So verstanden, Herr Kollege Berkhan, stimme ich Ihnen absolut zu. Diese Modernisierungen gibt es. Sie sind auf dem Weg. Sie sind auch bei uns auf dem Weg. Daß der NATO-Oberbefehlshaber seit Jahren und heute mehr denn je Grund hat, in anderer Beziehung nicht zufrieden zu sein, weil er seine Aufstellungsziele nie hat erreichen können, wissen wir auf der anderen Seite aber doch genausogut.
Meine Damen und Herren, ich will die atomare Komponente nurmehr mit lein paar Sätzen erwähnen. Sie ist — hier gebe ich Herrn Kollegen Schmidt recht — heute zu sehr in den Vordergrund gestellt worden. Trägermittel sind es, die wir haben, nicht Waffen. Die kommen dazu, wenn es notwendig sein sollte.
Ich glaube, daß wir aus zweierlei Gründen diese Bewaffnung haben müssen: einmal aus primär politischen Gründen, wobei es weniger auf Ausmaß und Zahl der Waffen als auf das Faktum ankommt,
als besonders bedrohtes Land, als ein wichtiges Land dieses Bündnisses, als Land, das überhaupt aus der gesamten Diskussion über dieses Thema ausgeschaltet wäre, wenn es nicht bei den Trägermitteln dabei wäre — und selbstverständlich spielt die Frage des positiven und des negativen Vetos hier unmittelbar mit hinein —, aber auch aus militärischen Gründen: keine Ermutigungen, sich die Divisionslücken, die deutschen Divisionen heraussuchen zu können, um im raschen Durchstoß dann noch größere Abschnitte als 50 km pro Tag hinter sich bringen zu können, als der potentielle Gegner es gegenwärtig in seinen Spielen übt. Das, also die Entblößung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Verbände von dieser atomaren Komponente, will weder SACEUR, noch können es die Vereinigten Staaten wollen.
Darf ich Ihnen, meine Herren von der FDP, weil wir gerade bei diesem Punkt sind, zum Kriegsbild jetzt eine interessante Stimme zitieren, nämlich den Verteidigungsminister Jugoslawiens, den General Ljubicic, der in Zagreb am 26. November gesagt hat, es sei früher angenommen worden, daß sich jeder Konflikt im europäischen Raum automatisch in einen allgemeinen Atomkrieg verwandeln müsse. Er hat hinzugefügt, daß Überlegungen über den Platz Europas im Lichte globaler Strategie in letzter Zeit zunehmend bestätigt haben, daß es auch in Europa möglich ist, lokale Kriege zu führen. Mehr noch: Bei Kriegen dieser Art sei es in einem bestimmten Augenblick möglich, selbst taktische Atomwaffen einzusetzen, ohne daß schon ein allgemeiner Atomkrieg ausbreche, obwohl die Gefahr eines solchen bestehe.
Das ist eine interessante Stellungnahme. Damit ich recht verstanden werde, sage ich: Mir ist im gegenwärtigen Moment gleichgültig, ob es der jugoslawische oder der tschechoslowakische oder der polnische Verteidigungsminister gesagt hat. Jedenfalls hält ein Mitglied des Warschauer Pakts dieses Kriegsbild für möglich. Damit soll nicht mehr und nicht weniger gesagt sein, als daß auch wir uns auf dieses Bild als eines der möglichen Bilder einzustellen haben.
Meine Damen und Herren, das sage ich jetzt auch zum Herrn Kollegen Schultz, der in diesem Zusammenhang erklärt hat, bei uns habe man offenbar immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, auch atomare Sprengsätze zu erhalten. Das war ein Satz, der er so hinauswischte. So habe ich es verstanden. Wenn er als Unterstellung oder als eine Art von Quasi-Unterstellung gedacht gewesen sein sollte, dann möchte ich das in aller Form und mit aller Entschiedenheit zurückweisen. So konnten wir nie verstanden werden, und so wollen wir auch nicht verstanden werden.
