Bei einer Begründung ist das durchaus gerechtfertigt; genehmigt!
Schultz (FDP) : Danke sehr!
Wir hatten, meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits zweimal in diesem Jahr Gelegenheit, uns über die Vorstellungen der Freien Demokraten zur Verteidigungs- und auch zur Außenpolitik zu äußern, und zwar zum erstenmal Ende April, als es darum ging, eine gewisse Abklärung des Standpunkts zu dem Atomwaffensperrvertrag festzulegen, und zum zweitenmal im Juni bei der Haushaltsberatung. Beide Male wurde uns bedeutet, es sei vielleicht zwar ganz nett und interessant, daß wir jetzt bei diesen beiden Gelegenheiten über Verteidigungspolitik sprächen, aber selbstverständlich könne all das, was wir da ansprächen, erst dann erörtert werden, wenn man zur großen verteidigungspolitischen Debatte komme, die noch in diesem Jahr vor uns stehe.
Wir haben bei diesen Gelegenheiten die Regierung des öfteren gefragt, in welcher Weise sie unsere Verteidigungsanstrengungen zu organisieren gedenke, um ein größtmögliches Maß an Sicherheit bei erträglichen Preisen zu erreichen. Dabei gingen wir außerdem davon aus, daß unsere Verteidigungspolitik kein Hindernis für eine Verbesserung unserer Beziehungen zum Ausland — insbesondere zu den osteuropäischen Staaten — sein darf.
Eine Reihe von dem, was ich nun vortragen werde, haben Sie in der Form des Anstoßes an die Regierung, eine Überprüfung vorzunehmen, schon von Herrn Kollegen Berkhan gehört. Ich möchte fast sagen, ich fühlte mich in frühere Zeiten zurückversetzt; denn ich hatte ein wenig den Eindruck von „Opposition in der Koalition". Aber das ist sehr nütztlich und sehr gut. Das, was hier nur angetippt wurde, klar und unmißverständlich in Forderungen zu kleiden, ist, wie ich glaube, Aufgabe der Opposition.
Wir haben zum Beispiel mehrfach darauf hingewiesen — das ist allerdings ein Punkt, der hier bisher noch nicht behandelt worden ist —, daß durch die Absage Frankreichs an die integrierte NATO, durch das Bekenntnis der NATO-Ministerkonferenz zum Prinzip der flexiblen Antwort und durch die veränderte Waffentechnik eine Situation entstanden ist, die es strikt verbietet, unsere Verteidigungsanstrengungen auf die gleiche Weise weiterzuführen wie bisher. Sie wissen alle, daß der Aufbau der Bundeswehr seinerzeit unter dem Konzept der massiven Abschreckung vorgenommen und auch laufend durchgeführt wurde — ich möchte sagen: bis in den heutigen Tag hinein. Dabei war unserer Auffassung nach spätestens 1963 zu erkennen, daß das, was heute als flexible response — oder als bewegliche Reaktion — bezeichnet wird, einmal zur übereinstimmenden Doktrin der NATO-Partnerstaaten werden würde. Wir hätten natürlich gewünscht, daß man sich auf diese Entwicklung früher eingestellt hätte.
Es ist uns nämlich bisher leider nicht gelungen, die Regierung zu konkreten Aussagen über das zu bewegen, was sie eigentlich vorhat oder was sie vorgehabt hätte. Statt dessen wird aus dem Verteidigungsministerium heraus eine zum Teil widersprüchliche Informationspolitik betrieben, die zu Gerüchten seltsamster Art geführt hat. Ich erinnere nur an die gezielten Indiskretionen über die Folgen, die sich angeblich aus der Reduzierung der finanziellen Zielvorstellung des Verteidigungsministers für die Präsenzstärke der Bundeswehr ergeben sollten. Ich möchte darauf verzichten, jetzt noch einmal dieses Trauerspiel vom Sommer vor Ihnen auszubreiten. Es bleibt aber jedenfalls das Faktum zu konstatieren, daß durch Indiskretion und Pressemitteilungen handfeste Politik gemacht wurde,
wähnend weder das Parlament als Ganzes noch der Verteidigungsausschuß in nennenswertem Umfang herangezogen wurde, um gemeinsam eine realistische, moderne Verteidigungspolitik für die Bundesrepublik zu erarbeiten. Man spricht oft davon, daß Politik langweilig würde, wenn sie gemeinsam
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würde, daß Politik und auch die Demokratie nur von dem Gegensatz lebten. Ich meine aber, daß gerade auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik und auf dem Gebiet der Außenpolitik ein möglichst großes Maß an Übereinstimmung herbeigeführt werden sollte.
Um der Bundesregierung eine gewisse Denkhilfe zu geben und um gleichzeitig der deutschen Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich selbst ein Bild über die verwickelten Probleme der Verteidigungspolitik zu machen, haben die Freien Demokraten bereits im Juli die Große Anfrage eingebracht, die ich leider erst heute begründen kann. Mein Kollege Dorn hat schon das ausgesprochen, was auch der Kollege Berkhan gesagt hat: wir freuen uns, daß der Minister heute wieder unter uns ist. Ich habe auch gehört, daß der Herr Minister schon sehr viel früher diese Anfragen hätte beantworten wollen. Aber vielleicht ist es so, daß die Rekonvaleszenz der Regierung ganz zupaß kam, um ihre unterschiedlichen Zielvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen, soweit dies übberhaupt möglich ist.
Unsere Anfrage unterscheidet sich in ihrem Umfang erheblich von den Anfragen der beiden anderen Fraktionen, obwohl die gleichen Fragestellungen wiederkehren. Aber wir glauben, daß es, um eine wirkliche Klärung der Probleme zu erreichen und diese Probleme auch öffentlich zu klären, notwendig ist, so präzis, so genau und so detailliert wie möglich zu fragen. Wir können dabei nur hoffen, daß sich die Bundesregierung zu ebenso klaren wie präzisen Antworten herbeiläßt.
