Rede von
Josef
Rommerskirchen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat am 24. Juli ihre Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die ich zu begründen habe. Wir wollten die Bundesregierung mit unseren sechs Einzelfragen veranlassen, sich wieder einmal in aller Öffentlichkeit zu erklären, angesichts der bedeutsamen Veränderungen, die sich in den letzten Jahren im weltweiten Rahmen, innerhalb des nordatlantischen Bündnisses wie auch der europäischen Verteidigungsorganisation und nicht zuletzt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland vollzogen haben. Wir lassen bei der Herausforderung einer solchen öffentlichen Erklärung das Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Informationsbedürfnis und dem allgemeinen Sicherheitsinteresse nicht außer acht, sondern wir haben volles Verständnis dafür, wenn bei entsprechender Güteabwägung von Detaildarstellungen, die sich für eine öffentliche Erörterung ohne
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Schädigung unseres Sicherheitsinteresses einfach nicht eignen, aus Verantwortung dann auch abgesehen wird. Die Beobachtung gleichgearteter Vorgänge in anderen demokratischen Staaten ergibt eindeutig, daß man sich auch dort diesem Dilemma gegenübersieht und in Wahrung beider Interessenstandpunkte öffentlich erörtert, was dazu angetan ist, und nichtöffentlich berät, was der Sache nach diese Einschränkung gebietet.
Herr Bundesverteidigungsminister, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal anregen, daß Sie vielleicht doch von der unterschiedlichen Informierung der Journalisten und Publizisten — nämlich in zwei verschiedenen Formen — noch öfter als zuvor Gebrauch machen. Ich meine einerseits die Information über Tatsachen und Vorhaben, die völlig offen angesprochen werden können, und andererseits die Darstellung und Erläuterung von Sachverhalten, deren Kenntnis nicht für jedermann bestimmt, aber als Hintergrund für den Journalisten höchst bedeutsam sein kann.
Wir dürfen, so meine ich, sicher davon ausgehen, daß eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Regierung, die dem Interesse des Bürgers an Sicherheit besonders Rechnung zu tragen hat, und den Organen der öffentlichen Meinungsbildung, die naturgemäß dem Recht des Bürgers auf Information zu entsprechen suchen, angesichts der Mitverantwortung aller für das gemeinsame Wohl nicht mißbraucht wird. Ich meine, wenn es doch geschähe, sollte das im Rahmen der publizistischen Selbstverwaltung und Selbstkontrolle geahndet werden. Warum sollten eigentlich bei uns, in diesem unserem Lande, die demokratischen Spielregeln im gemeinsamen Interesse weniger eingehalten werden als in Ländern mit vielleicht längerer diesbezüglicher Tradition.
Unsere Große Anfrage war nicht zuletzt von der Sorge bestimmt, daß ein zu langes Schweigen seitens der Regierung über Probleme, die infolge akuter Anlässe viele bange Fragen aufgeworfen und ganz zweifellos neben sachkundigen Betrachtungen und Vorschlägen auch dilettantische Überlegungen und Forderungen mit sich gebracht haben, sich einfach schädlich auswirken muß. So wäre es doch bedauerlich, wenn unsere Bündnispartner infolge solcher ungeklärter Fragen und infolge entsprechenden Kritisierens und Spekulierens irritiert würden, wenn sie sich dadurch etwa mehr und mehr zu der Überlegung veranlaßt sähen, ob wir Deutsche uns auf Grund interner Schwierigkeiten aus der gemeinsamen Verantwortung für eine wirksame Sicherung der Freiheit herausschmuggeln wollen. Solche Gedanken sollten wir nicht verargen. Wir wissen doch selber aus Erfahrung, wie schnell mancher — auch in unserem Lande — mit Verdächtigungen solcher Art bei der Hand war, wenn andere Partner uns über beabsichtigte oder vermeintliche Änderungen zu lange im unklaren ließen.
Wir möchten durch unsere Große Anfrage auch vermeiden helfen, daß infolge mangelnder Sachaufklärung über Gegebenes und Notwendiges die deutsche Offentlichkeit unnötig in Unruhe gerät und gar zu falschen Schlüssen bzw. Einstellungen kommt.
