Protokoll:
17166

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 166

  • date_rangeDatum: 9. März 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:52 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/166 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 166. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. März 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Än- derungen im Recht der erneuerbaren Energien (Drucksache 17/8877) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter (Drucksache 17/8892) . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunter- nehmen (ChGlFöG) (Drucksache 17/8878) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg von Polheim (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19723 A 19723 B 19723 C 19725 B 19728 A 19730 B 19732 D 19734 C 19736 C 19739 A 19740 B 19741 A 19742 B 19744 B 19744 D 19747 A 19747 A 19748 C 19750 B 19752 C 19753 C 19753 D 19755 B 19756 C 19758 A 19759 C 19760 D 19761 D 19764 A 19764 D 19765 B 19767 A 19768 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2012 Tagesordnungspunkt 28: Vereinbarte Debatte: Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link, Staatsminister AA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Leiharbeit verbieten und in reguläre Be- schäftigung umwandeln (Drucksache 17/8794) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Situation von Roma in der Europäischen Union und in den (potentiellen) EU-Beitrittskandida- tenstaaten (Drucksachen 17/5536, 17/7131) . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19770 B 19770 B 19772 A 19774 B 19775 B 19776 B 19777 A 19778 A 19778 D 19779 C 19780 C 19780 D 19781 C 19782 D 19784 D 19785 A 19785 B 19786 A 19786 D 19787 D 19789 C 19790 C 19790 D 19792 C 19793 D 19795 B 19796 D 19797 D 19799 A 19800 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2012 19723 (A) (C) (D)(B) 166. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. März 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2012 19799 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 09.03.2012 Burchardt, Ulla SPD 09.03.2012 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 09.03.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 09.03.2012 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 09.03.2012 Friedhoff, Paul K. FDP 09.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 09.03.2012 Gabriel, Sigmar SPD 09.03.2012 Gerster, Martin SPD 09.03.2012 Glos, Michael CDU/CSU 09.03.2012 Granold, Ute CDU/CSU 09.03.2012 Gruß, Miriam FDP 09.03.2012 Hinz (Essen), Petra SPD 09.03.2012 Höferlin, Manuel FDP 09.03.2012 Koch, Harald DIE LINKE 09.03.2012 Dr. Kofler, Bärbel SPD 09.03.2012 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.03.2012 Kumpf, Ute SPD 09.03.2012 Laurischk, Sibylle FDP 09.03.2012 Lay, Caren DIE LINKE 09.03.2012 Lenkert, Ralph DIE LINKE 09.03.2012 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 09.03.2012 Dr. Lotter, Erwin FDP 09.03.2012 Luksic, Oliver FDP 09.03.2012 von der Marwitz, Hans- Georg CDU/CSU 09.03.2012 Movassat, Niema DIE LINKE 09.03.2012 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 09.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 09.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 09.03.2012 Petermann, Jens DIE LINKE 09.03.2012 Pflug, Johannes SPD 09.03.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 09.03.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 09.03.2012 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 09.03.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.03.2012 Dr. Schmidt (Bochum), Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.03.2012 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 09.03.2012 Dr. Solms, Hermann Otto FDP 09.03.2012 Süßmair, Alexander DIE LINKE 09.03.2012 Tack, Kerstin SPD 09.03.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.03.2012 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 09.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 09.03.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 09.03.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 09.03.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 09.03.2012 Dr. Winterstein, Claudia FDP 09.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 19800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 893. Sitzung am 2. März 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV- Neuordnungsgesetz – LSV-NOG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: 1. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der Deut- sche Bundestag einige Anliegen des Bundesrates aufgegriffen hat. So ist sichergestellt, dass auch nach 2017 Fachausschüsse eingerichtet werden können. Zudem ist die gesetzliche Möglichkeit geschaffen worden, auch den bisherigen bewährten Beitrags- maßstab der Sozialversicherung für den Gartenbau (Arbeitswert) unter dem Dach eines einheitlichen Trägers fortzuführen. 2. Der Bundesrat bittet jedoch die Bundesregierung, im Rahmen ihrer beratenden Funktion darauf hinzuwir- ken, dass – eine „fachliche umfängliche“ Betreuung der Ver- sicherten auch eine ortsnahe Betreuung umfasst und das Standortkonzept dem Rechnung zu tra- gen hat, – in den Satzungen für die Versicherungszweige Unfallversicherung und Krankenversicherung Härtefallregelungen vorgesehen werden, – Personal- und Budgetkompetenzen so weit wie möglich an die Geschäftsstellen verlagert wer- den, um den Geschäftsstellen einen angemesse- nen Handlungsspielraum zu ermöglichen, – die Aufgaben der funktionellen Landesverbände der Landwirtschaftlichen Krankenkassen den Ge- schäftsstellen übertragen werden und – zur Gewährleistung der Sozialverträglichkeit die mit diesem Gesetz geschaffenen besonderen Re- gelungen zur Ruhestandsversetzung für Dienst- ordnungsangestellte auch auf entsprechend be- dienstete Beamtinnen und Beamte angewendet werden. 3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, Sorge da- für zu tragen, dass die Neuordnung der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung für die gesamte Übergangszeit bis 2017 mit einem Zuschuss von 200 Millionen Euro pro Jahr flankiert wird. – Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Bundes- wahlgesetzes – Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Luftver- kehrsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die elek- tromagnetische Verträglichkeit von Betriebs- mitteln, des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen sowie des Luftverkehrsgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 18. Oktober 2011 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Aufsichtsbe- hörde für das Versicherungswesen und die be- triebliche Altersversorgung über den Sitz der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versiche- rungswesen und die betriebliche Altersversor- gung Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der NATO 56. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 12. bis 16. November 2010 in Warschau, Polen – Drucksachen 17/7763, 17/8641 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der OSZE 20. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 6. bis 10. Juli 2011 in Belgrad, Serbien – Drucksachen 17/8186(neu), 17/8641 Nr. 1.3 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter- parlamentarischen Union 124. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 15. bis 20. April 2011 in Panama-Stadt/Panama – Drucksachen 17/8314, 17/8641 Nr. 1.4 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 17/8426 Nr. A.14 Ratsdokument 18288/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.24 Ratsdokument 18870/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.25 Ratsdokument 18932/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.27 Ratsdokument 18939/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.29 Ratsdokument 18953/11 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2012 19801 (A) (C) (D)(B) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/8673 Nr. A.9 Ratsdokument 18964/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.10 Ratsdokument 18966/11 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/8426 Nr. A.34 EP P7_TA-PROV(2011)0491 Drucksache 17/8515 Nr. A.37 Ratsdokument 18545/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.11 Ratsdokument 5398/12 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/8426 Nr. A.37 EP P7_TA-PROV(2011)0495 Drucksache 17/8426 Nr. A.38 Ratsdokument 17736/11 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/8426 Nr. A.39 Ratsdokument 17606/11 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/6407 Nr. A.26 EP P7_TA-PROV(2011)0256 Drucksache 17/6985 Nr. A.70 Ratsdokument 13309/11 Drucksache 17/7423 Nr. A.38 Ratsdokument 14198/11 Drucksache 17/7423 Nr. A.39 Ratsdokument 14448/11 Drucksache 17/7423 Nr. A.40 Ratsdokument 14555/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.21 Ratsdokument 16035/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.22 Ratsdokument 16037/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.23 Ratsdokument 16313/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.24 Ratsdokument 16314/11 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/8227 Nr. A.50 Ratsdokument 17394/11 166. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 26Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien TOP 27Geschlechterchancengleichheit in Unternehmen TOP 28Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2012 TOP 29Leiharbeit TOP 30Situation von Roma in der Europäischen Union Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716600000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 a und b auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Rechtsrahmens für
Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu
weiteren Änderungen im Recht der erneuer-
baren Energien

