Protokoll:
17179

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 179

  • date_rangeDatum: 11. Mai 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:16 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/179 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 179. Sitzung Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 6: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen: Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch Wett- bewerbsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Antrag der Fraktion der SPD: Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern (Drucksache 17/9559) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Michael Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Soziale Wohnraumförderung durch Bund und Länder bis 2019 fortführen (Drucksache 17/9425) . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Erwin Rüddel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht- 21327 A 21327 B 21331 B 21333 C 21335 B 21336 D 21337 D 21339 A 21341 A 21342 C 21344 A 21344 D 21345 A 21346 B 21347 C 21349 B 21350 C 21351 D 21351 D 21352 A 21353 D 21356 B 21358 B 21359 D 21361 C 21363 C 21365 C 21365 D 21367 B 21367 C 21368 A 21368 C 21369 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Altersbilder positiv fortentwickeln – Potenziale des Alters nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Potenziale des Alters und des Alterns stärken – Die Teilhabe der älteren Generation durch bürgerschaftliches Engagement und Bildung fördern – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepu- blik Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksachen 17/8345, 17/2145, 17/3815, 17/9504) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine moderne und zukunftsweisende Familienpolitik (Drucksachen 17/6915, 17/9551) . . . . . . . . . . Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe (Drucksache 17/9390) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Anpassung des deut- schen Bergrechts (Drucksache 17/9560) . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Todtenhausen (FDP) . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21370 D 21371 A 21373 B 21374 B 21375 B 21376 D 21378 A 21379 C 21380 D 21381 C 21382 C 21383 C 21385 A 21385 B 21387 B 21389 A 21389 C 21390 C 21391 D 21391 D 21392 A 21393 A 21394 D 21395 D 21397 B 21398 C 21399 A 21400 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21327 (A) (C) (D)(B) 179. Sitzung Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21399 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 11.05.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 11.05.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE. 11.05.2012 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11.05.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 11.05.2012 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 11.05.2012 Burchardt, Ulla SPD 11.05.2012 Buschmann, Marco FDP 11.05.2012 Dr. Danckert, Peter SPD 11.05.2012 Dyckmans, Mechthild FDP 11.05.2012 Ehrmann, Siegmund SPD 11.05.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 11.05.2012 Freitag, Dagmar SPD 11.05.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 11.05.2012 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 11.05.2012 Grütters, Monika CDU/CSU 11.05.2012 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 11.05.2012 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 11.05.2012 Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Höger, Inge DIE LINKE 11.05.2012 Jung (Konstanz), Andreas CDU/CSU 11.05.2012 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 11.05.2012 Kamp, Heiner FDP 11.05.2012 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Dr. h.c. Koppelin, Jürgen FDP 11.05.2012 Kramme, Anette SPD 11.05.2012 Krellmann, Jutta DIE LINKE 11.05.2012 Kressl, Nicolette SPD 11.05.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Lay, Caren DIE LINKE 11.05.2012 Leutert, Michael DIE LINKE 11.05.2012 Lindemann, Lars FDP 11.05.2012 Lindner, Christian FDP 11.05.2012 Lötzer, Ulla DIE LINKE 11.05.2012 Lutze, Thomas DIE LINKE 11.05.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Müller-Sönksen, Burkhardt FDP 11.05.2012 Nink, Manfred SPD 11.05.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 11.05.2012 Rix, Sönke SPD 11.05.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 11.05.2012 Dr. Ruppert, Stefan FDP 11.05.2012 Schäfer (Köln), Paul DIE LINKE 11.05.2012 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 11.05.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 21400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2011/12 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – Drucksache 17/7710 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2012 – Drucksachen 17/9127, 17/9226 Nr. 1.4 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über die Auswirkungen der Vergabeerleichterungen des Konjunkturpakets II auf die Beschaffung von Bauleis- tungen und freiberuflichen Leistungen bei den Bauvor- haben des Bundes – Drucksachen 17/8671, 17/9226 Nr. 1 – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparates im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 – Drucksachen 17/5987, 17/6392 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarates im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2010 – Drucksachen 17/ 5987, 17/6392 Nr. 1.3 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030 – Drucksachen 17/3787, 17/4292 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenprogramm der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit (2012 bis 2017)“ – Drucksache 17/8500 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Rechtsausschuss Drucksache 17/8515 Nr. A.20 Ratsdokument 18516/11 Drucksache 17/8967 Nr. A.4 EP P7_TA-PROV(2012)0019 Drucksache 17/8967 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2012)0021 Finanzausschuss Drucksache 17/9130 Nr. A.4 Ratsdokument 6784/12 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/8426 Nr. A.28 Ratsdokument 17754/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.29 Ratsdokument 17818/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.31 Ratsdokument 18554/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.33 Ratsdokument 18619/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.34 Ratsdokument 18853/11 Drucksache 17/8856 Nr. A.10 Ratsdokument 6104/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.11 Ratsdokument 6360/12 Drucksache 17/8967 Nr. A.7 Ratsdokument 6425/12 Drucksache 17/9130 Nr. A.5 Ratsdokument 5494/12 Drucksache 17/9130 Nr. A.6 Ratsdokument 6802/12 Drucksache 17/9252 Nr. A.5 Ratsdokument 6305/12 Drucksache 17/9252 Nr. A.6 Ratsdokument 7247/12 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/9252 Nr. A.7 Ratsdokument 7278/12 Schlecht, Michael DIE LINKE 11.05.2012 Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 11.05.2012 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 11.05.2012 Stauche, Carola CDU/CSU 11.05.2012 Strothmann, Lena CDU/CSU 11.05.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.05.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 11.05.2012 Wichtel, Peter CDU/CSU 11.05.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2012 21401 (A) (C) (D)(B) Ausschuss für Gesundheit Drucksache 17/7918 Nr. A.17 Ratsdokument 15983/11 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/8426 Nr. A.49 Ratsdokument 17932/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.50 Ratsdokument 17933/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.51 Ratsdokument 17934/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.52 Ratsdokument 17935/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.53 Ratsdokument 17936/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.54 Ratsdokument 18090/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.55 Ratsdokument 18091/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.56 Ratsdokument 18245/11 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/7713 Nr. A.23 Ratsdokument 15560/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.24 Ratsdokument 15561/11 179. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 6 Regierungserklärung zu Europas Weg aus der Krise TOP 32Soziales Mietrecht und Wohnraumförderung TOP 31Potenziale der älteren Generation TOP 34Familienpolitik TOP 35Bergrecht Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich.

Heute gibt es bedauerlicherweise keine Geburtstage
zu erwähnen, sodass wir gleich in die Tagesordnung ein-
treten können und müssen. Das muss aber der guten
Laune nicht im Wege stehen.

Ich rufe unseren Zusatzpunkt 6 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister des Auswärtigen

Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch
Wettbewerbsfähigkeit

Ich weise darauf hin, dass es hierzu einen Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke gibt.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensicht-
lich einvernehmlich und damit so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Kolleginnen und Kollegen! Europa ist in einer Prä-
gephase. Das Bild Europas in der Welt wird jetzt nach-
haltig geprägt. Das Bild Europas bei den Bürgerinnen
und Bürgern in Europa wird jetzt nachhaltig geprägt,
aber auch das Bild Deutschlands in Europa wird jetzt für
viele Jahre nachhaltig geprägt.

Wir haben es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun.
Die Schuldenstände einzelner Euro-Staaten sind zu
hoch. Die Finanzmärkte haben infrage gestellt, ob diese
Schuldenberge jemals wieder abgetragen werden kön-
nen. Aus der Staatsschuldenkrise ist somit eine Vertrau-

enskrise geworden. Um Vertrauen zurückzugewinnen,
müssen wir überzeugend darlegen, dass der Euro-Raum
künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein
wird. Dazu haben wir die richtigen Weichen gestellt. Der
Stabilitäts- und Wachstumspakt bekommt neue Autori-
tät. Verstöße gegen den Stabilitätspakt werden in Zu-
kunft früh und wirkungsvoll sanktioniert. Die Bundesre-
gierung aus dem Jahre 2004 hat den Stabilitätspakt
aufgeweicht. Diese Bundesregierung wird die Fehler
von damals nicht wiederholen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir wollen raus aus der Schuldenpolitik hier bei uns
in Deutschland, auch in den Bundesländern,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und dann macht ihr das Betreuungsgeld!)


in Europa, weil wir der Überzeugung sind, dass das An-
werfen von Notenpressen, das Drucken von Geld keine
Antwort sein kann. Das führt zur Geldentwertung. Das
führte zur Inflation. Die Stabilität unseres Geldes ist ein
Kernanliegen der Bundesregierung. Es ist auch eine so-
ziale Herausforderung. Denn unter Inflation leiden die
Ärmsten am allermeisten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die Regierungen
in ganz Europa, nationale Schuldenbremsen einzufüh-
ren. Der Fiskalpakt trägt die Unterschrift von 25 Staats-
und Regierungschefs. Drei Mitgliedstaaten haben den
Fiskalpakt bereits ratifiziert, nämlich Portugal, Slowe-
nien und auch Griechenland. Irland führt am 31. Mai ein
Referendum zum Fiskalpakt durch. In anderen Mitglied-
staaten ist das parlamentarische Verfahren eingeleitet.

Ich will es noch einmal mit großer Deutlichkeit sa-
gen: Der Fiskalpakt ist beschlossen, und er gilt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das Ende der Schuldenpolitik in Europa ist vereinbart.
Dabei bleibt es. Vereinbarungen zwischen Staaten wer-
den durch Wahlen nicht ungültig.





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


Deutschland hat für diesen Kurs unermüdlich gewor-
ben und hart verhandelt: der Finanzminister, ich selbst
als Außenminister, aber vor allem an der Spitze die Bun-
deskanzlerin. In Europa und international setzt sich
Deutschland für ein Ende der Politik des Schuldenma-
chens ein. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit unseres
Landes, wenn einzelne Bundesländer in Deutschland
ihre Schuldenpolitik trotzdem weiter fortsetzen wollen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt ist er wieder da!)


Die Ursache der Krise waren zu hohe Staatsschulden.
Die Folge waren verantwortungslose Spekulationen. Ge-
gen beides brauchen wir neue Regeln.

Zu den richtigen Lehren aus der Krise gehört auch die
bessere Regulierung der Finanzmärkte. Die Bundesre-
gierung hat ungedeckte Leerverkäufe bereits im Mai
2010 dauerhaft verboten. Wir sorgen für einen stabileren
Bankensektor. Wir haben strengere Eigenkapitalvor-
schriften eingeführt. Mit der Bankenabgabe haben wir
Risiko und Haftung wieder zusammengebracht.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, die erste Säule unserer Politik ist der Fiskalpakt für
weniger Schulden; die zweite Säule unserer Politik ist
Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit. Zu einer
wachstumsorientierten Politik muss diese Bundesregie-
rung niemand überreden. Wachstum ist ein Kernanliegen
der christlich-liberalen Koalition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!)


Ohne Schuldenabbau kein Vertrauen. Ohne Vertrauen
keine Investitionen. Ohne Investitionen kein Wachstum.
Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeits-
plätze keine neuen Staatseinnahmen. Haushaltsdisziplin
und Wachstum sind deshalb zwei Seiten derselben Me-
daille.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Staats-
schuldenkrise neben der notwendigen Haushaltskonsoli-
dierung konsequent für mehr Wachstum durch Wettbe-
werbsfähigkeit in Europa eingesetzt. Bereits vor zwei
Jahren wurde die neue Strategie für Beschäftigung und
Wachstum „Europa 2020“ beschlossen. Seither haben
sich alle – alle! – Europäischen Räte wie auch zahlreiche
Allgemeine Räte und Fachräte mit den Themen Wachs-
tum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung befasst,
übrigens immer wieder auch auf deutsch-französische
Initiative.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was sind die Ergebnisse?)


Auch der letzte Europäische Rat im März dieses Jah-
res betonte die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie-
rung wie auch die Notwendigkeit der Förderung von
Wachstum, von Wettbewerbsfähigkeit und natürlich
auch von Beschäftigung. Wie schon beim informellen
Sonderrat am 23. Mai – die Bundeskanzlerin hat gestern
in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen – steht

auch beim Europäischen Rat im Juni das Thema Wachs-
tum erneut auf der Tagesordnung.

Manche haben uns in den letzten Monaten und in den
letzten beiden Jahren empfohlen, wir hätten von Anfang
an einen anderen Weg einschlagen sollen, der im We-
sentlichen in folgender Weise zusammengefasst ist: Von
Anfang an hätte Deutschland, hätte die Bundesregierung
einen großen Batzen Geld ins Schaufenster legen sollen
zur Stabilisierung und zur Abschreckung der Spekula-
tion der Finanzmärkte. – Hätten wir als Bundesregierung
zu Beginn der Krise gleich den von der Opposition ge-
forderten Blankoscheck der Solidarität ausgestellt: Wir
hätten in den Verhandlungen keine einzige der Gegen-
leistungen für Stabilität durchsetzen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es war richtig, dass Leistung und Gegenleistung von uns
stets zusammen gesehen wurden.

Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen.
Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für mehr Wachs-
tum. Wettbewerbsfähigkeit erlangt man durch Struktur-
reformen; darauf weist der Wirtschaftsminister zu Recht
hin.


(Thomas Oppermann [SPD]: Hotelsteuer und so, ja?)


Gut zehn Jahre ist es her, da galt Deutschland als der
kranke Mann Europas. Heute ist Deutschland wieder die
Wachstumslokomotive in Europa.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Trotz Guido!)


Heute ist Deutschland wieder global wettbewerbsfähig.
Die Arbeitslosigkeit sinkt; vor allem die Jugendarbeits-
losigkeit ist so niedrig wie nirgendwo sonst in Europa.
Das ist der Lohn der Mühe unserer Bürgerinnen und
Bürger. Das ist das Ergebnis von verantwortungsvollem
Handeln der Tarifparteien. Es ist auch das Ergebnis der
neuen politischen Rahmenbedingungen durch die christ-
lich-liberale Koalition.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Selbstbeweihräucherung!)


Ich füge ausdrücklich hinzu: Auch die Agenda 2010 hat
die Grundlagen dafür gelegt, dass wir heute so gut daste-
hen. Deswegen ist es gänzlich unverständlich, dass Sie
sich davon wieder abseilen wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir wissen um den schweren Weg, den viele Men-
schen in Europa derzeit gehen müssen. Dafür empfinden
wir großen Respekt und höchste Anerkennung. Die
Menschen, die derzeit in vielen Ländern Europas in ei-
ner sehr schwierigen Lage sind, können persönlich
nichts dafür, dass Reformen in ihren Ländern in den letz-
ten Jahren unterlassen worden sind. Deswegen rate ich
uns allen, nicht mit Hochnäsigkeit auf die Lage in diesen
Ländern zu reagieren, sondern Verständnis dafür zu ha-
ben, was diese Menschen durchmachen. Diesen Rat
richte ich nicht nur an eine Seite, sondern an alle, die da-
rüber diskutieren. Gerade weil wir derzeit wirtschaftlich





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


so stark sind, müssen wir in den europäischen Diskussio-
nen eine besondere Sensibilität zeigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Angesichts einer zum Teil stark schrumpfenden Wirt-
schaft, angesichts hoher Arbeitslosigkeit, angesichts ei-
ner vor allem erschreckend hohen Jugendarbeitslosigkeit
sind die jetzt angepackten Reformen die einzige nach-
haltige Chance. Nur so können wir die wirtschaftliche
und soziale Lage in den jeweiligen Mitgliedstaaten und
überall in Europa zum Guten wenden.

Ein Wort zu Griechenland: Wir stehen zu unseren
Hilfszusagen. Das bedeutet aber auch, dass die verein-
barten Reformen in Griechenland umgesetzt werden.
Wir wollen die Euro-Zone zusammenhalten. Die Zu-
kunft Griechenlands in der Euro-Zone liegt nun in den
Händen Griechenlands. Wir wollen und werden Grie-
chenland helfen. Griechenland muss sich aber auch hel-
fen lassen wollen. Wenn der verbindlich vereinbarte Re-
formweg verlassen werden sollte, dann ist die
Auszahlung weiterer Hilfstranchen nicht mehr möglich.
Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität funktio-
niert nicht ohne Solidität. Was vereinbart ist, muss gel-
ten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das ist die Haltung der Bundesregierung, meine Damen
und Herren Abgeordnete. Das ist die Haltung unserer eu-
ropäischen Partner. Das ist übrigens auch die Haltung
des Präsidenten der Europäischen Kommission, und das
ist die Haltung des Präsidenten des Europäischen Parla-
ments.

Für neues Wachstum liegt die Verantwortung zuerst
und vor allem bei den Mitgliedstaaten. Durch nationale
Strukturreformen müssen die Mitgliedstaaten die Wett-
bewerbsfähigkeit wieder herstellen, die für neues
Wachstum zwingend ist. Hierzu gehört es beispiels-
weise, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu
machen. Dazu zählt, die Arbeitsmärkte gerade für junge
Menschen stärker zu öffnen und Schwarzarbeit abzu-
bauen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Irland!)


Dazu bedarf es eines klaren Bekenntnisses zur Förde-
rung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Auch
auf europäischer Ebene wollen wir noch stärker auf
Wachstum setzen. Ein europäischer Wachstumspakt
muss folgende sechs Punkte beinhalten:

Erstens. Die Europäische Union darf nicht mehr aus-
geben als bisher. Sie muss aber ihre Mittel besser einset-
zen als bisher.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fordern doch weniger!)


Geld ist durchaus vorhanden. Der Zukunftshaushalt
der Europäischen Union für die Jahre 2014 bis 2020
sieht ein Volumen von über 1 Billion Euro vor. Aus die-
sem Haushaltsplan muss der politische Anspruch der Eu-
ropäischen Union ablesbar sein, Zukunft zu gestalten
und nicht nur Vergangenheit zu verwalten. Wir brauchen
bei der Verwendung dieser Mittel ein neues Denken. Es

darf nicht mehr darum gehen, einfach möglichst viel
Geld für die eigenen nationalen Steckenpferde zurückzu-
holen. Das führt am Ende zu Fehlentwicklungen wie eu-
ropäisch geförderte Wellnessoasen in Romantikhotels.
Wir alle kennen solche Beispiele, übrigens auch aus un-
serem eigenen Land.

Strukturmittel, die die Europäische Union ausgibt,
müssen zu mehr Wachstum und zu mehr Wettbewerbsfä-
higkeit in Europa beitragen. Das sind wir nicht nur de-
nen schuldig, die auf unsere Solidarität angewiesen sind,
sondern das schulden wir allen europäischen Steuerzah-
lern. Die Bundesregierung hat in die laufenden Haus-
haltsverhandlungen in Brüssel einen Aktionsplan zum
Better Spending eingebracht. Gleichzeitig wollen wir,
dass die Ausgaben stärker überwacht und an messbare
Kriterien geknüpft werden. Mit dem Geld der europäi-
schen Steuerzahler wollen wir gute Ergebnisse befördern
statt Förderquoten zu erfüllen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der
laufenden Haushaltsperiode stehen noch knapp 80 Mil-
liarden Euro zur Verfügung, die bis heute noch keinen
konkreten Projekten zugeordnet sind. Wir wollen, dass
die Europäische Kommission diese Mittel nutzt und ge-
meinsam mit den Mitgliedstaaten jetzt schneller und wir-
kungsvoller in neues Wachstum durch bessere Wettbe-
werbsfähigkeit investiert.

Drittens. Weil der Bankensektor unter der Last fauler
Kredite leidet, klagen viele Unternehmen in Europa über
eine Kreditklemme. Mit der Europäischen Investitions-
bank verfügen wir über ein Instrument, das wir stärker
und gezielter nutzen sollten. Wir wollen den Zugang ge-
rade kleinerer und mittelständischer Unternehmen zu
Krediten verbessern und die Expertise der Europäischen
Investitionsbank besser nutzen.


(Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was ist mit dem Stammkapital?)


Viertens. Europas Straßen und Schienen, unsere Ener-
gie- und Telekommunikationsnetze gehören zu den
großen Trümpfen der europäischen Wirtschaft. Sie zu er-
halten und zu verbessern, eröffnet neue Wachstumsper-
spektiven. Für den grenzüberschreitenden Ausbau der
europäischen Infrastruktur muss mehr privates Kapital
mobilisiert werden. Wir müssen hier auch innovative
Wege im Bereich Public-Private-Partnership ausloten.

Fünftens. Schon einmal wurden in den 80er- und
90er-Jahren durch die Verwirklichung der sogenannten
vier Freiheiten im europäischen Binnenmarkt enorme
Wachstumskräfte freigesetzt. Heute bietet die Ausdeh-
nung des Binnenmarktes auf neue Felder erneut große
Chancen. Das gilt für die digitalisierte Wirtschaft und
den Internethandel. Das betrifft den Energiesektor, wo
mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen und größerer
Versorgungssicherheit für die Verbraucher führen wird,
und das zielt auf die Stärkung von kleinen und mittleren
Unternehmen durch den Abbau von Bürokratie, durch
besseren Zugang zu Risikokapital und eine Modernisie-
rung des europäischen Vergaberechts.





Bundesminister Dr. Guido Westerwelle


(A) (C)



(D)(B)


Sechstens. Wir wollen den Freihandel stärken. Drei
Viertel der Weltwirtschaft liegt außerhalb der Europäi-
schen Union. Mehr als 80 Prozent des weltweiten Wachs-
tums werden mittlerweile außerhalb der Europäischen
Union erwirtschaftet, vor allem in Asien sowie in Nord-
und Südamerika. Solange ein Abschluss der Doha-Runde
für ein weltweites Freihandelssystem nicht erreichbar ist,
muss die Europäische Union daran arbeiten, weitere Frei-
handelsabkommen mit den alten und neuen Kraftzentren
der Welt abzuschließen.

Die Verhandlungen mit Kanada und Indien wollen
wir zügig zum Abschluss bringen. Mit Singapur und
Malaysia sind die Verhandlungen auf gutem Wege. Auf
dem EU-Asien-Außenministertreffen vor wenigen Ta-
gen hat sich gezeigt, dass in der gesamten Region großes
Interesse an Abkommen mit der Europäischen Union be-
steht. Die Vorgespräche für die Aufnahme von Verhand-
lungen zwischen der Europäischen Union und Japan ste-
hen kurz vor ihrem Abschluss.

Gegenüber Partnern wie den Golfstaaten und Brasi-
lien werben wir dafür, den Verhandlungen neue Impulse
zu geben. Mit den USA gibt es Vorgespräche und bereits
erhebliche Vorarbeiten. Wir sind bereit zu einem umfas-
senden Abkommen mit unseren engsten Verbündeten,
den Vereinigten Staaten von Amerika.

Diese sechs Punkte für mehr Wachstum in Europa
zeigen, dass man Wachstum schaffen kann, ohne neue
Schulden zu machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Kurs der Bundesregierung bei der Bewältigung
der Krise ist klar.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach ja? Eher Zickzack!)


Wir sind der Überzeugung: Europa ist nicht das Pro-
blem, sondern es ist Teil der Lösung des Problems. Es
reicht nicht, aus der Krise nur finanz- und wirtschafts-
politische Konsequenzen zu ziehen, so wichtig die natür-
lich sind. Wir müssen strukturelle Antworten geben. Die
Europäische Union muss handlungsfähiger und effizien-
ter werden. Auch das ist eine Lehre aus der Krise.

Wir haben eine Zukunftsgruppe ins Leben gerufen,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Zukunftsgruppe?)


in der wir institutionelle Verbesserungen diskutieren, die
auch unterhalb von Vertragsänderungen umgesetzt wer-
den können. Wir werden alle europäischen Mitgliedslän-
der und natürlich auch die europäischen Institutionen,
insbesondere das Europäische Parlament und die Euro-
päische Kommission, in diese Diskussion einbeziehen.
Mit dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes
habe ich dazu in dieser Woche hier in Berlin Gespräche
geführt.


(Zuruf von der SPD: Wir auch!)


Die große historische Frage ist, ob die Fliehkräfte, die
in der Krise auf Europa wirken, größer sind als die poli-
tische Kraft des Zusammenhalts. Es gibt Renationalisie-

rungstendenzen, die mich besorgen. Die Reisefreiheit
gehört für mich zu den kostbarsten europäischen Errun-
genschaften. Sie zu bewahren und zu verteidigen ist ein
Kernanliegen der Bundesregierung. Wer anfängt, Europa
stückweise aufzugeben, der wird es am Ende ganz ver-
lieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Welt verändert sich, und die Architektur der Welt
verändert sich, weil die Gewichte sich verschieben.
Deutschland ist in Europa relativ groß, in der Welt ist
Deutschland relativ klein. Wir brauchen unsere europäi-
schen Partner. Gefragt ist der ökonomische, politische
und kulturelle Selbstbehauptungswille von uns Euro-
päern. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Deshalb
schweigen wir nicht, wenn in unmittelbarer Nachbar-
schaft auf unserem europäischen Kontinent gemeinsame
Werte verletzt werden. Wir stehen an der Seite der Un-
terdrückten in Weißrussland, übrigens auch dann, wenn
dies nicht jeden Tag Gegenstand medialer Betrachtung
ist. Das ist Europa, und das, was in Weißrussland statt-
findet, ist eine Schande für Europa.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind Grundpfeiler
unserer europäischen Werteordnung. Ohne sie, ohne De-
mokratie und Rechtsstaatlichkeit, kann es keine weitere
Annäherung an die Europäische Union geben. Das gilt
auch für die Ukraine.

Es gibt ein europäisches Lebensmodell, auf das wir
stolz sein können. Dazu gehört, dass Freiheit und Sicher-
heit in Balance gehalten werden, dass der Einzelne etwas
zählt und nicht nur das Kollektiv, dass wir nicht nur ma-
terielle, sondern auch postmaterielle Werte schätzen,
nämlich individuelle Freiheit, soziale Sicherheit,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Soziale Sicherheit ist aber materiell!)


Freiheit von Angst, kulturelle Vielfalt und eine lebens-
werte Umwelt. In der Globalisierung müssen wir dieses
Lebensmodell gemeinsam verteidigen. Wir wollen, dass
sich Europa als Kulturgemeinschaft behauptet.

Die deutsch-französische Freundschaft ist für den Er-
folg Europas unverzichtbar. Wir gratulieren dem neu ge-
wählten französischen Präsidenten François Hollande.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir werden bewährt und eng mit der neuen französi-
schen Regierung zusammenarbeiten und gemeinsam mit
unseren europäischen Partnern die Lösung der Probleme
anpacken. Ich denke – das hat der Beifall gezeigt –, wir
gratulieren alle gemeinsam dem neu gewählten, dem de-
mokratisch gewählten französischen Präsidenten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die einen früher, die anderen später! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sich dazu durchringen können! – Thomas Bundesminister Dr. Guido Westerwelle Oppermann [SPD]: Hinterher ist man immer klüger!)





(A) (C)


(D)(B)


Ich bin gespannt auf das Folgende. Wir danken dem
scheidenden Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy,
für die freundschaftliche Zusammenarbeit der letzten
Jahre. Erlauben Sie mir, dass ich in diesen Dank auch
Außenminister Alain Juppé und die anderen Kabinetts-
kollegen einschließe.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– An dieser Stelle, Genossen, fehlt der Beifall.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber Ihre Kanzlerin ist doch froh, dass das vorbei ist!)


Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Ich finde, dass die
deutsch-französische Freundschaft von nationalen par-
teipolitischen Präferenzen völlig unabhängig ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Binsenweisheit! Wir haben das nie bezweifelt, Herr Westerwelle!)


Wir kämpfen für Europa – mit Pragmatismus und
Weitsicht, mit Verstand und Herz. Unser Auftrag ist das,
was bereits in der Präambel des Grundgesetzes festge-
legt wurde. An diese Präambel des Grundgesetzes, die
uns alle verpflichtet, möchte ich erinnern: „… in einem
vereinten Europa“ – so heißt es dort – „dem Frieden der
Welt zu dienen“. Europa ist die Antwort auf das dun-
kelste Kapitel unserer Geschichte. Europa ist eine Ant-
wort des Friedens auf Jahrhunderte der Kriege. Noch
mehr aber ist Europa unsere Zukunft. Europa ist unser
Schicksal, und Europa ist auch unsere Leidenschaft.
Deshalb arbeiten wir alle gemeinsam dafür, dass Europa
diese Bewährungsprobe besteht. Wir wissen, was wir an
Europa haben. Deshalb wollen wir, dass Europa diese
Lage meistert.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900100

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-

lege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1717900200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Westerwelle! Als Sie vor einigen
Tagen für heute eine Regierungserklärung zum Thema
„Europas Weg aus der Krise: Wachstum durch Wettbe-
werbsfähigkeit“ angemeldet haben, hatte ich gewisse
Hoffnungen. Ich wollte eigentlich sagen: Willkommen
in einer Debatte über Europa, an der Sie zwei, drei Jahre
nicht teilgenommen haben. Herzlich willkommen in ei-
ner Debatte über Wachstum, zu der Sie in den letzten
Wochen und Monaten nichts beigetragen haben. – Und
jetzt höre ich 26 Minuten lang nichts anderes als heiße

Luft und Stanzen. Der Verdruss über Europa hat auch
mit dieser Art von Reden zu tun, die Sie hier liefern.


(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Sie haben nicht zugehört! Sie haben zu viel mit Herrn Steinmeier geredet!)


Es war kein einziger neuer Gedanke und kein konkreter
Vorschlag zu hören, sondern lediglich das Mantra von
Guido Westerwelle zwei Tage vor der nordrhein-westfä-
lischen Landtagswahl. Das ist der Grund für Ihre Regie-
rungserklärung. Das ist aber keine Regierungserklärung
von Guido Westerwelle. Das hätte eine Regierungserklä-
rung der Bundesregierung sein sollen, die in diesem
Punkt sträflich versagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns einmal Klartext reden, Herr
Westerwelle, über das, was Sie in den letzten zwei, drei
Jahren unterlassen haben: Ihr Zögern und Zaudern, auch
die Feigheit der Bundeskanzlerin, den Menschen die
Wahrheit über das Ausmaß der Krise zu sagen, und die
Unfähigkeit, Wachstumsinitiativen auf den Weg zu brin-
gen, sowie der Glaube daran, dass man allein mit Hilfs-
krediten und kurzfristigen fiskalischen Auflagen Europa
aus der Krise führen kann – dieser Weg ist es, der
Europa im Moment noch tiefer in die Krise führt, anstatt
Europa herauszuführen.


(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)


Wenn Sie uns nicht glauben, Herr Westerwelle, dann
hören Sie wenigstens auf das, was Ihnen inzwischen die
ganze Welt ins Stammbuch schreibt. Hören Sie auf
Christine Lagarde, die Chefin des IWF. Hören Sie auf
Bill Clinton, der sich zu diesem Thema geäußert hat. Hö-
ren Sie auf den Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul
Krugman, der Ihnen das ins Stammbuch geschrieben hat.
Ja, Strukturreformen sind notwendig. Das ist gar keine
Frage. Davon haben wir übrigens ein bisschen mehr Ah-
nung als diese Regierung; das will ich klar sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Aha!)


Ich sage Ihnen einmal etwas, Herr Brüderle: Dampf-
plauderreden, wie Sie sie hier halten, kann jeder. Wir
hingegen haben uns darangemacht, schwierige und mu-
tige Entscheidungen zu treffen, und das hat Deutschland
gedient. Das waren wir und nicht Sie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: August Bebel war es, Herr Heil!)


Jetzt will ich Ihnen etwas zu dem Popanz sagen, den
Sie hier aufbauen: Es ist doch überhaupt gar keine Frage,
dass Länder, die Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit
haben, auch langfristig wirkende Strukturreformen brau-
chen. Das bezweifelt niemand. Es ist auch keine Frage,
dass Europa Haushaltsdisziplin braucht. Die Staaten
müssen unabhängiger werden von den Launen der





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Finanzmärkte und ihrer Finanzierung. Ganz klar ist aber
auch: Ohne Wachstumsperspektiven und wirtschaftliche
Dynamik gelingt es nicht, die Haushalte zu konsoli-
dieren, und Wachstum braucht Investitionen, Herr
Westerwelle. Das ist in dieser Situation wichtig, aber das
haben Sie nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Private und nicht öffentliche!)


– Private und öffentliche Investitionen; das sage ich Ih-
nen. – Das haben Sie nicht begriffen. Private Investitio-
nen fallen nicht vom Himmel, zumal nicht in dieser Si-
tuation. Dafür braucht man mutige Politik und mutige
Initiativen. Ich will Ihnen dazu gleich ein paar Vor-
schläge machen.


(Beifall bei der SPD)


Niemand bezweifelt – das sage ich noch einmal –,
dass wir von der Staatsverschuldung in Europa herunter-
müssen. Aber schon die Krisenanalyse, die Sie hier zim-
mern, stimmt so nicht.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das fängt bei den Ländern schon an!)


Ja, es gab Staaten, die fiskalisch weit über ihre Verhält-
nisse gelebt haben. Das ist Politikversagen. Aber es gab
auch Staaten wie Irland und Spanien, wo es kein Politik-
versagen oder Haushaltsversagen gab, das zu einem De-
fizit führte. In Irland ist eine Finanzblase geplatzt, in
Spanien eine Immobilienblase. Dann musste der Staat
ins Obligo gehen und Banken retten. Das ist der Grund,
warum diese Länder im Defizit sind. Dort hat nicht Poli-
tik versagt, sondern die Finanzkrise hat diese Länder in
Schieflage gebracht. Das verschweigen Sie, weil es nicht
in Ihr Weltbild passt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vor Jahren haben Sie uns Irland noch als leuchtendes
Beispiel genannt. Der keltische Tiger, die Zukunft der
tollen Finanzmarktdienstleistungen, der Abschied von
der Industrie – das war jahrelang das Mantra von Guido
Westerwelle in diesem Parlament. Wohin das führt, kön-
nen wir gerade in Irland beobachten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer hat denn die Hedgefonds in Deutschland eingeführt? Wer hat von der Deutschland AG gesprochen? Das wart ihr!)


Darüber müssen wir einmal reden. Herr Westerwelle,
wir haben Ihre fünf oder sechs Punkte mit großer Auf-
merksamkeit verfolgt,


(Patrick Döring [FDP]: Sehr aufmerksam!)


und wir haben festgestellt, dass Sie im Rahmen dessen,
was man sich mit Copy and Paste an Überschriften aus

europäischen Papieren ziehen kann, einen großartigen
Redenschreiber haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns jetzt über fünf konkrete Vorschläge re-
den. Ich willen wissen, wie sich diese Bundesregierung
dazu verhält.

Erstens. Um öffentliche und private Investitionen zu
bündeln, um Investitionsimpulse für Wachstum in
Europa zu generieren, schlagen wir Ihnen die Gründung
eines Investitions- und Aufbaufonds vor, gespeist aus
den Mitteln der europäischen Strukturhilfen – die da
sind –, aus einer Umsteuerung bei der Strukturförderung
im Agrarsektor, die in den Krisenländern zum Teil voll-
kommen falsch geleitet war – warum Sie dazu keinen
Satz sagen, weiß ich nicht –, und dem Aufkommen einer
Finanztransaktionsteuer; das Wort fehlt bei Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Das hat er alles gesagt!)


Wir wollen nicht neue Schulden machen. Wir brau-
chen die Besteuerung der Finanzmärkte, um Wachstums-
impulse zu bekommen. Herr Westerwelle, da sind Sie
der Bremser in Europa. Dass Frau Merkel hilflos in
Europa herumstrauchelt und sagt: „Privat bin auch ich ir-
gendwie für eine Finanztransaktionsteuer, aber ich
schaffe es nicht einmal, das in meiner eigenen Koalition
durchzusetzen“, das zeigt, dass das Chaos von Schwarz-
Gelb zum Problem für Europa geworden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Also: Sind Sie für einen solchen Investitions- und Auf-
baufonds, ja oder nein?

Zweitens. Sind Sie für die Beteiligung des Finanz-
sektors? Sagen Sie doch einmal einen Satz dazu, was
diese Bundesregierung auf dem nächsten europäischen
Gipfel in Sachen Finanztransaktionsteuer auf den Weg
bringen will. Die Chance ist jetzt nach der Wahl in
Frankreich noch größer. Es gibt immer mehr Verbündete.
Die Einzigen, die es nicht begriffen haben, sind die Men-
schen, die der FDP angehören.

Drittens. Sie haben erfreulicherweise – vielleicht hat
Herr Hoyer, der neue Chef der Europäischen Investi-
tionsbank, Ihrem Redenschreiber das zugearbeitet – die
Europäische Investitionsbank als ein wesentliches In-
strument genannt, um private und öffentliche Investitio-
nen zu mobilisieren – vollkommen d'accord –, aber Sie
haben keine Idee, wie Sie die Europäische Investitions-
bank als Instrument in dieser Situation stärken können,
um öffentliche und private Investitionen miteinander zu
verbinden. Herr Westerwelle, sind Sie bereit, den Men-
schen in Deutschland offen zu sagen, dass das nicht geht,
wenn man nicht die Möglichkeiten der Europäischen In-
vestitionsbank, zum Beispiel durch die Erhöhung des
Stammkapitals der Mitgliedstaaten, ausbaut?

Viertens. Sie haben sehr nebelig davon gesprochen,
dass man auch innovative Möglichkeiten der Public-Pri-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


vate-Partnerships zur Finanzierung von Infrastruktur
nutzen soll. Was meinen Sie eigentlich damit? Meinen
Sie das Instrument der Projektanleihen? Das ist ein gutes
Instrument. Meinen Sie die Möglichkeit, dass wir öffent-
liches und privates Kapital in die Netze investieren, in
die Telekommunikationsnetze, in Energienetze und in
Verkehrswege? Dann sagen Sie das. Aber Sie haben
doch Projektbonds schon fast wieder ausgeschlossen.
Sie sagen den Menschen nicht, dass wir das brauchen,
um diese Investitionen in diesem Land tatsächlich zu he-
beln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Lesen Sie doch unseren Beschluss!)


Nein, Sie sind jemand, der morgen schon wieder fressen
muss, was er gestern ausgeschlossen hat.

Ich sage ihnen – fünftens – auch: Mich hat richtig ent-
täuscht,


(Zurufe von der FDP: Oh!)


dass Sie neben den Weihrauchreden über Europa mit den
gestanzten Formeln, die in Europa keiner mehr hören
kann und die das Vertrauen untergraben, nicht einen Satz
zur Jugendarbeitslosigkeit in den Defizitländern gesagt
haben. Sie sprechen von Herz und Leidenschaft. Ihnen
fehlt aber jegliche Empathie mit den jungen Menschen
im Süden Europas, die keine Perspektive haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihnen fehlt jede Idee für ein Sofortprogramm zur Be-
kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das wir fordern.
Wenn in Spanien jeder dritte junge Mensch arbeitslos ist,
wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland bei fast
50 Prozent liegt, dann kann man nicht dabei zugucken,
dass eine ganze verlorene Generation perspektivlos ist.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Dann muss man den Arbeitsmarkt deregulieren!)


Dann brauchen wir auch arbeitsmarktpolitische Maßnah-
men und Qualifizierungsmaßnahmen. Dass Sie dazu
konkrete Vorschläge machen, hätten wir erwartet.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unter Strukturreformen, Herr Westerwelle, verstehen
Sie höchstens die Deregulierung des Taxigewerbes in
Griechenland. Das hat mit wirtschaftspolitischem Sach-
verstand nichts zu tun. Ich sage Ihnen: Der fehlende Mut
dieser Regierung, der fehlende Mut von Angela Merkel
und Guido Westerwelle,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


hat Europa schon Schaden zugefügt.


(Joachim Spatz [FDP]: So ein Quatsch!)


Die Realität wird aber in diesem Sommer über Sie hin-
weggehen. Dessen bin ich mir sicher.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Tatütata! Heil bringt Unheil!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900300

Gunther Krichbaum erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1717900400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Kollege Heil, ich habe Ihnen sehr
aufmerksam zugehört.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – Joachim Spatz [FDP]: Das war schon ein Fehler!)


Eines ist sicher: Mit Ihnen hätten wir den Weg aus der
Krise nicht geschafft, und mit Ihnen würden wir den
Weg aus der Krise nicht schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Mensch, wir haben den Weg aus der Krise geschafft, Junge!)


Vor zwei Tagen jährte sich die Schuman-Erklärung.
Robert Schuman, damaliger französischer Außenminis-
ter, unterbreitete Deutschland einen revolutionären Vor-
schlag: Nach einem entsetzlichen Krieg, von Deutsch-
land verursacht, sollten Kohle und Stahl für die Zukunft
unter eine gemeinsame Verantwortung gestellt werden,
Rohstoffe, die leider auch für die Rüstungsindustrie
maßgeblich waren und die deswegen auch mit die Ursa-
che für viele Kriege waren. Dies war die Geburtsstunde
der europäischen Integration. Sozusagen im Zeitraffer
dargestellt: Es folgten 1957 mit den Römischen Verträ-
gen die Gründung der Europäischen Gemeinschaft und
mit dem Vertrag von Maastricht 1992 die Gründung der
Europäischen Union.

Aus den Jahrzehnten der Zusammenarbeit erwuchsen
Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie,
Wohlstand und auch sozialer Fortschritt, wie Sie, Herr
Außenminister Westerwelle, es vorhin richtig benannt
haben. Der Wechsel von EG zu EU bedeutete sicherlich
mehr als nur den Austausch eines Buchstabens. Mit der
Verwirklichung einer Union war auch der Anspruch ver-
bunden, Probleme in Zukunft politisch lösen zu wollen.
Dies war ein politischer Anspruch. So ist es auch jetzt
ein politischer Anspruch, auf die aktuellen Herausforde-
rungen zu reagieren und diese Krise bewältigen zu wol-
len.

Ich glaube, an dieser Stelle dürfen wir die Ursachen
dieser Krise nicht ausblenden. Die Ursachen lagen darin,
dass viele Staaten auf der Welt über ihre Verhältnisse ge-
lebt haben


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das war nicht die Ursache der Krise! Falsch!)






Gunther Krichbaum


(A) (C)



(D)(B)


und dass die Ausgaben weit über den Einnahmen lagen.
Die Pleite einer Bank namens Lehman Brothers verän-
derte, ausgehend von den Vereinigten Staaten von Ame-
rika, die Welt und auch Europa. Das, was lange Zeit als
ein Axiom galt, dass nämlich europäische Staaten ihren
Rückzahlungsverpflichtungen nachkommen können, ge-
riet plötzlich in Zweifel. Mit den Zweifeln schwand das
Vertrauen. Mit dem schwindenden Vertrauen stiegen die
Zinsen. Wir müssen genau dort ansetzen, wo die Ursa-
chen dieser Krise liegen: bei einer überbordenden Ver-
schuldungspolitik.

Der erste Schritt ist, dass die Haushalte innerhalb der
Europäischen Union konsolidiert werden und die Staaten
ihrerseits Strukturreformen durchführen müssen, weil
wir sonst gar keine Möglichkeit haben, mit Hilfe anzu-
setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben es richtigerweise gesagt, Herr Außenminister:
Erst einmal müssen sich die betreffenden Staaten selbst
helfen. Da wir oftmals allgemein von Strukturreformen
sprechen, sei dies an nur zwei Beispielen etwas konkreti-
siert.

Beispiel Nummer eins: Spanien. Ja, es ist richtig: Die
Jugendarbeitslosigkeit ist hier viel zu hoch. Ich muss Ih-
nen aber sagen, dass gerade auf dem spanischen Arbeits-
markt abstrus hohe Abfindungsregelungen existieren,
die mittelständische und kleine Betriebe davon abhalten
– auch bei Auftragslagen, die das eigentlich rechtferti-
gen würden –, Mitarbeiter einzustellen. Genau daran
liegt es, dass der Arbeitsmarkt mit der Auftragslage der
Firmen nicht zusammengebracht werden kann.

Beispiel Nummer zwei: Griechenland. Die Außen-
stände des griechischen Staates bei den Steuerforderun-
gen liegen bei einer Größenordnung von 60 Milliarden
Euro. Das ist deutlich mehr, als wir im ersten Griechen-
land-Paket allein an möglichen Privatisierungserlösen
angesetzt haben. Das heißt, es geht hier gar nicht darum,
nur entsprechende Gesetzeslagen zu schaffen – sie exis-
tieren dort bereits –, sondern darum, Gesetze zu vollzie-
hen.

Allein an diesen Beispielen wird deutlich, wo wir an-
setzen müssen.

Ich möchte auch den Blick auf die bisherige Politik
der Europäischen Kommission und der Europäische
Union lenken:

Gerade in diesen Tagen kann man schon etwas irri-
tiert sein, wenn versucht wird, den Eindruck zu erwe-
cken, als würden Wettbewerbspolitik und Wachstums-
politik etwas ganz Neues für die Europäische Kommission
und die Europäische Union bedeuten. Seit wir ab 1957
die Strukturfonds und später auch die Kohäsionsfonds
haben, ist es eine der Maximen der Europäischen Union,
Wachstum und Beschäftigung in der Europäischen
Union zu fördern. Last, but not least dokumentiert sich
das in der Agenda 2020, einer Wachstumsagenda, und
auch in den Beschlüssen des letzten Europäischen Rates,
die Sie, Herr Außenminister, vorhin noch einmal darge-

stellt haben. Deswegen möchte ich mir hier weitere Aus-
führungen dazu sparen.


(Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eines ist aber sicher: Genau diese Dinge, die jetzt oft-
mals lautstark gefordert werden – auch von einem Nach-
barland –, gibt es längst, und sie werden jetzt mit Sicher-
heit auch konkretisiert werden.

Wenn wir über Europa, den politischen Anspruch und
die Krise sprechen, dann dürfen wir auch nicht das ver-
gessen, was uns Europa in der Vergangenheit gebracht
hat, nämlich Errungenschaften, um die wir weltweit be-
neidet werden. Ich habe sie vorhin schon genannt: Frie-
den, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. All das ist alles
andere als selbstverständlich. Diese Werte und Errun-
genschaften zu bewahren, muss eine Vision sein, die wir
erfüllen müssen – erst recht vor dem Hintergrund, dass
wir in Europa immer weniger werden.

Heute repräsentieren wir Europäer nur noch einen
Bruchteil der Weltbevölkerung. Am Ende dieses Jahr-
hunderts werden wir nur noch 4 Prozent sein. Die deut-
sche Bevölkerung hat schon heute nur noch einen Anteil
von 1 Prozent an der Weltbevölkerung. Das bedeutet im
Zeitalter der Globalisierung, dass wir nüchtern auf die
Realitäten schauen müssen.

Wir sind dazu verurteilt – in Anführungszeichen –,
zusammenzuarbeiten und zusammenzuwirken. Die He-
rausforderungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise
sind unglaublich hoch. Dazu kommen noch: der Klima-
wandel, die Gewährleistung von Sicherheit – allein mit
Blick auf den Iran wird hier manches deutlich –, aber
auch eine Industriepolitik, die uns unabhängig macht,
auch von Märkten in der Welt. Hierzu kann ich Ihnen
auch zwei Beispiele nennen: Hätten wir Airbus nicht,
dann gäbe es in der Welt nur Boeing; hätten wir Galileo
nicht, gäbe es auf der Welt nur GPS. – Daneben geht es
um die Sicherheit der Rohstoffversorgung, die Sicherheit
der Energieversorgung und auch um die Bewahrung un-
serer sozialen Standards. Deswegen müssen wir alles da-
rauf richten, auch diese Werte zu bewahren.

Eine Vision muss aber auch dem afrikanischen Konti-
nent gelten. Die Bekämpfung des Hungers und die
Schaffung von Lebensperspektiven verlangen geradezu
nach einer europäischen Entwicklungspolitik. Der arabi-
sche Frühling droht in einigen Ländern schon heute zu
einem demokratischen Herbst zu werden.

Es kann uns als Europäischer Union nicht egal sein,
was dort vor Europas Haustüre passiert. Wir müssen des-
wegen bereit sein, auch unsere Märkte zu öffnen, dort
produzierte Ware nach Europa hereinzulassen, auch
wenn das mehr Wettbewerb und Konkurrenz für hiesige
Länder und hiesige Unternehmen bedeutet. Wenn wir
das nicht schaffen, wird der Migrationsdruck – das ist
bisher nur die Spitze des Eisberges –, der gegenwärtig in
Europa zu spüren ist, weiter zunehmen.

Herr Außenminister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie
auch die Verhältnisse in Belarus und der Ukraine ange-
sprochen haben. Gerade dort sind die Wahrung von





Gunther Krichbaum


(A) (C)



(D)(B)


Menschenrechten und die Schaffung von demokratischer
Teilhabe leider noch nicht verwirklicht. Bei dieser Gele-
genheit möchte ich insbesondere den vielen NGOs und
auch unseren politischen Stiftungen danken, die gerade
hier eine hervorragende Arbeit leisten. Das ist eine In-
vestition in die Demokratie. Deswegen sollte gerade
auch, lieber Norbert Barthle, was die Haushaltsverhand-
lungen angeht, die Arbeit der Stiftungen eine ganz be-
sondere Berücksichtigung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da klatsche ich gern!)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir werden
die Herausforderungen, von denen ich eben gesprochen
habe, nur gemeinsam bewältigen können. Eines fällt auf:
Wir werden von außen als wesentlich stärker wahrge-
nommen als von uns selbst. Deswegen können wir es ru-
hig einmal wagen, den Blick nach außen zu richten. Die
USA sind ein Land, das mit einer Staatsverschuldung
von 15 Billionen Dollar kämpft. Auf der anderen Seite
haben wir China, das freien Zugang zum Markt in den
USA bekommt, aber im Gegenzug die amerikanischen
Bonds kauft und damit den Markt finanziert. In China
darf die Duldsamkeit der Menschen nicht mit Stabilität
verwechselt werden; die Ereignisse von 1989 haben da-
rauf ein Schlaglicht geworfen. Deswegen: Auch diese
Länder und Regionen haben ihre Probleme; mit ihnen
möchte ich nicht unbedingt tauschen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900500

Herr Kollege.


Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1717900600

Die Ursache der Krise lag mit Sicherheit in einem Zu-

wenig an Europa. Die Lösung kann also nur darin liegen,
dass wir mehr Europa wagen. Wenn wir das beherzigen,
ist mir persönlich um die Zukunft unseres Kontinents
nicht bange.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900700

Sahra Wagenknecht ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717900800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es

ist schon verblüffend, wie schnell sich die Rhetorik än-
dert: Gestern ging es immer nur ums Sparen, jetzt ist
plötzlich Wachstum das neue Zauberwort. Aber wenn
man genauer hinhört, dann merkt man – das ist natürlich
das Problem –, dass diese ganze Wachstumsrhetorik ge-
nauso verlogen ist wie vorher die Sparrhetorik. Darauf
möchte ich jetzt näher eingehen.

Es wurde und wird in Europa überhaupt nicht gespart,
sondern der Bevölkerung in Europa werden unter dem

Vorwand der Schuldenbremse brachiale Kürzungspro-
gramme diktiert. Gleichzeitig werden unverändert Mil-
liarden Euro dafür verpulvert, um Banken, Hedgefonds
und Spekulanten von ihrer Verantwortung und von ihren
Verlusten freizukaufen. Das läuft doch gerade.

Der nächste große Bankenrettungsschirm ESM wird
in Kürze den Bundestag passieren. Wer tatsächlich diese
unglaubliche öffentliche Schuldenspirale stoppen möchte,
der müsste etwas dafür tun, dass genau dieser Wahnsinn
ein Ende hat. Aber das ist leider noch nicht einmal von
SPD und Grünen zu erwarten.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Aber von euch!)


Er müsste sich auch dafür einsetzen, beispielsweise den
Wettbewerb der Steuersysteme in Europa zu beenden.
Nichts davon ist mit dem Fiskalpakt vorgesehen.

Die Länder sollen die demokratische Souveränität
verlieren, dass sie über ihre Ausgabenpolitik selbst de-
mokratisch entscheiden können. Aber es ist nicht ge-
plant, etwa in Europa höhere und vor allem einheitliche
Konzernsteuern oder beispielsweise eine europaweite
Millionärssteuer für sehr Reiche einzuführen, die von
der Staatsverschuldung mit einem Zuwachs ihres Ver-
mögens wesentlich profitiert haben. Nichts davon ist
vorgesehen.

Das zeigt sehr deutlich: Es geht hier überhaupt nicht
ums Sparen. Es geht auch gar nicht um die Schulden, die
übrigens munter weiter wachsen, allen Konsolidierungs-
und Kürzungsorgien zum Trotz,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was denn nun?)


sondern es geht in Europa um die Zerschlagung des eu-
ropäischen Sozialstaats und die Außerkraftsetzung der
Demokratie.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist es raus!)


Darauf läuft Ihre Politik hinaus, und damit fahren Sie
Europa im Eiltempo gegen die Wand. Das müssen wir
ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Welche Art Wachstum mit dieser Art von Politik er-
reicht werden kann, kann man besonders krass in Grie-
chenland besichtigen: ein beispielloses Wachstum der
Arbeitslosigkeit – die Jugendarbeitslosigkeit wurde
schon erwähnt –, ein sagenhaftes Wachstum der Armut
und der Obdachlosigkeit und ein erschreckendes Wachs-
tum der Selbstmordraten. Die griechische Wirtschafts-
leistung dagegen ist allein in den letzten zwei Jahren um
11 Prozent geschrumpft, und die privaten Investitionen
sind sogar um 50 Prozent eingebrochen.

Ist das Ihr Modell für Europa, eine verzweifelte Be-
völkerung auf der einen Seite, der Löhne, Renten, Ge-
sundheitsleistungen und Bildung gnadenlos weggekürzt
werden, und eine reiche Oberschicht auf der anderen
Seite, deren Vermögen allen Krisen zum Trotz nach wie
vor kräftig weiterwächst? Ich finde, es ist gut, dass sich
die Menschen in Europa gegen dieses Modell immer
stärker zur Wehr setzen.


(Beifall bei der LINKEN)






Sahra Wagenknecht


(A) (C)



(D)(B)


Man muss es immer wieder deutlich sagen: Ein öf-
fentlicher Haushalt hat nicht nur eine Ausgaben-, son-
dern auch eine Einnahmeseite. Man muss nicht Renten
kürzen und Schulen und Straßen verrotten lassen, damit
die Schulden nicht aus dem Ruder laufen. Man könnte ja
auch die Reichen mal wieder etwas heftiger besteuern,
nachdem sie jahrelang immer nur entlastet wurden.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Entlastungen ziehen sich wie ein roter Faden
durch die Steuerpolitik in Deutschland, von Rot-Grün
bis Schwarz-Gelb.

Hätten wir in der Bundesrepublik heute noch die
Steuergesetze der Ära Helmut Kohl mit dem höheren
Spitzensteuersatz und einer deutlich höheren Unterneh-
mensbesteuerung, dann hätten Bund, Länder und Ge-
meinden immerhin 75 Milliarden Euro mehr Einnahmen
im Jahr. Allein ein Land wie Nordrhein-Westfalen hätte
7,5 Milliarden Euro im Jahr mehr zur Verfügung.


(Otto Fricke [FDP]: Nein! Die hätten das längst ausgegeben!)


Das heißt, bei gleichen Ausgaben gäbe es heute gar kein
Defizit; man würde vielmehr einen Überschuss von
4,5 Milliarden Euro erzielen, die man für ein Sozial-
ticket und eine bessere Ausstattung der Kommunen ver-
wenden könnte. Das wäre alles möglich gewesen.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Helmut Kohl!)


Die tollen Strukturreformen, die Sie jetzt den anderen
Euro-Ländern als Wachstumsbringer andienen, sind zum
Teil in Deutschland Realität – das ist wahr –: die Agenda
2010, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, Hartz IV
und die Zerschlagung der gesetzlichen Rente. Was ist da-
bei herausgekommen? Herausgekommen ist seit dem
Jahr 2000 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum
von 1 Prozent. Das ist weniger als in Frankreich und viel
weniger als in früheren Jahren der alten Bundesrepublik.
Herausgekommen sind Wirtschaftsaufschwünge, die re-
gelmäßig an der Mehrheit der Menschen vorbeigehen.
Herausgekommen sind Aufschwünge der Profite, der
Leiharbeit und Werkverträge. Herausgekommen ist eine
Situation, in der immer mehr Menschen nicht mehr von
ihrer Arbeit leben können, geschweige denn, dass sie
noch irgendeine Aussicht auf eine auskömmliche Rente
haben.

Das ist die wahre Bilanz der Agenda 2010. Es ist
peinlich, Herr Heil, dass die SPD noch heute darauf stolz
ist, dass sie die Grundlage dafür gelegt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun sollen dieser Generalangriff auf den Wohlstand
der großen Mehrheit und die miserable Lohnentwick-
lung, die wir infolgedessen in Deutschland seit Jahren
haben und die inzwischen auch Herrn Schäuble aufgefal-
len ist, offensichtlich als Erfolgsmodell auf ganz Europa
übertragen werden. Dazu kann ich nur sagen: Gute
Nacht, Europa!

Wer tatsächlich aus dem entstandenen Desaster Kon-
sequenzen ziehen möchte, der müsste als Allererstes den

ESM und auch den Fiskalpakt da hinwerfen, wo sie hin-
gehören: in den Reißwolf.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die SPD einen Rest von sozialem Verantwor-
tungsgefühl hätte, dann würden Sie sich nicht immer nur
heldenhaft zur Grundsatzkritik aufplustern und am Ende
doch immer wieder Merkels Katastrophenkurs brav die
Stimme geben. Dann würden Sie diese Art von Politik
nämlich stoppen müssen. Aber Sie haben eben diese so-
ziale Verantwortung nicht.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bedauerlicherweise!)


Das ist bedauerlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Politik, die wild entschlossen scheint, demokra-
tische Rechte immer dann außer Kraft zu setzen, wenn
die Interessen der Finanzlobby und der Finanzbranche
berührt sind, werden sich die Menschen in Europa auf
Dauer nicht mehr gefallen lassen. Das ist das Ergebnis,
und das zeigen die Wahlen in Griechenland und Frank-
reich schon deutlich. Es wird noch mehr geben.

Auch in Deutschland werden die Menschen beginnen,
sich zu wehren, selbst wenn jetzt wie in Frankfurt ver-
sucht wird, solche Proteste schlicht zu verbieten. Das
wird nicht gelingen; das sage ich Ihnen.

Europa braucht Gegenwehr. Denn Europa braucht
eine andere Wirtschafts- und Finanzordnung. Dafür
kämpft die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717900900

Ich erteile nun dem Kollegen Joachim Spatz für die

FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1717901000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Kollegin Wagenknecht, wir tagen zwar hier
im Reichstag. Trotzdem finde ich es nicht angemessen,
dass Sie hier Reden von 1902 halten und uns alte Re-
zepte vorstellen. Wir alle müssten aufgrund der Schul-
denkrise erkannt haben, dass Schulden unfrei machen.
Sie vergessen immer, dass alles, was Sie einfordern, ir-
gendjemand finanzieren muss. Wir haben doch bemerkt:
Die Dritten, die das finanzieren, tun das zu immer
schlechteren Konditionen und engen die Spielräume der
Zukunft immer weiter ein. Darum kommen Sie nicht he-
rum. Deswegen gibt es zum Konsolidierungskurs über-
haupt keine echte Alternative.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie einen Schritt von der Weltkarte zurücktre-
ten, werden Sie sehen, dass Europa in eine viel dynami-
scher gewordene Welt eingebettet ist. Das macht – das
ist unumgänglich – mehr Europa notwendig und nicht
weniger Europa. Wir sind – Kollege Krichbaum hat das
schon erwähnt – in vielen Politikbereichen, nicht nur im





Joachim Spatz


(A) (C)



(D)(B)


ökonomischen Bereich – denken Sie nur an das Thema
Sicherheit und die neue Schwerpunktsetzung der US-
Amerikaner –, dazu verurteilt, mehr Europa zu wagen,
um in dieser neuen Welt bestehen zu können. Natürlich
müssen wir uns im Ideenwettbewerb an den Besten
orientieren. Cicero hat einmal gesagt, dass man auf
Dauer die Schwachen nicht stärken kann, indem man die
Starken schwächt.


(Günter Gloser [SPD]: Welche Ausgabe?)


Das bedeutet zweierlei: Erstens. Es gab schon damals
Umverteilungspolitiker. Zweitens. Umverteilung war
schon damals falsch. Deshalb haben wir uns in Deutsch-
land – angefangenen mit der Agenda 2010 – dem neuen
Denken und den Reformen gestellt. Das Traurige ist
– um noch ein historisches Beispiel zu nennen –, dass
Sie die Namen derjenigen, die das damals gemacht ha-
ben, aus den Geschichtsbüchern tilgen und von den Ste-
len meißeln wollen, weil Sie nicht wahrhaben wollen,
dass dieser Politikansatz richtig ist.

Der ganze Kontinent übt sich im Paradigmenwechsel,
weg vom süßen Gift der Verschuldung, hin zu neuer So-
lidität. Deshalb ist der Dreiklang, den wir anbieten, näm-
lich für Solidarität in Form des ESM zu sorgen, Solidität
in Form des Fiskalpaktes einzufordern und Wachstum
durch eine effizientere Ausgabenpolitik – auch aufseiten
der Europäischen Union – zu stimulieren, die richtige
Antwort auf die Herausforderungen der Zeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Selbstverständlich sind die Hilfen nur ein Angebot.
Jede Nation muss sich entscheiden, ob sie den Weg mit-
geht, die Griechen genauso wie die Portugiesen und die
Iren. Gerade die Iren und die Portugiesen sind mit die-
sem Kurs gut gefahren und auf einem richtigen Weg. In
Portugal wurde sogar eine Regierung abgewählt, die die
entsprechenden Vereinbarungen unterzeichnet hat, und
durch eine Regierung ersetzt, die noch ehrgeizigere An-
sprüche hat. So reif kann ein Volk sein. Aber wir können
von außen nur Angebote machen. Umgesetzt werden
muss es durch die betreffenden Länder.

Was das Wachstum betrifft, stehen wir vor Herausfor-
derungen in Europa. Hier können wir gemeinsam gestal-
ten. Modernisierungen und Investitionen sind dringend
notwendig. Das hat auch die Europäische Kommission
schon festgestellt. Wir alle werden im Zuge der Beratun-
gen über den Finanzrahmen des EU-Haushalts für den
Zeitraum von 2014 bis 2020 die Gelegenheit bekommen,
die neuen Schwerpunktsetzungen zu beachten. Ich bin
gespannt, wie mutig all jene, die das heute einfordern,
sein werden, wenn die Mitgliedstaaten, der Rat, das Eu-
ropäische Parlament und die Kommission neue Schwer-
punkte setzen, und das – so viel wollen wir zahlen – bei
einem begrenzten Volumen von 1,0 Prozent des EU-BIP.
Ich bin gespannt, ob wir den Mut aufbringen, auch nur
einen Bruchteil dessen zu leisten, was wir den Reform-
staaten, die unseren Schutzschirm genießen wollen, im
Moment abverlangen. Ich bin gespannt, ob wir alle mit-
einander das hinbekommen.

Meine Worte richten sich an alle, auch an den Kolle-
gen Heil. Ich bin gespannt, ob er dazu steht. Er fragt, wo

die Finanzierungsinstrumente seien. Er ist nicht mehr
hier, aber bitte richten Sie ihm das aus.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Mache ich!)


Die Antwort darauf ist mit dem Beschluss des Deutschen
Bundestages zu dem Antrag der Koalition im Dezember
zum mehrjährigen Finanzrahmen gegeben worden. Wir
haben die Finanzierungsmittel ganz genau aufgezählt
und dargelegt, wie die Rolle der öffentlichen Finanzie-
rung dabei zu bewerten ist. Wenn er sich mehr um In-
halte kümmern würde, anstatt oberflächliche Wahl-
kampfreden zu halten, wäre ihm das vielleicht nicht
entgangen.

Wir alle wissen – das ist nicht die übliche Sonntags-
rhetorik –, dass Europa die Basis unseres Zusammenle-
bens ist. Das gilt für viele Politikbereiche. Wir sind, im
besten Sinne des Wortes, dazu verurteilt, zusammenzu-
halten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger Europa. Wir
brauchen es in der Form, in der wir es in 50 Jahren auf-
gebaut haben. Dabei müssen alle mitwirken und ihre je-
weilige Verantwortung wahrnehmen. Ich kann nur all
jene warnen, die mit dem Gedanken liebäugeln, bei der
Europapolitik parteitaktische Erwägungen anzustellen,
was gestern an der einen oder anderen Stelle zu befürch-
ten war. Am Ende wiegt das Gemeinwohl Europas und
Deutschlands mehr als parteitaktische Erwägungen.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717901100

Nächster Redner ist der Kollege Frithjof Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, lassen Sie mich mit einer Gemein-
samkeit anfangen; viel mehr werden es leider nicht. Die
europäische Einigung ist ein gemeinsames Projekt. Wir
verteidigen es gemeinsam, wir müssen gemeinsam daran
weiterbauen, und ich glaube, dass wir da zentrale Ziele
teilen. Aber was Sie in den letzten zweieinhalb Jahren
praktisch gemacht haben, verdient wirklich Kritik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gab ein Muster der Krisenreaktion der Bundesregie-
rung: Ob Hilfe für Griechenland oder Aufbau des ESFS
und dann des ESM – Sie haben erst gezögert, dann Nein
gesagt. Dann haben Sie zwar gehandelt, aber immer zu
spät und immer zu wenig. Das war schlecht für Europa
und schlecht für Deutschlands Ansehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Dr. Frithjof Schmidt


(A) (C)



(D)(B)


Zwei Schwächen Ihrer Politik sind zentral. Der erste
Fehler ist schon sprichwörtlich in Europa geworden.
Man nennt ihn die „Methode Merkel“. Das ist – oder
besser: war – die Etablierung eines Direktoriums im
Europäischen Rat gemeinsam mit Herrn Sarkozy. Ja, die
deutsch-französische Kooperation ist zentral; aber sie
darf eine Gründungsidee Europas nicht aushebeln,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


nämlich die eines zentralen Interessenausgleichs zwi-
schen den kleinen und den großen Staaten, zwischen den
nördlichen und den südlichen Staaten und zwischen Ost-
und Westeuropa. Hier haben Sie die Balance eindeutig
verloren. Das wird in weiten Teilen Europas als Anma-
ßung verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Kardinalfehler ist Ihr Konzept, nur zu spa-
ren, ohne auch zu investieren. Das ist Ihre einäugige Sta-
bilitätspolitik. So verschärfen Sie die Krise, so fördern
Sie die Rezession in weiten Teilen Europas. Meine Frak-
tion hat trotzdem den Rettungspaketen für Griechenland
und den Planungen zum ESM aus europäischer Solidari-
tät zugestimmt, damit Geld an Krisenländer fließen
kann, das sie dringend brauchen, weil sonst die Situation
noch dramatischer geworden wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist uns aber wegen der sozialen Schieflage dieser
Rettungspakete ausdrücklich nicht leichtgefallen. Wir
haben in den Debatten hier immer deutlich vor den poli-
tischen Folgen gewarnt. Die Wahl in Griechenland zeigt,
wohin eine Politik führt, die rücksichtslos die sozialen
Belange ignoriert, Investitionen zur Stimulierung der
Konjunktur unmöglich macht und den Menschen so die
Hoffnung nimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Scheitern von Präsident Sarkozy in Frankreich
hingegen gibt Hoffnung. Gegen jeden politischen Stil hat
die deutsche Kanzlerin für Sarkozy in Frankreich Wahl-
werbung betrieben. Damit ist seine Abwahl auch eine
Niederlage für Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: So kann man sich doch irren!)


Das ist gut so. Das Direktorium Merkozy wurde halbiert,
und das ist ein Anfang. Jetzt muss es mit Kurskorrektu-
ren an der einäugigen Stabilitätspolitik weitergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Der Fiskalpakt ist ein Torso und eine befristete Hilfs-
konstruktion. Er muss – so steht es darin – in maximal
fünf Jahren in Europarecht überführt werden. Allerdings
habe ich hier von Ihnen keinerlei Vorschläge gehört, wie

Sie das machen wollen. Sie unterschlagen immer, dass
das verbindlich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Außerdem muss der Fiskalpakt mit einem Investitions-
programm verbunden werden, um dem Ungleichgewicht
in der Gemeinschaft zu entgegnen. Darüber will Frank-
reich verhandeln, und dafür haben wir bis Ende des Jah-
res Zeit.


(Joachim Spatz [FDP]: Das überlassen wir denen, was sie wollen!)


Es gibt kein objektives Junktim zwischen diesem Pakt
und der Ratifizierung des ESM. Das ist eine innenpoli-
tisch motivierte Konstruktion von Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den ESM können wir sofort ratifizieren; dafür hätten Sie
unsere Stimmen. Warum tun wir es also nicht? Hören Sie
endlich mit der falschen Verknüpfung auf, dass beides
nur zusammen ginge. Das ist falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir brauchen vor allem ein europäisches Programm
für die Entwicklung einer nachhaltigen Struktur mit ei-
nem Schwerpunkt auf erneuerbare Energien, wenn wir
aus der Krise kommen wollen. Lassen Sie mich zur Be-
gründung nur eine Zahl nennen: Für circa zwei Drittel
der Leistungsbilanzdefizite in Spanien und Frankreich
ist der Ölpreisanstieg verantwortlich. Das sind die Zah-
len von Eurostat. Deshalb ist es gut, wenn François
Hollande Vorschläge zur Finanzierung solcher Investi-
tionen macht wie die Ausweitung der Programme der
Europäischen Investitionsbank und eine Erhöhung des
Stammkapitals. Das brauchen wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist falsch, wenn Deutschland hier bremst; es ist
falsch, wenn die FDP da bremst. Sie sollten dabei helfen,
die Banken und Märkte endlich zur Finanzierung der
Kosten der Krise heranzuziehen, aber Sie weigern sich.
Eine Finanztransaktionsteuer ist notwendig, damit
Europa profitiert. Das haben Sie nicht verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen macht der Bundesumweltminister im
Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen polemische Stim-
mung gegen den neuen französischen Präsidenten. Herr
Röttgen schürt antieuropäische Affekte, um Stimmen
von rechts zu bekommen, und zündelt an der deutsch-
französischen Freundschaft. Dass Sie das in Ihren Rei-
hen dulden, ist ein völliges europapolitisches Versagen.
Da nützen auch alle schönen Worte des Außenministers
gar nichts.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717901200

Der Kollege Thomas Silberhorn erhält nun das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1717901300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wachstum ist kein Selbstzweck. Ziel der Krisenbewälti-
gung muss sein, dass die Staaten der Euro-Zone ihre
Kreditwürdigkeit wiedergewinnen und damit auch ihre
politische Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Das ist
die Zielsetzung unserer Strategie zur Krisenbewältigung,
und dazu kann man in der Tat Wachstum gebrauchen.
Aber vor allem müssen diese Staaten wettbewerbsfähig
werden. Um das zu erreichen, führt an einer Konsolidie-
rung der öffentlichen Finanzen und auch an Struktur-
reformen in Wirtschaft und Verwaltung kein Weg vorbei.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mehr einnehmen als ausgeben wäre der richtige Weg;
aber mehr ausgeben als einnehmen, das funktioniert nir-
gendwo auf der Welt, auch nicht außerhalb der Euro-
Zone.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Deshalb müssen die Einnahmen erhöht werden! – Zuruf von der FDP: Bei den Kommunisten! Bei Erich!)


Wir sehen in Griechenland, dass der Konsum der Ge-
sellschaft größer ist als die Wirtschaftsleistung. Da
bliebe theoretisch nichts mehr übrig für Investitionen der
öffentlichen Hand oder für Zins- und Tilgungsleistun-
gen. Deswegen müssen wir in einem Land wie Grie-
chenland darauf achten, dass wieder Spielraum entsteht.
Die Griechen müssen nolens volens billiger werden; sie
müssen abwerten. Sie können nicht mehr konsumieren,
als sie überhaupt erwirtschaften. Wenn man die Abwer-
tung in der Euro-Zone vornimmt, dann führt natürlich
auch kein Weg daran vorbei, dass Löhne und soziale
Leistungen gekürzt werden.

Aber auch außerhalb der Euro-Zone ist es unabding-
bar, dass die Staaten ausgeglichene Haushalte anstreben.
Wir brauchen nachhaltige Solidität im Interesse künfti-
ger Generationen, und deswegen ist die Konsolidierung
der öffentlichen Finanzen der erste und wichtigste
Schritt in der Krisenbewältigung.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nicht der erste und wichtigste!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die struktu-
rellen Reformen, die wir in Wirtschaft und Verwaltung
brauchen, sind ein kostenloses Wachstumsprogramm.
Das können alle tun, ohne neue Schulden zu machen. Es
gibt genügend Handlungsspielräume und Ansätze, um
die Verwaltung in überschuldeten Staaten effizienter zu
gestalten, um die Arbeitsmärkte flexibler zu machen, um
Anreize für Investitionen und für Innovationen zu set-
zen, im Mittelstand wie in der Industrie. Wir brauchen
natürlich europaweit auch ein gemeinsames Verständnis
dafür, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme gene-

rationenfest machen müssen; denn wir haben die Situa-
tion, dass die Bevölkerungen in Europa kleiner werden.
Ohne Sparen und ohne Reformen gibt es keinen stabilen
Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun sagt der Kollege Heil, Wachstum brauche Inves-
titionen. Dem stimme ich durchaus zu. Aber wir brau-
chen private Investitionen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auch! Und öffentliche!)


Wir müssen privates Kapital akquirieren. Das Problem,
das wir in Griechenland und in anderen verschuldeten
Staaten der Euro-Zone sehen, ist doch, dass eine Kapital-
flucht aus diesen Ländern stattfindet. Das ist ein Beleg
dafür, dass ein Vertrauensverlust eingetreten ist. Die In-
vestoren packen nicht an; sie warten ab. Deswegen müs-
sen wir die Frage beantworten, was wir tun können,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, und?)


um dafür zu sorgen, dass privates Kapital wieder inves-
tiert wird. Man muss die Rahmenbedingungen für die
privaten Haushalte und für die Unternehmen stärken,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist aber sehr allgemein!)


um Konsum und Investitionen anzureizen. Aber dazu
bedarf es vor allem der Reformbereitschaft der Regie-
rungen. Sie müssen unter Beweis stellen, dass sie sich
ernsthaft und zielstrebig den Realitäten stellen. Sonst
brauchen wir über Wachstumsprogramme nicht zu re-
den.

Wachstum braucht sicher Investitionen, aber Wachs-
tum braucht keine neuen Schulden. Wer jetzt auf neue
Ausgabenprogramme setzt, der nährt geradezu neue
Zweifel am Reformwillen der Regierungen. Das wäre
ein fatales Signal im Sinne von Weiter-so. Ich kann ver-
stehen, dass in manchen verschuldeten Staaten die Be-
völkerung durchaus erwartet, im Wesentlichen so weiter-
machen zu können wie bisher. Aber ich glaube, dass es
in der politischen Verantwortung liegt, den Menschen zu
sagen, dass das nicht gehen wird. Wir müssen uns verän-
dern. Ein Weiter-so kann nicht zum Erfolg führen. Des-
wegen darf man nicht mit neuen Schuldenprogrammen
falsche Anreize setzen. Das würde die Probleme nur ver-
schärfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt keine einfachen Lösungen. Ohne Sparen und
ohne Reformen geht es nicht.

Wachstum ist dann vorhanden, wenn die Einnahmen
des Staates steigen, und nicht, wenn die Schulden stei-
gen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Fiskalvertrag
umgesetzt wird, dass wir uns selbst disziplinieren durch
die Schuldenbremse, die wir im deutschen Grundgesetz
bereits haben und die wir in ganz Europa einführen wol-
len.

Ich darf aus bayerischer Sicht hinzufügen: Es kann
gelingen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben in Bayern jetzt im siebten Jahr in Folge keine
neuen Schulden im Haushalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben uns ganz konkret das Ziel gesetzt, auch die al-
ten Schulden vollständig abzubauen. Das zeigt: Wir
müssen die richtigen politischen Ziele setzen und uns auf
den Weg machen. Die politische Reformbereitschaft er-
fordert auch ein klares politisches Bekenntnis zum Spa-
ren und zu Reformen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die aktuelle
Krise ist sicherlich zum einen Anlass, eine Standortbe-
stimmung vorzunehmen – wo stehen wir gerade? –, zum
anderen, eine strategische Debatte darüber zu führen,
wohin uns das Ganze führt. Ich möchte an dieser Stelle
ein bisschen Wasser in den Wein gießen, der unter der
Chiffre „Mehr Europa“ ausgegossen wird.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!)


„Mehr Europa“ ist offenkundig eine etwas elitäre Ant-
wort einer Diskussion, die nur unter politischen Eliten
und Akademikern geführt wird, bei der es darum geht,
die Integration zu beschleunigen. Ist es nicht so, dass die
Bevölkerung eine ganz andere Debatte führt, dass wir ei-
nen Vertrauensverlust zu beklagen haben,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Den schüren Sie gerade! Den schüren Sie hier!)


dass die politische Akzeptanz der europäischen Integra-
tion schwindet? Glauben Sie wirklich, dass man die
Kluft zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung
dadurch überwinden kann, dass man eindimensional auf
„Mehr Europa“ setzt?


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Müssten wir nicht die Frage „Wie kann man diese Kluft
überwinden?“ beantworten.


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind ein Mini-Gauweiler! – Gegenruf von der FDP: Dafür ist er zu groß!)


Ich glaube, dass viele in der Bevölkerung zumindest
den Eindruck gewinnen, dass Europa schon mit den vor-
handenen Aufgaben nicht ganz zurechtkommt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Mann zündelt an Europa!)


Deswegen wird zu Recht die Frage gestellt: Kann man
das bewältigen, indem man darüber diskutiert, neue Auf-
gaben auf Europa zu übertragen?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weiß die Kanzlerin, was Sie dazu sagen?)


Wir müssen zunächst einmal die vorhandenen Aufgaben
erfolgreich bewältigen. Angesichts dessen sollte man
diese Debatte nicht paralysieren, indem man über neue
Aufgaben für Europa nachdenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese Eindimensionalität beklage ich.

Was wir brauchen, ist nicht der eindimensionale Weg
„Mehr Europa“, sondern eine dreidimensionale Lösung.
Diese Lösung beinhaltet erstens, dass wir die vorhande-
nen Aufgaben erfolgreich bewältigen und unsere inter-
nen Mängel abstellen. Dazu gehört in der Tat ein biss-
chen mehr Europa; denn die internen Mängel zeigen,
dass wir mit dem Rahmen der Währungsunion so nicht
zurechtkommen und nachjustieren müssen. Diese Lö-
sung beinhaltet zweitens, dass wir die Frage stellen, wie
wir Europa in der Welt starkmachen können. Europa
stark nach außen zu präsentieren, das ist eine wichtige
Aufgabe. Diese Lösung beinhaltet drittens, dass wir
schlanker nach innen werden. Europa muss stark nach
außen, aber schlank nach innen sein. Wir müssen inso-
fern die Europäische Union umbauen und sie nicht nach
innen weiter ausbauen. Wir müssen auch darüber nach-
denken, welche Kompetenzen man auf die nationale
Ebene zurückverlagern kann. Das sollte aber nicht in der
Form geschehen, in der es die Europäische Zentralbank
tut, indem sie die Geldpolitik renationalisiert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die haben Sie doch da reingetrieben durch Ihr Nichthandeln! Sie haben die EZB in diese Politik getrieben! Sie sind schuld!)


Ich rede nicht über Renationalisierung. Ich will nur
vermeiden, dass es eine einseitige Zentralisierung in
Europa gibt. Was wir brauchen, ist eine ausgewogene
Balance zwischen der europäischen Ebene einerseits und
den Mitgliedstaaten und den Regionen andererseits. Das
ist kein nationales, das ist vielmehr ein gemeinsames eu-
ropäisches Interesse; denn nur die Ausgewogenheit, die
Balance, garantiert, dass wir den eingetretenen Vertrau-
ensverlust überwinden und neues Vertrauen in die euro-
päische Integration begründen können.

Europas Reichtum besteht in dieser Vielfalt, die un-
sere Mitgliedstaaten und Regionen zum Ausdruck brin-
gen. Wir sind in Europa über die Jahrhunderte deswegen
so erfolgreich gewesen, weil wir nicht in großen Reichen
organisiert waren, wo niemand der Knute der Lehnsher-
ren entkommen konnte. Der Reichtum Europas ist viel-
mehr deshalb entstanden, weil wir so kleine Gebilde hat-
ten, dass diejenigen, die mit ihren Lehnsherren nicht
zurechtkamen, woandershin gehen konnten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber eine komische Geschichtsstunde!)


Das war eine Ursache für Aufklärung, für freiheitliche
Gesellschaftsformen, die sich in Europa entwickelt ha-
ben. Freiheit und Vielfalt sind also der Reichtum Euro-
pas. Die europäische Integration wird dann erfolgreich
voranschreiten, wenn wir weiter auf Freiheit und Wett-
bewerbsfähigkeit setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717901400

Michael Roth ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1717901500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Welches Bild haben viele, leider zu viele Bürgerinnen
und Bürger derzeit von Europa? Dieses Bild ist ziemlich
jämmerlich. Dieses Bild ist ziemlich deprimierend. Zu
sehen sind demonstrierende Jugendliche auf den Plätzen
der europäischen Hauptstädte, brennende Europaflag-
gen, Nazisymbole, feilschende Staats- und Regierungs-
chefs, die in Nachtsitzungen zusammenkommen und
dann ihre mühselig erzielten Kompromisse schlecht-
gelaunt und übernächtigt den Medienvertretern zu ver-
kaufen versuchen. Ich frage Sie, Herr Außenminister,
und ich frage die Bundesregierung: Was tun Sie konkret,
um den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes, ein hoff-
nungsvolleres Bild von Europa entgegenzuhalten? Spä-
testens nach dieser Rede von Ihnen, Herr Außenminister,
ist deutlich geworden: Sie tun nichts. Sie tun rein gar
nichts.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben zwar vor wenigen Wochen eine Kommuni-
kationsstrategie angekündigt, aber die ist nicht die Tinte
wert, mit der sie geschrieben wurde. Das alles ist eine
Ansammlung von Allgemeinplätzen und trifft auch nicht
das Problem in seinem Kern, nämlich: Wie können wir
die Bürgerinnen und Bürger wieder davon überzeugen,
dass Europa eben nicht Teil des Problems, sondern Teil
der Lösung ist? Dazu habe ich außer dem allgemeinen
plattitüdenhaften Vortragen von Dingen, die wir schon
längst irgendwo gelesen und gehört haben, nichts Neues
vermerken können. Da kann man nur sagen: Gut, dass
Sie nicht mehr Europaminister der Bundesrepublik
Deutschland sind!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Auswärtige Amt hat als Europaministerium aus-
gedient. Wir erleben einen dramatischen Niedergang des
Auswärtigen Amts als zentrales Steuerungsministerium,
wenn es um Europaangelegenheiten geht. Dafür trägt
nicht allein der Lissabon-Vertrag Verantwortung – die
Position des Regierungschefs, der Kanzlerin, die Posi-
tion des Kanzleramts wurde gestärkt; Frau Merkel ist
seitens der Bundesregierung weitgehend die alleinige
Gipfelstürmerin –, sondern das liegt auch an Ihnen per-
sönlich. Sie haben viel zu lange geschwiegen, Sie waren
viel zu lange der Herr Westerwelle und nicht der Bun-
desaußenminister. Sie laden jetzt einmal ein paar Außen-
minister ein – aber auch nur einige –, reflektieren, trin-
ken zusammen eine Tasse Kaffee und meinen, damit
würden wir Europa voranbringen. Das alles ist nur Sym-
bolpolitik, viel heiße Luft, wenig Substanz. Das ist auch
heute in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch da, wo das Auswärtige Amt noch über europa-
politische Kompetenzen verfügt, nämlich wenn es da-
rum geht, konkret dazu beizutragen, dass Europa mit ei-
ner Stimme spricht, haben Sie versagt. Ich erinnere nur
an das Libyen-Desaster, wo Sie sich mit Ihrer Enthaltung
dagegen gesperrt haben, dass die Europäische Union in

einem der zentralen Felder der Außen- und Sicherheits-
politik mit einer Stimme zu sprechen vermag.


(Joachim Spatz [FDP]: Da waren doch auch andere dagegen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, welches Bild ver-
mitteln wir als Europäer im Ausland? Da müssen wir
einmal Amerikaner fragen. Da müssen wir einmal an-
dere fragen. Wir bekommen überall dieselbe Antwort:
Ihr Europäer bekommt die Probleme nicht in den Griff.
Frau Merkel klopft bei Madame Lagarde an. Sie bittet
darum, dass der Internationale Währungsfonds die Mit-
tel aufstockt. Was ist eigentlich aus dem Vorschlag der
Sozialdemokratie geworden, den Bundesfinanzminister
Schäuble dankenswerterweise aufgegriffen hat, einen ei-
genen europäischen Währungsfonds zu schaffen? So
könnten wir selber einen Beitrag dazu leisten, aus der
Krise zu kommen. So bräuchten wir nicht ständig immer
nur die internationale Solidarität einzufordern, sondern
könnten sagen: Wir haben ein europäisches Problem,
und dieses europäische Problem wollen wir auch ge-
meinsam lösen. – Da kommt von Ihnen gar nichts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genauso desaströs sieht das Bild bei der Krisenbe-
schreibung aus. Wir haben viel zu lange den Eindruck
erweckt, wir hätten es in erster Linie mit einer Staats-
schuldenkrise zu tun. Das hat mich jetzt etwas optimis-
tisch gestimmt, weil ich den Eindruck hatte, Sie hätten
verstanden, dass es nicht allein darum geht. Wir haben
doch eine politische Krise. Wir haben eine institutionelle
Krise. Alle wissen doch: Der Geburtsfehler von Maas-
tricht wird durch all das, was Sie jetzt auf den Weg zu
bringen versuchen, nicht geheilt. Eine gemeinsame
Währung funktioniert eben nicht ohne koordinierte Wirt-
schaftspolitik, ohne abgestimmte Sozial-, Steuer- und
Beschäftigungspolitik.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie aber reden ständig nur von Haushaltskonsolidierung
und Schuldenabbau. Diesen Weg sind wir bereit mitzu-
gehen, aber nur, wenn Sie Ihren wohlfeilen Worten zu
mehr Wachstum und Beschäftigung dann auch Taten fol-
gen lassen. Wir sind ja dankbar, dass Sie langsam auf die
Linie der SPD einzuschwenken versuchen,


(Lachen des Abg. Joachim Spatz [FDP])


indem Sie sagen: Wir brauchen auch Wachstum und Be-
schäftigung. – Das ist schon einmal anerkennenswert.
Wir sind jetzt gespannt, was Sie gemeinsam mit François
Hollande und den anderen Staats- und Regierungschefs
hinbekommen.

Wir fordern eine Wirtschaftskoordination, die demo-
kratischen und sozialen Ansprüchen gerecht wird. Sie
haben ein Europa der Hinterzimmer und der Regierun-
gen geschaffen. Wir wollen ein Europa der Parlamente,
ein Europa der demokratischen Strukturen und ein
Europa der Solidarität. An diesem Europa haben Sie sich





Michael Roth (Heringen)



(A) (C)



(D)(B)


versündigt, meine sehr verehrten Damen und Herren der
Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist eben auch beim Kollegen Silberhorn deutlich
geworden, dass bei vielen die Alarmglocken schrillen,
wenn es um die vermeintliche Abgabe nationaler Souve-
ränität geht. Ich lade uns alle dazu ein, etwas weniger
ideologisch an diese Frage heranzugehen. Wir mögen
zwar rechtlich Kompetenzen abgeben; aber politisch ge-
winnen wir doch Handlungsspielräume zurück, die wir
als Nationalstaaten in einer globalisierten Welt schon
lange nicht mehr haben. Wir können den Bürgerinnen
und Bürgern doch nicht vorgaukeln, dass es allein natio-
nalstaatlich geht. Es geht nur gemeinsam in Europa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sagen: Es geht nur gemeinsam, solidarisch und de-
mokratisch in Europa. Hier benötigen Sie noch Nach-
hilfe, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Fraktio-
nen der Koalition.


(Zuruf von der FDP: Aber nicht von Ihnen!)


Wir müssen endlich die Wettbewerbslogik in Europa
überwinden. Ihr neoliberaler Dreisatz, Herr Bundes-
außenminister, Steuersenkungen, Deregulierung, Sozial-
abbau würden automatisch zur Lösung führen, ist ein Irr-
weg. Ich dachte eigentlich, dass wir da gemeinsam
weitergekommen sind. Wir müssen den Bürgerinnen und
Bürgern wieder Sicherheit vermitteln. Wir müssen deut-
lich machen: Lohndumping muss verhindert werden.
Wir brauchen auch in Deutschland nicht nur höhere
Löhne, worum die Gewerkschaften erfolgreich kämpfen,
sondern auch Mindestlöhne.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE])


Wir müssen das Steuerdumping verhindern. Wir müssen
Sozialdumping verhindern. Wie können wir Europa in
der Mitte der Gesellschaft verankern, wenn Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer Angst und Sorgen haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Insofern: Europa muss mit dem Herzen gestaltet werden.

Es stimmt mich schon sehr nachdenklich, wenn dies
ausschließlich verdienstvolle alte Männer in diesen Ta-
gen in Kommentaren eindrucksvoll zum Ausdruck brin-
gen. Es werden eben Herr Genscher, Herr von
Weizsäcker, Helmut Schmidt oder Jürgen Habermas ge-
fragt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Was haben Sie gegen Helmut Schmidt?)


– Zum Glück werden Sie nicht gefragt, Herr Genscher
– Entschuldigung! – Herr Westerwelle.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Herr Kollege, das ist zu viel der Ehre!)


– Da haben Sie völlig recht.


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Bleiben Sie bescheiden, Herr Kollege!)


Ich würde mich darüber freuen, wenn irgendwann
einmal ein Bundesaußenminister wieder in diesen Rei-
gen eintreten und positiv, hoffnungsvoll, konstruktiv, mit
Verve und Empathie über Europa sprechen würde. Sie
gehören bislang dezidiert nicht dazu.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Sprach Willy Brandt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717901600

Das Wort hat nun der Kollege Oliver Luksic für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1717901700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Roth, in Ihrer Rede haben wir außer alten
Rezepten, die mit neuen Schulden finanziert werden,
wenig gehört. Sie kritisieren immer, dass das Thema
Europa auf unserer Seite einen so geringen Stellenwert
habe. Von Ihren drei Kanzlerkandidaten ist bei dieser
Debatte niemand anwesend. Ich wäre insofern also et-
was zurückhaltend.

Vergangenen Sonntag wurde in zwei Ländern Euro-
pas gewählt: in Frankreich und in Griechenland. Es
wurde auch bei uns in einem Bundesland gewählt. Die
Berichterstattungen und die Diskussion in unserem Land
zeigen: In einem zusammenwachsenden Europa haben
Wahlen in Frankreich und Griechenland vielleicht mehr
Bedeutung für unser Land als die Wahl in einem unserer
Bundesländer. Ich glaube, wir erleben gerade einen Para-
digmenwechsel in Europa. Die Stabilisierung des Euro
wird eben nicht nur im Deutschen Bundestag oder in
Brüssel entschieden, sondern vor allem in den einzelnen
Mitgliedstaaten; denn dort ist der Kern der Staatsschul-
denkrise. Es ist wichtig, dass wir auch diese Wahlergeb-
nisse diskutieren; denn es ist in hohem Maße bedenklich,
wenn in Frankreich und Griechenland mit antieuropäi-
schen Parolen Wahlkampf geführt wird und in beiden
Ländern die extremen Parteien gewinnen. In Griechen-
land ziehen sogar Faschisten ins Parlament ein. Das ist
nicht gut für die Demokratie, und das ist nicht gut für
Europa.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Hollande ist auch Extremist, oder was?)


Im französischen Wahlkampf haben die Zentrumspar-
tei von Bayrou und die Grünen für Europa geworben.
Leider müssen wir feststellen, dass die Europakritiker
von links und rechts im ersten Wahlgang mehr Stimmen
als Hollande und Sarkozy zusammen bekommen haben,
die übrigens beide auch nicht gerade mit proeuropäi-
schen Ideen im Wahlkampf geworben haben. Hollande





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)


hat den Fiskalpakt infrage gestellt. Sarkozy hat viel vom
starken Frankreich und wenig vom starken Europa ge-
sprochen und das Schengen-Abkommen infrage gestellt,
die Reisefreiheit.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zusammen mit Herrn Friedrich, wenn ich das richtig weiß! Sagen Sie das mal dem Bundesinnenminister!)


Aber klar ist: Der deutsch-französische Motor wird
trotz einiger Misstöne im Wahlkampf weiterlaufen. Die
Vergangenheit hat gezeigt, dass über Parteigrenzen
hinweg gut zusammengearbeitet wird, ob es Giscard
d’Estaing und Schmidt waren, Kohl und Mitterrand oder
Schröder und Chirac. Das ist im Interesse beider Länder
dringend notwendig und unabdingbar für den Erfolg Eu-
ropas. Die deutsch-französische Freundschaft ist Staats-
räson in Deutschland und in Frankreich, und das ist auch
gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Helmut Kohl sagte einmal: „Ich weiß nicht, was der
französische Staatspräsident denkt, aber ich denke das-
selbe.“ Dieser Satz ist heute vielleicht nicht mehr wahr.
Auch das müssen wir ansprechen und diskutieren. Ge-
rade wenn es um den Euro geht, gibt es konzeptionell
große Unterschiede. Wir stehen vor einer großen europa-
politischen Herausforderung.

Wenn Herr Hollande – wie auch Herr Sarkozy –
Wachstum auf Pump finanzieren will, eine andere EZB
als die Koalition und eine Aufweichung der Stabilitätsre-
geln will, muss darüber nachgedacht werden. In der grie-
chischen Innenpolitik berufen sich die Parteien auf die
Gedanken des neuen Präsidenten und wollen die Schul-
denrückzahlungen kippen. Das hilft den Griechen nicht
weiter, und es ist nicht verhandelbar. Ich hoffe, dass der
neue französische Präsident diesen Fehler korrigiert.

Sie haben eben gesagt, man dürfe die Politik kritisie-
ren; das haben Sie bei Sarkozy gemacht. Der Wahlsieg
von François Hollande basiert auf Versprechungen, die
so nicht einzuhalten sind: Senkung der Mehrwertsteuer,
Renteneintrittsalter mit 60, Einfrieren der Benzinpreise.
Er lehnt die Schuldenbremse ab – ich hoffe, dass sich die
SPD hierzu einmal positioniert – und will sie nicht in die
nationale Verfassung übernehmen. Ich halte das für ei-
nen Fehler.

Ich hoffe, dass er nicht den gleichen Fehler macht wie
François Mitterrand in den 80er-Jahren, der nach zwei
Jahren völlig verfehlter Schuldenpolitik erst im Jahr
1983 die Wende geschafft hat. Diese unbequeme Bot-
schaft müssen wir mit unseren französischen Freunden
diskutieren. Frankreich muss Partner bleiben, wenn es
darum geht, wieder eine Stabilitätskultur in Europa zu
etablieren. Alleine schaffen wir das nicht. Dazu brau-
chen wir unsere französischen Freunde. Wir stehen jetzt
vor einer zentralen europapolitischen Herausforderung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nicht nur die Wahlen in Frankreich zeigen deutlich,
welchen Einfluss die Politik anderer Länder mittlerweile
auf Europa, den Euro und damit auch auf uns hat, wenn
mühsam ausgehandelte Verträge wieder aufgeschnürt

werden. Auch in Griechenland wurde am Sonntag ge-
wählt. Dort gestaltet sich die Regierungsbildung leider
äußerst schwierig. Die einstigen Volksparteien wurden
abgestraft; beide haben das Land an die Wand gefahren
und damit die Krise der Währungsunion mit ausgelöst.

In Griechenland steht für Europa viel auf dem Spiel.
Wir müssen uns angesichts des instabilen politischen
Systems Sorgen machen; denn dadurch wird das wacke-
lige Wirtschaftssystem nicht gerade stabilisiert. Das ei-
gentliche Problem besteht darin, dass viele Griechen bei
der Stimmabgabe gedacht haben, die harten Sparaufla-
gen könnten nachverhandelt werden. Das fordern jetzt
auch alle Parteien. Dabei muss Griechenland in jedem
Fall sparen, weil das strukturelle Defizit schon ohne
Zinszahlungen riesengroß ist.

Die Zeit drängt. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass
sowohl die Europäische Kommission als auch die deut-
sche Bundesregierung klar gesagt haben, dass Verträge
eingehalten werden müssen. Solidarität ist keine Ein-
bahnstraße. Vertragstreue ist ein zentraler europäischer
Wert; immerhin leben wir in Europa in einer Gemein-
schaft des Rechts.

Das Kernproblem liegt darin, dass 80 Prozent der
griechischen Bevölkerung, also eine große Mehrheit,
den Euro wollen, aber keine Parteien wählen, die diesen
Kurs unterstützen. Wir haben großes Interesse daran,
dass Griechenland auf europäischem Kurs bleibt. Es
muss klarer gesagt werden, was die Konsequenzen einer
unkontrollierten Staatspleite in Griechenland wären.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die neue grie-
chische Regierung sowie das griechische Volk eine
Grundsatzentscheidung treffen müssen, denn ein Ja zum
Euro, aber ein Nein zu den verabredeten Auflagen pas-
sen nicht zusammen. Diese Frage muss in Griechenland
klar beantwortet werden.

Die Krise des Euro ist im Kern eine Staatsschulden-
krise. Da hilft die vulgäre Kapitalismuskritik nur wenig
weiter. Die Staaten müssen sich unabhängiger von den
Finanzmärkten machen, indem sie weniger Schulden ha-
ben. Neben dem Sparkurs brauchen wir eine nachhaltige
Wachstumspolitik, das ist völlig klar. Das Ganze muss
aber auf finanzpolitischer Solidität aufbauen, denn we-
der der Euro noch der Markt zerstören die Fundamente
in Europa. Vielmehr ist es das süße Gift der Schulden. Es
muss uns gelingen, den Euro zu stabilisieren; denn sonst
wird in allen Ländern Europas nicht nur der Euro, son-
dern auch das europäische Projekt infrage gestellt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717901800

Herr Kollege.


Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1717901900

Ich komme zum Schluss. – Deswegen ist es wichtig,

liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen,
dass Sie in Bezug auf den ESM und den Fiskalpakt nicht
wieder den gleichen Fehler machen wie 2010, als Sie
sich wegen der NRW-Wahl beim ersten Griechenlandpa-
ket aus der Verantwortung gestohlen haben. Machen Sie





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)


jetzt in Bezug auf den ESM und den Fiskalpakt nicht den
gleichen Fehler!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717902000

Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt der Kollege

Hunko das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717902100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel

dieser Debatte heute lautet: „Europas Weg aus der
Krise“. Nach der Regierungserklärung, Herr Westerwelle,
die ich eben gehört habe, muss ich sagen, der Titel sollte
heißen: „Europas Weg immer tiefer in die Krise“; denn
das ist die Konsequenz Ihres Programms, das Sie vorge-
stellt haben.