In diesem Zusammenhang muß wohl wieder einmal unmißverständlich festgehalten werden, daß die Erhaltung der Freiheit, die Absicherung unserer freiheitlichen Lebens-, Gesellschafts- und Staatsgestaltung gegen gewaltsame Eingriffe von innen wie auch von außen die Mitwirkung und entsprechende Anstrengungen und Opfer aller freien Bürger gebietet. Ich meine, nach wie vor gilt das Wort, das selbst neutrale Staaten wie die Schweiz mit großem Ernst beherzigen: „Der Preis der Freiheit ist Wachsamkeit, Abwehrbereitschaft und Verteidigungskraft aller, die den Schutz des Staates erwarten."
Deshalb möchte ich feststellen dürfen — und ich habe guten Grund dazu —: Wer nach dem Einsatzwert der Bundeswehr, wer nach der geistig-politischen Verfassung der Soldaten, nach der sogenannten „Moral der Truppe" fragt — und das geschah in den letzten Monaten sehr oft —, der sollte selbstkritisch beachten, daß die Verteidigungskraft der Bürger in Uniform, also unserer Soldaten, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wehrbereitschaft des ganzen Volkes steht.
Hier sei schon angemerkt, daß die militärische und die zivile Verteidigung zwei Seiten derselben Medaille sind, nämlich der Glaubhaftigkeit unseres freiheitlichen Lebens- und Überlebenswillens.
Unsere Große Anfrage will alsdann mit Klarheit schaffen helfen im Interesse unserer Bundeswehr selber, der wegen ihrer Zuverlässigkeit und großartigen Leistung auch heute wieder unsere Anerkennung und unser Dank öffentlich ausgesprochen werden sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Armee — ich denke, wir sollten das immer beachten — ist ohne lebendiges Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein und ohne eine entsprechende Zuversichtlichkeit ein wenig überzeugender Verteidigungsfaktor.
Wie sehr aber wird dieser innere Einsatzwert, wird die Verteidigungsmoral eingeschränkt, wenn beinahe alles, was geschah und was vorhanden ist, alles, was für nötig erachtet und geplant wird, fragwürdig sein soll. In der Feststellung, daß der Auftrag der Bundeswehr als solcher den heutigen Gegebenheiten nicht mehr entspräche und deshalb dringend geändert werden müßte, gipfelt meines Erachtens diese geradezu selbstzerstörerische Infragestellung, die zudem nicht selten mit penetranter Kritikasterei und Besserwisserei verbunden ist.
Lassen Sie mich unsere sechs Einzelfragen kurz erläutern! — Wenn wir von der Bundesregierung, deren Politik nach der wiederholten Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers wie nach den ausgewiesenen Bemühungen im auslaufenden ersten Regierungsjahr noch akzentuierter als zuvor eine solche für Entspannung und Frieden ist, noch einmal
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eine Erläuterung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Entspannungswillen und Sicherheitsbeitrag erbitten, dann hat das gute Gründe. Diejenigen, die auch für die Zukunft die Fähigkeit fordern, sich gegen Unzumutbares zur Wehr zu setzen, werden heute in unserem Lande nicht selten, nein: zunehmend als Gegner der Entspannung oder als Spielverderber beim Mühen um eine Friedensordnung angesehen. Aber ich meine, Entspannung sei nicht gleichbedeutend mit Sicherheit. Für nicht wenige in unsedem Volke sind Vorleistungen im Sinne von Preisgabe bestehender Anrechte, einseitiges Abrüsten und Vermindern der Abwehrfähigkeit anscheinend ein wirksames Mittel zur Entspannung. Ich darf für meine politischen Freunde sagen: wir sind leidenschaftlich für eine Entspannungs- und Friedenspolitik, aber déshalb auch nur für Maßnahmen, die diesem Ziele wirklich dienen.
Entspannung geht überall da vor sich, wo man zugefügtes Unrecht wiedergutzumachen sucht,
wo man Explosionsherde durch gerechte und vernünftige Regelungen ausräumt, wo man Zankäpfel mittels sauberer Kompromisse beseitigt, wo man sich zum Nebeneinander in wirklicher Friedfertigkeit, zur Koexistenz in der Wahrheit bekennt. Wer das, was ungeordnet ist, nicht zu regeln bereit ist, wer nicht über die Beseitigung von Ungerechtigkeiten mit sich sprechen lassen, sondern nur über das verhandeln will, was ins eigene politische Konzept paßt oder was man zu fragwürdigem Besitz noch hinzubekommen möchte, der trägt nicht zur Entspannung bei und der wird auch einen ohnmächtigen Verhandlungspartner ganz gewiß nicht nur nicht achten, sondern ihn eventuell der Erpressung oder Nötigung auszusetzen suchen. Sicherheit wird, so meine ich, nur dann größer, wenn allgemeine, kontrollierte Abrüstung bei gleichwertiger Potentialminderung erfolgt.
