Herr Scheel, wir müssen uns beide beugen!
Ich will aber eine Konzession an den Standpunkt der FDP machen, nicht aus Liebenswürdigkeit, sondern weil ich innerlich dazu neige; ich bin nicht ganz sicher, ob ich in diesem Punkte die ganze Bundesregierung auf meiner Seite habe. — Ich persönlch denke, Herr Scheel, daß der Anteil, den die Bundesrepublik Deutschland — genauer gesagt: unsere Luftwaffe — am „strike" hat, quantitativ herabgesetzt werden könnte und daß das übrigens auch
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aus finanziellen Gründen möglicherweise sinnvoll wäre. — Aber nun mogeln Sie bitte nicht noch eine Frage hinein! Ich möchte endlich zu einem anderen Thema kommen, Herr Scheel.
Mir liegt nämlich am Herzen — das geht sonst unter bei alle den vielen Fragen —, in dem Punkte, der sogenannten nuklearen Komponente — so wenig ich sie im Gesamtzusammenhang für wichtig halte —, für meine Fraktion die Zustimmung zu dem auszudrücken, was die Bundesregierung durch den Mund ihres Verteidigungsministers hier vorgetragen hat, in der Tendenz auch die Zustimmung zu vielerlei weiteren Punkten, zu denen Herr Schröder sich verständlicherweise, nachdem er eine NATO-Ratssitzung in der nächsten Woche vor sich hat und mitten im Konsultationsprozeß steht — wenn ich es richtig begreife: eigentlich erst am Anfang des Konsultationsprozesses steht —, nicht beziffert hat ausdrücken wollen und, wie ich denke, ausdrücken können. Aber in der Tendenz stimmen wir eben auch diesen Punkten zu, die mit den Stichworten Schiffbauprogramm oder abgestufte Präsenz oder Verschmelzung von TV und Heer angedeutet sind. Zu all diesen Punkten, wenn sie in der Debatte kontrovers werden sollten, wenn jemand dem Verteidigungsminister sollte widersprechen wollen, stehen in meiner Fraktion genügend Redner zur Verfügung, die fachlich besser vorgebildet sind, als ich es im Augenblick bin, um in diesen Punkten dem Verteidigungsminister secours, möglicherweise aber auch hier und da einen kleinen Diskont anzubieten. Im Augenblick kann ich das nicht übersehen. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich gut ist, hier im Plenum dieses Hauses Beratungen des Verteidigungsausschusses zu inszenieren. Das geht eigentlich mehr die Fachleute als das Plenum an.
Ich möchte gern eine, wie mir scheint, sehr bedeutende Distinktion unterstreichen, die der Verteidigungsminister in der Erklärung der Regierung vorgenommen hat. Wenn ich richtig verstanden habe, so hat er am Anfang deutlich unterschieden zwischen Sicherheitspolitik als einem Oberbegriff und Verteidigungspolitik im engeren Sinne als etwas, das der Gesamtsicherheitspolitik ein — oder, wenn man so will, untergeordnet ist. Uns Sozialdemokraten hat hier seit vielen Jahren am Herzen gelegen, deutlich zu machen, daß Verteidigungsanstrengungen und Bündnispolitik eben wirklich nur die eine Seite der Münze sind, auf deren anderen Seite Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle stehen.
Ohne daß ich das im Tone irgendeines Vorwurfs sagen will, möchten meine Freunde und ich der Regierung doch wünschen, auf der anderen Seite der Münze, wo die Bemühungen um die Rüstungsbegrenzung stehen, mehr zu tun, jedenfalls mehr zu tun, als bisher hat öffentlich sichtbar gemacht werden können. Die Regierung hat heute vor zwölf Monaten in ihrer ersten Regierungserklärung gesagt, sie wolle auf diesem Gebiete an internationalen Bemühungen mitarbeiten. Wir Sozialdemokraten haben damals gemeint, Mitarbeit wäre vielleicht noch nicht ganz genug, sondern die deutsche Regierung müßte auch eigene Vorschläge machen, was Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle angeht. Wir möchten das heute in aller Ruhe, Sorgfalt und Gelassenheit, aber doch sehr entschieden unterstreichen.
Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung sich in der gegenwärtigen Phase öffentlich sichtbar bemühen sollte. Wir sehen durchaus und wir wissen, daß die Bundesregierung z. B. im Rahmen der Harmel-Studien innerhalb der dafür geschaffenen Gremien der Allianz versucht hat, eine Reihe von Dingen voranzutreiben. Wir wissen, daß die Harmel-Studien erst nächste Woche im NATO-Rat überhaupt offiziell verabschiedet oder beschieden werden können. Wir möchten deshalb gegenwärtig die Regierung nicht bedrängen, sich hier öffentlich zu äußern, ehe sie darüber ihre Gespräche mit den Verbündeten beendet hat. Aber wir denken schon, daß die Bundesregierung danach, wenn das also geschehen sein wird, im nächsten Jahr, Anfang des nächsten Jahres für die deutsche Öffentlichkeit und auch für die Weltöffentlichkeit deutlicher als bisher werden lassen muß — ohne daß dann irgend jemand innerhalb des Bündnisses dadurch schockiert wird —, was unser Land auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung vorgeschlagen hat, was es anstrebt und was es weiterhin verfolgen möchte.
Unsere amerikanischen Bündnisgenossen werden uns sagen, daß gegenwärtig in der Sowjetunion dafür nicht sehr viel Verständnis und Sympathie herrsche; und ganz sicher ist daran etwas Richtiges. Solange der schreckliche Krieg in Vietnam andauert, sind alle Bemühungen um gegenseitig und gemeinsam in Ost und West verabredete Rüstungsbeschränkungen schwierig. Aber das muß ja nicht hindern, daß solche, die an den politischen und militärischen Verwicklungen, die in und um und im Zusammenhang mit Vietnam eine Rolle spielen, ganz und gar unbeteiligt sind, so wie wir Deutsche, gleichwohl ihre Vorschläge zur öffentlichen Diskussion stellen.
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang gern eine Frage anklingen lassen, die allerdings, wie ich zugebe, über das Jahr 1967 und über das Jahr 1968 und über das Jahr 1969 hinausreicht: die Frage, ob denn eigentlich jedermann hier unter uns ganz sicher sein kann, daß dieses Bündnis, dem wir angehören und auf das wir mit unserer Sicherheit — nicht nur mit der militärischen, sondern auch der politischen und z. B. auch der ökonomischen Sicherheit Berlins — uns so angewiesen wissen, so, wie es heute dasteht, auch 1970 oder 1971 noch dastehen wird.
Es gibt mindestens zwei sehr ernste Gründe zu sehr ernster Besorgnis. Ich nehme an, daß wir alle im Grunde diese Besorgnis teilen, und ich habe den Eindruck, es wird Zeit, daß darüber in diesem Hause einmal offen geredet werde: bei vollem Verständnis dafür, daß die Bundesregierung durch keinen ihrer Minister im Augenblick dazu Stellung nehmen kann.
Erstens. Es gibt in Amerika, in England, in Belgien und in anderen Ländern, mit denen wir verbündet
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sind, vielerlei Anzeichen dafür, daß selbst dann, wenn wir, die Bundesrepublik Deutschland, heute keine Ankündigungseffekte auslösen, keine Anlässe liefern, zwar nicht morgen, aber vielleicht doch übernächstes oder überübernächstes Jahr diese Länder ihre Truppen hier in Europa wesentlich verringern werden, ohne Rücksicht auf das, was bis dahin andere tun oder nicht tun, getan haben oder nicht getan haben, verabredet haben oder nicht verabredet haben; mit der Konsequenz, daß dann möglicherweise am Anfang des nächstens Jahrzehnts die deutsche Bundeswehr und die deutsche Verteidigungspolitik in eine Situation kommen können, die näher auszumalen ich mir hier versagen möchte, die jedenfalls in mancherlei Beziehung eine isolierte Position sein könnte.