Herr Westerwelle, Sie sind in Ihrem Beitrag gar nicht
auf die Signale eingegangen, die am Wochenende aus
Griechenland und aus Frankreich gekommen sind. Die
Signale bedeuten, dass Ihre Politik gescheitert ist, dass
die Politik nicht nur sozial ungerecht ist, dass sie nicht
nur ökonomisch irrsinnig ist, sondern dass sie in Europa
politisch nicht mehr durchsetzbar ist. Das ist die Bot-
schaft der Wahlen in Griechenland und in Frankreich.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht nur die Menschen in vielen europäischen Län-
dern lehnen diese Art der Krisenbewältigung ab. Es gibt
auch von Tag zu Tag mehr Ökonomen, die sich kritisch
zu der Krisenbewältigung äußern, die Sie auch heute
vorgestellt haben. Ich könnte viele zitieren. Herr Heil hat
vorhin Paul Krugman erwähnt. Ihn will ich zitieren. Es
lohnt sich wirklich, genau hinzuhören, was der Wirt-
schaftsnobelpreisträger von 2008 sagt:

Europas große Täuschung besteht in dem Glauben,
dass die Krise durch unverantwortliche Haushalts-
führung zustande kam.

Weiter heißt es:

Doch viele europäische Verantwortliche, allen vo-
ran deutsche Politiker, die Führung der Europäi-
schen Zentralbank und die Meinungsführer in der
Finanzwelt, wiederholen gebetsmühlenartig die
große Täuschung und lassen sich auch von handfes-
ten Gegenbeweisen nicht erschüttern. Sie kleiden
das Problem gern in ein moralisches Gewand: Die
betroffenen Länder haben gesündigt, und nun müss-
ten sie büßen – ein ganz schlechter Ansatz zur Lö-
sung der eigentlichen Probleme des Kontinents.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was meint er zum Beispiel mit handfesten Beweisen?
Nehmen wir die Staatsverschuldung. Die Staatsverschul-
dung in der Euro-Zone ist vom Jahr 2000 bis Mitte 2008

im Durchschnitt tendenziell rückläufig gewesen, von
etwa 72 Prozent auf etwa 67 Prozent.


(Otto Fricke [FDP]: Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien und Portugal!)


Das sind alles Zahlen, die man offiziell bei der EZB ein-
sehen kann. Erst Mitte 2008 ist die Staatsverschuldung
deutlich auf über 80 Prozent angestiegen. Was war die
Ursache? Unverantwortliche Haushaltsführung durch
Sozialausgaben oder durch Leben über die Verhältnisse?
Nein, die Bankenrettungspakete sind für den Anstieg
verantwortlich und nicht etwa unverantwortliche Sozial-
ausgaben.

Die zentralen Projekte dieser Bundesregierung sind
der Fiskalpakt und der ESM, die jetzt ratifiziert werden
sollen. Damit wird eine falsche Grundannahme in einen
Pakt gegossen, der Ewigkeitscharakter haben soll und
die Krise unnötig verschärfen wird. Der Fiskalpakt be-
deutet in der Konsequenz genau die gleiche Politik, die
jetzt Griechenland und anderen südeuropäischen Län-
dern auferlegt wird. Deswegen sagen wir Nein zum Fis-
kalpakt, deswegen sagen wir Nein zum ESM.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Ihr sagt immer Nein!)


Es stehen noch Kollegen von SPD und Grünen auf
der Rednerliste. Mich würde schon interessieren: Wer-
den Sie dem Fiskalpakt am Ende zustimmen – dazu
braucht man in Deutschland eine Zweidrittelmehrheit in
Bundestag und Bundesrat –, oder werden Sie ihn ableh-
nen? Wir plädieren für die Ablehnung.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir sind für Wachstum!)


Ich beende meine Reden hier im Bundestag meistens
mit dem Satz: Europa wird sozial sein, oder es wird
nichts sein. Das ist natürlich weiterhin richtig. Ich will
aber heute angesichts der dramatischen Situation in
Griechenland folgendermaßen enden:

Ανατροπή στην Ελλάδα, μήνημα στην Ευρωπη,
για μια Ευρωπη τον λαών και όχι των τραπεζιτών!
Die Veränderungen am Wochenende in Griechenland
sind ein Signal für Europa, für ein Europa der Menschen,
der Völker und nicht der Banken und Konzerne.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Wenn es immer so einfach wäre! Meine Güte!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717902200

Der Kollege Sarrazin erhält nun das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717902300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte am An-

fang meiner Rede kurz auf die Einführungsvorlesung
von Herrn Westerwelle eingehen. Herr Westerwelle – er
sitzt gar nicht auf der Regierungsbank, sondern spricht
mit Herrn Ramsauer –, Sie sind als einen der sechs
Punkte auf die Connecting Europe Facility eingegangen.





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)


Ich glaube, dass man ein grundsätzliches Problem Ihrer
Europapolitik benennen kann: Als die Kommission im
letzten Herbst Vorschläge zu Projektbonds gemacht hat,
ist aus Ihren Reihen viel über Herrn Barroso geschimpft
worden, weil Sie das mit Euro-Bonds verwechselt ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und jetzt stellen Sie hier Ihr Aktionsprogramm vor.
– Mögen Sie mir noch zuhören? – Dieses Aktionspro-
gramm besteht – das ist auch bei anderen Dingen der
Fall – aus einem Vorschlag, den die Kommission schon
im März vorgelegt hat. Abschreiben und Abkupfern
reicht nicht für die Europapolitik Deutschlands!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Das andere ist – das muss man in dieser Debatte und
nach dieser Vorlesung sagen – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717902400

Sie haben die Lage richtig wahrgenommen. Der Kol-

lege Spatz möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stel-
len. Darf er das?


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717902500

Klar.


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1717902600

Dem Kollegen Heil, der behauptet hat, wir hätten al-

ternativlos abgelehnt, habe ich das auch schon gesagt:
Wenn Sie sich ein bisschen intensiver mit den Details
befassen würden, zum Beispiel mit den Vorschlägen, die
in unserer Stellungnahme zum MFR enthalten sind, die
der Bundestag auf Antrag der Koalition beschlossen hat!
Darin steht, dass wir eine andere Form von Projektanlei-
hen wollen. Wir wollen keine Projektanleihen, bei denen
einfach nur öffentliches Geld ausgegeben wird, ohne
dass zusätzliches privates Geld mobilisiert wird. Es mag
ja sein, dass Sie das ablehnen. Aber die Behauptung, wir
hätten alternativlos abgelehnt, ist schlicht falsch.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717902700

Verehrter Herr Spatz, wenn Sie den Kommissionsent-

wurf bezüglich Connecting Europe Facility vom März
lesen, dann wird Ihnen ganz klar, was die Kommission
vorschlägt. Das ist eine Fazilität, die dafür sorgen soll,
dass mithilfe öffentlicher Mittel, mit Mitteln aus Struk-
turfonds aus anderen Bereichen gehebelt und mehr pri-
vates Kapital mobilisiert werden kann. Da hat nie je-
mand etwas anderes vorgeschlagen, auch Herr Barroso
damals nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das Problem an Ihrer Europapolitik ist, dass Sie nicht in
der Lage sind, konstruktive, vorausdenkende Vorschläge
zu machen. Sie müssen sich immer hinter den fehlenden
Mehrheiten in Ihren Reihen verstecken.


(Joachim Spatz [FDP]: Nein!)


Das nimmt Stärke. Ihnen fehlt Stärke, um in Europa vor-
anzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: James Bond! Euro-Bonds! Projektbonds!)


Eines muss man sagen – die Schuman-Erklärung ist
schon genannt worden –: Schuman hat damals geschrie-
ben:

Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden
ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe
der Bedrohung entsprechen.

Wenn wir diesen Satz als Blaupause nehmen und uns
das, was Herr Westerwelle gerade gesagt hat, und Ihre
Beiträge in dieser Debatte vor Augen führen, dann ist,
glaube ich, die Analyse relativ klar.

Die große Frage in dieser Krise ist doch, Herr Spatz
und Herr Westerwelle, die integrationspolitische Demo-
kratiefrage. Warum kommt von Herrn Westerwelle und
aus Ihren Reihe zu dieser großen Frage dieser Krise so
wenig, um nicht zu sagen: gar nichts?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Es ist doch bezeichnend, dass bei diesem Kernpunkt der
Europapolitik das Auswärtige Amt gar nicht präsent ist.

Ich muss Ihnen noch eines sagen – der Schuman-Plan
ist schon genannt worden –: Was war die große Idee von
Schuman neben dem, was Herr Krichbaum gewürdigt
hat? Es war die Hohe Behörde, die die gemeinsame
Montanunion verwaltet. Die Europapolitik dieser Regie-
rung bricht mit dem Erbe von Schuman, weil Frau
Merkel in Brügge mit der Unionsmethode zum Angriff
auf die Kommission und das Europäische Parlament ge-
blasen hat.


(Joachim Spatz [FDP]: Quatsch!)


Sie brechen mit einer großen Tradition, indem Sie reine
Regierungspolitik machen und die Gemeinschaftsinstitu-
tionen in dieser Krise schwächen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wissen, dass ich über die Geringschätzung der
Parlamente im Rahmen dieser Unionsmethode viel zu
sagen hätte. Deswegen haben wir in Karlsruhe geklagt.
Diesbezüglich haben wir in diesem Haus gemeinsame
Anliegen gegenüber der Regierung. Darüber werden wir
sprechen.

Ich möchte sagen, dass es aus meiner Sicht eine deut-
sche Aufgabe ist, den Mut, die Verträge zu ändern, zu
adressieren. Wir können ganz klar sagen, dass die Ana-
lyse in der Erklärung von Laeken, dass die Europäische
Union für die Herausforderungen der Globalisierung
nicht ausreichend gewappnet ist und dass die nationalen
Politiken besser koordiniert werden müssen, noch
stimmt. In dem Aktionsprogramm, das Herr Westerwelle
hier gerade genannt und vorgestellt hat, fehlt dieser
Punkt. Dort fehlt der deutsche Anspruch, dass wir die





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)


Vordenker- und Vorreiterrolle in Europa übernehmen
müssen, wenn es darum geht, das Mehr an Europa kon-
kret zu machen und über Vertragsänderungen zu reden,
und zwar mit einer Methode, die demokratisch und
transparent ist, also im Rahmen eines europäischen Kon-
vents und nicht in den Hinterzimmern von Regierungs-
konferenzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte meine letzten Sekunden Redezeit nutzen,
um etwas zu Griechenland zu sagen. Wenn ich mir die
Presselage ansehe – vieles von dem, was hier heute ge-
sagt wurde, hebt sich positiv davon ab –, habe ich das
Gefühl, dass manche in Ihren Reihen noch nicht verstan-
den haben, für wen sie Stichwortgeber sein können, ob
willentlich oder aus Versehen. Ich frage mich manchmal:
Für wen machen Sie eigentlich Wahlkampf? Sie erwe-
cken den Eindruck, es wäre möglich, Griechenland aus
der europäischen Schicksalsgemeinschaft auszuschlie-
ßen, es wäre keine politische Wertentscheidung, die
Euro-Zone mit 17 Staaten zusammenzuhalten. Alle acht
Wochen wird aus den Reihen der Koalition diese politi-
sche Wertentscheidung infrage gestellt. Das ist ein Zei-
chen von politischer Schwäche. Diese politische Schwä-
che Ihrer Koalition und Ihrer Regierung ist mit ein
Grund für die Krise.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717902800

Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1717902900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

Europapolitiker und Außenpolitiker sind hier jetzt, da
die Debatte schon etwas fortgeschritten ist, relativ unter
uns. Ich freue mich trotzdem, dass der Präsident der
Europäischen Investitionsbank auf der Besuchertribüne
Platz genommen hat.


(Beifall)


Ich glaube, wir alle setzen große Hoffnungen in die
Möglichkeiten und Perspektiven – diese gibt es zum Teil
aufgrund der neuen Ausgestaltung des finanziellen Rah-
mens der Europäischen Union –, die Instrumente, die
uns zur Verfügung stehen, zu schärfen und zu verbes-
sern. Denn offensichtlich haben die Methoden, mit
denen wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten
versucht haben, Impulse für Wirtschaftswachstum zu
setzen, nicht ganz und nicht in allen Ländern den Erfolg
gehabt, den wir uns gewünscht haben.

Ich möchte in dieser Debatte ganz konkret auf die
Rede von Kollegen Roth eingehen – ich sehe ihn leider
gerade nicht –, der hier vorhin ein ziemlich düsteres Bild
Europas gemalt hat, um dann in den letzten zehn Sekun-
den seiner Rede die Regierung zu mahnen, sie solle doch
nicht alles so negativ malen und so schlecht sehen. Ich

möchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir die Chancen
sehen, die vor uns liegen.

Wenn wir auf das zurückblicken, was wir in den letz-
ten zwei Jahren in der Europapolitik erlebt haben, sehen
wir, dass wir viele Erschütterungen erlebt haben. Wir ha-
ben viele Dinge erlebt, die wir uns so nicht vorstellen
konnten, aber wir haben natürlich auch erlebt, dass wir
in den letzten 24 Monaten ganz gut um die vielen Klip-
pen herumgeschifft sind, die uns im Weg standen.

Wir hören immer wieder Ratschläge von außen. Wenn
ich mir vorstelle, wir hätten vor 24 Monaten den Rat-
schlag angenommen, die Griechenland-Illiquidität, die
praktische Insolvenz dieses Staates, einfach hinzuneh-
men und nicht zu helfen, weil man als guter Kaufmann
dem schlechten kein gutes Geld hinterherwirft – das war
nur einer der Sprüche, die uns gesagt wurden –, dann
hätten wir einen enormen Schaden für Europa produ-
ziert, der weit über das hinausgeht, was man sich vorstel-
len kann.

Wir hätten selbst im günstigsten Fall auf das Wirt-
schaftswachstum der letzten zwei Jahre verzichtet, das
100 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen von
Bund, Ländern und Gemeinden gespült hat. All denjeni-
gen, die uns vorwerfen, dass wir die Rettung des Euro
und die Rettung Griechenlands mit zu viel Geld, mit zu
viel gutem Willen und mit zu vielen Bürgschaften ange-
hen, sei gesagt: Wenn wir diesen Vorschlag angenom-
men hätten, wäre die Situation heute schlagartig schlech-
ter, und es wäre für uns mit Sicherheit auch teurer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein möglicher Weg wäre damals gewesen, den Din-
gen einfach ihren Lauf zu lassen und das Auseinander-
brechen der Euro-Zone hinzunehmen. Diesen haben wir
zum Glück nicht eingeschlagen. Es gab einen anderen
extremen Vorschlag, über den man auch nachdenken
musste. Die Staats- und Regierungschefs hätten am
Abend des Ausbruchs der Staatsschuldenkrise sagen
können: Wir haften alle gemeinsam für alles. – Das hätte
die Märkte möglicherweise sogar beruhigt. Es hätte das
Problem der übermäßigen Verschuldung aber nicht ge-
löst. Deswegen bin ich der Bundesregierung dankbar,
dass sie diesen Weg nicht eingeschlagen hat, sondern ge-
sagt hat: Wir versuchen, einen mühsamen, einen schwie-
rigen, aber gleichwohl erfolgversprechenden Weg zu ge-
hen, der insgesamt vier Elemente beinhaltet: erstens
faire Chancen für die Staaten, die in Schwierigkeiten
sind, zweitens die Absicherung unserer Verflechtungen
innerhalb der Europäischen Union, damit das Finanzsys-
tem nicht zusammenbricht, drittens die Stärkung der
rechtlichen Verbindlichkeit im Hinblick auf solide Haus-
haltspolitik und viertens die Zähmung der ungehemmten
Finanzmärkte.

Ich möchte auf den dritten Punkt, nämlich die Frage,
wie wir Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen
Union verwirklichen wollen, näher eingehen. Da finde
ich die Haltung der Opposition, offen gesagt, etwas am-
bivalent. Sie hat uns monatelang vorgehalten: Das, was
die deutsche Regierung in Europa will, ist undurchsetz-
bar; das ist wieder das typisch deutsche „Wir wissen al-
les besser, und wir machen alles besser“. – Dann ist es zu





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)


einem Fiskalpakt gekommen, der in seinem Umfang, so-
wohl was die Zahl der teilnehmenden Staaten als auch
seine Elemente angeht, beachtlich ist und deutlich weiter
geht als das, was viele erwartet haben. Jetzt heißt es
plötzlich: Das ist alles viel zu streng. Das ist alles viel zu
sehr auf Austerität ausgerichtet. – Also: Sie müssen sich
schon entscheiden, ob Sie einen stabilen Euro mit soli-
den Staatsfinanzen wollen oder ob Sie weiterhin auf
Pump scheinbaren Wohlstand finanzieren wollen. Ich
persönlich bin der Meinung, die Bundesregierung hat an
diesem Punkt alles richtig gemacht, und sie verdient un-
sere volle Unterstützung, wenn es in den nächsten Wo-
chen und Monaten in diesem Hause darum geht, die ent-
sprechenden Entscheidungen zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein Blick auf die Hilfen für Griechenland. Es ist nicht
an uns im Deutschen Bundestag, dem griechischen Volk
Ratschläge zu geben, die Wahl zu kommentieren und zu
analysieren und dabei Kritik am Wählervotum zu äu-
ßern.


(Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Dann lassen Sie es doch!)


Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland
und auch die verantwortlichen Politiker wissen sehr ge-
nau, dass das, was die alte Regierung und das alte Parla-
ment verabschiedet und vereinbart haben, natürlich über
den Wahltag hinaus Bestand haben muss, wenn man in
einem Staatenbund wie der Europäischen Union erfolg-
reich zusammenarbeiten will. Ich glaube, die Anzeichen,
die gestern aus Griechenland zu vernehmen waren, dass
es vielleicht doch die Perspektive für eine Parlaments-
mehrheit gibt, die möglicherweise eine Regierung trägt,
die den Kurs fortführt, ohne dass man den Weg über
Neuwahlen gehen muss, sind ein gutes Signal. Ich würde
mir wünschen, dass wir schnell zu Ergebnissen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das – notwendige – Sparen ist so zu gestalten, dass
die Menschen in den betroffenen Ländern dies akzeptie-
ren und mittragen können. Ich glaube, in einem Land
wie Griechenland sollte man damit anfangen, dass nicht
zuerst der kleine Mann auf der Straße, sondern vielleicht
zunächst einmal der höhere Beamte ein Opfer für die Sa-
nierung des Haushaltes zu erbringen hat. Man sollte viel-
leicht auch einmal darüber nachdenken, wie es gelingen
kann, den großen Anteil der Schattenwirtschaft in das re-
guläre Bruttosozialprodukt zu überführen und damit ei-
ner Besteuerung zu unterziehen. So kann man sparen,
ohne dass man irgendjemandem etwas wegnehmen
muss, was er dringend braucht und was ihm zusteht.

Ich glaube, dass Wachstumspolitik nicht im Wider-
spruch zu einer erfolgreichen und nachhaltigen sozialen
Politik steht. Auf diesem Weg werden wir gut voran-
kommen. Ich glaube im Übrigen auch, dass wir im Rah-
men der weiteren Strukturierung des Finanzrahmens der
Europäischen Union, den wir in den nächsten sieben
Jahren vorsehen, genau diese Impulse setzen müssen.

Die Europäische Union hat sich auf den letzten zwei
großen Gipfeln ganz zentral mit den Quellen des Wachs-
tums, der Stimulierung des Wachstums und der Schaf-
fung eines sozialen Raums beschäftigt. Es gibt über-
haupt keinen Grund, dahinter zurückzubleiben. Ich sehe
Europa trotz allem auf einem guten Weg. Ich denke, dass
wir mit dem eingeschlagenen Kurs der kleinen Schritte
und der Konsolidierung der europäischen Finanzen den
richtigen Weg beschritten haben. Ich würde mir schon
wünschen, dass wir das aus der Alltagspolemik der Poli-
tik heraushalten, damit Europa in der Öffentlichkeit eben
nicht nur negativ wahrgenommen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1717903000

Nun erhält die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1717903100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir

fehlt aufseiten der Regierungsfraktionen in dieser De-
batte ein wenig die Begeisterung für die europäische
Idee.


(Oliver Luksic [FDP]: Wo ist Steinmeier? – Joachim Spatz [FDP]: Wo sind die SPD-Kanzlerkandidaten?)


Ich glaube, wir werden die Zustimmung für Europa und
auch für die schwierigen Schritte, die wir jetzt zu tun ha-
ben, nur dann wieder bekommen, wenn die Menschen
auch davon überzeugt sind, dass wir die Krise meistern
können. Diese Überzeugung fehlt bei Ihnen anschei-
nend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Spatz [FDP]: Wie begeistert sind denn die Kanzlerkandidaten? Fehlanzeige!)


Es ist ja auch interessant, dass Umweltminister
Röttgen versucht hat, die NRW-Wahl am Sonntag zu ei-
ner Abstimmung über den Europakurs der Kanzlerin
Merkel zu machen.


(Otto Fricke [FDP]: Quatsch! Was soll das denn?)


Bevor er da deutlich zurückgepfiffen wurde, hat er tat-
sächlich gedacht, dass er damit seine bescheidenen Zu-
stimmungswerte steigern könnte. Welch ein Irrtum; denn
die Menschen wissen, dass Sparen alleine kein zukunfts-
fähiges Konzept ist, sondern dass Sparen und Wachstum
zusammengehören. Hannelore Kraft hat mit ihrer vor-
beugenden Politik überzeugend gezeigt, dass Sparen und
Investitionen in die Zukunft, in Bildung und in Kinder
zusammengehören und zwei Seiten derselben Medaille
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Spatz [FDP]: Wo denn zum Beispiel? Wo spart sie denn?)






Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb ist es uns Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten so wichtig, dass beides zusammengehört:
Sparen und die Entwicklung von Wachstum, ein gemein-
samer Binnenmarkt und gemeinsame soziale Standards
in Europa, soziale Gerechtigkeit und Innovation, die ge-
meinsame Währung, der Euro, und offene Grenzen und
Freizügigkeit. Europa ist nämlich mehr als die Krise,
Europa bedeutet auch Jugendaustausch, Studentenaus-
tausch, kulturelle Vielfalt und eine starke Zivilgesell-
schaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser ehemaliger Bundespräsident Johannes Rau hat
2003, in einem Jahr, in dem es um die Erweiterung der
Europäischen Union um zehn Staaten ging und in dem es
deshalb durchaus heftige Debatten gab, einmal gesagt
– ich zitiere ihn –:

Dauerhafte Fortschritte bei der Einigung unseres
Kontinents können wir nur erreichen, wenn die
europäische Idee in den Herzen und Köpfen der
Menschen verankert wird, wenn die Einigung von
den Menschen bejaht und getragen wird. Diese Zu-
stimmung ist möglich, aber sie fällt nicht vom Him-
mel. Wer in Politik und Gesellschaft Verantwortung
trägt, muss dafür werben.

Auch heute geht es darum, mit Herz und Verstand dafür
zu werben. Ich habe aber das Gefühl, dass wir heute von-
seiten der Regierung viele Abgesänge und Trauerreden
gehört haben.

Es geht nicht, für Europa zu werben, wenn man im-
mer nur zögert und zaudert, wenn man zuerst auf die
„faulen Griechen“ schimpft und jegliche Hilfen aus-
schließt, um sie später dann doch zu gewähren – übri-
gens zu spät; dadurch wurde es noch teurer –, und wenn
man zuerst nachhaltige Rettungsschirme ausschließt, sie
später dann aber doch einführen will. Es geht jetzt da-
rum, dass wir in dieser Krise entschlossen und zielge-
richtet für Europa werben. Dazu gehört, dass wir neben
der Wirtschafts- und Währungsunion eben auch eine So-
zialunion brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist das soziale Europa. Uns macht große
Sorgen, dass sich eine soziale Schieflage entwickelt. Die
wachsende soziale Ungleichheit in Europa gefährdet die
europäische Einigung und die Identifikation der Men-
schen mit Europa.

Die deutsche Bundesregierung zeigt leider keinerlei
Ehrgeiz, mehr Integration und Teilhabe für die Men-
schen im eigenen Land zu erreichen. Sie engagiert sich
nicht bei der Bekämpfung von Armut, sie hat die Lang-
zeitarbeitslosen aufgegeben,


(Joachim Spatz [FDP]: Es werden immer weniger!)


sie weigert sich, einen gesetzlichen Mindestlohn einzu-
führen, und sie will ein unsinniges Betreuungsgeld ein-

führen, statt in den Kitaausbau zu investieren. Ich könnte
das ewig weiter fortsetzen.


(Joachim Spatz [FDP]: Nein!)


Diese Bundesregierung zeigt leider auch kein En-
gagement, soziale Verwerfungen in den Ländern Euro-
pas, die jetzt unsere Hilfe brauchen, zu verhindern. Man
muss sich allein die Situationen in Spanien und Grie-
chenland, wo die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos
ist, vorstellen, um zu wissen, was das mit den Menschen
dort macht. Das ist ein dramatischer Zustand.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Mindestlohn ist gesenkt worden, und es sind gerade
auch die gut ausgebildeten Menschen, die dort arbeitslos
sind.

Hier zeigt es sich, dass wir dringend mehr tun müs-
sen, um Hoffnung für diese junge Generation zu schaf-
fen. Deshalb brauchen wir mehr Wachstum, einen besse-
ren und zielgerichteteren Einsatz der europäischen
Mittel und ein konkretes Programm zur Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit.

Für mehr Wachstum und Zusammenhalt in Europa
gibt es Beispiele. Wir brauchen Haushaltskonsolidie-
rung, klare Sparziele und dazu ein Wachstumspaket. Wir
haben das in Deutschland schon einmal gezeigt, als so-
zialdemokratische Minister mit den Konjunkturpaketen
dafür gesorgt haben, dass Kommunen gestärkt wurden,
dass Arbeit geschaffen wurde und dass mit der Kurz-
arbeit Jobs erhalten wurden – gerade bei uns in Nord-
rhein-Westfalen.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Und was ist dann passiert? – Oliver Luksic [FDP]: Verfassungswidriger Haushalt!)


Deshalb reicht es heute nicht, immer nur die guten
Daten und Zahlen zu loben, sondern man darf auch noch
einmal sagen, wer dafür gesorgt hat. Das waren nämlich
sozialdemokratische Minister und ihre Konzepte.


(Oliver Luksic [FDP]: Was wurde denn zu dem Haushalt gesagt?)


Um die Identifikation mit Europa zu erhalten, müssen
wir dringend die Verursacher der Krise an den Kosten
beteiligen. Dazu gehört eine Steuer auf Finanzgeschäfte,
dazu gehört eine effektivere Kontrolle der Banken, dazu
gehört ein gesetzlicher Mindestlohn auch für Deutsch-
land, damit nicht immer nur die kleinen Leute zur Kasse
gebeten werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Europa ist ein Europa der offenen Grenzen. Für viele
Menschen sind die gemeinsame Währung und die Reise-
freiheit die beiden Dinge, durch die Europa ganz prak-
tisch erfahrbar ist. Deshalb sage ich ganz deutlich: Es
dient der europäischen Einigung nicht, wenn der Bun-
desinnenminister zusammen mit seinem abgewählten
französischen Kollegen über die Wiedereinführung von
Kontrollen an den innereuropäischen Grenzen nach-





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)


denkt. Wir wollen ein offenes Europa und keine neuen
Schlagbäume.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen eine andere Flüchtlingspolitik; denn auch
die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass keine
Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken und dass sich
die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern verbes-
sert. Auch das gehört zu einem sozialen Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein letzter Gedanke. Damit auch die arbeitslosen jun-
gen Menschen in Griechenland, Spanien und Portugal
eine Zukunftsperspektive erhalten, ist es sehr wichtig, et-
was für sie zu tun; denn anderenfalls werden sie Europa
infrage stellen, was eine Gefahr für unsere Demokratie
sein wird. Sie werden nämlich fragen, ob Demokratie
und soziale Marktwirtschaft die richtigen Antworten
sind. Wir haben am vergangenen Sonntag gesehen, dass
Rechtsextreme ins griechische Parlament eingezogen
sind. Das sollte uns zu denken geben. Deshalb ist unser
Einsatz für ein soziales Europa ein Einsatz für ein demo-
kratisches Europa der Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717903200

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1717903300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-

legin Griese, wenn das keine Wahlkampfrede war!


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nur kein Neid!)


Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Entwick-
lung in der Bundesrepublik Deutschland, angesichts der
Beschäftigungszahlen und der Arbeitslosenquote sowie
der Einnahmen des Staates halte ich es für ein bisschen
anmaßend, wenn Sie dieser erfolgreichen Bundesregie-
rung vorwerfen, dass sie nichts täte. Wir sollten uns
nicht gegenseitig vorwerfen, dass uns die Begeisterung
für Europa fehlt. Wir alle sind begeistert. Wir haben nur
andere Lösungsansätze und Konzepte. Das sollten wir
respektieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im März 2012 wurde der Fiskalpakt von den EU-Län-
dern bis auf Großbritannien und Tschechien angenom-
men. Er muss jetzt noch umgesetzt werden. Ich wider-
spreche ausdrücklich unserem Kollegen Jürgen Trittin,
der erklärt hat, dass dieser Fiskalpakt kein Meilenstein
sei.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es! Ein Torso ist das!)


Juristen wissen: In diesen Fiskalpakt wird die verbindli-
che Verpflichtung aufgenommen, eine Schuldenbremse
verfassungsrechtlich zu implementieren.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Der Fiskalpakt beinhaltet Kontrollmechanismen, die au-
tomatisch dazu führen, dass eine Verletzung der Krite-
rien des Maastrichter Vertrages durch die Mitgliedstaa-
ten Konsequenzen hat. Das ist ein Meilenstein, weil in
den vergangenen Jahren Verletzungen nicht verfolgt
wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Dr. Schmidt, natürlich gehören ESM und Fiskal-
pakt zusammen. Wer als Mitgliedstaat nicht bereit und in
der Lage ist, haushaltspolitisch seinen Laden in Ordnung
zu bringen, der kann nicht erwarten, im Falle einer wirt-
schaftlichen Schieflage von der europäischen Solidarität
zu profitieren. Beides gehört zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Erklärungen des neuen französischen Präsidenten
François Hollande haben hier viele Gedanken beflügelt,
dass etwa über den Fiskalpakt neu verhandelt und ein
Wachstums- und Beschäftigungspakt eingesetzt werden
müsse. Der Kollege Jürgen Trittin sagt sogar: Wir müs-
sen die Idee eines Schuldentilgungspaktes, den der Sach-
verständigenrat empfohlen hat, aufgreifen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


Die Kanzlerin hat nachvollziehbar erklärt, dass ein
Schuldentilgungspakt in der Praxis nicht umsetzbar ist.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man doch nicht glauben! Die haben doch keine Ahnung!)


– Die Mitglieder des Sachverständigenrates haben Ah-
nung von Wirtschaft, aber ich bezweifle, dass Sie mehr
Kenntnisse über Probleme bei der Implementierung poli-
tischer Institutionen haben als wir, die wir in der Politik
praktisch unterwegs sind.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht verstanden! Können Sie das noch einmal erklären, Herr Seif? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Immer diese blöden Sachverständigen!)


Einige haben in Anlehnung an Hollandes Äußerungen
die Forderung erhoben, dass zunächst die Finanztransak-
tionsteuer eingeführt werden soll. Ich persönlich bin
kein Freund dieser Steuer, aber meine Fraktion und auch
die Kanzlerin setzen sich seit letztem Jahr mit Nach-
druck dafür ein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Ihr Problem!)






Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


Wie Sie wissen, wurde der letzte Versuch, das EU-
weit zu implementieren, von neun Ländern gestartet.
Dieser Versuch ist am Widerstand von zwei Ländern ge-
scheitert. Auch der Versuch, das in der Euro-Zone umzu-
setzen, ist ebenfalls gescheitert.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das stimmt nicht!)


Man kann über alles diskutieren, Herr Heil. Auch Ih-
ren Ansatz eines Investitions- und Aufbaufonds halte ich
für diskussionswürdig. Aber wir sind nicht in einem
Universitätsseminar, in dem wir viel Zeit haben, sondern
wir sind in der europäischen Praxis, und die Zeit drängt.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ein großer deutscher Politiker und großer Europäer,
Willy Brandt, hat gesagt:

Mit den Europaverhandlungen ist es wie mit dem
Liebesspiel der Elefanten: Alles spielt sich auf ho-
her Ebene ab, wirbelt viel Staub auf – und es dauert
sehr lange, bis etwas dabei herauskommt.

Meine Damen und Herren, die Europapolitik der letz-
ten zwei Jahre hat diesen Spruch widerlegt angesichts
der Geschwindigkeit von Entscheidungen und der Quali-
tät in der Bearbeitung. Qualität erreicht man nicht, wenn
man sozusagen aus der Hüfte schießt; man muss natür-
lich den Sachverhalt prüfen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber auch nicht Schüsse ins Knie!)


Wir stehen vor schwierigen Situationen und neuen
Herausforderungen. Auch Sie wussten vor einem Jahr
nicht, wie die weitere Entwicklung vonstattengeht. Es
wurde jeweils angemessen, flexibel und vernünftig re-
agiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich halte es geradezu für unerträglich, wenn Herr
Steinmeier sagt, dass diese Regierung und die Kanzlerin
einen Stillstand herbeigeführt haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tut Ihnen weh! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tut wirklich weh!)


Es ist ein Verdienst der Bundeskanzlerin und des Finanz-
ministers, dass die Verhandlungen auf europäischer
Ebene in dieser Qualität und mit dieser Zügigkeit umge-
setzt wurden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo sind denn Ihre Wachstumsimpulse?)


Die Kanzlerin wird europaweit für ihre tolle Arbeit re-
spektiert. Sie aber machen das Ganze mies.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Man darf den Bogen auch nicht überspannen, unab-
hängig von den Signalen, die an die Märkte gesendet
werden. Wenn wir jetzt den Fiskalpakt noch einmal öff-
nen, dann werden alle Länder auf die Idee kommen, ih-

rerseits weitere Änderungen zu wünschen. Dann kom-
men wir zu gar nichts mehr. Deshalb appelliere ich an
Sie, mit Nachdruck an der Sache zu arbeiten, aber den
Fiskalpakt in der beschlossenen, das heißt in der vertrag-
lich vereinbarten Form umzusetzen.

Wenn es in einem Kommentar der Welt heißt, dass die
Sozialdemokraten Hochverrat begehen könnten, wenn
sie den Fiskalpakt blockieren,


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber Vorsicht!)


dann halte ich diese Formulierung für sehr überspitzt
und auch nicht für angemessen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717903400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Heil?


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1717903500

Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717903600

Bitte schön.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1717903700

Lieber Herr Kollege, für Ihren letzten Halbsatz

möchte ich Ihnen jetzt schon einmal danken, vorausge-
setzt, dass nicht noch ein Aber kommt.


(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Zu früh gemeldet, Herr Kollege!)


Denn der Versuch auch von konservativen Journalisten,
politische Wettbewerber im Deutschen Bundestag, hier
die Sozialdemokraten, als vaterlandslose Gesellen oder
Volksverräter zu bezeichnen, hat eine unselige Tradition
in Deutschland.

Ich will Ihnen für den weiteren Verlauf Ihrer Rede
mitgeben, dass ich mich gestern an den Herausgeber der
Welt, Herrn Schmid, gewendet habe, der sich für diesen
Kommentar einer Mitarbeiterin dankenswerterweise ent-
schuldigt hat.

Meine Bitte ist, dass Sie mithelfen, dass dies auch in
Ihrer Fraktion nicht weitergeht. Denn ein paar Kollegen
in Ihrer Fraktion haben gestern den gleichen Unsinn er-
zählt. Ich könnte deren Namen nennen. Das vergiftet die
politische Kultur. Bei allem legitimen Meinungsstreit
über die Zukunft Europas sollten wir so etwas nicht ma-
chen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mithülfen, dass
diese Vergiftung aufhört. Denn an der einen oder ande-
ren Stelle brauchen wir auch Zusammenarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt der Richtige!)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1717903800

Herr Heil, ich verstehe das als ein Angebot von Ihrer

Seite, zur Sacharbeit zurückzukehren. Wenn Sie mir ge-
nau zugehört hätten, wüssten Sie: Auch ich halte diese





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


Äußerung in der Welt für maßlos überzogen. Die Wahl
der Begrifflichkeit ist für mich nicht vertretbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind keine Hochverräter, und es ist auch kein Lan-
desverrat.

Aber man muss sich schon Gedanken machen: Han-
deln wir im Sinne von Europa und Deutschland, wenn
wir jetzt diesen Fiskalpakt mit weiteren Voraussetzungen
belegen, das Verfahren verzögern, ohne zu wissen, wie
es endet? In diesem Sinne muss ich Ihnen sagen: Das ist
kein Handeln für Europa, sondern gegen Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber noch einmal zur Klarstellung: Die Formulierung,
die gewählt wurde, ist eindeutig überspitzt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Nicht überspitzt! Falsch!)


Neben der Einhaltung der Haushaltsdisziplin sind na-
türlich Wachstumsimpulse erforderlich. Aber hier unter-
scheiden wir uns. Wir brauchen keine staatlichen Sub-
ventionen und keine Förderprogramme. Vielmehr muss
das Wachstum aus Angebot und Nachfrage entstehen. Es
muss ein unternehmensfreundliches Klima geschaffen
werden.

In Griechenland hat es nicht an billigem Geld geman-
gelt. Seit der Euro eingeführt wurde, waren die Zinsen
noch nie so niedrig. Aber es ist nicht genutzt worden,
weil die Strukturen für unternehmerische Entscheidun-
gen und Investitionen nicht vorhanden waren. Tatsäch-
lich hat man das Geld in den Konsum gesteckt. Weitest-
gehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit, hat die vom
Deutschen Horst Reichenbach geleitete Taskforce „Grie-
chenland“ vieles erreicht. Kohäsionsmittel sollen natür-
lich zügig eingesetzt werden, um Wachstumsimpulse zu
schaffen. 181 Großprojekte wurden in Angriff genom-
men. Finanzunterstützung für kleine und mittlere Unter-
nehmen wurde bewilligt und technische Hilfestellung
geleistet.

Aber gerade Griechenland ist ein Beispiel dafür, dass
die Strukturen in den vergangenen Jahren nicht stimm-
ten. Die Bekämpfung der Bürokratie muss zu einer Ver-
waltungsvereinfachung führen. Wirtschafts- und Unter-
nehmensförderung waren teilweise nur mit Bakschisch
möglich. Die Korruption muss bekämpft werden. Eine
gleichmäßige Steuererhebung und ein gleichmäßiger
Steuereinzug waren nicht gegeben. Ich könnte in diesem
Zusammenhang noch ellenlange Ausführungen machen.
Man ist dabei, die genannten Probleme zu lösen. Das ist
der richtige Ansatz.

Wir müssen unsere griechischen Freunde und die an-
deren betroffenen Partnerländer nachhaltig und spürbar
unterstützen. Wenn wir mittelfristig keine Änderungen
herbeiführen – ich nenne als Stichwort nur die fatale Ju-
gendarbeitslosigkeit –, dann droht nicht nur eine Staats-
schuldenkrise, sondern auch eine Identitäts- und Demo-

kratiekrise. Europa ist zu wichtig, als dass wir eine
derartige Entwicklung tolerieren dürfen.

Trotz aller Unterschiede – Herr Heil, obwohl Sie auf
die gebotene Fairness in der Diskussion verwiesen ha-
ben, reden Sie immer dazwischen und waren in Ihrem
Redebeitrag nicht immer fair – sollten wir sehen: Im Er-
gebnis arbeiten wir an der Erreichung desselben Ziels.
Europa ist für uns alle eine Herzensangelegenheit, um
die wir uns mit Begeisterung kümmern. Bleiben wir
dran! Fassen wir mutige Beschlüsse, und lassen wir uns
nicht von Wahlkämpfen in unseren Reden und in unse-
rem Handeln beeinflussen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717903900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich das als Vor-

urteil so zäh hält, will ich darauf hinweisen, dass nach
§ 27 unserer Geschäftsordnung nicht nur Zwischenfra-
gen, sondern auch Zwischenbemerkungen möglich sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Damit das endlich alle lernen: Beides ist erlaubt.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/9595. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von vier
Fraktionen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 32 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Soziales Mietrecht erhalten und klimagerecht
verbessern

– Drucksache 17/9559 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Soziale Wohnraumförderung durch Bund und
Länder bis 2019 fortführen

– Drucksache 17/9425 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Ingo
Egloff für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1717904000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Eine Debatte über die Frage des sozialen Miet-
rechts in diesem Hause zu führen, ist meines Erachtens
überfällig.


(Beifall bei der SPD)


Untersuchungen des Pestel-Instituts im Auftrag der
Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ haben erge-
ben, dass sich der Anteil der Haushalte mit einem Ein-
kommen von weniger als 1 500 Euro im Monat von
knapp 39 Prozent im Jahr 2002 auf 44 Prozent im Jahr
2010 erhöht hat. Das heißt aber auch, dass in den unteren
Einkommensschichten der Anteil am Haushaltseinkom-
men, der für Miete und Nebenkosten ausgegeben wird,
deutlich angestiegen ist, und das, obwohl die betreffen-
den Bevölkerungsschichten auf Wohnraumgröße ver-
zichtet und kleinere Wohnungen in Anspruch genommen
haben.

Wir haben insbesondere in den wachsenden Ballungs-
zentren wie Hamburg, Berlin, Köln, München, Stuttgart
und Frankfurt – um nur einige zu nennen – ein erhebli-
ches Problem, auf das reagiert werden muss. Man muss
auch deswegen reagieren, weil in diesen Städten gleich-
zeitig ein Verdrängungswettbewerb im innerstädtischen
Raum festzustellen ist. Dieser, auch mit dem Begriff
Gentrifizierung bezeichnet, führt dazu, dass die ange-
stammte Bevölkerung aus ihrem Wohnviertel vertrieben
wird, weil die Mietkosten so stark explodieren. In der
Folge werden auch kleine Handwerksbetriebe und Ein-
zelhändler verdrängt.

Wenn in attraktiven Stadtteilen bei jeder Neuvermie-
tung ohne Rücksicht auf die soziale Situation unbe-
grenzte Mieterhöhungen vorgenommen werden können,
steigt natürlich auch die ortsübliche Vergleichsmiete. Es
wird eine Spirale in Gang gesetzt, die das Mietniveau in
Höhen treibt, die wir nicht haben wollen, weil das ein-
fach sozial unverträglich ist.


(Beifall bei der SPD)


Diese Entwicklung in den Städten ist nicht gut, weil
sie zur Spaltung der Städte und letztlich zur Spaltung der
Gesellschaft führt. Hier die guten, attraktiven Stadtteile,
dort die unattraktiven, auf die in aller Regel dann auch
noch alle anderen Probleme der Städte abgeladen wer-
den. Das verträgt eine Gesellschaft auf Dauer nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb haben wir in unserem Antrag den Punkt der
Begrenzung der Mieterhöhung aufgenommen: 15 Pro-
zent in vier Jahren statt wie bisher 20 Prozent in drei
Jahren. Bei Wiedervermietung wird die Erhöhung auf
maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-
miete beschränkt. Gleichzeitig soll der Referenzzeitraum

der zu berücksichtigenden Mieten auf zehn Jahre erhöht
werden und unter Einbeziehung der Bestandsmieten das
Mietniveau ermittelt werden. Das führt dazu, dass Miet-
erhöhungen, wie wir sie bisher feststellen können und
die zu der sozialen Unverträglichkeit in den Stadtteilen
geführt haben, nicht mehr in dem Maße stattfinden kön-
nen.


(Beifall bei der SPD)


Davon lesen wir im Referentenentwurf der Bundes-
regierung leider nichts. Unabhängig davon, dass wir im-
mer noch auf den für Mai versprochenen Gesetzentwurf
warten, haben Sie, meine Damen und Herren von der
Koalition, diese soziale Frage völlig ausgeblendet. Wer
aber die Augen davor verschließt, dass wir hier ein so-
ziales Problem allererster Ordnung haben, das gewalti-
gen Sprengstoff in den Städten birgt, der handelt fahrläs-
sig.


(Beifall bei der SPD)


Ich jedenfalls möchte keine Entwicklung wie in Paris
erleben. Dort wurden systematisch Arbeiter, Angestellte
und kleine Gewerbetreibende aus der Stadt gedrängt.
Die sozialen Probleme kann man sich in der Banlieue
anschauen. Das haben wir alles im Fernsehen gesehen.
So etwas darf es in Deutschland nicht geben. Deswegen
müssen wir handeln.


(Beifall bei der SPD)


Kommen wir nun zum Referentenentwurf, der überall
herumgeistert, inzwischen vielfach kommentiert wurde
und hier im Plenum schon zu vier Debatten geführt hat,
der aber bisher nicht in einen Gesetzentwurf mündete.
Niemand in diesem Hause bestreitet die Notwendigkeit
der energetischen Gebäudesanierung angesichts von
85 Prozent nicht saniertem Altbaubestand. Aber auch
hier gilt: Wir dürfen die soziale Dimension nicht aus den
Augen verlieren. Es darf am Ende nicht sein, dass die am
schlechtesten Verdienenden in den am schlechtesten iso-
lierten Häusern mit den höchsten Energiekosten sitzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist eine Reduzierung der bei der Modernisie-
rung umzulegenden Beträge von 11 auf 9 Prozent mode-
rat, aber auch zielführend. Wer hier wie die Wohnungs-
wirtschaft den Untergang des christlichen Abendlandes
beschwört, den Teufel an die Wand malt und das Ende
jeglicher energetischer Sanierung voraussagt, verursacht
Panik, die mit der Realität nichts zu tun hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sebastian Körber [FDP]: Sie machen doch Panik!)


Schauen Sie sich doch die Realität an!


(Christine Lambrecht [SPD]: Das kann die FDP nicht!)


Wenn der Gebäudeeigentümer eine Sanierung angeht,
dann macht er das einmal, und zwar richtig. Das wissen
wir aus den Gesprächen mit den Experten und den Woh-
nungsunternehmen. Dann werden nicht nur die Fassade





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)


und die Fenster saniert, sondern dann werden in der Re-
gel auch die Sanitäreinrichtungen saniert und Umbauten
zur Barrierefreiheit – Stichwort demografische Entwick-
lung – durchgeführt. Deshalb ist es gerechtfertigt, die
Umlage zu strecken; denn die Kosten werden durch die
energetische Gebäudesanierung noch mehr in die Höhe
getrieben als durch die bisher erforderliche Sanierung.
Deswegen müssen wir an dieser Stelle handeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil es so ist, dass energetische Gebäudesanierung,
Modernisierung und Instandhaltung zusammenfallen, ist
die Differenzierung bei der Mietminderung Unsinn. Das
eröffnet höchstens neue Spielwiesen für Rechtsanwälte
und ist in der Praxis schwer handhabbar. Im Übrigen ist
das auch unserem auf Äquivalenz von Leistung und Ge-
genleistung beruhenden Vertragsrecht wesensfremd.
Wenn die vertragsgemäße Leistung von einer Seite nicht
erbracht wird, ist nicht einzusehen, dass die andere Seite
voll zahlen soll.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass nicht rückzahlbare Zuschüsse aus der Umlage he-
rauszurechnen sind, versteht sich meines Erachtens von
selbst; denn niemand soll doppelt kassieren.


(Zuruf von der FDP)


– Die Mietminderung hat doch nichts mit den geringeren
Heizkosten zu tun, Herr Kollege. Über diese Frage soll-
ten Sie noch einmal nachdenken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zwar sieht der Regierungsentwurf richtigerweise
beim Contracting Kostenneutralität für die Mieter auf-
grund einer vergleichenden Betrachtung vor, da aber
Contracting-Unternehmen mittelfristig Gewinn machen
wollen, müssen Sicherungen für die Zukunft eingezogen
werden, zumal die vorgeschlagene Regelung nur für die
Umstellung der Bestandsverträge und nicht für die Fol-
geverträge gilt.

Meine Damen und Herren, nun soll so nebenbei auch
das vermeintliche Problem der Mietnomaden gelöst wer-
den. Festzustellen ist, dass es sich um eine verschwin-
dend geringe Zahl an Fällen handelt, obwohl die Boule-
vardpresse immer wieder gern darüber berichtet – am
liebsten die BILD-Zeitung, wenn wieder irgendwelche
adeligen Personen aufgefallen sind, wie wir das in Ham-
burg öfter feststellen können. Es sind jedoch Einzelfälle,
und es handelt sich nicht um ein Phänomen, das die
Wohnungsbaugesellschaften groß beeinträchtigt. Wenn
Sie mit den Wohnungsbaugesellschaften reden, werden
Sie feststellen, dass diese sagen, sie zögen über ihre Mie-
ter Auskünfte ein, sie wüssten, an wen sie vermieten.
Hier wird versucht, mit dem vermeintlichen Problem des
Mietnomadentums Dinge in das Mietrecht hineinzubrin-
gen, die nicht gerechtfertigt sind.

Die Kündigung wegen Nichtzahlung der Mietkaution
ohne vorherige Abmahnung ist meines Erachtens weder
dogmatisch vertretbar noch geboten. Hier kann aufgrund

des § 543 Abs. 1 BGB gekündigt werden. Einer solchen
Regelung, wie sie hier vorgesehen ist, bedarf es nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ein Räumungstitel wegen Mietverzuges im Wege ei-
ner einstweiligen Verfügung, ohne dass im Hauptsache-
verfahren geprüft wurde, ob eine etwaige Mietkürzung
vertretbar ist, ist eine Einschränkung der Mieterrechte,
die überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Deshalb lehnen wir
das auch ab.


(Beifall bei der SPD)


Hier wird versucht, über die Lösung eines Problems, das
nicht besteht, Mieterrechte in einer Art und Weise einzu-
schränken, die nicht gerechtfertigt und nicht zielgerich-
tet ist. Deshalb kann das im Gesetzentwurf unseres Er-
achtens so nicht stehen bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt ist festzustellen: Sie von der Koalition
springen mit Ihrem Entwurf zu kurz, Sie blenden die so-
ziale Dimension aus. Sie haben keine Lösung für Fragen
der sozialen Verdrängungsmechanismen in den Bal-
lungszentren. Sie übersehen die soziale Dimension der
Kostenbelastung bei der energetischen Gebäudesanie-
rung, und Sie regeln Probleme, die keine sind, und dann
auch noch so, dass die Mieter benachteiligt werden.