Wir bitten jetzt schon darum, nicht mit dem Argument zu kommen, daß zwingende Geheimhaltungserfordernisse einer exakten Beantwortung unserer Fragen entgegenstünden. Das mag für drei Fragen in diesem Bereich zutreffen; aber die anderen sind sicher ganz frei und offen zu beantworten. Wir meinen, daß der deutsche Steuerzahler einen Anspruch darauf hat, zu wissen, wieviel Milliarden des Verteidigungsetats ihm tatsächlich Jahr für Jahr ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren. Übertriebene Geheimniskrämerei erweckt nur den Verdacht, als wolle man eine mangelhafte Politik vor dien Augen der Öffentlichkeit verbergen. Der Steuerzahler hat auch Anspruch darauf, zu erfahren, ob es nicht Wege zum Ziel der Sicherheit gibt, die sich billiger bahnen lassen, ohne deshalb in der Qualität des Straßenbelags schlechter zu sein.
Aus dieser Erkenntnis ist die Frage 1 unserer Großen Anfrage hervorgegangen. Am 6. Juli dieses Jahres hat die Bundesregierung im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung ein neues Verteidigungskonzept angekündigt. Wir Freien Demokraten erwarten, daß dieses Konzept dem Parlament als Ganzes unterbreitet wird. Deswegen haben wir die Frage, ob sie das tun will, an den Anfang gestellt. Wir meinen, daß dieses Konzept dann auch nach allen Richtungen abgesucht werden muß und daß dabei nicht nur die militärische und finanzielle Seite der Angelegenheit, sondern insbesondere auch die außenpolitischen Folgen jeder Verteidigungspolitik und somit auch unserer Verteidigungspolitik zu prüfen sind.
Von besonderer Wichtigkeit und von besonderem Interesse ist natürlich die Frage nach der Höhe der Präsenzstärke der Bundeswehr. Wir haben zwar etwas von der abgestuften Präsenz gehört, und wir haben auf der anderen Seite wieder gehört, daß sich die Stärke nicht verändern soll. Ich glaube aber, es ist notwendig, daß man hier Klarheit schafft. Wir alle wissen und haben es miterlebt, welcher außenpolitische Schaden der Bundesregierung bei den Verbündeten durch die unterschiedlichen Meinungsäußerungen aus dem Verteidigungsministerium und aus dem Bundeskanzleramt entstanden ist. Die Bundesregierung muß unserer Auffassung nach jetzt klipp und klar sagen, ob sie die Präsenzstärke der Bundeswehr überhaupt verkürzen will und, wenn ja, in welchem Umfang. Das Rätselraten über die Frage, ob nur 15 000, 19 000, 30 000 oder gar 60 000 Mann oder überhaupt niemand weniger vorhanden sein werden als in der Vergangenheit, muß aufhören. Es handelt sich bei der Personalstärke der Bundeswehr um eine Zahl von hoher politischer Bedeutung. Das ist oft genug gesagt worden und oft genug auch in Artikeln und Meinungsäußerungen dargestellt worden. Hier ist, wie wir 'meinen, die Unklarheit schlimmer ,als jede Entscheidung, wie auch immer sie aussehen mag.
Es ist ganz sicher, daß eine langfristige Verminderung der Personalstärke gegenüber den Verbündeten begründet werden müßte. Wir sind aber sogar der Meinung, daß sie begründet werden kann, besonders wenn man die Aktivierung des Reservistenpotentials — von dem man auch gehört hat — ins Spielbringt. Es ist nach unserer Auffassung bei der Erörterung dieser Fragen absolut nicht notwendig, daß damit eine zweite Rotationswelle der alliierten Truppen eingeläutet wird. Mir scheint, daß, wenn man über diese Probleme offen und ehrlich auch mit den Verbündeten spricht, sie dann in gegenseitigem Einvernehmen und in vernünftiger Weise gelöst werden können. Wir haben aber sehr viel mehr den Eindruck, daß die Bundesregierung jeder Entscheidung ausweichen will bzw. eben noch nicht in sich den kleinsten Nenner einer gemeinsamen Entscheidung gefunden hat. Ich glaube, sie muß dieser Entscheidung auch ausweichen — insofern habe ich Verständnis dafür —, weil sie eben kein mittelfristiges Verteidigungskonzept besitzt. Sie befindet sich außerdem in finanzieller Beengtheit, weil sie auf das Potential an atomaren Trägerwaffen nicht verzichten will.
In den Fragen 2, 3 und 4 beschäftigen wir uns mit dem Zusammenhang zwischen der Verteidigungspolitik und der Außenpolitik. Denn wir sind uns wohl alle darüber einig, daß die Verteidigungspolitik ein Teil der Außenpolitik ist, und zwar ein sehr wichtiger und sehr bedeutender Teil. Das gilt, wie wir glauben, nicht nur in bezug auf unsere westlichen Partner, sondern auch und vielleicht gerade in unserem Verhältnis zu Osteuropa. Nirgendwo werden unsere Verteidigungsanstrengungen so aufmerksam verfolgt wie dort. Die Bundesregierung wollte im Laufe des vergangenen Jahres eine angeblich neue Ostpolitik einleiten, die auf
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Frieden und Verständigung mit unseren osteuropäischen Nachbarn ausgerichtet sein sollte. Eine solche Politik ist in ihrer Ernsthaftigkeit durch nichts so leicht zu torpedieren wie durch eine Verteidigungspolitik, die man als aggressiv deuten könnte.
Die Ausstattung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen erweist sich zunehmend als ein Hemmnis bei unseren Bemühungen um Verständigung. Kritische Beobachter folgern, daß es der Bundesrepublik immer noch darum gehe, ein Stückchen Besitz oder Mitbesitz an Atomwaffen zu ergattern. Selbst alle Beteuerungen — die, wie ich glaube, keine Beteuerungen im schlechten Sinne, sondern ernsthafte Feststellungen sind —, daß sie einen solchen Besitz oder Mitbesitz nicht anstrebe, sind wertlos, solange die Ausstattung der Bundeswehr eben vorhanden ist. Jedem kritischen Beobachter unserer Politik im Ostblock drängt sich die Überlegung auf, daß die Bundesrepublik zwar über keine atomaren Sprengsätze verfügt, aber offenbar immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben hat, in ihren Besitz zu gelangen. Anders, so sagt man, seien die kostspieligen Ausgaben für eben diesen Teil der Rüstung auf sinnvolle Weise nicht zu erklären.
Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten mehrfach dargelegt, daß die Ausstattung der Bundeswehr mit Trägerwaffen ohne die dazugehörigen atomaren Sprengsätze militärisch sinnlos ist und uns wegen der außergewöhnlichen Kosten nur daran hindert, eine schlagkräftige konventionelle Rüstung aufzubauen. Ich habe im übrigen weiterhin keinen Zweifel daran gelassen, daß wir Atomwaffen auch zu Verteidigungszwecken selbst dann nicht in Mitteleuropa einsetzen können, wenn sie uns von den Amerikanern freigegeben werden. Die Folgen für unsere eigene Bevölkerung wären zu verheerend, zumal es sicher nicht bei einem selektiven Einsatz bleiben kann, sondern dieser Einsatz sich durch Eskalation in einen atomaren Weltkrieg auswächst.
Diese Gedanken finden ihre Bestätigung auch dadurch, daß- sich jetzt die NATO-Verteidigungsministerkonferenz zum Prinzip der flexiblen Antwort bekannt hat. Allerdings ist die Auslegung dieses Begriffs sehr verschieden. Der Herr Verteidigungsminister hat vor einigen Monaten erklärt, flexible Antwort bedeute seiner Ansicht nach immer noch, daß man auf starke konventionelle Angriffe auch mit atomaren Mitteln antworten könne oder sogar müsse; nur wenn diese Möglichkeit bestehe, gehe davon eine ausreichende abschreckende Wirkung aus.
Ich bin der Meinung, daß sich die Bundesregierung mit dieser Auffassung nicht in Übereinstimmung mit dem Sinn der Beschlüsse der NATO-Verteidigungsministerkonferenz vom Mai dieses Jahres befindet. Die von der Regierung erhoffte abschreckende Wirkung, auch unkalkulierbares Risiko genannt, kann nicht eintreten, weil der potentielle Gegner genausogut wie wir weiß, daß unsere Verbündeten gar nicht daran denken, bei einem Angriff konventioneller Art einen Einsatz von Atomwaffen zur Verteidigung zu gestatten. Die Entwicklung der Kriege in Korea und Vietnam beweist das mehr als deutlich. Eine abschreckende Wirkung geht nur von einer Verteidigungskonzeption aus, die so gehalten ist, daß auf konventionelle Angriffe konventionell geantwortet werden kann. Nur eine solche Verteidigungspolitik gewährt der deutschen Bevölkerung eine größtmögliche Sicherheit, nur sie, so glauben wir, unterstützt auch unsere Friedens-und Verständigungsbemühungen gegenüber Osteuropa, und nur sie befindet sich in Übereinstimmung mit den soeben genannten Entschließungen.
Es wäre falsch, wenn man aus dem, was ich soeben gesagt habe, nun schließen wollte, daß eine solche andere, nach unserer Auffassung konzipierte Politik einen Verzicht auf atomare Abschreckung bedeuten würde. Sie berücksichtigt lediglich die unbestreitbare Tatsache, daß mit atomaren Mitteln nur der abschrecken kann, der auch über solche zum atomaren Gegenschlag in eigener Entscheidungsfreiheit verfügt. Das sind nun einmal im NATO-Bündnis die Vereinigten Staaten. Da wir an diesem Bündnis festhalten wollen und müssen, bis ein gleichmäßiger Abbau beider Militärblöcke erreicht wird oder ein anderes Sicherheitssystem vorhanden ist, ist unsere Sicherheit im atomaren Bereich durch das Potential der Amerikaner nach menschlichem Ermessen gewährleistet, und es wird sich auch an der Abhängigkeit in diesem Bereich von unserem stärksten Partner innerhalb der NATO nichts ändern.
Es spricht, so glaube ich, alles dafür, insbesondere wenn man wiederum die Entwicklung auf den leider zahlreichen Kriegsschauplätzen auf der Erde seit 1945 betrachtet, daß die Vereinigten Staaten auf den Einsatz von Atomwaffen auch kleiner Kaliber so lange verzichten werden, solange auch der Gegner von einem Einsatz dieser Waffen absieht. Umgekehrt gilt wohl für die Sowjetunion das gleiche. Die beiden Atomgiganten gemeinsame Furcht vor einer Eskalation, die sie bis ins Mark treffen würde, ist der Kern des atomaren Patt. Diese Furcht veranlaßt beide Staaten, dafür zu sorgen, daß Atomwaffen auf möglichst wenige Länder beschränkt bleiben.
Diese Furcht allein ist allerdings noch nicht geeignet, jeden Krieg zu verhindern und ihn unmöglich zu machen. Deswegen meinen wir, daß man, wenn man über diese Dinge nachdenkt, dann auch über die möglichen Konflikte nachdenken und sich dabei über das mögliche Kriegsbild klarwerden muß. Deswegen haben wir in Punkt 5 unserer Großen Anfrage die Frage gestellt:
Welches Kriegsbild hält die Bundesregierung
unter den möglichen für das wahrscheinlichste?
Mir scheint, daß man zwar ein Kriegsbild kennt, das man für wahrscheinlich hält, daß man aber daneben auch die unwahrscheinlichen Kriegsbilder abdecken will und daß das letzten Endes dazu führt, daß man der Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann. Ich erinnere mich an den Ausspruch von Friedrich dem Großen, der einmal gesagt hat: „Wer alles defendieren will, defendieret nichts." Wenn die Bundesregierung, wie man manchmal den Ein-
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druck hat, glaubt, befürchten zu müssen, daß der potentielle Gegner die Bundesrepublik plötzlich mit Atomwaffen überfallen könnte, dann wären, so könnte man sagen, vermutlich alle bisher unternommenen Verteidigungsanstrengungen ohne Sinn gewesen. Denn dann würde sofort der Kampf der Giganten gegeneinander beginnen, und wir wären nur mehr reines Objekt. Wir meinen aber, daß ein solches Kriegsbild zur Zeit das unwahrscheinlichste ist.
