Gestatten Sie mir zu sagen, Herr Präsident, ,daß ich nicht die Absicht hatte, mit dem Präsidenten zu polemisieren, wie ich auch Ihre Zwischenbemerkung nicht als eine Polemik gegenüber dem Redner verstehen möchte.
Ich darf vielleicht auf eine Zwischenbemerkung von Herrn Genscher noch einmal zurückkommen, der, wenn ich es richtig verstehe, im Grunde von ähnlichen Gedanken bewegt schien, wie ich sie soeben anzudeuten versucht habe. Sosehr ich im Grunde in diesem Punkt mit ,der kritischen Einstellung auf seiten der FDP-Kollegen sympathisiere, wie ich schon sagte, muß ich doch auch bei der Gelegenheit — zumal ich inzwischen gehört habe, was am Montag im „Panorama" alles gesagt worden ist über die angebliche Benachteiligung der FDP in Parlamentsdebatten und was Herr Kollege Mende am Anfang dieser Debatte über die Beschneidung der Möglichkeiten der Opposition gesagt hat — noch einmal feststellen, ,daß Kollegen von der FDP in den letzten zwölf Monaten bei kontroversen Parlamentsdebatten im Grunde recht gut und jedenfalls besser behandelt worden sind als andere, die früher einmal in der gleichen Lage waren.
— Lieber Herr Scheel, 'ein kleines Beispiel: Herr Ollesch hat gerade als erster in der Debatte gesprochen. Es hätte nicht unbedingt so sein müssen, und es war auch nicht das erstemal. — Aber da Herr Scheel mir gerade eine Zwischenfrage stellen will,
— vielleicht wird sie überflüssig, wenn ich die Bemerkung noch vorher machen darf, lieber Herr Scheel: Ich persönlich habe —das wissen Sie auch — 'mehrfach angeboten, zu einem Gespräch zur Verfügung zu stehen — ich wiederhole das hier öffentlich —, das sich mit etwaigen parlamentarisch-technischen Problemeneiner zahlenmäßig geringen Opposition beschäftigen sollte. Ich habe mich angeboten. Ich stehe nach wie vor zur Verfügung. Ich bin ja auch im Wort, denn ich habe für 'die sozialdemokratische Fraktion heute vor einem Jahr hier von diesem Pult aus einiges zu dem Thema gesagt. Man muß dann aber auch mal angesprochen werden. Dieses dauernde Lamentieren vor Öffentlichkeit und Fernsehen gefällt mir jedenfalls nicht sonderlich. Man kann als Opposition nicht nur an der Klagemauer stehen wollen, meine Herren.
Sie haben heute etwa doppelt so viele Fragen wie die anderen beiden Fraktionen des Hauses zusammen vorgelegt, sehr sachliche Fragen, sachlich begründete Fragen. Und Sie hatten in der Debatte als erste ,das Wort zu den Antworten, die der Verteidigungsminister gegeben hat. Ich hatte das Gefühl, daß Sie hinsichtlich Ihrer 18 Fragen dem Verteidigungsminister eigentlich ein Wort des Dankes schulden für .die überaus große Sorgfalt, mit der er — mit Ausnahme zweier Punkte, wenn ich richtig kontrolliert habe — auf alle Ihre 18 Fragen eingegangen ist. Dabei hat er im übrigen das große interellektuelle Kunststück fertiggebracht, die insgesamt 28 oder 29 Fragen so zu beantworten, daß
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7151
Schmidt
sich daraus ein zusammenhängendes sicherheitspolitisches Konzept dieser Bundesregierung ablesen ließ. Ich möchte für meine Freunde sagen, daß ich das nicht nur als eine intellektuelle und darüber hinaus physische Leistung ansehe, sondern daß wir ausdrücklich unsere Anerkennung für 'diese Antwort auszusprechen wünschen.
Schon in den Begründungen der Großen Anfragen ist von mehr als einem Redner — und Herr 011esch hat eben in der Debatte über die Antwort noch einmal ähnliche Gedanken vorgetragen — gesagt und bemängelt worden, daß hier nun nicht eine vom Urgrund her neue Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen worden sei. Das ist sicherlich auch nicht geschehen. Ich stehe nicht an zu sagen: wenn es geschehen wäre, würde ich hier im Augenblick wahrscheinlich mit großen Bedenken stehen.