– Drucksache 17/8877 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter

– Drucksache 17/8892 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamen-
tarischen Staatssekretärin Katherina Reiche für die Bun-
desregierung das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ka
Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1716600100


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bemerkenswerte
Wochen hinter uns. Was gab es nicht alles für Vorwürfe?
Kahlschlag! Ausstieg! Deindustrialisierung!


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Kahlschlag-Katherina!)


Die Empörungskurve der Opposition kennt keine Gren-
zen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nicht nur der Opposition!)


Leider ist die Lernkurve der Opposition, bei SPD und
Grünen, bei weitem schwächer als die Lernkurve der
Photovoltaik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bundesumweltminister Röttgen hat in der Aktuellen
Stunde in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass
die Vorwürfe falsch sind. Sie waren schon damals falsch,
sie sind jetzt falsch, und sie werden auch durch perma-
nente Wiederholung nicht richtiger.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gestern falsch, heute falsch und übermorgen auch!)


Was sind die Fakten? Die Photovoltaik ist in Deutsch-
land in einem Ausmaß gewachsen, wie es in dieser Ge-
schwindigkeit niemand für möglich gehalten hätte. Seit
Ende 2009 hat sich die installierte Leistung verdreifacht.
25 Gigawatt haben wir mittlerweile in Deutschland, und
allein 2011 sind 7 500 Megawatt installiert worden.
2010 und 2011 konnten wir erneut die Einspeisevergü-
tung absenken – und das zu Recht.

Ein Wort zur SPD. Umweltminister Gabriel hat in der
Großen Koalition verpasst, eine schon damals überfäl-
lige Schlankheitskur durchzusetzen. Stattdessen gab es
noch einmal einen großen Schluck aus der Förderpulle.
Diese Überförderung mussten wir abbauen – zum Wohle





Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche


(A) (C)



(D)(B)


der Stromkunden und zum Wohle der Verbraucherinnen
und Verbraucher;


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Wohle der chinesischen Industrie!)


denn ein Massenmarkt kann nicht dauerhaft durch Sub-
ventionen gespeist werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Man kann auch sagen, dass die Photovoltaik erwachsen
geworden ist. Wenn man erwachsen ist, dann muss man
Verantwortung übernehmen und auf eigenen Füßen ste-
hen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das sind Sätze wie in Stein gemeißelt!)


Heute haben wir bei der Photovoltaik Netzparität im
Haushaltsbereich. Das von der Koalition eingebrachte
Gesetz gibt jemandem, der eine Dachanlage hat, die
Möglichkeit, seinen Strom günstiger zu erzeugen als zu
beziehen. Netzparität heißt eben, dass der durchschnittli-
che Haushaltsstrom bereits teurer ist als die Erzeugung
von Solarstrom. Diese Netzparität erreichen wir in
Kürze auch im landwirtschaftlichen und im Gewerbebe-
reich. Hiermit ist ein Marktanreiz gesetzt.

Das EEG muss zunehmend zu einem Marktertüchti-
gungsgesetz werden. Mit dem neuen Marktintegrations-
modell vergüten wir nicht mehr die Gesamtmenge des
Stroms, sondern geben einen Anreiz, diesen selbst zu
nutzen. Die Anlagenbetreiber können ihren Strom ent-
weder selbst verbrauchen, sie können ihn vermarkten,
oder sie können ihn anbieten. Der Eigenstrombedarf
wird bei der Anlagenplanung zukünftig stärker berück-
sichtigt werden. Das eröffnet übrigens Möglichkeiten für
die deutsche Industrie. Das eröffnet Möglichkeiten ge-
rade für Anlageninstallateure, mit intelligenter Steue-
rungs- und Messtechnik maßgeschneiderte Lösungen zu
präsentieren. Ich halte das für einen zukunftsfähigen
Markt und würde mir wünschen, dass dies auch stärker
genutzt werden würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selbst wenn wir die Förderung nicht anpassen wür-
den, selbst wenn wir höhere Vergütungen genehmigen
würden: Am Grundproblem der deutschen Hersteller än-
dert das doch nichts. Das EEG ist eben kein Absatzsi-
cherungsgesetz. Auf dem Weltmarkt stehen unglaublich
viele Module zur Verfügung. Es gibt massive Überkapa-
zitäten, und der Wettbewerb ist hammerhart. Ich sage
nicht, dass der Wettbewerb jedes Mal fair ist. Gerade aus
Fernost kommen Module auf den Markt, die preislich
weit unter dem liegen, was deutsche Hersteller anbieten
können.


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum ist das so?)


Aber es ist auch wahr, dass sich die Bürgerinnen und
Bürger oftmals für das günstigere Angebot entscheiden,
und das beeinflusst das EEG nicht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was tun Sie gegen Dumping?)


Wir können diese Wettbewerbsverhältnisse mit einem
nachfrageorientierten Instrument nicht beeinflussen.
Noch einmal, Herr Kelber: Es ist kein Absatzsicherungs-
gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr Minister hat von Dumping gesprochen! Was tun Sie gegen Dumping? Sie widersprechen Ihrem Minister in seiner Abwesenheit!)


Mit höheren Vergütungssätzen riskieren wir eine Über-
förderung, ohne zu steuern. Die Grünen und auch Sie,
Herr Kelber, sagen das übrigens auch hinter verschlosse-
nen Türen. Sie sollten den Mut haben, das auch hier so
zu sagen und nicht nur im kleinen Kreis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerade die Tatsache, dass die Unternehmen schon im
Jahr 2011 in einer schwierigen Situation waren, obwohl
die EEG-Vergütung auskömmlich war, zeigt, dass sich
die Industrie in einem Wettbewerb auch unabhängig
vom EEG behaupten muss. Dazu sind zwei Dinge not-
wendig, wie es sich für die Industrie gehört, nämlich das
Setzen auf Innovationen und auf Forschung. Deswegen
hat diese Bundesregierung zusammen mit dem For-
schungsministerium ein Forschungsprogramm in Höhe
von 100 Millionen Euro aufgelegt. Auch die deutschen
Unternehmen müssen stärker in den Export, um sich zu
behaupten.