Wenn Sie wirklich bestehende Probleme nicht ange-
hen wollen, dann lassen Sie den Referentenentwurf da,
wo er ist, im Ministerium. Da ist er ganz unten in einer
Schublade gut aufgehoben, und da sollte er dann auch
bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717904100

Das Wort hat nun Herr Jan-Marco Luczak von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1717904200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Egloff, Sie haben in Ihren Bei-
trag mit der Bemerkung eingeführt, die Debatte sei über-
fällig.


(Florian Pronold [SPD]: Ja!)


Ja, damit haben Sie ein Stück weit recht. Wenn man sich
einmal die zeitlichen Abläufe genau anschaut, stellt man
fest, dass genau vor einem Jahr, am 11. Mai 2011, das
Justizministerium den ersten Referentenentwurf für das
Mietrechtsänderungsgesetz vorgelegt hat. Seitdem ist
dieser Entwurf bekannt, und seitdem wird er diskutiert.
Auch wenn er noch einmal in Teilbereichen überarbeitet
worden ist, ist er in seinem Kern und in seiner Ausrich-
tung gleich geblieben.

Sie haben sage und schreibe ein ganzes Jahr ge-
braucht, um sich hierüber Ihre Meinung zu bilden. Dann
musste es offensichtlich auch noch sehr schnell gehen;





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)


denn bis gestern Mittag war Ihr Antrag nicht einmal on-
line verfügbar. Da fragt man sich schon: Wie kommt es
eigentlich dazu? Die Antwort kann ich Ihnen geben, sie
ist nämlich ganz einfach: Am Sonntag haben wir Wahlen
in Nordrhein-Westfalen.


(Florian Pronold [SPD]: Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen!)


Würde es Ihnen tatsächlich um ein soziales und klima-
schützendes Mietrecht gehen, wäre jeder andere Zeit-
punkt glaubwürdiger gewesen. Aber heute, zwei Tage
vor der Wahl, kann ich nur sagen: Herzlich willkommen
im Wahlkampf!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Natürlich werden Sie diesen Vorwurf ganz vehement
zurückweisen; das ist klar. Aber schauen Sie sich doch
nur einmal die Wortwahl an, die Sie in Ihrem Antrag
verwenden. Da sprechen Sie von einer „Explosion der
Mieten“ und davon, dass hier ein „Angriff“ der Bundes-
regierung auf das bestehende Mietrecht stattfinde.


(Burkhard Lischka [SPD]: Genau so ist es ja! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wer solch eine Wortwahl in seinem Antrag wählt, der
muss sich nicht wundern, wenn ihm vorgeworfen wird,
dass es ihm nicht um Sachpolitik geht, sondern einfach
nur um Wahlkampfgetöse. Damit diskreditieren Sie sich
selbst, meine Damen und Herren von der SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Fragen Sie einmal die Betroffenen! Die werden es genauso sehen!)


Man kann es aber auch an anderer Stelle sehen, dass
es Ihnen hier um Wahlkampf und nicht um die Sache
selbst geht.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Sie beschäftigen sich mit dem Referentenentwurf im De-
tail überhaupt nicht. Zum Beispiel ist im Referentenent-
wurf vorgesehen, dass der Mieter bei einer energetischen
Sanierung in den ersten drei Monaten einer Maßnahme
die Miete nicht mindern können soll. Einerseits wollen
wir so vermehrt Anreize für energetische Modernisie-
rung schaffen. Diese brauchen wir bei einer Sanierungs-
quote von 1 Prozent auch; sie muss steigen. Wir haben
uns auf der anderen Seite ganz bewusst gegen übermä-
ßige Belastungen für die Mieter entschieden. Deswegen
haben wir auch gesagt: Einen vollständigen und zeitlich
unbegrenzten Ausschluss des Minderungsrechts wird es
mit uns nicht geben; denn das ist für die Mieter nicht zu-
mutbar, und das vertragliche Gleichgewicht – Sie haben
es angesprochen, Herr Kollege – wäre dann in der Tat
gestört. Deswegen haben wir eine insgesamt sehr ausge-
wogene Regelung beim Minderungsrecht geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jetzt fragt sich nur: Was machen Sie daraus? Sie spre-
chen in Ihrem Antrag davon, dass Mieter im Winter

mehrere Monate ohne Heizung sein könnten, ohne das
Recht auf Minderung zu haben, oder dass mehrere Maß-
nahmen aufeinanderfolgen und sich der Minderungsaus-
schluss auf bis zu neun Monate verlängern könnte. Wenn
dem so wäre, dann wäre das in der Tat problematisch.
Nur, leider hat das mit unserem Gesetzentwurf und mit
der Realität überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn wenn im Winter die Heizung ausfällt, dann geht es
nicht mehr um die Minderung der Tauglichkeit einer
Wohnung, sondern dann ist die Gebrauchstauglichkeit
einer Wohnung komplett aufgehoben. Eine unbeheizte
Wohnung ist im Winter schlechterdings nicht nutzbar,
und dann muss der Mieter selbstverständlich auch keine
Miete zahlen. Deswegen geht Ihr Argument an dieser
Stelle von vornherein ins Leere.

Was nun Ihre Befürchtung angeht, es könne hier zu
Kettenminderungsausschlüssen kommen, wenn sozusa-
gen eine Modernisierungsmaßnahme auf die andere
folgt, muss ich mich schon ein bisschen wundern, Herr
Egloff. Sie haben gerade gesagt: Wenn ein Vermieter so
etwas macht, dann macht er es richtig. – Ja, da haben Sie
recht.


(Ingo Egloff [SPD]: Da können Sie nicht differenzieren! Da ist der Streit doch vorprogrammiert!)


Selbstverständlich wird er seine Modernisierungsmaß-
nahmen koordinieren. Es macht ja auch keinen Sinn, erst
die Fassade zu dämmen und später dann die Fenster zu
erneuern. Nein, er wird alles zusammen modernisieren;
daran hat er auch ein wirtschaftliches Eigeninteresse.
Bevor Sie so etwas schreiben, sollten Sie vielleicht mit
uns darüber diskutieren. Da sollte man sich doch ein
bisschen besser informieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, Herr Luczak! Machen Sie das mal!)


Mit einem Wort: Ich finde, was Sie in Ihrem Antrag
schreiben, ist einfach falsch. Sie versuchen allein, den
Mietern Angst zu machen, um sich daraus Vorteile für
die Wahl am Sonntag zu verschaffen.


(Ingo Egloff [SPD]: Ich habe diese Position hier schon vor einem Jahr vertreten, falls Sie sich noch erinnern! Da war von der Wahl in NRW noch gar nicht die Rede!)


Ich finde das unredlich, meine Damen und Herren von
der SPD.

Aber Sie schreiben nicht nur Falsches in Ihrem An-
trag, sondern Sie offenbaren auch – diesen Eindruck
habe ich –, dass der wirtschaftliche Sachverstand, den
man eigentlich erwarten sollte, an der einen oder ande-
ren Stelle fehlt. Sie wollen – Sie haben das ausgeführt –
die Umlagefähigkeit der Kosten einer energetischen Mo-
dernisierung von derzeit 11 auf 9 Prozent reduzieren.
Zur Wahrheit gehört aber, dass die 11 Prozent, die wir
derzeit haben, vielerorts am Markt überhaupt nicht reali-





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)


sierbar sind. Das mag in Berlin, München oder anderen
begehrten Innenstadtlagen der Fall sein. In weiten Teilen
der neuen Bundesländer zum Beispiel sind Vermieter
hingegen froh, wenn sie ihre Wohnungen überhaupt ver-
mieten können. Da ist an eine Erhöhung der Miete über-
haupt nicht zu denken, auch nicht nach einer energeti-
schen Sanierung.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern ist das falsch, was Sie schreiben.

Aber was hätte es zur Folge, wenn man Ihrem Antrag
folgen würde? Wirtschaftlich stehen hinter der Errich-
tung und der Bewirtschaftung von Mietwohnraum er-
hebliche Investitionen und ein dauerhafter finanzieller
Aufwand. Wenn Sie nun die Anreize für Vermieter sen-
ken, Modernisierungen vorzunehmen, weil sie die Kos-
ten nur mehr eingeschränkt umlegen können, werden
diese nicht mehr oder jedenfalls weniger investieren.
Das aber gefährdet das, was wir brauchen, nämlich den
Erhalt eines qualitativ hochwertigen Wohnungsbestan-
des, der energetisch saniert ist. Deswegen ist das ein
völlig falscher Ansatz. Wir brauchen mehr Anreize für
energetische Modernisierungen und nicht zusätzliche
Stolpersteine, die wir den Vermietern in den Weg legen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem – auch das gehört zur Wahrheit – ist es in
der Regel so, dass ein Mieter unmittelbar davon profi-
tiert, wenn eine energetische Modernisierungsmaß-
nahme vorgenommen wird, weil dadurch seine Betriebs-
kosten sinken. Er hat also auch etwas von dieser
Modernisierung.

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Klima-
schutz. Auch das Contracting – Sie haben es angespro-
chen –, die gewerbliche Wärmelieferung, kann dazu in
der Tat einen wichtigen Beitrag leisten. Wir haben in un-
serem Referentenentwurf vorgesehen, einen einheitli-
chen Rahmen für die Umlagefähigkeit zu schaffen, der
auch auf die Bestandsverträge Anwendung finden kann.
Dafür haben wir zwei wesentliche Voraussetzungen ge-
nannt: Auf der einen Seite muss eine Effizienzsteigerung
dabei herauskommen, und auf der anderen Seite muss
die Contracting-Lösung für den Mieter kostenneutral
sein. Denn – das stand für uns von vornherein fest – Ge-
winne der Wärmelieferanten auf Kosten der Mieter darf
es an dieser Stelle nicht geben. Das ist für uns ganz klar.

Sie fordern in Ihrem Antrag eine Steigerung der Ener-
gieeffizienz und Wärmemietenneutralität. Das ist in un-
serem Gesetzentwurf schon längst enthalten.


(Burkhard Lischka [SPD]: Was für Mechanismen haben Sie denn da vorgesehen? Wie lange gelten die?)


Da fragt man sich doch, ob Sie unseren Entwurf nicht
gelesen haben oder ob es sich, wie schon erwähnt, nur
um Wahlkampfgetöse handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich noch etwas zu den Mietnomaden
sagen. Ich wundere mich, dass Sie in Ihrem Antrag

schreiben, dieses Phänomen spiele für die professionelle
Wohnungswirtschaft im Kern keine Rolle; die Vertrags-
managementsysteme seien einfach zu gut. Ich weiß
nicht, ob es Ihnen entgangen ist: 60 Prozent der Miet-
wohnungen, die in unserem Land angeboten werden,
werden nicht etwa von professionellen Wohnungsver-
mietern angeboten, sondern von privaten Kleinvermie-
tern. Für diese spielt der Schutz vor Mietnomaden eine
erhebliche Rolle. Wenn man einen Mietnomaden näm-
lich einmal in seiner Wohnung hat, dann hat man ganz
schnell Schäden von 20 000 Euro, und das ist für einen
privaten Kleinvermieter existenzbedrohend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für uns war ganz klar: Wir wollen einen besseren und
wir wollen einen schnelleren Schutz gegen Mietnoma-
den. Schließlich kann es nicht sein, dass es einzelne kri-
minelle Mieter in der Hand haben, ihren Rauswurf um
bis zu zwei Jahre zu verzögern. Das kommt mit uns nicht
infrage; das machen wir nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Die Instrumente sind doch völlig untauglich!)


In diesem Zusammenhang spielt die Frage der Kau-
tion eine wichtige Rolle. Wir wollen es dem Vermieter
ermöglichen, schon relativ früh zu identifizieren, ob er
es möglicherweise mit einem Mietnomaden zu tun hat.
Es ist in der Tat so: Wenn man seine Kaution nicht recht-
zeitig zahlt, dann kann das ein Indiz dafür sein, dass man
es mit einem kriminellen Mieter zu tun hat. Dem Ver-
mieter soll die Möglichkeit gegeben sein, sich von einem
solchen Mieter sehr schnell zu trennen.

Da sagen Sie: Das braucht man alles nicht. – Wahr ist:
Das ist tatsächlich schon geltendes Recht. Man hat schon
bisher die Möglichkeit, fristlos zu kündigen. Das ist in
der Rechtsprechung ganz eindeutig.


(Ingo Egloff [SPD]: Dann brauchen Sie auch keine Gesetzesänderung!)


Wir stellen das also nur klar.

Ich möchte noch etwas zur Hinterlegungsanordnung
sagen. Sie haben gesagt, man dürfe den Räumungsschutz
für Mieter nicht über Gebühr verkürzen. Da haben Sie
völlig recht. Wir haben mit der Hinterlegungsanordnung
– sie wird vielleicht noch ein bisschen umgestaltet – ein
kluges Instrument geschaffen. Nur wenn die Zahlungs-
klage des Vermieters eine hohe Aussicht auf Erfolg hat
und eine umfassende Interessenabwägung ergeben hat,
dass ein solches Vorgehen richtig ist, dann kann das Ge-
richt eine Hinterlegungsanordnung erlassen.


(Florian Pronold [SPD]: Aber der Kleinvermieter, der von Nomaden betroffen ist, glauben Sie, dass der noch Geld übrig hat, um zu hinterlegen?)


Nur dann, wenn der Mieter dieser Hinterlegungsanord-
nung nicht nachkommt, wenn er also dokumentiert, dass
es ihm ganz offensichtlich darauf ankommt, die Miete
nicht zu zahlen, ermöglichen wir einen schnellen
Rechtsschutz im Wege einer einstweiligen Verfügung.





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)


Ich glaube, das ist richtig. Wir dürfen die Vermieter hier
nicht alleinlassen, also nicht schutzlos lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Letzter Punkt; meine Zeit ist abgelaufen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717904300

Ja.


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1717904400

Die christlich-liberale Koalition hat anders als die

SPD hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sehr ausge-
wogen ist.


(Zurufe von der SPD: Vorgelegt? – Wo denn? – Wo liegt der denn?)


Wir befördern die energetische Modernisierung, um dem
gesamtgesellschaftlichen Ziel des Klimaschutzes Rech-
nung zu tragen. Wir berücksichtigen dabei die Interessen
der Mieter, aber auch die der Vermieter.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717904500

Herr Kollege.


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1717904600

Es ist also insgesamt ein ausgewogener Gesetzent-

wurf. Wir machen genau das Gegenteil von dem, was
Sie machen, nämlich einseitig die Vermieter benachteili-
gen. Meine Damen und Herren, wir werden Ihrem An-
trag selbstverständlich nicht zustimmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Das hätte uns auch überrascht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717904700

Das Wort hat nun Heidrun Bluhm für die Fraktion Die

Linke.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717904800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Luczak, Sie haben hier eben sehr aufgeregt einen
Gesetzentwurf verteidigt, den es gar nicht gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/ CSU]: Engagiert verteidigt!)


Es ist in der Tat so, dass wir an dieser Stelle über ei-
nen Referentenentwurf diskutieren. Sie verteidigen et-
was, was zunächst auf der Referentenebene zweimal
verändert worden ist. Für Mai wurde die Vorlage dieses
Gesetzentwurfs angekündigt. Jetzt ist Mitte Mai. Wir ha-
ben nur noch eine Sitzungswoche im Mai. Noch liegt
dieser Gesetzentwurf nicht vor. Ich frage mich also:
Bleiben Sie worttreu? Werden Sie im Mai liefern? Kön-
nen wir dann die Rede, die Sie eben hier sehr eindrucks-
voll gehalten haben, als Statement für Ihren Gesetzent-
wurf werten, oder können wir das nicht?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Der SPD Wahlkampfgetöse vorzuwerfen, das kann
man machen; gar keine Frage. Man steht vor einer ent-
scheidenden Landtagswahl. Das gilt aber für alle. Inso-
fern ist es legitim, endlich über das Thema Mieten und
über das Thema Wohnen hier in diesem Hause zu reden.
Auf der anderen Seite möchte ich darauf hinweisen, dass
wir dieses Thema hier vor einigen Wochen behandelt ha-
ben. Eine kleine Kritik an die SPD: Wir sind im Bundes-
rat initiativ geworden und haben dort einen Gesetzesan-
trag eingebracht, dem auch Sie nicht abgeneigt sind. Es
hat also schon einmal die Chance bestanden.


(Ingo Egloff [SPD]: Frau Kollegin, dem Gesetzentwurf haben wir im Ausschuss sogar zugestimmt!)


– Ja, aber nur halbwegs, nicht wahr?


(Ingo Egloff [SPD]: Nein!)


– Gut.

Worum geht es eigentlich? Was sind die dringendsten
Herausforderungen der Wohnungspolitik heute? Wir tra-
gen gemeinsam Verantwortung dafür, dass ausreichend
energetisch modernisierter, altersgerechter und barriere-
freier Wohnraum überall zur Verfügung steht. Die Bau-
wirtschaft braucht auch eine gewisse Sicherheit, wenn
sie sich auf diese Herausforderung einstellen soll.

Wir sind gemeinsam für die Rahmenbedingungen
verantwortlich, insbesondere dafür, dass alle Vermieter
die Ziele auch erreichen können, die wir als Gesellschaft
ihnen mit dem Mietrecht aufgeben und die sich durch die
Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft stellen.
Sie brauchen also eine Verlässlichkeit, was Fördermittel
betrifft.

Wir müssen gemeinsam erreichen, dass alle Bürger
ihre Wohnkosten auch bezahlen können. Das ist die zu-
tiefst sozialpolitische Verantwortung, die wir in diesem
Hause tragen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, dass
die Nettokaltmiete durch die Modernisierungsumlage
nicht stärker steigt, als bei den Nebenkosten eingespart
wird. Das ist ebenfalls die Verantwortung, die wir den
Mieterinnen und Mietern gegenüber haben, wenn wir
den vorgenannten Punkt ernst nehmen.

Wir müssen gemeinsam gewährleisten, dass Wohnen
ein Grundrecht für alle Menschen wird. Ich sage mit Ab-
sicht nicht „bleibt“, sondern sage „wird“. Wenn wir uns
ansehen, wie sich die Wohnungslosenzahl entwickelt
– wir haben in der vergangenen Sitzungswoche ein Ex-
pertengespräch dazu gehabt –, müssen wir davon ausge-
hen, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. Für uns
als Linke ist Wohnen ein Grundrecht, das wir für alle si-
chern müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor diesem Hintergrund, der sicher Konsens wenigs-
tens der Oppositionsfraktionen in diesem Hause ist,
werde ich den Antrag der SPD „Soziales Mietrecht er-
halten und klimagerecht verbessern“ bewerten.





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)


Was Sie dort fordern, klingt beim ersten Hinhören
nicht schlecht.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Und beim zweiten?)


Wir sind uns einig, dass wir ein soziales Mietrecht brau-
chen und dass die Klimaziele im Wohnbereich durchge-
setzt werden müssen. Aber das, meine Damen und Her-
ren von der SPD, werden Sie mit diesem Antrag nicht
erreichen. Warum greifen Sie nicht einfach die Bundes-
ratsinitiative auf, die wir Ihnen vor Wochen hier vorge-
legt haben?


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die ist noch schlechter!)


Den Entwurf hatte die SPD in Berlin gemeinsam mit der
Linken im Bundesrat auf den Weg gebracht. Diesen Ent-
wurf hat meine Fraktion vor Wochen hier vorgelegt; Sie
hätten nur mitstimmen müssen. Warum jetzt also dieser
Antrag, der in seinem politischen Anspruch und – das
muss man leider sagen – in seiner handwerklichen Qua-
lität weit hinter dem zurückbleibt, was Ihre Berliner Ge-
nossen schon vor zwei Jahren aufgeschrieben haben?

Ein erstes Beispiel: die Mietsteigerung. Egal ob
20 Prozent in drei Jahren oder, wie Sie vorschlagen,
15 Prozent in vier Jahren – beides ist unsozial. Solche
Preisexplosionen haben mit der realen wirtschaftlichen
Entwicklung auf dem Mietmarkt überhaupt nichts zu
tun. Sie sind auch von der tatsächlichen Einkommens-
entwicklung bei den Mieterinnen und Mietern völlig ab-
gekoppelt und sprengen daher die wirtschaftliche Leis-
tungsfähigkeit von immer mehr Mieterhaushalten; das
Realeinkommen ist in den vergangenen Jahren gesun-
ken, und die Mieten steigen.

Das hat auch ursächlich nichts mit energetischen Sa-
nierungsmaßnahmen zu tun; das ist ein reiner Marktme-
chanismus. Solche Steigerungen lassen sich nur dort
durchsetzen, wo Wohnraum knapp ist – das ist hier
schon gesagt worden; an anderer Stelle eben nicht –, und
zwar unabhängig davon, ob eine Wohnung energetisch
gebaut oder saniert ist.

Eingeführt wurde die Regelung zu den Mietsteigerun-
gen damals, um Miettreiberei zu verhindern. Heute wird
sie zur Miettreiberei benutzt, ohne Gegenleistung durch
den Vermieter, dort nämlich, wo der Markt es hergibt.


(Stephan Thomae [FDP]: Unterstellung!)


Ein zweites Beispiel: die Wohnkosten insgesamt. Sie
steigen auch dort rasant, wo die Kaltmieten aufgrund un-
genügender Nachfrage stabil oder auch rückläufig sind,
und zwar durch explodierende Energie- und Wasser-
preise, durch steigende Gebühren und Abgaben, mit de-
nen Kommunen, die klamme Kassen haben, versuchen,
ihre Haushalte zu stabilisieren. Ein Beispiel ist die
Grundsteuererhöhung, die voll auf die Nebenkosten der
Mieterinnen und Mieter durchschlägt.

Ein weiteres Beispiel: energetische Sanierung. Klar,
sie ist zwingend notwendig. Das ist nicht nur eine Frage
des Klimaschutzes, sondern das ist angesichts der rasant

steigenden Wohnkosten auch eine zutiefst soziale Frage.
Da schlagen Sie in Ihrem Antrag vor – ich zitiere –,

… eine Regelung vorzulegen, durch die den Kom-
munen in geeigneter Form ein Interventionsrecht
gegen Maßnahmen zur Wohnwertsteigerung einge-
räumt wird, um prekäre Mietsituationen in be-
stimmten Wohnbereichen zu vermeiden.

Wollen Sie Wohnsiedlungen schaffen, in denen das
Prekariat in unsanierten, energiefressenden Wohnungen,
dafür aber zu niedrigen Kaltmieten wohnen muss, weil
sich die Menschen nichts anderes leisten können oder
die Arge nichts anderes finanziert?

Das Problem ist also nicht in erster Linie die luxu-
riöse Wohnwertsteigerung, sondern schlicht – jetzt zi-
tiere ich einmal eine andere Stelle aus Ihrem Antrag –:

Die Verbesserung des Klimaschutzes als nationale
Aufgabe darf nicht allein auf die betroffenen Mieter
abgewälzt werden.

Klar, da haben Sie recht. Leider sind Sie in Ihrem An-
trag nicht konsequent und suchen nach scheinbaren
Kompromissen, um die Modernisierungskosten etwas
gerechter zu verteilen.

Dazu schlagen Sie zum Beispiel eine Reduzierung der
Umlage sämtlicher Kosten für Modernisierungsmaßnah-
men von 11 auf 9 Prozent vor. Aber weder die 11 noch die
9 Prozent sind wirtschaftlich irgendwie gerechtfertigt.
Wenn man die tatsächlichen Kosten der für die energeti-
sche Modernisierung notwendigen Maßnahmen zugrunde
legt und den Amortisationszeitraum der Investitionsmaß-
nahme dagegenstellt, würde – das fordern wir – auch eine
5-prozentige Umlage ausreichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Mieterbund fordert sogar die Abschaffung dieser
Umlage, und das nicht zu Unrecht. Denn erstens bleibt
die höhere Miete auch nach Ablauf der Abschreibungs-
frist erhalten, und zweitens wäre eine Rücknahme der
Mietsteigerung nach einem zwangsläufig sehr langen
Zeitraum nicht kontrolliert durchsetzbar. Eine solche
Forderung klingt nett, aber sie ist weltfremd.

Was aber bleibt, ist die Wirkung auf den Mietspiegel,
weil von der Modernisierungsumlage die Nettokaltmie-
ten betroffen sind und damit eine Mietsteigerung im
Mietspiegel festgeschrieben wird.

Schließlich fordern Sie mit Ihrem Antrag,

nicht rückzahlbare Förderungen zur energetischen
Modernisierung aus der Umlagefähigkeit herauszu-
nehmen.

Das unterstützen wir ausdrücklich, das ist selbstver-
ständlich. Warum sollten Mieterinnen und Mieter noch
einmal bezahlen, was sie zuvor als Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler an den Staat abgegeben haben? Denn
der hätte sonst die Möglichkeit, Fördermittel zur Verfü-
gung zu stellen, nicht gehabt.

Summa summarum: Dass die Politik angesichts stei-
gender Mieten und Wohnkosten drohenden schwerwie-
genden sozialen Verwerfungen vorbeugen muss, steht





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)


für mich außer Zweifel. Ebenso unzweifelhaft ist, dass
der weltweite Klimawandel uns zwingt, die Energie-
wende auch im Gebäudebereich voranzutreiben. Für bei-
des ist der Erhalt eines sozialen Mietrechts zwar nicht
unbedingt der Schlüssel. Er ist aber notwendig, weil we-
der die sozialen noch die klimatischen Probleme in der
Gesellschaft mit sozialem Unfrieden und der Vertiefung
sozialer Gegensätze zu lösen sind.

Das aber – darin stimmt die Linke mit der Intention
dieses Antrags überein – würde mit der Verabschiedung
des Referentenentwurfs zum Mietrechtsänderungsge-
setz passieren, der immer noch nicht das Licht der Welt
erblickt hat. Er ist nichts anderes als die Verschiebung
der Lasten allein auf die Schultern der Mieterinnen
und Mieter. Er sollte – hier stimme ich Ihnen zu, Herr
Egloff – tatsächlich dort bleiben, wo er ist: in den Schub-
laden der Referenten.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sonja Steffen [SPD])


Was den Erhalt des sozialen Mietrechts und seiner kli-
magerechten Verbesserung angeht, unterbreite ich einen
Kompromissvorschlag: Lassen Sie uns doch zu dem Ent-
wurf des Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und
zur Begrenzung von Energiekosten und Energiever-
brauch zurückkommen, der immer noch im Bundesrat
schmort. Im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung – Sie haben es gerade gesagt – ist er zumindest
nicht abgelehnt worden, sondern es wurde sich der
Stimme enthalten. Im Rechtsausschuss haben Sie ihm
sogar zugestimmt.

Wenn ich die Signale aus der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen richtig interpretiere, könnten sich auch diese
Kolleginnen und Kollegen eher damit anfreunden. Das
wäre doch einmal etwas. Das wäre ein Kompromiss.

Jetzt noch ein letzter Satz zu dem zweiten von Ihnen
eingebrachten Antrag „Soziale Wohnraumförderung
durch Bund und Länder bis 2019 fortführen“: Ja, das
kann man machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717904900

Das Wort hat nun Sebastian Körber von der FDP-

Fraktion.


Sebastian Körber (FDP):
Rede ID: ID1717905000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Die zwei Anträge, die wir vorliegen haben, sind mit
sehr heißer Nadel gestrickt. Es sollte in diesen Anträgen
noch einmal mit den Ängsten der Mieterinnen und Mie-
ter, vielleicht sogar in Nordrhein-Westfalen – ich will
hier nichts unterstellen –, gespielt werden und ein biss-
chen Wahlkampf gemacht werden.

Ihr Antrag lautet: „Soziales Mietrecht erhalten und
klimagerecht verbessern“. Das ist gut so. Die Koalition
wird Ihnen dazu entsprechende Anträge vorlegen.


(Ingo Egloff [SPD]: Darauf warten wir!)


Wir sind hier auf einem sehr guten Weg.

Wenn Sie von einem sozialen Mietrecht sprechen, so
verschweigen Sie dezent, dass auch wir wollen, dass die
Menschen in vernünftigen Wohnungen möglichst ener-
gieeffizient und barrierearm leben können. Wir zahlen in
diesem Land Wohngeld. Das dürfen Sie nicht einfach
verschweigen.


(Caren Marks [SPD]: Das haben Sie gekürzt!)


Als Sofortmaßnahme – damit wir bessere Gebäude in
Deutschland haben – wäre es gar nicht so schlecht, wenn
in Nordrhein-Westfalen die Oberblockiererin Hannelore
Kraft abgewählt werden würde; denn sie verhindert die
Zustimmung des Bundesrates.


(Florian Pronold [SPD]: Wer macht Wahlkampf?)


Wir werden nicht müde, dies Ihnen immer wieder zu sa-
gen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie verhindern doch auf diese Weise, dass in diesem
Land endlich Steueranreize für energetische Gebäudesa-
nierungen möglich werden.


(Ingo Egloff [SPD]: Das Wahlkampfargument ist Ihnen gerade voll auf die eigenen Füße gefallen, Herr Kollege!)


Ich kann Ihnen dazu noch etwas sagen: 75 Prozent der
Wohnungen in Nordrhein-Westfalen gehören nicht den
großen Wohnungsbaugesellschaften, sondern sind im
Besitz von kleinen, privaten Vermietern. Diese Gruppe
lassen Sie vollkommen aus.

Voller Stolz erklären Sie, warum Sie den energeti-
schen Abschreibungsmöglichkeiten im Bundesrat nicht
zustimmen. Dabei gehen Sie in Nordrhein-Westfalen so-
gar noch weiter: Dort wurde ein eigenes Förderpro-
gramm aufgelegt, für das 200 Millionen Euro zur Verfü-
gung gestellt werden. Hierzu muss man feststellen: Die
KfW Bank hat Anfang dieses Jahres das aus Eigenmit-
teln betriebene Programm „Wohnraum Modernisieren“
eingestellt. Denn der Bund hat aufgrund seiner ambitio-
nierten Klimaschutzziele höhere Förderstandards als die
KfW Bank festgelegt. Was machen Sie von der SPD und
von den Grünen in Nordrhein-Westfalen? Sie führen ein
neues Programm ein, mit dem Sie nur Mitnahmeeffekte
fördern; denn das Programm fördert nicht die hohen
Energieeffizienzstandards. Es ist wirklich ein Skandal,
was Sie mit den Steuermitteln in Nordrhein-Westfalen
anstellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte der Justizministerin und Herrn Staatsse-
kretär Stadler ausdrücklich für das danken, was im Miet-
recht auf den Weg gebracht werden soll; denn diese Pro-
gramme enthalten unbestritten einen hinreichenden
Mieterschutz


(Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD] – Ingo Egloff [SPD]: Der ist vorhanden, weil wir mal anständige Gesetze gemacht haben, im Gegensatz zu Ihnen!)






Sebastian Körber


(A) (C)



(D)(B)


Dies steht im Gegensatz zu Ihren Programmen von der
SPD, Herr Pronold. Sie können gleich ausführen, wie
Sie sich dazu verhalten.

Sie produzieren ständig Zerrbilder in Bezug auf den
sogenannten bösen Miethai. Wir hätten allerdings über-
haupt kein ausgeglichenes Wohnungsangebot in diesem
Land, wenn es nicht die vielen kleinen Vermieterinnen
und Vermieter gäbe. Allein 61 Prozent der Wohnungen
– das sind fast 14,5 Millionen – werden von nichtprofes-
sionellen Vermietern gestellt. Ich finde es unsäglich,
wenn Sie sagen, Mietnomaden seien gar kein Problem.
Ich hätte von jemandem, der einmal wirtschaftspoliti-
scher Sprecher in Hamburg war, etwas mehr Sachver-
stand erwartet; das muss ich an dieser Stelle klar sagen.
Mietnomadentum kann für einen Vermieter ein existen-
zielles Problem bedeuten, wenn er beispielsweise ein
Zweifamilienhaus besitzt und eine Wohnung vermietet.
Solche Konstellationen sind für viele Menschen in die-
sem Lande ein Beitrag zur Altersvorsorge, auch in Nord-
rhein-Westfalen, nicht nur in Hamburg.


(Beifall bei der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Wie viele Fälle sind es denn, Herr Kollege? Sie blasen einen Riesenballon auf, der überhaupt keine Grundlage hat!)


– Sie haben einen Ballon aufgeblasen. Ich kann es Ihnen
gerne an Fakten aufzeigen.


(Ingo Egloff [SPD]: Wie viele sind es denn?)


Sie widersprechen sich sogar in Ihren Anträgen. Auf
der einen Seite wollen Sie die derzeitige Umlagefähig-
keit bei den Sanierungskosten von 11 Prozent auf 9 Pro-
zent absenken. Auf der anderen Seite fordern Sie in Ih-
rem zweiten Antrag bezüglich der Wohnraumförderung
mehr barrierefreie und energieeffiziente Wohnungen.
Dann können Sie doch nicht gleichzeitig die Anreize he-
runterfahren. Das ist in Ihren Anträgen doch ein Wider-
spruch in sich.


(Florian Pronold [SPD]: Dann haben Sie beide nicht verstanden!)


Ihnen geht es nur darum, schnell etwas mit der heißen
Nadel zu stricken und ein bisschen Wahlkampf zu betrei-
ben. Dabei spielen Sie mit den Ängsten der Menschen.


(Florian Pronold [SPD]: Bei der Wohnraumförderung fördern wir ärmere Haushalte und ärmere Vermieter!)


– Das können Sie gleich alles erzählen, Herr Pronold.
Hören Sie noch kurz zu; dann können Sie vielleicht noch
etwas lernen.

Zur Heizkostenersparnis. Es geht nicht um die Netto-
kaltmiete, sondern es geht darum, dass die Heizkosten
reduziert werden. Die energetische Sanierung eines Ge-
bäudes kann in einzelnen Schritten umgesetzt werden:
Da werden die Fenster oder die Heizungsanlage ausge-
wechselt, eine Gebäudedämmung wird angebracht, das
Dach wird neu isoliert. Dann reduzieren sich die Heiz-
kosten. Wer profitiert davon?


(Iris Gleicke [SPD]: Dann handelt es sich nicht um Modernisierung, sondern um Instandsetzung! Sie haben keine Ahnung!)


Ist es der private Vermieter? Es sind die Mieter, die an
dieser Stelle profitieren; denn bei denen reduzieren sich
die Nebenkosten. Unterhalten Sie sich doch einmal mit
einem Mieter; ich glaube, Sie haben davon keine Ah-
nung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen zu Ihrem anderen Antrag auch noch
etwas aufzeigen: Im Rahmen der Föderalismusreform
haben wir eine neue Regelung getroffen; darüber ver-
handeln derzeit der Bund und die Länder. Es wird ge-
prüft, wie man ein Gesamtpaket schnüren kann, um die
Bindung hinsichtlich der Ausgleichszahlungen fortzu-
führen, die nur bis 2014 läuft. Insofern kann ich Ihnen an
dieser Stelle zustimmen. Es gilt, die Aufgabenerfüllung
bis 2019 oder darüber hinaus sicherzustellen. Ich bin zu-
versichtlich, dass das gelingen wird.

Ansonsten finden sich in diesem Antrag lediglich
Lippenbekenntnisse, die zu nichts führen werden. Auch
hier habe ich Ihnen eine Zahl aus dem größten deutschen
Bundesland herausgesucht: Ihr heutiger Antrag ist schon
deshalb bemerkenswert, weil die rot-grüne Landesregie-
rung 2011, gerade erst ins Amt gekommen, direkt die
Wohnraumförderung um 20 Prozent gekürzt hat, obwohl
in Ihrem Wahlprogramm noch eine Festschreibung auf
1 Milliarde Euro stand.

So viel zur Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ach Quatsch!)


Deshalb werden wir die Anträge, die Sie vorgelegt ha-
ben, kraftvoll ablehnen.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Oje!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717905100

Das Wort hat nun Daniela Wagner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717905200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist
schnell umrissen – in vielen Punkten sind wir uns relativ
einig –: Auf der einen Seite gibt es Probleme durch zu-
nehmenden Leerstand, auf der anderen Seite gibt es ab-
surde Preisentwicklungen in bestimmten Ballungsräu-
men, zum Beispiel im Rhein-Main-Gebiet, im Großraum
München, im Großraum Stuttgart und in Teilen Berlins.
Das sind die Probleme, auf die wir im Moment reagieren
müssen. Es gibt zudem eine Zunahme der Zahl von
Haushalten, die sich aufgrund ihrer Einkommensverhält-
nisse nicht mehr mit Wohnungen über den freien Woh-
nungsmarkt versorgen können.

Die entscheidenden Herausforderungen bilden die
Energiewende und der demografische Wandel. Grund-
sätzlich ist festzuhalten: Die umfassende energetische





Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)


Gebäudesanierung ist kein Selbstzweck, sondern sie ist
angesichts der stetig steigenden Energiekosten notwen-
dig, damit das Wohnen bezahlbar bleibt und der Klima-
wandel aufgehalten werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch für die Eigentümerinnen und Eigentümer so-
wie Vermieterinnen und Vermieter muss die Bereitstel-
lung von Wohnraum finanzierbar bleiben. Deswegen
müssen die mietrechtlichen Schrauben so gestellt wer-
den, dass die energetische Gebäudesanierung einerseits
befördert wird und auf der anderen Seite die Mieterinnen
und Mieter vor Verdrängungseffekten geschützt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Iris Gleicke [SPD] und Johanna Voß [DIE LINKE])


Dabei darf das Mietrecht nicht isoliert betrachtet wer-
den; denn es ist nicht seine primäre Aufgabe, die energe-
tische Gebäudesanierung voranzutreiben, es darf ihr le-
diglich nicht im Weg stehen.

Die energetische Gebäudesanierung muss in erster Li-
nie durch entsprechende Förderprogramme und gegebe-
nenfalls durch das Ordnungsrecht sichergestellt werden.
Bei Förderprogrammen liegt die Betonung vor allen
Dingen auf „verlässlich“. Es darf nicht sein, dass es je-
des Jahr neue Wasserstandsmeldungen gibt, dass das,
was man im Januar geplant hat, schon im September
Makulatur sein kann, weil es keine Fördermittel mehr
gibt. Verlässlichkeit heißt, dass der Bürger genau weiß,
dass er auch noch in einem Jahr damit rechnen kann,
dass die Zuschüsse zur energetischen Gebäudesanierung
fließen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Mietrecht ist lediglich dazu da, die unterschiedli-
chen und auf Mieterseite auch berechtigten Interessen
auszugleichen. Der Antrag der SPD bezieht sich haupt-
sächlich auf den Referentenentwurf der Bundesregie-
rung vom Oktober 2011, der wie in der Echternacher
Springprozession seltsam vor- und zurückrückt, aber nie
so richtig den Sprung in den Plenarsaal schafft. Viel-
leicht schaffen Sie es ja noch vor der nächsten Bundes-
tagswahl, wenn nicht, lassen Sie es einfach bleiben.


(Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Florian Pronold [SPD]: Das wäre besser!)


Sie lehnen die Aufhebung des Mietminderungsrechts
für drei Monate bei energetischen Sanierungen ab. Das
sehen wir ähnlich, insbesondere auch auf der Grundlage
der rechtspolitischen Unsicherheiten; denn das Recht auf
Mietminderung stellt auf das Vorhandensein von be-
stimmten Eigenschaften des Wohnraums bei Vertragsab-
schluss und auf seinen Nutzwert ab und weniger auf die
gute Motivation des Vermieters. Wir meinen, wenn der
Nutzwert gemindert ist – aus welchen Gründen auch im-
mer –, dann ist das Mietminderungsrecht das Instrument
der Wahl, natürlich auch in den ersten drei Monaten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wollen, dass den Kommunen ein Interventions-
recht gegen Maßnahmen zur Wohnwertsteigerung einge-
räumt wird, um prekäre Mietsituationen zu vermeiden.
Ich nehme stark an, Sie meinen in diesem Zusammen-
hang Luxussanierungen und Gentrifizierungsprozesse.
Allerdings unterlassen Sie es, die Instrumentarien zu be-
nennen. Wir halten zwei Instrumente zur Begrenzung
von Wieder- und Neuvertragsmieten für notwendig. Wir
wollen im BauGB bei der Ausweisung von Sanierungs-
und Milieuschutzgebieten wieder Mietobergrenzen nach
§§ 142 und 144 – Sanierungssatzung – und § 172 – Er-
haltungssatzung – ermöglichen.

Außerdem wollen wir im BGB die Landesregierun-
gen ermächtigen, in Kommunen oder deren Teilgebieten
Mietobergrenzen einzuführen, wenn in einem bestimm-
ten Quartier ein Wohnraummangel vorherrschend ist. Ich
denke, das sind geeignete Instrumente, um punktuell und
situationsgerecht Abhilfe zu schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen ebenso wie wir die Modernisierungsum-
lage nach § 559 BGB von 11 auf 9 Prozent absenken. Sie
schlagen die Prüfung einer zeitlichen Begrenzung vor.
Wir haben uns lange mit der zeitlichen Begrenzung be-
fasst, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass das in
der Praxis sehr schwierig zu realisieren ist; denn Sie
müssten die Miete theoretisch irgendwann wieder infla-
tionsbereinigt absenken. Das könnte unter Umständen
sehr kompliziert werden und an der Praxis scheitern. Der
Gedanke ist natürlich nicht ganz von der Hand zu wei-
sen.

Für uns ist entscheidend, dass die Mieterinnen und
Mieter durch die Modernisierungsumlage eine Entlas-
tung bzw. Wohnwertsteigerung erhalten und dass sie
nicht zu unnötigen Luxusmodernisierungen führt. Des-
wegen wollen auch wir die Umlagemöglichkeit der
Höhe nach begrenzen. Wir wollen sie darüber hinaus
aber auch auf die energetische Sanierung und den alters-
gerechten Umbau begrenzen. Das ist aus unserer Sicht
vordringlich. Das muss finanziert werden. Alles andere
kann unterbleiben, weil es sich dabei schlicht und ergrei-
fend um Luxusmodernisierungen handelt, die sich der
Mieter leisten können muss. Solche Modernisierungen
muss der Vermieter nicht vom Mieter erstattet bekom-
men.

In Ihrem Antrag fehlt uns eine energiepolitische Wei-
chenstellung. Sie haben zum Beispiel nicht gefordert, die
energetische Gebäudebeschaffenheit im Rahmen der
ortsüblichen Vergleichsmiete zu berücksichtigen, also so
etwas wie einen ökologischen Mietspiegel. Das wäre
aber richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Körber [FDP]: Stimmt nicht!)


Es ist richtig, Zuschläge für einen hervorragenden Ge-
bäudezustand vorzusehen. Bei einer schlechten energeti-
schen Gebäudebeschaffenheit müssen auch Abschläge
möglich sein oder gegebenenfalls beides in Kombina-





Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)


tion. Das wäre im Rahmen von Mietspiegel und ortsübli-
cher Vergleichsmiete ein richtiges Instrument, um dem
Ziel näherzukommen. Es gibt inzwischen ein paar
Städte, die einen ökologischen Mietspiegel haben. Das
funktioniert.

Die Kappungsgrenze wollen Sie von 20 auf 15 Pro-
zent absenken. Das sehen wir auch so.

Weiterhin wollen wir den Klimaschutz in die Interes-
senabwägung nach § 554 BGB aufnehmen.

Zum Thema Contracting. Wenn es mehr als zwei Ver-
tragspartner gibt, ist das nicht ganz unkompliziert. Des-
wegen sagen wir nur so viel: Die wirtschaftlichen Vor-
teile, die der Vermieter aus einem Vertrag mit dem
Contractor zieht, sollten auch dem Mieter bzw. der Mie-
terin zugutekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu Ihren Einlassungen zu Mietnormaden: Das sehen
wir ähnlich. Zu den Einlassungen der Bundesregierung:
Das halten wir für falsch. Wir sind der Meinung, dass
wir nicht den Rechtsschutz aller Mieterinnen und Mieter
wegen einer verschwindend geringen Anzahl von Fällen
einschränken dürfen. Wir sind der Auffassung, dass das
geltende Recht vollkommen ausreicht.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zur so-
zialen Wohnraumförderung, zu der Sie auch einen An-
trag gestellt haben, sagen. Eingangs ist von anderen Red-
nern schon betont worden, dass der Anteil derjenigen,
die sich auf dem freien Wohnungsmarkt aufgrund ihres
Einkommens nicht mehr mit Wohnraum versorgen kön-
nen, ständig wächst. Wir sind der Auffassung, dass es
besorgniserregend wäre, wenn die Entflechtungsmittel
ab 2013 auslaufen sollten und wir dann allein auf die Be-
mühungen der Länder angewiesen wären. Bis jetzt gibt
es nur in sieben Bundesländern Wohnraumförderungsge-
setze. Wir wissen nicht, was aus der Wohnraumförde-
rung wird. Wir wissen aber, dass im Moment jährlich
etwa 100 000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen.
Deswegen muss dringend dafür Sorge getragen werden,
dass die soziale Wohnraumförderung über 2013, am bes-
ten über 2019 hinaus verstetigt wird, damit nicht ein
wachsender Anteil der Bevölkerung überhaupt keinen
Wohnraum mehr findet.

Wir halten es für ganz besonders wichtig, dass An-
reize geschaffen werden, damit private Eigentümer in ih-
ren Quartieren oder, wie man in Berlin so schön sagt, in
ihren Kiezen sozialgebundenen Wohnraum durch Ver-
kauf von Belegungsrechten an die Stadt oder an den Be-
zirk zur Verfügung stellen. Es erscheint uns als ganz be-
sonders wichtig, dafür zu sorgen, dass in den schönen
Kiezen nicht nur Oberstudienräte und Bundestagsabge-
ordnete wohnen und am Stadtrand in den Plattenbausied-
lungen – meist in schlecht isolierten Wohnungen – dieje-
nigen, die auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr
reüssieren können, die sich sogar schon bei mittleren
Einkommen im Grunde genommen nicht mehr mit ad-
äquatem Wohnraum versorgen können.

Das war der Grund, warum einmal die vereinbarte
Förderung erfunden worden ist. Die Krankenschwester

ist zu reich für den sozialen Wohnungsbau, aber auch
viel zu arm für den freien Wohnungsmarkt. Es ist ganz
wichtig, dass eine soziale Mischung dadurch geschaffen
wird, dass der Rückkauf von Belegungsbindungen at-
traktiv wird. Dazu brauchen wir den Fortbestand der
Entflechtungsmittel über das Jahr 2019 hinaus.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717905300

Das Wort hat nun Gero Storjohann für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1717905400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Soziales
Mietrecht erhalten und klimagerecht verbessern“ – ja-
wohl. „Soziale Wohnraumförderung durch Bund und
Länder bis 2019 fortführen“ – jawohl. Ich glaube, hier
im Hause besteht eine große Einigkeit.


(Florian Pronold [SPD]: Das haben andere Redner vorher nicht so gezeigt!)


Hier wird der Eindruck vermittelt, dass etwas anderes
geplant ist. Mit Ihren Anträgen möchten Sie – vergeblich
– den Eindruck erwecken, dass kein Mietrechtsände-
rungsgesetz auf dem Weg ist. Über dieses gute Miet-
rechtsänderungsgesetz wird hier sehr kurzfristig wieder
debattiert werden.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wann denn?)


– Das wird der Präsident im Ältestenrat festlegen.


(Florian Pronold [SPD]: Dazu muss es einen Gesetzentwurf geben!)


Unser gutes soziales Mietrecht werden wir als Koali-
tion weiter verbessern.


(Florian Pronold [SPD]: Nee!)


Nach unserer Auffassung bestehen Regelungslücken.
Diese werden wir schließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Wohnungs- und Immobilienmarkt in Deutschland
ist stabil. Er war in den letzten Jahren ein stabilisierender
Faktor der deutschen Konjunktur, und das auch in Zeiten
der internationalen Wirtschaftskrise. Mit ihrem Antrag
zur sozialen Wohnraumförderung schrammt die SPD-
Fraktion an den Vorgaben des Grundgesetzes nicht nur
zielgenau vorbei, sondern vermittelt auch noch einen fal-
schen Eindruck.

Die christlich-liberale Koalition


(Caren Marks [SPD]: Oh! Schwarz-Gelb! – Florian Pronold [SPD]: Das müssen Sie jetzt vorlesen, damit Sie es fehlerfrei herausbekommen!)






Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)


ist sich ihrer Verantwortung für die soziale Wohnraum-
förderung in Deutschland sehr wohl bewusst. Bekannt-
lich ist die Kompetenz für die soziale Wohnraumförde-
rung durch die Föderalismusreform vom Bund auf die
Länder übertragen worden.


(Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD])


Das, Herr Pronold, haben wir in der Großen Koalition
sogar gemeinsam beschlossen.


(Lachen der Abg. Caren Marks [SPD])


Es wurde vereinbart, dass der Bund den Ländern hierfür
jährlich bis 2013 über 500 Millionen Euro Kompensa-
tionsleistungen zahlt.


(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen hat auch niemand etwas!)


Derzeit verhandelt der Bund mit den Ländern über die
Fortzahlung. Ab 2019 sollen die Zahlungen endgültig
enden. Frau Wagner hat hier vorgeschlagen, diese Zah-
lungen über 2019 hinaus fortzuführen. Ich glaube, wir
sollten uns an das halten, was wir gemeinsam vereinbart
haben. Die CDU/CSU steht zu den Ergebnissen der Fö-
deralismusreform


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und den sie begleitenden Übergangsregelungen. Wir
nehmen aber auch die Unterstützung sozial schwächerer
Haushalte bei der Wohnraumversorgung sehr ernst. We-
sentliche Maßnahmen sind hier das Wohngeld und die
Wohnraumförderung; die Verantwortung hierfür liegt
seit der Föderalismusreform allein bei den Ländern.