Um es anders zu sagen: Das, was wir in manchen Ländern, mit denen wir verbündet sind, beobachten, ist ein Erosionsprozeß der Zusammenhangskraft des Bündnisses, der im Augenblick jedenfalls schneller fortschreitet als der gleichfalls zu beobachtende Parallelprozeß innerhalb des Warschauer Paktes. Das wird sicherlich durch die von Herrn Schröder mit Recht als problematisch erwähnten Abwehrraketensysteme — in den Zeitungen mit den drei Buchstaben ABM abgekürzt — nicht leichter, sondern schwieriger, und es wird sicherlich auch nicht leichter durch die phantastischen Quasi-Weltraumraketensysteme, die jetzt, von Moskau aus, erstmalig wie es scheint, militärisch eine Rolle zu spielen beginnen.
Der zweite Punkt, den man auch hier offen aussprechen muß: Mit Sorge muß einen die ganz eindeutig außenpolitisch gewollte Entwicklung der französischen Militärstrategie erfüllen. Wenn Sie lesen, was der Generalstabschef in Paris, der General Ailleret, am Ende der letzten Woche oder am Anfang dieser Woche — ganz sicherlich nicht ohne Billigung und Auftrag des französischen Regierungschefs — geschrieben hat, diese Ankündigung einer nuklearen, soll ich sagen: Rundumverteidigung, „in sämtliche Himmelsrichtungen", wie er wörtlich gesagt hat, dann ist doch völlig klar, daß die Franzosen nicht im Ernst denken, sie müßten sich gegen Washington nuklear verteidigen; aber es wird ebenso deutlich, daß dort offenbar nicht mehr der Wille ist, auch nur rudimentär eine gemeinsame militärische Strategie in diesem Bündnis zu planen.
Ich sage noch einmal: ich verstehe völlig, ich wünsche sogar, daß sich die Bundesregierung zu diesem Thema im Augenblick nicht äußert. Sie ist in einer schwierigen Lage; aber wir wollen doch weder uns Doch der deutschen Öffentlichkeit noch der französischen Öffentlichkeit vormachen, daß wir nicht sähen, was sich hier entwickelt, und daß wir es nicht mit ganz großer Besorgnis sähen.
Und das alles in einer Situation, wo nach wie vor und wohl auch 1970 oder 1971 französische Truppen auf bundesrepublikanischem Boden stehen und stehen werden, mit einer bestimmten Funktion, die
dann für jene Situation näher zu umschreiben ich mir im Augenblick auch versagen möchte.
Wir wissen, daß es Verabredungen zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung zu gemeinsamen strategischen Studien gibt. Wie ich höre, wird das von den beiderseitigen Außenministerien oder jedenfalls auf unserer Seite vorn Außenministerium betrieben. Ich finde es ganz gut, daß das unter außenpolitischen Aspekten betrieben wird; aber ich kann nur dringend wünschen — ich nehme beinahe an, im Namen des ganzen Hauses —, daß wir diese Gespräche jedenfalls ernst nehmen, daß wir versuchen, uns dabei einigermaßen Klarheit über das zu verschaffen, was in Paris wirklich im Gange ist und wohin es laufen soll.
In diesem Zusammenhang eine private Fußnote nur für mich, ein Lieblingsgedanke von mir, den ich hier seit Jahren wiederhole: Laßt uns gleichwohl versuchen, soweit unsere finanziellen Möglichkeiten und unsere technischen Notwendigkeiten bei der Rüstung reichen, das, was mit den Franzosen gemeinsam entwickelt und produziert werden könnte, auch zu realisieren, — es auf jeden Fall zu versuchen.
