Rede von
Alfred
Ollesch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Wir haben aber eine neue Verteidigungskonzeption nicht als Folge von Einsparungsmaßnahmen in der Vergangenheit und auch heute noch gefordert, sondern weil sich die weltpolitische Lage verändert hat
und zwangsläufig auch die Lage der Bundesrepublik im Bündnis.
— Das ist gar nicht so ganz neu. Herr Rommerskirchen hat vorhin noch in der Begründung erklärt, Herr Kollege Marx, daß sich die weltpolitische Lage verändert habe. Sie mögen das bestreiten; dann sind Sie einer der ganz wenigen hier in diesem Hause, der das bestreitet.
Wir waren der Auffassung, daß wegen der veränderten Lage die Konzeption geändert werden müsse und daß zum anderen unsere Verteidigungspolitik sich einzufügen habe in die außenpolitischen Anstrengungen, zu einer Entspannung und zum Ausgleich mit unseren früheren Gegnern zu kommen. Wir wollten immer eine Anpassung unseres Instrumentes Bundeswehr an den reinen Verteidigungsauftrag; wir wollten ihr einen reinen Verteidigungscharakter geben.
— Es könnte beispielsweise bedeuten, daß ich auf atomare Träger verzichte.
— Ja, das wollten Sie hören; das weiß ich, und deshalb sage ich es Ihnen noch einmal.
Nun hätten wir heute erwartet, daß die Bundesregierung in Verfolg ihrer Ankündigung vom Juli eine neue Verteidigungskonzeption vorgelegt hätte. Aber, Herr Bundesverteidigungsminister, von einer neuen Konzeption war in Ihrer umfangreichen Rede nicht allzuviel zu spüren.
Wir werden weiterhin konventionell unterlegen sein mit der Gefahr einer weiteren Verringerung der glaubhaften Abschreckung, Herr Marx.
Denn auch die konventionelle Rüstung ist ein Teil der glaubhaften Abschreckung und, wie die Dinge zur Zeit aussehen, für uns die glaubhafte Abschreckung überhaupt.
Wir werden weiterhin keine Verwendung für Reservisten finden, wir werden eine Million Reservisten, die wir für teures Geld ausgebildet haben, weiter unausgenutzt lassen. Im Jahre 1970 werden es rund 1,5 Millionen sein.
Wir werden ,es auch weiterhin nicht möglich machen können, daß alle Wehrpflichtigen eingezogen werden.
— Nach den Ausführungen des Bundesverteidigungsministers wird es eben weiterhin so sein, weil ja schon beim Einfrieren auf dem derzeitigen Stand nur die Hälfte der verfügbaren jungen Menschen eingezogen werden kann.
Es hilft gar nichts, wenn wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Nachteile für die Betroffenen dadurch ausgleichen können, ,daß wir den Nichtbetroffenen Abgaben auferlegen. Ich wünsche Ihnen, wenn Sie ein solches Verfahren vorhaben sollten, viel Glück bei der Durchführung. Wir werden weiterhin mit einer Flut von Zuschriften eingedeckt werden, wenn wir versuchen, Ausgaben, die wir als nicht immer gerechtfertigt ansehen, zu kürzen. Die Kürzung wird nicht möglich sein, und die vorgeschlagenen Einsparungsmaßnahmen auf diesem Sektor im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung werden eben nicht durchgeführt. Das scheint doch heute schon festzustehen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7147
Ollesch
Eine Änderung ,der Verteidigungsplanung ist auch aus einem anderen Grunde vordringlich geworden. Der NATO-Pakt wird, ob wir es wahrhaben mögen oder nicht, in Zukunft sicherlich einigen Veränderungen unterworfen sein. Als Folge der Annahme, daß eine akute Bedrohung durch die Warschauer Pakt-Mächte nicht besteht, ist bei vielen unserer Partner eine gewisse Allianzmüdigkeit festzustellen. Wir kennen ja die Kontingentverringerungspläne unserer Freunde; ich nenne hier die Vereinigten Staaten, ich nenne hier ,die Briten und auch die Belgier. Eine Änderung des NATO-Konzeptes und auch der NATO selbst hätte doch ,die Folge, daß die deutsche Bundesrepublik, daß das Verteidigungsministerium Überlegrungen anstellt, wie das entstehende Fehl an Kräften zu decken ist, wie man die Kampfkraft unserer Bundeswehr auf dem konventionellen Sektor so steigert, daß ein Abzug von Truppenkontingenten anderer Mächte nicht zu einer Schwächung unserer Verteidigungskraft führen muß.