Die Bürgerinnen und Bürger stehen mit überwältigen-
der Mehrheit hinter der Energiewende. Die Bürgerinnen
und Bürger wollen zu über 95 Prozent, nämlich zu
98 Prozent, erneuerbare Energien. Wir wollen, dass das
so bleibt. Wenn wir aber risikofreie Renditen im zwei-
stelligen Bereich, finanziert durch alle Stromverbrau-
cher, dulden, dann setzen wir die Unterstützung der Bür-
gerinnen und Bürger langfristig aufs Spiel, und das
wollen wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu unserer Verantwortung gehört, die Interessen aller
Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im PV-Bereich, der Handwerker, aber
auch aller Stromkundinnen und Stromkunden im Blick
zu haben. Das unterscheidet uns offenbar von der Oppo-
sition und auch von manchen Unternehmensverbänden,
die leider nur Partikularinteressen im Blick haben.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Noch ein Wort zur Netzstabilität. In einem Industrie-
land wie Deutschland ist die Netzstabilität ein ganz ho-
hes Gut. Es gibt den sogenannten Nichtverfügbarkeits-
wert. Er liegt in Deutschland bei 14,63 Minuten. Das
heißt, eine Unterbrechung der Stromversorgung bei
Kunden dauert im Durchschnitt in Deutschland lediglich
14,63 Minuten. Wir wollen, dass dieser weltweite Spit-
zenwert gehalten wird. Wir wollen zum Beispiel keine
kalifornischen Verhältnisse, wo der Strom einmal für
volle drei Tage weg war. Wir wollen auch nicht, dass der





Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche


(A) (C)



(D)(B)


Strom, wie es in Brasilien einmal der Fall war, für
2 Stunden oder, wie in Italien, für 18 Stunden weg war.
Deshalb müssen wir die Photovoltaikindustrie, die In-
stallateure von Photovoltaikanlagen ertüchtigen. Auch
diejenigen, die Photovoltaikmodule nutzen, müssen sich
ihrer Verantwortung, zur Netzstabilität beizutragen, be-
wusst sein. Vor diesem Hintergrund gehen wir im Gesetz
auch auf die 50,2-Hertz-Problematik ein; denn das hohe
Gut der Netzstabilität ist etwas, was wir für Deutschland
erhalten wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich glaube ganz fest an die
Zukunft der Solarindustrie, auch hier in Deutschland.


(Dirk Becker [SPD]: Glauben allein hilft aber nicht!)


Wir wollen ein Solarstandort sein. Wir wollen diese In-
dustrie hier halten. Wir wollen bis 2020 mindestens
35 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren
Quellen decken. Die Solarförderung, die Solarindustrie,
die PV wird hier einen großen Beitrag leisten und eine
tragende Rolle einnehmen. Aber überhitzte Expansion
ist nicht gut. Die Überhitzung, die wir in den vergange-
nen Jahren trotz Anpassungen immer wieder erlebt ha-
ben, schadet sowohl dem deutschen Markt als auch un-
seren Unternehmen. Deutschland ist momentan einer der
größten Solarmärkte weltweit. Aber gleichzeitig müssen
wir die Solarindustrie auf einen verträglichen Pfad füh-
ren. Auch das wollen wir mit unserem Gesetz garantie-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dirk Becker [SPD]: Was ist verträglich?)


Wichtig für die Unternehmen ist, dass es jetzt keine
lange Hängepartie gibt. Zur Wahrheit gehört auch: Mit
den Produzenten war schon beim letzten Mal verabredet,
dass es dann, wenn wir wieder deutlich über 7 000 Mega-
watt kommen, erneut eine Korrektur geben wird. Inso-
fern kann keiner ernsthaft verunsichert oder überrascht
sein über die Korrektur, die wir jetzt vornehmen. Es gilt
also: Wenn wir jetzt schnell Klarheit schaffen, schaffen
wir Ruhe im Markt und schaffen Sicherheit für Verbrau-
cher und Installateure.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk Becker [SPD]: Ruhe? Grabesruhe! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Friedhofsruhe!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716600200

Das Wort hat nun Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1716600300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die erneuerbaren Energien in Deutschland sind eine
einzigartige Erfolgsgeschichte. Seit der Jahrtausend-
wende sind 380 000 neue Jobs geschaffen worden, die
Emission von Treibhausgasen ist um 150 Millionen Ton-
nen jährlich gesunken. Wir haben endlich wieder Wett-

bewerb im Energiemarkt. Wir haben an der Strombörse
übrigens niedrigere Preise, wir haben rapide sinkende
Kosten für jede Kilowattstunde Ökostrom, und jährlich
sind mehr als 30 Milliarden Euro zusätzliche Investitio-
nen ausgelöst worden. Für all das war das Erneuerbare-
Energien-Gesetz, das im Jahr 2000 in Kraft getreten ist,
die Grundlage. Die SPD ist stolz auf diese Erfolgsge-
schichte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Rund 70 Staaten haben weltweit das Erneuerbare-
Energien-Gesetz kopiert. Das ist nicht vielen deutschen
Gesetzen vergönnt. 2000 und 2004 ist dieses Erneuer-
bare-Energien-Gesetz in diesem Parlament durchgesetzt
worden – durchgesetzt gegen CDU/CSU und FDP, ge-
gen die Stimme von Angela Merkel, gegen die Stimme
von Norbert Röttgen, gegen die Stimme von Katherina
Reiche. Heute wird ein Gesetz vorgelegt, das ein Angriff
auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist.

Es ist erstens ein Angriff auf die Verlässlichkeit, weil
in Zukunft die Rahmenbedingungen sehr schnell mit Ka-
binettsentscheidungen verändert werden können.

Zweitens ist es ein Angriff auf den schnellen Ausbau,
den schnellen Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare
Energien.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein Schmarrn!)


Ich will das nur an einem Beispiel darstellen: Die Regie-
rung hat vor zwei Monaten bei der Netzplanung gesagt,
sie wolle 54 Gigawatt Photovoltaik in Deutschland,
54 Gigawatt Solarstrom. Jetzt sollen es mehr als 10 Gi-
gawatt weniger sein. Zum Vergleich: Das ist die Leis-
tung der noch am Netz verbliebenen Atomkraftwerke.


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)


Die wollen Sie weniger an Solarstrom in Deutschland
haben.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das ist doch unter Ihrem Niveau! – Cajus Caesar [CDU/ CSU]: Bei der Wahrheit bleiben!)


