer unterstützend eingreifen zu können und außerdem die Ostseeausgänge zu sperren. Ob dafür allerdings Zerstörer bei ihrer großen Anfälligkeit in den kleinen Seeräumen notwendig sind, wage ich in aller Deutlichkeit zu bezweifeln.
Meine Damen und Herren, wir hätten uns gefreut, wenn wir nach den Ankündigungen des vergangenen Sommers, nach den Auseinandersetzungen bei der Pariser NATO-Konferenz, heute etwas darüber erfahren hätten, wie sich die Bundesregierung die Verteidigungsanstrengungen der nächsten Zeit im gegebenen finanziellen Rahmen auf Grund der derzeitigen Lage in der Welt und der militärpolitischen Lage, in der wir uns befinden, vorstellt. Wir haben leider in dieser Richtung außer der Andeutung, daß die konventionelle Kraft gestärkt werden soll, daß nun Kaderverbände aufgestellt werden sollen, daß eine abgestufte Präsenz eingeführt werden soll, keine konkreten Ausführungen gehört. Wir werden uns — wie auf einem anderen Sektor —, wenn wir in absehbarer Zeit keine brauchbaren Vorlagen von der Regierung erhalten, die Mühe machen, unsererseits eine wohlabgerundete Verteidigungskonzeption, abgestimmt auf unser Territorium und abgestimmt auf das NATO-Bündnis, vorzulegen.
Ich bin überzeugt davon, daß, wie eine andere Vorlage, die Vorlage der FDP der Wirklichkeit am nächsten kommt.
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wortweiter erteile, darf ich eine Bemerkung zur Geschäftslage machen. Wir wollen heute nach Vereinbarung im Ältestenrat bis 22 Uhr hier ausharren und morgen früh nicht mit der Fragestunde beginnen, sondern mit den Tagesordnungspunkten, die wir heute behandeln wollten. Das sind die Tagesordnungspunkte 4 bis 7. Danach werden wir, wenn wir heute bis 22 Uhr nicht fertig werden, die Verteidigungsdebatte weiterführen. Erst am Schluß kommt dann die Fragestunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der amtierende Präsident eben von den Verabredungen des Ältestenrates gesprochen hat, liegt mir am Herzen, als eine persönliche Bemerkung zu sagen, daß ich bedauere, daß der Ältestenrat diese Debatte zeitlich so angelegt hat, daß weder Rundfunk noch Fernsehen noch die Tageszeitungen über das, was hier gesagt wird oder noch gesagt werden wird, ihr Publikum technisch richtig unterrichten können.
— Wenn das deren Wunsch gewesen ist, stehe ich nicht an, zu sagen, daß ich mit Ihrem Wunsch sympathisiere, Herr Genscher.
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Eine Bemerkung auch an das Präsidium, nicht an den amtierenden Präsidenten gerichtet, aber zum Weitergeben an den höchsten Meister vom Stuhl.
der uns heute ja wieder ermahnt hat, wir sollten hier frei reden. Wenn das Präsidium wichtige Debatten zeitlich so ansetzt, daß jemand, der etwas Wichtiges zu sagen beabsichtigt — wie z. B. der Verteidigungsminister eben und andere Kollegen aus dem Hause auch —, überhaupt nur dann eine Chance hat, das, was er sagen möchte, der Offentlichkeit zu übermitteln, wenn er vorher der gleichfalls sehr gelichteten Pressetribüne seine Rede im Vorweg schriftlich gibt, dann sind solche Ermahnungen, wie ich sie heute zum wiederholten Male gehört habe, nicht ganz der Situation angemessen.
Ich persönlich bin hier im Hause sicherlich nicht verrufen als jemand, der seine Reden abzulesen pflegt. Aber auch ich stehe unter dem Druck der Notwendigkeit, wenn ich überhaupt will, daß auch nur ein einziger Gedanke von denen, die mich gegenwärtig bewegen, dem deutschen Leser- oder Hörerpublikum übermittelt wird, diese Gedanken heute mittag um drei Uhr in schriftlicher Form den Rundfunk- und Fernsehanstalten oder der Presse zur Verfügung zu stellen, und stehe infolgedessen jetzt unter der Notwendigkeit, ab und zu in jenes Manuskript hineinzuschauen, damit das, was ich hier sage, auch nur einigermaßen übereinstimmt mit dem, was um drei Uhr mit Sperrfrist bereits der Presse übergeben wurde. Vielleicht denkt der Herr Präsident darüber einmal nach.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Bemerkung von meiner Seite. Es war nicht der Vorschlag des Präsidenten, so zu verfahren, sondern es war eine Forderung, die immer aus dem Haus kam, hier solle frei gesprochen werden.
— Die entsprechenden Anträge wurden gestellt und sie liegen als Anträge dem Hause vor. Das Problem der Presse haben wir auch besprochen. Es wurde von Mitgliedern des Altestenrats darauf hingewiesen, daß die Presse viel lieber die Zusammenfassung nimmt als die wörtliche Rede. Dieser Gesichtspunkt muß also nicht unbedingt entscheidende Bedeutung haben. Meine Damen und Herren, ich wollte hier nur deutlich machen, daß das alles sehr schwierig ist.
Das gilt auch für die Tagesordnungen in dieser Woche. Da liegen diese großen Gesetze vor, die auch an Fristen gebunden sind. Man ist sehr im Gedränge bei der Entscheidung, wann man was macht. Wir haben außerdem die Ausschüsse mit Anhörungen. Das alles ist zu bedenken. Es kommt dann immer so heraus, daß nicht jedermann zufrieden sein kann.
Bitte, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Gestatten Sie mir zu sagen, Herr Präsident, ,daß ich nicht die Absicht hatte, mit dem Präsidenten zu polemisieren, wie ich auch Ihre Zwischenbemerkung nicht als eine Polemik gegenüber dem Redner verstehen möchte.
Ich darf vielleicht auf eine Zwischenbemerkung von Herrn Genscher noch einmal zurückkommen, der, wenn ich es richtig verstehe, im Grunde von ähnlichen Gedanken bewegt schien, wie ich sie soeben anzudeuten versucht habe. Sosehr ich im Grunde in diesem Punkt mit ,der kritischen Einstellung auf seiten der FDP-Kollegen sympathisiere, wie ich schon sagte, muß ich doch auch bei der Gelegenheit — zumal ich inzwischen gehört habe, was am Montag im „Panorama" alles gesagt worden ist über die angebliche Benachteiligung der FDP in Parlamentsdebatten und was Herr Kollege Mende am Anfang dieser Debatte über die Beschneidung der Möglichkeiten der Opposition gesagt hat — noch einmal feststellen, ,daß Kollegen von der FDP in den letzten zwölf Monaten bei kontroversen Parlamentsdebatten im Grunde recht gut und jedenfalls besser behandelt worden sind als andere, die früher einmal in der gleichen Lage waren.
— Lieber Herr Scheel, 'ein kleines Beispiel: Herr Ollesch hat gerade als erster in der Debatte gesprochen. Es hätte nicht unbedingt so sein müssen, und es war auch nicht das erstemal. — Aber da Herr Scheel mir gerade eine Zwischenfrage stellen will,
— vielleicht wird sie überflüssig, wenn ich die Bemerkung noch vorher machen darf, lieber Herr Scheel: Ich persönlich habe —das wissen Sie auch — 'mehrfach angeboten, zu einem Gespräch zur Verfügung zu stehen — ich wiederhole das hier öffentlich —, das sich mit etwaigen parlamentarisch-technischen Problemeneiner zahlenmäßig geringen Opposition beschäftigen sollte. Ich habe mich angeboten. Ich stehe nach wie vor zur Verfügung. Ich bin ja auch im Wort, denn ich habe für 'die sozialdemokratische Fraktion heute vor einem Jahr hier von diesem Pult aus einiges zu dem Thema gesagt. Man muß dann aber auch mal angesprochen werden. Dieses dauernde Lamentieren vor Öffentlichkeit und Fernsehen gefällt mir jedenfalls nicht sonderlich. Man kann als Opposition nicht nur an der Klagemauer stehen wollen, meine Herren.
Sie haben heute etwa doppelt so viele Fragen wie die anderen beiden Fraktionen des Hauses zusammen vorgelegt, sehr sachliche Fragen, sachlich begründete Fragen. Und Sie hatten in der Debatte als erste ,das Wort zu den Antworten, die der Verteidigungsminister gegeben hat. Ich hatte das Gefühl, daß Sie hinsichtlich Ihrer 18 Fragen dem Verteidigungsminister eigentlich ein Wort des Dankes schulden für .die überaus große Sorgfalt, mit der er — mit Ausnahme zweier Punkte, wenn ich richtig kontrolliert habe — auf alle Ihre 18 Fragen eingegangen ist. Dabei hat er im übrigen das große interellektuelle Kunststück fertiggebracht, die insgesamt 28 oder 29 Fragen so zu beantworten, daß
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sich daraus ein zusammenhängendes sicherheitspolitisches Konzept dieser Bundesregierung ablesen ließ. Ich möchte für meine Freunde sagen, daß ich das nicht nur als eine intellektuelle und darüber hinaus physische Leistung ansehe, sondern daß wir ausdrücklich unsere Anerkennung für 'diese Antwort auszusprechen wünschen.
Schon in den Begründungen der Großen Anfragen ist von mehr als einem Redner — und Herr 011esch hat eben in der Debatte über die Antwort noch einmal ähnliche Gedanken vorgetragen — gesagt und bemängelt worden, daß hier nun nicht eine vom Urgrund her neue Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen worden sei. Das ist sicherlich auch nicht geschehen. Ich stehe nicht an zu sagen: wenn es geschehen wäre, würde ich hier im Augenblick wahrscheinlich mit großen Bedenken stehen.
Ich sage das, weil ich mich gewundert habe. Mein Freund Berkhan hat mit Recht auf ein paar Bemerkungen abgehoben, genauer gesagt: auf eine Bemerkung, die irgendwann im Sommer im Bulletin der Bundesregierung zu lesen war und in der jemand gemeint hatte, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung komme es zu einer grundlegend neuen Verteidigungskonzeption. Ich meine, daß diese Bemerkung damals sowohl wegen der Umstände, aus denen heraus sie geschrieben wurde, als auch wegen des Inhalts eine deplacierte Bemerkung gewesen ist. Ich würde es ungerecht finden, wenn die Herren von der Opposition jetzt den Verteidigungsminister oder das Gesamtkabinett an dieser Bemerkung aufhängen wollten.
— Nein, ich meine „aufhängen" nicht bildlich. Das traue ich weder Herrn Ollesch noch Herrn Scheel zu; sie sind ja wirklich liebe Kollegen. Das würden sie nicht machen.
Ich darf für meine Freunde auf einen Punkt zurückkommen, der uns heute vor 12 Monaten am Herzen gelegen hat. Sie werden sich erinnern — die Kollegen von der FDP genauso wie die Kollegen von der CDU/CSU —, daß wir damals in sogenannten Sachgesprächen waren, jeder mit jedem, und Sie werden sich erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion eine geistige Grundlage sich erarbeitet und den beiderseitigen Gesprächspartnern für diese Sachgespräche auf den Tisch gelegt hatte, das sogenannte — in unseren Jargon heißt das so — „Acht-Punkte-Papier". Ich möchte daraus an einen Satz, an einen der Punkte erinnern, die wir — aus dem damaligen Erkenntnisstand heraus — an die Gesprächspartner der seinerzeitigen Erhard-MendeKoalition gerichtet haben, Wir waren nämlich der Meinung, daß die neue Bundesregierung, wer immer sie sein würde, die Stärke der Bundeswehr auf den damals erreichten zahlenmäßigen Stand einfrieren müsse. Das können Sie in diesem Papier nachlesen. Vielleicht ist es ganz gut, doch einmal zu sagen, daß das inzwischen geschehen ist. Das hat diese Bundesregierung nun tatsächlich getan.
Wir haben damals nicht verlangt, wie es heute aus dem Munde der FDP bisweilen zu klingen scheint, daß die Armee zahlenmäßig drastisch verringert würde. Wir haben nicht verlangt, daß eine Mobilisierungskapazität geschaffen würde, die in einem ernsten Fall so ähnlich wie im August 1914 riesenhafte Zahlen mobilisieren und zu den Fahnen rufen würde. Das an Ihrer Argumentation, meine Herren, müssen Sie sich hinsichtlich der außenpolitischen, genauer gesagt: ostpolitischen Wirkung noch einmal sehr genau durchdenken,
ob das wirklich klug ist, ob Sie diesen Teil Ihrer Argumente wirklich auch außenpolitisch 'schon zu Ende gedacht haben. Da habe ich große Zweifel, daß Sie das wirklich so meinen können.
— Ich habe Zweifel, daß sie es so meinen können. Ich glaube, das ist noch nicht zu Ende elaboriert worden.
Wir haben damals auch nicht verlangt, es müßten diese oder jene Waffen abgeschafft werden. Wir haben auch nicht ein vollständig neues Konzept verlangt. Wir glauben, daß das richtig war. Wir glauben, daß die gegenwärtige außenpolitische Situation — und da greife ich eine kleine Kontroverse auf, in die Herr Ollesch eben verwickelt gewesen ist — sowohl vis-à-vis Osten als auch vis-à-vis Westen, im Verhältnis zu unseren Partnern innerhalb des Westbündnisses, nicht so beschaffen ist, daß wir uns im Augenblick auf eine zahlenmäßig wesentlich zu Buch schlagende Verringerung des Umfangs der Bundeswehr einlassen könnten, so sehr ich weiß und zu schätzen weiß, daß es einige ernst zu nehmende und ernst genommene Generale gibt, die aus Gründen der Qualität bei Aufrechterhaltung des Etats, den sie insgesamt verbrauchen möchten, die Quantität verringern wollen; genauer gesagt: zur Verbesserung der Qualität. Ich habe dafür Verstamdnis.
Aber man muß doch auf der anderen Seite sowohl dem Bundeskanzler als auch dem Außenminister als auch dem Verteidigungsminister zuhören, wenn diese Herren — wie ich denke, mit gutem Grund — dartun, daß eine Ankündigung zahlenmäßig zu Buch schlagender Verringerungen der Bundeswehr hier in Bonn, in diesem Hause, in sehr kurzer Zeit — jemand von Ihnen hier aus der Mitte des Hauses hat es in einem Zwischenruf Herrn Ollesch gegenüber schon deutlich gemacht; Herr Lenze ist es gewesen — zu Reaktionen, zu Konsequenzen in Washington, in London, in Brüssel und an anderer Stelle, führen würde.
Im übrigen ist gar nicht ausgemacht, daß der positive Effekt in Richtung Osten, den Sie sich davon vorstellen, meine Herren von der FDP, eintritt. Wenn er aber nicht eintritt, was würden Sie eigent-
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lieh hinterher noch haben, um überhaupt Effekte erzielen zu können?
Wenn man ernsthaft Entspannungspolitik treiben will — und das ist nicht eine Sache von 14 Tagen oder von drei Monaten oder von einem Jahr oder von drei Jahren —, wenn man das ernsthaft will und weiß, daß das eine auf lange Sicht, Schritt für Schritt angelegte Operation ist, dann kann man nicht vorzeitig, ohne durch die Macht der Verhältnisse dazu gezwungen zu sein, die westliche Seite dieses bipolaren europäischen Systems bewußt und absichtlich einseitig zahlenmäßig verringern in der Hoffnung, daß die östliche vielleicht auch von ihrem hohen Rüstungsniveau heruntersteigt. Wenn Sie es dann nicht tut, was eigentlich dann? Was haben Sie dann noch in der Hand?
Weil das so ist und weil das von jedermann, nicht nur von uns Deutschen, so gesehen werden muß, deswegen, glaube ich, würden wir, die Deutschen, uns in eine besonders schlechte Lage bringen. Wir sind ja, was unsere Sicherheit angeht, von diesem Bündnis hier in Europa mehr abhängig als viele andere europäische Bündnispartner.