Mir aber scheint notwendig zu sein — und damit will ich meine Bemerkungen zu diesen zukünftigen Entwicklungen abschließen —, daß bei aller Vorsicht, mit der ich hier solche Fragestellungen nur andeute, gleichzeitig eben doch die Regierung gebeten werden muß — wahrscheinlich muß sie gar nicht gebeten werden, wahrscheinlich ist sie längst bei demselben Thema, wenn auch sehr zögernd und ungern an dieses Thema herangehend —, sich zu überlegen, was denn eigentlich 1969, 1970 und 1971, wenn sich die Lage so entwickeln sollte, das sicherheitspolitische Konzept für unser Land sein muß. Wenn man nicht will, daß es zu einer solchen Lage kommt, dann, meine ich noch einmal, muß man versuchen, jetzt, solange die Entspannungsepoche in Europa noch andauert, die Themata der Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle gleichzeitig und gleichgewichtig voranzutreiben.
Ich darf noch einmal aus dem sozialdemokratischen Achtpunktepapier vom vorigen November zitieren, das die beiden anderen Fraktionen des Hauses ja aus unseren damaligen Verhandlungen kennen. Wir haben damals gesagt:
Für die Sicherheit Europas bleibt ein Gleichgewicht zwischen Ost und West erforderlich. Die Bundesregierung muß in konsequenter Fortsetzung der Friedensnote vom 6. März 1966 Vorschläge für die Reduzierung der Streitkräfte in Ost und West auf der Basis von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit machen. Als Beginn eigener Vorschläge muß die Bundesregierung zum Einfrieren der Stärke der Bundeswehr auf dem augenblicklichen Stand bereit sein.
— Ich sagte, dies sei inzwischen geschehen. —
Zur Normalisierung unserer Beziehungen zu Osteuropa muß die Bundesregierung eine Initiative zur Weiterentwicklung internationaler Rüstungsbegrenzung und -kontrolle und zum
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Austausch von rechtlich bindenden Gewaltsverzichtserklärungen ergreifen.
Daß das Letztere auch im Gange ist und daß es darüber diplomatische Gespräche gibt, die ich hier nicht auszubreiten habe, ist dem Hause auch bewußt.
Wir Sozialdemokraten sind heute in diesem Punkte genau derselben Meinung wie damals vor zwölf Monaten, und es freut mich, daß ich in dem Zusammenhang positiv und, wie mir scheint, übereinstimmend den Bundeskanzler zitieren kann, nun allerdings nicht mit etwas, was er vor zwölf Monaten in seiner ersteh Regierungserklärung gesagt hat, sondern mit etwas, was er in einer Rede, die er aus Anlaß des 17. Juni in diesem Sommer hielt, sagte. Ich zitiere:
Die Bundesrepublik Deutschland kann ebenso wie ihre Verbündeten eine weitschauende Entspannungspolitik nur führen auf der Grundlage der eigenen Freiheit und Sicherheit. Die atlantischen und die europäischen Mitglieder des Bündnisses sind deshalb heute wie früher aufeinander angewiesen. Aber unsere Bündnisse, unsere Gemeinschaften haben keine aggressiven Ziele. Sie würden ihren Sinn verfehlen, wenn es ihnen zwar gelänge, in einer machtpolitisch kritischen Region eine lange Waffenruhe zu sichern, wenn aber zugleich die Spannungen akkumuliert und die schließliche Entladung um so verheerender sein würde. Deshalb müßte die Entwicklung folgerichtig zu einem Interessenausgleich zwischen den Bündnissen im Westen und im Osten und schließlich zu einer Zusammenarbeit führen — einer unentbehrlichen Zusammenarbeit, angesichts der Krisenherde in allen Regionen unserer Welt, der rapiden Veränderungen überall, die lebensgefährlich werden müssen, wenn sie wie ungebändigte Sturmflut alles und alle mit sich reißen.