Nun habe ich heute noch gelesen, daß einige Militärfachleute der Meinung sind, das sei gar nicht Aufgabe der Bundesrepublik, darüber nachzudenken, wie die Verteidigungskraft wieder gestärkt werden könnte oder wie sie auf dem gegenwärtigen Stand erhalten werden könnte; die Bundesrepublik habe nur schlicht und einfach, ohne danach zu fragen, ob es zweckmäßig sei, eine bestimmte Zahl von Soldaten zu stellen, und alles andere machten dann unsere Freunde.
Sicherlich mag der Brückenkopf Bundesrepublik in den strategischen Überlegungen der USA eine große Rolle spielen, und von da her mögen Entscheidungen gefällt werden, die nicht immer gerade in unserem Interesse liegen müssen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß dieser Brückenkopf die Bundesrepublik Deutschland insgesamt bedeutet, unser Land, in dem wir alle leben und arbeiten.
Nun meinen wir — und wir haben hier entsprechende Anträge vorgelegt —, daß ein möglicher Weg zur Verstärkung der konventionellen Verteidigungskraft unserer Bundeswehr angesichts der Beschränktheit unserer finanziellen Mittel, die ja nicht ins Uferlose eingesetzt werden können, der wäre, auf Trägerwaffen zu verzichten. Wir meinen das, weil sich gezeigt hat, daß das Risiko, das die Atomwaffen besitzenden Mächte bei dem Versuch, atomare Mittel einzusetzen, eingehen, sie davon abhält, mit dem Gedanken des Einsatzes überhaupt nur noch zu spielen. Wir wissen, daß sich die Auseinandersetzungen seit 1945 konventionell abgespielt haben und abspielen, auch dort, wo sich die Atomwaffen besitzenden Mächte im konventionellen Kampf schwertun. Sie hüten sich, auch nur taktische Atomwaffen einzusetzen, weil man die Eskalation von dem taktischen Einsatz bis zum strategischen Einsatz nicht in der Hand hat, weil man dann den Einsatz nicht mehr steuern kann. Selbst wenn man taktisch beginnt, wird man strategisch enden. Es kann nicht im Sinne unserer Bevölkerung sein, daß wir dann die Leidtragenden eines solchen Einsatzes strategischer Waffen sind, der bei dem Versuch, sich durch Einsatz taktischer Waffen Luft zu verschaffen, zwangsläufig hervorgerufen wird, da der Gegner ja über die gleichen Waffen verfügt.
Wir sind also der Auffassung, daß die Bundeswehr konventionell ausgerüstet sein sollte und daß alle Anstrengungen in dieser Richtung unternommen werden müssen. Herr Berkhan hat ja vorhin bei der Begründung der Großen Anfrage seiner Fraktion für einen großen Bereich unserer Verteidigung die Anwendung taktischer Waffen gleich ausgeschlossen: für den Bereich der Marine. Was für den Bereich der Marine gültig ist, muß für den Bereich des Landheeres und den Bereich der Luftwaffe die gleiche Gültigkeit haben.
Wie stellen wir uns nun unsere Verteidigungsanstrengungen für die nächste Zukunft vor? Ein plötzlicher Zusammenstoß zwischen Ost und West wegen einer Streitfrage, die sich aus dem mitteleuropäischen Raum her ergibt, erscheint unwahrscheinlich. Es wird keine Auseinandersetzung stattfinden, ohne daß ihr eine Spannungs- und eine Vorwarnungszeit vorausgeht.
Zu dieser Erkenntnis ist ja auch die NATO-Konferenz im Mai 1967 gekommen. Ich weiß, daß diese Erkenntnis einige Kollegen in Bestürzung versetzt hat. Es ist sogar geäußert worden, daß es entsetzlich sei, daß auf Grund dieser Erkenntnis die Vereinigten Staaten eine Änderung ihrer Präsenz in Deutschland vornehmen würden.