Wir würden uns, glaube ich, in eine schlechte Lage bringen, wenn wir durch das, was wir sagen und was wir hier beschließen, die Verursacher, vielleicht sogar nur die Entschuldigungsgründe, jedenfalls aber die Prügelknaben dafür abgeben wollten, daß andere aus vielerlei Gründen, die mit dem schrecklichen Krieg in Vietnam zusammenhängen, die mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten zusammenhängen, die mit außenpolitischen Situationen in diesem oder jenem Land zusammenhängen, möglicherweise nur allzu gern Tendenzen nachgäben, die in ihren Ländern innenpolitisch weiß Gott nicht gerade gering sind.
Ich meine, diese Regierung darf auf keinen Fall in Kauf nehmen, daß sie ihrerseits ohne zwingenden Grund psychologische Effekte in die Welt setzt, die — um einen modernen Ausdruck aus der wirtschaftspolitischen Debatte aufzugreifen — dann in anderen Ländern sogenannte Ankündigungseffekte erzielen, die letztlich
— eben keine Symmetrie! — zu einem asymmetrischen Abbau des gegenwärtigen Gleichgewichts in Europa führen könnte.
In dem Zusammenhang ein Wort über die nukleare Komponente, von der nach meinem Gefühl sowohl in den Fragen, die die FDP gestellt hat, als auch infolgedessen in den Antworten, die der Verteidigungsminister geben mußte, dem Umfange nach ein bißchen zu viel die Rede gewesen ist. Dieses dauernde Gerede, so meine ich, tut uns nicht unbedingt gut. Aber wenn es schon sein muß und wenn dazu gesprochen wurde, kann man auch erwarten, daß darauf geantwortet wird.
Ich möchte in einem Punkt für meine Freunde hier ausdrücklich unterstreichen, was Herr Schröder gesagt hat: Solange die Armee Polens, solange die Armee der Tschechoslowakei, solange die Volksarmee der DDR über nukleare Trägerwaffen verfügen, genauso wie hier die Bundeswehr, ohne daß sie über die nuklearen Sprengköpfe verfügen können, genauso wenig wie wir es können, und genauso wenig, wie wir es wollen, — solange das in Polen, in der CSSR, in der DDR und bei uns so ist, solange kann .es nicht in Betracht kommen, daß die Bundesrepublik Deutschland, ohne daß sich andere gleichgewichtig und gleichwertig verabreden, es auch zu tun, einseitig etwas vorleistet, wo wir keine Hoffnung und keine Sicherheit haben, daß andere nachleisten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Scheel?
Bitte, Herr Scheel.
Herr Kollege Schmidt, sind Sie nicht der Meinung, daß auch durch einen Verzicht der Bundesrepublik auf atomare Trägerwaffen ein Ankündigungseffekt erreicht werden könnte?
Herr Scheel, ich will in allem Ernst sagen, daß ich mir in der Außenpolitik durchaus — auch in dem Teil der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik heißt, und in der Hälfte ,der Sicherheitspolitik, die nicht Verteidigung, sondern Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung heißt, einseitige beispielgebende Schritte vorstellen kann. Das würde ich keineswegs als ein theoretisch a priori abzulehnendes Instrument betrachten. Nur so, wie die Dinge in Mitteleuropa im Augenblick liegen, wäre ich dagegen, daß die Bundesrepublik Deutschland den Teil des Rapacki-Plans, der auf sie angewendet werden soll, einseitig durchführt, ohne daß ,die Teile, die die östlichen Länder Mitteleuropas betreffen sollen, irgendwo verabredet werden. Das würde mir nun allerdings als eine bedenkliche Sache erscheinen, zumal Herr Schröder in dem, was er dazu militärisch ausführte, doch nicht unrecht hat; denn die Truppen, die auf westdeutschem Boden stehen, sind nun einmal amerikanische, englische, belgische, holländische und deutsche Truppen. Er hat doch nicht unrecht, wenn er sagt: Da die Divisionen und Korps nebeneinanderstehen, kann man nicht das eine Korps so und das andere anders bewaffnen. Wie soll dann noch gemeinsam geplant oder gar operiert werden?
Dieses militärische Argument von Herrn Schröder ist also sicherlich ein zutreffendes Argument. Daß dieses Argument beiseite geschoben würde, könnte man in Kauf nehmen, wenn man verabreden könnte, daß die Polen und die Tschechen und die DDR dasselbe militärische Risiko für die Trup-
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pen, die auf ihrem Territorium stehen, auch in Kauf nehmen würden.
Herr Scheel möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung,daß eine Abgabe der atomaren Trägerwaffen an den Bündnispartner USA die Verteidigungskraft des Bündnisses, dem wir angehören, nicht mindert?
Ich glaube, daß es dabei auf zwei Dinge ankommt. Einmal kommt es darauf an, ob die Verteidigungskraft des Bündnisses gemindert würde. Sie würde sicherlich nicht in einem kategorischen Maß, aber doch in einem Maß gemindert, das zu Buche schlägt, weil nämlich eine einheitliche Führung und Operation nicht mehr möglich bleibt. Aber wo wollen Sie eigentlich den deutschen Anspruch auf ein Vetorecht für die Benutzung atomarer Waffen auf deutschem Boden oder gegen deutsche Ziele — gucken Sie sich die französischen Manöver dieses letzten Jahres an, wo französische Atomschläge auf deutsches Terririum gesetzt wurden — noch hernehmen, wenn Sie von vornherein darauf verzichten, in diesem ganzen Feld irgendein Wort noch mitreden zu wollen? Da würde ich ganz große Bedenken haben.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheel?
Ich werde Herrn Scheel nachher noch zur Verfügung stehen. Ich möchte im Anschluß an die Bemerkung, die ich eben machte, zwischendurch auf eine Bemerkung des von mir sehr geschätzten Kollegen Schultz antworten. Ich komme dann gleich auf Herrn Scheel zurück. Herr Schultz zitiert ja immer gerne aus einem Buch, das ich vor sieben Jahren einmal geschrieben habe.
Lieber Herr Schultz, das ist wie mit der Bibel: Jeder zitiert das, was ihm gerade in den Kram paßt.
Man kann alles herausfinden. Ich möchte Sie von meiner inneren Überzeugung unterrichten, Herr Schultz. Ich glaube nicht, daß ich irgend etwas Wichtiges, was ich damals gedacht habe, heute zurücknehmen möchte. Nur ist das ja gar keine Frage von Denken oder Meinen, denn es gibt in dem Buch ja einen Schlußabschnitt; er heißt: Schlußfolgerungen. Dort sind 20 Schlußfolgerungen aufgezählt und sogar numeriert. Sie werfen mir vor, ich hätte früher in der Frage der nuklearen Komponente etwas anderes gesagt als heute. Ich muß Ihnen vorlesen, was ich damals gesagt habe. Es ist vor sieben Jahren geschrieben, in einer ganz ande-
ren Lage, aber immerhin! Seien Sie so gut, es wirklich in sich aufzunehmen, damit ich nicht jedesmal über dieses Buch reden muß. Es ist ja vergriffen, und infolgedessen nützt mir die Reklame gar nichts mehr, die Sie hier dauernd machen.
Ich möchte diese drei oder vier Sätze mit der Genehmigung des Präsidenten vorlesen. In den Schlußfolgerungen heißt es unter der Ziffer 4:
Die weitere Aufrechterhaltung des allgemeinen
— dieses Wort ist kursiv gedruckt —
nuklearstrategischen Vergeltungskonzepts ist töricht. Wer nicht begreifen will, daß die Drohung mit der nuklearen Vernichtung nur noch von ganz bestimmten Aggressionsformen abzuschrecken geeignet ist, der setzt im Verteidigungsfall Europa der Alternative von Unterwerfung oder Vernichtung aus. Die These von der Unvermeidbarkeit nuklearer Verteidigung ist tödlicher Unfug.
Etwas später heißt es in der Ziffer 5 — ich lasse vieles an Ausführungen, was dazwischen steht, weg —:
Die Verteidigung mit begrenzter nuklearer Waffenwirkung
— das ist das, wovon wir die ganze Zeit reden; wir reden ja nicht von dem großen nuklearstrategischen Knüppel der Amerikaner —
behält als Drohung auf die Dauer ihre Glaubwürdigkeit lediglich
— „auf die Dauer" ist da gesagt; da ist nicht gesagt: bis zum Jahre 1966 oder 1967 —für. Aggressionen, die mit gleicher Waffenwirkung beabsichtigt sind. Zur Abschreckung solcher Aggressionen braucht die NATO in Europa deshalb eine ausreichende Zahl taktischer Nuklearwaffen.
Das ist vor sieben Jahren geschrieben und immer noch richtig und in Übereinstimmung mit dem, was Herr Schröder vorgetragen hat.
Nun Herr Scheel, bitte!
Herr Kollege Schmidt, verzeihen Sie, wenn ich auf eine gewisse Präzisierung in bezug auf die vorige Frage Wert lege. Wollen Sie mit der Beantwortung meiner vorigen Frage sagen, daß die Mitwirkung der Bundesrepublik innerhalb der NATO, an der Zielprojektion der NATO, soweit es nukleare Vorstellungen angeht, von dem Besitz von nuklearen Trägerwaffen abhängig ist?
Herr Scheel, ich würde sagen, Ihre Frage ist zu einem erheblichen Teil mit Ja zu beantworten. Das vollständige Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Feld würde ganz sicher dazu führen, daß wir bei nichts, was dieses Feld angeht, überhaupt noch gefragt würden. Wir ,sind ja schon bisher jahrelang nicht ausreichend gefragt worden, und es ist sehr weitgehend — das darf ich für uns in Anspruch
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nehmen — dem idauernden öffentlichen Drängen der sozialdemokratischen Fraktion hier in diesem Hause zu verdanken, daß schließlich und endlich — jedenfalls in Richtung auf das negative Mitspracherecht, was ja voraussetzt, daß man überhaupt positiv weiß, was geplant ist — die Bundesregierung in den letzten Jahren im Verhältnis zu unseren Verbündeten Fortschritte gemacht hat. — Bitte sehr, Herr Scheel!
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Scheel.
, Herr Kollege Schmidt, wenn ich einmal unterstelle, was Sie eben als wünschenswert bezeichneten, daß nämlich auch Angehörige des Warschauer Paktes vor uns auf nukleare Träger verzichten würden, obgleich sie sie nach uns bekommen haben, würde dann die Antwort, die Sie mir eben gegeben haben, gleichlauten? Glauben Sie, daß wir auf die Planung der nuklearen Strategie des Bündnisses dann keinen Einfluß haben würden?
Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre Frage ganz verstanden habe, Herr Kollege Scheel.
Aber erlauben Sie mir, jedenfalls in einem Punkte eine klare Distanzierung von der Fragestellung vorzunehmen. Ich bin nicht dafür, daß wir auf diesem Gebiet einseitig etwas tun, was die im Osten nicht tun. Ich denke jedoch auch nicht daran, zu verlangen, daß die im Osten einseitig etwas tun, sondern ich denke daran, daß gleichwertig und gleichzeitig und gleichseitig gemeinsam auf beiden Seiten die Rüstung heruntergeschraubt wird, in ganz Europa.
Ich habe die Absicht, über dieses Thema der gleichwertigen und gleichseitigen Rüstungsbeschränkung, die natürlich auch für das atomare Gebiet gilt, im Rahmen dieser Debatte einiges zu sagen. Mein Geschmack ist es nicht, daß die FDP die Regierung und uns zwingt, dauernd über die nuklearen Fragen zu reden, als ob das der Kern der Sache wäre!
Gestatten Sie noch ieine Frage des Herrn Scheel?
Herr Kollege Schmidt, darf ich vorweg nur klarstellen, 'daß wir uns, was die Gleichseitigkeit angeht, in voller Übereinstimmung befinden!
Ich wiederhole nur noch einmal: Glauben Sie, daß
bei Verzicht auf 'atomare Trägerwaffen auf beiden
Seiten — darauf lief ja meine Frage hinaus — das Mitspracherecht — —
— Meine Damen und Herren, eine Bemerkung zu den Kollegen! Ich nehme an, daß ich besser weiß, was ich fragen wollte, als Sie.
Glauben Sie — darauf lief meine Frage hinaus —, daß bei Verzicht auf atomare Trägerwaffen auf beiden Seiten das Mitspracherecht im Bündnis — mich interessiert im Moment nur unsere Seite! — aufgehoben würde?
Das ist eine sehr schwierig zu beantwortende Frage; denn sie geht von einer Situation aus, von der man im Augenblick nicht erkennen kann, daß sie eintritt. Ich würde sehr wünschen, daß diese Situation eintritt; ich würde sehr wünschen, daß die mitteleuropäischen Staaten im Westen wie im Osten gemeinsam zu einer Verabredung kämen, die sie auf beiden Seiten dazu bringt, auf nukleare Trägerwaffen zu verzichten. Wie dann in einer offensichtlich psychologisch und politisch völlig veränderten Gesamtlandschaft die Situation in den beiden Bündnissen — im Osten wie im Westen — aussehen wird, das vermag ich nicht vorherzusagen. Jedenfalls würde dann das, wonach Sie in einer solchen Lage fragen, von einem sehr viel geringerem politischen Gewicht sein, als es heute zwangsläufig sein muß, Herr Kollege Scheel.
Nein, jetzt muß ich einen Satz aus der Anlage zur Geschäftsordnung vorlesen, Herr Scheel:
Der Präsident darf im gleichen Zusammenhang nicht mehr als zwei Zusatzfragen zulassen, selbst dann nicht, wenn der Redner bereit wäre, seinerseits weitere Fragen zu beantworten.
Fahren Sie also fort, Herr Abgeordneter!
Herr Scheel, wir müssen uns beide beugen!
Ich will aber eine Konzession an den Standpunkt der FDP machen, nicht aus Liebenswürdigkeit, sondern weil ich innerlich dazu neige; ich bin nicht ganz sicher, ob ich in diesem Punkte die ganze Bundesregierung auf meiner Seite habe. — Ich persönlch denke, Herr Scheel, daß der Anteil, den die Bundesrepublik Deutschland — genauer gesagt: unsere Luftwaffe — am „strike" hat, quantitativ herabgesetzt werden könnte und daß das übrigens auch
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aus finanziellen Gründen möglicherweise sinnvoll wäre. — Aber nun mogeln Sie bitte nicht noch eine Frage hinein! Ich möchte endlich zu einem anderen Thema kommen, Herr Scheel.
Mir liegt nämlich am Herzen — das geht sonst unter bei alle den vielen Fragen —, in dem Punkte, der sogenannten nuklearen Komponente — so wenig ich sie im Gesamtzusammenhang für wichtig halte —, für meine Fraktion die Zustimmung zu dem auszudrücken, was die Bundesregierung durch den Mund ihres Verteidigungsministers hier vorgetragen hat, in der Tendenz auch die Zustimmung zu vielerlei weiteren Punkten, zu denen Herr Schröder sich verständlicherweise, nachdem er eine NATO-Ratssitzung in der nächsten Woche vor sich hat und mitten im Konsultationsprozeß steht — wenn ich es richtig begreife: eigentlich erst am Anfang des Konsultationsprozesses steht —, nicht beziffert hat ausdrücken wollen und, wie ich denke, ausdrücken können. Aber in der Tendenz stimmen wir eben auch diesen Punkten zu, die mit den Stichworten Schiffbauprogramm oder abgestufte Präsenz oder Verschmelzung von TV und Heer angedeutet sind. Zu all diesen Punkten, wenn sie in der Debatte kontrovers werden sollten, wenn jemand dem Verteidigungsminister sollte widersprechen wollen, stehen in meiner Fraktion genügend Redner zur Verfügung, die fachlich besser vorgebildet sind, als ich es im Augenblick bin, um in diesen Punkten dem Verteidigungsminister secours, möglicherweise aber auch hier und da einen kleinen Diskont anzubieten. Im Augenblick kann ich das nicht übersehen. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich gut ist, hier im Plenum dieses Hauses Beratungen des Verteidigungsausschusses zu inszenieren. Das geht eigentlich mehr die Fachleute als das Plenum an.
