Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte in diesem Hause vor knapp vier Wochen Gelegenheit, in der Debatte zur Lage der deutschen Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie kurz hinter dem Kollegen Jung zu sprechen. Damals bin ich seinen Ausführungen über den technischen Bereich — VJ und AVS —, wenn nicht errötend, so doch immerhin gefolgt. Heute, Herr Kollege Jung — verstehen Sie das, wir stehen an sich in der Sache sehr freundlich zusammen —, haben Sie ein so vielschichtiges Bild geboten; dadurch bedingt war es zum Teil sehr ungenau. Die Fehlerquellen jetzt in 8 oder 10 Minuten zu untersuchen, halte -ich nicht für sinnvoll. Ich will versuchen, ohne das Haus zu dieser späten Abendstunde zu langweilen, für den technischen Bereich — das war angekündigt worden als Dikussionsbeitrag des Kollegen Jung — einen konstruktiven Beitrag zu liefern.
In der Regierungserklärung, Herr Minister Schröder — das werden Sie mir zugestehen —, hat ein Feld einen relativ kleinen Raum -eingenommen. Ich -meine den Bereich Forschung und Entwicklung im Rahmen des Bundesverteidigungsministeriums. Im Gegensatz zu anderen Industriestaaten wendet die Bundeswehr zur Zeit nur etwa 4 Prozent des Verteidigungshaushalts für Entwicklung und Forschung auf. Dabei ist die -Frage, ob Rüstungsforschung und Waffenentwicklung wesentlich zum technologischen Fortschritt in der Bundesrepublik beitragen können unid sollen, in den vergangenen zwei Jahren ausführlich im Verteidigungsausschuß dieses Hauses diskutiert worden. In diesem Zeitraum hat die Fraktion der SPD im Verteidigungsausschuß die Aufforderung an di-e Regierung durchgesetzt, ,den Forschungs- und Entwicklungstitel im Verteidigungsetat weiter auszubauen. -In der Regierungserklärung ,der Bundesregierung vom 13. Dezember des Vorjahres war zu finden:
Die Förderung ... in Schlüsselbereichen -der technischen Entwicklung ... ist für die Zukunft der Gesamtwirtschaft ... ertragreicher als Subventionen, die nur der Erhaltung von stagnierenden Bereichen dienen.
Das Bundesverteidigungsministerium ist mit knapp
100 Millionen DM an der Förderung der Forschung
beteiligt. Es handelt sich naturgemäß um eine angewandte und eine sehr zweckgerichtete Forschung.
Voraussetzung für die Erreichung von erstrebten Zielen ist zunächst eine Grundlagenforschung auf einem sehr hohen Niveau. Dabei werden von der Forschung im Verteidigungsbereich nahezu alle wissenschaftlichen Fachgebiete angesprochen. Schwerpunkte sind naturgemäß 'die Kernphysik, die Elektronik, die Geophysik, die Luft- und -Raumfahrt und die Ballistik. Darüber hinaus werden in diesem Etat Spitzentechniken gefördert, die eine ungewöhnliche Ausstrahlungskraft und Folgewirkungen auf fast alle anderen industriellen Technologien haben.
Die technologische Zahlungsbilanz der Bundesrepublik stellt sich leider in den letzten zwei Jahren immer schlechter -dar. Wir müssen zur Zeit zweieinhalbmal soviel Patente und Lizenzen vom Ausland kaufen, als wir zu verkaufen noch in der Lage sind. Den Sitzungsdokumenten des Europäischen Parlaments ist zu entnehmen, daß Sachverständige berechnet -haben, daß im Jahre 1975 etwa 40 Prozent des Umsatzes amerikanischer Unternehrnen auf Erzeugnisse -entfallen würden, die es bis heute noch gar nicht gibt.
Mitglieder des Verteidigungsausschusses hatten in diesem Jahr Gelegenheit, in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien den Einsatz unserer Partner im Forschungsbereich kennenzulernen. Sie bekamen auch die Mittel dargestellt, die von diesen Ländern für Zwecke der Forschung aufgewendet werden. Bei uns ist zu beklagen — das steht .im Raum —, daß die wissenschaftliche Forschung infolge des förderativen Staatsaufbaus der Bundesrepublik aus zu vielen verschiedenen Töpfen gespeist wird.
Im Bundesverteidigungsministerium fehlt oder fehlte es zumindest bis vor kurzem an der koordinierenden Stelle. Erst in jüngster Zeit haben sich — ich würde es in Anführungszeichen setzten — neuartige Verhaltens- oder Verfahrensweisen dort durchgesetzt. Man fängt an, auch im Verteidigungsbereich, im Bereich der Forschung in der Entwicklung mittel- und langfristig zu planen.
Bei den Diskussionen im Verteidigungsausschuß war die Fraktion der SPD davon ausgegangen, daß eine Zuwachsrate im Forschungs- und Entwicklungstitel im Etat für 1968 nicht zu umgehen sein wird. Ich muß gestehen, daß die Kollegen aller Fraktionen uns bei den Bemühungen da , weitgehend unterstützt haben. Leider hat sich das Ministerium — das ist dem Haushaltsplan zu entnehmen — diesen unseren Vorstellungen nicht anschließen können. Während im Vorjahr für Entwicklung und Erprobung 815 Millionen DM bereitgestellt wurden — dazu kamen noch Verstärkungsmittel von 76 Millionen DM —, beabsichtigt das Verteidigungsministerium, 1968 mit nur 800 Millionen DM auszukommen.