Es sind ganz ernste, ganz tiefgreifende Überlegungen, die uns diese Partnerschaft und Teilhabe aus politischen und militärischen Gründen nahelegt, und sie hat mit Sprengsätzen nicht das mindeste zu tun.
Meine Damen und Herren, Minister Dr. Schröder . erwähnte am Anfang seiner Ausführungen auch das ABM-System. Kollege Schmidt ist darauf zurückgekommen. In der Tat hat das Hereinkommen von rein atomaren Abwehrwaffen in die Diskussion — natürlich wird das im Rahmen der Beratungen über den Atom-.Sperrvertrag eine ganz große Rolle spielen müssen — hier ein neues Nachdenken notwendig gemacht. Wenn nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika gegen die Absichten McNamaras und im Nachziehen nach den Sowjets ein selektives System für bestimmte Zentren in seiner Wirkung für nötig und für möglich hálten und wenn wir hören, daß dafür im amerikanischen Haushalt zunächst 5 Milliarden Dollar vorgesehen sind, dann müssen wir sagen, daß das ein Betrag ist, der keineswegs so hoch ist, daß man ihn in Europa nicht auch ernst nehmen könnte. Er legt jedenfalls ,die Frage nahe: Wie steht es mit der Nützlichkeit und mit der Überprüfung der Nützlichkeit solcher Abwehrsysteme auch in Europa?
Der amerikanische Kongreßabgeordnete Paul Findley hat im NATO-Rat eine solche Empfehlung unterbreitet. Man sollte sie ernsthaft prüfen. Das kann ruhig eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wie ich höre, haben die Briten die Kosten eines solchen Systems für europäische Zentren auf etwa 12 Milliarden DM geschätzt. Das wären also ,die Beträge, die im Rahmen der europäischen Partnerstaaten der NATO aufzubringen wären, wenn sich ein solches System als in jeder Beziehung durchführbar erweisen sollte.
7162 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Dr. Zimmermann
In diesem Zusammenhang erwähne ich die Gedanken, die Dean Rusk erst vor zwei Tagen in einer Rede in New York äußerte. Ich übersetze seine Ausführungen grob aus dem englischen Originaltext. Er sagte, die USA würden jetzt und früher eine europäische Vorbereitung begrüßen. Wenn es die Europäer in der NATO wollten, dann könnten sie gern als europäische Verteidigungsgemeinschaft ein vollwertiger Partner in einer wiederaufgefrischten Allianz sein. Sie sollten sich nicht fürchten, sie sollten nicht empfindlich sein, sich so im europäischen Rahmen zu konstituieren. Wir, die Vereinigten Staaten, haben solche Bestrebungen nie blockiert und werden das auch heute nicht tun. Das sagte Mister Rusk.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn Charles de Gaulle so etwas gesagt hätte. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir hier ein wenig mehr Land sähen; aber das ist leider nicht ,der Fall. Ich stimme hier ganz und gar den Thesen zu, die der Kollege Helmut Schmidt am Schluß seiner Ausführungen gemacht hat. Ich unterschreibe alle diese sechs Punkte.
Zum sechsten will ich aber eine Bemerkung machen. Ungeachtet des Erhalts der NATO, so sagte er, müssen wir uns, was unsere eigene Sicherheit betrifft, auch im nationalen Rahmen über das Bündnis hinaus Gedanken machen, mag das Bündnis 1969, 1970 oder 1971 existent sein, wie es will und in welcher Form es will. Bei all den Gesprächen und Gedanken und Analysen, die sich um europäische Sicherheitssysteme drehen, und bei allen Wünschen, die wir für solche Systeme immer gehabt haben: Heute ist die NATO für uns nach wie vor unersetzbar, und sie wird es noch auf lange Zeit bleiben.