Es ist Ausdruck des Sozialstaatsprinzips, dass der
Staat den Menschen Unterstützung gewährt, die sich
nicht aus eigener Kraft angemessen mit Wohnraum ver-
sorgen können. Wir wollen dafür sorgen, dass würdevol-
les Wohnen auch in Zukunft möglich ist. Die Gründe,
aus denen Menschen soziale Wohnraumförderung in An-
spruch nehmen, sind vielfältig: Das Haushaltseinkom-
men ist zu niedrig. Kinderreiche Haushalte benötigen
besonders große Wohnungen. Menschen mit Behinde-
rungen sind auf barrierefreie Wohnungen angewiesen.
Diese besonderen Bedürfnisse werden durch den Markt
mitunter noch nicht ausreichend bzw. nicht zu vertretba-
ren Preisen befriedigt.

Sozial benachteiligte Menschen profitieren beson-
ders von unseren Anstrengungen im Bereich der sozialen
Wohnraumförderung. Ihnen werden auf diese Weise
preiswerte Wohnungen zur Verfügung gestellt. Traditio-
nell hatte der soziale Wohnungsbau das Ziel, Wohnungs-
mangel zu beheben. Der Fokus hat sich jetzt verständli-
cherweise verschoben. Die soziale Wohnraumförderung
ist besonders geeignet, unsere Stadtentwicklung wesent-
lich mitzugestalten, vor allem in den benachteiligten
Stadtvierteln.

Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich dafür ein, dass
Wohnraum bezahlbar bleibt. Sie setzt sich dafür ein, dass
die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes,
auch des sozialen Wohnraumbestandes, erfolgen kann.
Die Bundesregierung hat dafür Planungssicherheit ge-
schaffen. In den nächsten Jahren werden 1,5 Milliarden

Euro für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfügung ge-
stellt. Damit das Wohnen bezahlbar bleibt, sind auch
ausgewogene Änderungen des bestehenden Mietrechts
notwendig. In Kürze wird von uns ein Mietrechtsände-
rungsantrag vorgelegt. Ich gehe fest davon aus, noch im
Mai.


(Florian Pronold [SPD]: In diesem Jahr oder im nächsten? Welcher Mai?)


– Der Mai ist ja immer der schönste Monat. Ich gehe da-
von aus, in diesem Mai.


(Florian Pronold [SPD]: Der ist schon! – Ingo Egloff [SPD]: Wir haben doch schon Mai! – Caren Marks [SPD]: Selbst den Mai hat die Regierung verschlafen!)


– Sie haben ja sehr deutlich gemacht, Herr Egloff, dass
Sie alle notwendigen Änderungen im Mietrecht ableh-
nen; das entnehme ich Ihrem vorliegenden Antrag.

Die Koalition verfolgt zwei Ziele. Wir wollen den
Mietbestand sanieren, um unsere Klimaschutzziele zu
erreichen. Hierdurch gelingt es uns, die immer weiter
steigenden Nebenkosten für die Energieversorgung für
die Mieter zu begrenzen. Das ist unverzichtbar; denn
Wohnraum muss bezahlbar bleiben.


(Caren Marks [SPD]: Na ja! Das hört sich ja nicht gerade überzeugend an!)


Darüber hinaus soll durch Änderungen im Mietrecht
Mietbetrügern das Handwerk gelegt werden. Ich habe
das hier schon einmal ausgeführt: Mein Vermieter ist
von einem Mietnomaden massiv betroffen, und das, ob-
wohl er sich verhältnismäßig professionell verhält. Das
heißt, er hat jedes Mal Titel für eine Räumung erwirkt,
wenn nicht gezahlt wurde. Jedes Mal gab es ein Unter-
mietverhältnis. Nachdem die Mehrfachuntervermietung
innerhalb der Familie oder innerhalb des Bekanntenkrei-
ses nachgewiesen wurde, hat er versucht, den Porsche
aus der Tiefgarage zu bekommen. Auch in der Tiefga-
rage wurde ein Untervermietungsverhältnis nachgewie-
sen. Und das alles im schönen Hamburg, Herr Egloff!
Ich bin gerne bereit, mit Ihnen über diesen Fall zu spre-
chen, damit Sie wenigstens einmal erkennen, dass es hier
ein Problem gibt, das mit der jetzigen Rechtslage nicht
zu lösen ist – oder es liegt an der Richterschaft; ich weiß
es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Aber das ist doch kein Massenphänomen, Herr Kollege! Und Sie treffen damit alle Mieter!)


Die Frage ist doch: Will die SPD kriminelle Mieter
zukünftig weiterhin schützen? Wir meinen, dies ist ein
Thema, das wir anpacken müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Aber dieses Problem sollen bei Ihnen Millionen von Mietern ausbaden! Unglaublich! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das sind doch Einzelfälle!)






Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)


Die Fraktion der CDU/CSU wird das nicht tatenlos hin-
nehmen. Wir bleiben dabei, dass wir hier dringenden
Handlungsbedarf sehen.

Die SPD-Fraktion schreibt sich auch den Umwelt-
schutz auf die Fahnen. Aber wenn es beim Mietrecht
konkret wird, dann ducken Sie sich natürlich weg. Wir
verfolgen das Ziel, den Wärmebedarf im Gebäudebe-
reich bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu senken. Dafür
brauchen wir ein Anreizsystem; denn das passiert nicht
von alleine. Investitionshemmende Regelungen im Miet-
recht müssen entschärft werden, damit die Vermieter
überhaupt eine energetische Sanierung vornehmen. Wir
streiten ja nur darüber, was letzten Endes hilft. Ich
glaube, wir sollten generell dazu übergehen, solche
Hemmnisse abzubauen.


(Ingo Egloff [SPD]: Aber es muss noch sozial verträglich sein, Herr Kollege!)


– Selbstverständlich. Es gehört ja zur Sozialverträglich-
keit, dafür zu sorgen, dass die Nebenkosten im Hinblick
auf den Wärmebedarf geringer werden. Wir sind auf
dem Weg, dies auszutarieren. Aber zu sagen, dass das
nicht passieren soll, ist, glaube ich, keine Lösung. Ich
denke, das wollen Sie im Ergebnis auch nicht. Also: Wir
laden Sie ein, hier auf uns zuzugehen.


(Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD])


Dazu, dass die Umlage künftig maximal 9 Prozent
statt 11 Prozent betragen soll, ist von meinen Kollegen
schon einiges gesagt worden; das brauche ich nicht zu
wiederholen.

Wir als CDU/CSU möchten, dass das soziale Miet-
recht – das ist ein eindeutiges Bekenntnis – erhalten
bleibt. Die Inflationsrate lag in den Jahren 2007 bis 2010
bei 1,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Mieten
im Durchschnitt um 1,2 Prozent. Wir wissen, dass die
Situation in Ballungsräumen eine andere ist als im länd-
lichen Bereich. Insofern, Frau Wagner, sind wir einer
Meinung, dass es einen unterschiedlichen Markt gibt,
mit dem wir unterschiedlich umgehen müssen.

Die SPD-Anträge setzen nicht die richtigen Impulse,
um das Mietrecht zu verbessern und ausgewogene Mo-
dernisierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Die
CDU/CSU wird weiterhin dafür sorgen, dass eine Ba-
lance zwischen Mieterinteressen und Vermieterinteres-
sen besteht und dass es in ganz Deutschland angemes-
sene Wohnverhältnisse gibt. Ihre Anträge werden wir in
den anstehenden Ausschussberatungen wohlwollend
prüfen und dann wahrscheinlich verwerfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717905500

Das Wort hat nur Florian Pronold für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU]: Da sind wir einmal gespannt!)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1717905600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist ja gerade von Vorrednern mit den
durchschnittlichen Mieterhöhungen in Deutschland ar-
gumentiert worden. Franz Josef Strauß hat einmal ge-
sagt: Der Durchschnitt ist eine gefährliche Sache. Wer
mit dem Hintern auf der heißen Herdplatte sitzt und mit
dem Kopf in der Gefriertruhe steckt, der hat im Durch-
schnitt eine angenehme Körpertemperatur, aber beson-
ders wohl fühlt er sich nicht.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie sollten sich mehr von Strauß zu eigen machen!)


So ist es auch mit der durchschnittlichen Mieterhöhung,
die wir erleben.

Ich frage Sie, ob Sie mit Menschen in Berlin und
München nicht reden und ob Sie die Zeitung nicht lesen.
Die Abendzeitung in München titelte gestern zu dieser
Problematik, weil das in München ein ganz existenziel-
les Problem ist und weil wir in Metropolregionen eine
solche Verknappung von Wohnraum erleben, dass sich
dort auch exorbitante Mietsteigerungen durchsetzen las-
sen,


(Sebastian Körber [FDP]: Wer ist da Oberbürgermeister?)


die tatsächlich dazu führen, dass Menschen mit gerin-
gem Einkommen ihre Heimat verlieren. Dagegen wollen
wir uns wehren.


(Beifall bei der SPD)


Herr Körber, reden wir doch einmal nicht abstrakt da-
rüber, was eine Modernisierungsumlage von 11 Prozent
oder auch 9 Prozent bedeutet, sondern schauen wir uns
doch einmal ganz konkret an, was das in solchen Bal-
lungsräumen für die Mieterinnen und Mieter heißt. Was
heißt das für die Krankenschwester, für den Polizeibe-
amten oder für die Verkäuferin, die wir doch nicht alle
50 Kilometer außerhalb der Stadt wohnen haben wollen,
von wo aus sie zu ihrem Arbeitsplatz in der Stadt fahren
müssen, sondern die in der Lage sein sollen, in der Stadt
bleiben zu können?

Nehmen wir einmal an, eine Wohnung wird für
50 000 Euro energetisch saniert. Nach der geltenden
Rechtslage bedeutet das, dass 5 500 Euro im Jahr auf
den Mieter umgelegt werden können. Das wären gut
458 Euro im Monat. Wenn Sie jetzt sagen, dass
50 000 Euro ein bisschen viel sind,


(Sebastian Körber [FDP]: Ist es auch!)


dann nehmen wir 25 000 Euro pro Wohnung; das ist
auch in Ordnung. Dann sind wir bei 2 750 Euro im Jahr
und immer noch bei fast 230 Euro im Monat.


(Ingo Egloff [SPD]: Das ist realistisch! – Gegenruf des Abg. Sebastian Körber [FDP]: Quatsch!)


Bei einer kleinen Maßnahme, die nur 12 500 Euro kos-
tet, sind wir immer noch bei einem Nettomonatsgehalt,
das ein Mieter im Jahr für diese energetische Sanierung
aufbringen muss.





Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)


Ich finde, jetzt muss man gegenrechnen. Welche Ein-
sparung gibt es hier denn? Wir wehren uns doch nicht
dagegen, dass energetisch saniert wird, aber wir wollen,
dass Lasten und Nutzen gerecht verteilt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie schlagen aber keine gerechte Verteilung vor.

Wir sind auch dafür, dass der Staat entsprechend för-
dert, zum Beispiel über die KfW oder durch andere
Maßnahmen. Wir wollen aber nicht, dass das, was schon
aus Steuergeldern finanziert wird und dem Eigentümer
zugutekommt, teilweise zusätzlich auf den Mieter umge-
legt werden kann. Das ist doch nicht gerecht. Davon
muss etwas abgezogen werden können.


(Beifall bei der SPD)


Die nächste Frage ist, in welchem Umfang man das
umlegen kann. Weil die Mieterinnen und Mieter auch
von der energetischen Sanierung profitieren, sind wir ja
dafür, dass hier etwas umgelegt werden kann; das ist
doch überhaupt keine Frage.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Warum streichen Sie es nicht?)


Es muss aber vernünftig sein und den unterschiedlichen
Interessen sozial ausgewogen gerecht werden. Deswe-
gen schlagen wir die Reduzierung der Umlage vor, weil
das ansonsten für einen normalen Menschen in der In-
nenstadt in einer Metropolregion nicht zu bezahlen ist.
Das ist doch der Grund!


(Beifall bei der SPD – Sebastian Körber [FDP]: Sie können doch nicht gleichzeitig die Anreize heruntersetzen, wenn Sie die energetischen Maßnahmen haben wollen!)


Sie spotten ja darüber, dass wir hier sagen: Sie schü-
ren die Ängste der Mieter. Wenn ich mir nur diese nack-
ten Zahlen hier anschaue – und das ist auf Vermieter-
märkten kein unrealistisches Szenario –, dann stellt sich
mir die Frage, ob dort überhaupt noch Menschen woh-
nen können.

Die Anzahl der Haushalte in Deutschland, die mehr
als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für das Wohnen
ausgeben, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.
Das heißt, in Metropolregionen stellt sich eine neue so-
ziale Frage. Hierauf müssen wir eine Antwort geben.


(Sebastian Körber [FDP]: Ja, zum Beispiel durch Wohngeld!)


Zur Frage der gerechten Verteilung von Lasten und
Nutzen gehört übrigens auch: Wie lange ist denn diese
Modernisierungsumlage zu zahlen? Das, was jetzt gel-
tende Rechtslage ist, heißt: Die Kosten können mit bis
zu 11 Prozent auf die Miete umgelegt werden. Das be-
deutet, um in dem Beispiel von vorhin zu bleiben – wir
nehmen jetzt den geringsten Betrag –: Jeden Monat wer-
den von dem Mieter 120 Euro an Modernisierungsum-
lage bezahlt. Nach neun Jahren ist damit die gesamte
Maßnahme finanziert. Aber der Mieter zahlt auch im
zehnten, im elften und zwölften Jahr jeden Monat weiter

die Modernisierungsumlage. Das hat nichts mit einer ge-
rechten Lastenverteilung zu tun.


(Beifall bei der SPD)


Ich verstehe Folgendes nicht: Warum wehren Sie sich
gegen eine gerechte Lastenverteilung?


(Sebastian Körber [FDP]: Der Mieter spart zum Beispiel Heizkosten!)


– Ja, ich habe kein Problem damit, dass wir ein Modell
entwickeln, mit dem man dafür sorgt, dass Kosten und
Nutzen zwischen Vermieter, Mieter und öffentlicher
Hand aus dem gemeinsamen Interesse heraus, die Zahl
der energetischen Sanierungen zu erhöhen, im Sinne ei-
nes vernünftigen Mieterschutzes und der Bezahlbarkeit
des Wohnens vernünftig untereinander aufgeteilt wer-
den. Niemand hat etwas dagegen. Aber Sie verfolgen mit
Ihrem Referentenentwurf beim Mietrecht genau das ent-
gegengesetzte Ziel: Sie wollen die Rechtslage zulasten
der Mieterinnen und Mieter verändern.

Es ist vorhin schon ausgeführt worden: Warum soll
denn, wenn eine Gegenleistung nicht erbracht wird, kein
Recht auf Mietminderung bestehen? Das hat sich in der
ganzen Geschichte des sozialen Mietrechts in Deutsch-
land bewährt. Wenn wir immer vom Idealfall ausgingen,
bräuchten wir keine Gesetze zu machen. Ich glaube, dass
in 90 Prozent der Fälle alles wunderbar funktioniert. Al-
lerdings werden es beim Bau wohl doch nicht 90 Prozent
der Fälle sein. Sie sind Architekt und müssen das wis-
sen.

Aber was ist denn, wenn Mieterinnen und Mieter
– das muss noch nicht einmal unmittelbar der Vermieter
verschulden – auf einmal tatsächlich in einer fast nicht
mehr bewohnbaren Wohnung leben? Was ist, wenn zwei
oder drei Sanierungsmaßnahmen in zeitlich geringem
Abstand aufeinanderfolgen? Verdreifachen sich dann die
Duldungspflichten? Auf diese spannenden Fragen müs-
sen Sie eine Antwort geben.

Bisher haben Sie uns vorgeworfen, dass wir die An-
träge so kurzfristig vorgelegt haben, aber selber haben
Sie Ihre Rede damit eingeleitet, dass seit einem Jahr ein
Referentenentwurf vorliegt. Das ist schön. Also eine
Dauer von einem Jahr ist schon sehr ambitioniert. Aber
gerade war es noch nicht sicher, ob der Gesetzentwurf in
diesem Mai oder erst im nächsten Mai vorgelegt wird.
Legen Sie einen Entwurf vor! Aber bei den darin enthal-
tenen Ansätzen lassen Sie ihn lieber in der Schublade
liegen!


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Was denn jetzt? – Sebastian Körber [FDP]: Soll er jetzt vorgelegt werden oder nicht?)


In den Metropolregionen gibt es eine Zunahme der
sozialen Spaltung aufgrund der Bezahlbarkeit von Woh-
nen. Deswegen ist auch kritisch auf den Prüfstand zu
stellen, was in der Föderalismuskommission gemeinsam
vereinbart worden ist. Wir reden jetzt darüber: Was pas-
siert in dem Zeitraum 2013 bis 2019?





Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)



(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: 2014 bis 2019!)


– 2013 muss es eine Entscheidung geben. In den Jahren
2014 bis 2019 wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach
die Fördersumme immer weiter gekürzt. Wir stellen fest,
dass es in den Metropolregionen zunehmend Probleme
gibt, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deswegen ist
die Frage, wie Bund und Land gemeinsam auf diese Fra-
gestellung reagieren.

Was mich stört, ist, dass derjenige, der eigentlich da-
für zuständig ist, ein bisschen Etikettenschwindel be-
treibt, weil im Titel seines Ministeriums immer noch das
Wort „Bau“ enthalten ist. Ich meine den Verkehrs- und
Bauminister, Peter Ramsauer, der bei dieser Debatte
wieder einmal nicht da ist.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Er ist vorher gegangen!)


Immer, wenn es um Fragen des Bauens geht, ist der Herr
Ramsauer ein Totalausfall. Dafür interessiert er sich
nicht. Er ist gegangen, bevor diese Debatte begonnen
hat.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Er baut auch gerade!)


So war das. Ich finde, es ist ungehörig gegenüber diesem
Hause, dass der zuständige Minister dann, wenn wir über
die Zukunft der sozialen Wohnraumförderung reden,
durch Abwesenheit glänzt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist natürlich für die Debatte angesichts dessen, was
er bisher gesagt hat – das gebe ich zu –, nicht schädlich.
Aber trotzdem wäre es nicht schlecht, wenn er da wäre.

Ich finde, wir müssen uns im parlamentarischen Ver-
fahren bemühen, aus vielen guten Anträgen, die es auch
von der Linken und den Grünen gibt, die Ideen zusam-
menzubringen, die darauf setzen, dass wir in der energe-
tischen Sanierung einen ordentlichen Fortschritt ma-
chen, die aber auch auf bezahlbares Wohnen setzen und
die darauf setzen, dass das soziale Mietrecht erhalten
bleibt und dass wir nicht einseitig zulasten der Mieterin-
nen und Mieter die Gesetzeslage verändern.

Jeder von uns kann doch nachvollziehen, was es be-
deutet, wenn ein Vermieter von Mietnomaden in eine
dramatische Situation gebracht worden ist. Es gibt doch
niemanden, der das nicht ernst nimmt. Aber Sie können
nicht, um so einen Einzelfall zu verhindern, alle Miete-
rinnen und Mieter in Geiselhaft nehmen und Rechtsver-
schlechterungen für sie hinnehmen. Das geht nicht. Da-
gegen wehren wir uns.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717905700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bluhm?


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1717905800

Gerne.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717905900

Herr Kollege Pronold, habe ich Sie richtig verstan-

den, dass Sie eben eine Einladung an die Linke und die
Grünen ausgesprochen haben, gemeinsam an den vorlie-
genden Anträgen zu arbeiten, um Mieterschutz und Kli-
maschutz hinzubekommen? Wenn das so wäre, dann
würden wir uns sehr darüber freuen und unsere Bereit-
schaft dazu erklären.


(Beifall bei der LINKEN)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1717906000

Ich bin ein sehr netter, freundlicher und höflicher

Mensch, und ich habe an das ganze Haus die Einladung
ausgesprochen, gemeinsam an diesem Problem zu arbei-
ten und die guten Ansätze, die bei Ihnen, den Grünen
und uns vorhanden sind, die ich aber bei Schwarz-Gelb
vermisse, mit einer Mehrheit in diesem Hause zu verab-
schieden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich werde aber insbesondere daran arbeiten, dass wir
bald wieder gestaltungsfähig sind und mit anderen
Mehrheiten vernünftige Gesetze machen können.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, das Thema soziales
Mietrecht und bezahlbares Wohnen wird in den nächsten
Jahren in den Monopolregionen stark an Bedeutung ge-
winnen. Ich glaube, wir sind gut beraten, uns dieses The-
mas anzunehmen, und zwar ohne ideologische Scheu-
klappen genau hinzuschauen und die verschiedenen
Interessen vernünftig abzuwägen, aber auch dafür zu
sorgen, dass das, was in Ihrem Referentenentwurf ent-
halten ist, nicht zur Realität wird.

Ihr Referentenentwurf sieht vor, dass Mieter zu Melk-
kühen werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen einen
gerechten und sozialen Ausgleich, und wir wollen für
die, die zu einem geringen Einkommen arbeiten, bezahl-
bares Wohnen in den Metropolregionen sichern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717906100

Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1717906200

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Ver-

ehrte Kollegen! Herr Kollege Pronold, einmal wollen
Sie, dass die Regierung den Referentenentwurf als Ge-
setzentwurf vorlegt; einmal wollen Sie, dass er in der
Schublade verbleibt. Was denn nun?


(Ingo Egloff [SPD]: Das kommt auf den Inhalt an, Herr Kollege!)






Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)


Aber wie auch immer: Es gibt einen Referentenent-
wurf, wie Sie wissen. Der normale Gang der Dinge ist,
dass der Referentenentwurf jetzt an Länder und Ver-
bände zur Stellungnahme verschickt wird, und dann
warten wir als Parlament das Verfahren ab.

Am 23. Mai wird der Referentenentwurf im Kabinett
beraten und beschlossen. Dann werden wir als Parlament
die Chance haben, den Gesetzentwurf der Regierung zu
beraten, nachdem die Regierung die Stellungnahmen der
Verbände und Länder in den Referentenentwurf eingear-
beitet hat.

Das ist der normale Gang der Dinge. Was machen Sie
nun daraus? Mitten in diesem Verfahren, in dem wir zu-
nächst abwarten sollten, was letzten Endes Beratungs-
grundlage des Parlaments sein wird, bringen Sie den
vorliegenden Antrag ein, in dem Sie den Referentenent-
wurf diskutieren. Damit machen Sie sozusagen den Zwi-
schenstand zum Gegenstand der Beratungen, bevor wir
genau wissen, was in dem Gesetzentwurf enthalten sein
wird.

Das wird der Wahl am Sonntag geschuldet sein.
Wahlkampfzeiten haben ihre eigene Logik und Gesetz-
mäßigkeit.


(Ingo Egloff [SPD]: Das haben wir schon viermal diskutiert! – Florian Pronold [SPD]: Von uns haben hier ein Hamburger und ein Bayer gesprochen! Sie sollten nicht von sich auf andere schließen!)


Hier blitzt durch jedes Knopfloch durch, dass eigentlich
Wahlkampf betrieben werden soll.

Richten wir aber den Blick auf Ihre Vorstellungen.
Nach Vorstellung der SPD ist das Mietrecht offenbar ein
Mieterrecht bzw. alleiniges Recht des Mieters. Mietrecht
ist aber ein Recht der Vermieter und Mieter. Beide sind
Vertragsparteien, und beide müssen ein ausgewogenes
Recht vorfinden, in dem sie sich wiederfinden können.


(Florian Pronold [SPD]: Das gibt es doch! Warum ändern Sie es jetzt so negativ?)


Denn der Vermieter investiert in den Mietwohnraum. Er
finanziert sozusagen vor.

Nun wollen wir erreichen, dass möglichst viele Ei-
gentümer bzw. Vermieter in Deutschland energetisch sa-
nieren. In dieser Hinsicht sind die Vorschläge, die Sie,
meine Damen und Herren von der SPD, unterbreiten,
nichts anderes als Sanierungsverhinderungsprogramme.
Genau das wollen wir nicht haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sanierungskosten sind nachträgliche Anschaffungs-
kosten und fließen in den Wert des Objekts ein. Sie be-
stimmen am Ende auch die Miethöhe. Deswegen ist es
vollkommen logisch, dass die Umlage der Modernisie-
rungsinvestitionen, die der Vermieter tätigt, auch nach
Ablauf des Umlagezeitraums den Wert des Objekts und
damit die endgültige Miethöhe mitbestimmt. Wenn der
Eigentümer das Objekt verkaufen würde, hätte die Mo-
dernisierung Einfluss auf den Wert und würde damit den
Verkaufspreis bestimmen. Der Käufer würde diesen

Wert ebenfalls in die Miete einfließen lassen. Deswegen
ist es völlig logisch, dass dieser Wert erhalten bleibt.

Die Duldungspflichten des Mieters werden von Ihnen
angegriffen. Das ist nun einmal ein Teil des Anreizpro-
gramms. Wir wollen erreichen, dass der Mieter eine
energetische Sanierung nicht verhindern kann. Wir wol-
len, dass die Baumaßnahmen zur energetischen Sanie-
rung nicht als Belastungen empfunden werden. Der Ver-
mieter muss die Baumaßnahme als solche erklären und
erklären, dass es sich dabei um eine energetische Sanie-
rungsmaßnahme handelt. Der Mieter hat die Möglich-
keit, zu prüfen, ob die Modernisierung tatsächlich der
energetischen Verbesserung des Gebäudes dient


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Wie denn?)


oder ob es sich um Maßnahmen handelt, die mit einer
energetischen Sanierung, zum Beispiel wenn es um Bar-
rierefreiheit oder die Sanierung des Badezimmers geht,
nichts zu tun haben. Das ist für uns ein Element der so-
zialen Ausgewogenheit. Der Vermieter soll nicht mogeln
und muss darlegen, dass es sich um eine energetische
Sanierung des Objekts handelt. Daran führt kein Weg
vorbei.


(Ingo Egloff [SPD]: Was machen Sie denn, wenn beide Maßnahmen zusammenfallen? Das ist ein Beschäftigungsprogramm für Anwälte!)


Wir wollen, dass das Energiesparpotenzial nach ausge-
wogenen Spielregeln ausgeschöpft wird, die beiden Sei-
ten zugutekommen. Auch der Mieter, der in einem ener-
getisch sanierten Objekt wohnt, hat etwas davon; denn er
spart Heizkosten. Das Erreichen dieses Ziels wollen wir
nicht erschweren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben das Thema Mietminderung schon ange-
sprochen. Wir wollen das Recht auf Mietminderung –
das könnte ein Verhinderungsgrund bzw. eine Anreiz-
hemmung bei der energetischen Sanierung sein – ab-
schwächen. Deswegen wollen wir bei energetischen Ge-
bäudesanierungen die Möglichkeit, die Miete zu
mindern, für drei Monate nicht zulassen. Aber auch hier
behalten wir die soziale Ausgewogenheit im Blick.
Wenn eine energetische Sanierungsmaßnahme länger als
drei Monate andauert, dann hat der Mieter wieder die
Möglichkeit zur Mietminderung. Wenn beispielsweise
den ganzen Sommer über die Fenster verhängt sind, hat
der Mieter nach drei Monaten das Recht, die Miete zu
mindern. Daran können Sie erkennen, dass wir die Inte-
ressen des Mieters sehr wohl im Blick haben.

Die rasant steigenden Mieten sind schon angespro-
chen worden. Ich bin der Meinung, dass Sie hier ein
Zerrbild gemalt haben. Natürlich gibt es Innenstädte, in
denen die Mieten steigen und sehr hoch sind. Aber nicht
alle Münchner können in Schwabing und nicht alle Ber-
liner in Charlottenburg wohnen. Deswegen gibt es ein
ausgereiftes ÖPNV-System in Ballungsräumen und gro-
ßen Städten. In meinen Augen spucken Sie nur Wahl-
kampftöne. Was Sie vorhaben, ist unausgewogen.





Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)



(Ingo Egloff [SPD]: Kommen Sie mal nach Hamburg! Dann zeige ich Ihnen, wie das fortschreitet!)


– Das mag in Hamburg so sein. Das gibt es auch in Mün-
chen und Berlin, wie gesagt. Es gibt aber Gegenbei-
spiele, Gegenden, in denen die Vermieter mit Leerstand,
Mietausfällen und Mietrückgängen zu rechnen haben.

Das Thema Einmietbetrug wurde ebenfalls bereits an-
gesprochen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die SPD
den Einmietbetrug – das ist der Rechtsbegriff für Miet-
nomadentum – privilegieren will. Auch der Mieterbund
will das nicht wirklich und ist sich darüber im Klaren,
dass Einmietbetrug nicht schützenswert ist. Es ist richtig,
dass wir etwas gegen das Mietnomadentum unterneh-
men. Der Rechtsweg wird übrigens nicht beschnitten.
Wir haben bei der Nachbesserung sehr genau auf die
Ausgewogenheit geachtet. Es wird nicht nur eine Hinter-
legungsanordnung, sondern eine Sicherungsanordnung
getroffen, die vom Gericht bestätigt werden muss. Das
Gericht muss die Erfolgsaussichten prüfen und die Inte-
ressen von Mieter und Vermieter gegeneinander abwä-
gen. Es wird eine Beschwerdemöglichkeit geben. Wir
haben hier durchaus filigran gearbeitet und das Wohl der
Mieter im Blick gehabt.

Fazit: Wir wollen ein sozial ausgewogenes Mietrecht
beibehalten, wir wollen aber auch die Anreize für ener-
getische Sanierung erhöhen. Wir behalten also beide Sei-
ten im Blick. Wir wollen keinen Wahlkampf betreiben,
sondern ein sozial ausgewogenes, aber energetisch ambi-
tioniertes Mietrecht schaffen. Das ist unser Anliegen.
Dazu werden Sie noch in diesem Monat einen Gesetz-
entwurf erhalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717906300

Das Wort hat nun Stefanie Vogelsang für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1717906400

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir de-
battieren heute über zwei Anträge, die von der SPD-
Fraktion vorgelegt worden sind. Über den Antrag zum
Mietrecht haben wir jetzt sehr lange und ausführlich dis-
kutiert. Deswegen möchte ich dazu nur noch zwei kurze
Bemerkungen machen.

Herr Egloff, Frau Bluhm, Sie haben übereinstimmend
den Antrag des Berliner rot-roten Senats gelobt und ge-
sagt, dass er richtig und wegweisend für den Schutz von
Mieterinnen und Mietern in den Bereichen von Ballungs-
räumen sei, in denen Gentrifizierung, also die Verdrän-
gung von nicht ganz so reichen Mietern, stattfinde. Ich
habe Ihre Berliner Politik in den letzten Jahren sehr in-
tensiv verfolgt. Herr Kollege Liebich und ich, wir haben
uns schon oft darüber gestritten. Wer erst 5 000 Wohnun-
gen in einem sozialen Brennpunkt geschlossen an

Hedgefonds verkauft, der kann nicht zwei Jahre später
ernsthaft und glaubwürdig hier einen solchen Antrag vor-
legen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zwischen Reden und Handeln besteht bei Ihnen einfach
ein riesiger Widerspruch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717906500

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Liebich?


Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1717906600

Bitte schön, aber nicht wieder die alte Diskussion,

Herr Liebich.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie führen doch die alte Diskussion! Alte Hüte!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717906700

Anschließend will auch Kollege Pronold eine Zwi-

schenfrage stellen.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wollt ihr jetzt zusammen singen? Wird das ein Duo?)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717906800

Liebe Frau Kollegin Vogelsang, Sie haben es gesagt,

wir haben uns darüber schon häufiger gestritten. Aber da
Sie immer wieder, ohne auf den Zusammenhang hinzu-
weisen, dieselbe Behauptung erheben, möchte ich die
Möglichkeit einer Zwischenbemerkung nutzen und noch
einmal Folgendes klarstellen: Der Verkauf der Berliner
Wohnungsbaugesellschaft GSW ist vollkommen zu
Recht als ein Fehler zu bezeichnen. Das stimmt. Ich
möchte aber zugleich daran erinnern, dass es eine Koali-
tion von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gewe-
sen ist, die den damaligen Haushalt der rot-roten Koali-
tion vor das Berliner Verfassungsgericht gezerrt hat,
obwohl in diesem Haushalt bereits massive Einsparun-
gen, die unter heftigen Auseinandersetzungen in der
Stadt durchgesetzt wurden, vorgesehen waren. Sie haben
damals gesagt, dass dieser Senat zu wenig gespart habe.

Sie, die CDU, die FDP und Bündnis 90/Die Grünen,
haben die damalige rot-rote Koalition massiv unter
Druck gesetzt, endlich Privatisierungen vorzunehmen.
Ich sage noch einmal: Die Entscheidung damals war ein
Fehler, aber die CDU sollte nun wirklich nicht so tun, als
wäre sie diejenige Partei, die damals für den staatlichen
Wohnungsbau gekämpft hätte.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Man sollte sich an die Verfassung halten! Das hilft!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717906900

Kollege Pronold, wollen auch Sie Ihre Zwischenfrage

stellen? Dann kann Frau Vogelsang zusammenhängend
antworten.






(A) (C)



(D)(B)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1717907000

Ich habe mit großer Überraschung zur Kenntnis ge-

nommen, dass Sie kritisieren, dass Wohnungsbaugesell-
schaften an Heuschrecken verkauft werden. Das ist Ihre
Position. Sprechen Sie da aber auch für Ihre Fraktion?
Heißt das, dass nach Ihrer Ansicht die Position der CDU/
CSU und der FDP, die immer noch für die steuerliche
Förderung von Real Estate Investment Trusts sind und in
dieser Wahlperiode diese Förderung sogar verbessert ha-
ben, revidiert werden muss?


Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1717907100

Ich möchte zunächst gerne auf die Frage von Herrn

Liebich antworten. Herr Kollege, ich habe nicht den Ver-
kauf der GSW gemeint, sondern ich habe von dem Ver-
kauf von 5 000 Wohneinheiten der STADT UND LAND
Wohnbauten-Gesellschaft gesprochen. Das wissen Sie
ganz genau. Diese sind im Norden von Neukölln gele-
gen, in einem sehr schwierigen Bereich. Da verhält sich
das eben völlig anders. Sie haben nicht ein einziges Mal
die Position der CDU in dieser Frage zur Kenntnis ge-
nommen. Diese hat sich nämlich immer dagegen ge-
wehrt, in so großem Umfang städtischen Wohnungsbau-
bestand in sozialen Ballungsräumen zu veräußern. Es ist
einfach nicht wahr, was Sie sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Pronold, wenn Sie ansprechen, dass ich hier eine
Position gegen den Verkauf von großen Wohnungsbau-
beständen in sozialen Brennpunkten an sogenannte Heu-
schrecken eingenommen habe, an diejenige Immobilien-
wirtschaft, die nur herauszieht, anstatt den Mieter und
den Mieterschutz sowie die langfristige Perspektive im
Blick zu haben, dann haben Sie sicherlich recht.


(Abg. Florian Pronold [SPD]: Sprechen Sie für Ihre Fraktion? Handeln Sie auch so?)


– Ich bin mir ganz sicher, dass ich hundertprozentige Rü-
ckendeckung meiner Fraktion habe,


(Florian Pronold [SPD]: Sie macht aber das Gegenteil!)


wenn ich mich für vernünftige Belange und einen ver-
nünftigen Schutz von Mieterinnen und Mietern in diesen
Bereichen einsetze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Was ist mit der steuerlichen Förderung? Keine Antwort ist auch eine Antwort!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717907200

Frau Kollegin, es gibt noch den Wunsch nach einer

Zwischenfrage des Kollegen Mücke.


(Florian Pronold [SPD]: Aus einer Mücke einen Elefanten machen!)


Bitte schön.


Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1717907300

Frau Kollegin, können Sie sich erklären, warum die

Fraktion der SPD so aufgeregt reagiert, wenn es um das
Thema Wohnungsprivatisierung geht?


(Ingo Egloff [SPD]: Wo ist denn hier einer aufgeregt?)


Immerhin hat sie doch zu der Zeit, als die rot-grüne
Regierung Verantwortung trug, den Verkauf der Eisen-
bahnerwohnungen des Bundes mitgetragen, immerhin
120 000 Wohnungen in Ballungsgebieten. Könnte es
sein, dass diese Fraktion deshalb aufgeregt reagiert?


(Sören Bartol [SPD]: Wir werden klüger! Ihr werdet nie klüger! Das ist der Unterschied!)



Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1717907400

Herr Kollege, ich nehme bei diversen Vorhaben ein-

fach einen Unterschied zwischen Reden und Handeln
wahr. Das nehme ich wahr bei den Linken, das nehme
ich wahr bei der SPD.

Schauen wir uns einmal den Antrag der SPD zur
Wohnraumförderung an – damit möchte ich zum nächs-
ten Thema in meinem Redebeitrag übergehen –


(Florian Pronold [SPD]: So eine schöne Steilvorlage mit der Frage! Und Sie nehmen sie nicht an!)


– Herr Kollege Pronold! – und hier insbesondere die
achte Forderung – das ist übrigens ein Wunsch, den ich
für verfassungswidrig halte –,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ein Wunsch ist niemals verfassungswidrig!)


gemäß der die Zweckbindung der Kompensationsmittel
auch nach 2014 beibehalten werden soll. Dass Sie die
Möglichkeit des flexiblen Einsatzes der Gelder durch die
Länder ab 2014, die damals unter Federführung eines Fi-
nanzministers der SPD so verhandelt worden ist, nun
verhindern und die Zweckbindung auch für die Zukunft
festschreiben wollen, erklärt sich, glaube ich, dadurch,
dass Sie Angst davor haben, dass Sie dann in Nordrhein-
Westfalen vielleicht nicht mehr an der Regierung sind.


(Ingo Egloff [SPD]: Die Einzigen, die Angst haben müssen, sind Sie!)


Deshalb müssen Sie jetzt vielleicht noch einmal Pflöcke
einschlagen. Anders kann ich eine solche Formulierung
in Ihrem Antrag nicht verstehen.


(Florian Pronold [SPD]: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass sich die Verhältnisse in den Städten auch ändern und dass wir darauf eine Antwort geben müssen!)


Ich möchte zwischendurch noch einen Satz zum An-
trag zum Mietrecht sagen, den Sie gestellt haben. Ein
sehr netter Kollege hat mir gerade etwas in die Hand ge-
geben, was ich sehr bedenkenswert finde. Die Bundes-
vereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft
– sämtliche Spitzenverbände! –, schreiben in einer Pres-
seinformation vom Dienstag zu Ihrem Mietrechtsantrag,
also kurz nach dem Beschluss Ihrer Fraktion –





Stefanie Vogelsang


(A) (C)



(D)(B)



(Sören Bartol [SPD]: Schlecht vorbereitete Rede, Frau Kollegin! Hausaufgaben!)


ich zitiere einmal –:

Solche Regelungen würden das Engagement der
Wohnungs- und Immobilienunternehmen, aber auch
der privaten Vermieter, für die energetische Sanie-
rung von Wohnungsbeständen rasch beenden. Diese
Pläne sind mehr als kontraproduktiv, wenn wir die
Klimaschutzziele für den Wohnungsbereich errei-
chen wollen.

Das kommt nicht von Haus und Grund, sondern von al-
len Spitzenverbänden der Immobilienwirtschaft.


(Florian Pronold [SPD]: Wollen Sie die Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes nicht auch vorlesen? Für die Ausgewogenheit! Ich hätte sie da! Ich bin auch ein netter Kollege, ich gebe Ihnen auch etwas zum Vorlesen!)


– Das hätten Sie ja machen können. – Ich glaube, dass
das eine richtige Position ist, und dass es auch richtig ist,
sich darüber Gedanken zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Ich rufe den Boten, dass er Ihnen das bringt!)


– Ich bedaure richtig, dass ich nicht mit Ihnen zusammen
in einem Ausschuss bin, sonst könnten wir dort viel-
leicht Ballspiele machen. Aber jetzt lassen Sie mich bitte
meinen Gedanken in Ruhe zu Ende bringen.

Wieder zurück zu Ihrem Antrag zur Wohnraumförde-
rung: Wir – Bund, Länder, Landesregierungen, Landes-
parlamente, Bundestag und Bundesregierung – haben
uns in den Jahren 2006/07 gemeinsam intensiv darüber
Gedanken gemacht, wie wir die unterschiedlichen Auf-
gabenstellungen


(Unruhe bei der SPD)


– es wäre nett, wenn Sie mir jetzt auch zuhören könn-
ten! – in den Ländern und im Bund so regeln können,
dass sich die Aufgabenbereiche nicht überlappen und
wir uns gegenseitig nicht beharken, wodurch sich Ver-
fahrensabläufe ja verlängern. Deshalb haben wir klare
Zuständigkeiten festgelegt. Wir haben in der Großen Ko-
alition mit breiter Unterstützung der Länder – das ist mit
einer Zweidrittelmehrheit hier in diesem Haus verab-
schiedet worden – die soziale Wohnraumförderung, da
gerade in diesem Bereich die Situation in der großen
Bundesrepublik so unterschiedlich ist – das heißt, es
macht einen großen Unterschied, ob Wohnungsbauför-
derung in München, Berlin, Osnabrück, Vechta, Fulda
oder Bad Oeynhausen betrieben wird –, ganz klar in die
Verantwortung der Länder übertragen. Diese Übertra-
gung der Verantwortung sollte aber nicht sofort zu
100 Prozent erfolgen, sondern wir haben beschlossen,
sie zu flankieren. Deswegen haben wir einen Zeitraum
festgelegt, in dem der Bund die Wohnungsbauförderung
weiterhin finanziert: Bis Ende 2013 investiert er knapp
520 Millionen Euro in diesen Bereich. Außerdem haben
wir beschlossen, die Mittel bis 2014 genau zu überprü-
fen und sie im Jahre 2019 auslaufen zu lassen. Das hat

nun Verfassungsrang. Verfassungsrang hat auch, dass die
Länder in den Jahren 2014 bis 2019 das Recht haben, im
investiven Bereich frei zu entscheiden, wofür sie die
Mittel ausgeben, ob für Verkehrsprojekte, für sozialen
Wohnraum oder für andere Projekte.

Laut Ihrem Antrag wollen Sie diese vernünftige Re-
gelung, nach der man auf die speziellen Erfordernisse
kleinerer Einheiten, zum Beispiel von Regionen, einge-
hen kann, zurückdrehen. Sie wollen weiter eine breite
Finanzierung, und Sie wollen die Länder weiter an die
Kandare nehmen. Sie deuten damit an, dass wir hier viel
schlauer seien als unsere Kolleginnen und Kollegen in
den Landesparlamenten und dass wir viel besser wüss-
ten, in welchen Bereichen investive Mittel einzusetzen
sind und in welchen nicht.


(Florian Pronold [SPD]: Nehmen Sie die Zahlen aus der Bauwirtschaft, welcher Wohnungsbedarf besteht! Dann sagen Sie mir, wie wir das lösen!)


Ich glaube, dass das, was wir 2007 gemeinsam be-
schlossen und mit Zweidrittelmehrheit in unsere Verfas-
sung geschrieben haben, richtig war, nämlich dass in
Zukunft die Bundesländer für die soziale Wohnraumför-
derung zuständig sind, dass sie eine Kompensation dafür
erhalten, dass diese Kompensation langsam ausläuft und
dass die Länder in den Jahren vor Auslaufen der Kom-
pensationsmittel frei entscheiden können, wofür sie die
Mittel ausgeben.

Das Bundesfinanzministerium verhandelt derzeit mit
den Bundesländern ob der Ausgestaltung. Ab 2014 ha-
ben die neuen Verträge und Vereinbarungen zu gelten.
Ich bin sicher, dass es unserem Finanzministerium gelin-
gen wird, mit den Ländern zu einer vernünftigen Eini-
gung zu kommen. Ich glaube, dass der Weg, den wir da-
mals eingeschlagen haben, der richtige ist. Lassen Sie
uns dabei bleiben.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717907500

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Für wen sprichst du denn heute: für dich selber oder für andere? – Sören Bartol [SPD]: Hat er wieder eine abweichende Meinung?)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1717907600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Ich bin meiner Kollegin
Stefanie Vogelsang dankbar, dass sie für die Zuschauer
und Zuhörer an den Fernsehbildschirmen und auf der
Tribüne schon deutlich gemacht hat, dass wir hier zwei
Anträge von der SPD vorliegen haben und der Hauptan-
trag offenbar der ist, der sich mit den Themen Mietrecht
und Sanierung beschäftigt. Der zweite Antrag handelt





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)


bloß davon, woher das Geld kommt, mit dem sozialer
Wohnungsbau gefördert werden soll.

Nun ist hier, wie bei vielen anderen Punkten auch, zu
beobachten, dass die SPD zwar im Rahmen der Födera-
lismusreform mit uns gemeinsam das Ziel verfolgt hat,
Mischfinanzierungen aufzulösen. Es gibt ja einen guten
Grund, so etwas abzuschaffen. Es kommt nämlich darauf
an, dass politische Ergebnisse auch politisch zuordenbar
sind, dass der Bürger weiß, welche Ebene für was zu-
ständig ist, und dementsprechend seine Wahlentschei-
dung rational treffen kann. Deshalb wollten wir eine Re-
form des Grundgesetzes und haben im Zuge dessen
Mischfinanzierungstatbestände abgeschafft.

Jetzt wird das Ganze ernst, auch wenn es eigentlich
noch nicht so furchtbar ernst ist. Es ist vereinbart, dass
das seither gemeinsam Finanzierte zukünftig allein den
Ländern übertragen wird. Sie erhalten die Gesetzge-
bungskompetenz, aber eben auch die Finanzierungskom-
petenz. Da man so etwas aber nicht über Nacht machen
kann, ist auch vereinbart worden, dass bis zum Jahre
2013 ein fester Betrag, spartengenau für Hochschulbau,
sozialen Wohnungsbau, ÖPNV usw., an die Länder
gegeben wird, dieser dann überprüft und, als Zwischen-
stufe bis zur vollständigen Übertragung der Zuständig-
keit an die Länder, durch einen Investitionspauschalbe-
trag abgelöst wird, den die Länder einsetzen können, wie
sie wollen.

Genau auf diesem Weg sind wir. Daher gibt es über-
haupt keinen Grund, hektisch und aufgeregt Anträge zu
stellen. Es ist nämlich alles klar: Den Ländern wird Jahr
für Jahr gut eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung ge-
stellt, um diese Aufgabe zu bewältigen, eine Aufgabe,
die sie einvernehmlich mit übernommen haben. Das
Ganze ist ja kein einseitiger Prozess seitens des Bundes-
tages gewesen, sondern es gab ein Einvernehmen zwi-
schen den Bundesländern und dem Zentralstaat Bundes-
republik Deutschland.

Die Gespräche darüber, ob die Höhe des Betrags an-
gemessen ist, werden gegenwärtig geführt. Es spricht auf
jeden Fall einiges dafür, den Umfang dieses Betrags ab-
zuschmelzen; das sage ich zumindest als Haushälter. Die
Finanzierung durch Dritte ist ja oft ein süßes Gift. So gilt
es, diese Finanzierung möglichst schonend abzuschmel-
zen. Dergleichen war schon immer ein kluges Vorgehen
und daran führt kein Weg vorbei; das haben Sie offenbar
erkannt. Die Länder haben in Zukunft die Verantwor-
tung; sie wollen sie aber nicht tragen. Anders kann ich
mir die Inhalte der Anträge, die Sie hier auf den Tisch le-
gen, nicht erklären.

Die Diskussion ist im Gange. Der Bundesfinanz-
minister spricht mit den Ländern darüber, wie das Geld
verwendet wird. Wenn man sich die Zahlen anschaut,
dann erkennt man, dass sehr viel dafürspricht, dass das,
was heute gewährt wird, vollkommen ausreichend ist.
Wahrscheinlich ist es im Zweifelsfall sogar etwas zu
hoch. Früher war es so, dass der Bund soziale Woh-
nungsprojekte gefördert hat und die Länder ihren Anteil
kofinanzieren mussten. Das heißt, sie mussten eine be-
stimmte Quote erfüllen. Leider müssen wir beobachten,
dass viele Länder das inzwischen nicht mehr tun. Berlin
hat Wohnungsraumdarlehen und anderes abgelöst. Mit

dem eingesparten Geld hat es Kasse gemacht. Seine Ver-
pflichtung, einen Kofinanzierungsanteil zu leisten, hat es
dagegen stillschweigend einschlafen lassen.

Das legt den Eindruck nahe, dass die Dringlichkeit,
diesen Anteil zu erbringen, bei den Ländern – sie sind
nach übereinstimmender Auffassung der Länder wie des
Bundes besser geeignet, diese Verantwortung wahrzu-
nehmen – nicht mehr gesehen wird; sonst würde man
nicht das Geld, das man früher klaglos als Kofinanzie-
rungsmittel eingesetzt hat, plötzlich nicht mehr einset-
zen.

Legen Sie also den Antrag, den Sie hier gestellt ha-
ben, am besten zur Seite oder ziehen Sie ihn zurück;
denn alles, was Sie begehren, ist auf dem Weg.


(Florian Pronold [SPD]: Wenn das so ist, dass es auf dem Weg ist, dann beschließen wir es halt! Das ist die Logik hier!)


Die Bundesländer, die näher am Geschehen sind, be-
kommen nun eine Aufgabe übertragen, die früher in
einer undurchschaubaren Mischfinanzierung erledigt
wurde. Das hat etwas mit subsidiärem Staatsaufbau zu
tun. Mehrere Redner anderer Fraktionen haben schon
angesprochen, dass es natürlich klug ist, eine Aufgabe
vor Ort zu lösen und ihre Lösung nicht der zentralen
Ebene aufzuerlegen.