Ich möchte gern eine, wie mir scheint, sehr bedeutende Distinktion unterstreichen, die der Verteidigungsminister in der Erklärung der Regierung vorgenommen hat. Wenn ich richtig verstanden habe, so hat er am Anfang deutlich unterschieden zwischen Sicherheitspolitik als einem Oberbegriff und Verteidigungspolitik im engeren Sinne als etwas, das der Gesamtsicherheitspolitik ein — oder, wenn man so will, untergeordnet ist. Uns Sozialdemokraten hat hier seit vielen Jahren am Herzen gelegen, deutlich zu machen, daß Verteidigungsanstrengungen und Bündnispolitik eben wirklich nur die eine Seite der Münze sind, auf deren anderen Seite Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle stehen.
Ohne daß ich das im Tone irgendeines Vorwurfs sagen will, möchten meine Freunde und ich der Regierung doch wünschen, auf der anderen Seite der Münze, wo die Bemühungen um die Rüstungsbegrenzung stehen, mehr zu tun, jedenfalls mehr zu tun, als bisher hat öffentlich sichtbar gemacht werden können. Die Regierung hat heute vor zwölf Monaten in ihrer ersten Regierungserklärung gesagt, sie wolle auf diesem Gebiete an internationalen Bemühungen mitarbeiten. Wir Sozialdemokraten haben damals gemeint, Mitarbeit wäre vielleicht noch nicht ganz genug, sondern die deutsche Regierung müßte auch eigene Vorschläge machen, was Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle angeht. Wir möchten das heute in aller Ruhe, Sorgfalt und Gelassenheit, aber doch sehr entschieden unterstreichen.
Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung sich in der gegenwärtigen Phase öffentlich sichtbar bemühen sollte. Wir sehen durchaus und wir wissen, daß die Bundesregierung z. B. im Rahmen der Harmel-Studien innerhalb der dafür geschaffenen Gremien der Allianz versucht hat, eine Reihe von Dingen voranzutreiben. Wir wissen, daß die Harmel-Studien erst nächste Woche im NATO-Rat überhaupt offiziell verabschiedet oder beschieden werden können. Wir möchten deshalb gegenwärtig die Regierung nicht bedrängen, sich hier öffentlich zu äußern, ehe sie darüber ihre Gespräche mit den Verbündeten beendet hat. Aber wir denken schon, daß die Bundesregierung danach, wenn das also geschehen sein wird, im nächsten Jahr, Anfang des nächsten Jahres für die deutsche Öffentlichkeit und auch für die Weltöffentlichkeit deutlicher als bisher werden lassen muß — ohne daß dann irgend jemand innerhalb des Bündnisses dadurch schockiert wird —, was unser Land auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung vorgeschlagen hat, was es anstrebt und was es weiterhin verfolgen möchte.
Unsere amerikanischen Bündnisgenossen werden uns sagen, daß gegenwärtig in der Sowjetunion dafür nicht sehr viel Verständnis und Sympathie herrsche; und ganz sicher ist daran etwas Richtiges. Solange der schreckliche Krieg in Vietnam andauert, sind alle Bemühungen um gegenseitig und gemeinsam in Ost und West verabredete Rüstungsbeschränkungen schwierig. Aber das muß ja nicht hindern, daß solche, die an den politischen und militärischen Verwicklungen, die in und um und im Zusammenhang mit Vietnam eine Rolle spielen, ganz und gar unbeteiligt sind, so wie wir Deutsche, gleichwohl ihre Vorschläge zur öffentlichen Diskussion stellen.
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang gern eine Frage anklingen lassen, die allerdings, wie ich zugebe, über das Jahr 1967 und über das Jahr 1968 und über das Jahr 1969 hinausreicht: die Frage, ob denn eigentlich jedermann hier unter uns ganz sicher sein kann, daß dieses Bündnis, dem wir angehören und auf das wir mit unserer Sicherheit — nicht nur mit der militärischen, sondern auch der politischen und z. B. auch der ökonomischen Sicherheit Berlins — uns so angewiesen wissen, so, wie es heute dasteht, auch 1970 oder 1971 noch dastehen wird.
Es gibt mindestens zwei sehr ernste Gründe zu sehr ernster Besorgnis. Ich nehme an, daß wir alle im Grunde diese Besorgnis teilen, und ich habe den Eindruck, es wird Zeit, daß darüber in diesem Hause einmal offen geredet werde: bei vollem Verständnis dafür, daß die Bundesregierung durch keinen ihrer Minister im Augenblick dazu Stellung nehmen kann.
Erstens. Es gibt in Amerika, in England, in Belgien und in anderen Ländern, mit denen wir verbündet
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sind, vielerlei Anzeichen dafür, daß selbst dann, wenn wir, die Bundesrepublik Deutschland, heute keine Ankündigungseffekte auslösen, keine Anlässe liefern, zwar nicht morgen, aber vielleicht doch übernächstes oder überübernächstes Jahr diese Länder ihre Truppen hier in Europa wesentlich verringern werden, ohne Rücksicht auf das, was bis dahin andere tun oder nicht tun, getan haben oder nicht getan haben, verabredet haben oder nicht verabredet haben; mit der Konsequenz, daß dann möglicherweise am Anfang des nächstens Jahrzehnts die deutsche Bundeswehr und die deutsche Verteidigungspolitik in eine Situation kommen können, die näher auszumalen ich mir hier versagen möchte, die jedenfalls in mancherlei Beziehung eine isolierte Position sein könnte.
Um es anders zu sagen: Das, was wir in manchen Ländern, mit denen wir verbündet sind, beobachten, ist ein Erosionsprozeß der Zusammenhangskraft des Bündnisses, der im Augenblick jedenfalls schneller fortschreitet als der gleichfalls zu beobachtende Parallelprozeß innerhalb des Warschauer Paktes. Das wird sicherlich durch die von Herrn Schröder mit Recht als problematisch erwähnten Abwehrraketensysteme — in den Zeitungen mit den drei Buchstaben ABM abgekürzt — nicht leichter, sondern schwieriger, und es wird sicherlich auch nicht leichter durch die phantastischen Quasi-Weltraumraketensysteme, die jetzt, von Moskau aus, erstmalig wie es scheint, militärisch eine Rolle zu spielen beginnen.
Der zweite Punkt, den man auch hier offen aussprechen muß: Mit Sorge muß einen die ganz eindeutig außenpolitisch gewollte Entwicklung der französischen Militärstrategie erfüllen. Wenn Sie lesen, was der Generalstabschef in Paris, der General Ailleret, am Ende der letzten Woche oder am Anfang dieser Woche — ganz sicherlich nicht ohne Billigung und Auftrag des französischen Regierungschefs — geschrieben hat, diese Ankündigung einer nuklearen, soll ich sagen: Rundumverteidigung, „in sämtliche Himmelsrichtungen", wie er wörtlich gesagt hat, dann ist doch völlig klar, daß die Franzosen nicht im Ernst denken, sie müßten sich gegen Washington nuklear verteidigen; aber es wird ebenso deutlich, daß dort offenbar nicht mehr der Wille ist, auch nur rudimentär eine gemeinsame militärische Strategie in diesem Bündnis zu planen.
Ich sage noch einmal: ich verstehe völlig, ich wünsche sogar, daß sich die Bundesregierung zu diesem Thema im Augenblick nicht äußert. Sie ist in einer schwierigen Lage; aber wir wollen doch weder uns Doch der deutschen Öffentlichkeit noch der französischen Öffentlichkeit vormachen, daß wir nicht sähen, was sich hier entwickelt, und daß wir es nicht mit ganz großer Besorgnis sähen.
Und das alles in einer Situation, wo nach wie vor und wohl auch 1970 oder 1971 französische Truppen auf bundesrepublikanischem Boden stehen und stehen werden, mit einer bestimmten Funktion, die
dann für jene Situation näher zu umschreiben ich mir im Augenblick auch versagen möchte.
Wir wissen, daß es Verabredungen zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung zu gemeinsamen strategischen Studien gibt. Wie ich höre, wird das von den beiderseitigen Außenministerien oder jedenfalls auf unserer Seite vorn Außenministerium betrieben. Ich finde es ganz gut, daß das unter außenpolitischen Aspekten betrieben wird; aber ich kann nur dringend wünschen — ich nehme beinahe an, im Namen des ganzen Hauses —, daß wir diese Gespräche jedenfalls ernst nehmen, daß wir versuchen, uns dabei einigermaßen Klarheit über das zu verschaffen, was in Paris wirklich im Gange ist und wohin es laufen soll.
In diesem Zusammenhang eine private Fußnote nur für mich, ein Lieblingsgedanke von mir, den ich hier seit Jahren wiederhole: Laßt uns gleichwohl versuchen, soweit unsere finanziellen Möglichkeiten und unsere technischen Notwendigkeiten bei der Rüstung reichen, das, was mit den Franzosen gemeinsam entwickelt und produziert werden könnte, auch zu realisieren, — es auf jeden Fall zu versuchen.
Mir aber scheint notwendig zu sein — und damit will ich meine Bemerkungen zu diesen zukünftigen Entwicklungen abschließen —, daß bei aller Vorsicht, mit der ich hier solche Fragestellungen nur andeute, gleichzeitig eben doch die Regierung gebeten werden muß — wahrscheinlich muß sie gar nicht gebeten werden, wahrscheinlich ist sie längst bei demselben Thema, wenn auch sehr zögernd und ungern an dieses Thema herangehend —, sich zu überlegen, was denn eigentlich 1969, 1970 und 1971, wenn sich die Lage so entwickeln sollte, das sicherheitspolitische Konzept für unser Land sein muß. Wenn man nicht will, daß es zu einer solchen Lage kommt, dann, meine ich noch einmal, muß man versuchen, jetzt, solange die Entspannungsepoche in Europa noch andauert, die Themata der Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle gleichzeitig und gleichgewichtig voranzutreiben.
Ich darf noch einmal aus dem sozialdemokratischen Achtpunktepapier vom vorigen November zitieren, das die beiden anderen Fraktionen des Hauses ja aus unseren damaligen Verhandlungen kennen. Wir haben damals gesagt:
Für die Sicherheit Europas bleibt ein Gleichgewicht zwischen Ost und West erforderlich. Die Bundesregierung muß in konsequenter Fortsetzung der Friedensnote vom 6. März 1966 Vorschläge für die Reduzierung der Streitkräfte in Ost und West auf der Basis von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit machen. Als Beginn eigener Vorschläge muß die Bundesregierung zum Einfrieren der Stärke der Bundeswehr auf dem augenblicklichen Stand bereit sein.
— Ich sagte, dies sei inzwischen geschehen. —
Zur Normalisierung unserer Beziehungen zu Osteuropa muß die Bundesregierung eine Initiative zur Weiterentwicklung internationaler Rüstungsbegrenzung und -kontrolle und zum
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Schmidt
Austausch von rechtlich bindenden Gewaltsverzichtserklärungen ergreifen.
Daß das Letztere auch im Gange ist und daß es darüber diplomatische Gespräche gibt, die ich hier nicht auszubreiten habe, ist dem Hause auch bewußt.
Wir Sozialdemokraten sind heute in diesem Punkte genau derselben Meinung wie damals vor zwölf Monaten, und es freut mich, daß ich in dem Zusammenhang positiv und, wie mir scheint, übereinstimmend den Bundeskanzler zitieren kann, nun allerdings nicht mit etwas, was er vor zwölf Monaten in seiner ersteh Regierungserklärung gesagt hat, sondern mit etwas, was er in einer Rede, die er aus Anlaß des 17. Juni in diesem Sommer hielt, sagte. Ich zitiere:
Die Bundesrepublik Deutschland kann ebenso wie ihre Verbündeten eine weitschauende Entspannungspolitik nur führen auf der Grundlage der eigenen Freiheit und Sicherheit. Die atlantischen und die europäischen Mitglieder des Bündnisses sind deshalb heute wie früher aufeinander angewiesen. Aber unsere Bündnisse, unsere Gemeinschaften haben keine aggressiven Ziele. Sie würden ihren Sinn verfehlen, wenn es ihnen zwar gelänge, in einer machtpolitisch kritischen Region eine lange Waffenruhe zu sichern, wenn aber zugleich die Spannungen akkumuliert und die schließliche Entladung um so verheerender sein würde. Deshalb müßte die Entwicklung folgerichtig zu einem Interessenausgleich zwischen den Bündnissen im Westen und im Osten und schließlich zu einer Zusammenarbeit führen — einer unentbehrlichen Zusammenarbeit, angesichts der Krisenherde in allen Regionen unserer Welt, der rapiden Veränderungen überall, die lebensgefährlich werden müssen, wenn sie wie ungebändigte Sturmflut alles und alle mit sich reißen.
Herr Kiesinger fuhr dann fort:
Angesichts dieser Veränderungen unserer Welt erscheinen viele alte Gegensätze und Frontstellungen heute schon sinnlos. Morgen könnten sie sich als selbstmörderisch erweisen; denn es zeichnen sich mögliche Konflikte ab, denen gegenüber sich unsere heutigen fast harmlos ausnehmen. Wir müssen hoffen, daß diese Einsicht zunehmend das politische Denken und Handeln im Osten und Westen beeinflussen wird.
Ich nehme an: Beim Osten und Westen ist man selber — das Weltkind in der Mitte — durchaus und bewußt mit eingeschlossen; Bonn ist mit leingeschlossen. — Und an anderer Stelle seines Vortrags heißt es:
Der Weg zu dieser europäischen Friedensordnung mag, ja wird lang und mühselig sein; vielleicht wird er uns auch nicht ans ersehnte Ziel führen. Diese Möglichkeit des Scheiterns können wir nicht ausschließen, aber es ist der einzige Weg, der uns die Chance des Erfolgs verspricht.
Ich möchte für meine Freunde sagen dürfen, daß
wir diesem Ihrem Gedanken, Herr Bundeskanzler,
gerade im Rahmen dieser sicherheitspolitischen Debatte ausdrücklich zuzustimmen wünschen, weil er die andere Seite des Sicherheitsthemas beleuchtet. Die eine Seite ist die aktive Verteidigungsfähigkeit, die Abschreckung und alles, was dazu gehört, und die andere Seite der Sicherheitsmedaille ist eben das Thema, das ich hier aus Ihrem Munde zitiert habe.
Ich möchte zum Abschluß kommen, meine Damen und Herren. Manches liegt einem auf der Zunge, was man gern sagen möchte, wird aber unter dem Eindruck der ablaufenden Uhr hintangestellt.
Was ich jetzt sage, Herr Damm, das muß ich nun noch sagen dürfen, und zwar aus dem technischen Grunde, von dem vorhin die Rede war, aber nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch deshalb, weil wir es für richtig und notwendig halten.
Eine Reihe von Abgeordneten der linken Seite des Hauses hat sich in den letzten Sommerferien Gedanken über alles das gemacht, was jetzt einen teilweisen Niederschlag in der Regierungserklärung von heute nachmittag gefunden hat, und wir sind dabei zu der Auffassung gekommen, für die gegenwärtige Situation unseres Landes sechs Grundsätze aufstellen zu sollen, nach denen wir meinen, daß unsere Verteidigungspolitik sich zu richten habe.
Das erste Prinzip ist das Prinzip des Gleichgewichts als wichtigster Leitlinie jeder Verteidigungs-und Entspannungspolitik. Unter diesem Gleichgewicht verstehen wir die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts aller innerhalb Europas wirksamen und von außen auf Europa wirkendem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte von Ost und West.