Herr Kiesinger fuhr dann fort:
Angesichts dieser Veränderungen unserer Welt erscheinen viele alte Gegensätze und Frontstellungen heute schon sinnlos. Morgen könnten sie sich als selbstmörderisch erweisen; denn es zeichnen sich mögliche Konflikte ab, denen gegenüber sich unsere heutigen fast harmlos ausnehmen. Wir müssen hoffen, daß diese Einsicht zunehmend das politische Denken und Handeln im Osten und Westen beeinflussen wird.
Ich nehme an: Beim Osten und Westen ist man selber — das Weltkind in der Mitte — durchaus und bewußt mit eingeschlossen; Bonn ist mit leingeschlossen. — Und an anderer Stelle seines Vortrags heißt es:
Der Weg zu dieser europäischen Friedensordnung mag, ja wird lang und mühselig sein; vielleicht wird er uns auch nicht ans ersehnte Ziel führen. Diese Möglichkeit des Scheiterns können wir nicht ausschließen, aber es ist der einzige Weg, der uns die Chance des Erfolgs verspricht.
Ich möchte für meine Freunde sagen dürfen, daß
wir diesem Ihrem Gedanken, Herr Bundeskanzler,
gerade im Rahmen dieser sicherheitspolitischen Debatte ausdrücklich zuzustimmen wünschen, weil er die andere Seite des Sicherheitsthemas beleuchtet. Die eine Seite ist die aktive Verteidigungsfähigkeit, die Abschreckung und alles, was dazu gehört, und die andere Seite der Sicherheitsmedaille ist eben das Thema, das ich hier aus Ihrem Munde zitiert habe.
Ich möchte zum Abschluß kommen, meine Damen und Herren. Manches liegt einem auf der Zunge, was man gern sagen möchte, wird aber unter dem Eindruck der ablaufenden Uhr hintangestellt.
Was ich jetzt sage, Herr Damm, das muß ich nun noch sagen dürfen, und zwar aus dem technischen Grunde, von dem vorhin die Rede war, aber nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch deshalb, weil wir es für richtig und notwendig halten.
Eine Reihe von Abgeordneten der linken Seite des Hauses hat sich in den letzten Sommerferien Gedanken über alles das gemacht, was jetzt einen teilweisen Niederschlag in der Regierungserklärung von heute nachmittag gefunden hat, und wir sind dabei zu der Auffassung gekommen, für die gegenwärtige Situation unseres Landes sechs Grundsätze aufstellen zu sollen, nach denen wir meinen, daß unsere Verteidigungspolitik sich zu richten habe.
Das erste Prinzip ist das Prinzip des Gleichgewichts als wichtigster Leitlinie jeder Verteidigungs-und Entspannungspolitik. Unter diesem Gleichgewicht verstehen wir die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts aller innerhalb Europas wirksamen und von außen auf Europa wirkendem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte von Ost und West.
Zweitens. Wir glauben, daß unsere Entspannungspolitik verlangt, daß unsere Verteidigungsmaßnahmen, soweit das möglich .ist, dem Defensivprinzip entsprechen — in Stil und Schrift und Rede jedes Menschen, der mit Autorität zu diesen Themata spricht, habe er eine Uniform an oder habe er einen Zivilanzug an, spreche er als Minister oder spreche er als Abgeordneter, egal welcher der drei Fraktionen —, daß sie eine defensive Grundstruktur der Bundeswehr hinsichtlich ihres militärischen Aufbans, hinsichtlich ihrer Präsenzstärke, aber eben auch, liebe Freunde von der FDP, hinsichtlich der Mobilisierungskapazitäten verlangen; Defensivprinzip, soweit das möglich ist, auch hinsichtlich Ausrüstung unid Bewaffnung.
Ich will hier gleich sagen, daß man da keine Illusionen haben darf: auch eine Defensivarmee braucht Panzer, genau wie die schweizerische Armee und die 'schwedische Armee Panzer hat und gleichwohl niemand das für eine heimliche Angriffsvorbereitung hält. Auch eine Defensivarmee braucht Flugzeuge, die Bomben werfen können. Darüber sind wir uns sicherlich einig.