Ist es deshalb nicht konsequent, wenn die Partner der freien Welt sich auch weiterhin vor der Gefahr wappnen, von denen zu einseitigen Zugeständnissen, etwa mittels Gewaltanwendung, gezwungen zu wer- den, die nach wie vor nach ihrer eigenen Erklärung auf eine uniforme Umgestaltung andersgearteter Gesellschafts- und Staatssysteme — und das gegebenenfalls auch mit Nachdruck — abzielen? Wir sind der Meinung, daß der Entspannungsvorgang nicht nur vom Trachten und Streben des Menschen nach der Möglichkeit freier und selbstverantwortlicher Daseingestaltung in Gang gehalten, sondern auch politisch forciert werden sollte. Aber — ich darf es noch einmal sagen — durch einseitigen Verzicht auf abwehrende Stärke würde er meines Erachtens gerade aufgehalten. Es interessiert uns aber die Auffassung der Bundesregierung hierzu im Zusammenhang mit ihrer zielstrebigen Friedens- und Sicherheitspolitik.
Unsere zweite Frage hängt mit dem Vorhergesagten ursächlich zusammen. Die jüngste Geschichte, die durch die brutale Gewaltpolitik totalitärer Systerne so wesentlich bestimmt ist, weist doch wohl eindeutig aus, daß eine der entscheidenden Voraussetzungen für den Verlust der Freiheit die mangelnde Abschreckung dessen ist, der glaubt, sich dieser Mittel bedienen zu sollen. Politik kann und darf sich nicht vom Wunschdenken nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf" bestimmen lassen. Wir haben das oft gesagt. Da wir bei uns selber erlebt haben, wie sich bei totalitären Staaten die Verbindung von Ideologie und Macht auszuwirken vermag, interessiert uns auch heute noch einmal, wie die Bundesregierung die derzeitige Situation in der Welt im allgemeinen und in Europa im besonderen im Hinblick auf die ideologisch-politische Zielsetzung, auf die Interessenlage und die Absichtserklärungen und das militärische Machtpotential des Kommunismus beurteilt. Die Sprache, die im kommunistischen Machtbereich in Form von Beschimpfungen, Drohungen und Truppendemonstrationen gesprochen wird, muß uns doch, darf uns doch besorgt sein und bleiben lassen. Wenn die Demonstrationen in Moskau aus Anlaß des Jubiläums der kommunistischen Revolution mit der Überschrift: „Partei + Raketen = Sowjetmacht" charakterisiert wurden, so entspricht das wohl zweifellos bolchewistischem Selbstverständnis. Wir fragen in diesem Zusammenhang also die Bundesregierung, ob für uns prinzipiell oder aktuell eine Bedrohung mit der Gefahr der Gewaltanwendung und Übermächtigung noch besteht.
Wir möchten Klarheit darüber haben, ob in Gegenwart und voraussehbarer Zukunft wesentliche Änderungen der atlantischen Abschreckungs- und Verteidigungsorganisation gerechtfertigt oder gar geboten sind. Wir möchten wissen, ob die Umstellung vom strategischen Konzept der „massiven Vergeltung" auf das der „flexiblen Entgegnung" noch ein unkalkulierbares Risiko für denjenigen bedeutet, der meint, zur Durchsetzung politischer Ziele militärische Macht einsetzen zu können. Uns interessiert auch die Auffassung der Bündnispartner über die Zeitspannen, die sie im Hinblick auf notwendige Gegenmaßnahmen für gegeben halten, sowie über den Grad der erforderlichen Abwehrbereitschaft. Sind Überraschungen etwa völlig undenkbar geworden?