Zweitens. Wir glauben, daß unsere Entspannungspolitik verlangt, daß unsere Verteidigungsmaßnahmen, soweit das möglich .ist, dem Defensivprinzip entsprechen — in Stil und Schrift und Rede jedes Menschen, der mit Autorität zu diesen Themata spricht, habe er eine Uniform an oder habe er einen Zivilanzug an, spreche er als Minister oder spreche er als Abgeordneter, egal welcher der drei Fraktionen —, daß sie eine defensive Grundstruktur der Bundeswehr hinsichtlich ihres militärischen Aufbans, hinsichtlich ihrer Präsenzstärke, aber eben auch, liebe Freunde von der FDP, hinsichtlich der Mobilisierungskapazitäten verlangen; Defensivprinzip, soweit das möglich ist, auch hinsichtlich Ausrüstung unid Bewaffnung.
Ich will hier gleich sagen, daß man da keine Illusionen haben darf: auch eine Defensivarmee braucht Panzer, genau wie die schweizerische Armee und die 'schwedische Armee Panzer hat und gleichwohl niemand das für eine heimliche Angriffsvorbereitung hält. Auch eine Defensivarmee braucht Flugzeuge, die Bomben werfen können. Darüber sind wir uns sicherlich einig.
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Schmidt
— Sie muß mindestens taktisch zum Gegenangriff in der Lage sein.
Drittes Prinzip : das Prinzip der Bündniserhaltung, woraus sich für uns Deutsche im besonderen Maße die Notwendigkeit zur Bündnistreue ergibt.
Viertes Prinzip. Es gilt im wesentlichen für die Angehörigen der Bundeswehr. Im Verwaltungsrecht würde man es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel nennen. Aber den meine ich nicht, sondern sich meine, daß man dem Soldaten, ob klein oder groß, nur so viel an Auftrag zumuten kann, wie man ihm an Mitteln an die Hand gibt, und daß die Überforderung endlich aufhören muß.
Lassen Sie mich es das Prinzip eines angemessenen Verhältnisses zwischen politischem Auftrag und verfügbar gemachten militärischen Mitteln nennen. Dieses Prinzip ist in den letzten Jahren an mancher Stelle verletzt worden, und das wurde auf der Haut der jeweils 'beteiligten Soldaten ausgetragen.
Fünftes Prinzip. Dafür haben wir keinen deutschen Ausdruck gefunden, muß ich Ihnen bekennen.
Er hängt ein bißchen mit der Kontroverse zusammen, die Herr Scheel und ich vorhin hatten. Wir haben es mit einem englischen Ausdruck das Prinzig der „bargaining power" betitelt. Es ist ein bißchen schwierig. Strauß könnte das sicher sofort aus dem Handgelenk ins Deutsche übersetzen
oder ins Bayerische, wird mir zugerufen. Ich will versuchen, zu erklären, was wir damit meinen. Wir meinen damit, daß man nicht einseitig mögliche Verhandlungspfänder aus der Hand schenken darf, wenn die Hand sowieso nicht sonderlich voll ist.
— Ich rede hier im Augenblick von Sicherheitspolitik, Herr Schulze-Vorberg. In der Deutschlandpolitik mögen zum Teil 'die gleichen Prinzipien, möglicherweise aber andere und jedenfalls mehr Prinzipien noch eine Bedeutung haben als die, die hier auf das Sicherheitskonzept zugeschnitten sind.
Sechstes und letztes Prinzip. Ungeachtet der Notwendigkeit, die Allianz und die gemeinsame militärische Organisation der Allianz, genannt NATO, ungeachtet der Notwendigkeit, das beides zu erhalten, darf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf die Dauer nicht allein und nicht ausschließlich von der Funktionsfähigkeit der NATO abhängen können. Wir nennen dies das Prinzip des nationalen Sicherheitsinteresses. Damit ist gleichzeitig noch einmal auf den Vorblick zurückgegriffen, auf das Vorausschauen, was ich vorhin für Situationen angedeutet habe, die 'in drei oder vier Jahren kommen mögen. Vielleicht ist es gut, daß man auch das hier einmal so laut sagt, daß unsere Verbündeten — auch die in Paris — hören, zu welchen Konsequenzen sie uns möglicherweise eines Tages zwingen werden.
Wir verstehen unter diesem Gesichtspunkt, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland eine eigene politische Führungsfähigkeit und eine Fähigkeit für Crisis management, für Krisenmanagement, und — bei einer weiteren Erosion von Bündnis und NATO — die Fähigkeit entwickelt werden muß, in allen Situationen selbst handlungsfähig zu bleiben.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für diese ausdauernde Geduld. Ich möchte am Schluß in einem Punkte, der mir persönlich sehr am Herzen liegt, der Bundesregierung noch ausgesprochene Anerkennung sagen dürfen. Sie hat sich entschlossen, sich einem langjährigen Anliegen meiner Parteifreunde. das wir nicht aus eigenem Interesse, sondern sowohl aus dem Interesse der Soldaten als auch aus dem Interesse der öffentlichen Meinung heraus hier vertreten haben, endlich anzuschließen. Es wird also in Zukunft ein jährliches Verteidigungsweißbuch geben. Herzlichen Dank, Herr Schröder!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute gehört es offenbar zum guten Ton, zur Einleitung ein Wort .an das Präsidium oder an den Ältestenrat zu richten. Schon am Vormittag haben wir die nicht alltägliche Gelegenheit gehabt, uns in so subtiler Form mit diesen erlauchten Gremien auseinandersetzen zu dürfen. Der Kollege Schmidt hat erneut ein solches Stichwort gegeben. Nachdem ich mir schon vorher, bevor er zu reden begann, aufgeschrieben hatte, daß ich darüber eine Bemerkung nicht nur machen wollte, sondern eigentlich machen müßte, kann ich das jetzt nicht unterdrücken.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Ich bitte doch um Ruhe, und ich bitte, den Platz einzunehmen. Bitte, fahren Sie fort!
Und zwar deshalb: Das Hohe Haus sieht doch selbst, daß diese Debatte diesen Namen erst seit etwa 19 Uhr verdient.
Man sieht doch auch, daß alles, was vorher war — diese Bemerkung richtet sich natürlich nicht gegen die die Großen Anfragen begründenden Kollegen —, Präliminarien waren, die man nicht als eigentlich zur Debatte gehörend betrachten kann. Sie nahmen aber vier Stunden in Anspruch, also den ganzen Nachmittag, mit den zeitlichen Einschränkungen und Pressionen, von denen der Kollege Schmidt mit Recht gesprochen hat.
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Dr. Zimmermann
Ich finde, man sollte sich überlegen, ob in Zukunft — und das wäre meine Anregung an den Ältestenrat — verlesene Begründungen von der Dauer von 60 Minuten pro Große Anfrage nicht schriftlich eingereicht werden könnten und die Antwort des Ministers auf sie .als erstes erfolgt, damit die Debatte nachher sofort beginnen kann.
Der Präsident verzeiht mir diese Bemerkung; es ist sonst nicht üblich, sich mit der Geschäftsordnung des Hauses, die wir uns selbst gegeben haben, und dem Ältestenrat auseinanderzusetzen. Nachdem das aber heute einmal so begonnen worden ist, glaube ich, ist es auch das richtige Forum, um es hier zu sagen.
Darf ich zunächst dem Herrn Verteidigungsminister, anschließend an den Dank, der durch den Kollegen Schmidt für die SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht worden ist, ebenfalls für diese ausgewogene, umfassende, intensive Darstellung danken. Es war ja wohl keine Kleinigkeit, eine solche Fülle von Einzelfragen nicht in der Einzelfrage zu beantworten, sondern sie in die Gesamtkonzeption hineinzupacken und trotzdem ein Gesamtkonzept, das in sich schlüssig ist, vorweisen zu können.
Es ist ganz klar, daß man hier Themen herausgreifen muß, ein paar Schwerpunkte setzen muß, sonst käme man ins Uferlose, und niemand kann die Arbeit des Ministers nachvollziehen — sonst müßten wir ja alle eineinhalb Stunden sprechen. Der Kollege Berkhan hat in seinen Ausführungen empfohlen — und ich stimme ihm im Prinzip zu —, daß wir in den nächsten Jahren noch mehr als in der Vergangenheit gezwungen sein werden, unerbittlich gezwungen sein werden, Schwerpunkte zu setzen. Er hat vorgeschlagen, einen dieser Schwerpunkte in der Beschränkung der Lufttransportkapazität und im Verzicht auf den mittelschweren Hubschrauber zu setzen. Nun, ich glaube, das bedarf noch einer sehr regen Besprechung im Verteidigungsausschuß, denn mit der Aufgabe — meinetwegen — des mittelschweren Transporthubschraubers würde ja ein alter Wunsch gerade des Heeres, was die Verschieblichkeit der Verbände auf dem Gefechtsfeld angeht, nicht mehr erfüllt werden können. Wenn man hier verzichtet, kann man sicher nicht gleichzeitig auf die Luftlandeeinheiten und auf die Fallschirmspringer verzichten. Das kann man erst dann tun, wenn man die Möglichkeit der Hubschrauberverschiebung auf dem Gefechtsfeld schafft.
Ich will hier nicht untersuchen, ob der Kanonenjagdpanzer mehr eine Defensivwaffe ist als der Leopard. Die Unterschiede sind bekannt, die Unmöglichkeit, den Turm zu drehen, und anderes.
Aber ich stimme dem Kollegen Berkhan zu. Auch ich bin der Auffassung, wir sollten keine Zwischenlösung nach der F 104 und der G 91 mehr suchen, sondern dann auf die nächste Generation kommen.
Der Kollege Ollesch hat das Wort von der „neuen" Verteidigungskonzeption zu unterstreichen versucht. Ich habe in vielen Beiträgen außerhalb dieses Hause im Laufe der letzten Monate schon gesagt, daß ich die Unterstreichung dieses Wortes nie verstanden habe und sie nie gebilligt habe. Denn nach meiner Meinung ist unsere Verteidigungskonzeption genauso wie die aller andereñ Länder im Zwang der permanenten Anpassung an die Lage begriffen und kann sich nur daran orientieren, ist also eine ganz pragmatische, empirische Angelegenheit.
Wenn ich den Verteidigungsminister nicht völlig falsch verstanden habe, Herr Kollege Ollesch, so hat er das Prinzip verkündet, das Sie für richtig halten, nämlich hinter den aktiven Verbänden Reserveeinheiten zu gliedern und mit Kadern auszustatten, so daß ihre rasche Mobilität möglich ist, allerdings nicht mit den Reservistenzahlen von 360 000 und ähnlichen, die Sie für möglich halten, die aber in der Tat ganz unmöglich sind. Denn Sie wissen selbst, daß der Reservist, gerade der gediente Reservist, der einberufen wird, das Zweieinhalbfache des Wehrpflichtigen kostet. Es ist eine Milchmädchenrechnung, sich auszurechnen, was 360 000 gediente Wehrpflichtige im Jahr kosten würden. Sosehr es wünschenswert wäre, die Reservisten in einem rascheren Turnus in der Truppe üben zu lassen, um ihre Feldverwendungsfähigkeit, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Einsatzfähigkeit, ihre technische Fähigkeit der Truppe so lange wie möglich nutzbar zu machen —, alles auf einmal kann man eben auch in diesem Punkt nicht haben, nicht die äußerste Wehrgerechtigkeit und das alles mit einer Finanzdecke von 18 Milliarden DM in diesem Jahr.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ollesch?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Zimmermann, ist Ihnen entgangen, wie ich auf die Zahl von 360 000 Mann gekommen bin? Bei der Verkürzung der Wehrpflicht von 18 Monaten auf 12 Monate werden 60 000 Man frei. Für die gleichen Kosten kann ich pro Monat 30 000 Reservisten zu einmonatigen ,Übungen einziehen. Das sind 360 000 im Jahr. Haben Sie diese Zahl nicht meinen Ausführungen entnehmen können?
Lieber Herr Kollege Ollesch, Sie hätten sich auch durchrechnen sollen, daß bei einer zwölfmonatigen Wehrdienstzeit die Hälfte mehr an Leuten eingezogen werden müßten, daß der ausgebildete Soldat keine Stunde im Einsatzverband präsent ist — denn er geht nach der Ausbildung wieder nach Hause — und daß nur ein ausgewogenes Mischungsverhältnis zwischen aktiven Einsatzverbänden und Reservisten bei diesem Finanzrahmen, bei unseren Möglichkeiten der Ausbildung, bei unseren Wünschen nach Leistungsfähigkeit und Einsatzfähigkeit in die Gesamtkon-
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Dr. Zimmermann
zeption der Bundeswehr hineinpaßt und nicht ein kopflastiges Überwiegen der Reservistenverbände, wie Sie es vorgeschlagen haben.
Darf ich mich dann einigen anderen Themen zuwenden, die herausgegriffen sind, aber behandelt werden müssen. Von den personellen Kürzungen reden wir die letzten Monate bis heute. Ich bin dankbar, daß der Verteidigungsminister hier zurückhaltend geantwortet hat. Ich gebe ihm recht, daß das eine Frage ist, die man nicht über das Knie brechen kann. Wir alle haben wohl den Eindruck, daß Personaleinsparungsmöglichkeiten bei Soldaten und Zivilisten noch bestehen, daß es möglich ist, Kraftfahrer und anderes Zivilpersonal, das sich bei der Truppe befindet, durch Soldaten zu ersetzen. Vielleicht wird dadurch nicht die Ausbildung gefördert, wohl aber ist es ein Beitrag zur Präsenz und zur Beibehaltung der Kopfstärke. Auf solche kleinen Möglichkeiten wird man auch bei 10 000 oder 15 000, um die es vielleicht hier geht, nicht ganz verzichten können und sollen.
Ich habe es immer als schauerlich empfunden, daß ziviles Wachpersonal unsere Depots, unsere Kasernen und anderes bewacht. Ich habe oft mit Verwunderung gesehen, wie bejahrt dieses Personal zum Teil ist, was durch Mitführen von gut ausgebildeten Schäferhunden nicht immer ausgeglichen wird.
Ich denke an ein Beispiel im süddeutschen Raum, wo diese Hunde wegen des Vorhandenseins von Rattenvergiftungsmitteln ihre sonst gewohnten Aktionen nicht durchführen konnten. Wie sage ich es besser? Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ein anständiger Wachdienst, so wenig attraktiv er auch in früheren Zeiten gewesen ist — das gilt für die Gedienten —, eben auch zur Truppe gehört und daß Wachunterweisung, Wachdienst und tatsächliche Wachdurchführung, die sich nach meiner Meinung als nötiger erweisen könnten, als das in der Vergangenheit manchmal wahrgenommen worden ist, auch in Zukunft den gerechten Platz im Dienstplan sollten einnehmen können.
Wenn wir von Personaleinsparung reden, dann wissen wir — das isst heute mehrfach mit Recht angesprochen worden; es ist ein zentrales Thema —, daß eine einseitige Herabsetzung unserer Präsenzstärke geradezu zu einer Kettenreaktion im Westen führen könnte,
nicht erst, wie Helmut Schmidt es als Sorge hinstellte, für die Jahre 1970 bis 1972, sondern diese Kettenreaktion hätte dann eine Aktualität, die uns wahrscheinlich alle erschrecken müßte.
Das würde geschehen, ohne daß gegenüber dem Osten irgendeine Form von Zugzwangausgeübt würde, wie es Kurt Becker in der „Zeit" ganz richtig formulierte. Ja, es würde ,geschehen, ohne daß sogar ein Stimulierungseffekt im Osten eintreten
würde, — nichts davon. Diese Große Koalition sollte sich also hüten, ein Signal für eine einseitige westliche Truppenreduzierung zu setzen. Deshalb bedarf ,dieses Thema der Verminderung der aktiven Einsatzverbände der behutsamsten Hand.