Für ähnlich unwahrscheinlich halten wir auch einen Versuch der Sowjets, mit geballter konventioneller Kraft und vielen Panzerdivisionen plötzlich bis zum Atlantik durchzustoßen; denn auch ein solcher Versuch, so glauben wir, würde dazu führen, daß wir den dritten großen Weltkrieg hätten.
Wir glauben sehr viel mehr, daß auch in Mitteleuropa begrenzte Konflikte, wenn sie auch sehr unwahrscheinlich sind, nicht völlig auszuschließen sind. Sie können das Ziel haben, dem potentiellen Gegner Faustpfänder zu verschaffen, sie können auch nur allgemein als militärisches Druckmittel und Demonstration der Stärke gedacht sein. In beiden Fällen, so glauben wird, muß die Bundeswehr im Rahmen der NATO in der Lage sein, erfolgreich Widerstand zu leisten und die Unversehrtheit des Territoriums wiederherzustellen. Nur glauben wir, es muß auch für den Gegner erkennbar sein, daß wir dazu fähig und in der Lage sind. Nur dann wird von unserer Verteidigungskonzeption eine abschreckende Wirkung ausgehen. Nicht die unlängst noch von verschiedenen CDU-Kollegen beschworene angebliche Ungewißheit des Gegners, ob und wann wir Atomwaffen zu unserer Verteidigung einsetzen werden, wirkt abschreckend, vielmehr schreckt der Gegner nur dann vor dem Versuch zurück, seine politischen Ziele mit militärischen Mitteln durchzusetzen, wenn wir, die Bundesrepublik, eine Wehrausgestaltung haben, die wir im Ernstfall auch praktizieren können ohne Angst, mit anderen zusammen dann Selbstmord begehen zu müssen. Deswegen wollten wir zu diesem Problem auch eine Antwort der Bundesregierung haben und haben in Frage 6 gefragt:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der mögliche Gegner nur dann vor der Durchsetzung politischer Ziele mit militärischen Mitteln zurückschreckt, wenn unsere eigene Verteidigungskonzeption erkennbar im Ernstfall durchzusetzen ist?
Wir glauben zu wissen, daß die Vereinigten Staaten auch bei einem überlegenen konventionellen Angriff aus dem Osten nicht daran denken, den Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen freizugeben, und wir glauben, daß aus dieser Erkenntnis Schlußfolgerungen gezogen werden müssen. Deswegen meinen wir, daß die konventionelle Rüstung, die nichtatomare Rüstung, durch Umorganisation der Bundeswehr und verschiedene andere Maßnahmen so verbessert werden muß, daß ein Angriff für den Gegner auch im Hinblick auf unsere konventionelle Abwehrkraft zu riskant ist. Nach dieser Umorganisation und danach, welche Maßnahmen notwendig sind, um das zu erreichen, fragen wir in unseren
Fragen 7 und 8. Wir fragen danach, ob nach der NATO-Doktrin das Prinzip der flexiblen Antwort die Möglichkeit einschließt, taktische atomare Kampfmittel schon bei einem als überlegen bezeichneten konventionellen Angriff einzusetzen. Und wir fragen weiter:
Welche Folgerungen sind, wenn Frage 7 verneint wird, für Rüstung, Forschung, Entwicklung, Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr zu ziehen?
Wir glauben, daß hier noch manches zu tun ist und daß hier eine detaillierte Antwort nützlich und nötig wäre.
Im Zusammenhang mit dieser Frage der Ausrüstung und der Bewaffnung fragen wir dann in den Fragen 9 und 10:
Ist die derzeitige konventionelle Bewaffnung der Bundeswehr ausreichend, Angriffe von gepanzerten Verbänden abzuwehren?
Sind atomare Waffen taktischer und strategischer Art geeignet, Angriffe gepanzerter Verbände größeren Umfangs abzuwehren?
Denn wir glauben, daß, wenn überhaupt ein solches Unternehmen in die Betrachtung einbezogen wird, natürlich ein Angreifer gepanzerte Verbände einsetzen wird. Mir scheint, daß sich die Bundesregierung hier eben doch immer noch im unklaren ist, wie solche Angriffe abgewendet werden können, zum Einsturz gebracht werden können.
Ich darf mich hier vielleicht noch einmal auf den Kollegen Schmidt berufen, der auch in der Neuauflage seines Buches „Verteidigung oder Vergeltung" vom Jahre 1965 überzeugend dargelegt hat, daß ein Einsatz von Atomwaffen auch taktischer Art kein besonders geeignetes Mittel ist, um Panzer zu bekämpfen. Ich fürchte allerdings, daß er sich zu einer nächsten unveränderten Neuauflage nicht wird entschließen können, da er ja seit der Zugehörigkeit der SPD zur Regierung die von ihm früher mit überzeugenden Argumenten bekämpfte Auffassung vertritt, die nukleare Komponente sei für die Bundeswehr nötig. Wie dem auch sei, da die Bundeswehr im Ernstfall nicht über Sprengkörper atomarer Art zur Bekämpfung von Panzern verfügen wird, ist es interessant zu wissen, wie sich die Regierung eine konventionelle Abwehr vorstellt. Es dürfte unbestritten sein, daß gepanzerte Verbände nach wie vor zur Abwehr von Panzerangriffen gut geeignet sind. Wir erinnern uns an das Manöver, das kürzlich in der norddeutschen Tiefebene stattgefunden hat. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, daß eine ganze Anzahl von militärischen Fachleuten darauf verweist, daß Panzer nicht das allein seligmachende Mittel sind. Wir meinen, daß den traditionellen Panzerbekämpfungsmitteln mit Kanonen und mit Kanonenjagdpanzern noch eine sehr viel stärkere Bedeutung zukommt, als das heute vielfach bei den verantwortlichen Stellen gesehen wird, und daß insbesondere auch den traditionellen Infanterieverbänden ein ebensolcher Wert beizumessen ist. Dieser Gesichtspunkt sollte deswegen nicht vernachlässigt werden, weil Infanterieeinheiten oder Grenadiereinheiten — wie man heute sagen würde — billiger als gepan-
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zerte Verbände aufzustellen und zu unterhalten sind und natürlich auch ein weniger hohes Maß an technischem Können beanspruchen.