Die Fraktion der CDU/CSU fragt in ihrer Großen Anfrage alsdann die Bundesregierung nach den Konsequenzen, die sich aus den NATO-Richtlinien vom Mai dieses Jahres für den deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben. Gerade in dieser Hinsicht war ja die Diskussion innerhalb der deutschen Öffentlichkeit außerordentlich lebhaft, aber leider zugleich auch verwirrend. Deshalb ist nach unserer Auffassung nicht zuletzt auch in diesem Zusammenhang Klarheit dringend geboten. Selbst die Feststellung, daß im Grunde kein Staat und Volk mehr sein Geschick im nationalen Alleingang meistern kann, sondern jeder Staat und jedes Volk hineinverwoben ist in Verbindungen und Verkettungen größten, weltweiten Umfanges, wurde in den letzten Monaten plötzlich — ich meine allerdings: von Gestrigen, die das Phänomen dieser verbundenen einen Welt noch nicht begriffen haben — da und dort bestritten. Wir möchten jedenfalls noch einmal klargestellt wissen, welche Rolle uns als Verbündetem und Partner in der Allianz und ihrer Organisation heute und mor-
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gen zufällt. Wir möchten von der Bundesregierung hören, wie sie über das sogenannte Prinzip der Arbeitsteilung innerhalb des Bündnisses im Hinblick auf den Abschreckungswert, der unseres Erachtens von der Fähigkeit zu konventioneller und atomarer Verteidigung abhängig ist, angesichts der Kräftekonstellation in der Welt und in Europa denkt.
Es drängt sich zusätzlich die Frage auf, ob auch nach 1969 das Prinzip der Präsenzstrategie des atlantischen Verteidigungsbündnisses für Europa, das heißt also für uns in der Bundesrepublik auch das Prinzip der Vorneverteidigung durch möglichst starke Kräfte möglichst vieler Bündnispartner, noch wirksam gilt oder ob nach 1969 die Lastenverteilung etwa zu unseren Ungunsten anders aussehen soll oder muß. Es interessiert, ob neue Anstrengungen unternommen werden, um die Sicherheit Europas auch für den Fall sicherzustellen, daß sein mächtigster Partner, die Vereinigten Staaten von Amerika, gleichzeitig andernorts in der Welt besonders stark engagiert ist. In diesem Zusammenhang ist wohl auch noch einmal eine Darstellung der nunmehr geltenden Formen des Zusammenwirkens zwischen Frankreich und den übrigen NATO-Partnern erforderlich. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland sowohl auf die Herstellung von wie auch auf die Verfügungsgewalt über atomare Sprengmittel verzichtet hat, ist es wohl unser legitimes Recht, uns fortdauernd besorgt darum zu kümmern, daß wir an der Schutzfunktion, die das Gleichgewicht der Abschreckung hat, weiterhin wirkungsvoll teilhaben.
Unser Wehrsystem ist gerade in jüngster Zeit nicht zuletzt auf Grund der Frage nach der Wehrgerechtigkeit einer kritischen Betrachtung unterzogen worden. Dabei hat es auch nicht an Vorstellungen über grundlegende Veränderungen gefehlt. Wir haben ja auch eben wieder solche Vorstellungen aus dem Munde von Herrn Kollegen Schultz vernommen. So ist z. B. der Vorschlag gemacht worden — er ist nicht in seinen Vorschlägen enthalten gewesen, ist aber anderswo unterbreitet worden —, die Umstellung auf eine Berufsarmee, die durch Milizkräfte zu ergänzen wäre, vorzunehmen. Wir wissen, daß solche Vorstellungen einer verantwortlichen, sorgfältigen Überprüfung im Bundesverteidigungsministerium unterzogen wurden, und hoffen, daß wir über die Ergebnisse einschließlich der Frage einer stärkeren Ausschöpfung des Wehrpflichtigen- und Reservistenpotentials einschließlich der Frage nach Ersatzabgaben wie einschließlich der Frage nach den Kosten der verschiedenen Regelungen auch heute noch einmal Näheres hören werden.
Die Feststellung, daß sich gerade in unserer Lage als unmittelbare Anrainer am kommunistischen System waghalsige Experimente verbieten — ich treffe sie —, will keine verantwortbare und nützliche Änderung ausschließen. Nach unserer Auffassung darf aber ohne zwingendes Gebot keine wesentliche Struktur- und Gesamtorganisationsänderung vorgenommen werden, solange nicht die langfristigen Auswirkungen voll abzusehen sind und keine Garantie für eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse besteht. Ich meine, es sei doch von jedermann zu bedenken, daß ein so komplizierter
Organismus, wie ihn eine große Armee nun einmal darstellt, nicht fortlaufend umgebastelt werden darf, soll er nicht seine Funktionsfähigkeit einbüßen.