Wir wissen alle, daß das natürlich bedeutet, daß wir mit dem Rechen- und Rotstift überall herangehen müssen, ob wir wollen oder nicht, an alle Positionen des Verteidigungshaushalts. Das Haus selbst tut sich schon schwer genug. Dabei muß man weissen, daß wir allmählich 'die mog.ische Grenze von 5 % des Bruttosozialprodukts zu erreichen beginnen und daß Engländer, Franzosen und Amerikaner alle weit über dieser Schlüsselzahl liegen. Wir wissen auch, daß die Sowjets in diesem Jahr zwischen )11 % und 12 % ihres Bruttosozialprodukts ausgeben. Wir sehen, daß bei allen unseren Entspannungsbemühungen in Europa, ,die Widerhall auf der politischen Seite der Warschauer-Pakt-Staaten finden — wir 'begrüßen 'das —, es militärisch keine 'Entspannung gibt, gar keine.
Niemals 'war der Warschauer Pakt besser bewaffnet, stärker gerüstet, an Kopfzahl größer, einsatzbereiter, besser gegliedert und vor allem in seinen logistischen Ost-West-Möglichkeiten ,auf der Schiene, Straße und Luft
schneller einsatzbereit als in dieser Stunde des Jahres 1967.
Es gibt nirgendwo eine Veröffentlichung, nirgendwo eine Stimme, die diese Tatsache bestreiten könnte,
aber viele, die das nicht so gern hören wollen. — Nein, für uns gilt das eben nicht. Es wurde diesmal nicht im Konzept des Verteidigungsministers vorgetragen. Aber Kollege Adorno hat es im Verteidigungsausschuß gesagt; man hat ,es jetzt für diese Rede herausgenommen. Ich sage es auf Ihren Zwischenruf hin. Das Motto der Zukunft ist, sagte Kollege Adorno damals — oder: wir stehen unter dem Zwang —: „Verteidigung mit schwächer werdeaden Kräften". Es ist leider nicht so. Ich wäre froh, wenn Sie recht hätten, Herr Kollege Berkhan, daß es auch bei uns so wäre, daß wir nie stärker waren als zuvor. Es ist nicht so. Diese These wage ich leider aufzustellen.
Bitte sehr.
Herr Berkhan zu einer Zwischenfrage.
Herr Dr. Zimmermann, wollen Sie mir abnehmen, daß sich mein Zwischenruf nur darauf bezog, 'daß auch in den westlichen Armeen
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7161
Berkhan
eine Modernisierung eingetreten ist, in der Mechanisierung, in der Bewaffnung und auch in der Transportkapazität? Mehr wollte ich mit meinem Zwischenruf nicht zum Ausdruck bringen. Der Fortschritt greift überall Platz.
So verstanden, Herr Kollege Berkhan, stimme ich Ihnen absolut zu. Diese Modernisierungen gibt es. Sie sind auf dem Weg. Sie sind auch bei uns auf dem Weg. Daß der NATO-Oberbefehlshaber seit Jahren und heute mehr denn je Grund hat, in anderer Beziehung nicht zufrieden zu sein, weil er seine Aufstellungsziele nie hat erreichen können, wissen wir auf der anderen Seite aber doch genausogut.
Meine Damen und Herren, ich will die atomare Komponente nurmehr mit lein paar Sätzen erwähnen. Sie ist — hier gebe ich Herrn Kollegen Schmidt recht — heute zu sehr in den Vordergrund gestellt worden. Trägermittel sind es, die wir haben, nicht Waffen. Die kommen dazu, wenn es notwendig sein sollte.
Ich glaube, daß wir aus zweierlei Gründen diese Bewaffnung haben müssen: einmal aus primär politischen Gründen, wobei es weniger auf Ausmaß und Zahl der Waffen als auf das Faktum ankommt,
als besonders bedrohtes Land, als ein wichtiges Land dieses Bündnisses, als Land, das überhaupt aus der gesamten Diskussion über dieses Thema ausgeschaltet wäre, wenn es nicht bei den Trägermitteln dabei wäre — und selbstverständlich spielt die Frage des positiven und des negativen Vetos hier unmittelbar mit hinein —, aber auch aus militärischen Gründen: keine Ermutigungen, sich die Divisionslücken, die deutschen Divisionen heraussuchen zu können, um im raschen Durchstoß dann noch größere Abschnitte als 50 km pro Tag hinter sich bringen zu können, als der potentielle Gegner es gegenwärtig in seinen Spielen übt. Das, also die Entblößung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Verbände von dieser atomaren Komponente, will weder SACEUR, noch können es die Vereinigten Staaten wollen.
Darf ich Ihnen, meine Herren von der FDP, weil wir gerade bei diesem Punkt sind, zum Kriegsbild jetzt eine interessante Stimme zitieren, nämlich den Verteidigungsminister Jugoslawiens, den General Ljubicic, der in Zagreb am 26. November gesagt hat, es sei früher angenommen worden, daß sich jeder Konflikt im europäischen Raum automatisch in einen allgemeinen Atomkrieg verwandeln müsse. Er hat hinzugefügt, daß Überlegungen über den Platz Europas im Lichte globaler Strategie in letzter Zeit zunehmend bestätigt haben, daß es auch in Europa möglich ist, lokale Kriege zu führen. Mehr noch: Bei Kriegen dieser Art sei es in einem bestimmten Augenblick möglich, selbst taktische Atomwaffen einzusetzen, ohne daß schon ein allgemeiner Atomkrieg ausbreche, obwohl die Gefahr eines solchen bestehe.
Das ist eine interessante Stellungnahme. Damit ich recht verstanden werde, sage ich: Mir ist im gegenwärtigen Moment gleichgültig, ob es der jugoslawische oder der tschechoslowakische oder der polnische Verteidigungsminister gesagt hat. Jedenfalls hält ein Mitglied des Warschauer Pakts dieses Kriegsbild für möglich. Damit soll nicht mehr und nicht weniger gesagt sein, als daß auch wir uns auf dieses Bild als eines der möglichen Bilder einzustellen haben.
Meine Damen und Herren, das sage ich jetzt auch zum Herrn Kollegen Schultz, der in diesem Zusammenhang erklärt hat, bei uns habe man offenbar immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, auch atomare Sprengsätze zu erhalten. Das war ein Satz, der er so hinauswischte. So habe ich es verstanden. Wenn er als Unterstellung oder als eine Art von Quasi-Unterstellung gedacht gewesen sein sollte, dann möchte ich das in aller Form und mit aller Entschiedenheit zurückweisen. So konnten wir nie verstanden werden, und so wollen wir auch nicht verstanden werden.
Es sind ganz ernste, ganz tiefgreifende Überlegungen, die uns diese Partnerschaft und Teilhabe aus politischen und militärischen Gründen nahelegt, und sie hat mit Sprengsätzen nicht das mindeste zu tun.
Meine Damen und Herren, Minister Dr. Schröder . erwähnte am Anfang seiner Ausführungen auch das ABM-System. Kollege Schmidt ist darauf zurückgekommen. In der Tat hat das Hereinkommen von rein atomaren Abwehrwaffen in die Diskussion — natürlich wird das im Rahmen der Beratungen über den Atom-.Sperrvertrag eine ganz große Rolle spielen müssen — hier ein neues Nachdenken notwendig gemacht. Wenn nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika gegen die Absichten McNamaras und im Nachziehen nach den Sowjets ein selektives System für bestimmte Zentren in seiner Wirkung für nötig und für möglich hálten und wenn wir hören, daß dafür im amerikanischen Haushalt zunächst 5 Milliarden Dollar vorgesehen sind, dann müssen wir sagen, daß das ein Betrag ist, der keineswegs so hoch ist, daß man ihn in Europa nicht auch ernst nehmen könnte. Er legt jedenfalls ,die Frage nahe: Wie steht es mit der Nützlichkeit und mit der Überprüfung der Nützlichkeit solcher Abwehrsysteme auch in Europa?
Der amerikanische Kongreßabgeordnete Paul Findley hat im NATO-Rat eine solche Empfehlung unterbreitet. Man sollte sie ernsthaft prüfen. Das kann ruhig eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wie ich höre, haben die Briten die Kosten eines solchen Systems für europäische Zentren auf etwa 12 Milliarden DM geschätzt. Das wären also ,die Beträge, die im Rahmen der europäischen Partnerstaaten der NATO aufzubringen wären, wenn sich ein solches System als in jeder Beziehung durchführbar erweisen sollte.
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Dr. Zimmermann
In diesem Zusammenhang erwähne ich die Gedanken, die Dean Rusk erst vor zwei Tagen in einer Rede in New York äußerte. Ich übersetze seine Ausführungen grob aus dem englischen Originaltext. Er sagte, die USA würden jetzt und früher eine europäische Vorbereitung begrüßen. Wenn es die Europäer in der NATO wollten, dann könnten sie gern als europäische Verteidigungsgemeinschaft ein vollwertiger Partner in einer wiederaufgefrischten Allianz sein. Sie sollten sich nicht fürchten, sie sollten nicht empfindlich sein, sich so im europäischen Rahmen zu konstituieren. Wir, die Vereinigten Staaten, haben solche Bestrebungen nie blockiert und werden das auch heute nicht tun. Das sagte Mister Rusk.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn Charles de Gaulle so etwas gesagt hätte. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir hier ein wenig mehr Land sähen; aber das ist leider nicht ,der Fall. Ich stimme hier ganz und gar den Thesen zu, die der Kollege Helmut Schmidt am Schluß seiner Ausführungen gemacht hat. Ich unterschreibe alle diese sechs Punkte.
Zum sechsten will ich aber eine Bemerkung machen. Ungeachtet des Erhalts der NATO, so sagte er, müssen wir uns, was unsere eigene Sicherheit betrifft, auch im nationalen Rahmen über das Bündnis hinaus Gedanken machen, mag das Bündnis 1969, 1970 oder 1971 existent sein, wie es will und in welcher Form es will. Bei all den Gesprächen und Gedanken und Analysen, die sich um europäische Sicherheitssysteme drehen, und bei allen Wünschen, die wir für solche Systeme immer gehabt haben: Heute ist die NATO für uns nach wie vor unersetzbar, und sie wird es noch auf lange Zeit bleiben.
Aber ebenso wahr und ebenso richtig ist es, daß wir die Verpflichtung haben, auch über diesen Bündnisrahmen hinaus zu denken, wenn sich Konsequenzen abzeichnen sollten, von denen der Kollege Schmidt gesagt hat, er versage sich, heute schon darüber zu reden. Aber er hat sozusagen an die Wand gemalt, was er meinte, was wir alle wissen, und diese Malerei ist nicht strahlend, sie phosphoresziert nicht, sie ist in düsteren Farben gehalten.
Ich glaube, daß es einem guten Brauch entspricht, wenn ich jetzt einen letzten, aber nicht den unwichtigsten Gedanken in diese Debatte werfe und damit jemanden meine, von dem wir ausgehen, wenn wir hier politisch diskutieren. Ich meine den Wehrpflichtigen und möchte hier ein Wort zu seiner Beruhigung sagen. Wehrgerechtigkeit ist gar nichts Einfaches. Der Ruf nach Lastenverteilung wird draußen schnell laut. Die praktische Durchführung, es gerecht zu machen, ist ein ganz, ganz schwieriges und komplexes Thema. Wir haben gesehen, daß kleine Änderungen im Unterhaltssicherungsgesetz — und wir bedanken uns hier heute beim Haushaltsausschuß, der alle unsere Wünsche akzeptiert hat —
zu einer Lawine der Proteste, der Reaktion geführt haben.
In Art. 2 des Schweizerischen Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 steht der Satz:
Wer die Wehrpflicht nicht durch persönliche Dienstleistung erfüllt, hat den Militärpflichtersatz zu bezahlen.
Ich weiß, daß das Schweizer Beispiel nicht ohne weiteres auf uns übertragbar ist. Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir bis 1964 3,6 Millionen Wehrpflichtige hatten, von denen 1,2 Millionen gedient haben und 2,4 Millionen, also 66 0/e, ganz tauglich, beschränkt tauglich zeitweise zurückgestellt worden sind — das Verhältnis der ganz Tauglichen und solchen, die nach der Zurückstellung eingezogen worden sind, ist jedenfalls 1:1 —, und wenn wir uns weiter vor Augen halten, daß der Übergang der Nichtdienenden wegen der größeren Jahrgangsstärken in den nächsten Jahren noch größer werden wird, so ergibt sich hier ein Problem, an dem dieses Haus — nicht nur der Verteidigungsausschuß — nicht mehr sehr lange vorübergehen kann.
Ich bitte deshalb das Verteidigungsministerium — die Voranfragen laufen schon seit einigen Wochen—daß nach jeder Richtung zu erwägen; ich wiederhole: nach jeder Richtung! Am liebsten wäre es uns allen wohl, wenn dabei weder steuerliche Opfer noch finanzielle Begünstigungen als optimale Lösung herauskämen, sondern wenn es möglich wäre, beim Technischen Hilfswerk, beim Bundesgrenzschutz, beim Zivilschutzkorps, bei den Sozialbehörden, bei den Krankenhäusern viele Pflichtige unterzubringen, die mit 90 DM im Monat als Pflichtige doch nicht teuer wären. Wir würden es also begrüßen, wenn dem Verteidigungsministerium hierin von allen anderen Ressorts geholfen werden könnte, damit wir nicht die miserabelen Wege steuerlicher Opfer und finanzieller Begünstigung gehen müssen, sondern wirklich eine Gerechtigkeit für alle — was das Dienen angeht — dabei herauskommt.
Wir wären dankbar, wenn in der Prioritätenliste des Verteidigungsministeriums dieser menschliche Punkt nicht an der letzten Stelle stehen würde; wir wären dankbar, wenn bald darüber diskutiert und geredet werden könnte. Eines können wir nämlich nicht brauchen: wachsende Unzufriedenheit bei den Wehrpflichtigen,
das Gefühl, die einen seien die Dummen und die anderen die Gewitzten. Wenn schon in diesem Lande die Wehrpflicht eine Pflicht für jeden ist, müssen wir dafür sorgen, daß jeder diese Pflicht an irgendeinem Ort und für irgend etwas erfüllt, jeder, der dazu körperlich und geistig in der Lage ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7163
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als nach dem 9. Mai 1967 der Verteidigungsminister im Verteidigungsausschuß ankündigte, daß jetzt eine Phase des Nachdenkens, des Planens und des Überarbeitens beginne, und als die Regierung im Juli ebenfalls ankündigte, daß noch im Spätherbst dieses Jahres eine neue Verteidigungskonzeption vorgelegt werde, haben wir alle, glaube ich — nicht nur wir hier im Parlament, sondern auch die Öffentlichkeit draußen und insbesondere die Soldaten — große Erwartungen dareingesetzt. Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß auch am 13. Juni — Herr Berkhan, ich glaube, Sie haben das auch gesagt — der Verteidigungsminister anläßlich der Haushaltsdebatte diese neue Verteidigungskonzeption für die Zeit nach der Sommerpause angekündigt hat.
Ich betone das deswegen, weil uns nämlich vorhin vom Herrn Kollegen Schmidt vorgeworfen wurde, wir verlangten Unmögliches, und ich betone es deswegen, weil ich sagen möchte, daß wir von dem enttäuscht sind, was heute als Verteidigungskonzeption vorgelegt wurde. Herr Kollege Schmidt hat das ja sehr weit herabgespielt. Ich habe auch Verständnis für ihn; denn wenn der „Spiegel" in seiner gestrigen Ausgabe nicht übertrieben hat, dann hätte er hier mit gezücktem Messer stehen müssen, was seinem Image sicher geschadet hätte.
Ich möchte also in militärischer Kürze — —
— Lassen Sie mich das zu Ende führen, Herr Berkhan; ich werde Ihnen gleich darauf antworten.