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— Sie muß mindestens taktisch zum Gegenangriff in der Lage sein.
Drittes Prinzip : das Prinzip der Bündniserhaltung, woraus sich für uns Deutsche im besonderen Maße die Notwendigkeit zur Bündnistreue ergibt.
Viertes Prinzip. Es gilt im wesentlichen für die Angehörigen der Bundeswehr. Im Verwaltungsrecht würde man es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel nennen. Aber den meine ich nicht, sondern sich meine, daß man dem Soldaten, ob klein oder groß, nur so viel an Auftrag zumuten kann, wie man ihm an Mitteln an die Hand gibt, und daß die Überforderung endlich aufhören muß.
Lassen Sie mich es das Prinzip eines angemessenen Verhältnisses zwischen politischem Auftrag und verfügbar gemachten militärischen Mitteln nennen. Dieses Prinzip ist in den letzten Jahren an mancher Stelle verletzt worden, und das wurde auf der Haut der jeweils 'beteiligten Soldaten ausgetragen.
Fünftes Prinzip. Dafür haben wir keinen deutschen Ausdruck gefunden, muß ich Ihnen bekennen.
Er hängt ein bißchen mit der Kontroverse zusammen, die Herr Scheel und ich vorhin hatten. Wir haben es mit einem englischen Ausdruck das Prinzig der „bargaining power" betitelt. Es ist ein bißchen schwierig. Strauß könnte das sicher sofort aus dem Handgelenk ins Deutsche übersetzen
oder ins Bayerische, wird mir zugerufen. Ich will versuchen, zu erklären, was wir damit meinen. Wir meinen damit, daß man nicht einseitig mögliche Verhandlungspfänder aus der Hand schenken darf, wenn die Hand sowieso nicht sonderlich voll ist.
— Ich rede hier im Augenblick von Sicherheitspolitik, Herr Schulze-Vorberg. In der Deutschlandpolitik mögen zum Teil 'die gleichen Prinzipien, möglicherweise aber andere und jedenfalls mehr Prinzipien noch eine Bedeutung haben als die, die hier auf das Sicherheitskonzept zugeschnitten sind.
Sechstes und letztes Prinzip. Ungeachtet der Notwendigkeit, die Allianz und die gemeinsame militärische Organisation der Allianz, genannt NATO, ungeachtet der Notwendigkeit, das beides zu erhalten, darf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf die Dauer nicht allein und nicht ausschließlich von der Funktionsfähigkeit der NATO abhängen können. Wir nennen dies das Prinzip des nationalen Sicherheitsinteresses. Damit ist gleichzeitig noch einmal auf den Vorblick zurückgegriffen, auf das Vorausschauen, was ich vorhin für Situationen angedeutet habe, die 'in drei oder vier Jahren kommen mögen. Vielleicht ist es gut, daß man auch das hier einmal so laut sagt, daß unsere Verbündeten — auch die in Paris — hören, zu welchen Konsequenzen sie uns möglicherweise eines Tages zwingen werden.
Wir verstehen unter diesem Gesichtspunkt, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland eine eigene politische Führungsfähigkeit und eine Fähigkeit für Crisis management, für Krisenmanagement, und — bei einer weiteren Erosion von Bündnis und NATO — die Fähigkeit entwickelt werden muß, in allen Situationen selbst handlungsfähig zu bleiben.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für diese ausdauernde Geduld. Ich möchte am Schluß in einem Punkte, der mir persönlich sehr am Herzen liegt, der Bundesregierung noch ausgesprochene Anerkennung sagen dürfen. Sie hat sich entschlossen, sich einem langjährigen Anliegen meiner Parteifreunde. das wir nicht aus eigenem Interesse, sondern sowohl aus dem Interesse der Soldaten als auch aus dem Interesse der öffentlichen Meinung heraus hier vertreten haben, endlich anzuschließen. Es wird also in Zukunft ein jährliches Verteidigungsweißbuch geben. Herzlichen Dank, Herr Schröder!