Wenn es unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Belange möglich ist, der Mitverantwortung und Mitverpflichtung aller Bürger des Staates für den Schutz der Freiheit und des Friedens im Bereich der militärischen wie der zivilen Verteidigung noch konsequenter als bisher schon zu entsprechen, finden — darauf können Sie sich verlassen, Herr Minister — entsprechende Vorschläge unsere besonders aufmerksame Beobachtung und, wenn sie brauchbar sind, unsere Unterstützung. Und wenn unter Ausnutzung des nun doch schon beachtlichen Reservistenpotentials sinnvolle Umgliederungen ohne unannehmbare Beeinträchtigung der Abwehr- und Verteidigungsmöglichkeit auch bei etwaigen Überraschungen möglich sind, werden wir auch dem unsere Zustimmung nicht versagen. — Über das sogenannte Prinzip der „abgestuften Präsenz" — ich erlaube mir hinzuzufügen: eine sprachliche Definition, die ich nicht für glücklich halte, weil sie nach meiner Meinung Mißdeutungen zu großen Spielraum gibt — werden wir wohl ebenfalls in der Regierungserklärung noch Näheres erfahren.
Wir müssen in aller Öffentlichkeit noch einmal betonen, daß die Bundesrepublik Deutschland in ein Bündnissystem eingefügt ist, daß ,also unsere Bundeswehr dementsprechend im großen und ganzen Glied in einer Kette ist und deshalb von uns aus nichts geschehen darf, was das gemeinsame Band schwächt. Wer etwa — und darauf will ich hinaus — einer Verkürzung der Wehrpflicht bei uns das Wort redet, muß sich darüber Rechenschaft geben, was unsere Partner ihren waffenfähigen jungen Männern zumuten, und er muß der Prüfung zustimmen, ob dann noch die Verteidigungsbereitschaft im gebotenen Umfang und in der erforderlichen Einsatzfähigkeit gewährleistet ist.
Ich meine, es ist auch nicht uninteressant, wenn wir erst wieder in diesen Tagen hörten, daß der Oberbefehlshaber Europa-Mitte auf die Konsequenzen hinwies, die sich aus einer Verringerung der Wehrdienstzeit für die schnelle und geschlossene Einsatzfähigkeit der Großverbände ergäben, und daß er deshalb ganz konkret vor einer Dienstzeitverkürzung warnte. Dabei, so meine ich, sollte man gerechterweise bedenken, daß die amerikanischen Soldaten, die als ein beachtliches Kontingent auch bei uns in Deutschland auf Posten für die Freiheit stehen, sich sogar einer zweijährigen Wehrpflicht unterziehen müssen.
Mit dem Gesagten hängt unmittelbar unsere Frage zusammen, was geschehen muß und geschehen kann, um sowohl dem Sicherheitsinteresse wie der finanzpolitischen Situation gerecht zu werden. Es sollte unbestritten sein, daß das Mindestmaß dessen, was zum Schutz unserer freiheitlichen Lebens-, Gesellschafts- und Staatsordnung gegen gewaltsame Veränderungen erforderlich ist, von uns auch aufgebracht und geleistet wird. Wir sollten auch keine Verärgerung über ein ungerechtfer-
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tigtes Mißverhältnis zwischen Bündnispartnern aufkommen oder bestehen lassen, zumal im Bedenken eventueller schädlicher Auswirkungen bei deren Leistungen bei oder für uns. Andererseits können und dürfen — und das muß mit großem Ernst hinzugefügt werden — wir uns auch nicht übernehmen und dadurch eventuell schwere Schädigungen des inneren volkswirtschaftlichen Organismus herbeiführen.
So gilt es — ein schwieriges Geschäft —, immerzu um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gebotenem und Möglichem, zwischen Unerläßlichem und Verzichtbarem bemüht zu sein. Das ist wirklich leichter zu fordern als zu meistern. Der Meinung bin auch ich. Aber wir meinen, daß die Uberprüfung aller Leistungen mit dem Ziel, die Effektivität des deutschen Verteidigungsbeitrags als solchen nicht zu mindern, nicht unbedingt Nötiges dagegen wegfallen zu lassen, ganz sorgfältig und zielstrebig geschehen muß. Straffung durch Beseitigung von Überflüssigem, das es geben kann und das wir uns möglicherweise in der Zeit, als es uns entsprechend ging, erlaubt haben, ist nicht gleich Schwächung und Kampfkraftminderung. Das sollten auch diejenigen gelten lassen, die von Aufwendigerem und Liebgewonnenem verständlicherweise nicht gerne lassen wollen. Sich nach der Decke zu strecken, bleibt nun einmal ein vernünftiges Lebensgesetz.
