Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf den Antrag, den Herr Kollege Reischl für beide Fraktionen eingebracht hat, hier ebenfalls für meine Freunde unterstützen.
Als wir im Sommer dieses Jahres im Hohen Hause in erster Lesung den auf Initiative des Bundesrats eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über eine Änderung von Mietrechtsbestimmungen sowie die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu berieten, die ihreseits einen recht umfassenden zusätzlichen Vorschlag gebracht hatte, war in der Diskussion davon die Rede, daß Korrekturen an den Bestimmungen des sozialen Mietrechts wohl möglich seien, daß aber andererseits der Blick auf die Prämissen, wie sie uns das Grundgesetz als das verfassungsmäßige Fundament unserer Staatsordnung an die Hand gibt, dabei nicht verlorengehen dürfe.
Mit meinen Freunden bin ich der Überzeugung, daß wir mit dieser Novelle, wie sie Ihnen als Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß und der vorausgehenden Mitberatung im Wohnungsbauausschuß nun zur Verabschiedung vorliegt, tatsächlich die Forderung beachtet wird, die einmal der Staatsrechtslehrer Dr. Krüger aus Hamburg aufstellte, als er sagte, der Gesetzgeber könne keinen Schritt tun, ohne zuvor der Verfassung gehuldigt zu haben.
Mit diesem Vorschlag ist nun weder der Rubikon überschritten, der aus dem Hauseigentümer einen, wie einmal befürchtet wurde, an Stelle des Staates verpflichteten Fürsorgeträger macht, noch hat andererseits jenes Bild eines Vermieters bei den Beratungen den Ausschlag gegeben, wie es die Klagen der Interessenvertreter auf der Mieterseite gerne zeichnen, das Bild eines Vermieters, der mit dem Damoklesschwert ständig drohender Kündigung das Mietervolk in Angst und Schrecken hält, um in regelmäßigen Abständen seine ohnedies nicht gerechtfertigten Mietpreise heraufschrauben zu können.
Entspräche dieses Bild vom Vermieter der Wirklichkeit, dann müßte Friedrich Schiller, lebte er heute noch, seine Widmung „in tyrannos" mangels absolutistischer Fürsten gegen die Eigentümer von Mietwohnungen schleudern. Doch es ist ein Zerrbild, eine Verallgemeinerung bedauerlicher Einzelfälle. Im Grunde müssen auch die Hauseigentümer an einem Mietrecht interessiert sein, das Auswüchse verhindert, die den ganzen Stand in Mißkredit bringen können.
Es ist verständlich, meine Damen und Herren, daß sich gerade auf dem Feld des sozialen Mietrechts
7104 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967
Dr. Hauser
die Diskussion so leicht nicht beruhigt. Das ist nicht nur deswegen so, weil hier selbstverständlich die persönlichsten Interessen so vieler Menschen unseres Volkes berührt werden, sondern vor allem auch, weil die Notwendigkeit, die mietrechtlichen Vorschriften des BGB unter sozialen Gesichtspunkten zu gestalten, schon seit seinem Inkrafttreten, also vor bald 70 Jahren erkannt worden ist. Schon damals bestand das richtige Gefühl, daß ganz verschiedene soziale Tatbestände gegeben sind, wenn etwa jemand in einer „Leihbücherei" ein Buch entnimmt —rechtlich liegt hier ja ein Mietvertrag vor — oder wenn jemand eine Wohnung mietet, um sie auf lange Zeit zum Mittelpunkt seines Familienlebens zu machen, obwohl beide Sachverhalte unter die gleichen mietvertraglichen Bestimmungen eingeordnet sind. Und wer kennt nicht jene bissige Bemerkung des Rechtslehrers Cosack, daß die Miete einer Wohnung und die Miete eines Esels nicht das gleiche seien!
Diesen Unterschied hatten die Kodifikatoren des alten BGB in der Tat übersehen, als sie die Mietrechtsvorschriften praktisch nur als gesetzliche Mustervorschläge ausgestalteten, die jederzeit durch Vereinbarung geändert werden konnten. Diese Unzulänglichkeit, einen angemessenen Ausgleich zwischen Vermieter- und Mieterinteressen sicherzustellen, erwies sich dann in der Wohnungsnot während des ersten Weltkrieges und danach. Der Staat konnte damals nicht untätig bleiben. Die in jener Zeit eingeführte Wohnungszwangswirtschaft, die noch bis zum Abbaugesetz im Jahre 1960 fortbestand, hat im Laufe ihrer langen Dauer erst recht die Erkenntnis bestärkt, daß die Bestimmungen des BGB niemals ausreichten, um den besonderen sozialen Aspekten des Wohnungsmietverhältnisses gerecht zu werden.