Wir haben gestern im Bundestag über die Gefährdung
der Energiewende durch die schwarz-gelbe Bundesre-
gierung gesprochen, weil sie die Energiewende nur aus
Wahltaktik akzeptieren musste, aber nicht wirklich über-
zeugt ist. Wer keine Überzeugung hat, der hat auch kei-
nen Plan. Unsichere Investitionsbedingungen, mangeln-
der Netzausbau, hü und hott bei den Förderprogrammen
und die Kreuzzüge gegen Solarenergie treffen vor allem
die erneuerbaren Energien. Ich nenne ein Beispiel: Das
Förderprogramm für erneuerbare Energien im Wärme-
sektor wurde erst gekürzt, dann gestoppt, dann wieder
aufgelegt, dann erweitert, jetzt wieder gestoppt. In nur
zwei Jahren gab es sechsmal ein Hin und Her bei einem
der relevantesten Förderprogramme für unser Hand-
werk. Wer soll in diesem Chaos von Schwarz-Gelb noch
investieren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)






Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


Es geht nicht nur um die Höhe der Vergütung. Immer
häufiger können Windenergieanlagen nicht produzieren,
weil der Netzausbau nicht vorankommt, weil Schwarz-
Gelb Pilotprojekte für Erdverkabelungen, Hochtempera-
turleitungen, Stromautobahnen und andere neue Techno-
logien verweigert.


(Michael Kauch [FDP]: Stimmt überhaupt nicht!)


Die Technologieförderung wird zusammengestrichen.
Wo ist die Speicherstrategie der Regierung? Wo ist die
Unterstützung für Kombinationskraftwerke aus ver-
schiedenen erneuerbaren Energien, die punktgenau
Strom liefern sollen? Stattdessen erstickt Schwarz-Gelb
die erneuerbaren Energien auch durch Bürokratie und
Verbote. Ein Beispiel: Das neue Luftverkehrsgesetz wird
für jeden Luftlandeplatz ein 50 Quadratkilometer großes
Gebiet definieren, in dem Windenergieanlagen nicht
mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen errichtet
werden können. Das sind 25 000 Quadratkilometer zu-
sätzliche Erschwerungsfläche, mehr als die Fläche von
Rheinland-Pfalz.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irre!)


Die SPD lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung im Bundestag und im Bundesrat ab.


(Zurufe des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


So wird und so darf er keine Mehrheit bekommen. Es ist
ein durchsichtiger Angriff auf die erneuerbaren Ener-
gien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wird auch durch kosmetische Veränderungen gegen-
über den ersten Entwürfen der Regierung nicht besser.


(Zurufe des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die verschlechterten Bedingungen für erneuerbare Ener-
gien sollen nun in drei Wochen in Kraft treten, statt, wie
zunächst vorgesehen, heute. Das haben die schwarz-gel-
ben Fraktionen angekündigt. Die vorgesehene Entmach-
tung des Parlaments durch Kabinettsbeschlüsse wird nun
minimal eingeschränkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP: Man kann sich auch selbst zum Affen machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Diese Korrekturen sind weniger als gar nichts! Nehmen
Sie sich doch ein Beispiel an den CDU-regierten Län-
dern: Die lehnen das ab und wollen gegen die Inhalte
dieses Entwurfs kämpfen. Das erwarte ich auch von den
Fraktionen von Schwarz und Gelb.

In Zukunft soll das Kabinett bei allen erneuerbaren
Energien die Vergütung und die Menge des zu vergüten-
den Stroms innerhalb weniger Tage kappen können.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Lesen Sie doch mal den Gesetzentwurf durch!)


Bei den Nichtsolarenergien soll der Bundestag dann
noch zustimmen. Bislang hat das der Deutsche Bundes-
tag in einem transparenten Verfahren gemacht. Diese
Entmachtung des Parlaments, diese zu befürchtenden
kurzfristigen Verschlechterungen greifen die Verlässlich-
keit des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an. Aber erst
die Verlässlichkeit der Förderung erneuerbarer Energien
hat die Erfolgsgeschichte möglich gemacht. Die neue
Regelung wird für höhere Risikozinsen, weniger Investi-
tionen und weniger Erneuerbare sorgen. Das lehnt die
SPD ab.

Schwarz-Gelb hat angekündigt, den Zubau von Solar-
energie in Deutschland bis 2017 auf maximal 1,5 Giga-
watt pro Jahr absenken zu wollen; das heißt 80 Prozent
weniger als 2011, die Hälfte weniger als nach den bishe-
rigen Zielen. Pardon, aber wie dumm ist das eigentlich,
genau dann, wenn etwas billiger wird, in das man viel
investiert hat – und Deutschland hat viel in das Billiger-
werden der Solarindustrie investiert –,


(Dirk Becker [SPD]: So ist das!)


wenn man sozusagen die Ernte einfahren könnte, den
Ausbau zurückzufahren?


(Zurufe des Abg. Michael Kauch [FDP])


Welcher Bauer käme denn auf die Idee, in dem Augen-
blick, wenn das teure Saatgut Wurzeln geschlagen hat
und die Ernte der Früchte zum Greifen nahe ist, das Feld
abzubrennen? Niemand käme auf diese Idee.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Schön, dass Sie das wissen!)


Nein, die SPD will beim Ausbauziel von wenigstens
3,5 Gigawatt Solarenergie pro Jahr bleiben, damit die
Solarenergie allein alle zwei Jahre ein Atomkraftwerk
ersetzen kann. Wir wollen die Solarmodule endlich auch
auf den Dächern der Mietshäuser sehen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Kauch [FDP]: Das kann doch heute jeder machen!)


damit der Eigenverbrauch zu niedrigeren Stromkosten
für die Mieterinnen und Mieter führt. Diese könnten die-
sen Strom heute bereits für 15 oder 16 Cent bekommen
statt zum Preis von 25 Cent, zu dem ihn die Energiekon-
zerne an die Mieterinnen und Mieter verkaufen. Wir
wollen, dass alle profitieren können.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen muss Solarstrom natürlich weiterhin jedes
Jahr billiger werden, und zwar mit einer festen monatli-
chen Rate, die einmal pro Quartal angepasst werden





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


muss, wenn deutlich mehr als die 3,5 Gigawatt zugebaut
wurden. An dieser Stelle unterstützen wir die bestehende
Gesetzeslage.


(Stephan Thomae [FDP]: Ah!)


Wir wollen die Vergütung weiter senken; 30 Prozent
wären es 2012 ohnehin gewesen. Ein maßvoller zusätzli-
cher Schritt erscheint möglich.


(Horst Meierhofer [FDP]: Wie viel denn?)


Aber wir sollten die Vergütung nur so weit senken, dass
jemand, der ein Modul unter marktwirtschaftlichen Be-
dingungen produziert, dies auch zu einem angemessenen
Preis verkaufen kann. Schwarz-Gelb will die Vergütung
jedoch so weit absenken, dass nur noch hochsubventio-
nierte Module aus China auf dem deutschen Markt eine
Chance haben.


(Michael Kauch [FDP]: Das ist doch völliger Unsinn!)


China hat zweifelsohne technologisch aufgeholt.
Aber wir wissen doch auch, dass der Staat, die Provinz-
regierungen und die Volksarmee die Solarfirmen sub-
ventionieren. Schwarz-Gelb akzeptiert die unfairen
Dumpingpreise aus China. In Vieraugengesprächen wird
gesagt: Das ist halt so; da kann man nichts machen.
Nein! Staatlich ausgeglichene Verluste für chinesische
Solarfirmen, subventioniertes Siliziumdioxid, subventio-
niertes Glas, subventionierte Energie, großzügige Kre-
ditlinien – das ist kein fairer Wettbewerb.