Die Gespräche über Angemessenheit und einen
zweckgemäßen Einsatz der Mittel laufen gegenwärtig
beim BMF. Wir haben Zeit bis 2013, sie zu Ende zu brin-
gen. Es besteht also überhaupt kein Grund, hektisch zu
werden und mit den Hufen zu scharren; vielmehr kann
die Sache in aller Ruhe im Miteinander zwischen der
Bundesebene und den Bundesländern abgearbeitet und
erledigt werden.

Es geht hier schlicht um Geld. Die, die die Zuständig-
keit haben, wollen nicht für die Kosten geradestehen; da
soll wieder einmal der Bund herhalten. Das ist in ande-
ren Fällen genauso. Unzuständigerweise haben wir, der
Bund, in den letzten Jahren für die Länder und die Kom-
munen viel gegeben. Ich erinnere nur an die Betreuung
von unter Dreijährigen. Wir, der Bund, haben hierfür un-
zuständigerweise 4 Milliarden Euro zur Verfügung ge-
stellt,


(Florian Pronold [SPD]: War das verkehrt?)


und dennoch hören wir ständig: Es müsste noch mehr
geben; das ist zu wenig gewesen. Verantwortung vor Ort
wahrzunehmen, heißt, sich dieser Verantwortung ganz
zu stellen. Wenn man schon Hilfe bekommt, dann muss
man sie auch sinnvoll und zweckmäßig einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Wissen Sie, die Menschen unterscheiden nicht zwischen den Ebenen! Sie wollen die Probleme gelöst kriegen!)


– Herr Pronold, Sie haben gerade gesagt, die Menschen
unterschieden nicht zwischen den Ebenen. Wenn es so
wäre, hätten wir uns Dinge wie die Föderalismusreform
natürlich sparen können. Wenn Sie damit überfordert
sind, den Menschen zu erklären, wer wofür zuständig ist,
biete ich Ihnen gerne meine Hilfe an. Ich bringe es eini-





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)


germaßen flüssig fertig, die Zusammenhänge darzustel-
len.

Ich will aber keine billige Polemik produzieren, son-
dern auf die Absicht, die uns bei der Föderalismusreform
gemeinsam geleitet hat, zu sprechen kommen. Gerade
wegen der Mischtatbestände haben wir gesagt: Um
Wahlentscheidungen rational treffen zu können, müssen
die Menschen erkennen können, welche Politikebene für
welche Politik zuständig ist. Dieser Weg ist nach wie vor
richtig. Deshalb büxen Sie da bitte nicht aus, sondern ge-
hen Sie diesen Weg gemeinsam mit uns weiter, und zwar
in dem Sinne, in dem wir gemeinsam das Grundgesetz
an diesem Punkt geändert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin ja durch die haushaltspolitische Zuständigkeit
zu dieser Debatte hier gekommen. Ich muss zugeben:
Ich bin nicht häufig bei wohnungswirtschaftlichen oder
mietrechtlichen Debatten;


(Caren Marks [SPD]: Das merkt man!)


ich bin ja Ökonom und kein Jurist. Ich will nur noch
zwei Appelle loswerden, und zwar an die gesamte Fach-
politikerschaft; das hat auch etwas mit örtlicher Kenntnis
zu tun.

Erstens. Vergessen Sie bei allen mietrechtlichen Re-
gelungen nicht, dass die 60 Prozent an Mietraum, die
privat zur Verfügung gestellt werden, existenziell not-
wendig sind für unser Land und dass wir einen ordentli-
chen Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterrechten
hinbekommen müssen, um die Investitionsbereitschaft
nicht zu beeinträchtigen.


(Florian Pronold [SPD]: Da haben Sie recht!)


Der zweite Appell betrifft die energetische Sanierung.
Bei mir im Wahlkreis, im Rheingau-Taunus-Kreis, ist es
anders als bei Ihnen in München. Wenn ich durch Ho-
henstein oder die Dörfer meiner Heimat gehe, kann ich
genau sagen, wie die Oma heißt, die dort in der großen
Hofreite mit 1 000 Quadratmetern wohnt, wie alt sie ist
und wo die Kinder in neuen Wohnungen leben. An die
müssen wir auch denken, wenn wir energetische Sanie-
rungen verpflichtend machen wollen. Es darf nicht sein,
dass die Oma dann aus ihrem Häuschen vertrieben wird,
weil sie sich das nicht mehr leisten kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Florian Pronold [SPD])


In dem Sinne ein Appell an die Fachpolitik!

„Präsident“ blinkt mich hier freundlich an; die Zeit ist
auf null.

Zum Schluss also: Wir können für die Anträge nicht
die Hand reichen. Das ist Unfug, wie ich deutlich ge-
macht habe.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1717907700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/9559 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Die Vorlage auf Drucksache 17/9425 soll ebenfalls an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über-
wiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig. Die
Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Feder-
führung beim Haushaltsausschuss; die SPD-Fraktion
wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der SPD, also Federführung beim Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP: Feder-
führung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit
dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenom-
men.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee
Bär, Markus Grübel, Erwin Rüddel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole
Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Altersbilder positiv fortentwickeln – Poten-
ziale des Alters nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone,
Angelika Graf (Rosenheim), Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Potenziale des Alters und des Alterns stär-
ken – Die Teilhabe der älteren Generation
durch bürgerschaftliches Engagement und
Bildung fördern

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Sechster Bericht zur Lage der älteren Gene-
ration in der Bundesrepublik Deutschland –
Altersbilder in der Gesellschaft
und
Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksachen 17/8345, 17/2145, 17/3815,
17/9504 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Petra Crone
Nicole Bracht-Bendt
Heidrun Dittrich
Tabea Rößner

Zu dem Bericht zur Lage der älteren Generation liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Markus Grübel für die CDU/CSU das Wort. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1717907800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alt macht nicht das Grau der Haare, alt macht nicht
die Zahl der Jahre, alt ist, wer den Humor verliert
und sich für nichts mehr interessiert.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie alt sind Sie?)


– Das können Sie nachlesen. – Gotthold Ephraim
Lessing zeichnet hier ein interessantes Bild vom Alter.
Nicht die Äußerlichkeiten sind entscheidend, nicht das
Datum in der Geburtsurkunde ist entscheidend, sondern
die Einstellung, die jemand hat.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Sage ich ja!)


Jeder kennt mit Sicherheit einen 25-Jährigen, der ihm äl-
ter vorkommt als ein 75-Jähriger, der vor Tatendrang nur
so sprüht.

Je nachdem, welches Altersbild wir im Kopf haben,
werden wir uns auch verhalten. Gerade für uns in der
Politik, aber auch in der Wirtschaft, in den Medien, in
der Gesellschaft ist es wichtig, richtige Altersbilder zu
haben, um dann richtig entscheiden zu können.

Darum war es gut und richtig, dass sich der Sechste
Altenbericht mit den Altersbildern beschäftigt. Eine der
zentralen Botschaften des Berichts ist: Altersbilder nei-
gen zur Einseitigkeit und zur Vereinfachung und geben
deshalb die Vielfalt des Alters nicht angemessen wieder.
Weder hat das Älterwerden nur allgemein positive Seiten
noch nur negative Seiten. Der Sechste Altenbericht zeigt
ein differenziertes Bild vom Alter. Betont werden die
Gleichzeitigkeit von Potenzialen, die Verletzlichkeit von
Entwicklung, die Endlichkeit von Aktivität und die
Grenzerfahrung. Wenn wir an die Älteren in unseren Fa-
milien denken, dann haben wir mit Sicherheit auch diese
verschiedenen Bilder im Kopf.

Der Sechste Altenbericht nimmt Themen des Vierten
Altenberichts – Risiken der Hochaltrigkeit unter Berück-
sichtigung demenzieller Erkrankungen – und des Fünf-
ten Altenberichts – Potenziale des Alters – auf und setzt
sie zueinander in Bezug. Der Bericht hatte auch zum

Ziel, in der seniorenpolitischen Fachöffentlichkeit, aber
auch darüber hinaus, eine Diskussion und Reflexion
über Altersbilder anzuregen.

Wir beantragen in unserem Koalitionsantrag, beste-
hende Altersgrenzen in allen Lebensbereichen zu über-
prüfen, insbesondere eine Flexibilisierung des Eintritts
in den Ruhestand. Altersdiskriminierung ist zu vermei-
den.

In unseren Gesetzen haben wir rund 400 Altersgren-
zen. Sie sind häufig von einem besonderen Schutzgedan-
ken und von der Annahme der eingeschränkten Leis-
tungsfähigkeit geprägt, und zwar häufig, ohne dass man
es widerlegen kann.

Nach deutschem Recht kann man mit über 70 Jahren
kein Schöffe mehr sein. Bundespräsident kann man aber
in diesem Alter werden. Joachim Gauck hat mit 72 Jah-
ren noch einmal eine große Verantwortung übernom-
men. Sie, Herr Franz Müntefering, könnten noch einmal
SPD-Vorsitzender werden; aber Schöffe dürften Sie
nicht mehr werden. Konrad Adenauer, der uns allen be-
kannt ist, hat Deutschland Freiheit und Wohlstand ge-
bracht. Er hat geradezu visionär die Weichen für ein ge-
eintes Europa gestellt und den Grundstein für die
deutsche Einheit gelegt; aber Schöffe hätte er nicht mehr
werden dürfen. Hier wollen wir etwas ändern.

Bestimmte Versicherungen kann man in Deutschland
ab dem 65. Lebensjahr gar nicht oder nur unter unattrak-
tiven Bedingungen abschließen.

Die Altersgrenzen im Recht und in der Rechtspraxis
bedürfen einer grundlegenden Revision. Das gilt auch
für die Sicht des Alters in der Arbeitswelt. „Ich wünsche
mir, dass jene, die es wollen, länger im Beruf bleiben
können“, sagte Bundespräsident Gauck beim Deutschen
Seniorentag. Ich kann dem nur zustimmen. Wer körper-
lich oder geistig fit ist, soll länger arbeiten können, wenn
er dies will. Der Staat und die Tarifpartner sollten dies
nicht erschweren oder gar verhindern. Eine Umfrage von
Generali zum Thema Lebensarbeitszeit hat ergeben:
54 Prozent der 65- bis 75-Jährigen hätten ihren Beruf
gern länger ausgeübt. Das ist eine interessante Erkennt-
nis, der wir uns nicht verschließen sollten.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben schon
vielfältige Maßnahmen ergriffen. Ich nenne hier nur ei-
nige stichwortartig.

Das Programm „Altersgerecht umbauen“: 62 000
Wohnungen wurden mit dem Konjunkturprogramm I al-
tersgerecht saniert. Dieses Programm wird als Eigenpro-
gramm der KfW in Form eines Darlehens fortgesetzt.

Wir haben das Programm „Freiwilligendienste aller
Generationen“. Wir werden uns in Kürze darüber unter-
halten, wie wir das Format dieses erfolgreichen Dienstes
fortsetzen können.

Wir haben das Aktionsprogramm „Mehrgeneratio-
nenhäuser II“: Hier kommen die Generationen zusam-
men. Die Älteren können zum Beispiel jüngeren Fami-
lien helfen. Es gibt aber auch Angebote für demenziell
Erkrankte.





Markus Grübel


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben den Bundesfreiwilligendienst für alle Al-
tersstufen geöffnet und für die über 27-Jährigen ein gu-
tes Format gefunden.

Viele dieser Punkt werden auch in der neuen Demo-
grafiestrategie der Bundesregierung aufgegriffen. Kapi-
tel C trägt die Überschrift: „Selbstbestimmtes Leben im
Alter“. Ziele sind: Selbstbestimmtes Leben, Aktivitäten
im Alter fördern und das Leitbild der sorgenden Ge-
meinschaft etablieren.

Das Thema sorgende Gemeinschaft oder Caring
Community wurde auch in der Anhörung der Sachver-
ständigen wiederholt genannt. Caring Community
umfasst eine Reihe unterschiedlicher Felder wie die
Stadtplanung, die kommunale Infrastruktur, den Einzel-
handel, die medizinische Versorgung, die pflegerische
Versorgung, bürgerschaftliches Engagement, Wohnfor-
men, Nachbarschaftshilfe und vieles mehr. Es ist ein Zu-
kunftsthema der Seniorenpolitik, das sowohl die Rolle
der Altersbilder als auch der Alterspotenziale themati-
siert. Wichtig ist mir, die Vielzahl dieser Themen aus ei-
ner kommunalen Perspektive zu betrachten. Dort beste-
hen die Probleme, und dort müssen sie auch gelöst
werden. Ich werbe dafür, dass das Thema der sorgenden
Gemeinschaft, der Caring Community, Thema des Sieb-
ten Altenberichts wird und so auf die politische Agenda
kommt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin am Ende
meiner Redezeit, aber wir sind noch lange nicht am Ende
mit unserer Generationenpolitik. Dieser Herausforde-
rung stellen wir uns. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit
den Erkenntnissen des Sechsten Altenberichts, der De-
mografiestrategie und der Engagementstrategie der Bun-
desregierung auch hier ein Stück weiterkommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717907900

Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1717908000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer
kennt sie nicht, die versteckten oder offenen Botschaften
im Alltag, die sehr deutlich machen, dass ältere Men-
schen angeblich zum alten Eisen gehören oder gar ein
Problem darstellen. In der Presse gibt es Überschriften
wie „Unsere Gesellschaft ist überaltert“, „Deutsche Be-
völkerung schrumpft und altert dramatisch“ oder „Al-
terspyramide kippt – Viele Alte, wenig Steuern“. Zum
Glück liest man heutzutage kaum noch in Stellenanzei-
gen: Suche Mitarbeiter zwischen 25 und 45 Jahren.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat eine
Umfrage veröffentlicht, wonach 42 Prozent der Befrag-
ten dem Satz zustimmten: Ab 45 bekommt man heutzu-
tage praktisch keinen Job mehr. 42 Prozent – das ist fast
jeder bzw. jede Zweite. Hier wird deutlich: Ältere Men-
schen erleben häufig Diskriminierungen.

Deshalb wundere ich mich sehr, dass die schwarz-
gelbe Bundesregierung in dem neu vorgelegten Demo-
grafiebericht nicht ein Wort zum Thema Altersdiskrimi-
nierung verliert. Nicht eine Silbe! Das ist wirklich traurig,
aber auch ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)


Die Medien, aber auch manche Politikerinnen und
Politiker – ich denke da zum Beispiel an Herrn
Mißfelder – beschwören oft einen Generationenkonflikt,


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


indem sie die zunehmende Zahl der älteren Menschen
als demografisches Problem beschreiben. Die Alten ver-
sus die Jungen – dieses Bild entspricht aber nicht der
Realität; denn der Zusammenhalt zwischen den Genera-
tionen in unserer Gesellschaft ist enorm groß. Jede und
jeder von uns kennt sicherlich zahlreiche Beispiele dafür
im Familien- oder Freundeskreis.

Auch das Bild von älteren Menschen in der Arbeits-
welt ist oft verzerrt. Es heißt: Ältere Menschen sind
nicht so stark belastbar. Oder: Jüngere sind leistungsfä-
higer. Das hört man häufig hinter vorgehaltener Hand. In
manchen Branchen gelten Menschen jenseits der 40 so-
gar schon als nicht mehr vermittelbar. Das ist wirklich
ein Skandal und darf nicht hingenommen werden; ich
denke, hierüber besteht Einigkeit im Parlament.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskriminie-
rung darf nicht sein, erst recht nicht in Zeiten, in denen
Unternehmen einen Fachkräftemangel beklagen. Hier
muss sich ein realistisches, ein differenziertes Altersbild
durchsetzen, bei dem die Potenziale und die Erfahrungen
älterer Menschen im Mittelpunkt stehen. Daher finde ich
die Kampagne der Antidiskriminierungsstelle des Bun-
des gegen Altersdiskriminierung enorm wichtig. Bei die-
ser Kampagne steht das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz, für das die SPD damals erfolgreich gekämpft hat,
im Vordergrund.


(Beifall bei der SPD)


Allen Unkenrufen vor allem von Union und FDP zum
Trotz: Unsere Gesellschaft braucht eine starke, eine
selbstbewusste Antidiskriminierungspolitik.


(Beifall bei der SPD)


Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber bei
Bewerberinnen und Bewerbern vor allem auf die Quali-
fikation und nicht aufs Alter schauen. Es ist nicht selbst-
verständlich, dass Arbeitgeber gezielt Beschäftigte fort-
und weiterbilden, dass sie Belastungen am Arbeitsplatz
frühzeitig erkennen und den Gesundheitsschutz stärken.
Es ist auch nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber
den Erfolg von altersgemischten Teams sowie die Erfah-
rung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als
unschätzbaren Wert anerkennen.

Der Sechste Altenbericht mahnt daher zu Recht eine
neue Kultur des Alters an. Dafür müssen wir alle ge-
meinsam eintreten. Auch hier sehe ich vor allem die
Bundesregierung in der Verantwortung. Aber ich frage
mich: Wo bleibt das Engagement der schwarz-gelben
Koalition? Wie geht die zuständige Bundesseniorenmi-





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


nisterin aktiv gegen Diskriminierung im Alter vor? Wo
kämpft sie Seite an Seite mit der Arbeitsministerin für
eine altersgerechte und faire Arbeitswelt? Wo bleibt
Frau Schröders Engagement für eine umfassende Prä-
ventionsstrategie und ein Präventionsgesetz, das die Ge-
sundheitsförderung im Alltag der Menschen stärkt? Weit
und breit nichts in Sicht.


(Beifall bei der SPD)


Es ist sogar noch schlimmer. Als Frau von der Leyen
letztes Jahr im Zuge der Arbeitsmarktpolitik sinnvolle
Maßnahmen für Ältere zusammengestrichen hat, schaute
die Seniorenministerin tatenlos und schweigend zu.
Auch als Kabinettskollege Ramsauer das Programm
„Altersgerecht Umbauen“ zusammenstrich, habe ich von
Ihnen, Frau Schröder, keinen Einspruch gehört. Die Se-
niorenministerin hat sich wiederholt nicht für die Ziel-
gruppe, die sie eigentlich vertreten sollte, eingesetzt.
„Nicht meine Ministerin“ – das Motto der empörten
Frauen gegen die Gleichstellungspolitik von Frau
Schröder passt gut zu ihrer Seniorenpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen eine umfassende Strategie, damit wir
den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und die
Wertschätzung älterer Menschen fördern können. Wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, haben dazu Vorschläge er-
arbeitet, denen Sie sich gerne anschließen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717908100

Die Kollegin Nicole Bracht-Bendt hat jetzt das Wort

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1717908200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seit im Jahr 1991 unter einer christlich-liberalen Bun-
desregierung das erste Seniorenministerium in Europa
gegründet wurde, hat sich viel getan – positiv wie nega-
tiv. In Deutschland wurde sehr früh erkannt, welche ge-
waltigen Umwälzungen uns durch den demografischen
Wandel, aber auch durch eine Gesellschaft des längeren
Lebens bevorstehen. Frau Professor Lehr ist in diesem
Zusammenhang viel zu verdanken; denn sie hat die Al-
tenberichte der Bundesregierung ins Leben gerufen und
somit in Deutschland sehr früh eine wissenschaftliche,
aber auch eine gesellschaftliche Diskussion über das Al-
ter und das Altern angestoßen.

Trotz dieser frühen Erkenntnis wurden teilweise ver-
heerende Fehlentscheidungen getroffen. Für den Bereich
der Arbeitswelt möchte ich die Beispiele Frühverrentung
und den falschen Hang zum Jugendzentrismus bei Neu-
einstellungen hervorheben. Der so wichtige Punkt der
Erfahrung spielte häufig keine Rolle mehr. Das Bild, das
die Gesellschaft vom Alter hat, war teilweise negativ. Ei-
nerseits waren Ältere in ihrem jeweiligen Lebensalter
noch nie so fit und leistungsfähig wie heutzutage, ande-

rerseits traut die Gesellschaft Älteren häufig gar nichts
mehr zu.

Beim Seniorentag letzte Woche in Hamburg wurde
deutlich, dass der Sechste Altenbericht der Bundesregie-
rung die Gemüter bewegt. Die Thematik Altersbilder
legt den Finger in eine klaffende Wunde der Gesell-
schaft. „Ja zum Alter“ war der Titel des 10. Deutschen
Seniorentags und der Hamburger Erklärung, die die
Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen,
die BAGSO, und ihre 110 Mitgliedsorganisationen zum
Abschluss verabschiedet haben. 20 000 engagierte Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer haben sich in Hamburg
versammelt und deutlich gezeigt: Wir leben in einer star-
ken Gesellschaft mit starken, engagierten Verbänden. –
Dafür möchte ich an dieser Stelle deutlich Danke sagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Politik lebt von diesem wichtigen Austausch mit den
Bürgern. Mich hat es persönlich gefreut, dass in vielen
Vorträgen und Diskussionsforen Thesen vertreten wur-
den, die die Koalition bereits im Antrag „Altersbilder
positiv fortentwickeln – Potenziale des Alters nutzen“
aufgegriffen hat. Das gewählte Motto „Ja zum Alter“
heißt Ja zu einem möglichst gesunden Älterwerden, es
ist aber auch ein entscheidendes Ja zur Akzeptanz des ei-
genen Alters, und vor allen Dingen ist es ein deutliches
Nein zu allen Formen der Diskriminierung. Damit
schließt sich der Kreis zum Sechsten Altenbericht; denn
durch ihn wird deutlich, dass die dominierenden Alters-
bilder in zentralen Bereichen der Gesellschaft, etwa in
der Arbeitswelt, in der Bildung, der Wirtschaft, der Poli-
tik, beim freiwilligen Engagement oder in der medizini-
schen und pflegerischen Versorgung, der Vielfalt des Al-
tersbilds häufig nicht gerecht werden. Es gibt eben nicht
die eine Altersform, sondern es gibt viele individuelle
Formen des Alters. Die Diskussion über Altersbilder in
Zeiten des demografischen Wandels muss in den Köpfen
und Herzen der Menschen ankommen. Wir müssen uns
auch selbst fragen: Wie wollen wir im Alter leben und
behandelt werden?

Nun kann man positive Altersbilder nicht verordnen
oder verschreiben. Sie entwickeln sich in den Köpfen
der Menschen, und zwar in einem weitgehend unbe-
wussten Prozess. Je mehr positive Beispiele ich von älte-
ren Menschen sehe, desto mehr ändert sich mein Bild
vom Alter. Es ist ein wichtiger Schritt, alle Altersgren-
zen kritisch zu hinterfragen; denn sie prägen unser Al-
tersbild ganz besonders. Ich bin überzeugt: Fast alle kön-
nen weg.

Wir haben einen Bundespräsidenten – das wurde
schon angesprochen –, der 72 Jahre alt ist, was ich aus-
gesprochen positiv finde. Bundespräsident darf er wer-
den, nach vielen Gemeindeordnungen aber nicht Bürger-
meister – zu alt. Ich meine, das ist völlig absurd.

Der Bundestag hat mit breiter Zustimmung beschlos-
sen – auch die SPD hat zugestimmt –, das Rentenein-
trittsalter bis zum Jahr 2030 schrittweise auf 67 Jahre zu
erhöhen, was auch für die Mitarbeiter der Berufsfeuer-
wehren gilt. Als Angehöriger der Freiwilligen Feuer-





Nicole Bracht-Bendt


(A) (C)



(D)(B)


wehr müssen Sie in einigen Bundesländern mit 65 Jah-
ren ausscheiden. Auch das ist völlig absurd.

Vielleicht ist es ja bereits eine Folge des Altenberichts
und unserer Diskussion darüber, dass ältere Menschen
nicht mehr ausschließlich in Werbespots für Haftpulver
für dritte Zähne zu sehen sind.

Eine gewichtige Rolle für die Entwicklung positiver
und realistischer Altersbilder spielt das Ehrenamt. Der
neue Bundesfreiwilligendienst ist ein hervorragendes
Beispiel, wie bürgerschaftliches Engagement von älteren
Generationen gelebt wird. Gerade die Nachfrage der Äl-
teren übertrifft alle Erwartungen. Bürgerschaftliches En-
gagement mildert einerseits die Folgen des demografi-
schen Wandels und bietet andererseits Raum für neue
Aktivitäten. Es gilt, älteren Menschen bezogen auf
Selbst- und Mitverantwortung in der Gesellschaft neue
Wege zu ebnen.

Die Koalition will aber nicht nur für die Stärken und
Potenziale des Alters sensibilisieren. Das Alter konfron-
tiert uns auch mit Grenzen. Dem haben wir uns in der
Koalition angenommen, indem wir die Familienpflege-
zeit auf den Weg gebracht haben. Auch unser Gesund-
heitsminister, Daniel Bahr, hat einen ersten großen
Schritt gewagt, indem er Leistungen der Pflegeversiche-
rung endlich auch für Demenzerkrankte zugänglich ge-
macht hat. Hierauf haben viele Menschen lange gewar-
tet.

Eine alternde Gesellschaft muss sicherstellen, dass
dem Einzelnen in jeder Phase des Lebens eine soziale
Teilhabe möglich ist. Ein selbstbestimmtes Leben muss
auch im Alter oberstes Ziel sein. Das setzt Barrierefrei-
heit im privaten und öffentlichen Bereich und den ver-
stärkten Einsatz technischer Assistenzsysteme voraus.
Der Ausbau seniorengerechten Wohnraums ist insofern
eine zentrale Zukunftsaufgabe. Aber Barrierefreiheit
darf nicht an der Wohnungstür enden. Hier sind die
Kommunen besonders in der Pflicht.

Das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidari-
tät zwischen den Generationen wird die Koalition nut-
zen, um die berechtigten Anliegen der älteren Genera-
tion voranzubringen. In unserem Antrag skizzieren wir
hierzu einen Weg.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717908300

Jetzt spricht Heidrun Dittrich für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717908400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Hören Sie auf, über Demografie zu reden.
Das lenkt von den wirklichen Problemen ab. Die Tatsa-
che, dass es mehr ältere Menschen gibt, erzwingt keinen
Sozialabbau, sondern Ihre Regierungspolitik, die Steuer-
senkungen für die Reichen und Geldgeschenke an die

Großbanken im Euro-Raum vorsieht, erzwingt einen
Abbau des Sozialstaats. Das lehnt die Linke ab.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


Im Sechsten Altenbericht der Bundesregierung geht
es um Altersbilder. In Wirklichkeit sind diese Altersbil-
der umkämpft; denn es gibt verschiedene Ältere: arme
und reiche. Der Daimler-Chef Dieter Zetsche erhält
29,6 Millionen Euro als Gesamtrente. Er hat einen Ver-
trag ausgehandelt, nachdem er bereits mit 60 Jahren in
Rente gehen kann. Ein anderer Topverdiener, der Deut-
sche-Post-Chef Frank Appel, kann sogar mit 55 Jahren
in Rente gehen. Seine Rentenzusage liegt bei insgesamt
7,2 Millionen Euro. Nachlesen können Sie das in einem
Artikel vom 22. April dieses Jahres auf Spiegel Online.
Warum können die Superreichen mit 55 Jahren in Rente
gehen und die Beschäftigten nicht?


(Beifall bei der LINKEN)


Dass ein früherer Renteneintritt möglich wäre, zeigt
sich in Frankreich. Der neu gewählte Präsident Hollande
von der sozialistischen Partei erklärte, dass er das Ren-
teneintrittsalter von 62 Jahren wieder auf 60 Jahre sen-
ken werde.


(Eckhard Pols [CDU/CSU]: Noch ist es aber nicht so weit! – Markus Grübel [CDU/CSU]: Darum sind die so erfolgreich bei der Arbeitslosigkeitsbekämpfung und bei der Haushaltssanierung!)


Das fordert auch die Linke in ihrem Parteiprogramm.

Auf dem 10. Deutschen Seniorentag sagte die Senio-
renministerin, Frau Schröder: Hurra, wir werden alt!


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Recht hat sie!)


Sie nennt als Beispiele für die Vielfalt im Alter den
Großvater im Rollstuhl und die Großmutter auf Roll-
schuhen. Das sagt leider nichts über die finanzielle Lage
dieser älteren Dame und des älteren Herrn aus.

Der Bundespräsident verkündete am selben Tag am
selben Ort, dass wir für die geschenkten Jahre, die wir
länger leben, dankbar sein dürfen. Ich frage Sie: Wem
gehört die freie Zeit, den Älteren oder der Wirtschaft?
Warum sollen die Beschäftigten dankbar sein? Sie haben
diesen Staat schließlich aufgebaut. Die arbeitende Be-
völkerung hat in die gesetzliche Krankenkasse und in die
Rentenversicherung eingezahlt. Dadurch wurde eine
Gesundheitsvorsorge möglich, durch die die Menschen
länger leben können. Leider wird sie seit Jahren ver-
teuert. Ich erinnere an die unsägliche Praxisgebühr von
10 Euro, die gerade Geringverdiener von notwendigen
Arztbesuchen abhält. Die Linke hat vor zwei Wochen im
Bundestag beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen.
Leider wurde das hier mit Mehrheit abgelehnt. Aber das
interessiert Senioren wirklich.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Fordern Sie Mindestlohn für Senioren?)


Der Sechste Altenbericht hat nicht den Auftrag, die
soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen





Heidrun Dittrich


(A) (C)



(D)(B)


Männern und Frauen zu erforschen. Die Betonung der
Facetten und der Vielfalt verdeckt geradezu die gran-
diose Spaltung zwischen Arm und Reich. Aber gerade
damit muss sich die Bundesregierung aus meiner Sicht
befassen.


(Beifall bei der LINKEN)


In Deutschland sind durch Ihre Politik 3,9 Millionen
Frauen in Minijobs; sie können nur unzureichend Ren-
tenanwartschaften erwerben. Sie sind besonders gefähr-
det. Wer garantiert denn, dass sie einen Partner haben,
der sie mitversorgt? Frauen verdienen im Durchschnitt
23 Prozent weniger als Männer. Dieser Einkommensun-
terschied steigt in der Rente auf 60 Prozent an.

In einer Studie über die Lebens- und Erwerbsverläufe
von Frauen, geboren zwischen 1955 und 1964, steht,
dass die monatlichen Renten in dieser untersuchten Ba-
byboomer-Generation im Westen bei im Durchschnitt
700 Euro und im Osten bei im Durchschnitt 680 Euro
liegen. Das ist Grundsicherungsniveau. Das ist Hartz IV
im Alter. Die Hälfte der Frauen in Westdeutschland hat
sogar eine gesetzliche Rente von unter 600 Euro. Sie
sind auf jeden Fall auf Sozialleistungen angewiesen.
Deswegen fordert die Linke, dass es Frauen ermöglicht
wird, in tariflich gut bezahlten Berufen ausreichende ei-
genständige Rentenanwartschaften zu erwerben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür brauchen wir vor allem die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Wer keine Kindergärten finanziert,
wer keine Erzieherinnen einstellt, der verweigert den
Frauen die Ernährerinnenrolle, er verweigert ihnen den
Aufbau einer eigenen Rente. Wir brauchen Sozialversi-
cherungspflicht ab dem ersten Euro. Weg mit den Mini-
jobs!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen die Wiederherstellung der Lebensstan-
dardsicherung in der Rente und eine solidarische Min-
destrente von mindestens 900 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Die soldarische Bürgerinnen- und Bürgerversiche-
rung wäre finanzierbar – Sie wissen es –, wenn die
Ackermänner der Welt, die Beamten und die Bundes-
tagsabgeordneten einzahlen würden.


(Zuruf des Abg. Jens Ackermann [FDP])


Das wäre Solidarität und nicht nur Solidarität der Be-
schäftigten untereinander.

Sie sagen: Die Menschen sollen für die geschenkten
Jahre dankbar sein, sie sollen dankbar dafür sein, dass
sie einen Sozialstaat aufbauen konnten, an dem – ich
erinnere daran – seit der Agenda 2010, seit Rot-Grün
– diese Regierung setzt das fort –, kräftig gesägt wird. Ir-
gendjemand muss den sozialen Zusammenhalt ja organi-
sieren, aber es darf nichts mehr kosten.

Das Ehrenamt wird auf Verlängerung der Altersgren-
zen untersucht. Es geht dabei nicht darum, das Leben im
Alter selbstbestimmt zu genießen, sondern darum, in der
sozialen Arbeit eingesetzt zu werden. Der Bundesfrei-

willigendienst und der Freiwilligendienst aller Genera-
tionen – das unterstützen außer der Linken Sie alle hier
im Bundestag – überschreiten die Altersgrenze und öff-
nen die Schleusentore zum Arbeiten im Alter, um über-
haupt noch Teilhabe erlangen zu können. Wir meinen:
So geht das nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Eine schräge Vorstellung!)


Dabei geht es nicht um die Potenziale der Älteren, die
man heben sollte. Dabei geht es nicht um die indivi-
duelle Entwicklung der Menschen. Vielmehr geht es da-
bei um Folgendes – so müssen wir hier jedenfalls be-
fürchten –: Wer als Ehrenamtlicher länger arbeiten kann,
der kann es auch als Arbeitnehmer. Das lehnt die Linke
ab. Wir bestehen auf einem gesetzlichen Renteneintritts-
alter.

Dass ältere Menschen, vor allem Frauen, schon jetzt
gezwungen sind, zu ihrer Rente dazuzuverdienen, macht
die Sache doch nicht besser. Das ist ein Skandal. Sie
können das nicht schönreden, indem Sie sagen, dass die
Menschen länger arbeiten wollen. Sie müssen länger ar-
beiten. Von einem neuen Altenbericht erwarte ich, dass
man sich darin realistisch mit der Lage der Menschen
auseinandersetzt, dass darin Vorschläge gemacht wer-
den, wie die Regierung die Lage der armen Frauen im
Alter verbessert, und dass darin auch die Situation von
Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Behin-
derungen beachtet wird. Denn aus Sicht der Linken ha-
ben alle das Recht auf ein abgesichertes Alter in Würde.


(Beifall bei der LINKEN – Florian Bernschneider [FDP]: Ganz schön peinlich war das!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717908500

Elisabeth Scharfenberg hat jetzt das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Die Diskussion über den Altenbericht bietet uns
eine wunderbare Möglichkeit, um Zwischenbilanz zu
ziehen, Zwischenbilanz darüber, was Schwarz-Gelb seit
2009 im Bereich der Altenpolitik erreicht hat. Diese
Bilanz fällt nicht gerade glänzend aus.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Na ja! So können Sie das aber auch nicht sagen!)


Bei dieser Bilanz sehen wir, dass die zuständige Fami-
lienministerin, Sie, Frau Schröder, ihre Liste der politi-
schen Irrungen und Wirrungen – ich sage nur: Frauen-
quote, Betreuungsgeld, Familienpflegezeit – durch die
Altenpolitik erweitert. Das alles sind fehlgeschlagene
Politikansätze, einer nach dem anderen.


(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Auf dem Deutschen Seniorentag letzte Woche in
Hamburg – er wurde schon mehrmals erwähnt – wurde
deutlich, dass diese Einschätzung von den Älteren in un-





Elisabeth Scharfenberg


(A) (C)



(D)(B)


serem Land durchaus geteilt wird. Der Redebeitrag von
Ihnen, Frau Schröder, wurde mit Buhrufen quittiert. Das
ist bitter. Ich frage mich: Wer fühlt sich in diesem Land
eigentlich noch von Ihnen vertreten? Frauen, Kinder, Ju-
gendliche, Seniorinnen und Senioren, alte Menschen?
Ich muss sagen: Da wird die Luft immer dünner.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Also, ich fühle mich von der Frau Ministerin schon vertreten!)


Es braucht in meinen Augen Format, Ziele und eine Vi-
sion, um das Amt der Familienministerin auszufüllen.
Genau das vermisse ich an der Spitze des Familienminis-
teriums.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Der Antrag „Altersbilder positiv fortentwickeln –
Potenziale des Alters nutzen“ von CDU/CSU und FDP
spiegelt die altenpolitische Leere ganz klar wider. Der
Antrag verliert sich in Appellen und der Vergabe von
Prüfaufträgen. Das ist alles andere als zielführend.
Wozu, frage ich Sie, benötigen wir noch einen Altenbe-
richt, der doch wirklich in guter Art und Weise die The-
men benennt, wenn dann alles wieder und wieder einer
Prüfung unterzogen werden soll? Wir haben in einigen
Bereichen überhaupt kein Wissensdefizit mehr; dieses
Stadium haben wir längst hinter uns gelassen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Warum soll denn noch einmal geprüft werden, ob das
KfW-Programm zum altersgerechten Umbau fortgeführt
und weiter mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt ausge-
stattet werden soll?


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Das wird ja schon fortgeführt! Das ist mittlerweile erledigt! Seit dem 1. April wird es fortgeführt!)


Es muss fortgeführt werden. Das ist eine Frage der poli-
tischen Vernunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das wird von allen Seiten befürwortet.

Die Anhörung in dieser Woche im Verkehrsausschuss
zur barrierefreien Mobilität und zum barrierefreien Woh-
nen hat den enormen Handlungsbedarf ganz klar aufge-
zeigt. Alle geladenen Expertinnen und Experten waren
sich einig. Wir meinen, dass wir zudem eine Weiterent-
wicklung der Fördermöglichkeiten brauchen. Insgesamt
frage ich mich aber ernsthaft, ob der Altenbericht und
die Anhörung bei Ihnen überhaupt ein Umdenken be-
wirkt haben. Es wurde wiederholt betont, dass wir uns
um die Neuorientierung der Altersbilder kümmern müs-
sen. Aber was ist auf der Internetseite des Gesundheits-
ministeriums zur Pflege immer noch zu lesen? Da wird
getitelt – ich zitiere –: „Pflegefall – was tun?“


(Sibylle Laurischk [FDP]: Was haben Sie denn dagegen? – Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Ja, und?)


Sehr geehrte Frau Ministerin, es gibt keinen Pflegefall.
Es gibt nur Menschen, die einen Pflegebedarf haben
oder Unterstützung benötigen. Einen Menschen kann
und darf man nicht auf einen Fall reduzieren. Der Be-
griff „Pflegefall“ gehört in die Unwortkategorie, ge-
nauso wie die Wörter „Alterslast“, „Demografiefalle“
oder was es da sonst noch gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das alles zeigt uns aber, dass wir die Erkenntnisse der
Altenberichte konsequenter sichern und umsetzen müs-
sen. Wir fordern, dass zukünftige Altenberichte detail-
lierte Umsetzungsempfehlungen beinhalten. Es geht
doch nicht, dass wir hochkarätige Expertinnen und Ex-
perten zu der Ausarbeitung eines Altenberichtes einberu-
fen. Dann versehen wir das Ergebnis mit einer Druck-
sachennummer und organisieren vielleicht noch ein paar
flankierende Veranstaltungen. Und dann? Dann ver-
schwindet der Altenbericht in der Schublade.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht die
staubige Schublade, sondern ein Aktionsplan muss das
Ziel eines Altenberichtes sein. Eine Stellungnahme
reicht nicht aus. Für die weitere Bearbeitung der Themen
ist es notwendig, eine Monitoringstelle zu schaffen, zum
Beispiel im Familienministerium. Wir brauchen kon-
krete Maßnahmen zur Ergebnissicherung. Außerdem ist
die Vernetzung mit den anderen beteiligten Ministerien
überaus wichtig.

Für uns Grüne ist eine Altenpolitik, die nicht in allen
Bereichen verankert ist, wie ein umhertreibendes Schiff
ohne Hafen. Dieses Schiff braucht aber Ankerplätze in
allen wichtigen Politikgewässern: in der Bildungs-, in
der Wirtschafts-, in der Gesundheits-, in der Arbeits-
marktpolitik. Nur so werden wir den Belangen der Älte-
ren wirklich gerecht. Ansonsten wird sich am Altersbild
wirklich nicht viel ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Altenpolitik, die Hand und Fuß hat, muss alle im
Blick haben. Die fitte 87-jährige Dame, die noch die Ju-
gend im Turnverein trainiert, gehört genauso dazu wie
der alleinlebende ältere Herr, der aufgrund seiner Pflege-
bedürftigkeit seine Wohnung überhaupt nicht mehr ver-
lässt. Beide brauchen in ganz unterschiedlicher Art und
Weise unsere Unterstützung.

Weder die Horrorszenarien der Überalterung noch die
überbordende Betonung der Potenziale im Alter werden
der Vielfalt des Alters gerecht. Nur eine aktive Genera-
tionenpolitik kann helfen, das Alter wirklich neu zu defi-
nieren. Diese Gesellschaft benötigt neue Ideen, Offen-
heit und eine ehrliche Diskussion über einen
Generationenvertrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, ich bin auf Ihre Ausführungen gleich
gespannt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717908600

Das Wort hat Ingrid Fischbach für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1717908700

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau

Präsidentin! Frau Ministerin! Nach den Reden der Oppo-
sition kann ich nur sagen: Oh Gott, oh Gott, es muss ei-
nem ja grauen, wenn man alt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Ja, bei dieser Regierung!)


Wenn ich jetzt auf die Tribünen schaue und mir die
Gruppen ansehe, die dort oben sitzen, dann sehe ich
strahlende Gesichter. Ich sehe Menschen, die sich
freuen, dass sie ihr Alter genießen können.


(Petra Crone [SPD]: Haben Sie nicht zugehört?)


– Sie haben den Altenbericht überhaupt nicht gelesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Sie haben jedenfalls nichts begriffen!)


Ein wichtiger Punkt – ich glaube, das unterscheidet
uns ganz gehörig – ist ein neuer Blick auch auf die fitte
ältere Generation.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt nicht nur die Alten, die krank und pflegebedürf-
tig sind und unsere Hilfe brauchen, sondern es gibt Gott
sei Dank auch die fitten älteren Menschen. Wir werden
älter, wir leben gesünder, wir können besser medizinisch
versorgt werden, wir können unser Leben, unser Alter
genießen. Ich finde das total toll. Ich freue mich auf die-
sen Lebensabschnitt, aber nicht aufgrund Ihrer Ausfüh-
rungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, deswegen ist es wichtig, dass wir an die-
ser Stelle deutlich machen, worin sich die Opposition
und die christlich-liberale Regierung unterscheiden.

Wir wollen die Potenziale des Alters wirklich aus-
schöpfen und Nutzen stiften. Das heißt, ältere Men-
schen, die sich gut fühlen, die Kompetenz haben, die
Wissen haben, die sich einbringen können, sollen die
Chance haben, das zu tun. Darum müssen sie nicht bitten
und betteln, sondern das ist ihr gutes Recht. Wir können
nur froh sind, auf diese Kompetenz und Erfahrung zu-
rückgreifen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe hier jetzt eine Kollegin der SPD und auch
eine Kollegin der Grünen gehört. Man fragt sich natür-
lich, was hier geredet wird und was an den Stellen getan
wird, wo man etwas tun könnte.

Ich betrachte jetzt einmal ganz zufällig die Situation
in Nordrhein-Westfalen.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ganz zufällig!)


Sie haben sich sicherlich gedacht, dass ich aus meinem
Bundesland berichten kann.

Sie, Rot-Grün, sind für die Seniorenpolitik in Nord-
rhein-Westfalen zuständig. Frau Scharfenberg, Sie haben
gesagt, man brauche Ziele und Visionen. Ich habe in den
letzten zwei Jahren vor Ort nachgefragt, welche Ziele
und Visionen die Ministerin hat, die für die Senioren zu-
ständig ist. Darauf wurde mir zuerst die Frage gestellt:
Wer ist denn für uns zuständig?


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Hört! Hört!)


Das Ministerium, das wir als Christlich-Liberale ge-
schaffen hatten, nämlich das Ministerium für Generatio-
nen, Familie, Frauen und Integration, haben Sie aufge-
löst. Sie haben die Aufgaben auf drei Ministerien
verteilt, damit erst einmal niemand zuständig ist. Sie
schicken die Menschen von rechts nach links, zum Bei-
spiel ins Familienministerium. Schließlich taucht in ei-
nem Ministerium das Wort „Alter“ auf. Wissen Sie, in
welchem Zusammenhang? Alter und Pflege!


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Das ist genau das Altersbild, das Sie haben: Alter und
Pflege.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ja!)


Jetzt kann man ja fair sein und sagen: Okay, so sind
sie halt. Das wollen sie so sehen, dann sollen sie es auch
so tun. – Was tun Sie hier aber, obwohl Sie doch den
Schwerpunkt auf Alter und Pflege legen? Nichts!

Sie haben über Barrierefreiheit gesprochen. In Nord-
rhein-Westfalen sind noch keine 3 Prozent der Wohnun-
gen barrierefrei oder barrierearm. Nicht nur die Ver-
bände, die der CDU nahestehen, reklamieren das,
sondern auch die Verbände, die Ihnen sehr nahestehen.
Der Sozialverband Deutschland kommt mittlerweile
nicht mehr zu seinen Ministerien, sondern er sucht sich
andere Minister, bei denen er sich einmal äußern und
seine Sorgen deutlich machen kann.

Genau das ist der Punkt. Wenn Sie sagen: „Pflege im
Alter ist uns wichtig“, dann müssen Sie vorausschauen
und Visionen haben. Sie müssen sagen: Nicht nur die
Wohnungen, die bereits existieren, müssen umgebaut
werden, sondern auch bei den Neubauten muss angesetzt
werden.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn dort bis vor zwei Jahren regiert in Nordrhein-Westfalen? Da wart ihr bis vor zwei Jahren in der Verantwortung!)


Auch dort müssen Sie für Barrierefreiheit sorgen. Aber
das kommt bei Ihnen nicht vor.

Das, was inhaltlich gut gelaufen ist, haben Sie auf-
gegeben. Wir haben den Generationentag eingeführt,
Potenziale des Alters; alles haben Sie abgeschafft. Alle
gut laufenden Projekte haben Sie einfach beendet. Sie
beschränken sich auf einen ganz kleinen Bereich, und
dann nach dem Motto „Sprich’ mich bloß nicht an!“ Nie-
mand hat also die Verantwortung. So kann man keine





Ingrid Fischbach


(A) (C)



(D)(B)


Politik machen, hier nicht und auch nicht in Nordrhein-
Westfalen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben Ziele. Wir haben Visionen. Wir sagen: Wir
brauchen für alle Gruppen im Alter Antworten. Für die
fitten älteren Menschen zum Beispiel brauchen wir An-
gebote, zum Beispiel – mein Kollege Grübel hat es ge-
sagt – den Bundesfreiwilligendienst. Ich freue mich,
dass viele ältere Menschen dieses Angebot annehmen.
Hier haben wir die Möglichkeit, für Alt und Jung gene-
rationenübergreifend etwas zu tun. Die Älteren können
Erfahrungen einbringen, von denen Jüngere profitieren.
Das ist ein sehr gutes Projekt.

Als wir die Mehrgenerationenhäuser eingeführt haben
– das ist das Gute, wenn man schon länger dabei ist –, ha-
ben Sie lamentiert, Sie wollten in Nordrhein-Westfalen
keine Mehrgenerationenhäuser, sondern lieber Familien-
zentren haben. – Das haben wir in Nordrhein-Westfalen
gemacht. Am Ende der christlich-liberalen Regierung
gab es knapp 2 000 Familienzentren. Wissen Sie, wie
viele unter Ihrer Regierung in Nordrhein-Westfalen hin-
zugekommen sind? Keine – in zwei Jahren! Das ist es
eben: Sie halten hier Schönwetterreden, aber da, wo Sie
Verantwortung tragen, tun Sie genau das Gegenteil. Da
bitte ich Sie einfach: Hören Sie damit auf!


(Zuruf der Abg. Christel Humme [SPD])


– Frau Humme, wir beide bereden das gleich bei einer
Tasse Kaffee. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie sagen
immer das Gleiche.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen etwas für ältere Menschen tun. Wir wol-
len etwas für die ältere Generation verändern. Wir wol-
len das Potenzial des Alters nutzen. Wir wollen die Men-
schen ernst nehmen. Wir wollen für sie Angebote
schaffen. Ich glaube, das ist hier das Richtige. Die alten
Menschen sind eben nicht nur krank oder pflegebedürf-
tig, sondern es gibt auch die, die sich einbringen können.
Es geht darum, diese Potenziale zu schützen und zu stär-
ken.


(Johanna Voß [DIE LINKE]: Dafür muss man auch die Renten kürzen!)


Zu der Rede von Frau Dittrich sage ich gar nichts.


(Heidrun Dittrich [DIE LINKE]: Da fällt Ihnen nichts mehr ein!)


Sie hat für sich gesprochen. Sie war wirklich unter aller
Kritik.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Uns ist es in der christlich-liberalen Regierung wich-
tig, dass wir die Potenziale des Alters nutzen, dass wir
den Menschen Perspektiven geben, dass wir deutlich
machen: Ihr werdet geschätzt. Wir brauchen euch. Wir
zusammen werden all das, was euch im Alter belastet,
angehen. – Der Kollege Grübel hat es sehr deutlich ge-
macht: Vieles ist nicht hinnehmbar und wird geändert

werden müssen. – Das werden wir anpacken. Ich würde
mich freuen, wenn wir mit Ihrer Unterstützung rechnen
könnten; denn dann könnten wir zusammen für die Men-
schen etwas verändern. Seniorenpolitik – das ist aktive
Zukunftsgestaltung für alle Generationen.

Ich möchte mit einem Wort von Ursula Lehr enden.
Sie hat einmal gesagt:

Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, son-
dern wie man alt wird.

In diesem Sinne wollen wir das Beste dafür auf den Weg
bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717908800

Petra Crone hat das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1717908900

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolle-

ginnen! Meine Damen und Herren! Etwa 20 000 ältere
Menschen, aktiv, wissbegierig, engagiert, sind in der
letzten Woche in Hamburg auf dem 10. Deutschen Se-
niorentag gewesen. Da konnte man ein ganz riesiges
Potenzial des Alters erleben, ein äußerst positives Al-
tersbild.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es sprühte nur so von Ideen und Tatkraft. Auch gab es
wertvolle Impulse, zum Beispiel beim bürgerschaftli-
chen Engagement. Doch was machen Sie daraus, Frau
Ministerin? Auf jede Frage antworten Sie mit einem
Hinweis auf den Bundesfreiwilligendienst. In einigen
Fällen mag das hinkommen, aber das ist nicht passge-
nau.