So ist es wirklich begreiflich, daß sich bei Überführung der Wohnungswirtschaft in die freie und soziale Marktwirtschaft und bei gleichzeitiger Einführung des Mietwohnrechtes, das als Sonderrecht sein Leben gehabt hat, in das allgemeine bürgerliche Recht die Auffassungen auf Vermieter- wie auf Mieterseite diametral gegenüberstanden, ob nun einer der wesentlichen Grundsätze des Mieterschutzgesetzes, nämlich die Auflösbarkeit des Mietverhältnisses nur bei Vorliegen besonderer, im Gesetz abschließend geregelter Gründe, beibehalten oder ob andererseits zur freien Kündigungsmöglichkeit des Bürgerlichen Gesetzbuches zurückgekehrt werden sollte, die weder die Angabe noch das Vorliegen eines Kündigungsgrundes voraussetzt.
Der Gesetzgeber hat sich mit der Sozialklausel hier für den goldenen Mittelweg entschieden. Nicht die sogenannte „motivlose Kündigung" ist Gesetz geworden, wie oft behauptet wurde, sondern im Ergebnis rückt diese Bestimmung von der Kündigung ohne Angabe von Gründen ab und verlangt, daß der Vermieter seine Kündigungsgründe offenlegt. Es ist lediglich die Initiative zur Anrufung des Gerichts auf den Mieter übertragen worden, indem ihm die Möglichkeit an die Hand gegeben wird, Widerspruch gegen die ausgesprochene Kündigung zu erheben. Damit muß zwangsläufig eine Interessenabwägung und eine Interessenbewertung zwischen Mieter und Vermieter erfolgen.
Nun waren Auslegung und Bedeutung dieser sogenannten Sozialklausel ob dieser Umstände seit Anbeginn strittig gewesen. Die Rechtsprechung ist gleichfalls nicht in vollem Umfang den Intentionen des Gesetzgebers gefolgt, wie grundsätzlich auch das- Gutachten von Professor Westermann in Münster, das dieser Tage zu den gleichen Fragen erstellt worden ist, eingeräumt hat. Diese veranlaßte nun auch den Bundesrat zu seiner Initiative, die in erster Linie Anlaß und Ursache dafür war, daß sich dieses Hohe Haus damit zu beschäftigen hat. Dabei wollte der Bundesrat im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere auch die Schwierigkeiten bei der Beschaffung einer Ersatzwohnung als besonderes Anliegen berücksichtigt wissen. Die Ausschüsse haben nun sicherlich eine einfachere Fassung des § 556 a BGB gewählt, bei der aber das ursprüngliche Prinzip der Abwägung der Interessen beider Mietvertragsteile beibehalten wird. Die Befürchtung ist also gegenstandslos, daß etwa mit einer Neufassung dieser Vorschrift das Verhältnis von Kündigung und Widerspruch in das Gegenteil verschoben sei; müssen doch die Tatsachen, die der Mieter als besondere Härte ins Feld zu führen hat, um zu seinen Gunsten die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erwirken, gegen die berechtigten Interessen seines Vermieters abgewogen werden. In diesem Wortlaut ist auch das ausdrückliche Anliegen des Bundesrates eingeschlossen, so daß es einer gesonderten Regelung über die Beschaffung von Ersatzraum nicht bedarf; dies um so mehr, wenn man bedenkt, daß nicht die allgemeine ungünstige Wohnungsmarktlage eines Ortes automatisch in allen Fällen die Bejahung des Härtegrundes nach sich ziehen kann, sondern eben allein die besondere Beschaffungsschwierigkeit im Einzelfall berücksichtigt werden kann. Nur dies konnte der Bundesrat eigentlich im Auge gehabt haben.
Auch das Problem einer Verlängerung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit, wie es im Laufe der Beratungen gerade zugunsten von alten und gebrechlichen Leuten sowie Schwer- und Dauerkranken in die Debatte gelangt war, ist auf besondere Ausnahmefälle eingegrenzt. Insoweit dürften verfassungsrechtliche Bedenken gleichfalls ausgeräumt sein.
Die Einwände, die gegen die Regelung erhoben wurden, dem Vermieter eine Belehrung über Form und Frist des Widerspruchs, dazu weiterhin eine Pflicht zur Aufklärung seiner Kündigungsgründe aufzugeben, fallen nicht mehr so sehr ins Gewicht, sofern, wie jetzt gleichfalls vorgesehen, für den Mieter eine nämliche Verpflichtung statuiert wird, nach der dieser auf Verlangen seines Vermieters ebenfalls seine Gründe für einen geltend gemachten Widerspruch mitzuteilen hat, will er nicht in Kauf nehmen, selbst im obsiegenden Räumungsstreit unter Umständen die Prozeßkosten tragen zu müssen.
So hat der Gesetzgeber beiden Seiten gleiche Chancen eingeräumt, beiden Seiten die Möglichkeit
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Dr. Hauser
offengelassen, jeweils ihr Prozeßrisiko zu kalkulieren. Ja, der Gesetzgeber wirkt mit dieser Lösung unweigerlich auf die Nützlichkeit eines vorprozessualen Gesprächs unter den Mietvertragspartnern hin, bei dem dann beide das Ziel haben müssen, ihrerseits einen Prozeß zu vermeiden.