Ich darf darauf verweisen, daß es für alle diejenigen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, nützlich wäre, einmal die Schrift „Infanterie im Atomzeitalter" von einem Herrn Uhle-Wettler zu lesen. Das ist eine sehr nützliche und sehr vernünftige Studie, die sicher auch im Ministerium schon gelesen wurde, allerdings sicher noch nicht dazu geführt hat, daß man sich näher damit beschäftigt.
Es kommt ein Weiteres dazu, und zwar fragen wir nun wegen der notwendigen Umorganisation in Frage 13:
Hat die Bundesregierung die Absicht, beim Streben nach größerer Wirtschaftlichkeit im Bereich der Streitkräfte dem Parlament Gesetzesänderungen vorzuschlagen oder Organisationsformen, Verordnungen und Vorschriften personeller Art in eigener Zuständigkeit zu ändern?
Wir fragen das deswegen, weil wir glauben, daß das ganze Wehrsystem, das wir in der heutigen Zeit benötigen, eigentlich noch nie vorhanden war und daß es das noch nie gegeben hat. Es wird sicher anders sein als in der vergangenen Zeit.
Ich spiele nur darauf an, daß man sich gerade mit der Frage des Reservistenpotentials besonders beschäftigen muß und daß man auch hier natürlich in die uns umgebenden Länder hineinsehen sollte. Die Schweiz wird hierbei oft genannt. Man braucht sicher nicht so weit zu gehen wie die Schweiz, die auf Berufssoldaten, von wenigen Ausnahmen in hohen und höchsten Stellen abgesehen, fast ganz verzichtet. Aber eines muß sicher sein, daß die dortige Miliz weit davon entfernt ist, das zu sein, als welches sie hier manchmal apostrophiert wird, als eine Art „verbesserter Volkssturm." Diese Miliz ist ein latent immer vorhandenes Reservistenheer, dessen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften in zahlreichen regelmäßigen Übungen aufeinander eingespielt werden. Sie können im Falle einer Mobilmachung in ganz wenigen Stunden zur Verteidigung insbesondere ihrer näheren Umgebung zur Verfügung stehen. Mir scheint notwendig zu sein, daß wir ein System finden, in dem diese Elemente mit der gegenwärtigen Struktur der Bundeswehr verbunden werden. Gerade dazu ist es auch notwendig, daß wir uns in der Waffenausstattung auf einfache Waffen konzentrieren und nicht immer der vollen Perfektion und der Übertechnisierung nachjagen, was wir immer wieder beobachten müssen.
Es kommt darauf an, daß die Waffen und Geräte einfach sind und daß sie genormt sind. Von der Vielfalt der Typen nicht nur im Fahrzeugpark muß zumindest dann abgegangen werden, wenn es sich um Reservisteneinheiten handelt. Wir glauben, daß hier nicht alles der sogenannte „letzte Schrei" sein müßte, sondern deß es mehr darauf ankommt, daß Waffen und Geräte den Männern vertraut sind und daß sie im Ernstfall schnell zur Hand sind. Die komplizierteren Waffen werden zu ihrer Bedienung von
Berufs- und Zeitsoldaten und auch die Wehrpflichtigen, die sich gerade in der Ausbildung befinden, erfordern.
Allerdings kommt es hierbei natürlich auch darauf an, daß das, was an Munition vorhanden ist, verfügbar ist. Ich möchte auf diese Sache jetzt nicht weiter eingehen, aber man hat ja gelesen, daß z. B. nicht alle Panzerfäuste verwendbar sein sollen. Wenn das, was hier in einer Zeitung angedeutet wurde, auch auf Wahrheit beruht, würde ich sagen, daß unsere Verteidigung auf recht tönernen Füßen steht.
— Gut, eine Zeitschrift, Herr Kollege Lenze.
Nun, wir haben zu diesen Dingen einige Fragen für die Fragestunde gestellt, und wir haben auch einen Zwischenbericht des Ministeriums darüber bekommen, der allerdings schon dem Umfang nach
— 11/2 Seiten — nicht sehr eingehend sein kann.
Ich möchte hier in diesem Zusammenhang eine Frage ganz kurz anschneiden, vorausgesetzt, wir werden jetzt im Verteidigungsausschuß darüber unterrichtet, was da falsch und was da richtig gewesen ist; den das wird in Aussicht gestellt; das Ministerium sagt: „Ich bin aber bereit, dem Verteidigungsausschuß detaillierte Auskünfte zu geben." Wenn sich nun das bewahrheiten sollte, was da geschrieben worden ist, was soll dann eigentlich geschehen, was soll dann der Verteidigungsausschuß machen, was soll das Hohe Haus dann eigentlich machen, wie werden wir dann unserer Kontrolle gerecht? Denn natürlich wird diese Unterrichtung unter der Verpflichtung der Geheimhaltung gegeben. Das bedeutet selbstverständlich, daß wir darüber nicht mehr sprechen können.
Es ist natürlich für einen Parlamentarier sehr schwierig, zu unterscheiden, wann nun in der Tat militärisch wichtiges Material aus Gründen der Landesverteidigung geheim ist, wo das anfängt, wo das aufhört, wo es andererseits nur darum geht, sagen wir, den Mantel des politischen Geheimnisses über etwas zu breiten.
Ich bin z. B. der Meinung — um das an einem unverfänglichen Beispiel zu demonstrieren —, daß das Problem HS 30 nie geheim war im Sinne eines Geheimnisverrats, daß der Gegner also Einblick in eine Ausrüstung bekommt, wenn man etwas darüber sagt. Ich bin sehr viel mehr der Meinung, daß dieses ganze Geheimnis, das um den HS 30 gebildet worden ist, und der Schleier, der darüber gezogen wurde, sehr viel mehr ein politisches Geheimnis der Regierung und des Verteidigungsministeriums ist.