Ein richtiges Motto lautet: Einmal engagiert, immer
engagiert. Ich fordere Sie auf, Frau Schröder: Sorgen Sie
dafür, dass auch Jugendliche neben der Schule Zeit fin-
den, sich zu engagieren – ohne Gegenleistung. Geben
Sie ihnen eine Chance, sich im Ehrenamt zu üben.


(Beifall bei der SPD)


Der Bundesfreiwilligendienst, Ihr Liebling, ist ein
Vollzeitdienst, den nicht jeder und jede leisten kann.
Frau Ministerin, Sie wollen sich mit dem bürgerschaftli-
chen Engagement profilieren. Warum behandeln Sie aus-
gerechnet die Freiwilligendienste aller Generationen so
stiefmütterlich? Warum verhindern Sie nicht, dass Ihre
Regierung die Kommunen immer weiter ausbluten lässt?
Denn sie sind es doch, die passgenaue Angebote fördern.


(Beifall bei der SPD – Ewa Klamt [CDU/ CSU]: Man muss sich fragen, in welchem Film man sich befindet!)


Egal ob jung oder älter, ob Schüler, Arbeitnehmer
oder Rentner: Die Freiwilligkeit muss im Mittelpunkt





Petra Crone


(A) (C)



(D)(B)


stehen. Niemand soll das Gefühl haben, sich engagieren
zu müssen. Unsere Aufgabe ist es, Lust darauf zu ma-
chen.

Der Deutsche Seniorentag hat aber auch sehr deutlich
gemacht, dass es Themen gibt, die im Sechsten Altenbe-
richt der Bundesregierung unterrepräsentiert sind und
von Ihnen, Frau Ministerin, mehr oder weniger elegant
umgangen werden.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Weniger elegant! – Caren Marks [SPD]: Eher weniger!)


Das Thema Altersarmut ist eines der dringendsten
Generationenprobleme. Es betrifft nicht nur die Älteren,
die schon im Ruhestand sind, sondern genauso auch un-
sere Kinder und Enkel. Die brauchen gute Vorbilder und
das Gefühl, dass Arbeit sich lohnt und mit einer Vollzeit-
stelle der Lebensunterhalt gedeckt werden kann. Es ist
doch beschämend für unser reiches Land, dass dies nicht
gewährleistet ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen und Kolleginnen der Regierungsfrak-
tion, von Ihnen wird dagegen nichts unternommen.


(Jens Ackermann [FDP]: Der Bundesrat kann doch zustimmen!)


Das Übel muss doch an der Wurzel gepackt werden. Ist
Ihre Antwort darauf die Einführung des Betreuungsgel-
des?

Was wir dringend brauchen, sind flächendeckende
Mindestlöhne,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


eine höhere Beschäftigungsquote vor allen Dingen für
Frauen, mehr Kinderbetreuung in den Regionen und vie-
les mehr.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Dann können wir auch die Kitaplätze in NRW nehmen! Darüber können wir auch sprechen! Wir haben Zahlen auf Lager!)


Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Linksfrak-
tion, in Ihrem Antrag sind einige interessante Forderun-
gen enthalten, die wir zum Teil auch unterstützen kön-
nen. Aber ich vermisse bei Ihnen den konkreten Bezug
zum Sechsten Altenbericht. Ihr Entschließungsantrag
– es ist immerhin ein Entschließungsantrag – ist viel-
mehr eine Zusammenfassung von seniorenpolitischen
Zielen.

Die generelle Kritik am Altenbericht kann ich nicht
nachvollziehen. Sie sprechen ihm gar die Substanz ab. In
einem ähnlichen Maße, in dem Sie der Bundesregierung
und den Sachverständigen die Ökonomisierung der Al-
tersbilder vorwerfen, zeichnen Sie ein umfassendes ne-
gatives Altersbild, geleitet vom sozialen Abstieg. Das ist
genauso falsch.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, zum Schluss
möchte ich den regelrechten Hype um die stets fitten Se-

nioren und Seniorinnen kritisieren. Es ist natürlich schön
und ein tolles Ergebnis, dass wir alle älter werden und
immer länger gesund bleiben. Die Altersbilder insge-
samt sollen positiver werden. Aber Achtung: Wir dürfen
sie auch nicht mit Kitsch überlagern. Damit werden nur
Ängste vor Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und auch vor
dem Sterben geschürt. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jeder und jede muss wissen, dass wir uns um eine
würdevolle Betreuung, Pflege und auch um Sterbebe-
gleitung kümmern. Dafür hat die SPD-Bundestagsfrak-
tion ein umfassendes Konzept erarbeitet.

Das Thema Demenz hat in Zukunft eine sehr große
Wichtigkeit. Wo bleiben da die Taten der schwarz-gel-
ben Regierung? Reförmchen des Ministers Bahr helfen
nicht weiter.


(Jens Ackermann [FDP]: Das ist ja unerhört! Was haben Sie denn da gemacht?)


Bei all dem ist das Miteinander der Generationen ent-
scheidend, in der Gesellschaft und in der Politik, solida-
risch und verantwortungsvoll. Für die SPD-Bundestags-
fraktion ist „Teilhabe“ kein leeres Wort. Sie beinhaltet
zwei Forderungen: das Recht auf Bildung für jedes Alter
und die Förderung von Freiwilligenengagement von und
für alle Generationen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909000

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1717909100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute

Morgen war ich kurz zu Gast bei einer Seniorenorgani-
sation einer Gewerkschaft. Was ich dort mitgenommen
habe, ist die Klage, dass die ältere Generation innerhalb
der Gewerkschaft nicht mehr voll mitwirkungsberechtigt
ist. Es gibt also durchaus Felder im traditionell eher lin-
ken politischen Bereich, bei denen man sich überlegen
muss, ob man das richtige Augenmaß hat.


(Beifall bei der FDP – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: So ist es! In Schleswig-Holstein haben sie es schon gemerkt!)


So viel als Randbemerkung zu dem, was ich an einem
Tag in Berlin im Rahmen meiner Abgeordnetentätigkeit
mitnehme.

Der Sechste Altenbericht ist ein Wegweiser für uns
alle; denn er zeigt auf, dass nicht mehr die Belastungen
des Alters das ausschließliche Thema, das man mit dem
Alter verbindet, sein sollen, sondern dass auch die Chan-
cen einer alternden Gesellschaft begriffen und genutzt





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


werden müssen. Frau Scharfenberg, ich habe Ihren Re-
debeitrag sehr genau verfolgt und halte es für völlig ver-
fehlt, nur darauf zu setzen, dass wir in Berlin es schon
regeln werden. Da sind wir in der Bundesrepublik
Deutschland insgesamt, in den verschiedenen Ländern
und Kommunen, schon sehr viel weiter.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme aus der Kommunalpolitik. Als ich vor
18 Jahren frischgebackene Stadträtin war, haben wir in
Offenburg ein Seniorenbüro eingerichtet. Das war sozu-
sagen eine Freiwilligenagentur. Damals nannte man das
noch nicht so, aber nichts anderes war es. Es war ein Ex-
periment, damals auch vom Bund gefördert. Es ist ein
Knüller geworden. Mittlerweile gibt es dort eine Selbst-
organisation von älteren Menschen, die das soziale Ge-
füge, den Alltag und das Miteinander der Stadt auf eine
ganz interessante Weise prägen. Auch wenn die Men-
schen nicht mehr im Berufsleben stehen, sagen sie ganz
klar: Wir spielen eine Rolle. Wir sind wichtig; wir sind
dabei. Wir sind nicht ausgegrenzt. – Das ist für das
Klima in einer Kommune ganz wichtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ein Beispiel für die konkreten Tätigkeiten der dort le-
benden Senioren: Sie arbeiten mit ausländischen Studen-
ten an der Fachhochschule zusammen und bieten ihnen
an, als Wegweiser in der Stadt zu fungieren und Behör-
dengänge zu erledigen. Dadurch haben die Senioren
Kontakt zu Menschen, die aus ganz anderen Lebensver-
hältnissen stammen. Das ist sehr belebend und hochinte-
ressant.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es in der Gemeinde
Eichstetten am Kaiserstuhl. Die hier betriebene enga-
gierte Kommunalpolitik trägt der Situation der Alten vor
Ort Rechnung und sorgt dafür, dass sie sich sowohl in
der Pflege als auch im bürgerschaftlichen Engagement
wiederfinden, mitarbeiten und ein Austausch stattfindet.
Niemand muss den Ort aus Altersgründen oder wegen
Pflegebedürftigkeit verlassen. Jeder kann bleiben.

Damit sind wir bei einem ganz wesentlichen Thema,
das mir in dieser Debatte völlig fehlt. Viele Menschen
leben im Alter alleine. Die Familien ziehen weg. Die
Kinder sind berufsbedingt ganz woanders. Die Familien
sind nicht mehr so eng beieinander. Unter Umständen
bleibt man im Alter allein. Die Angst vor dem Alleinsein
ist ein wichtiges Thema, dem wir uns widmen müssen.
Mir persönlich ist wichtig, neue Wohnformen im Alter
zu entwickeln. Diesem Thema widmet man sich mittler-
weile auch im Rahmen des bürgerschaftlichen Engage-
ments. Ich kenne etliche Vereine, die dieses Thema in
den jeweiligen Kommunen vorantreiben wollen. Es geht
nicht allein um Wohngemeinschaften, sondern auch um
ein Miteinander, ein vernetztes Wohnen. Nicht alleine
und vereinzelt zu sein, das ist wichtig, damit wir auch im
Alter den Austausch haben, um fit zu bleiben, uns ge-
genseitig zu unterstützen, eventuell einer Pflegebedürf-
tigkeit vorzubeugen, gemeinsames Lernen zu organisie-
ren – denn auch das hält jung – sowie letztendlich ein
Miteinander in positiver Stimmung – ich habe leider viel

zu wenig Zeit, um das weiter auszuführen – zu gestalten
und das Lachen nicht zu verlernen. So bleiben wir jung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909200

Die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder hat jetzt

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Alter ist vielfältiger und facettenreicher geworden.
Der Sechste Altenbericht, für den ich der Sachverständi-
genkommission unter dem Vorsitz von Professor
Dr. Andreas Kruse ganz herzlich danke, fordert uns dazu
auf, die Seniorenpolitik auf die Vielfalt des Alters auszu-
richten. Er stellt dabei die Chancen, die der demografi-
sche Wandel bietet, in den Mittelpunkt.

Man muss sich bewusst machen: Wir haben es mit ei-
ner historisch neuen Lebensphase zu tun. Jahrtausende-
lang war das Leben des Menschen im Grunde durch drei
Lebensphasen bestimmt: Da war die Kindheit und die
Jugend als erste Lebensphase, dann kam die Zeit der Be-
rufstätigkeit und des Kümmerns um die Familie, und
dann kam das Alter; aber das war ganz schnell von
Krankheit und Gebrechen geprägt. Als Bismarck die
Rentenversicherung eingeführt hat, lag die Lebens-
arbeitszeitgrenze bei 70 Jahren, die durchschnittliche
Lebenserwartung lag bei unter 60 Jahren. Die Phase, die
wir das junge Alter nennen, also die Lebensphase zwi-
schen 65 und 85 Jahren, ist etwas Neues, das es in der
Geschichte der Menschheit so noch nicht gab. Die meis-
ten Menschen erreichen glücklicherweise gesundheitlich
relativ fit ein hohes Alter und haben sich viel Erfahrung,
Wissen und Gelassenheit angeeignet, die ein langes Le-
ben schenkt. Das ist ein riesiger Schatz für unsere Ge-
sellschaft. Wir stehen noch am Anfang bei dem Versuch,
diesen Schatz zu heben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb – das unterstreicht der Antrag der Koalitions-
fraktionen –: Wir brauchen die Erfahrung und die Tat-
kraft älterer Menschen in der Familie, in der Arbeitswelt
und im Ehrenamt. Schauen wir einmal in die Familie.
Die meisten Menschen erleben doch, dass der Zusam-
menhalt in den Familien, insbesondere der Zusammen-
halt zwischen den Generationen, riesengroß ist, trotz
Scheidungen und trotz Mobilität. Letzteres gibt es, aber
dennoch: Wenn es darauf ankommt, dann halten in den
meisten Fällen die Generationen zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zum Beispiel spielen die Großeltern eine riesige Rolle
bei der Betreuung der Enkelkinder und damit auch bei
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der mittleren
Generation.


(Zuruf von der SPD)






Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)


– Krippen können keine Großeltern ersetzen. Das ist nun
einmal nicht so einfach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb wollen wir den Zusammenhalt in den Familien
durch die Einführung einer Großelternzeit stärken. Wir
wollen auch berufstätigen Großeltern die Möglichkeit
geben, sich um die Betreuung der Enkel zu kümmern.

Umgekehrt: Zwei Drittel der 2,3 Millionen pflegebe-
dürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause in
ihren Familien gepflegt. Sie werden vom Partner und
den eigenen Kindern gepflegt. Deshalb haben wir mit
der Einführung der Familienpflegezeit zum 1. Januar
2012 die Familie als Verantwortungsgemeinschaft ge-
stärkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein weiterer Punkt. Der Bundesfreiwilligendienst ist
ein riesiger Erfolg. Was gab es doch für Katastrophen-
szenarien und Skepsis? Jetzt stellen wir fest: Fast
20 Prozent der Bufdis, die wir in Deutschland haben,
sind über 50 Jahre alt. Der Schreinermeister im Ruhe-
stand geht in die Kitas und Kindergärten und baut mit
den Kindern Vogelhäuser, die pensionierte Grundschul-
lehrerin kümmert sich um Kinder mit Migrationshinter-
grund und hilft ihnen bei den Hausaufgaben. Das ist ein
Riesengewinn für unsere Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten uns aber dessen bewusst sein – da bin ich
bei Ihnen, Frau Crone –, dass es in der Seniorenpolitik
nicht nur um die Generation 60 plus geht; denn die Alten
von morgen sind die Jungen von heute. Deshalb brau-
chen wir eine vorsorgende Seniorenpolitik, zum Beispiel
auch, wenn es um die Folgen familienbedingter Auszei-
ten und Teilzeitphasen im Beruf geht. Dafür zahlen im
Rentenalter insbesondere die Frauen. Ihre Alterseinkom-
men liegen im Moment rund 60 Prozent unter denen der
Männer.

Deswegen heißt vorsorgende Seniorenpolitik auch,
bei den Ursachen dafür anzusetzen, die früher im Leben
liegen.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich gespannt!)


Ich mache mir zum Beispiel Sorgen über das Ausufern
von Minijobs.


(Beifall der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


Für Studenten und Rentner haben Minijobs ihre Berech-
tigung, aber für Mütter entwickeln sie sich oft zu einer
Sackgasse, die zu Altersarmut führt. Deshalb halte ich
auch nichts davon, dem Drängen der Arbeitgeber nach-
zugeben, die nach einer weiteren Flexibilisierung rufen.
Wir müssen hier sehr genau gucken, welche Anreize wir
setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch im Arbeitsrecht gibt es Regelungen, für die
Frauen erst mit schlechteren beruflichen Chancen, dann
mit schlechteren Einkommen und schließlich mit niedri-
geren Renten bezahlen. Deshalb brauchen wir zum Bei-
spiel endlich mehr Möglichkeiten, flexibel zwischen
Vollzeit und Teilzeit, insbesondere auch von Teilzeit
wieder in Vollzeit, zu wechseln. Das sind Beispiele für
eine vorsorgende Politik für die Lebensphase Alter.

Beides gehört in der Seniorenpolitik zusammen: eine
Politik, die die Vielfalt des Alters berücksichtigt, und
eine Politik, die die Vielfalt des Älterwerdens berück-
sichtigt. Da ist es ein bisschen wie mit der gesundheits-
bewussten Lebensweise: Man muss früh damit anfan-
gen. Auch daran sollten wir denken, wenn es um
Teilhabechancen für ältere Menschen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909300

Jetzt hat Sabine Bätzing-Lichtenthäler das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sabine Bätzing (SPD):
Rede ID: ID1717909400

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vielleicht
hätten Sie weniger Bücher und dafür mehr Gesetzent-
würfe für eine bessere Politik für ältere Menschen
schreiben sollen.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)


Denn zu dem, was uns hier vorliegt, muss man wohl sa-
gen: Fehlanzeige! Auch beim Thema Alter klaffen
Wunsch und Wirklichkeit in der Koalition wieder einmal
auseinander.

So habe ich im schwarz-gelben Koalitionsvertrag zu
diesem Thema drei konkrete Vorhaben für diese Legisla-
turperiode gefunden, erstens eine breit angelegte Initia-
tive zum Thema „Alter neu denken“. – Okay. Nur, was
haben wir bekommen? Bekommen haben wir das Pro-
gramm „Altersbilder“, mitnichten eine breite Initiative
und mitnichten neues Denken. Zweitens ist da die Inno-
vationspartnerschaft „Gesundheit im Alter“. Was haben
wir bekommen? Ein „Pflegereförmchen“. Drittens
wurde das Gesetz zur Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements angekündigt. Davon ist weit und breit
überhaupt nichts zu sehen.

Dieses Vorgehen erinnert mich an das Motto: Vor-
wärts, liebe Freunde, wir gehen zurück! – Damit ist
keine gute Politik für ältere Menschen zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das einzige, was man findet, sind Plagiate, wie etwa Ihr
Antrag zu den Potenzialen des Alters. Es ist nicht das
erste Mal, dass Sie damit auffallen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber
über die Potenziale des Alters und die neuen Altersbilder
sprechen. Lebenserfahrung, Berufserfahrung und erwor-
bene Kompetenzen, das sind die Potenziale älterer Men-





Sabine Bätzing-Lichtenthäler


(A) (C)



(D)(B)


schen. Potenziale fallen aber niemandem in den Schoß,
Potenziale sind erarbeitet, und man muss sie wecken,
fördern, hegen und pflegen. Gleichzeitig darf man sie
aber auch nicht überstrapazieren. Denn ältere Menschen
wollen zwar weiterhin gebraucht, aber nicht missbraucht
oder aufgebraucht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das wissen wir!)


Für uns bedeutet das erstens: Bürgerschaftliches En-
gagement ist und bleibt freiwillig und lässt Kreativitäts-
und Handlungsspielräume für die Helfer. Zweitens setzt
bürgerschaftliches Engagement eine soziale Absiche-
rung voraus, das heißt gute Renten basierend auf guten
Löhnen, abgesichert durch einen echten Mindestlohn.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Drittens setzt bürgerschaftliches Engagement Zeit vo-
raus. Das heißt weniger Zeitdruck für Schülerinnen und
Schüler, Berufsanfänger und Eltern sowie kreative Ideen
für Zeitspenden von älteren Menschen.

Viertens hilft bürgerschaftliches Engagement gegen
Einsamkeit. Das heißt, wir dürfen Kranke und ältere
Menschen mit ihren Sorgen und Hoffnungen nicht allein
lassen. Das hilft Helfern und Geholfenen und ist Mar-
kenzeichen für eine soziale Gesellschaft. Deswegen
brauchen wir soziale Netzwerke und dürfen diese wie
zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“ nicht ka-
puttsparen. Aber auch da haben wir keinen Widerspruch
von der zuständigen Ministerin gehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Das kennt sie wahrscheinlich gar nicht! Das ist das erste Mal, dass sie davon gehört hat!)


Schließlich fünftens. Bürgerschaftliches Engagement
verdient Respekt und Anerkennung. Da sind wir uns,
glaube ich, hier im Haus alle einig.

Die Organisation von freiwilligem Engagement vor
Ort zur Erschließung der Potenziale ist aber alles andere
als ein Selbstläufer. Dafür müssen wir vor allem die Zu-
gänge organisieren. Gebraucht werden Information, Be-
ratung und Vernetzung. Dafür muss selbstverständlich
auch Geld in die Hand genommen werden. Da es um ei-
nen gesamtgesellschaftlichen Gewinn geht, muss auch
klar sein, dass Kommunen, Länder und Bund gemein-
sam gefragt sind.

So wie es ein Miteinander in der Politik geben muss,
um die Potenziale des Alters auszuschöpfen, so braucht
es auch ein Miteinander der Generationen, damit sich
diese Potenziale entfalten können.

Gerade älteren Menschen liegt das besonders am Her-
zen. Ein besseres Miteinander der Generationen könnte
dazu beitragen, Zeitdruck von jüngeren Menschen zu
nehmen und älteren Menschen neue Betätigungsfelder
zu geben. Die Potenziale des Alters kämen hier wunder-
bar zum Tragen, etwa durch verschiedene Patenschaften
in Schule, Familie oder Wohnumfeld.

Meine Kolleginnen und Kollegen, es kommt nicht da-
rauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden.

Deshalb lassen Sie uns die Potenziale des Alters er-
schließen. Ihre Vorhaben im Koalitionsvertrag ließen
Hoffnung aufkeimen, in der Realpolitik wurde diese je-
doch jäh zerstört.

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, liefern
Sie endlich!

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Das war ein Plagiat!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909500

Paul Lehrieder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1717909600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich darf zunächst meiner Freude da-
rüber Ausdruck verleihen, dass die Frauenquote im Prä-
sidium des Bundestages heute in herausragender Weise
erfüllt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die jungen Arbeitnehmer können vielleicht schneller
laufen, Frau Marks, aber die alten kennen die Abkür-
zung. – Herr Müntefering, ich wollte Sie gerade loben,
aber jetzt gehen Sie hinaus. – Ein Beispiel für diese
Weisheit haben wir in den Reihen der SPD mit unserem
ehemaligen Arbeitsminister Franz Müntefering. Franz
Müntefering ist laut Kürschners Volkshandbuch zu Be-
ginn dieses Jahres 72 Jahre alt geworden. Er war schon
deutlich über 65 Jahre, als er in seiner Weisheit erkannt
hat: Von den gewonnenen Lebensjahren müssen wir ei-
nen Teil im Arbeitsleben verbringen. – Dass er den Kon-
flikt mit Teilen seiner Partei auf sich genommen hat und
das Arbeiten bis 67 auf den Weg gebracht hat, dafür
wollte ich ihm an dieser Stelle, auch als damaliger Part-
ner in der Großen Koalition, ausdrücklich noch einmal
danken. Es gerät doch schnell in Vergessenheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Kollegin Marks hat ausgeführt: Die Beschäfti-
gungsquote bei den Älteren lässt noch zu wünschen üb-
rig. – Frau Kollegin Marks, Politik beginnt mit dem Be-
trachten der Realität. Im Jahr 2000 lag die
Beschäftigungsquote bei den 60- bis 65-Jährigen bei
22,2 Prozent. Im Jahr 2010 lag sie bei 44,2 Prozent. Die
Beschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen hat sich in
diesen zehn Jahren also verdoppelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Die ist immer noch schlecht!)


Das liegt zum einen am Auslaufen der 58er-Rege-
lung; das ist richtig. Bis vor wenigen Jahren gab es diese
– damals sicherlich vernünftige – Regelung, mit der wir
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt ha-
ben: Mit 58 Jahren brauchen wir dich nicht mehr so nö-





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


tig am Arbeitsmarkt. – Wir werden aber in Zukunft die
Potenziale älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch
in den Unternehmen stärker benötigen. Es gibt Experti-
sen, die genau belegen, dass ein vernünftiger Mix von
Jungen und Alten in einer Belegschaft das betriebswirt-
schaftliche Ergebnis eines Unternehmens am besten stei-
gern kann, dass dieser Mix die höchste Effizienz bringt.
Darum werden wir in Zukunft unsere älteren Mitbürge-
rinnen und Mitbürger im Berufsleben, solange sie fit
sind, brauchen. Daran arbeiten wir, Frau Kollegin
Marks. Es wäre gut gewesen, Sie hätten einmal mit ihren
Arbeitsmarktpolitikern gesprochen. Wir diskutieren über
Prävention.


(Caren Marks [SPD]: Sie diskutieren! Aber Sie machen nichts!)


– Wir machen schon etwas, liebe Frau Kollegin. Fragen
Sie doch einmal Frau Kramme. Wir haben das Pro-
gramm „INQA – Initiative Neue Qualität der Arbeit“.


(Caren Marks [SPD]: Abgebaut haben Sie das!)


Das heißt, wir machen uns sehr wohl Mühe, zu errei-
chen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger bis
zum Alter von 65 Jahren oder 67 Jahren – und natürlich
darüber hinaus – gesund im Berufsleben stehen. Diese
Aufgabe wird in Zukunft noch wichtiger werden.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nennen Sie mal die Erwerbstätigenquote!)


– Die habe ich doch gerade genannt, Herr Kollege
Wunderlich. Sie kommen hierher und fordern mich auf,
die Erwerbstätigenquote zu nennen. Wenn Sie mir zuge-
hört hätten, würden Sie sie kennen.

Jetzt, im Jahr 2012, liegt die Beschäftigtenlücke be-
reits bei über 1 Million. Das heißt, 1 Million zusätzliche
Arbeitsplätze kann in Deutschland geschaffen werden.
Wir werden in Zukunft auf vier Baustellen tätig sein
müssen: Wir werden die Beschäftigtenquote der Frauen
etwas erhöhen müssen; da stehen wir im internationalen
Vergleich noch nicht allzu gut da. Wir werden aber auch
die Beschäftigtenquote der Älteren in den Unternehmen
erhöhen müssen, und zwar durch Vermittlung von Wert-
schätzung der Älteren. Wir werden die Beschäftigten-
quote der bei uns lebenden Migranten mit Deutschkennt-
nissen verbessern müssen. Außerdem werden wir
überlegen müssen, wie wir noch Beschäftigtenpotenziale
im Ausland für uns gewinnen können. – Eine dieser vier
Stellschrauben unserer zukünftigen Berufswelt wird aber
die Beschäftigung unserer älteren Mitbürgerinnen und
Mitbürger, sofern sie fit sind, sein.

Noch etwas: Wir sind bei der Beschäftigtenquote der
55- bis 65-Jährigen nicht so schlecht, wie Sie, Frau
Marks, ausgeführt haben. Die Schweden liegen in die-
sem Bereich mit 70,5 Prozent an der Spitze. Die Be-
schäftigungsquote in Deutschland liegt bei 57,7 Prozent.
Der EU-Durchschnitt liegt bei 46,3 Prozent. Frankreich
liegt bei 39,7 Prozent. Ich glaube, beschäftigungspoli-
tisch werden wir von den Franzosen nicht viel lernen
können, auch wenn Sie, Frau Dittrich, Gegenteiliges ver-
mitteln wollen.

„Hurra, wir werden älter“, so lautete die Überschrift
des Leitartikels des Hamburger Abendblatts vom 4. Mai,
also vor wenigen Tagen. Dass wir älter werden, ist – ich
habe es bereits ausgeführt – tatsächlich ein Grund zur
Freude. Die gewonnenen Lebensjahre sind ein Geschenk
für die ganze Gesellschaft. Wenn heute, am 11. Mai
2012, ein Kind geboren wird, hat es eine 50-prozentige
Chance, 100 Jahre alt zu werden. Derzeit leben in unse-
rem Land bereits 17 Millionen Menschen, die älter als
65 Jahre sind. Diese Zahl dürfte in den kommenden Jah-
ren steigen. Experten schätzen, dass im Jahr 2020 gut ein
Drittel der 80 Millionen Deutschen zur Generation
65 plus gehören wird. Bis zum Jahr 2040 wird sich die
Zahl der über 80-Jährigen auf mehr als 8 Millionen ver-
doppeln.

Noch vor 50 Jahren sind viele Menschen bereits vor
dem Eintritt in das Rentenalter gestorben – Frau Ministe-
rin hat in ihrer Rede bereits darauf hingewiesen –; die
durchschnittliche fernere Lebenserwartung eines 65-Jäh-
rigen betrug etwa zwei Jahre. Wer heute in Rente geht,
hat oft noch gut 20 Jahre vor sich. Statistisch gesehen ist
die Lebenserwartung zuletzt Jahr für Jahr um drei Mo-
nate gestiegen.

Ich glaube, die Potenziale des Alters sollten wir ge-
meinsam, parteiübergreifend positiv bewerten. Im Übri-
gen sollten Bufdis keine Zwangsarbeit für Ältere leisten.
Es gibt sehr viele engagierte Senioren – ich kenne wel-
che aus meinem Wahlkreis –, die froh sind, wenn sie sich
in der Gesellschaft einbringen können, die froh sind, ver-
mittelt zu bekommen: Ich werde noch gebraucht. – Sie
arbeiten ehrenamtlich mit.

Frau Ministerin Schröder hat sehr zutreffend darauf
hingewiesen: Viele Großeltern sind froh, dass sie mit
den Enkeln die Zeit verbringen können, die sie, viel-
leicht bedingt durch eine Berufstätigkeit, für die eigenen
Kinder nicht hatten. Das ist ein Ausdruck von Lebens-
qualität. Diesen positiven Ansatz fortzuentwickeln ist
des Schweißes aller Edlen und Gerechten wert. Lassen
Sie uns gemeinsam daran arbeiten!

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 17/9504. Der Aus-
schuss empfiehlt in Kenntnis des Sechsten Berichts der
Bundesregierung zur Lage der älteren Generation auf
Drucksache 17/3815 unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8345 mit
dem Titel „Altersbilder positiv fortentwickeln – Poten-
ziale des Alters nutzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung
von CDU/CSU und FDP angenommen. Dagegen waren





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


SPD und Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben sich ent-
halten.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2145 mit dem Titel
„Potenziale des Alters und des Alterns stärken – Die
Teilhabe der älteren Generation durch bürgerschaftliches
Engagement und Bildung fördern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustim-
mung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Da-
gegen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gestimmt. Die Linke hat sich enthalten.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9596. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abge-
lehnt; alle übrigen Fraktionen waren dagegen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana
Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Für eine moderne und zukunftsweisende Fa-
milienpolitik

– Drucksachen 17/6915, 17/9551 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel)

Caren Marks
Nicole Bracht-Bendt
Jörn Wunderlich
Katja Dörner

Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Die Kollegin Ewa Klamt hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])



Ewa Klamt (CDU):
Rede ID: ID1717909800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir diskutieren heute über den Antrag der Lin-
ken mit dem Titel „Für eine moderne und zukunftswei-
sende Familienpolitik“.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein guter Titel!)


Ein schöner Titel, aber bei genauerem Hinschauen stellt
man fest, dass der Antrag im Wesentlichen eine bunte
Vielfalt an „Wünsch dir was“-Punkten, schillernden
Ideen und abstrusen Vorwürfen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


So wirft die Linke der Bundesregierung vor, den Aus-
bau der Kinderbetreuung nicht ernst zu nehmen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Wir haben bereits gestern in der Aktuellen Stunde da-
rüber diskutiert. Auch durch Wiederholung wird Ihre
Behauptung nicht wahrer. Der Bund ist seiner Verant-
wortung beim Ausbau vollumfänglich gerecht gewor-
den.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Obwohl er das gar nicht musste!)


Beim Krippengipfel 2007 haben sich Bund, Länder
und Kommunen an einen Tisch gesetzt und gemeinsam
Ausbaukosten von 12 Milliarden Euro veranschlagt.
Jede Ebene hat dabei zugesagt, jeweils ein Drittel der
Kosten zu übernehmen.


(Caren Marks [SPD]: Das ist teurer geworden!)


Die zugesagten 4 Milliarden Euro hat der Bund ebenso
bereitgestellt, wie wir zu den Betriebskostenzuschüssen
von 770 Millionen Euro jährlich ab 2014 stehen. Egal
wie oft Sie die Forderung wiederholen, der Bund solle
weitere Krippenplätze bauen: Zuständig sind hierfür die
Länder und Kommunen. Für die Finanzausstattung der
Kommunen sind wiederum die Länder zuständig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP] – Caren Marks [SPD]: Und der Bund!)


Ergänzt wird die Finanzierung des Ausbaus der Krip-
penplätze durch das Aktionsprogramm Kindertages-
pflege. Mit diesem werden der Platzausbau in der Kin-
dertagespflege und die Weiterbildung von Tageseltern
mit 29 Millionen Euro unterstützt. Über das Programm
konnte beispielsweise der Anteil der Tagespflegeperso-
nen ohne Qualifikationskurs immerhin auf 14 Prozent
gesenkt werden. Mit der Qualifizierungsinitiative für
Deutschland haben wir seit 2008 zusätzlich 80 000 Er-
zieherinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und Tages-
väter weitergebildet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die „Offensive Frühe Chancen“ ergänzt unsere Fami-
lienpolitik im Bereich der Sprachförderung von Kindern.
Hier werden bis 2014 rund 400 Millionen Euro zur Ver-
fügung gestellt, um in etwa 4 000 Kitas in Deutschland
auf Kinder mit besonderem Sprachförderbedarf ein-
zugehen. Das bedeutet für jede Kita vier Jahre lang
25 000 Euro für eine Fachkraft. Ich selbst habe mehrere
Schwerpunktkitas in meinem Wahlkreis. Die Erzieherin-
nen vor Ort sind voll des Lobes und der Anerkennung
für diese Leistung des Bundes, die direkt den Kindern
zugutekommt, die sie brauchen.

Interessant ist auch der Vorwurf der Linken, dass die
Bundesregierung an alten Rollenbildern festhalte. Da
kann ich nur sagen: Im Gegensatz zu Ihnen respektieren
wir individuelle Lebensentwürfe und Wertevorstellun-





Ewa Klamt


(A) (C)



(D)(B)


gen von Familien und orientieren uns an den vielen spe-
zifischen Bedürfnissen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ah ja!)


Dementsprechend verstehe ich unter einer modernen Fa-
milienpolitik, dass wir die vielfältigen und auch sehr un-
terschiedlichen Bedürfnisse von Familien in Deutsch-
land anerkennen und entsprechend praktikable Lösungen
für Familien umsetzen. Im Gegensatz zu Ihnen sprechen
wir nicht nur für einen Teil der Familien; wir setzen uns
für alle ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für die Familien, die wohlhabend sind! Das ist das Problem!)


Herr Wunderlich, wenn Sie zugehört hätten, dann
wüssten Sie, dass wir uns entgegen Ihrem Zuruf, den die
Zuhörer wahrscheinlich nicht gehört haben, nicht nur für
die Wohlhabenden einsetzen. Es ist klar: Wenn wir ge-
rade für Kinder mit Migrationshintergrund 400 Millio-
nen Euro investieren, damit in Kitas entsprechende
Fachkräfte eingesetzt werden können, dann ist das eine
ganz andere Gruppe als eine wohlhabende. Das wissen
Sie genau.

Unstrittig ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Ursula
von der Leyen


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die wollen wir wiederhaben!)


hat 2005 diese vernachlässigte Aufgabe erstmalig zu ih-
rem Schwerpunktthema gemacht. Dazu gehören der
Ausbau der Kinderbetreuung und der Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz ab 2013 als wohl wichtigste Bestand-
teile der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Hier dürfte sogar die SPD klatschen; denn Sie haben es
in der Großen Koalition mit beschlossen.


(Christel Humme [SPD]: Aber seitdem ist ja nichts mehr passiert!)


– Es kann sein, dass in NRW nichts passiert ist. Auf
Bundesseite ist alles in die Wege geleitet worden.


(Christel Humme [SPD]: Herr Laschet war das! Er hat das nicht umgesetzt!)


Familienfreundlichkeit von Unternehmen gehört
ebenso dazu. Unsere Gespräche mit Arbeitgebern haben
unter anderem zu der Initiative „Familienbewusste Ar-
beitszeiten“ geführt. Die Gewinner des Wettbewerbs
„Erfolgsfaktor Familie“ sind ein guter Beweis dafür,
dass auch in der Wirtschaft das Bewusstsein für die
nötige Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf wächst. Dahinter steht die Erkenntnis, dass
Unternehmen nur gewinnen können, wenn sie die Be-
dürfnisse ihrer Mitarbeiter ernst nehmen und Familien-
verantwortung als wertvolle Bereicherung von Kom-
petenzen betrachten. Das wird gerade im Zuge des
Fachkräftemangels in den nächsten Jahren immer wich-

tiger. Familienfreundlichkeit ist ein entscheidender
Standortfaktor.

Was sich Familien wünschen und wo große Schwie-
rigkeiten auftreten, zeigt sich im Achten Familienbe-
richt, den Ministerin Kristina Schröder diese Woche im
Ausschuss vorgestellt hat. Zeit wird dabei als eine der
wertvollsten Ressourcen von Familien anerkannt. Um
diese Zeitsouveränität für Familien zu schaffen, sollen
verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten geprüft wer-
den, zum Beispiel die Förderung haushaltsnaher Dienst-
leistungen, die ausgeweitete Übertragbarkeit von Eltern-
zeitansprüchen oder auch die Großelternzeit. Ebenso
wichtig war uns, dass Frauen nach einer Babypause in
den Beruf zurückkehren können. Das vom Familienmi-
nisterium entwickelte Programm „Perspektive Wieder-
einstieg“ ist dabei so erfolgreich, dass es sogar in den In-
strumentenbaukasten der Bundesagentur für Arbeit
aufgenommen wurde. Vielen Dank, Frau Ministerin!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ihr Vorschlag, sehr geehrte Kollegen der Linken, lau-
tet hingegen, den Kündigungsschutz für Eltern bis zum
vollendeten sechsten Lebensjahr des Kindes auszuwei-
ten. Das ist schlichtweg kontraproduktiv.

Für uns ist entscheidend, junge Familien finanziell zu
unterstützen, und das haben wir entsprechend verstetigt
und ausgeweitet. Das von uns eingeführte Elterngeld
kann als voller Erfolg verbucht werden. 98 Prozent aller
Eltern nehmen diese Unterstützung des Staates in An-
spruch. Damit haben wir für Eltern nach der Geburt ei-
nes Kindes einen Schonraum geschaffen und konnten
gleichzeitig – darüber freue ich mich ganz besonders –
junge Väter motivieren, mehr Verantwortung bei der Er-
ziehung ihres Kindes zu übernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist interessant, dass bereits jeder vierte Vater seiner
Partnerin bei der Betreuung des gemeinsamen Kindes
zur Seite steht. Gleichzeitig werden insbesondere Frauen
motiviert, nach einer intensiven Kinderzeit wieder An-
schluss an das Berufsleben zu finden.


(Caren Marks [SPD]: Das Elterngeld haben wir übrigens in der Großen Koalition durchgesetzt!)


Auch Ihr Vorschlag zur Ausweitung des Elterngeldes auf
24 Monate für Alleinerziehende ist hier nicht zielfüh-
rend, weil dadurch der Wiedereinstieg zusätzlich er-
schwert wird.

Zur finanziellen Unterstützung von Familien gehört
neben dem Elterngeld in den ersten 12 bis 14 Monaten
auch das Kindergeld. Bereits zu Beginn dieser Legisla-
turperiode hat diese Koalition daher die Kinderfreibe-
träge auf 7 008 Euro erhöht und das Kindergeld um
20 Euro angehoben. Allein dadurch hat eine vierköpfige
Familie im Jahr 480 Euro mehr zum Leben.

Da aus unserer Sicht zur Familienpolitik auch eine ei-
genständige Jugendpolitik gehört, ist Familienministe-
rin Kristina Schröder hier vorangegangen und hat das
neue Politikfeld etabliert. Jugendliche in Deutschland





Ewa Klamt


(A) (C)



(D)(B)


sind in der großen Mehrheit engagierte und verantwor-
tungsbewusste junge Menschen. Das kann man auch am
Erfolg des Bundesfreiwilligendienstes ablesen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das haben die auch kaputtgeredet!)


10 Prozent aller Jugendlichen eines Jahrgangs beteiligen
sich deutschlandweit an den Freiwilligendiensten. Nur
zur Erinnerung: Von der Opposition wurde dieses Kon-
zept noch im letzten Jahr als Rohrkrepierer bezeichnet.
Ich kann also festhalten: Man kann alles schlechtreden;
wir machen es gut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Immerhin können wir einen Punkt Ihres Antrags voll
und ganz unterschreiben: Familie ist dort, wo Verant-
wortung füreinander übernommen wird. – Genau des-
halb haben wir neben all den anderen bereits genannten
Punkten mit der Familienpflegezeit erstmals die Mög-
lichkeit geschaffen, Verantwortung in der Familie und
Verantwortung im Beruf zu kombinieren.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Antrag der
Linken manch wünschenswerten Aspekt enthält; aber
– und dieses Aber ist entscheidend – es fehlt wie immer
eine Gegenfinanzierung Ihrer Vorschläge. Wir als christ-
lich-liberale Koalition werden auch in Zukunft Politik
für Familie machen und die nötigen Maßnahmen ergrei-
fen, Maßnahmen, die die Familien im Zusammenleben
unterstützen, die den Familien bei der Bewältigung ihres
Alltags helfen und die die individuellen Lebensentwürfe
von Familien respektieren und anerkennen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717909900

Jetzt hat Christel Humme das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1717910000

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen! Frau Klamt, man kann sich die Welt auch schönma-
len. Das haben Sie gerade getan.


(Ewa Klamt [CDU/CSU]: Nein, ich habe Ihnen nur die Realität geschildert!)


Ich glaube, noch nie gab es eine Regierung, die über Fa-
milienpolitik so zerstritten war wie die jetzige Regie-
rung. Noch nie hat es eine Regierung gegeben, Frau
Schröder, die nach der Halbzeit in der Familienpolitik
eine Minusbilanz aufzuweisen hatte. Sie haben wunder-
schöne Programme aufgelegt und Appelle formuliert,
aber keine einzige Entscheidung getroffen, die für eine
moderne, nachhaltige Familienpolitik gestanden hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: Die sind längst umgesetzt!)


Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
ist der Ansatz immer klar gewesen: Moderne, nachhal-
tige Familienpolitik ist ohne moderne nachhaltige
Gleichstellungspolitik nicht möglich. Das gilt natürlich
auch umgekehrt: Eine moderne Gleichstellungspolitik ist
ohne eine moderne Familienpolitik genauso wenig mög-
lich. – Erinnern wir uns an die gestrige Debatte zum Be-
treuungsgeld. Es steht weder für eine moderne Familien-
politik noch für eine moderne Gleichstellungspolitik,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie verstehen es halt nicht! Dann ist Ihnen auch nicht mehr zu helfen!)


wenn Sie das Betreuungsgeld einführen wollen. Ich
hoffe, das Betreuungsgeld kommt nicht, wie von Frau
Haderthauer und der CSU angekündigt, vor der Som-
merpause.

Die CSU-Sozialministerin Haderthauer beklagt, es
gebe in der CDU keine echten Familienpolitikerinnen
mehr. Recht hat sie. Recht hat sie jedoch nicht, wenn sie
mit dieser Aussage den verstaubten ideologischen
Kampf der 50er-Jahre wiederbeleben will. Das ist ein
ideologischer Kampf, den wir alle hier im Parlament
– davon bin ich überzeugt – schon längst überwunden
glaubten. Recht hat sie vor allen Dingen nicht, wenn sie
behauptet, das Betreuungsgeld fördere Wahlfreiheit. Das
ist ein Irrtum, dem offensichtlich viele von Ihnen unter-
liegen, leider auch die Ministerin.

Warum? Liebe Frau Klamt, Sie haben gerade gesagt,
dass Sie alle Familien gleichermaßen wertschätzen.
Schauen wir uns doch einmal an, was der Bund tatsäch-
lich für die Familien ausgibt. Er gibt jährlich mehr als
130 Milliarden Euro aus, 72 Milliarden Euro davon ge-
hen an Familien mit einem traditionellen Familienbild,
in denen der Vater der Ernährer ist und die Frau in der
Regel zu Hause bleibt.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So definieren Sie es!)


25 Milliarden Euro geben Bund, Länder und Kommunen
für die Betreuungsinfrastruktur aus. Ist das für Sie eine
gleichwertige Wertschätzung der beiden Lebensformen?
Ist es für Sie Wahlfreiheit, wenn wir auf der einen Seite
72 Milliarden Euro und auf der anderen Seite nur
25 Milliarden Euro ausgeben, obwohl wir alle wissen,
dass Familien mit Kindern Schlange stehen, um einen
Betreuungsplatz zu bekommen? Wo ist da die Balance?
Wo ist da die Wahlfreiheit?

Frau Ministerin Schröder, Sie haben uns gestern in
der Debatte vorgeworfen, wir seien nicht sensibel für die
Bedürfnisse junger Familien,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)


schließlich wollten 50 Prozent der Eltern gar keinen
Krippenplatz. Ich kann die Zahlen nicht nachprüfen; ich
weiß nicht, wo Sie die herhaben.


(René Röspel [SPD]: Wie üblich: Quellenloses Zitieren!)






Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)


Aber selbst wenn das stimmen sollte: Was machen Sie
denn mit den anderen 50 Prozent, die einen Krippenplatz
haben wollen? In den westlichen Ländern haben wir eine
20-prozentige Bedarfsdeckung. Es fehlen also immer
noch 30 Prozent, für die wir die 2 Milliarden Euro, die
Sie für das Betreuungsgeld vorgesehen haben, unbedingt
brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Schröder, ich muss leider feststellen: Sie sind
eine Familienministerin, die ein bisschen sehr weit von
der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen junger
Menschen entfernt ist.


(Zuruf von der FDP: Sie ist ganz nah dran! Näher dran als Sie!)


Hinzu kommt die Zerstrittenheit in Bezug auf das Be-
treuungsgeld. Ich befürchte, dass dies eine vertane
Chance für die jungen Menschen ist.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
sind drei Aspekte wichtig, wenn wir über unsere Ziele in
der Familienpolitik sprechen:


(Zuruf von der FDP: Nicht sprechen, handeln!)


Wir brauchen Geld, Infrastruktur und Zeit, um uns nah
an der Lebenswirklichkeit junger Familien zu orientie-
ren.

Lassen Sie mich als Beispiel meine Familie anführen.
Frau Schröder, ich habe Töchter in Ihrem Alter. Sie sind
27 und 30 Jahre alt. Sie sind also in einem Alter, in dem
die Entscheidung ansteht, ob man eine Familie gründen
möchte. Meine Töchter gehören wie Sie zu der Genera-
tion von Frauen, die eine Ausbildung bzw. ein Studium
absolviert haben und den erlernten Beruf auch ausüben
wollen. Wer möchte ihnen das verwehren? Sie möchten
natürlich ein existenzsicherndes Einkommen, weil sie
wissen, dass sonst unter Umständen Altersarmut droht.
Meine Töchter gehören zu den 80 Prozent der jungen
Frauen, über die Jutta Allmendinger im Zuge einer Stu-
die aus dem Jahr 2008 einmal gesagt hat: Diese Frauen
wollen Kinder, Karriere und einen Mann, aber keinen
Versorger. – Ich möchte hinzufügen: Sie haben ihr Buch
nicht für Frauen wie meine Töchter geschrieben. Zumin-
dest stelle ich fest, dass sich meine Töchter von Ihrem
Buch nicht angesprochen gefühlt haben.

Es liegt doch auf der Hand: Junge Frauen wie meine
Töchter brauchen einen guten Betreuungsplatz für ihre
Kinder, um ihren Beruf weiter ausüben und so ihr Fami-
lieneinkommen sichern zu können. Was sollen die mit
dem Betreuungsgeld anfangen? Überhaupt nichts. Hier
wird deutlich, wie weit Sie sich mit Ihrer Politik von
dem entfernt haben, was sich die jungen Menschen wün-
schen. Im Moment bieten Sie auf Bundesebene keine
einzige Lösung an, wie den jungen Frauen in irgendeiner
Weise Unterstützung gewährt werden kann.

Ein Wort zu Ihnen, Frau Klamt. Sie vertun sich: Wir
haben damals bei den Verhandlungen zum Koalitions-
vertrag die Einführung des Elterngeldes und der Eltern-
zeit durchgesetzt,


(Caren Marks [SPD]: Gegen große Widerstände aus der Union! – Gegenruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, Quatsch!)


und darüber sind wir froh; denn mittlerweile beteiligen
sich 25 Prozent der Väter an der Familienarbeit, was
aber auch heißt, dass sich 75 Prozent der Väter nicht be-
teiligen. Wir waren immer für mehr Partnerschaftlichkeit
in der Elternzeit.

Frau Schröder, auch Sie wollten es anfangs ermögli-
chen, die Elternzeit partnerschaftlich aufzuteilen, und
zwar nicht für 7 Monate, wie es jetzt der Fall ist, sondern
für 14 Monate. Leider sind Sie vor dem Finanzminister
eingeknickt. Sie haben sich nicht durchsetzen können.
Es reicht auch nicht aus, zu appellieren, dass die Mög-
lichkeit, von Teilzeit auf Vollzeit zu gehen, verbessert
werden sollte. Wir sind der Meinung, dass wir dafür eine
gesetzliche Lösung brauchen. Ich denke, Sie sollten sich
einmal mit der ehemaligen Familienministerin Frau von
der Leyen zusammensetzen. Sie sollten mit ihr sprechen
und gemeinsam einen Entwurf eines neuen, besseren
Teilzeit- und Befristungsgesetzes auf den Tisch legen,
das Familien hilft. Es muss möglich sein, befristet teil-
zeitbeschäftigt zu sein mit dem Recht, später wieder
Vollzeit zu arbeiten. Ich denke, das sind konkrete Lösun-
gen, und darum geht es doch eigentlich.


(Beifall bei der SPD)


Der Arbeitsmarkt tut natürlich sein Übriges. Ich
denke an meine Töchter. Sie haben einen Arbeitsmarkt
vor sich, auf dem es Teilzeitfallen, Praktika, befristete
Arbeitsverträge und Minijobs gibt. Und wir wundern
uns, dass die Familiengründung immer weiter hinausge-
schoben wird? Ich denke, auch an dieser Stelle brauchen
wir gesetzliche Regelungen, auch ein Entgeltgleichheits-
gesetz, damit Männern und Frauen gleicher Lohn für
gleiche Arbeit gezahlt wird. Die Rahmenbedingungen
auf dem Arbeitsmarkt müssen für Familien stimmen.