(Zurufe von der FDP)


Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-
land können erwarten, dass eine Bundesregierung einem
solchen Dumping aus dem Ausland entgegentritt und
nicht tatenlos zusieht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD wird diese Zukunftstechnologien nicht auf-
geben. Wir erwarten eine Antidumpingstrategie des
Bundeswirtschaftsministers.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist ja gut!)


Die Menschen müssen sich darauf verlassen können – in
den Hochburgen, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thürin-
gen, Brandenburg.


(Michael Kauch [FDP]: Und in Bonn!)


Das gilt aber auch für Handwerker und Zulieferer aus
der ganzen Republik.

Die schwarz-gelben Pläne bedeuten einen Zusam-
menbruch der deutschen Solarzellen- und Solarmodule-
fertigung.


(Zuruf von der FDP: Quatsch!)


Ich darf noch einmal – wenn Sie mir nicht glauben – das
Bundesumweltministerium zitieren, Frau Staatssekretä-
rin Reiche. Damit Sie es finden: Es geht um Ihre Presse-
mitteilung 145/11 vom Ende letzten Jahres.

Zum 1.1.2012 wird die PV-Vergütung nochmals um
15 Prozent abgesenkt. Das EEG 2012 sieht zudem
vor, dass auch zum 1.7.2012 ein weiterer Absen-
kungsschritt erfolgt …

Dies stellt die deutschen Unternehmen nochmals
vor eine große Herausforderung … Viele deutsche
Unternehmen schreiben bereits derzeit Verluste.
Wir wollen die Photovoltaikindustrie aber nicht ab-
würgen …

Es ist … gelungen, eine Lösung zu finden, die die
Kosten deutlich reduziert, marktwirtschaftliche An-
reize erhöht und gleichzeitig Planungssicherheit ge-
währleistet.

Jetzt muss das neue Gesetz, das am 1. Januar 2012
in Kraft tritt, erst einmal wirken.

Das war die Meinung Ihres Ministers vor dreieinhalb
Monaten, Frau Reiche. Das hat überhaupt nicht zu Ihrer
heutigen Rede gepasst.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die große Chance, aus 380 000 Jobs in den
nächsten Jahren 750 000 Jobs zu machen. Mit Schwarz-
Gelb drohen jetzt weitere Insolvenzen und Arbeitslosig-
keit. Wir wollen die Energieversorgung zu 100 Prozent
in Richtung der Erneuerbaren transformieren. Schwarz-
Gelb will die Erneuerbaren den Spielregeln der Energie-
konzerne unterwerfen, der Versorgung mit Großkraft-
werken; sie sollen nur die Lücke füllen.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Nein! Wollen wir nicht! – Gegenrufe von der SPD: Natürlich!)


Nicht wenige bei Schwarz-Gelb wollen doch in Wirk-
lichkeit das Scheitern der Energiewende, damit die
Atomkraftwerke nach 2022 weiterlaufen können. Sie
hätten nur die Interviews der letzten Tage lesen oder ges-
tern Herrn Paul in diesem Parlament hören müssen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Paul [CDU/CSU]: Das ist eine bösartige Unterstellung!)


Wir, die SPD, stellen uns diesen Plänen entgegen. Wir
wissen uns in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis.
Zu diesem Bündnis gehören auch von CDU und CSU re-
gierte Bundesländer. Jetzt fordern wir diesen Mut, den
die Ministerpräsidenten der Bundesländer gezeigt haben,
als sie in den letzten Tagen gesagt haben: „Wir stimmen
diesem Entwurf der schwarz-gelben Bundesregierung
nicht zu“, auch von den Freunden der Erneuerbaren in
den Fraktionen von CDU/CSU und FDP ein.

Heute bringt die Bundesregierung ihr Anti-Erneuer-
bare-Energien-Gesetz ein. Wir werden es in den Aus-
schüssen und in der Anhörung zerpflücken.


(Dirk Becker [SPD]: So ist es!)


Ende März wird hier die Endabstimmung stattfinden.
Die SPD wird namentliche Abstimmung beantragen, da-
mit jeder in den Wahlkreisen weiß, wo sein Abgeordne-





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


ter oder seine Abgeordnete in dieser wichtigen Frage
steht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716600400

Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1716600500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Kelber hat gerade wieder gezeigt, wer hier in diesem
Haus der größte Lobbyist für eine bestimmte Branche
ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD-Fraktion kann hier aus meiner Sicht nicht guten
Gewissens mit solchen Argumenten antreten.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mövenpick!)


Eine Partei, die darauf ausgerichtet war, die kleinen
Leute in diesem Land zu vertreten, ist inzwischen hier
im Deutschen Bundestag offensichtlich die Partei, die
auf Kosten der alleinerziehenden Kassiererin im Super-
markt


(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die Umverteilung von unten nach oben propagiert, näm-
lich zugunsten der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer.
Das war der Inhalt der Rede von Herrn Kelber hier im
Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Sie übertreffen sich selber!)


Ich kann nur sagen: Sie sollten sich einmal Ihre ei-
gene nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin zum
Vorbild nehmen.


(Dirk Becker [SPD]: Jetzt kommt das wieder!)


Sie sagt nämlich erstens: Wir müssen unsere industriel-
len Kerne erhalten, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.
Zweitens sagt sie: Bei der Photovoltaik muss man mit
der Vergütung runter. – Das ist die Zweigesichtigkeit der
SPD: hier im Deutschen Bundestag Solarlobby, in Nord-
rhein-Westfalen Anwalt der kleinen Leute. Das passt
nicht zusammen, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen passt gar nichts zusammen!)


Im Jahr 2011 war der Anteil erneuerbarer Energien an
der Stromproduktion so groß wie nie: Etwa 21 Prozent

unseres Stroms stammen aus Wind, Sonne, Biomasse
und Wasserkraft. Mit dieser schnellen Entwicklung wer-
den wir es schaffen, unser Ziel, bis 2020 den Anteil des
Ökostroms auf mindestens 35 Prozent zu heben, voraus-
sichtlich weit schneller zu erreichen, als wir noch vor
kurzem gedacht haben. Und man sieht: Es ist die Politik
von Union und FDP, die Politik dieser Koalition, die
wirkt. Das ist die Politik für eine schnellere Energie-
wende, die wir nicht nur beschlossen haben, sondern die
wir auch durchsetzen. Das beweisen die Zahlen ganz
eindeutig, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber man muss auch ehrlich bleiben. Nur jede sechste
Kilowattstunde Ökostrom stammt aus der Solarenergie,
und wer wie Herr Kelber hier so tut, als würde die Frage
der Solarvergütung darüber entscheiden, ob die erneuer-
baren Energien in Deutschland erfolgreich sind, der ver-
zerrt die Wirklichkeit. Wir haben es hier mit einem
Marktsegment der erneuerbaren Energien zu tun, und
das ist nicht einmal das größte. Es sind die Windkraft
und Biogas, die das Rückgrat des Ökostroms in Deutsch-
land sind.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die behindern Sie ja auch!)