Ich sage das, weil ich mich gewundert habe. Mein Freund Berkhan hat mit Recht auf ein paar Bemerkungen abgehoben, genauer gesagt: auf eine Bemerkung, die irgendwann im Sommer im Bulletin der Bundesregierung zu lesen war und in der jemand gemeint hatte, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung komme es zu einer grundlegend neuen Verteidigungskonzeption. Ich meine, daß diese Bemerkung damals sowohl wegen der Umstände, aus denen heraus sie geschrieben wurde, als auch wegen des Inhalts eine deplacierte Bemerkung gewesen ist. Ich würde es ungerecht finden, wenn die Herren von der Opposition jetzt den Verteidigungsminister oder das Gesamtkabinett an dieser Bemerkung aufhängen wollten.
— Nein, ich meine „aufhängen" nicht bildlich. Das traue ich weder Herrn Ollesch noch Herrn Scheel zu; sie sind ja wirklich liebe Kollegen. Das würden sie nicht machen.
Ich darf für meine Freunde auf einen Punkt zurückkommen, der uns heute vor 12 Monaten am Herzen gelegen hat. Sie werden sich erinnern — die Kollegen von der FDP genauso wie die Kollegen von der CDU/CSU —, daß wir damals in sogenannten Sachgesprächen waren, jeder mit jedem, und Sie werden sich erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion eine geistige Grundlage sich erarbeitet und den beiderseitigen Gesprächspartnern für diese Sachgespräche auf den Tisch gelegt hatte, das sogenannte — in unseren Jargon heißt das so — „Acht-Punkte-Papier". Ich möchte daraus an einen Satz, an einen der Punkte erinnern, die wir — aus dem damaligen Erkenntnisstand heraus — an die Gesprächspartner der seinerzeitigen Erhard-MendeKoalition gerichtet haben, Wir waren nämlich der Meinung, daß die neue Bundesregierung, wer immer sie sein würde, die Stärke der Bundeswehr auf den damals erreichten zahlenmäßigen Stand einfrieren müsse. Das können Sie in diesem Papier nachlesen. Vielleicht ist es ganz gut, doch einmal zu sagen, daß das inzwischen geschehen ist. Das hat diese Bundesregierung nun tatsächlich getan.
Wir haben damals nicht verlangt, wie es heute aus dem Munde der FDP bisweilen zu klingen scheint, daß die Armee zahlenmäßig drastisch verringert würde. Wir haben nicht verlangt, daß eine Mobilisierungskapazität geschaffen würde, die in einem ernsten Fall so ähnlich wie im August 1914 riesenhafte Zahlen mobilisieren und zu den Fahnen rufen würde. Das an Ihrer Argumentation, meine Herren, müssen Sie sich hinsichtlich der außenpolitischen, genauer gesagt: ostpolitischen Wirkung noch einmal sehr genau durchdenken,
ob das wirklich klug ist, ob Sie diesen Teil Ihrer Argumente wirklich auch außenpolitisch 'schon zu Ende gedacht haben. Da habe ich große Zweifel, daß Sie das wirklich so meinen können.
— Ich habe Zweifel, daß sie es so meinen können. Ich glaube, das ist noch nicht zu Ende elaboriert worden.
Wir haben damals auch nicht verlangt, es müßten diese oder jene Waffen abgeschafft werden. Wir haben auch nicht ein vollständig neues Konzept verlangt. Wir glauben, daß das richtig war. Wir glauben, daß die gegenwärtige außenpolitische Situation — und da greife ich eine kleine Kontroverse auf, in die Herr Ollesch eben verwickelt gewesen ist — sowohl vis-à-vis Osten als auch vis-à-vis Westen, im Verhältnis zu unseren Partnern innerhalb des Westbündnisses, nicht so beschaffen ist, daß wir uns im Augenblick auf eine zahlenmäßig wesentlich zu Buch schlagende Verringerung des Umfangs der Bundeswehr einlassen könnten, so sehr ich weiß und zu schätzen weiß, daß es einige ernst zu nehmende und ernst genommene Generale gibt, die aus Gründen der Qualität bei Aufrechterhaltung des Etats, den sie insgesamt verbrauchen möchten, die Quantität verringern wollen; genauer gesagt: zur Verbesserung der Qualität. Ich habe dafür Verstamdnis.