Aber ich füge hinzu — das ist eine schwierige Sache, ich weiß —: Die in diesem Zusammenhang notwendige angedeutete Überprüfung darf allerdings nicht davor zurückschrecken, notwendige Verbesserungen vorzunehmen, auch wenn diese gegebenenfalls einmal mit höheren Kosten verbunden sind. Die müssen dann eben an weniger bedeutsamer Stelle wieder eingespart werden. Ich konkretisiere: trotz aller Bemühungen um technische Leistungssteigerungen sollte der Mensch, der Soldat, immerzu, wie das bislang der Fall war, im Mittelpunkt unserer Sorge bleiben.
Ich denke hier ganz besonders an die Frage der gerechten, gesellschaftspolitisch angemessenen Einstufung unserer Unteroffiziere in der hochtechnisierten Armee.
Dennoch wird jeder verstehen: Priorität sollten auf jeden Fall alle jene Anstrengungen und Kräfte haben und behalten, die den Abschreckungswert, um den es geht, wesentlich mitbestimmen und im Verteidigungsfall die Einsicht des Angreifers in das mit seiner Gewaltanwendung eingegangene Risiko und die Verantwortung für eine eventuelle Eskalation wie seinen Halt zu erzwingen haben.
Wir haben in einer entsprechenden Frage die Regierung gefragt, welche konkreten Straffungsund Rationalisierungsmaßnahmen ohne Reduzierung der eigentlichen Abwehrkraft möglich sind, und wir sind auf die Antwort gespannt.
Zuletzt und doch keineswegs am Rande fragen wir die Bundesregierung, was geschehen kann und was veranlaßt ist, um den technologischen Status der Bundesrepublik Deutschland ihren übrigen Leistungen anzupassen, um die nötigen Grundlagen für den Leistungswettbewerb und die Rolle, die auch uns bei der Erfüllung weltweiter Aufgaben zugemutet und abverlangt wird, sicherzustellen. Wir verkennen dabei das Dilemma nicht, das einerseits durch die berechtigte, ja die gebotene Forderung nach einem möglichst hohen Maß an Standardisierung innerhalb des Bündnisses und andererseits durch das Bestreben, die nationalen Kapazitäten zu verbessern, gegeben ist. Aber dabei verhehlen wir auch unsere Auffassung nicht, daß sich die notwendige und förderliche Zusammenarbeit im multi-oder bilateralen Rahmen weitmöglichst unter Anerkennung und Beachtung gleicher Rechte und gleicher Pflichten abspielen muß. Was immer sinnvoll bei uns in dieser Hinsicht investiert wird, um die Verteidigungswirtschaft unseres Landes in die Lage zu versetzen, auch ihrerseits Anteil zu nehmen an der angemessenen Meisterung der Zukunftsaufgaben, muß als deutscher Verteidigungsbeitrag Anrechnung finden. Aber auch in dieser Hinsicht sind wir und ist zweifellos die deutsche Öffentlichkeit an den Überlegungen, die von der Bundesregierung angestellt worden sind und werden, in hohem Maße interessiert, auch an der Antwort auf die Zusatzfrage, ob in diesem Zusammenhang positive Aussichten ohne europäische Größenordnungen nennenswert überhaupt noch bestehen.
Vielleicht, Herr Bundesminister, ist es angebracht, auch unsererseits noch die Frage anzufügen, was es mit Munitionsschwierigkeiten oder gar mit einem diesbezüglichen Skandal auf sich hat.
Sehr verehrter Herr Bundesverteidigungsminister, wir freuen uns mit Ihnen, daß Sie, von Ihrer schweren Krankheit genesen, heute selber mit gewohnter Kraft in der Lage sind, für die Bundesregierung unsere Große Anfrage zu beantworten. Wir danken Ihnen schon jetzt für Ihren verantwortlichen Einsatz!