Allerdings – das sage ich auch sehr deutlich – ist die
Solarenergie ein Marktsegment mit weltweit großen
Marktchancen in der Zukunft, und trotz der asiatischen
Konkurrenz haben wir immer noch die Technologiefüh-
rerschaft inne.

Deshalb, meine Damen und Herren, steht die FDP zur
Solarenergie. Wir wollen allerdings einen nachhaltigen
Ausbau und keine Überhitzung des Marktes, wie wir es
in der Vergangenheit erlebt haben. Das halten die Ver-
teilnetze nicht aus, und das ist auch für die Bürgerinnen
und Bürger in dieser Form nicht bezahlbar.


(Beifall bei der FDP)


Man sollte sich auch hier einmal die Ausbauzahlen
anschauen. Im Jahr 2010 und im Jahr 2011 hat die Solar-
industrie die gesetzlichen Ausbauziele um mehr als das
Doppelte überschritten. Wenn man dann noch berück-
sichtigt, dass die schwarz-gelben Ausbauziele fast dop-
pelt so hoch sind wie die unter dem ehemaligen SPD-
Umweltminister Sigmar Gabriel,


(Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen senken Sie sie jetzt, nicht wahr?)


könnte man davon reden, dass die Ausbaurate in den
letzten beiden Jahren viermal höher war als die Rate, die
Sigmar Gabriel wollte. Die SPD, die uns an dieser Stelle
vorwirft, wir würden die Solarindustrie nicht genug för-
dern, müsste sich eigentlich selber fragen, was sie in ih-
rer Regierungszeit getan hat. Schließlich wollte sie nur
ein Viertel dessen, was allein im letzten Jahr erreicht
wurde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, dass wir die
Förderung seit unserem Regierungsantritt in etwa hal-





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)


biert haben, ohne dass der Ausbau zusammengebrochen
wäre. Das Gegenteil ist passiert. Bei jeder Kürzungs-
runde standen jedoch die Demonstranten da und haben
gesagt, die Solarindustrie bricht zusammen. Jedes Mal
haben Sie das Lied vom Tod der Solarbranche gesungen,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


aber jedes Mal ist das Gegenteil eingetreten, und so wird
es auch dieses Mal sein, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Anlagenpreise sinken immer weiter, und wenn
die Anlagenpreise immer weiter sinken – und das ist ein
Erfolg des technischen Fortschritts –, dann müssen diese
sinkenden Preise auch an die Verbraucherinnen und Ver-
braucher weitergegeben werden. Denn sonst machen
sich Investoren die Taschen voll.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Wir wollen nicht, dass zweistellige Renditen der Eigen-
heimbesitzer von normalen Stromkunden, von normalen
Familien finanziert werden.


(Lachen und Zurufe von der SPD: Oh!)


Das ist auch eine soziale Frage, um die wir uns hier zu
kümmern haben, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Lehnen Sie die zweistelligen Renditen bei den Netzbetreibern auch ab?)


Wenn Sie, Herr Kelber, hier die Rechnung aufma-
chen:


(Ulrich Kelber [SPD]: Was ist mit den zweistelligen Renditen bei RWE?)


„Mehr Vergütung heißt mehr deutsche Module“, dann
zeigt das nur, dass Sie den Markt nicht verstanden ha-
ben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das haben Sie sich aufgeschrieben, obwohl ich das gar nicht gesagt habe! Gehen Sie mal auf meine Rede ein!)


Auch bei der jetzigen Vergütungshöhe guckt sich der
Hausbesitzer doch an, welches Modul gut und günstig
ist.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nicht ablesen!)


Leider muss man sagen, dass die Chinesen nicht mehr
schlechter als die Deutschen sind. Wenn sie dann auch
noch billig werden, dann kaufen die Leute die chinesi-
schen Module, und zwar unabhängig von der Vergü-
tungshöhe. Deshalb müssen sich die deutschen Herstel-
ler die Frage stellen,


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum die Bundeswehr nicht ihre Verluste ausgleicht!)


warum sie in den letzten Jahren im Verhältnis zum Um-
satz weniger für die Forschung ausgegeben haben als der
Durchschnitt der deutschen Industrie.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn immer für Gentechnik statt für Solarforschung Geld ausgegeben? Das ist die Frage an Sie! Sie sind doch die Bundesregierung!)


Wer nicht forscht, kann auch nicht besser werden, meine
Damen und Herren!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb müssen wir bei der Forschung ansetzen, wenn
wir die deutschen Hersteller wieder für den Weltmarkt
fitmachen wollen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Ulrich Kelber [SPD]: Wie wollen Sie denn mit Forschung Dumping ausgleichen?)


Zu dem Gerede von Herrn Kelber, man müsse jetzt
gegen das Dumping aus China vorgehen:


(Ulrich Kelber [SPD]: Das hat Herr Röttgen gesagt! Letzte Sitzungswoche!)


Dafür ist die Europäische Kommission zuständig, und
die Europäische Kommission hat dazu ein Verfahren ein-
geleitet.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein! Noch nicht!)


Aber es ist der Europäischen Kommission bisher nicht
gelungen, nachzuweisen, dass es Dumping gibt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das mit dem Verfahren stimmt doch überhaupt nicht!)


Wir haben einen WTO-Vertrag, und insofern muss man
Beweise bringen und darf nicht nur Behauptungen auf-
stellen. Sie als Opposition machen es sich hier ganz
schön leicht, Herr Kelber.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Wie immer! – Ulrich Kelber [SPD]: Herr Kauch, Sie haben gerade die Unwahrheit gesagt! Eine absichtliche Lüge! Es gibt kein EU-Verfahren! Deutschland müsste es beantragen!)


Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
eine Formulierungshilfe gegeben. Die Fraktionen haben
diese Formulierungshilfe abgeändert. Wir haben den Ge-
setzentwurf, den wir heute in den Bundestag einbringen,
nicht eins zu eins von der Bundesregierung übernom-
men.


(Ulrich Kelber [SPD]: Oh!)


Den Fraktionen war es wichtig, dass in unserem Land
Vertrauensschutz besteht. Wir sichern den Vertrauens-
schutz für mittelständische Unternehmen. Wir sichern
Vertrauensschutz für durchgeführte Investitionen. Des-
halb haben wir die Übergangsfristen für Dachanlagen
und Freiflächenanlagen verlängert. Das ist ein Erfolg für
die Koalitionsfraktionen hier im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der FDP)






Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)


Wir können das Spiel mit den Übergangsfristen aller-
dings nicht immer weitertreiben; denn wer die Fristen
immer weiter nach hinten schiebt, wird einen Schluss-
verkaufseffekt auslösen. Das würde dazu führen, dass
mehr Anlagen hoch gefördert würden als ohne die ge-
plante Gesetzesänderung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben damit Erfahrung, Schlussverkäufe herbeizureden!)