Man hat z. B. — und das ist ein sehr wichtiger Punkt — 1967, also in diesem Jahr, erstmals Studienaufträge für Zukunftstechnologien in der Größenordnung von 40 Millionen DM vergeben. Die-
7170 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Richter
ser Betrag — und hier sollte man aufhorchen — ist für 1968 in den Planungskatalogen des Verteidigungshaushalts zumindest bisher noch nicht vorgesehen. Geplant waren im kommenden Jahr unter anderem koordinierte vorbereitende Untersuchungen auf dem Gebiet der Senkrechtstarttechnik, Strukturuntersuchungen für zukünftige Flugzeuge, Regelung, Steuerung und Instumentierung zukünftiger Fluggeräte, grundlegende Forschungssystemaufgaben zur Vorbereitung zukünftiger Fluggeräteentwicklungen und ergänzende Aufgaben der Luftfahrttechnik im Übergang zu den Zukunftstechnologien.
Als Mindestgeldansatz werden in den kommenden Jahren für diese Aufgabenstellung weiter 40 Millionen DM pro Jahr benötigt. Mit diesem Betrag kann ohnehin nur eine kleine, begrenzte Zahl sorgfältig ausgewählter Aufgaben abgedeckt werden. Ich werde als Berichterstatter bei den Beratungen im Verteidigungsausschuß dieses Feld ansprechen, und ich bin mir fast sicher, daß ich die weitere Unterstützung des Ausschusses hier finden werde.
Wir haben hier in diesem Hause vor knapp vier Wochen die Lage der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie diskutiert. Da dieser wichtige Zweig der deutschen Industrie zu 80 % vom Verteidigungsetat finanziell abhängig ist, möchte ich hier noch einige Ergebnisse der Debatte von damals ins Gedächtnis zurückrufen. Das Haushaltsvolumen der zuständigen Unterabteilung des Verteidigungsministeriums, die die Mittel für die Flugzeugindustrie bereitstellt, wird von rund 436 Millionen DM in diesem auf 360 Millionen DM im kommenden Jahr abfallen. Zu befürchten ist am Ende des Jahres 1968 ein Bild, das wir kennen, das wir am Beginn des letzten Haushaltsjahres ebenfalls hatten: eine große Bugwelle von Verpflichtungen, nicht abgeschlossenen Verträgen und Entwicklungslücken.
Bundeswirtschaftsminister Professor Karl Schiller hatte in der damaligen Debatte vor dreieinhalb Wochen herausgestellt, daß durch die Leistungen der deutschen Luftfahrtindustrie das politische Gewicht der Bundesrepublik als Partner im Verteidigungsbündnis gestärkt wurde, daß es zweitens in Zukunft leichter sein wird, eigene Vorstellungen und Forderungen bei der Ausstattung von Flugzeugen durchzusetzen, und daß drittens mit einer eigenen industriellen Kapazität auf luftfahrttechnischen Gebiet in der Bundesrepublik Betreuungsaufgaben bei der Wartung von Flugzeugen in Zukunft besser erfüllt werden können.
Bisher fehlte es auf dem Verteidigungssektor im Bereich der Flugzeugindustrie an einer militärischen europäischen Konzeption. Das Bundesverteidigungsministerium sollte sich im Sinne der Empfehlung der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 13. Juni dieses Jahres um diese europäische Zusammenarbeit recht dringlich bemühen.
In dieser Woche — möglicherweise heute — wurde in Paris auf der Grundlage eines zweiten Kershaw-Berichtes erneut über dieses Thema diskutiert, und eine weitere Empfehlung wird ohne Zweifel in der Richtung, die 'ich hier angedeutet habe, mit dem Ziel, eine europäische Zusammenarbeit anzustreben, heute oder morgen verabschiedet werden. Wir müssen uns bemühen, unseren Beitrag zu leisten, europäische Schwerpunkte zu definieren.
Wir brauchen in der Fliegerei — das hat Kollege Willi Berkhan heute morgen dargestellt — einfache, robuste Waffensysteme, die von Menschen geführt werden, die weitgehend unabhängig von komplizierten Bodeneinrichtungen sind.
Der Wert der Ersatzbeschaffung für die jetzigen 3500 Jagdflugzeuge und für die 2200 Jagdbomber in Westeuropa — diese Ersatzbeschaffung steht in den nächsten sechs bis zehn Jahren an — muß mit 50 Lilliarden DM veranschlagt werden. Das sollte eine große Herausforderung für die Ingenieure im Bundesgebiet und auch für die Werke sein.
Für den Bereich der Entwicklung und Forschung im Verteidigungshaushalt will ich abschließend noch ein paar Hinweise geben oder möglicherweise Mahnungen aussprechen:
1. Der Forschungs- und Entwicklungstitel muß in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden.
2. Auch in den Jahren von 1968 bis 1970 werden Studienaufträge für Zukunftstechnologien vergeben.
3. Der finanzielle Rahmen für die Durchführung geplanter Projekte muß von der Entwicklung bis zur Produktion durch die Regierung pauschal festgelegt werden, damit sich die Industrie in ausreichendem Maß anpassen kann.
4. Die europäische Zusammenarbeit ist im Forschungs- und Entwicklungsprozeß erforderlich, desgleichen eine europäische Konzeption in der Flugzeugindustrie.
5. Durch Zusammenlegen von Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions-, Betreuungs- und Verwaltungskapazitäten sind Rationalisierungen anzustreben.
6. Die Aufgaben im Entwicklungsbereich müssen genauer definiert werden. Dabei sollte man überprüfen, welche Bereiche möglicherweise aus dem Verteidigungshaushalt herausgenommen und anderen Ministerien zugeordnet werden können.
Meine letzte Bitte, Herr Minister Schröder: Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich in möglichst naher Zukunft mit Bundeswirtschaftsminister Schiller zusammensetzten, um mit ihm das, was uns hier drängt und einer Entscheidung zutreibt, kollegial abzusprechen.