Eine interessante Frage! Ich will sie hier nicht weiter erörtern. Aber wir sollten einmal darüber nachdenken.
— Verzeihen Sie, das war ein Irrtum. Wir waren zur Zeit der Beschaffung des HS 30 nicht in der Bundesregierung, wir waren in der Opposition, mit
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Ihnen zusammen. Lassen Sie uns doch noch darin sein!
— Der seinerzeitige Abgeordnete Manteuffel gehörte zu dieser Zeit nicht der Fraktion der Freien Demokratischen Partei an.
— Nicht mehr, selbstverständlich.
Der Kollege Berkhan hat schon zur Umrüstung der Bundeswehr gesprochen. Er hat hier auch von Flächenfeuerwaffen, Salven-Raketenwerfern gesprochen. Diese Fragen haben auch wir aufgegriffen. Wir glauben, sie sollten danach beantwortet werden, wie die Ausrüstung der Bundeswehr für die Zukunft aussehen wird. Es wäre natürlich interessant, zu wissen, ob eine Bemerkung des verehrten früheren Bundeskanzlers Adenauer heute immer noch Gedankengut der Freunde von der ChristlichDemokratischen Union ist, nämlich, daß atomare Waffen taktischer Art nur eine Weiterentwicklung der herkömmlichen Artillerie seien. Wenn man sich dieses Wort einmal plastisch vor Augen hält, dann findet man sehr viel leichter zu Entscheidungen, die für die Zukunft notwendig sind.
Bisher konnte in den Jahren des Aufbaus der Bundeswehr natürlich noch nicht die größtmögliche Effektivität erreicht werden, weder in der Bewaffnung noch in der Organisation. Mit anderen Worten, die Mittel, die aufgebracht worden sind, konnten nicht immer effektiv genug eingesetzt werden. Auch hierüber hat Kollege Berkhan in seiner Begründung schon gesprochen. Deswegen kann ich mir manches ersparen, was ich mir aufgeschrieben hatte.
Aber eines möchte ich doch sagen. Dabei möchte ich mich auf den Kollegen Rommerskirchen berufen, der vor einigen Monaten eine Reihe von Rationalisierungsmöglichkeiten aufgezählt hat und z. B. erwähnt hat, daß nach seiner Ansicht ein Großteil der Offiziere im Kölner Truppenamt nicht sinnvoll beschäftigt seien. Inzwischen haben sich auch hier die Verhältnisse geändert. Wir haben inzwischen den Stellenplan des neuen Haushalts im Verteidigungsausschuß beraten und haben hier eine Anhebung des Amtschefs im Rang vorgenommen. Wir haben ihr zugestimmt, weil die Argumente, die von seiten der Regierung vorgetragen wurden, so überzeugend waren, daß wir uns ihnen nicht entziehen konnten.
Ich will damit nur andeuten — hier stimme ich mit Berkhan überein —: die Prüfung der Frage, ob diese Argumente in der Tat alle richtig sind, ist immer wieder notwendig. Man hört nämlich einen neuen Ausdruck in der Bundeswehr. Er lautet „Glasbläserstäbe" und besagt, daß Leute am Werk sind, die viel Luft hineinblasen, ohne daß damit irgendeine Effektivität erreicht werden kann.
— Sicher. Vergleiche hinken ja immer, Kollege Mende.
Hierher paßt die Aussage eines Stabsoffiziers, der sich im Gespräch mit Händen und Füßen sträubte, einen bestimmten Posten weiter zu besetzen, und zwar deshalb, weil er in den sechs Wochen, die er jetzt dort gewesen war — er hatte ihn neu angetreten —, keinerlei Posteingang hatte und statt dessen eine Menge Kreuzworträtsel gelöst hat. Eigenartig ist, daß uns als Abgeordneten so etwas gesagt wird, daß man aber, wenn wir solche Beobachtungen höherenorts melden, sagt: Dieser Mann ist fehl am Platze, Arbeit haben wir für alle, und wer nicht arbeitet, ist quasi selbst daran schuld. Man ist nicht bereit, solchen Mitteilungen nachzugehen. Das vermissen wir in der Organisation des Ministeriums.
Ich könnte mir denken, daß nachher einer der Kollegen sagen wird, ich hätte die Bundeswehr schlecht gemacht. Ich möchte dem gleich entgegnen und sagen: Wir wissen, daß die überwiegende Mehrzahl der in der Bundeswehr Tätigen, Zivilisten wie Soldaten, ihre Pflicht ordentlich erfüllen. Das sollten wir von vornherein beiseite lassen. Damit wird nämlich versucht, notwendigen Überprüfungen aus dem Wege zu gehen. Da wird dann politisch so argumentiert.
Wir meinen auch, daß die Umgliederung des Heeres eine Frage ist, die erörtert werden muß. Sie wird bisher nur allgemein draußen erörtert. Eine verbindliche Erklärung der Bundesregierung dazu fehlt noch. Wir wissen, daß diese Umgliederungen notwendig sind.
Die Vorgänge in der Teilstreitkraft Luftwaffe geben ein Zeugnis davon. Wir haben den Eindruck, daß hier ein richtiger Weg beschritten worden ist, daß hier versucht wird, die größtmögliche Effektivität zu erreichen. Aber nur dann, wenn dieses Problem auch in Angriff genommen wird, wenn man sich darüber Gedanken macht und sich nicht in den Schwierigkeiten des Apparats selber verfängt, wird man Erfolg haben.
Wir glauben nach wie vor, daß eine straffere Gliederung der Spitze notwendig ist. Wir meinen, daß der Gedanke, die Stäbe der territorialen Verteidigung des Heeres zusammenzulegen, ein vernünftiger Gedanke ist und daß er zu Einsparungen führen kann und soll. Davon ist ganz unbetroffen die Position des Verteidigungsministers, der nach wie vor der oberste Befehlshaber sowohl der der NATO assignierten Verbände als auch für die bisherige Territorialverteidigung bleibt. Im Ernstfall ist sowieso allies anders, dann befiehlt die NATO.