Klar muss sein: Wir haben die Regelungen mit Blick auf
den Vertrauensschutz geändert, aber wir als FDP-Frak-
tion werden einem weiteren Hinausschieben über den
1. April hinaus nicht zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716600600

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1716600700

Wir haben auch die Verordnungsermächtigungen, die

sich die Bundesregierung zubilligen wollte, im Interesse
der Parlamentsrechte eingeschränkt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie geben 90 Prozent Ihrer Rechte auf statt 100 Prozent!)


Wir als FDP wollen im weiteren Verfahren eine automa-
tische Anpassung, den sogenannten atmenden Deckel.
Wenn die Ausbauziele überschritten werden, soll künftig
die Anpassung automatisch erfolgen, damit wir nicht
ständig neue Verordnungen der Bundesregierung brau-
chen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716600800

Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716600900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zei-

ten, in denen Investitionen in Solarstrom teuer waren,
sind vorbei. Seit 2008 sind die Mittel für die Förderung
von Solarstrom halbiert worden, und zwar auf gesetzli-
cher Grundlage. Aber das genügt Ihnen nicht. Selbst im
Jahre 2012 wäre die Förderung nach der derzeit beste-
henden gesetzlichen Grundlage noch einmal um 30 Pro-
zent reduziert worden. Aber das reicht Ihnen immer
noch nicht, Sie wollen noch drastischer reduzieren. Wa-
rum reicht Ihnen das eigentlich nicht? Die Solaranlagen
jetzt auszubremsen, so wie Sie das vorhaben, bedeutet
nichts anderes, als im Interesse der fossil-nuklearen
Energiewirtschaft zu handeln. Das ist gesellschaftspoliti-
scher Irrsinn.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Bareiß [CDU/ CSU]: Quatsch! Absoluter Unsinn!)


Für die zusätzliche Kürzung von 10 bis 18 Prozent im
Jahr 2012 können Sie keine triftigen Gründe anführen.
Das Ziel der Bundesregierung ist meines Erachtens die
Blockade der Energiewende,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein Schmarrn!)


wobei es nicht nur um die Kürzung der Förderhöhe, son-
dern auch um eine radikale Absenkung des Neubaus von
Solaranlagen geht. Es steht ausdrücklich im Gesetzent-
wurf: Der Zubaukorridor soll drastisch heruntergefahren
werden.

Geht es nach der Regierung, soll in fünf Jahren nur
noch ein Viertel der Solaranlagen im Vergleich zum heu-
tigen Stand gebaut werden. Warum?


(Horst Meierhofer [FDP]: Nein, gefördert!)


Ich werde es Ihnen erklären. Die höhere Mathematik der
Bundesregierung lautet wie folgt: Um die Energiewende
voranzuträumen – Entschuldigung: voranzutreiben –,
also auf Strom aus Atom und Kohle zu verzichten, redu-
zieren Sie das Wachstum der Solarenergie.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nein, das ist nicht wahr!)


Sie müssen einmal erklären, wie das funktionieren soll.
Das verstehe, wer will. Ihr eingebrachter Gesetzentwurf
ist nichts anderes als ein Solarausstiegsgesetz, und genau
das muss verhindert werden.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Höhere Mathematik: nicht bestanden!)


Die künftigen Kürzungen des Förderumfangs wollen
Sie auf dem Verordnungswege regeln. Ich sage Ihnen:
Damit entmachtet sich der Bundestag schon wieder
selbst. Das ist doch keine Variante! Warum soll nicht der
Bundestag darüber beschließen? Aus einem ganz einfa-
chen Grunde wollen Sie das: Sie wollen keine öffentli-
che Diskussion darüber führen. Sie wollen das schnell
auf dem Verordnungswege regeln, aber genau das kön-
nen wir nicht zulassen. Das ist ein Abbau von Demokra-
tie.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen beim Abbau der Förderung eine Verkür-
zung erreichen. Man muss sich einmal vor Augen füh-
ren, wie Sie vorgegangen sind: Am 29. Februar tagte Ihr
Kabinett – schade, dass wir ein Schaltjahr haben, sonst
wäre das vielleicht ausgefallen –,


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Es wäre gut, wenn sie das immer am 29. machen würden!)


heute wollten Sie eigentlich abschließend darüber bera-
ten, und am 9. März sollte es schon in Kraft treten. Nun
haben Sie sich auf eine „gewaltige“ Verzögerung einge-
lassen und die Kürzung auf den 1. April verlegt. Wie
schnell soll das denn noch gehen? Wollen Sie Ihre Vor-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


haben künftig innerhalb von 24 Stunden durchwinken?
Das, was Sie diesbezüglich hier anstellen, ist absolut
verantwortungslos.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Schauen wir uns doch einmal die Folgen an – Sie sa-
gen, dass Sie das Ganze fördern, dabei vernebeln Sie
hier alles –: Die Bestellungen werden storniert; Bankkre-
dite sind schon widerrufen worden – alles wegen Ihrer
Gesetzesinitiative. Es wird gesagt: Die Bedingungen
stimmen ja gar nicht mehr; wir haben uns auf ein ande-
res Gesetz verlassen. – Das kann man nicht machen. Es
muss immer eine gewisse Rechtssicherheit geben.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Davon verstehen Sie ja etwas!)


Man hat einer ganzen Branche ein Gesetz vorgelegt und
gesagt: Die Förderung sieht so und so aus, sie ist degres-
siv, sie nimmt von Jahr zu Jahr ab, aber darauf könnt ihr
euch einstellen. – Wenn Sie aber als Gesetzgeber das
Ganze innerhalb einer Woche umdrehen, dann bringen
Sie damit die ganze Branche durcheinander, und zwar
die Unternehmerin und den Unternehmer genauso wie
die abhängig Beschäftigten. Genau dagegen richtet sich
unsere Kritik.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Monaten gab es doch schon genügend
Krisenmeldungen – ich möchte daran erinnern –: Das
Berliner Unternehmen Solon meldete genauso wie das
Erlanger Unternehmen Solar Millennium im Dezember
Insolvenz an. Im Januar stellte First Solar für seine Pro-
duktionsstätten in Frankfurt/Oder einen Antrag auf
Kurzarbeit. Schott Solar stellt die Produktion sogenann-
ter Solar Wafer in Jena ein. Es gibt keine Planungssi-
cherheit. Und was machen Sie jetzt? Jetzt schaffen Sie
das, worauf sich die Unternehmen noch verlassen konn-
ten, auch noch ab. Was soll denn jetzt passieren? Wie
viele Unternehmen wollen Sie denn noch in die Insol-
venz schicken? Sie müssen doch den umgekehrten Weg
gehen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Ich nehme als Beispiel das sogenannte Solar Valley.
Das hat den Menschen in der Region Bitterfeld-Wolfen
in Sachsen-Anhalt endlich wieder eine Chance gegeben.
3 000 Arbeitsplätze sind in einer Region entstanden, die
nach 1990 deindustrialisiert worden ist. Wenn Sie das,
was Sie vorhaben, durchziehen, deindustrialisieren Sie
die Region erneut. Ich halte das für völlig verantwor-
tungslos. Der Osten verträgt keine zweite Deindustriali-
sierung, wirklich nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Skandal!)