Die Bundeswehr wird die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß ein Einfall feindlicher Kräfte mit Panzern und mit Panzerunterstützung möglichst weit vorn aufgefangen werden kann, damit keine Beeinträchtigung unseres schmalen Bundesgebietes eintritt. Zum anderen sind wir gezwungen, so früh wie möglich aufzufangen, weil wir nicht über die Tiefe des Raumes verfügen, um unsere Streitkräfte sinnvoll und zweckmäßig einzusetzen.
— Es bestehen erhebliche Zweifel, Herr Damm, daß die Bundeswehr in ihrer jetzigen Gliederung und Ausstattung hierzu in .der Lage ist. Die Bundeswehr insgesamt scheint uns zu technisiert zu sein, ausgerüstet mit zu komplizierten Verteidigungssystemen. Wir wissen alle, daß das Verhältnis Fahrzeug zu Mann in den Ostblockstaaten 1:7 beträgt. Wir sind inzwischen bei 1:4 angelangt. Auch wissen ja alle, die Gelegenheit hatten, im letzten Kriege gegen den mutmaßlichen Gegner von heute damals schon zu kämpfen, daß dieser Gegner unangenehm war, beispielsweise wegen der Vielzahl von Granatwerfern — fast jeder dritte Soldat hatte so einen Granatwerfer unter dem Arm — und wegen des massierten Einsatzes von Raketenwaffen, beispielsweise der Stalinorgel.
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Ollesch
Unsere Bundeswehr muß so ausgelegt sein, daß der Zwang zum Atomwaffeneinsatz mit Sicherheit vermieden wird. Daher muß die jetzt vorhandene konventionelle Kampfkraft erhöht werden. Das werden wir nicht können, Herr Bundesverteidigungsminister, wenn Sie nicht auf anderen Sektoren zu erheblichen Einsparungen kommen. Diese Einsparungen können Sie aber allein mit Veränderungen in der Organisation nicht erreichen. Sie müssen die Bundeswehr für dieses Ziel der Abwehr eines Panzerangriffs ausrüsten. Sie müssen sie also mit Panzern ausrüsten, vornehmlich aber auch mit panzerbekämpfenden und panzerbrechenden Waffen, die nicht kompliziert, robust und verhältnismäßig einfach in ihrer Verwendung sind.
Um dieses Ziel zu erreichen, müßte der Aufbau unserer Bundeswehr verändert werden, weil die finanzielle Enge, in der wir uns befinden, die Fortführung des derzeitigen Systems nicht angeraten sein läßt. Wir sind, wie ich eingangs erwähnte, einfach nicht in der Lage, bei einer geforderten Präsenz von 460 000 Mann von dem Reservistenpotential Gebrauch zu machen, das jährlich um 160 000 Mann anwächst. Welch eine gigantische Fehlinvestition! Als wenn die Kampfkraft und die Verteidigungskraft eines Volkes und der Bundeswehr nur von der präsenten Truppe abhingen und nicht von den Möglichkeiten, die unser ganzes Volk uns bietet!
Es schadet bestimmt nicht unserer Stärke und der Abschreckung, wenn die aktive Bundeswehr zahlenmäßig kleiner, dafür aber in der Lage ist, Kadereinheiten mitzuführen, mit deren Hilfe sie in kürzester Frist ihre aktiven Verbände durch Auffüllung mit Reservisten über das bestehende Maß hinaus verstärken kann.
— Herr Kollege Zimmermann, erklären sie mir mal, wie sie bei unserer finanziellen Lage, die uns dazu zwingt, uns mit einem Bestand von 460 000 Mann zu begnügen, noch Kadereinheiten aufbauen wollen, die in der Lage sind, jährlich 360 000 Reservisten aufzunehmen, damit die 1,5 Millionen Reservisten, die wir bis 1970 haben werden, in Übung bleiben! Auch Sie vergessen doch, wenn Sie zehn Jahre lang nicht gefordert werden, das, was Sie gelernt haben. Wir aber ziehen immer neue junge Soldaten ein und bilden sie aus. Ein Jahr brauchen wir nach den Darlegungen des Herrn Ministers, bis sie kampfkräftig sind, und haben 1 Million kampfkräftige Leute beschäftigungslos.