— Ich nehme an, Sie haben den „Spiegel" auch gelesen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
— Gut. — Ich möchte deswegen sagen, daß diese Debatte und diese Verteidigungskonzeption, wie sie hier vorgelegt wurde, eigentlich militärisch kurz unter dem Stichwort stehen könnten, unter dem früher oftmals Wehrmachtsberichte standen: „Im Westen nichts Neues".
Sind Sie jetzt bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Berkhan zu beantworten?
Herr Kollege Jung, können Sie sich erinnern, daß ich im „Spiegel" als ein besonderer „Kumpel" des Herrn Schmidt dargestellt bin?
Als Nachbar, ja; ich kann mich erinnern, Herr Berkhan.
Darf ich Sie dann weiter fragen, Herr Jung, ob Sie von diesem „Kumpel" zur Kenntnis nehmen wollen, daß der „Spiegel" übertrieben hat?
Gut, ich nehme das zur Kenntnis; ich habe ja auch gesagt, wenn der Spiegel nicht übertrieben habe, dann hätte er hier in dieser Pose stehen müssen.
Nun, ich habe gesagt: „Im Westen nichts Neues".
Man könnte auch sagen: „Order an die Truppe: Weiterwursteln!"
die nukleare Patt-Situation herausgestellt und zugegeben, daß die nukleare Überlegenheit keine abschreckende Wirkung im strategischen Bereich habe. Das hat der Herr Minister nahezu wörtlich gesagt; so habe ich mir das hier notiert. Er hat insofern ein durchaus richtiges Kriegsbild gegeben. Aber er hat die Konsequenzen, die nun daraus zu ziehen sind, hier eben nicht vorgetragen.
Bei der Frage der Einordnung der Verteidigungspolitik in die Außenpolitik zur Schaffung einer europäischen Friedensordnung hat man, so meine ich, übersehen, daß eine Wechselwirkung besteht. Ich wäre auf diesen Punkt nicht mehr zurückgekommen, wenn sich nicht Herr Kollege Schmidt sehr stark exponiert hätte. Nachdem er den Abs. 3 seiner Schrift von damals hier angeführt hat, muß ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was er seinerzeit sagte. Es heißt dort in Abs. 12:
Zum Zwecke besserer Effizienz und zur Verkürzung der Umbauperiode ist innerhalb der europäischen NATO weitgehende Arbeitsteilung unter den beteiligten Staaten notwendig. Die Vervollkommnung und Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen nuklear-strategischen Streitmacht ist den USA zu überlassen. Die Herauslösung der in Europa vorhandenen, mit taktischen Nuklearwaffen ausgestatteten Truppen aus den bisher sogenannten Schild-Streitkräften und ihre Formierung zu einer gesonderten organisatorisch-taktischen nuklearen Teilstreitkraft - der NATO ist zweckmäßigerweise denjenigen Staaten zu überlassen, die bisher bereits erhebliche Aufwendungen auf diesem Gebiet gemacht und derartige Truppen aufgestellt haben.
Ich habe bewußt diesen letzten Satz hinzugefügt, Herr Dr. Marx, damit es nicht heißt, ich hätte irgendeinen Teil weggelassen, weil ja in der Zwischenzeit auch die Bundesrepublik Anstrengungen in dieser Richtung gemacht hat.
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Gestatten Sie jetzt eine Frage des Herrn Abgeordneten Marx? — Bitte!
Herr Kollege Jung, würden Sie, nachdem Sie das zitiert haben, meiner Überlegung zustimmen, daß offenbar Ihre These von der Arbeitsteilung im europäischen Bereich der NATO dann aus jener These des Kollegen Schmidt, die er vor sieben Jahren niedergelegt hat, heute abgeschrieben ist?
Nein, Herr Dr. Marx, ich bin zwar noch nicht sehr lange im Bundestag, aber ich glaube, daß die FDP-Fraktion , sich von Anbeginn an gegen diese nukleare Komponente hier gewehrt hat.
— Ja, bitte schön, meine Kollegen bestätigen das. Herr Kollege Leicht, Sie wissen: so lange bin ich noch nicht da, aber ich bin auch einer derjenigen gewesen, die sich von Anbeginn an gegen diese nukleare Komponente gewandt haben.
Würden Sie dann bitte die Freundlichkeit haben, gelegentlich einer Fraktionssitzung Ihrer Partei sich einmal mit Ihren früheren Rednern darüber abzustimmen, so daß wir zumindest im Hinblick auf die Vergangenheit der FDP und ihre Darlegungen in diesem Hause Klarheit haben?
Das kann ich, glaube ich, guten Gewissens machen, Herr Dr. Marx, und es wird kein anderes Ergebnis herauskommen als das, was ich Ihnen soeben dargestellt habe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berkhan?
Bitte schön, Herr Berkhan!
Herr Jung, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß vor sieben Jahren auch im Warschauer Pakt noch eine andere Situation in dieser Frage vorgelegen hat?
Herr Kollege Berkhan, ich bin bereit, Ihnen darin zuzustimmen, daß vor sieben Jahren im Warschauer Pakt eine andere Situation bestanden hat. Aber ich bin nicht bereits, das dann auf das Jahr 1966 und auf den Bericht „Bestandsaufnahme 1966" der SPD zu übertragen, wo es wörtlich heißt: „Um der Stabilität des Bündnisses willen und als Beitrag zur Entspannung muß die Bundesregierung den Ehrgeiz auf atomaren Mitbesitz aufgeben."
Herr Kollege Berkhan, um das nun zum Ende zu bringen, möchte ich noch einmal aus dem Frühjahr 1967 Herrn Kollegen Schmidt zitieren, Er sagte — und das ist eben die letzte Phase dieses Umfalls auf Raten —: „Von einer Denuklearisierung der Bundeswehr ist mir nichts bekannt." Das hat er also als Abschluß dieses Umfalls auf Raten hier gesagt.
Ich wäre nicht darauf zurückgekommen — das habe ich schon gesagt —, wenn nicht vorhin Herr Kollege Schmidt sich so mit „einseitigen Vorleistungen" festgelegt hätte. Wir sind eben der Meinung, daß hier durchaus eine Wechselwirkung besteht.
Nun, die Bundesregierung besteht auf nuklearen Trägermitteln.
— Gut, Herr Marx.
— Natürlich habe ich das zur Kenntnis genommen. Es braucht aber nun nicht alles, was Sie — ich bin noch nicht dazu gekommen, Ihr Buch bezüglich der Stärke zu lesen, ich danke Ihnen aber vielmals dafür, es ist inzwischen angekommen — —
— Ich empfehle Ihnen aber, auf der anderen Seite, Herr Kollege Marx, auch einmal das kleine Büchlein von Herrn Miksche zu lesen; der sagt nämlich andere Dinge als Sie.
— Nein, das habe ich nicht in Auftrag gegeben. Ich bin nur froh, daß in vielen Passagen eine gewisse Übereinstimmung mit den Vorstellungen der FDP besteht.
— Schön. — Ich möchte also hier sagen, die Regierung besteht auf nuklearen Trägermitteln — so war es aus der Rede von Herrn Minister Schröder zu entnehmen —, obwohl nicht nur wir, sondern auch viele andere, nicht nur der Herr Miksche, sondern auch andere potente Leute, der Meinung sind und sie klar zum Ausdruck gebracht haben, daß diese Trägermittel keinen Schutz und keine glaubhafte Abschreckung darstellen.
Der Herr Minister hat in diesem Falle auch das militärische Protential der UdSSR und der Warschauer-Pakt-Staaten angeschnitten und dabei erwähnt, daß es niemals größer, niemals schlagkräftiger gewesen sei als heute; und ich bin der Überzeugung, Herr Kollege Marx: wenn ich Ihr Buch zu Ende gelesen habe, werde ich dieselben Worte sicher dort wiedergefunden haben.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7165
Jung
Aber man muß dann auch fragen: Warum eigentlich sind die schlagkräftiger? Da muß man dann auch einmal auf den Kern gehen. Wenn vorhin Herr Kollege Zimmermann sagte, daß diese Divisionen beweglich sind und in einer gewissen Zeit 50 km und mehr durchstoßen, dann muß man natürlich auch wissen, daß diese Divisionen kleiner sind und nicht einen Schwanz darstellen wie unsere mit 1.10 km, wenn man die aneinanderreiht, da dort eben viel weniger Fahrzeuge und mehr Personen pro Fahrzeug eine Rolle spielen als bei uns. Im übrigen, Herr Kollege Marx und Herr Kollege Zimmermann, möchte ich doch meinen, daß man auch dort einiges mit Fragezeichen versehen muß und daß man nicht immer gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange starren muß. Denn es ist auch nicht alles richtig. Herr Kollege Zimmermann, Sie haben vorhin gesagt, daß Jugoslawien zum Warschauer Pakt gehört. Ich glaube, das war zumindest nicht korrekt.
Ich meine, wir sollten auch nicht so tun, als ob wir die einzigen wären, die abzuwehren haben. Schließlich sind war ja im Bündnis, und zwar in einem großen Bündnis.
— Ich gebe Ihnen zu, Herr Kollege Marx, daß es der Überlegung bedarf, wie das Bündnis nach 1969 auszusehen hat. Das hat Herr Kollege Schmidt ja hier ausgeführt; ich brauche im einzelnen nicht darauf einzugehen. Aber nach wie vor ist es ein existentes starkes Bündnis, und ich glaube, dieses Bündnis ist in der Lage, einen solchen Angriff — der im übrigen kein Überraschungsangriff sein kann — abzuwehren.
Auch der Herr Minister sagte richtig, daß der allgemeine nukleare Krieg unwahrscheinlich ist, solange die beiden Mächte über die second strike capability verfügen, und folgerte wieder richtig daraus, daß nur Störaktionen, örtliche Kampfhandlungen, begrenzte Kriege und konventionelle Angriffe erfolgen können. Aber eben darauf sind wir doch nicht gerüstet, und hier hätte die Regierung konsequent ihre Planung darauf abstellen und konkret sagen müssen, was sie vorhat, z. B. ob sie Panzerabwehr durch Panzer oder durch panzerbrechende Waffen, Flächenfeuerwaffen oder Panzerfäuste oder was immer machen will, wie sie das Rohrwaffendefizit ausgleichen will, wie sie die Rohrflak, die der Luftwaffe so dringend fehlt, schnellstens beschaffen will und wie sie z. B. für die Luftwaffe mehr einfachere, robustere, tragfähigere Schlachtflugzeuge schaffen will. Das alles wären Dinge gewesen, die hier hätten vorgetragen werden müssen. — Mein Kollege 011esch hat über Granatwerfer gesprochen; nun, vielleicht kann man einmal mit der Polizei verhandeln und die übrigen Granatwerfer von der Polizei bei den Innenministerien holen.
— Ich möchte nachher noch auf einige technische Probleme kommen, Herr Kollege Herold. Ich glaube, Ihre Aufregung — —
— Herr Kollege Herold, ich glaube deutlich gemacht zu haben, daß die Bundesregierung hier und heute hätte sagen müssen, wie die Konzeption aussieht, wie sie auf das veränderte Bild zu reagieren gewillt ist und wie sie sich das vorstellt. Das wollte ich mit diesen Bemerkungen sagen: daß diese konkreten Beispiele eben hier nicht angeführt wurden.
Ich halte auch für völlig falsch, Herr Kollege Herold, was hier von der Regierung gesagt wurde, daß auf einen konventionellen Angriff .auch nuklear geantwortet werden kann. Ich und mit mir meine Freunde sind der Meinung, daß sich die Vereinigten Staaten darauf nicht einlassen, denn das würde zweifellos die Eskalation bringen. Im übrigen hat die FDP nie bestritten, daß in der NATO sowohl konventionelle als auch nukleare Land-, Luft- und Seestreitkräfte vorhanden sein müssen. Nur für die deutsche Bundeswehr ist eben eine besondere Situation gegeben, und deswegen haben wir ja auch die Aufgabenteilung vorgeschlagen. Denn die absolut defensive Zielsetzung der deutschen Verteidigungspolitik kann eben nicht überzeugend dargestellt werden, wenn man in sie nur präventiv einsetzbare nukleare Träger einschließt.
Das ist ein Widerspruch in sich, Herr Kollege Marx.
— Ich sage doch, das ist ein Widerspruch in sich. Ich habe gar nichts unterstellt, und ich baue gar kein Gespenst auf, wie Sie sagen, sondern ich gehe ganz einfach nüchtern von den hier vorgetragenen Sätzen aus.
— Ja, bitte!
Herr Kollege, würden Sie mir darin recht geben, daß es gar keine nuklearen Träger gibt, sondern nur Träger für nukleare Waffen, so daß wir, wenn wir die Raketen besitzen, ja die nuklearen Köpfe gar nicht in der Hand haben?
Das ist richtig.
7166 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Meine Herren Kollegen, darf ich Sie um eines bitten: Herr Kollege Jung hat versprochen, in 30 Minuten fertig zu werden. Hindern Sie ihn bitte nicht daran, dieses Versprechen einzulösen.
Ich hoffe, Herr Präsident, daß mir die Zeit der Zwischenfragen abgezogen wird. Ich möchte dieses Gebiet auch nicht weiter vertiefen, nachdem ja vorhin darüber gesprochen worden ist. Ich habe es nur noch einmal aufgegriffen, um klarzustellen, wie widersprüchlich das auch in dieser Regierungskoalition sowohl vorher als auch heute in diesem Raum dargestellt wurde.
In dem Zusammenhang möchte ich das, was Herr Kollege Schmidt sagte, nämlich den Hinweis auf die Übung Fatex, Ihnen doch noch einmal zu überdenken anheimgeben; denn im Anschluß daran entstand doch zweifellos eine sehr große Unruhe im deutschen Volk. Es wäre wohl wert, einmal offen darüber zu sprechen.
Ein Satz in der Regierungserklärung war für mich nicht eindeutig klar. Der Herr Minister hat nämlich gesagt: im Zusammenhang mit kontrolliertem Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von nuklearen Waffen, Verzicht auf nationale Verfügungsgewalt und Kontrolle durch Euratom „ist unsere Unterstützung des Prinzips der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen zu sehen". Ich möchte fragen: Bedeutet das das endgültige „Ja" der Regierung zum Atomsperrvertrag, und wird die Regierung, nachdem die Bedenken offenbar beseitigt sind, unterschreiben?
— Herr Kollege Marx, das ist doch der Satz gewesen, und ich muß doch die Gelegenheit haben, die Regierung zu bitten, das etwas klarer zu interpretieren.
— Ich habe hier keine Meinung zu äußern, sondern ich habe der Regierung eine Frage gestellt, und nachdem das hier vorgetragen wurde, möchte ich eine Antwort haben.
Gestatten Sie mir noch einige Worte zur Personalpolitik, weil nämlich vorhin Herr Zimmermann auf .die Anregungen von Herrn Ollesch —meinem Empfinden nach bewußt — einfach nicht eingehen wollte. Es geht nach unserem Vorschlag gar nicht um eine Mehreinziehung, sondern es geht, wie Herr Ollesch sehr klar gesagt hat, um eine Reduzierung, um eine Umstrukturierung, um die Aufstellung von Kadereinheiten, die in der Lage sind, die Reservisten auszubilden, also Rahmeneinheiten, Lehreinheiten. Diese Lehreinheiten könnten dann im Laufe eines Jahres 360 000 Mann aufnehmen. Das ist rein rechnerisch. Natürlich mag das in dem einen oder anderen Fall nicht ganz stimmen. Aber wenn Sie davon ausgehen, daß der Reservist doppelt soviel kostet wie ein Wehrpflichtiger, dann sind es eben statt 60 000 30 000, und wenn die VierWochen-Übungen machen, dann müssen Sie das mit 12 multiplizieren und kommen dann auf das Rechenexempel, das Herr 011esch hier vorgetragen hat. Ich wollte das noch sagen, weil mir die Zahl so entscheidend ist. Wir wollen ja nicht wissen, welche Zahl aufgegeben worden ist, 508 000 Soldaten oder 205 000 Zivilisten. Das wußten wir ja. Wir möchten wissen, Herr Minister, welche Zahl künftig gilt. Darum bitten wir Sie.