Aber ebenso wahr und ebenso richtig ist es, daß wir die Verpflichtung haben, auch über diesen Bündnisrahmen hinaus zu denken, wenn sich Konsequenzen abzeichnen sollten, von denen der Kollege Schmidt gesagt hat, er versage sich, heute schon darüber zu reden. Aber er hat sozusagen an die Wand gemalt, was er meinte, was wir alle wissen, und diese Malerei ist nicht strahlend, sie phosphoresziert nicht, sie ist in düsteren Farben gehalten.
Ich glaube, daß es einem guten Brauch entspricht, wenn ich jetzt einen letzten, aber nicht den unwichtigsten Gedanken in diese Debatte werfe und damit jemanden meine, von dem wir ausgehen, wenn wir hier politisch diskutieren. Ich meine den Wehrpflichtigen und möchte hier ein Wort zu seiner Beruhigung sagen. Wehrgerechtigkeit ist gar nichts Einfaches. Der Ruf nach Lastenverteilung wird draußen schnell laut. Die praktische Durchführung, es gerecht zu machen, ist ein ganz, ganz schwieriges und komplexes Thema. Wir haben gesehen, daß kleine Änderungen im Unterhaltssicherungsgesetz — und wir bedanken uns hier heute beim Haushaltsausschuß, der alle unsere Wünsche akzeptiert hat —
zu einer Lawine der Proteste, der Reaktion geführt haben.
In Art. 2 des Schweizerischen Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 steht der Satz:
Wer die Wehrpflicht nicht durch persönliche Dienstleistung erfüllt, hat den Militärpflichtersatz zu bezahlen.
Ich weiß, daß das Schweizer Beispiel nicht ohne weiteres auf uns übertragbar ist. Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir bis 1964 3,6 Millionen Wehrpflichtige hatten, von denen 1,2 Millionen gedient haben und 2,4 Millionen, also 66 0/e, ganz tauglich, beschränkt tauglich zeitweise zurückgestellt worden sind — das Verhältnis der ganz Tauglichen und solchen, die nach der Zurückstellung eingezogen worden sind, ist jedenfalls 1:1 —, und wenn wir uns weiter vor Augen halten, daß der Übergang der Nichtdienenden wegen der größeren Jahrgangsstärken in den nächsten Jahren noch größer werden wird, so ergibt sich hier ein Problem, an dem dieses Haus — nicht nur der Verteidigungsausschuß — nicht mehr sehr lange vorübergehen kann.
Ich bitte deshalb das Verteidigungsministerium — die Voranfragen laufen schon seit einigen Wochen—daß nach jeder Richtung zu erwägen; ich wiederhole: nach jeder Richtung! Am liebsten wäre es uns allen wohl, wenn dabei weder steuerliche Opfer noch finanzielle Begünstigungen als optimale Lösung herauskämen, sondern wenn es möglich wäre, beim Technischen Hilfswerk, beim Bundesgrenzschutz, beim Zivilschutzkorps, bei den Sozialbehörden, bei den Krankenhäusern viele Pflichtige unterzubringen, die mit 90 DM im Monat als Pflichtige doch nicht teuer wären. Wir würden es also begrüßen, wenn dem Verteidigungsministerium hierin von allen anderen Ressorts geholfen werden könnte, damit wir nicht die miserabelen Wege steuerlicher Opfer und finanzieller Begünstigung gehen müssen, sondern wirklich eine Gerechtigkeit für alle — was das Dienen angeht — dabei herauskommt.
Wir wären dankbar, wenn in der Prioritätenliste des Verteidigungsministeriums dieser menschliche Punkt nicht an der letzten Stelle stehen würde; wir wären dankbar, wenn bald darüber diskutiert und geredet werden könnte. Eines können wir nämlich nicht brauchen: wachsende Unzufriedenheit bei den Wehrpflichtigen,
das Gefühl, die einen seien die Dummen und die anderen die Gewitzten. Wenn schon in diesem Lande die Wehrpflicht eine Pflicht für jeden ist, müssen wir dafür sorgen, daß jeder diese Pflicht an irgendeinem Ort und für irgend etwas erfüllt, jeder, der dazu körperlich und geistig in der Lage ist.