Wir meinen abler nun, daß es, wenn man die Gesamtverteidigung betrachtet, nur ein Stückwerk wäre, wollte man sich nur mit dem Problem Bundeswehr beschäftigen. Wir glauben, daß solche Rationalisierung die ganze Landesverteidigung betreffen muß, und zwar so, daß sowohl der militärische als auch der zivile Bereich betroffen werden.
Wir fragen deshalb in Frage 14:
Welche Maßnahmen sind notwendig, um über
die Verabschiedung der Verfassungsänderungen
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Schultz
über den äußeren Notstand hinaus die militärischen und zivilen Bereiche der Landesverteidigung in der Bundesrepublik besser als bisher zu koordinieren?
Wir sind der Auffassung, daß es vielleicht nützlicher wäre, im Bundesministerium des Innern die schöpferischen Kräfte auf diese Frage zu konzentrieren statt auf die Frage, wie der innere Notstand bewältigt werden kann.
Es käme mehr darauf an, eine zweckmäßige Form der Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium zu finden, eine Koordinierung dieser beiden Bereiche, die sicher dann wohl im Bundeskanzleramt münden müßte; darauf müssen wir leider immer noch warten.
Eine andere Frage haben wir in Nr. 15 angesprochen:
Welche Schritte sind zu unternehmen, um die Ausbildung der Wehrpflichtigen gleichzeitig zu intensivieren und zeitlich abzukürzen?
Die Bundesregierung scheint nach wie vor die psychologischen Gefahren zu unterschätzen, die sich aus einer mangelnden oder sinnlosen Beschäftigung unserer Wehrpflichtigen während der Dauer des Grundwehrdienstes für den Wehrwillen der jüngeren Jahrgänge ergeben. Das berüchtigte Wort vom „Gammeldienst" in der Truppe wird zwar von Politikern und Offizieren und auch Unteroffizieren häufig zurückgewiesen, aber von den Wehrpflichtigen selbst und ihren Angehörigen immer wieder in Gesprächen und Briefen durch eine Unzahl drastischer Beispiele belegt. Bei allem Sinn für die Notwfendigkeit auch langweiliger Wartungs- und Pflegearbeiten in technisierten Truppenteilen habe ich keinen Zweifel, daß hier etwas geschehen kann und muß. Die Ausbildung der Wehrpflichtigen muß gleichzeitig intensiviert und abgekürzt werden, das glauben wir.
Wir haben deshalb dem Hohen Hause einen Antrag vorgelegt, der auch hier Gegenstand der ersten Beratung ist, in dem wir fordern, den Grundwehrdienst von 18 wieder auf 12 Monate zu verkürzen. Das scheint uns das am besten geeignete Mittel des Parlaments zu sein, als Kontrollorgan der Regierung die Regierung zu zwingen, sich der zahlreichen Unzuträglichkeiten in der Ausbildung anzunehmen. Wir scheuen uns dabei nicht, zu sagen, daß die Ausbildung in den verbleibenden zwölf Monaten auch auf Kosten der Freizeit der Wehrpflichtigen, etwa am Wochenende, intensiviert werden muß.
Es ist einfach ein Unding, wenn festgestellt werden muß, daß auf 18 Monate Wehrdienst 220 oder 230 Tage aus diesen oder jenen Gründen dienstfrei sind. Ich bin der Überzeugung, daß unseren jungen Männern mehr damit gedient ist, wenn der Wehrdienst auf zwölf Monate verkürzt wird, auch wenn sie in dieser Zeit mehr als bisher tätig sein müssen.
Allerdings — das ist das Problem dabei — muß eine Mehrbelastung 'der Ausbilder vermieden werden.
— Ja, 'da brauchen Sie 'gar nicht zu lachen. Das kann dadurch geschehen, 'daß, wie die FDP es vorschlägt, durch .die Herabsetzung der Dauer ,des Grundwehrdienstes gleichzeitig auch der Anteil der Wehrpflichtigen an der Bundeswehr verringert wird und sich damit natürlich auch eine Verringerung der im Dienst befindlichen Verbände ergeben wird. Damit würde sich nämlich automatisch die Zahl der Ausbilder, 'die nach wie vor zu klein ist, erhöhen. Wir haben diese Sache schon einmal im Jahre 1964 beantragt. Ich kann es mir 'deswegen ersparen, jetzt noch einmal darauf einzugehen, es sei denn, es ist in der Debatte notwendig.
Ich möchte Ihnen aber auch ein Beispiel dafür geben, wie wir uns das vorstellen. Die FDP möchte mitihrem Antrag auf Herabsetzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate den Anteil der Wehrpflichtigen an der Präsenzstärke der Bundeswehr von zur Zeit 47 % senken. Die Folge wäre, daß die Bundeswehr rund 60 000 Wehrpflichtige weniger unter Waffen halten würde. Da kommt das Problem der Verminderung der zu° geringen Präsenzstärke, Auswirkungen nach draußen usw. Wir glauben aber, daß zum Ausgleich dieser verminderten Präsenz beispielsweise etwa 30 000 Wehrpflichtige jeweils vier Wochen lang zu Wehrübungen eingezogen werden können. Wenn wir davon ausgehen, daß ein Wehrübender doppelt 'soviel kostet wie ein Wehrpflichtiger, verbrauchen die Wehrübenden nach unserer Konzeption gar keine zusätzlichen Personalkosten. Wir haben dann aber nach wie vor eine ständige Präsenz von etwa 430 000 Soldaten. Man könnte diese Zahl selbstverständlich auch variieren.
Um es noch einmal zusammengefaßt zusagen: Es würde bedeuten: 460 000 gegenwärtiger Stand minus 60 000 Wehrpflichtige wegen Herabsetzung der Dauer des Grundwehrdienstes plus ständig 30 000 wehrübende Reservisten. Wir glauben, daß die Verminderung der Präsenzstärke um 30 000 — wenn man 460 000 als augenblickliche Zahl nimmt — dadurch mehr als ausgeglichen wird, daß Jahr für Jahr insgesamt 360 000 Reservisten ihre Kenntnisse auffrischen.
