Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den rechtspolitischen Überlegungen, die Herr Abgeordneter Busse gegen dieses Gesetz geltend gemacht hat, möchte ich auf zwei Punkte besonders hinweisen. Herr Abgeordneter Busse, wenn Sie auf die Entschließung des Mietrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins in Bremen Bezug nehmen, dann gehört es nach meiner Meinung zu einer vollständigen Bezugnahme, auch darauf hinzuweisen, daß der Berichterstatter im Mietrechtsausschuß, Herr Dr. Weimar, beim Deutschen Anwaltverein in Bremen einen ganz anderen Standpunkt vertreten hat. Er hat als Berichterstatter des Mietrechtsausschusses sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Sozialklausel in der bisherigen Form sich nach seiner Auffassung nicht bewährt habe und daß sie nicht die Erwartungen erfüllt habe, die die Schöpfer dieser Klausel damit verbunden hätten. Es ist richtig, daß eine Mehrheit im Mietrechtsausschuß das erklärt hat, was Sie sagten. Aber schon dieser Hinweis auf den Berichterstatter macht deutlich, daß die Meinungen auch im Deutschen Anwaltverein sehr geteilt waren. Das ist es ja, was wir meinen: Es besteht eine große Unzufriedenheit mit der jetzigen Sozialklausel.
Meine Damen und Herren, der Mietrechtsausschuß des Deutschen Anwaltvereins selbst hat dann auch einen Vorschlag zur Änderung des § 556 a gemacht in derselben Entschließung, die Herr Abgeordneter Busse zitiert hat. Diese neue Fassung des § 556 a des Deutschen Anwaltvereins geht viel weiter als die Regierungsvorlage.
Sie verlangt nämlich, daß eine Kündigung, die sozial nicht gerechtfertigt ist, unwirksam sei. Das haben wir nie verlangt, und das halten wir auch rechtspolitisch für bedenklich. Der Deutsche Anwaltverein geht also weiter als die Bundesregierung selbst.
Ich muß auch darauf hinweisen, daß es in der Rechtsprechung leider eine Reihe von Urteilen gibt, die deutlich machen, wie unzulänglich die Sozialklausel in der jetzigen Fassung ist. Herr Präsident, wenn es erlaubt ist, darf ich aus einem Urteil nur einen kurzen Absatz zitieren, um damit einmal deutlich zu machen, wie sich die Rechtsprechung zu der bisherigen Fassung der Sozialklausel stellt. Das Landgericht in Hagen — das Urteil ist weitgehend bekannt — hat im Jahre 1964 in einem Fall, in dem eine Frau mit vier minderjährigen Kindern aus einer Wohnung hinausgeklagt wurde, dem Klagebegehren schließlich entsprochen, weil es das, wie es meinte, nach dem Wortlaut des Gesetzes tun mußte. Es hat dann im Schluß seines Urteils zum Ausdruck gebracht:
Gegen diese Auslegung
— die das Gericht dem § 556 a gibt —
kann nicht eingewandt werden, sie werde dem Charakter der Vorschrift als sogenannte Sozialklausel nicht gerecht. Die an die Gesetze gebundenen Gerichte sind nicht befugt, einer Vorschrift eine größere soziale Tendenz beizulegen, als der Gesetzgeber durch die Fassung des Gesetzestatbestands angeordnet hat.
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Aus dem Wortlaut und dem Sinn des § 556 a BGB ergibt sich eindeutig, daß gewisse soziale Härten, vielleicht sogar die menschlich bedauernswertesten, durch diese Vorschrift nicht gemildert werden sollen. Dieser vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachte Rechtszustand kann nicht durch die Gerichte allein auf Grund der programmatischen Tendenz der Vorschrift geändert werden. Für eine solche Änderung war vielmehr der Gesetzgeber zuständig.
Meine Damen und Herren, wenn die Gerichte so nach dem Gesetzgeber rufen, ist es nach Meinung der Bundesregierung Aufgabe des Gesetzgebers, danach zu handeln und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Aus diesen beiden Hinweisen, die ich noch einmal deutlich machen wollte, ergibt sich ohne weiteres die Notwendigkeit zu einer Verbesserung der jetzigen Sozialklausel. Denn — das unterstreicht dieses Urteil doch auch — sie war bisher im wesentlichen eine Ausnahmeklausel für besondere Härtefälle, und sie hat eben nicht das gebracht, was nach unserer Meinung notwendig ist: einen Interessenausgleich zwischen dem berechtigten Interesse des Vermieters und den mit einer Kündigung des Mietverhältnisses möglicherweise verbundenen Härten.
Es wird gesagt: als Eigentümer — ich glaube, Herr Busse hat es auch so zum Ausdruck bringen wollen — muß der Vermieter jederzeit das Recht haben, kündigen zu können, er darf sich jeweils auf sein Eigentum berufen. Ich möchte dazu folgendes sagen. Wir müssen sehr eindringlich darauf hinweisen, daß, als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Ja-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1967 7111
Bundesminister Dr. Lauritzen
nuar 1900 in Kraft trat, die Vorstellung vom Eigenturn eine ganz andere war als in der heutigen Zeit.
Wenn es im § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt, der Eigentümer könne nach Belieben mit seinem Eigentum verfahren, so gilt das heute eben nicht mehr. Das ergibt sich aus Art. 14 Abs. 2 GG, ist aber auch aus Art. 20 GG abzuleiten. Wir meinen, daß die Sozialgebundenheit des Eigentums — das ist in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch zum Ausdruck gebracht worden —, wie sie auch aus der neuen Fassung des § 556 a herzuleiten ist, zu einer echten Abwägung der Interessen führen muß.
Dann wird gesagt, wir seien auch in den Verfahrensvorschriften etwas zu weit gegangen. Es ist doch unbefriedigend, daß es in einem Rechtsgebiet wie dem Mietrecht, das für den sozialen Frieden, für die Lebensverhältnisse jeder Familie so entscheidend ist, nur zwei Instanzen gibt. Herr Kollege Erhard, erinnern Sie sich noch einer Diskussion im Hessischen Landtag, als wir uns lange über ein falsches Urteil des Landgerichts in Darmstadt unterhielten? Das hat doch deutlich gemacht, wie unbefriedigend es ist, daß in Rechtsfragen nicht ein Obergericht entscheiden kann. Mehr wollen wir doch dabei nicht erreichen.
Die Bundesregierung mißt diesem Gesetzentwurf wegen seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung eine große und für die Zukunft wichtige Aufgabe zu. Wir möchten erreichen, daß durch eine gleichgewichtige Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Partnerschaft entsteht, von der so oft gesprochen wird. Wir glauben, daß dieses Gesetz auch einen entscheidenden Beitrag zu einem besseren sozialen Frieden leisten wird.