Jeder Räumungsprozeß hat sein Kostenrisiko. Deshalb liegt auch das Gespräch, das geführt wird, bevor man vor den Richtertisch tritt, im beiderseitigen Interesse. Man kann daher nicht mehr behaupten, der Hinweis auf den Kündigungswiderspruch laufe dem Vermieterinteresse zuwider, weil er nur die Gegenseite zum Widerspruch anreize. Darüber hinaus wird aber jedes Gespräch, das Vermieter und Mieter vor einer prozessualen Auseinandersetzung führen, selbstverständlich auch zu einem Gespräch über eine mögliche Räumungsfrist. So trägt jedes derartige Gespräch dazu bei, einen unnötigen Kündigungswiderspruch zu verhindern. Umgekehrt bedarf der Mieter dieses Gesprächs über eine Räumungsfrist, weil er wiederum die Kostensonderregelung des § 93 Abs. 3 ZPO nicht herbeiführen kann, wenn er diese Räumungsfrist nicht zuvor begehrt hat.
Hier sollten nur die entscheidenden neuen materiellen Gedanken angesprochen sein, um darzutun, daß in der Tat in einem ausgewogenen Verhältnis die Grundsätze weitergeführt werden, die ursprünglich Leitsätze bei Einführung des sozialen Mietrechts gewesen sind, nämlich auf ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Mietparteien hinzuwirken und so möglichst einen Prozeß zu vermeiden.
Was die neuen prozessualen Vorschriften angeht, ist vor allem die Bestimmung über den Rechtszug von Bedeutung, wie er in der Vorlage nunmehr vorgesehen ist. Bedenken wir hier den Unmut über das Fehlen einer einheitlichen Rechtsprechung gerade hinsichtlich der Sozialklausel, und bedenken wir darüber hinaus, daß sich die Kritik an dieser Sozialklausel aus eben diesem Fehlen herleitete. Um möglichst schnell zu einer einheitlichen Rechtsprechung zu finden, war daran gedacht, die entsprechenden Rechtsfragen durch Obergerichte entscheiden zu lassen.
Die ursprüngliche Konzeption, wie sie die Bundesregierung im Auge hatte, war nach den Vorstellungen der beiden Ausschüsse wenig glücklich. So wurde die Möglichkeit eines sogenannten Rechtsentscheides eröffnet. Man griff damit auf ein Institut zurück, das schon im alten Mieterschutzgesetz vorgesehen war. Das Landgericht muß nämlich, wenn es von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts abweichen möchte, vorab die Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts herbeiführen, also ex officio eine Vorlage bei dem übergeordneten Oberlandesgericht machen, ebenso auch bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, die bis dahin in der Rechtsprechung noch nicht entschieden worden sind. Hier ist also der Wunsch realisiert, die die Rechtsprechung so rasch wie möglich zu vereinheitlichen. Wenn etwa Bedenken laut werden sollten, mit diesem Institut werde etwas vorweggenomfen, was an sich erst in die große Prozeßreform hineingehöre, so bin ich der Meinung, daß dieses Institut nur für eine Einlaufzeit von Bedeutung ist und von Bedeutung sein kann. In meiner ganzen früheren richterlichen Tätigkeit bin ich nie auf einen solchen Rechtsentscheid gestoßen, weil in der Tat die Rechtsprechung hier zu einer festen Form gefunden hat. Diese gleiche Erfahrung erwarte ich nunmehr auch in diesem Fall. Warum soll man eigentlich diesen neuen Weg nicht wagen?
Wenn wir nun am Abschluß eines Ringens um eine neue Fassung vor allem der Sozialklausel stehen, die die Gewichte gerecht verteilt hat, dann möchte man insgeheim gerne einen flüchtigen Blick in die Zukunft werfen, um bestätigt zu bekommen, daß man den Richtern nunmehr das richtige Handwerkszeug in die Hand geben konnte und daß auf diese Weise die Intentionen, die der Gesetzgeber damit verbindet, auch wirklich zum Tragen kommen.
Man ist dann an jenes Bild erinnert, das Rudolf von Ihering, der große Rechtsgelehrte des vergangenen Jahrhunderts, an den Anfang seiner Plaudereien über „Scherz und Satyre in der Jurisprudenz" stellte. Er gewährt dort dem neugierigen Menschen an der Hand des Teufels einen Blick in die Geheimnisse der Zimmer und Studierstuben, um ihn entdecken zu lassen, was bei „nächtlicher Weile", wie er sagt, die Träger der Wissenschaft bei emsigem Tun aus dem Schacht zivilistischer Weisheit holen. Nun, dies Bild besteht nur in der Phantasie, und erst recht wollen wir uns nicht mit dem hinkenden Teufel liieren.
Wir wollen vielmehr zuversichtlich hoffen, daß nunmehr die Form gefunden worden ist, mit der die Lebensverhältnisse, wie sie gerade im Bereich des Mietverhältnisses zum Ausdruck kommen, wirklich erfaßt werden können. So darf ich diesem Gesetz auch im Auftrag der Freunde meiner Fraktion einen guten Start wünschen.