Aber man muß doch auf der anderen Seite sowohl dem Bundeskanzler als auch dem Außenminister als auch dem Verteidigungsminister zuhören, wenn diese Herren — wie ich denke, mit gutem Grund — dartun, daß eine Ankündigung zahlenmäßig zu Buch schlagender Verringerungen der Bundeswehr hier in Bonn, in diesem Hause, in sehr kurzer Zeit — jemand von Ihnen hier aus der Mitte des Hauses hat es in einem Zwischenruf Herrn Ollesch gegenüber schon deutlich gemacht; Herr Lenze ist es gewesen — zu Reaktionen, zu Konsequenzen in Washington, in London, in Brüssel und an anderer Stelle, führen würde.
Im übrigen ist gar nicht ausgemacht, daß der positive Effekt in Richtung Osten, den Sie sich davon vorstellen, meine Herren von der FDP, eintritt. Wenn er aber nicht eintritt, was würden Sie eigent-
7152 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Schmidt
lieh hinterher noch haben, um überhaupt Effekte erzielen zu können?
Wenn man ernsthaft Entspannungspolitik treiben will — und das ist nicht eine Sache von 14 Tagen oder von drei Monaten oder von einem Jahr oder von drei Jahren —, wenn man das ernsthaft will und weiß, daß das eine auf lange Sicht, Schritt für Schritt angelegte Operation ist, dann kann man nicht vorzeitig, ohne durch die Macht der Verhältnisse dazu gezwungen zu sein, die westliche Seite dieses bipolaren europäischen Systems bewußt und absichtlich einseitig zahlenmäßig verringern in der Hoffnung, daß die östliche vielleicht auch von ihrem hohen Rüstungsniveau heruntersteigt. Wenn Sie es dann nicht tut, was eigentlich dann? Was haben Sie dann noch in der Hand?
Weil das so ist und weil das von jedermann, nicht nur von uns Deutschen, so gesehen werden muß, deswegen, glaube ich, würden wir, die Deutschen, uns in eine besonders schlechte Lage bringen. Wir sind ja, was unsere Sicherheit angeht, von diesem Bündnis hier in Europa mehr abhängig als viele andere europäische Bündnispartner.
Wir würden uns, glaube ich, in eine schlechte Lage bringen, wenn wir durch das, was wir sagen und was wir hier beschließen, die Verursacher, vielleicht sogar nur die Entschuldigungsgründe, jedenfalls aber die Prügelknaben dafür abgeben wollten, daß andere aus vielerlei Gründen, die mit dem schrecklichen Krieg in Vietnam zusammenhängen, die mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten zusammenhängen, die mit außenpolitischen Situationen in diesem oder jenem Land zusammenhängen, möglicherweise nur allzu gern Tendenzen nachgäben, die in ihren Ländern innenpolitisch weiß Gott nicht gerade gering sind.
Ich meine, diese Regierung darf auf keinen Fall in Kauf nehmen, daß sie ihrerseits ohne zwingenden Grund psychologische Effekte in die Welt setzt, die — um einen modernen Ausdruck aus der wirtschaftspolitischen Debatte aufzugreifen — dann in anderen Ländern sogenannte Ankündigungseffekte erzielen, die letztlich
— eben keine Symmetrie! — zu einem asymmetrischen Abbau des gegenwärtigen Gleichgewichts in Europa führen könnte.
In dem Zusammenhang ein Wort über die nukleare Komponente, von der nach meinem Gefühl sowohl in den Fragen, die die FDP gestellt hat, als auch infolgedessen in den Antworten, die der Verteidigungsminister geben mußte, dem Umfange nach ein bißchen zu viel die Rede gewesen ist. Dieses dauernde Gerede, so meine ich, tut uns nicht unbedingt gut. Aber wenn es schon sein muß und wenn dazu gesprochen wurde, kann man auch erwarten, daß darauf geantwortet wird.
Ich möchte in einem Punkt für meine Freunde hier ausdrücklich unterstreichen, was Herr Schröder gesagt hat: Solange die Armee Polens, solange die Armee der Tschechoslowakei, solange die Volksarmee der DDR über nukleare Trägerwaffen verfügen, genauso wie hier die Bundeswehr, ohne daß sie über die nuklearen Sprengköpfe verfügen können, genauso wenig wie wir es können, und genauso wenig, wie wir es wollen, — solange das in Polen, in der CSSR, in der DDR und bei uns so ist, solange kann .es nicht in Betracht kommen, daß die Bundesrepublik Deutschland, ohne daß sich andere gleichgewichtig und gleichwertig verabreden, es auch zu tun, einseitig etwas vorleistet, wo wir keine Hoffnung und keine Sicherheit haben, daß andere nachleisten.