Die Linken haben einen Antrag vorgelegt, in dem vie-
les von dem, was ich gerade genannt habe, aufgegriffen
wird. Wir stimmen dem Antrag trotzdem nicht zu.
Manchmal fordert man vielleicht zu viel des Guten. Ich
möchte nur zwei Beispiele nennen: Sie möchten den
Kündigungsschutz bis zum sechsten Lebensjahr des Kin-
des ausweiten – das hört sich super an –, und Sie möch-
ten, dass die Alleinerziehenden 24 Monate lang Eltern-
geld beziehen; auch das hört sich super an. Beides ist
aber eine Falle. Die eine Falle ist, dass Frauen aufgrund
des Kündigungsschutzes keine Anstellung finden. Die
andere Falle ist: Wenn man zu lange aus dem Beruf he-
raus ist, findet man den Anschluss nicht mehr.

Von daher sagen wir: Gute Bildung und Betreuung,
gute Arbeit, Zeit für Familien, und zwar für Frauen und
Männer – das ist die richtige Politik, das ist moderne Fa-
milienpolitik und gleichzeitig moderne Gleichstellungs-
politik.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717910100

Jetzt hat Miriam Gruß das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1717910200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Wunderlich, Sie haben im Familienaus-
schuss über den Antrag gesagt, das sei ein bunter Strauß
an Forderungen der Familien-, Frauen-, Gesundheits-
und Pflegepolitik. Ich muss Ihnen leider attestieren: Der
Strauß ist nicht bunt, sondern rot und vor allem teuer.


(Beifall der Abg. Ewa Klamt [CDU/CSU])


Ich will nur einige Punkte aus diesem „Wünsch dir
was“-Katalog nennen – sie sind schon angesprochen
worden –: gebührenfreie Ganztagsbetreuung, Elterngeld
für Alleinerziehende auf 24 Monate ausweiten, Kinder-
geld auf 200 bis 300 Euro erhöhen und natürlich ein
Mindestlohn in Höhe von mindestens 10 Euro pro
Stunde. Ja, ich gebe zu, dass man in der Opposition den
Vorteil hat, dass man nicht alles mit spitzem Bleistift
rechnen muss. Das, was Sie verlangen, geht aber in den
zweistelligen Milliardenbereich, und das hat nichts mit
seriöser Familienpolitik zu tun;


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn seriöse Familienpolitik bedeutet auch, darauf zu
achten, welche Schulden wir den nächsten Generationen
hinterlassen. Die Realisierung Ihrer Forderungen hätte
einen Schuldenaufbau zur Folge. Ich glaube, dass Ihren
Haushaltspolitikern die Schamesröte ins Gesicht gestie-
gen ist, als sie diesen Antrag im Haushaltsausschuss ver-
teidigen mussten. Sie haben damit jede Glaubwürdigkeit
verloren. Sie sollten kein einziges Mal mehr über den
Abbau der Neuverschuldung sprechen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt kommt mein Lieblingssatz: Auf Schuldenbergen
können Kinder nicht spielen und erst recht nicht lernen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Deshalb haben Sie die Hoteliers entlastet! Damit der Schuldenberg nicht wächst!)


Dieser Satz stimmt. Das, was Sie fordern, würde zu ei-
nem höheren Schuldenberg führen. Wir hingegen ma-
chen uns an den Abbau der Neuverschuldung. Wir inves-
tieren klug und gerecht.

Wir haben investiert. Wir haben das Kindergeld und
die Kinderfreibeträge erhöht. Wir geben 4 Milliarden Euro
für den Ausbau der Betreuungsplätze aus. Wir haben ein
Kinderschutzgesetz, Strukturen für Familienhebammen
und das Netzwerk Frühe Hilfen geschaffen. Wir haben
die Familienpflegezeit eingeführt. Wir schaffen mit dem
Frauenhilfetelefon eine Infrastruktur zum Schutz von
Frauen. Wir haben in den Haushalt Mittel zur Verbesse-
rung von Kinderwunschbehandlungen eingestellt. Wir
gestalten den Elterngeldvollzug unbürokratischer. Wir

tun dies alles mit Vernunft und Augenmaß, aber auch mit
Blick auf den Haushalt.

Die Bundesrepublik ist kein Li-La-Launeland und der
Haushalt kein „Wünsch dir was“-Fonds. Mit Realpolitik
hat Ihr Antrag nichts zu tun. Deswegen wird er von uns
klar abgelehnt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717910300

Jörn Wunderlich hat das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717910400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Hier wurde herausgehoben, was diese Koalition gemacht
hat, zum Beispiel die Erhöhung des Kindergeldes. Das
ist ja schön. Aber was hat eine Familie im Hartz-IV-Be-
zug von der Erhöhung des Kindergeldes? Nichts, weil es
voll angerechnet wird.


(Ewa Klamt [CDU/CSU]: Nein! Die werden voll und ganz unterstützt!)


Was hat eine Alleinerziehende, die Unterhaltsvorschuss
bezieht, von der Kindergelderhöhung? Nichts, weil der
Unterhalt voll gegengerechnet wird. – So viel zur Wert-
schätzung aller Familien.

Ich habe vier Minuten Redezeit. Wie soll man in vier
Minuten eine Neuausrichtung der Familienpolitik dar-
stellen?


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Du schaffst das!)


Ich will mich auf wenige Punkte beschränken. Ich wäre
schon froh, wenn die Regierung nur einen – ich wieder-
hole: nur einen – der von uns beantragten Punkte auf-
greifen würde. Hauptsache, sie fängt überhaupt einmal
an.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Dagmar Ziegler [SPD]: Keine Chance!)


Zu Punkt 1 unserer Forderungen: einem gesetzlichen
Mindestlohn und Arbeitsbedingungen, welche familien-
freundlich gestaltet sind. Ich nenne ein Beispiel – es ist
hier angesprochen worden –: Man kann in einem Betrieb
Pflegezeit beantragen, wenn zum Beispiel ein Elternteil
pflegebedürftig wird. Einen Rechtsanspruch auf diese
Pflegezeit – vergleichbar mit der Elternzeit – gibt es aber
nicht. Hier soll – so ist es am Mittwoch gesagt worden –
abgewartet werden, wie sich die Inanspruchnahme von
Pflegezeit auf freiwilliger Basis entwickelt.

Wir brauchen ein individuelles Recht auf Teilzeitar-
beit mit Rückkehr in die Vollzeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch der besondere Kündigungsschutz bis zur Einschu-
lung des Kindes oder bis zur Vollendung des sechsten





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Lebensjahres des Kindes – in diesem Alter werden die
meisten Kinder eingeschult –, der hier kritisiert wird, ist
erforderlich. Das heißt ja nicht, dass diesen Eltern nicht
gekündigt werden kann. Es wird übrigens immer nur von
Müttern gesprochen; Väter sind auch Elternteile.


(Caren Marks [SPD]: Wohl wahr!)


Ihnen kann gekündigt werden, aber es müssen besondere
Gründe vorliegen. Die Arbeitszeit ist insgesamt so zu
gestalten, dass Väter und Mütter die Möglichkeit haben,
neben der Elternschaft auch einer Erwerbstätigkeit nach-
zugehen. Darüber hinaus brauchen wir eine Infrastruktur
für Familien, Kinder und Jugendliche. Wir brauchen zu-
nächst eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige Kin-
derganztagsbetreuung.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Elterngeld ist auszubauen, sowohl hinsichtlich
der Partnermonate als auch hinsichtlich der Teilzeit-
arbeitsmöglichkeiten. Dazu wird sich in Kürze hier im
Haus Gelegenheit ergeben. Mal sehen, ob die Koalition
dann ihrem eigenen Koalitionsvertrag und dem einhelli-
gen Sachverstand aller Sachverständigen folgen wird.

Ganz wichtig: Der Unterhaltsvorschuss ist auszu-
bauen. Ich habe es gerade schon gesagt. Die maximale
Bezugsdauer von 6 Jahren ist mit nichts zu begründen,
und auch die Altersobergrenze von 12 Jahren nicht. Es
waren einmal 14 Jahre als Obergrenze geplant; dies ist
von der Koalition wieder zurückgenommen worden. Er-
klären Sie einmal einer alleinerziehenden Mutter oder ei-
nem alleinerziehenden Vater, bei denen der Unterhalt
ausfällt, warum das Amt ab dem 13. Lebensjahr des Kin-
des keinen Unterhaltsvorschuss mehr zahlt. Braucht ein
Kind ab 13 Jahren kein Essen, keine Schulbücher, keine
Kleidung und keine Teilhabe? Das erklären Sie einmal
den Menschen, die täglich damit zu tun haben.

Das Totschlagargument der gelb-schwarzen Koali-
tion, das immer genannt wird, lautet: Wünsch dir was,
wer soll das alles bezahlen? Ich werde es Ihnen sagen.
Bei Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro pro
Stunde – dies wird im Antrag erwähnt – würde sich nach
Berechnungen des Prognos-Instituts durch höhere So-
zialversicherungsbeiträge, höhere Steuereinnahmen und
geringere Sozialausgaben ein fiskalischer Gesamteffekt
von 12,7 Milliarden Euro ergeben. 12,7 Milliarden Euro
plus! Dieses Geld verschleudert die Regierung allein
durch ihr Nichtstun. Für den Kitaausbau sollte der Bund
nach unserer Überzeugung 4 Milliarden Euro zusätzlich
in die Hand nehmen. Bleiben 8,7 Milliarden Euro übrig.
Die Rücknahme der Kürzung des Elterngelds würde
600 Millionen Euro kosten. Bleiben etwa 8,1 Milliarden
Euro übrig. Für den Kinderzuschlag sind 3,2 Milliarden
und für die Aufstockung des Mindestelterngelds 2,3 Mil-
liarden Euro notwendig. Bleiben unter dem Strich rund
2,5 Milliarden Euro übrig.

Wenn die Regierung dann noch die geplanten 2 Mil-
liarden Euro für dieses unsinnige Betreuungsgeld dazu-
packt, sind die Forderungen in unserem Antrag, die als
nicht bezahlbar bezeichnet werden, allesamt problemlos
zu erfüllen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Es besteht ein Unterschied zwischen Millionen und Milliarden!)


Aber man muss es auch wollen. Die Linke will es, aber
die Gelb-Schwarzen werden heute wieder unter Beweis
stellen, dass sie es nicht wollen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit an diesem
Freitagnachmittag.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717910500

Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717910600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Die Familienpolitik der schwarz-gelben
Bundesregierung ist leider völlig auf der falschen Spur.
Wodurch zeichnet sich die Familienpolitik von Union
und FDP aus? Knatsch und Zank, etwas anderes be-
kommt man eigentlich gar nicht mit. Das Betreuungs-
geld ist nur ein Beispiel. Heute habe ich in der Zeitung
gelesen, dass die CSU Familienministerin Schröder ein
Ultimatum stellt, um einen Gesetzentwurf vorzulegen.


(Caren Marks [SPD]: Da wird scharf geschossen! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was passiert, wenn sie es nicht macht?)


Da muss ich doch sagen: Das ist wahre Liebe unter Ge-
schwisterparteien. So stelle ich mir nun wirklich keine
harmonische Familienpolitik vor. Trotz dieser ganzen
Streitereien sind in der Haushaltsplanung 1,2 Milliarden
Euro für das Betreuungsgeld vorgesehen. Diese 1,2 Mil-
liarden Euro könnten wir in der Familienpolitik wirklich
sehr viel besser einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir hatten am Montag eine Anhörung im Familien-
ausschuss. Diese Anhörung hat sich mit der Weiterent-
wicklung des Elterngelds befasst. Alle anwesenden Ex-
pertinnen und Experten waren sich durch die Bank, egal
wer sie eingeladen hatte, völlig einig, dass wir das
Teilelterngeld ausbauen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die jetzige Regelung hat nämlich den großen Nachteil,
dass die Eltern, die sich die Kindererziehung partner-
schaftlich teilen, benachteiligt und diskriminiert werden.
Das können wir alle eigentlich nicht wollen. Alle Exper-
tinnen und Experten waren sich auch einig: Die Partner-
monate beim Elterngeld müssen ausgebaut werden.
Auch das finden wir eigentlich alle richtig. Beide Vor-
schläge sind auch im Koalitionsvertrag so vorgesehen.
Für diese Vorschläge gab es sogar schon einen ausgear-
beiteten Gesetzentwurf. Nur: Dieser Gesetzentwurf ist
wieder eingesackt worden. Was war der Grund? Der





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


Grund war: Es ist kein Geld für diese sinnvollen Maß-
nahmen da.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Angeblich ist kein Geld da!)


Eine andere wichtige Maßnahme – sie ist hier schon
genannt worden – ist der Unterhaltsvorschuss. Auch
zum Unterhaltsvorschuss finden wir im Koalitionsver-
trag einen guten Vorschlag, nämlich den, die Alters-
grenze zu verschieben. Die Altersgrenze zu verschieben,
wäre absolut sinnvoll und würde gerade Alleinerziehen-
den und ihren Kindern in einer wirklich schwierigen Le-
benssituation tatsächlich helfen. Auch dazu lag schon
ein Gesetzentwurf vor. Auch dieser Gesetzentwurf
wurde einfach wieder einkassiert. Warum? Weil für
diese Maßnahme angeblich kein Geld da ist. Es ist abso-
lut absurd, dass diese Regierung die wenigen sinnvollen
Maßnahmen, die sie im Koalitionsvertrag vorgesehen
hat, mit der Begründung, es sei kein Geld dafür da, auf
Eis gelegt hat, gleichzeitig aber für eine absurde Maß-
nahme wie das Betreuungsgeld 1,2 Milliarden Euro aus-
geben will.


(Caren Marks [SPD]: Jährlich!)


Ich finde, da kann man sich nur an den Kopf fassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag der Linken
aufgreifen, und zwar die Orientierung an einem wirklich
modernen Familienbild. Familie ist nämlich längst nicht
mehr da, wo es einen Trauschein gibt, sondern Familie
ist da, wo Kinder sind und wo Menschen füreinander
Verantwortung übernehmen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Sehr gut! FDP-Wahlprogramm!)


Leider ist dies in der deutschen Familienpolitik und ge-
rade im Familienrecht überhaupt noch nicht umgesetzt.
Wann handelt die Bundesregierung beispielsweise beim
Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche und eingetra-
gene Lebenspartnerschaften?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Niemals! Hat sie nicht vor!)


Wann handelt sie endlich bei der steuerlichen Benachtei-
ligung von Alleinerziehenden, von nicht miteinander
verheirateten Eltern und von Patchworkfamilien?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Macht sie auch nicht!)


Beim Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete
Paare warten wir seit zwei Jahren auf einen Gesetzent-
wurf. Es wurde aber immer noch nichts vorgelegt. Auch
hier gibt es keinerlei Aktivitäten dieser Bundesregie-
rung. Was tut die Bundesregierung beispielsweise zur
Absicherung von Regenbogenfamilien?


(Beifall der Abg. Petra Merkel [Berlin] [SPD])


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, all das sind rheto-
rische Fragen. Die Antwort darauf lautet: Sie tut nichts.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!)


Die schwarz-gelbe Familienpolitik bleibt leider ein mut-
loses Schmalspurprogramm. Soll denn von dieser Legis-
laturperiode nur das Betreuungsgeld übrig bleiben? Das
können wir alle nun wirklich nicht wollen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und „keine Quote“ bleibt übrig!)


Daher auch von meiner Seite der dringende Appell an
die Bundesregierung: Setzen Sie endlich die richtigen
Prioritäten, und wenden Sie sich den relevanten Fragen
zu!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717910700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Für eine moderne und zukunfts-
weisende Familienpolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9551,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 17/6915 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 a und b auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver
Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Vereinheitlichung der bergrechtli-
chen Förderabgabe

– Drucksache 17/9390 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Anpassung des deutschen Bergrechts

– Drucksache 17/9560 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717910800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Gesetzentwurf, den wir hier heute einbringen, soll
einen Anachronismus im deutschen Bergrecht beseiti-
gen. Im Bergrecht gibt es die Vorschrift, dass jemand,
der einen Rohstoff fördert, eine Förderabgabe in Höhe
von 10 Prozent des Marktwertes an das jeweilige Bun-
desland zahlen muss. Das ist auch völlig richtig so, weil
hier jemand ein Allgemeingut, einen Bodenschatz, in
Anspruch nimmt, der der Gesellschaft gehört. Dafür soll
dann auch gezahlt werden. Das Bergrecht sieht auch vor,
dass die Länder mehr als 10 Prozent erheben können.

Die Praxis sieht aber leider völlig anders aus. Wenn
man sich einmal anschaut, wo in Deutschland überhaupt
eine Förderabgabe erhoben wird, dann ist das Ergebnis
ernüchternd. Außer bei der Erdgasförderung gibt es
nämlich faktisch keine Erhebung einer Förderabgabe. Es
kann nicht sein, dass wir von Ländern in Schwarzafrika,
Südamerika oder sonst wo auf der Welt verlangen, dass
die Staaten von der Rohstoffgewinnung profitieren, wäh-
rend in Deutschland nicht einmal eine Förderabgabe ge-
zahlt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Besonders frappierend ist das bei der Braunkohle. Die
Braunkohle ist wertmäßig der wichtigste Rohstoff, der in
Deutschland gefördert wird. Es geht dort um große Men-
gen, große Volumina in zwei großen Revieren, nämlich
im Rheinland und in Ostdeutschland. Auch hier wird
keine Förderabgabe erhoben. Der Grund ist: Hier gibt es
alte Rechte, die in Kaisers Zeiten oder irgendwann spä-
ter verliehen worden sind, und im Bundesberggesetz gibt
es einen Ausnahmeparagrafen, der die Erhebung der
Förderabgabe bei solchen alten Rechten ausdrücklich
freistellt. Das gehört abgeschafft;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


denn man kann keinem Menschen erklären, dass ganze
Landschaften devastiert werden und dass Unternehmen
wie Vattenfall und RWE mit dem Braunkohlenbergbau
und der Verstromung Milliardengewinne machen, wäh-
rend sie auf der anderen Seite keinen Euro und keinen
Cent Förderabgabe dafür zahlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist auch völlig richtig, dass die Länder in Zukunft
eine solche Einnahme haben müssen; denn durch den
Bergbau entstehen Ewigkeitskosten und Folgekosten,
die teilweise immense Höhen erreichen. Wir kennen das
aus dem Steinkohlenbergbau: Das komplette Ruhrgebiet
muss auf ewig leergepumpt werden, weil das Ganze
sonst durch die ganzen Bergsenkungen „absaufen“
würde. Ähnliches wird im Rheinland durch den Braun-
kohlenbergbau auf uns zukommen, und wir kennen sol-
che Schäden bereits in Ostdeutschland.

Hier entstehen am Ende Folgekosten für die öffentli-
che Hand, wenn die Unternehmen nicht mehr greifbar
sind. Es ist auch bei Konzernen wie RWE und Vattenfall
nicht auf Jahrzehnte hinaus sicher, dass sie zahlen kön-
nen. Deshalb ist es völlig richtig, dass die Länder ent-
sprechende Einnahmen haben, um gerade auch diese
Folgekosten in Zukunft abdecken zu können. Deswegen
ist die Förderabgabe richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es wird immer gesagt – ich vermute, das wird gleich
in der Debatte auch noch kommen –, das sei verfas-
sungsrechtlich gar nicht machbar. Wir haben das vom
Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages prüfen las-
sen. Er sagt klipp und klar: Selbstverständlich kann man
das Bundesberggesetz ändern, damit man trotz dieser al-
ten Rechte eine Förderabgabe erheben kann; denn es
geht ja nicht um einen Entzug der Rechte, sondern nur
um eine Heranziehung zur Zahlung einer Abgabe. Das
alles ist für die Unternehmen nach wie vor wirtschaftlich
machbar; denn sie machen mit diesen Rechten ja Milliar-
dengewinne. Deshalb ist das auch verfassungsrechtlich
völlig problemlos möglich. Das sagt nicht nur der Wis-
senschaftliche Dienst, sondern das sagen auch viele an-
erkannte Rechtsanwaltskanzleien und entsprechende Be-
ratungsbüros.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag
zu, weil das den vom Bergbau betroffenen Ländern – in
Ostdeutschland, Nordrhein-Westfalen, aber auch ande-
ren – die Möglichkeit eröffnet, eine solche Förderabgabe
zu erheben. Es geht nämlich darum, dass die Länder sol-
che Einnahmen haben. Das wollen wir ermöglichen. Wir
wollen das nicht erzwingen, sondern wir wollen das den
Ländern überlassen, damit dort die Einnahmen gewon-
nen werden, weil sie die Folgekosten am Ende bezahlen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss noch ganz kurz zum SPD-Antrag. Sie
haben auch einen Antrag zum Bergrecht eingebracht. Es
ist gut, dass sich die SPD mit diesem Thema auseinan-
dersetzt. Das war nicht immer so. Es finden sich dort
durchaus auch kritische Bemerkungen zum Thema Berg-
bau. Wer die SPD gerade aus Nordrhein-Westfalen
kennt, der weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Um
es aber einmal ganz offen zu sagen: Lieber Rolf
Hempelmann, das, was im Beschlussteil kommt, ist
dünn wie Pergamentpapier. Das ist eine Ansammlung
von Prüfaufträgen. Hier müsst ihr noch weiterarbeiten.

Der Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen ist hier
schon weiter. Ich nenne zum Beispiel die Beweislastum-
kehr bei Bergschäden durch den Abbau von Braunkohle
im Tagebau. Das haben wir schon gemeinsam in Nord-
rhein-Westfalen vereinbart. Aber ihr schreibt dazu einen
windelweichen Prüfauftrag in euren Antrag. Das ist zu
wenig, aber immerhin ist es besser als das, was die Ko-
alition bei diesem Thema macht.






(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717910900

Kollege Krischer, Sie hatten einen Schlusssatz ange-

kündigt.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717911000

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Ich beende

mich.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717911100

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Andreas Lämmel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1717911200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Zum Glück sind am Sonntag die Landtagswah-
len in Nordrhein-Westfalen, dann wird auch hier wieder
die Bühne sein, um vernünftige Debatten führen zu kön-
nen. Wenn man die Plenarsitzungen von gestern und
heute verfolgt, stellt man fest, dass fast kein einziges
Thema dabei gewesen ist, bei dem nicht der Wahlkampf
hervorlugte und Rot-Grün versuchte, Themen zu lancie-
ren.

Zum Bergrecht sind in diesem Jahr schon mehrere
Anträge gestellt worden. Es gibt Anträge aus der Frak-
tion der Grünen. Die SPD hat einen nachgereicht. Die
Linke hat ebenfalls einen Antrag eingereicht. Jetzt
kommt der Gesetzentwurf der Grünen dazu.


(Jens Ackermann [FDP]: Der Berg ruft!)


Dazu muss man zwei kurze, grundsätzliche Anmer-
kungen machen. In der ersten Anmerkung geht es um die
Frage der Rohstoffe. Deutschland ist sehr stark von Roh-
stoffimporten abhängig. Das hat sich in den letzten Jah-
ren – das wissen Sie alle – nicht wirklich verbessert. Im
Gegenteil: Die Bedingungen auf den internationalen
Rohstoffmärkten zur Versorgung der deutschen Wirt-
schaft sind eher schwieriger geworden. Daraus ist dann
die umfassende Rohstoffstrategie der Bundesregierung
entstanden. Die CDU/CSU-Fraktion hat nun schon ihren
dritten Rohstoffkongress veranstaltet, und wir werden
auch einen vierten Kongress folgen lassen, um genau
diese Themen weiter zu diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht werden sie bei diesem erleuchtet!)


Ein wesentlicher Bestandteil dieser Rohstoffstrategie
ist die Diversifizierung von Rohstoffbezugsquellen;
denn wenn man mehrere Bezugsquellen hat, kann man
die Abhängigkeiten reduzieren und damit die Versor-
gungssicherheit erhöhen. Diversifizierung bedeutet na-
türlich auch die Nutzung einheimischer Rohstoffe. Ich
möchte es hier noch einmal ganz klar und laut sagen:
Deutschland ist kein rohstoffarmes Land. Aber man

muss natürlich an die Rohstoffe herankommen. Genau
darum geht es.

Wir wollen den Rohstoffimport weiter verringern.
Rohstoffimporte bedeuten schließlich, dass Vermögens-
und Kapitalleistungen aus Deutschland ins Ausland ver-
schoben werden, was aus der jährlichen Öl- oder Gas-
rechnung Deutschlands klar hervorgeht. Laut Gesetzent-
wurf der Grünen werden in Deutschland Rohstoffe im
Wert von 17,7 Milliarden Euro produziert. Das wäre also
der Betrag, den man dann noch zusätzlich ins Ausland
transferieren müsste, würde man den Bergbau in
Deutschland einstellen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will aber keiner! – Rolf Hempelmann [SPD]: Popanz!)


– Dazu komme ich noch. Bleiben Sie ganz ruhig. – Ne-
ben den ökonomischen Aspekten spielen auch ökologi-
sche und soziale Aspekte sowie der Arbeitsschutz eine
Rolle. Gerade die Fraktion der Grünen, die zukünftig
den Bergbau in Deutschland verhindern will, macht sich
überhaupt keine Gedanken, wie der Bergbau in anderen
Ländern betrieben wird. Es kann nicht unser Anspruch
sein, das Problem des Bergbaus einfach in andere Län-
der zu verschieben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die zweite grundsätzliche Bemerkung betrifft die
Energiewende. Große Teile des Hauses haben im letzten
Jahr diese Energiewende beschlossen. Es geht nun da-
rum, acht grundlastfähige Kernkraftwerke vom Netz zu
nehmen. Das heißt natürlich, dass bis 2022, bis zum
vollständigen Umstieg auf die regenerativen Energien,
fossile Energieträger in Deutschland eine wesentlich
größere Rolle spielen werden. Das bedeutet: Neben den
Importen von Gas und Öl sind die heimischen Energie-
träger Braunkohle und Steinkohle unverzichtbar.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir steigen doch aus der Steinkohle aus! Hallo!)


Schauen wir uns einmal den Gesetzentwurf der Grü-
nen an, der heute in erster Lesung beraten wird. Erst ein-
mal ein großes Kompliment an die Fraktion der Grünen:
Ich glaube, das ist der kürzeste Gesetzentwurf, den ich
jemals in die Finger bekommen habe.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Bürokratieabbau!)


Von daher ist er erst einmal sehr gut. Beim genaueren
Hinschauen kann man aber sagen: Der Gesetzentwurf
müsste eigentlich unter dem Titel „Bergbau in Deutsch-
land abschaffen“ stehen. Genau das wollen wir nicht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedes Bundesland kann entscheiden, was es will! Das ist doch eine Option!)


Es geht um die Förderabgabe. Sie haben das kurz be-
schrieben. Nach dem Bundesberggesetz ist eine Förder-
abgabe von 10 Prozent des Marktwertes – also nicht auf
den Gewinn, sondern auf den Umsatz – zu zahlen. Die





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


Regelung der Freistellung von der Förderabgabe wollen
Sie nun abschaffen.

Nun könnte man vermuten, dass Sie sozusagen Chan-
cengleichheit unter den Rohstoffförderunternehmen her-
stellen wollen, wie Sie es auch behaupten. Ein Blick in
den Gesetzentwurf zeigt aber, dass es nur um eines geht,
nämlich darum, die Kohleförderung in Deutschland völ-
lig unmöglich zu machen. Das ist die Zielrichtung Ihres
Gesetzentwurfs. Das kann man auch in der Begründung
genau nachlesen.

Sie können nicht erwarten, dass wir dem zustimmen
werden. Denn die anderen Rohstoffe wie Kiese, Sande
oder Salze, die in Deutschland weiterhin gefördert wer-
den, werden nicht erwähnt. Es geht ausschließlich um
das Thema Kohle.

Was die juristische Betrachtung angeht – ich bin kein
Jurist, sondern Ingenieur; es gibt aber verschiedene wis-
senschaftliche Dienste –,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, Sie haben nicht verstanden, worum es hier geht!)


lohnt sich ein Blick in die Gesetzesbegründung zum al-
ten Bergbaugesetz aus der achten Wahlperiode des Deut-
schen Bundestages. Zur Begründung des § 151 heißt es
darin:

Das Bergwerkseigentum alten Rechts muß als un-
befristetes Recht aufrechterhalten bleiben … Ent-
sprechendes gilt für § 30, da die Erhebung einer
Förderabgabe nur für Bergwerkseigentum in Be-
tracht kommen kann, das erst aufgrund dieses Ge-
setzes verliehen wird.

Die Begründung des damaligen Gesetzes zielt genau in
die Richtung, dass die alten Bergbaurechte erhalten blei-
ben müssen.

Sie gehen auch auf die Situation in den neuen Bun-
desländern ein. Sie haben sie aber nur halb dargestellt.
Das tut mir leid. Ich lade Sie gerne ein, dort hinzufahren.
Wir können auch gerne die Bilder danebenlegen, die sich
1990 dem Betrachter darstellten und zeigen, wie in einer
Gesellschaft Bergbau betrieben wurde, die nichts von
dem ordentlichen Bergrecht hatte. Dort ging es nicht da-
rum, dass ein Bergbaubetrieb auch dafür zuständig ist,
die Landschaft wiederherzustellen und einer neuen Nut-
zung zu übergeben.

In den neuen Ländern ist die Rechtslage wiederum
anders – auch das haben Sie nicht dargestellt –; denn in
den neuen Ländern wurde mit der Privatisierung der
Bergbauunternehmen schon ein Bergbauzins eingeführt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umso einfacher! Dann ist es gerechter!)


Man hat sozusagen die Fördersummen berechnet, die in
den Gruben zur Verfügung stehen. Die Unternehmen
zahlen jetzt im Prinzip mit den Zinsen die Fördermenge
ab.

Meine Damen und Herren, wenn Sie einen solchen
Gesetzentwurf auf den Weg bringen, dann müssen Sie
zumindest die Realität ordentlich abbilden


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er doch gemacht! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal! Das fördert die Wahrheitsfindung!)


und die Begründung so schreiben, dass nicht jeder Halb-
blinde merkt, dass es nur darum geht, der Braunkohle
endlich den Garaus zu machen, was Sie vorher in Ihrer
Regierungszeit leider nicht geschafft haben.

Die SPD hat schon einer einheitlichen Erhebung einer
Förderabgabe eine Abfuhr erteilt. Das können Sie in den
Ressourceneffizienzprogrammen nachlesen, denen die
SPD auch zugestimmt hat. Dafür sind wir auch sehr
dankbar. Insofern stehen Sie mit Ihrem Ansinnen jetzt
ziemlich alleine da.

Zusammenfassend muss man beim Thema Bergbau
auf zwei Punkte achten. Erstens müssen die Bergbau-
unternehmen bei allen neuen Vorhaben oder Erweiterun-
gen auf die Belange der Bevölkerung und der Gemein-
den vor Ort intensiver eingehen. Das ist sicherlich keine
Frage. Man kann auch darüber nachdenken, wie man das
besser gestalten kann.

Zweitens – das ist der wichtige Punkt – muss aber
Bergbau in Deutschland weiterhin möglich sein. Dafür
stehen wir. Deswegen freue ich mich auf die Beratungen
Ihres Gesetzentwurfs im Ausschuss.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Gesetzentwurf schließt das doch nicht aus!)


Ganz ehrlich: Große Chancen räume ich dem Vorhaben
nicht ein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717911300

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1717911400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Herr Lämmel, man kann Eulen nach Athen oder
Kohlen nach Newcastle tragen. Aber Sie sollten zur
Kenntnis nehmen, dass niemand einen Antrag gestellt
hat, den Bergbau in Deutschland abzuschaffen oder Rah-
menbedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass es
keinen erfolgreichen Bergbau in Deutschland mehr ge-
ben kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt einen Gesetzentwurf der Grünen, der sich mit der
Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe be-
fasst, unseren Antrag und einen Antrag der Linken. Nach





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


meinem Dafürhalten wird nirgends die tiefere Absicht
verfolgt, den Bergbau in Deutschland abzuschaffen.

Zur Förderabgabe vorweg: Am 23. Mai wird es eine
Anhörung geben. Es ist legitim, dieses Thema dann zur
Debatte zu stellen. Dann werden wir hinterher mit Si-
cherheit klüger sein als zuvor und uns dazu unsere Mei-
nung bilden. Das Gleiche gilt, lieber Oliver Krischer,
auch für die Frage der Beweislastumkehr. Warum sollten
wir uns schon heute festlegen, wenn wir wissen, dass wir
in einer Anhörung Experten dazu hören können? Deswe-
gen gibt es einen Prüfauftrag. Die Prüfung beginnt mit
der Anhörung.

Der Auslöser dieser Debatte über das Bergrecht und
die entsprechenden Vorschläge der Opposition ist das
Thema unkonventionelles Erdgas. Wir befassen uns seit
längerem intensiv mit dieser Thematik. Wer sich an die
gestrige Debatte über das unkonventionelle Erdgas, das
Fracking, erinnert, kann nur staunen. Ganz offensichtlich
gibt es auch in der Bundesregierung und in den sie tra-
genden Fraktionen Überlegungen, das Bergrecht zu
ändern; denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Um-
weltminister gestern im Plenum und der Wirtschafts-
minister über die Medien uns mitteilen, dass man jeden-
falls auf der Basis der geltenden bergrechtlichen
Bestimmungen nicht in der Lage sei, dem Fracking
grünes Licht zu erteilen, sondern dass man dazu neue Er-
kenntnisse, Umweltverträglichkeitsprüfungen – dieses
Wort ist gestern gefallen – und vieles andere mehr brau-
che.

Mit anderen Worten: Schon in der gestrigen Debatte
ist also deutlich geworden – wenn wir den Minister ein-
mal ernst nehmen –, dass wir eine Novelle zum Berg-
recht unbedingt brauchen. Die entscheidende Frage lau-
tet, wie ernst wir ihn nehmen können. Er hat sich gestern
zum Retter der Enterbten gemacht und verdeutlicht, wie
sehr es ihm ein Anliegen ist, die Ängste der Bevölkerung
aufzunehmen. Vor zwei Jahren haben wir davon nichts
bemerkt, als es um die Zukunft der Kernenergie in
Deutschland ging. Aber es ist schön, dass Lernprozesse
auch in der Bundesregierung stattfinden. Hoffen wir nur,
dass sie den nächsten Sonntag, den 13. Mai, überleben;
denn wie wir wissen, war das Umdenken bei der Kern-
energie genauso einem Wahltermin geschuldet wie nun
das Umdenken beim Fracking.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum ist eine Novelle zum Bergrecht notwendig?
Wenn man sich anschaut, wann das Bergrecht entstanden
ist und zuletzt novelliert wurde, wird klar, dass die Not-
wendigkeit besteht, dieses Recht weiterzuentwickeln. Es
geht übrigens nicht darum, dieses Recht abzuschaffen. In
den letzten Tagen habe ich eine entsprechende Forde-
rung vernommen, mit der Begründung des Auslaufens
des Steinkohlenbergbaus. Das kann keine Lösung sein.
Selbst wenn das Bergrecht nur für den Steinkohlenbe-
reich gelten würde, wären mit der letzten Förderung die
bergrechtlichen Zuständigkeiten noch nicht erloschen;
denn dann geht es um die sogenannten Ewigkeitslasten.
Auch das muss bergrechtlich sauber organisiert sein.

Es gibt viele Gründe – einige sind bei Ihnen, Herrn
Lämmel, gerade angeklungen –, warum das Bergrecht
weiterentwickelt werden muss. Sie haben deutlich ge-
macht, in welchem Umfang und in welchen Bereichen
Bergbau in Deutschland stattfindet. Dabei geht es um
Kiese, Sande und energetische Rohstoffe wie Braun-
kohle, Steinkohle und Erdgas, aber auch um viele andere
Rohstoffe. Natürlich wollen wir die Bergbauförderung
aufrechterhalten. Das heißt, das Ganze muss bergrecht-
lich flankiert sein. Aber das geltende Bergrecht ist in
Zeiten entstanden, in denen es in der Bevölkerung nicht
ein solches Bewusstsein für Umweltschutz und insbe-
sondere für Trinkwasserschutz gab, wie das heute der
Fall ist. Die Gesellschaft hat sich einfach weiter verän-
dert. Schon aus diesem Grunde muss das Bergrecht deut-
lich angepasst werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir stellen das gerade – ich habe das Beispiel am An-
fang genannt – im Zusammenhang mit dem unkonven-
tionellen Erdgasfracking fest. Man sollte nicht populis-
tisch versuchen, dieses Thema kurz vor einem
Wahltermin zu behandeln. Wir haben das Problem seit
mehr als einem Jahr in Anträgen hier im Deutschen Bun-
destag thematisiert. Beim Erdgasfracking sind sehr sen-
sible umwelt- und wasserrechtliche Belange betroffen.
Deshalb organisiert sich die Bevölkerung vor Ort und
leistet Widerstand schon gegen Probebohrungen. Das
muss man zur Kenntnis nehmen. Das ist nicht in jedem
Fall Alarmismus. Man kann möglicherweise Befürch-
tungen entkräften, aber klar ist, dass es die berechtigte
Erwartung gibt, dass im Bergrecht Vorkehrungen getrof-
fen werden, um drängende Fragen der Bevölkerung be-
antworten zu können: Was passiert mit unserer unmittel-
baren Umwelt? Was passiert mit unserem Trinkwasser?
Welche Vorkehrungen werden getroffen, damit wir nicht
unnötig belastet werden?

Das ist der Kern unseres Antrags. Wir wollen eine
Modernisierung und eine Anpassung des Bergrechts. Ich
denke, dass wir im Zusammenhang mit der Anhörung
Gelegenheit haben, das Thema zu vertiefen. Ich hoffe,
dass es dann eine konstruktive Beteiligung auch der Ko-
alitionsfraktionen gibt. Gerade wenn Ihnen der Bergbau
in Deutschland wichtig ist, sollten Sie mitarbeiten und
dafür sorgen, dass wir ein Bergrecht bekommen, das in
unsere Zeit passt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717911500

Das Wort hat der Kollege Manfred Todtenhausen für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Manfred Todtenhausen (FDP):
Rede ID: ID1717911600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Der sichere Zugang zu Rohstoffen ist für die





Manfred Todtenhausen


(A) (C)



(D)(B)


deutsche Wirtschaft die Voraussetzung für industrielle
Wertschöpfung und damit für Beschäftigung, Wachstum
und Innovationen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In den zurückliegenden Jahren hat sich für die deut-
schen Unternehmen die Sicherung der Rohstoffversor-
gung zu einer Herausforderung entwickelt. Maßgebli-
chen Anteil daran hat der weltweit stark gestiegene
Bedarf an Rohstoffen, der zu teilweise drastischen Preis-
anstiegen und bedrohlichen Verknappungen geführt hat.
Zudem ist gerade in Deutschland zunehmend eine künst-
liche Verknappung und dauerhafte Entziehung von Roh-
stofflagerstätten durch konkurrierende Nutzung und
Überplanung zu verzeichnen.

In der Konsequenz nimmt die Importabhängigkeit
weiter zu. Bereits heute sind wir in vielen Bereichen auf
die Einfuhr von Rohstoffen angewiesen, sei es bei der
Versorgung der Metall- und Elektroindustrie, bei der De-
ckung des Bedarfs an fossilen Energieträgern oder bei
der Entwicklung von neuen Technologien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Damit sind erhebliche Teile der deutschen Wirtschaft der
Ergiebigkeit globaler Lagerstätten sowie der gesell-
schaftlichen und politischen Stabilität in den jeweiligen
Förderregionen ausgesetzt.

Parallel dazu haben sich die Bedingungen an den
Weltmärkten für Rohstoffe spürbar verschlechtert. Folg-
lich hat die Nutzung heimischer Ressourcen auch eine
Ausgleichsfunktion gegenüber globalen Entwicklungen.
Die Aufgabe der Politik ist es, durch zweckmäßige Rah-
menbedingungen den Zugang zu Rohstoffen zu gewähr-
leisten und stetig zu verbessern. Dies müssen wir an die-
ser Stelle nochmals deutlich betonen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Den ordnungspolitischen Rahmen für die Rohstoffge-
winnung in Deutschland setzt seit mehr als 30 Jahren das
Bundesberggesetz. Teile des Bergrechts gehen gar auf
das 12. Jahrhundert zurück. Hätte es damals schon die
Grünen gegeben, dann wären wir wahrscheinlich gesell-
schaftlich nicht ganz so weit wie heute. Wir wären viel-
leicht noch im Mittelalter.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Bundesberggesetz schafft Planungs- und Rechts-
sicherheit. Es ermöglicht so hohe Investitionen zur Ver-
besserung der Versorgungssicherheit und trägt maßgeb-
lich zum Erhalt der Wertschöpfungskette im Inland bei.
Gleichzeitig bildet es aber auch die Grundlage zur Vor-
sorge im Hinblick auf Gefahren und zur Wahrung der
Rechte Dritter. Vor diesem Hintergrund erfolgten in der
Vergangenheit Anpassungen des Bundesberggesetzes
nur mit Augenmaß und unter Einbeziehung hoher fachli-
cher Kompetenz. Das soll auch in Zukunft so bleiben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was aber will die Opposition mit den uns vorliegen-
den Initiativen erreichen? Schaut man in den Gesetzent-

wurf der Grünen, wird schnell klar, worum es eigentlich
geht. Der anhaltende Mangel an Wettbewerbsfähigkeit
grüner Energiespielwiesen soll nun künstlich behoben
werden.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsichtig! Das ist hier der Bundestag, Herr Kollege!)


Durch eine erzwungene Verteuerung konkurrierender
Formen der Stromerzeugung hofft man, dem ungebrems-
ten Anstieg der EEG-Umlage begegnen zu können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Zielsetzung ist nicht neu und war daher vonseiten
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch nicht anders
zu erwarten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Lasten hieraus müssten wiederum die Stromkunden
in unserem Land tragen. Die Strompreise würden stei-
gen. So folgt nach der Insolvenz von Aluminiumhütten
wohl bald der Ruin der Baustoffindustrie.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass die Grünen marktwirtschaftlichen Prozessen
eher wenig abgewinnen können, konnten wir in der Ver-
gangenheit bereits häufiger vernehmen. Mit dem einge-
brachten Gesetzentwurf wird jetzt aber sogar das Grund-
gesetz infrage gestellt. Eine nachträgliche Änderung
vertraglich gesicherten Bergwerkeigentums wäre ein
Verstoß gegen das Eigentumsrecht gemäß Art. 14 GG.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717911700

Kollege Todtenhausen, entschuldigen Sie bitte, dass

ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung der Kollegin Höhn?


Manfred Todtenhausen (FDP):
Rede ID: ID1717911800

Nein. Verzeihen Sie mir.


(Beifall bei der FDP)


Selbst wenn man eine Enteignung – was im konkreten
Fall abwegig ist – in Betracht ziehen würde, dann wäre
diese mit entsprechenden Entschädigungszahlungen ver-
bunden.

Zur Verdeutlichung: Nach dem Willen der Grünen
soll dem Eigentümer eines Bergwerks durch die Förder-
abgabe Kapital entzogen werden, um es ihm hinterher
als Entschädigung zurückzugeben. Das wäre dann das
ungeheuer erfolgreiche Prinzip: linke Tasche, rechte Ta-
sche.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber auch dieses Politikverständnis kennt man von der
Opposition.

Im Vergleich dazu muss man dem Antrag der SPD zu-
mindest mehr Sachlichkeit zubilligen. In ihm sind ver-





Manfred Todtenhausen


(A) (C)



(D)(B)


nünftige Punkte enthalten, über die wir sicher noch dis-
kutieren werden. Dennoch geht der Antrag in
zahlreichen Punkten über eventuelle Erfordernisse weit
hinaus. Vor möglichen Änderungen gesetzlicher Bestim-
mungen sollte immer der Grundsatz stehen, Auslegungs-
spielräume bestehender Vorschriften zu nutzen. Die
aufgezeigten Konfliktfelder könnten durch eine konst-
ruktive Regionalplanung gelöst werden, beispielsweise
im Zuge eines Planfeststellungsverfahrens oder einer
vorgeschalteten Raumordnungsplanung.

Ich möchte noch einmal klarstellen: Bei bergbauli-
chen Planungen und Entscheidungen sind sowieso über-
wiegend Landesbehörden gefordert. Selbstverständlich
werden auch in Zukunft veränderte Bedingungen zu An-
passungen am deutschen Bergrecht führen, aber selbst-
verständlich sachdienlich und besonnen. Forderungen,
die darauf abzielen, Bergbauaktivitäten zu unterbinden
oder zumindest stark zu verzögern, lehnen wir entschie-
den ab.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717911900

Kollege Todtenhausen, das war Ihre erste Rede im

Hohen Haus. Zur Erklärung für die Zuhörerinnen und
Zuhörer: Das heißt nicht, dass der Kollege Todtenhausen
seit 2009 schweigend hier im Plenum gesessen hat, son-
dern er ist erst am 2. Mai dieses Jahres in den Deutschen
Bundestag nachgerückt.

Wir gratulieren Ihnen recht herzlich zu dieser ersten
Rede und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere
Tätigkeit!


(Beifall)


Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717912000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir brauchen ein modernes Bergrecht, das
zwei Funktionen erfüllen muss: Zum einen muss es der
notwendigen Rohstoffgewinnung Rechnung tragen und
dabei die Besonderheiten des Bergbaus berücksichtigen.
Zum anderen muss es, und das viel stärker als bisher,
den Interessen von Betroffenen und der Umwelt gerecht
werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zurzeit räumt das Bergrecht dem Abbau von Boden-
schätzen einen besonderen Vorrang vor allen anderen In-
teressen ein. Das ist bei dem heutigen Wissen um die
Endlichkeit der fossilen Ressourcen nicht mehr zeitge-
mäß.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun hat auch die SPD einen Antrag zur Novelle des
Bergrechts vorgelegt. Er ist allerdings in der Analyse

und in den Forderungen sehr allgemein gehalten. Dass es
konkreter geht, zeigen entsprechende Anträge der Grü-
nen und der Linken. Der SPD-Antrag geht zwar in die
richtige Richtung, aber unverständlich bleibt, warum die
Sozialdemokraten vor „weiteren Investitionshindernis-
sen“ warnen. Das heißt im Klartext: vor verbesserten
Beteiligungs- und Klagerechten für die Umweltver-
bände. Zu diesen Hemmnissen sagen wir Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


Entweder ein Bergbauvorhaben erfüllt die gesetzlichen
Anforderungen, oder es erfüllt sie eben nicht. Dann muss
es im Zweifelsfall gestoppt oder verbessert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier
schon zweimal die Bergrechtsnovelle debattiert. Deshalb
möchte ich jetzt nur noch auf die Förderabgabe einge-
hen.

Es ist ein Unding, dass Energiekonzerne mit der
Braunkohle seit Jahren enorme Profite einfahren, aber
keinen Cent Förderabgabe an den Staat zahlen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Subventionsfrei! Ist doch gut!)


Beim Abbau werden ganze Dörfer umgesiedelt, zum
Beispiel bei mir in Brandenburg, wo Tausende Men-
schen ihre Heimat verloren haben. Und RWE oder Vat-
tenfall machen fette Gewinne, ohne mit nur einem Cent
für die Verwüstung von Natur und Landschaft aufzu-
kommen.


(Jens Ackermann [FDP]: Das stimmt doch nicht! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was soll denn das? Also bitte!)


– Bitte hören Sie mir zu. – Kommunale Stromversorger
oder Wasserwerke hingegen müssen schon für die Nut-
zung öffentlicher Wege Konzessionsabgaben an die Ge-
meinden zahlen. Deshalb muss eine Förderabgabe für
die Konzerne auch für die alten Bergrechte gelten, über
die unmittelbaren Pflichten zur Entschädigung und Wie-
derherstellung hinaus.

Die Grünen wollen in ihrem Antrag Ausnahmerege-
lungen streichen. Das unterstützen wir.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In unserem Antrag fordern wir eine vergleichbare Rege-
lung. Wir meinen darüber hinaus, dass die Länder keine
Möglichkeit mehr haben sollten, selbstständig den bun-
deseinheitlichen Satz abzusenken. Herr Krischer hat es
schon gesagt: Er beträgt gegenwärtig 10 Prozent des
Marktwertes der Rohstoffe. Im Übrigen wären – ange-
sichts der Gewinne – auch 15 Prozent vertretbar.

Es wird oft behauptet, dass laut Einigungsvertrag in
Ostdeutschland keine Förderabgaben erhoben werden
dürfen. Das gehört allerdings in das Reich der Legenden.
Die rot-grüne Bundesregierung hatte vielmehr darauf
verzichtet, und zwar im Zusammenhang mit der Über-
nahme der Braunkohlenunternehmen VEAG und Laubag
durch Vattenfall in Brandenburg. Im Handelsblatt war





Sabine Stüber


(A) (C)



(D)(B)


jedenfalls im März 2001 zu lesen, dass der damalige
Bundeswirtschaftsminister Müller Vattenfall den Ver-
zicht auf den Förderzins in jährlich zweistelliger Millio-
nenhöhe angeboten habe. Bis dato musste die Laubag für
den Braunkohleabbau zahlen. Es gab also schon einmal
eine Förderabgabe, zumindest in der Lausitz.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717912100

Kollegin Stüber, ich bin ein geduldiger Mensch. Aber

achten Sie jetzt bitte auf mein Signal.


Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717912200

Diese sollten wir schleunigst wieder einführen, und

das nicht nur im Osten.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717912300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/9390 und 17/9560 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 23. Mai 2012, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, soweit
das möglich ist.