Sie haben gesagt, die Zahl der Offiziere und Unteroffiziere sei immer noch defizitär; es fehlten 15 % Offiziere und 23 % Unteroffiziere. Wenn ich richtig gerechnet habe, so könnte das bedeuten, daß die Regierung gewillt ist, etwa 40 000 Mann weniger einzuziehen, weil nämlich im Augenblick gar keine Möglichkeit besteht, das Potential an Offizieren und Unteroffizieren anzuheben, insbesondere deswegen nicht, weil trotz der Bemühungen des Verteidigungsausschusses einige Änderungen sozialer und steuerrechtlicher Art diese Laufbahnen zumindest im Augenblick eben nicht mehr so sehr attraktiv machen. Denken Sie nur an eine gewisse Herabsetzung der Dienstzeitprämien! Es erscheint mir also wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Zahl, die wir gern wissen möchten, eine große Rolle spielt.
Gestatten Sie mir zu dem Punkt Strukturänderung noch zu sagen, daß ja nicht nur die FDP Vorschläge gemacht hat, sondern daß es eine ganze Reihe prominenter Militärschriftsteller, Strategen und hoher Offiziere gibt, die Vorschläge gemacht haben, die mit den Vorstellungen der FDP absolut in Verbindung gebracht werden können. Er herrscht hier also oftmals weitgehend Übereinstimmung. Insofern stehen wir hier nicht allein.
— Die FDP hat das schon sehr lange gesagt. Ich weiß nicht, wer wen belehrt hat, aber es kommt nicht darauf an, wer wen belehrt, sondern darauf, daß am Schluß das Beste herauskommt, Herr Kollege.
— Herr Kollege Berkhan, ich komme in Zeitbedrängnis. Die Regierung hat heute ganz allgemein durch den Herrn Minister bekanntgeben lassen, daß von einer Straffung der Kommandostruktur die Rede ist. Aber entschuldigen Sie bitte, es war mir wirklich zu weich und zu ungenau, was hier vorgetragen wurde. Ich würde schon gern konkrete Angaben hierüber hören. Sie haben heute noch nicht einmal gehört, daß die Stäbe — TV, Bundeswehr, Luftwaffe oder was immer — zusammengelegt werden. Das haben Sie heute konkret nicht gehört. Die Absicht der Regierung besteht eben darin, nachzudenken und — wie ich den Eindruck habe — pausenlos darüber nachzudenken.
— Ja, gut, aber man soll auch einmal aus dem Nachdenken irgendwelche Konsequenzen ziehen.
Auf die Gefahr hin, daß ich mir wieder den Ärger des
Herrn Kollegen Ernesti zuziehe, muß ich noch einmal
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7167
Jung
auf die Debatte in der vergangenen Woche zurückkommen, wo ich ja hier für meine Fraktion die Operation am Ministerium gefordert habe. Ich bedauere, daß die sozialdemokratische Fraktion, nachdem sie sowohl im Ausschuß als auch hier und in der letzten Debatte um den Haushalt 1967 dieses Organisationsgesetz gefordert hat, uns dort im Stich gelassen hat. Ich glaube vielmehr, daß sie an diesem Abend in der vergangenen Woche einfach nicht da war, mag darauf zurückzuführen sein, daß die Koalitionstreue so groß war.
Ich möchte wissen — und mit mir meine Freunde —, wie das Ministerium organisiert wird. Der Minister müßte sich jetzt in Kürze hinstellen und sagen: So will ich das Ministerium organisiert haben, und so sieht die durchgehende Kommandostruktur aus, und diese Aufgabe hat die Bundeswehr als Schwert — so will ich es einmal nennen, um jetzt auf diesen Vorschlag, den der Kollege Ollesch hier vorgetragen hat, zurückzukommen —, und diese Aufgabe hat die Landwehr — das Schild —, und diese Aufgabe hat die Heimatwehr, und diese Aufgabe eben der zivile Bevölkerungsschutz.
Das sind doch alles politische Dinge, die hier einmal vorgetragen werden müßten. Es geht doch nicht, daß man nun Konstruktionen wie dein zivilen Bevölkerungsschutz macht, draußen Materialien einlagert und dann einfach nicht mehr weiterkommt. Das gehört doch alles mit in dieses große Gebilde hinein.
Gewiß bedarf dieser von uns vorgeschlagene Prozeß einer größeren Anlaufzeit. Das läßt sich nicht in einem Jahr, das läßt sich nicht in zwei Jahren machen. Aber man muß einmal damit anfangen. Denn wir wollen dies ja auch, um klare Vorstellungen über die Kosten unserer Verteidigung auch für die Zukunft zu haben. Gerade deswegen wollen wir doch die künftige Streitkräfteplanung erfahren, damit wir Wissen, was neben den Kosten für Personal, für Fürsorge, für den Betrieb dieser Bundeswehr noch für Investitionen übrigbleibt. Herr Minister, wir alle unterstützen Ihre Bemühungen, wenn Sie sagen, daß Sie für einfache technische Lösungen bei der Beschaffung von Waffensystemen eintreten.
Ich werde vielleicht nachher auf das eine oder andere Beispiel zurückkommen, wenn mir die Zeit dazu bleibt. Wir unterstützen auch gern die Bemühungen, die Betriebskosten durch abgestufte Präsenz zu verringern. Nur müssen sie halt endlich konsequent durchgezogen werden. Sie haben ja schon kleine Teile von FDP-Vorstellungen übernommen. Das haben wir ja mit Freude festgestellt. Aber es sind eben nur ganz kleine Teile gewesen, unid so ein bißchen Kosmetik genügt uns nicht.
— Vielen Dank, Herr Berkhan. Aber ich glaube, daß auch hier Gemeinsamkeit mit der SPD vorhanden ist und daß ich dann wenigstens alle drei Fraktionen einbeziehen kann.
— Ach so, das habe ich hier nicht richtig verstanden. Wir meinen geben, daß hier eine etwas umfassendere Massage notwendig wäre. Ihre Aussage, daß Zusammenfassung der Teilstreitkräfte zur Straffung der Struktur in die Planung einbezogen wird, ist nicht genug. Sie ist zu weich. Wir müssen wissen, was nun ist. Wird zusammengelegt oder wird nicht zusammengelegt? Das wurde heute nicht gesagt. Sie fürchten — das haben Sie zum Ausdruck gebracht —, daß durch die Veränderungen Unruhe in die Truppe kommt, also die Veränderungen Unruhe mit sich bringen. Natürlich. Aber vermeiden kann man diese Unruhen nur, wenn man überhaupt nichts tut. Ich habe tatsächlich das Gefühlt, daß so ein bißchen Unruhe mal für einige Zeit ganz gut täte, um einige allzu Ruhige aufzuscheuchen.
Herr Kollege Schultz hat das Beispiel von dem VKK gebracht. Schade, daß Herr Kollege Dr. Wörner nicht mehr im Saal ist. Ich möchte mich an seine Empfehlungen halten, aber er wäre ganz bestimmt bereit, Herr Minister, Ihnen auch Beispiele dafür zu nennen, daß die Reservistenbetreuung, die durch eigene Initiative sehr effektiv ist, durch reservistenbetreuende Einheiten doch gehemmt wird.
Nun, Sie haben gesagt, Fusion könnte gut sein. Also bitte: Machen Sie schnell, denn damit kann wirklich schnell eingespart werden. Ihre finanziellen Bedeken gegen die Aufstellung der vorhin genannten Kadereinheiten für Reservisten über den Kriegsumfang hinaus sind ganz unbegründet, wie ich Ihnen eben durch das Beispiel gezeigt habe. Bitte beachten Sie etwas mehr die FDP-Vorschläge, und beschäftigen Sie sich etwas mehr damit! Dann werden Sie feststellen, daß Sie tatsächlich mehr Soldaten verfügbar haben, daß unter Verzicht auf atomare Trägerwaffen sogar eine Verringerung der Kosten eintreten würde!
Lassen Sie mich noch kurz zu dem Problem Luftwaffe etwas sagen. Es ist sehr richtig dargestellt, daß Luftangriffsverbände in vermehrtem Maße für konventionellen Einsatz vorhanden sein müssen. Zu dieser Feststellung sage ich vorbehaltlos ja. Die Konsequenz daraus muß aber auch schnellstens gezogen werden. Der Herr Kollege Ollesch hat darauf hingewiesen, wie problematisch die Umrüstung eines Überschallflugzeuges für den Unterschallbereich ist. Ich brauche hier im einzelnen nicht darauf einzugehen. Ein Pilot hat einmal gesagt, das käme ihm so vor, als wenn ein Formel-III-Rennwagen für ein Seifenkistenrennen eingesetzt würde. Es ist also tatsächlich auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, ganz abgesehen von den Flugeigenschaften_ in diesem Bereich und der Tragkapazität. Hier müssen tatsächlich schnellstens Vorstellungen darüber entwickelt werden, was weiter gemacht wird, wie das in der Zukunft aussieht, ob wir VG, AVS oder VAK — wobei ich VG und AVS zusammennehme, weil das naürlich selbstverständlich eine technische Einheit ist —, oder ob wir robuste Schlachtflugzeuge in großer Anzahl haben — das alles müßte eben in diese Vorstellungen über die Aufgabe der Luftwaffe mit hinein. Die Lücke im Flugabwehrsystem
7168 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Jung
Herr Abgeordneter, Ihr Versprechen ging auf 30 Minuten. Sie kriegen noch fünf Minuten für die Verluste durch Zwischenfragen.
Danke schön, Herr Präsident! — Es tut mir leid, ich kann dann natürlich nicht das ganze technologische Problem, das hier noch ansteht, aufführen. Die Lücken im Flugabwehrsystem müssen schnellstens geschlossen werden. Ich will gar nicht von den Lücken im Nike-Hawk-Gürtel sprechen. Ich spreche insbesondere von den konventionellen Lücken, von der noch fehlenden Rohrflak. Das Beispiel des Piloten Epatko, das Kollege Schultz hier aufgriff, zeigt Ihnen, daß es dringend notwendig ist, hier diese Lücken zu schließen.
Auf die Marine möchte ich wegen der Zeitbeschränkung jetzt nicht eingehen. Ich hätte hier wohl auch einige Dinge zu sagen, aber leider ist mir durch den Vorspann gerade der technologische Bereich etwas zu kurz geraten. Ich möchte hier aber in jedem Fall sagen, daß die Anfangsjahre in der Wehrtechnik eben vorbei sind und daß wir uns weitgehend auf eigene Füße zu stellen haben, damit wir auch im Ernstfall unabhängig sind. Wir haben doch auch eine eigene Industrie, die absolut fähig dazu ist. Ich bin dem Herrn Minister dankbar dafür, daß er auch auf eigene Entwicklungen, auf erfolgreiche Eigenentwicklungen, hingewiesen hat.
Allerdings muß man auch auf Mängel hinweisen. Z. B. ist es so, daß die Beschaffung einer ganzen Reihe von Waffen, die notwendig wären, so sehr lange hinausgezögert wurde, von Waffen, die heute noch nicht zur Verfügung stehen; z. B. denke ich an den „Schützenpanzer Gruppe ". Ich will es mir ersparen, die anderen Dinge aufzuzählen.
Aber in diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Anregung geben. Die vielen Änderungen kommen vielleicht deswegen immer wieder, weil wir nicht genügend technisch hochgebildete Generalstabsoffiziere haben, die die militärischen und die technischen Möglichkeiten und Grenzen klar erkennen und entsprechend einwirken. Man sollte sich einmal überlegen, ob es nicht möglich wäre, eine solche Laufbahn einzurichten.
Eine solche Laufbahn ist insbesondere auch dann notwendig, wenn Sie bedenken, daß uns allein das Starfighter-Waffensystem in jedem Jahr pro Flugzeug etwa 1 Million DM nur für Instandhaltung und Wartung, ohne den Betrieb, kostet. Das ist jetzt grob gerechnet. Da wir also dreiviertel Milliarden nur für die Unterhaltung unserer Flugzeuge aufwenden, können Sie feststellen, daß wir hier auch einige Leute brauchen. Ich will jetzt noch nicht einmal auf die Teams der Firma McDonald eingehen, weil es dann wiederum zu lange dauern würde. Insbesondere die Elektronik belastet uns, und deswegen wäre es notwendig, daß wir eigene technisch hochqualifizierte Leute in hohen Stellungen hätten.
Lassen Sie mich zum Schluß noch unsere beiden Entschließungsanträge kurz begründen. Ich bitte Sie, sie zu unterstützen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, von der Beschaffung der kostenspieligen und schwer zu wartenden Phantom-Maschine abzusehen. Wir bitten weiterhin, für die 70er Jahre an die Entwicklung eines eigenen, für unsere Zwecke geeigneten senkrecht startenden Flugzeugs heranzugehen.
Herr Minister, vor vier Wochen etwa habe ich die Regierung gefragt, was denn an der Beschaffung der Phantom-Maschinen sei. Ich habe zur Antwort bekommen, es sei nichts weiter daran. Jetzt stelle ich fest, daß 220 Maschinen für ungefähr 3,6 Milliarden DM ohne das andere, was noch damit zusammenhängt — Ausbildung, Erstausstattung usw. — beschafft werden sollen. Ich meine, wenn ein Abgeordneter fragt, muß er von der Regierung eine klare Antwort bekommen. Es geht nicht an, daß er vier Wochen danach feststellen muß, daß das, was die Regierung gesagt hat, einfach nicht stimmen kann.
— Jawohl, Herr Berkhan. Wir werden in der nächsten Zeit Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.
Die erstmals vorgesehenen 100 Millionen DM können wir nach meiner Meinung streichen. Ich hoffe, daß unser Vorschlag Ihre Unterstützung findet — denn Sie haben ähnliche Bedenken geäußert — und daß wir diesen unseren Vorschlag und unseren Entschließungsantrag durchbringen.
Ich hätte gern auch noch etwas über die Munition gesagt. Im Februar dieses Jahres habe ich ebenfalls die Regierung gefragt, ob Informationen, die ich erhalten hatte, zuträfen. Ich habe die gleiche Antwort erhalten: es sei nichts daran. Nun muß irgend jemand außerhalb des Parlaments diese Dinge aufgreifen und groß aufspielen, und die Bevölkerung draußen fragt: Schläft denn das Parlament?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist natürlich keine gute Politik. Wenn ein Abgeordneter eine solche Sache aufgreift, dann muß er sich darauf verlassen können, daß die Antwort, die er bekommt, richtig ist.
Sonst machen wir uns alle mitschuldig, indem wir das Anwachsen dieser Kräfte außerhalb des Parlaments noch begünstigen.
Ich meine deswegen, wir sollten die Frage um die Bundeswehr nicht so sehr im Geheimnen behandeln, sondern wir können sie durchaus in der Offentlichkeit behandeln. Ich erinnere an den Punkt „Beja" in der vergangenen Woche. Ich meine, wir hätten ihn durchaus hier behandeln können. Die Bundeswehr braucht sich ihrer Leistungen, ihrer Schwächen und ihrer Stärken nicht zu schämen. Sie braucht diese Fragen nicht hinter verschlossenen Türen abzuhandeln. Wir können durchaus die Dinge in der Offentlichkeit abhandeln, wie es eben auch in der parlamentarischen Demokratie notwendig ist. Deswegen habe ich gesagt, daß wir beklagen, daß die Bundesregierung hier und heute nicht genügend offengelegt hat.
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Jung
Herr Minister, ich möchte abschließend auch meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß in diesem Weißbuch alles das darin steht, was darin stehen sollte, und daß Sie aber darüber hinaus vielleicht mehr die Abgeordneten, insbesondere die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses, informieren. Das ist das, was ich heute zu beklagen hatte. Herr Minister, wir haben heute leider die mutige Antwort auf die Fragen und ein mutiges Verteidigungskonzept vermißt.