Daß das selbstverständlich zunächst einmal Schwierigkeiten in der Organisation bringt und daß man das genau durchdenken und durchrechnen muß, ist sicher. Aber mir scheint, wir müssen damit beginnen.
Das Mißverhältnis zwischen der Zahl der auszubildenden Wehrpflichtigen und dem Bestand an ausbildenden Offizieren und Unteroffizieren ist ein Problem, das uns allen bekannt ist und das man auch noch auf andere Weise in den Griff bekommen muß. Es heißt zwar aus dem Verteidigungsministerium, daß der Fehlbestand an Offizieren gar nicht mehr so 'erheblich sei. Das ist natürlich sehr erfreulich, insbesondere dann, wenn es sich um eine erhöhte Zahl von Bewerbungen handelt. Allerdings wäre es nicht so erfreulich, wenn sich die Zahl ver-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7129
Schultz
mehrt hätte, weil die Anforderungen herabgesetzt worden wären.
Demgegenüber hat sich aber am Fehlbestand an Unteroffizieren nicht sehr viel verändert. Es spielt hier offenkundig eine Rolle, daß der Unteroffiziersberuf mit seinen gegenwärtigen Aufstiegschancen für viele junge Leute nicht interessant genug ist. Wir haben hier einen Entschließungsantrag vorgelegt und sind der Meinung, daß man hier auch zur Tat schreiten muß und die Dinge nicht weiter vor sich herschieben kann. Ich ,spiele auf die sogenannte dritte Laufbahn an. Darüber hinaus scheint es uns aber notwendig zu sein, die Stellung des Unteroffiziers auch in seinem Dienst aufzuwerten, und zwar dadurch, daß er nicht nur reiner Hilfsausbilder des Kompaniechefs ist, sondern daß zumindest die Gruppe, die wir früher Portepee-Unteroffiziere nannten, also Feldwebel und die aufsteigenden Dienstgrade, das Recht zur Durchführung erzieherischer Maßnahmen erhalten. Das ist ein sehr schwieriges und wichtiges Problem, das auch unter politischen Vorzeichen gesehen werden muß. Aber ich bin der Meinung, wenn wir uns dieser Sache nicht annehmen, werden wird die Schwierigkeiten, die wir augenblicklich haben, nicht beseitigen können.
Meine Damen und Herren, in Frage 18 — damit komme ich zum Schluß — fragen wir:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die vom Bundesminister des Auswärtigen konzipierte europäische Friedensordnung herbeizuführen?
Wir wollen damit noch einmal deutlich machen, was ich vorhin schon sagte, daß die Verteidigungspolitik ein Teil der Außenpolitik ist. Wir glauben das auch deswegen sagen zu müssen, weil wir der Meinung sind, daß die an sich unproduktiven Rüstungsausgaben kein Selbstzweck sind. Deshalb gilt es wohl dafür zu sorgen, daß sie auf lange Sicht nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus in Europa und in der Welt schlechthin eingeschränkt werden, wenn nicht gar überflüssig werden; dies werden wir wahrscheinlich nie erreichen, aber es wäre das Schönste. Wir haben als Fraktion und Partei Abrüstungsbemühungen jeder Form immer wieder unterstützt. Allerdings sind wir auch der Auffassung, daß dabei das militärische Gleichgewicht gewahrt bleiben muß.
Wir haben es aus diesem Grund begrüßt, daß der Bundesminister des Auswärtigen vor einigen Monaten die Umrisse einer europäischen Friedensordnung skizzierte. Wir sind allerdings der Meinung, daß es im Interesse einer glaubhaften Politik unserer Regierung notwendig ist, dafür zu sorgen, daß es nicht bei solchen mehr oder minder vagen Andeutungen bleibt. Man muß vielmehr konkret sagen, was man in Verhandlungen mit wem vorschlagen möchte. Man muß zumindest eine Andeutung darüber von sich geben.
Es wird also nicht allein darauf ankommen, das Angebot des Austausches von Gewaltverzichtserklärungen zu machen, sondern es wird etwas mehr notwendig sein. Wir meinen, daß man tatsächlich konkrete Vorschläge vorlegen müßte, wie eine europäische Friedensordnung aussehen kann und welche Grundlage sie als europäisches Sicherheitssystem haben sollte.
Wir können die Diskussion über diese sehr wichtige Frage nicht den osteuropäischen Staatsmännern allein überlassen, z. B. dem polnischen Außenminister. Wir sind der Meinung, daß nicht alles, was von dort kommt, zweckmäßig ist und Sinn und Grundlage unserer Politik sein sollte. So halten wir es nicht für nützlich, wenn wir die Empfehlung annehmen, die Deutsche Demokratische Republik anzuerkennen. Aber wir sind nach wie vor der Ansicht, daß z. B. der Plan zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa ein Schritt sein kann, um zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu kommen und um überhaupt einmal anzufangen, darüber zu diskutieren.
Wir wissen, daß in dem einen Teil der Regierung und der Regierungsfraktionen die Widerstände gegen das, was ich Ihnen gesagt habe, verhältnismäßig groß sind. Aber ich beziehe mich auf den verehrten Kollegen Berkhan, der meinte, in den vielen Prüfungen, die vorgenommen werden müßten, sei auch die Prüfung der Vorschläge Rapackis enthalten, und so könnte es durchaus möglich sein, daß auch die Bundesregierung zu der Prüfung und vielleicht sogar zu Entschlüssen kommt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich zum Schluß kommen und vielleicht, wenn es der Herr Präsident gestattet, mit einem Zitat enden. Es stammt wiederum von meinem verehrten Kollegen Berkhan. Er sagte einmal: „Schröder hat es schwer. Dennoch kann er nicht weiter wie ein U-Boot auf dem Grund liegen; er muß auftauchen." — Wir können nur sagen: Herr Minister, tauchen Sie auf und bringen Sie etwas „gründliche" Substanz mit!