Das Wort hat der Albgeordnete Richter — für 10 Minuten, so versprach er's.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte in diesem Hause vor knapp vier Wochen Gelegenheit, in der Debatte zur Lage der deutschen Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie kurz hinter dem Kollegen Jung zu sprechen. Damals bin ich seinen Ausführungen über den technischen Bereich — VJ und AVS —, wenn nicht errötend, so doch immerhin gefolgt. Heute, Herr Kollege Jung — verstehen Sie das, wir stehen an sich in der Sache sehr freundlich zusammen —, haben Sie ein so vielschichtiges Bild geboten; dadurch bedingt war es zum Teil sehr ungenau. Die Fehlerquellen jetzt in 8 oder 10 Minuten zu untersuchen, halte -ich nicht für sinnvoll. Ich will versuchen, ohne das Haus zu dieser späten Abendstunde zu langweilen, für den technischen Bereich — das war angekündigt worden als Dikussionsbeitrag des Kollegen Jung — einen konstruktiven Beitrag zu liefern.
In der Regierungserklärung, Herr Minister Schröder — das werden Sie mir zugestehen —, hat ein Feld einen relativ kleinen Raum -eingenommen. Ich -meine den Bereich Forschung und Entwicklung im Rahmen des Bundesverteidigungsministeriums. Im Gegensatz zu anderen Industriestaaten wendet die Bundeswehr zur Zeit nur etwa 4 Prozent des Verteidigungshaushalts für Entwicklung und Forschung auf. Dabei ist die -Frage, ob Rüstungsforschung und Waffenentwicklung wesentlich zum technologischen Fortschritt in der Bundesrepublik beitragen können unid sollen, in den vergangenen zwei Jahren ausführlich im Verteidigungsausschuß dieses Hauses diskutiert worden. In diesem Zeitraum hat die Fraktion der SPD im Verteidigungsausschuß die Aufforderung an di-e Regierung durchgesetzt, ,den Forschungs- und Entwicklungstitel im Verteidigungsetat weiter auszubauen. -In der Regierungserklärung ,der Bundesregierung vom 13. Dezember des Vorjahres war zu finden:
Die Förderung ... in Schlüsselbereichen -der technischen Entwicklung ... ist für die Zukunft der Gesamtwirtschaft ... ertragreicher als Subventionen, die nur der Erhaltung von stagnierenden Bereichen dienen.
Das Bundesverteidigungsministerium ist mit knapp
100 Millionen DM an der Förderung der Forschung
beteiligt. Es handelt sich naturgemäß um eine angewandte und eine sehr zweckgerichtete Forschung.
Voraussetzung für die Erreichung von erstrebten Zielen ist zunächst eine Grundlagenforschung auf einem sehr hohen Niveau. Dabei werden von der Forschung im Verteidigungsbereich nahezu alle wissenschaftlichen Fachgebiete angesprochen. Schwerpunkte sind naturgemäß 'die Kernphysik, die Elektronik, die Geophysik, die Luft- und -Raumfahrt und die Ballistik. Darüber hinaus werden in diesem Etat Spitzentechniken gefördert, die eine ungewöhnliche Ausstrahlungskraft und Folgewirkungen auf fast alle anderen industriellen Technologien haben.
Die technologische Zahlungsbilanz der Bundesrepublik stellt sich leider in den letzten zwei Jahren immer schlechter -dar. Wir müssen zur Zeit zweieinhalbmal soviel Patente und Lizenzen vom Ausland kaufen, als wir zu verkaufen noch in der Lage sind. Den Sitzungsdokumenten des Europäischen Parlaments ist zu entnehmen, daß Sachverständige berechnet -haben, daß im Jahre 1975 etwa 40 Prozent des Umsatzes amerikanischer Unternehrnen auf Erzeugnisse -entfallen würden, die es bis heute noch gar nicht gibt.
Mitglieder des Verteidigungsausschusses hatten in diesem Jahr Gelegenheit, in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien den Einsatz unserer Partner im Forschungsbereich kennenzulernen. Sie bekamen auch die Mittel dargestellt, die von diesen Ländern für Zwecke der Forschung aufgewendet werden. Bei uns ist zu beklagen — das steht .im Raum —, daß die wissenschaftliche Forschung infolge des förderativen Staatsaufbaus der Bundesrepublik aus zu vielen verschiedenen Töpfen gespeist wird.
Im Bundesverteidigungsministerium fehlt oder fehlte es zumindest bis vor kurzem an der koordinierenden Stelle. Erst in jüngster Zeit haben sich — ich würde es in Anführungszeichen setzten — neuartige Verhaltens- oder Verfahrensweisen dort durchgesetzt. Man fängt an, auch im Verteidigungsbereich, im Bereich der Forschung in der Entwicklung mittel- und langfristig zu planen.
Bei den Diskussionen im Verteidigungsausschuß war die Fraktion der SPD davon ausgegangen, daß eine Zuwachsrate im Forschungs- und Entwicklungstitel im Etat für 1968 nicht zu umgehen sein wird. Ich muß gestehen, daß die Kollegen aller Fraktionen uns bei den Bemühungen da , weitgehend unterstützt haben. Leider hat sich das Ministerium — das ist dem Haushaltsplan zu entnehmen — diesen unseren Vorstellungen nicht anschließen können. Während im Vorjahr für Entwicklung und Erprobung 815 Millionen DM bereitgestellt wurden — dazu kamen noch Verstärkungsmittel von 76 Millionen DM —, beabsichtigt das Verteidigungsministerium, 1968 mit nur 800 Millionen DM auszukommen.
Man hat z. B. — und das ist ein sehr wichtiger Punkt — 1967, also in diesem Jahr, erstmals Studienaufträge für Zukunftstechnologien in der Größenordnung von 40 Millionen DM vergeben. Die-
7170 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Richter
ser Betrag — und hier sollte man aufhorchen — ist für 1968 in den Planungskatalogen des Verteidigungshaushalts zumindest bisher noch nicht vorgesehen. Geplant waren im kommenden Jahr unter anderem koordinierte vorbereitende Untersuchungen auf dem Gebiet der Senkrechtstarttechnik, Strukturuntersuchungen für zukünftige Flugzeuge, Regelung, Steuerung und Instumentierung zukünftiger Fluggeräte, grundlegende Forschungssystemaufgaben zur Vorbereitung zukünftiger Fluggeräteentwicklungen und ergänzende Aufgaben der Luftfahrttechnik im Übergang zu den Zukunftstechnologien.
Als Mindestgeldansatz werden in den kommenden Jahren für diese Aufgabenstellung weiter 40 Millionen DM pro Jahr benötigt. Mit diesem Betrag kann ohnehin nur eine kleine, begrenzte Zahl sorgfältig ausgewählter Aufgaben abgedeckt werden. Ich werde als Berichterstatter bei den Beratungen im Verteidigungsausschuß dieses Feld ansprechen, und ich bin mir fast sicher, daß ich die weitere Unterstützung des Ausschusses hier finden werde.
Wir haben hier in diesem Hause vor knapp vier Wochen die Lage der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie diskutiert. Da dieser wichtige Zweig der deutschen Industrie zu 80 % vom Verteidigungsetat finanziell abhängig ist, möchte ich hier noch einige Ergebnisse der Debatte von damals ins Gedächtnis zurückrufen. Das Haushaltsvolumen der zuständigen Unterabteilung des Verteidigungsministeriums, die die Mittel für die Flugzeugindustrie bereitstellt, wird von rund 436 Millionen DM in diesem auf 360 Millionen DM im kommenden Jahr abfallen. Zu befürchten ist am Ende des Jahres 1968 ein Bild, das wir kennen, das wir am Beginn des letzten Haushaltsjahres ebenfalls hatten: eine große Bugwelle von Verpflichtungen, nicht abgeschlossenen Verträgen und Entwicklungslücken.
Bundeswirtschaftsminister Professor Karl Schiller hatte in der damaligen Debatte vor dreieinhalb Wochen herausgestellt, daß durch die Leistungen der deutschen Luftfahrtindustrie das politische Gewicht der Bundesrepublik als Partner im Verteidigungsbündnis gestärkt wurde, daß es zweitens in Zukunft leichter sein wird, eigene Vorstellungen und Forderungen bei der Ausstattung von Flugzeugen durchzusetzen, und daß drittens mit einer eigenen industriellen Kapazität auf luftfahrttechnischen Gebiet in der Bundesrepublik Betreuungsaufgaben bei der Wartung von Flugzeugen in Zukunft besser erfüllt werden können.
Bisher fehlte es auf dem Verteidigungssektor im Bereich der Flugzeugindustrie an einer militärischen europäischen Konzeption. Das Bundesverteidigungsministerium sollte sich im Sinne der Empfehlung der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 13. Juni dieses Jahres um diese europäische Zusammenarbeit recht dringlich bemühen.
In dieser Woche — möglicherweise heute — wurde in Paris auf der Grundlage eines zweiten Kershaw-Berichtes erneut über dieses Thema diskutiert, und eine weitere Empfehlung wird ohne Zweifel in der Richtung, die 'ich hier angedeutet habe, mit dem Ziel, eine europäische Zusammenarbeit anzustreben, heute oder morgen verabschiedet werden. Wir müssen uns bemühen, unseren Beitrag zu leisten, europäische Schwerpunkte zu definieren.
Wir brauchen in der Fliegerei — das hat Kollege Willi Berkhan heute morgen dargestellt — einfache, robuste Waffensysteme, die von Menschen geführt werden, die weitgehend unabhängig von komplizierten Bodeneinrichtungen sind.
Der Wert der Ersatzbeschaffung für die jetzigen 3500 Jagdflugzeuge und für die 2200 Jagdbomber in Westeuropa — diese Ersatzbeschaffung steht in den nächsten sechs bis zehn Jahren an — muß mit 50 Lilliarden DM veranschlagt werden. Das sollte eine große Herausforderung für die Ingenieure im Bundesgebiet und auch für die Werke sein.
Für den Bereich der Entwicklung und Forschung im Verteidigungshaushalt will ich abschließend noch ein paar Hinweise geben oder möglicherweise Mahnungen aussprechen:
1. Der Forschungs- und Entwicklungstitel muß in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden.
2. Auch in den Jahren von 1968 bis 1970 werden Studienaufträge für Zukunftstechnologien vergeben.
3. Der finanzielle Rahmen für die Durchführung geplanter Projekte muß von der Entwicklung bis zur Produktion durch die Regierung pauschal festgelegt werden, damit sich die Industrie in ausreichendem Maß anpassen kann.
4. Die europäische Zusammenarbeit ist im Forschungs- und Entwicklungsprozeß erforderlich, desgleichen eine europäische Konzeption in der Flugzeugindustrie.
5. Durch Zusammenlegen von Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions-, Betreuungs- und Verwaltungskapazitäten sind Rationalisierungen anzustreben.
6. Die Aufgaben im Entwicklungsbereich müssen genauer definiert werden. Dabei sollte man überprüfen, welche Bereiche möglicherweise aus dem Verteidigungshaushalt herausgenommen und anderen Ministerien zugeordnet werden können.
Meine letzte Bitte, Herr Minister Schröder: Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich in möglichst naher Zukunft mit Bundeswirtschaftsminister Schiller zusammensetzten, um mit ihm das, was uns hier drängt und einer Entscheidung zutreibt, kollegial abzusprechen.
Als letzter Redner für heute hat der Abgeordnete Draeger das Wort. Er versprach, nur zehn Minuten zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will mich also bemühen, einen konstruktiven Beitrag zu dem Thema „Forschung, Entwicklung und Fertigung" zu leisten. Zuvor aber einige Bemerkungen an unseren Kollegen Jung.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7171
Draeger
Herr Kollege Jung, als ich eben hörte, wie Sie das Sammelsurium bestimmter Waffen hier vorexerzierten, habe ich mir überlegt, ob ich einen Zwischenruf machen sollte. Ich habe ihn unterdrückt. Ich will Ihnen nun sagen, was ich dazu meine: Das war wunderbar, „zwei rechts, zwei links" und möglichst kleinkariert gestrickt.
Eine zweite Bemerkung. Der Verteidigungsausschuß der Westeuropäischen Union hat gestern im Zusammenhang mit dem Bericht, den ein belgischer Kollege über die europäische Sicherheit vorgelegt hatte, entscheidend festgehalten, daß sowohl atomar als auch konventionell vorgegangen werden soll, und das hat die einstimmige Billigung der Vollversammlung in Paris gefunden. Danach kann ich nur sagen: Wenn Sie hier so weiter argumentieren, werden Sie es sich gefallen lassen müssen, daß man Ihnen angesichts einer vorbeimarschierenden Kompanie sagt: Alles hat falschen Tritt, sagt Lieschen Müller, nur mein Fritz nicht.
Eine dritte Bemerkung. Ich habe den Eindruck — das ist jetzt nur als eine sachliche Feststellung zu werten; Sie sind ein neuer Kollege —, daß Sie überhaupt noch nie begriffen haben, was der Sinn und die Aufgabe einer Mehrzweckwaffe ist. Vielleicht hat Ihnen die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jaeger ein klein wenig Anschauungsunterricht für den Beginn einer Nachhilfestunde dazu geliefert.
Ich muß diesen Zwischenruf rügen.
Mir liegt eine weitere Bemerkung auf der Zunge, aber ich will meine Zeit nicht überschreiten.
Meine Damen und Herren, das, was die Bundesregierung in ihrer Erklärung zu der Technologie gesagt hat, kann ich nur in allen Positionen unterstreichen. Ich möchte trotzdem noch die Bitte an die Bundesregierung richten, Zweckforschung, Objektentwicklung und Geräte- und Waffenfertigung einmal nicht mehr so streng national zu sehen. Wir haben — und da stimme ich dem Herrn Jung zu — die Anfängerlehrjahre in der Technologie hinter uns. Wir sind durchaus in der Lage, mit dem, was durch Aufträge über modernste Waffen und Geräte, auch im Lizenzbau, an Möglichkeiten an die kleine deutsche Rüstungsindustrie gegeben worden ist — das muß man anerkennen; hier verdient die deutsche Rüstungsindustrie eigentlich ein Lob —, diese Zeit zu nutzen, und sie ist genutzt worden.
Trotzdem bin ich der Meinung, es ist auch im Zusammenhang mit den finanziellen Problemen, vor denen wir namentlich im Sektor der Verteidigungsausgaben stehen, zu überlegen, ob nicht überhaupt alle Entwicklungen und Fertigungen von entscheidenden Waffensystemen nicht nur pro deutsch gesehen werden sollten, sondern zumindest pro Resteuropa. Sie würden damit sowohl in der Forschung als auch in der Entwicklung und in der Fertigung sicher eine Menge Geld sparen und damit Mittel freibekommen.
Ihnen, Herr Minister, möchte ich sagen: Ich bin auch nicht glücklich darüber, daß wir nur 5 % der Mittel unseres Gesamtverteidigungshaushalts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Ob das ausreichen wird, das wage ich füglich zu bezweifeln. Wir müssen aber Mittel finden, um in zwei Bereichen weiterzuarbeiten.
Das ist erstens der Bereich der Forschung und Entwicklung, der auf Grund unserer militärgeographischen Situation eine eigene deutsche Aufgabe bleibt, an der kein Partner in Europa und in der NATO ein Interesse haben kann.
Und zweitens habe ich die Bitte, daß wir noch soviel Mittel in Forschung und Entwicklung behalten müssen, um den echten Fortschritt, den die kleine deutsche Entwicklungs- und Forschungsgruppe bei wenigen Teilelementen gemacht hat, zu verteidigen und damit die Möglichkeit zu erhalten, zumindest auf diesem Gebiet diesen Führungsvorsprung in der Welt zu halten.
Damit haben wir diese Runde hinter uns, und wir sind am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 7.. Dezember, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.