Ich hoffe auf die Bundesländer. Ich möchte sehen, wie
viel Kreuz alle neuen Bundesländer haben. Sie müssten
im Bundesrat geschlossen eine Initiative dagegen ergrei-
fen. Da auch Herr Seehofer immer sagt, dass er dagegen

ist – ich weiß gar nicht, wie sich die CSU hier dazu ver-
hält; das ist mir auch wurscht –, müsste er ebenfalls eine
entsprechende Initiative ergreifen. Leider ist es ja kein
zustimmungspflichtiges Gesicht – ich meine natürlich:
Gesetz –, aber der Bundesrat könnte zumindest Ein-
spruch erheben.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


– Das, was ich gerade versehentlich gesagt habe, stimmt
übrigens auch, aber ich weiß, dass es darum jetzt nicht
geht.

Noch einmal: Wenn der Bundesrat Einspruch erhebt,
dann müsste dieser mit absoluter Mehrheit hier zurück-
gewiesen werden; es sei denn, wir erreichen ein besseres
Ergebnis – es muss wirklich ein vernünftiges Ergebnis
sein – im Vermittlungsausschuss. Doch daran kann ich
noch nicht glauben, weil Ihre Zielstellung abenteuerlich
ist. Ich weiß nicht, wie man diesbezüglich eine Verstän-
digung erzielen will.

Was brauchen wir also? Wir brauchen eigentlich ein
Förderprogramm für die Solarenergiebranche.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Noch eins?)


Sie müssten den Unternehmen zinsgünstige Kredite zur
Verfügung stellen und damit zwei Ziele verfolgen: ein
soziales und ein inhaltliches. Das inhaltliche Ziel müsste
so lauten: Die Kredite werden verwendet, um Forschung
und Entwicklung voranzutreiben, und zwar richtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die zweite Bedingung, die ich daran knüpfen würde,
wäre: keine prekäre Beschäftigung.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt Unternehmen, die bis zu 20 Prozent Leiharbeite-
rinnen und Leiharbeiter beschäftigen. Das wollen wir
nicht. Wenn Sie diese Ziele damit verbinden würden,
würden Sie der Industrie wirklich helfen und dabei auch
noch die soziale Komponente berücksichtigen.

Nehmen wir noch einmal das Jahr 2011: Acht Atom-
kraftwerke sind abgeschaltet worden. Sie haben gesagt:
Das führt zu einer Stromkatastrophe. Wir sind aber Net-
tostromexporteur geblieben. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)


Natürlich gab es gewisse Probleme mit der Stabilität von
Stromnetzen, aber das lag daran, dass Stromhändler die
Börse wieder einmal zum Kasino gemacht haben und
dort gespielt und gezockt haben. Gerade wegen der Si-
cherheit der Stromversorgung finde ich das alles aben-
teuerlich. Ich muss Ihnen das noch einmal sagen: Wir
müssen das Kasino an der Börse schließen. In einem
wirklichen Spielkasino gibt es strenge Regeln: Abhän-
gige dürfen da gar nicht hin; am Eingang muss man sei-
nen Pass vorlegen. Aber an der Börse kann jeder ma-
chen, was er will.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


Uns wurde erzählt, dass die großen Unternehmen alle
kurz vor der Pleite stünden und, wenn man ihnen nicht
ungeheuer helfen würde, lauter Katastrophen passieren
würden. RWE hat am Dienstag, am 6. März 2012, be-
kannt gegeben, dass sie ein wahnsinnig schlechtes Jahr
hatten. Sie hatten nur einen Gewinn von 1,8 Milliar-
den Euro. Mir kommen da nicht die Tränen, muss ich
ehrlich sagen. Von solchen Gewinnen können andere
Branchen nur träumen.

Was machen Sie? Ich habe mir das einmal ange-
schaut; das ist sehr spannend. Sie fördern jetzt kapitalin-
tensive Anlagetypen wie Offshorewindparks in der
Nordsee – künftig auch in der Ostsee – und Biogasanla-
gen. Ich habe nichts dagegen, das Problem ist nur: Wa-
rum fördern Sie dies und nicht mehr die Solarenergie?
Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Kennen Sie
den Grund? Die vier Konzerne Eon, RWE, Vattenfall
und EnBW investieren in Offshorewindparks und Bio-
gasanlagen und nicht in die Solarenergie.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Gebhart [CDU/ CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das muss man sich einmal vorstellen. Sie verschieben
die Förderung hin zu den vier großen Konzernen und sa-
gen den kleinen und mittelständischen Unternehmen im
Bereich der Solarenergie: Für euch ist Schluss. – Das
macht die FDP mit!


(Horst Meierhofer [FDP]: Das ist Pippi Langstrumpf, was Sie erzählen!)


Mein Gott, Sie haben sich doch einmal als Mittelstands-
partei gegründet, und jetzt machen Sie den Mittelstand
tot. Nun müssen wir als Linke uns auch noch um den
Mittelstand kümmern, weil Sie es nicht tun. Das ist
wirklich abenteuerlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Gisela Piltz [FDP]: Gestern im Kindergarten haben Sie mir besser gefallen! Das muss ich sagen!)


– Sie haben völlig recht. Natürlich gefalle ich Ihnen in
einem Kindergarten besser. Das liegt daran, dass ich mit
Kindern gut umgehen kann. Gestern im Kindergarten
habe ich eines festgestellt: Kinder unterscheiden sich
von vielen hier im Saal. Ich will Ihnen auch sagen, wa-
rum. Kinder sind ehrlich, Kinder sind aufrichtig, Kinder
sind sehr konzentriert, und außerdem sind sie niedlich.
Das kann man von vielen hier wirklich nicht behaupten.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)


Wir sollten übrigens gemeinsam dafür kämpfen, dass
die Erzieherinnen endlich anständig bezahlt werden. Sie
leisten eine wichtige Arbeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zurück zum Thema. Es gibt noch einen interessanten
Punkt. Sie hatten, als Sie die Laufzeiten der Atomkraft-
werke verlängert haben, hinsichtlich der erneuerbaren

Energien ein Ziel ausgegeben: Im Jahre 2020 sollen
35 Prozent der Stromversorgung durch erneuerbare Ener-
gien erfolgen. Jetzt haben Sie gesagt: Schluss mit Atom-
kraftwerken. Interessanterweise haben Sie aber Ihre Ziel-
marke hinsichtlich der erneuerbaren Energien nicht
erhöht. Sie haben nicht gesagt: Dann brauchen wir nicht
mehr 35 Prozent, sondern 45 oder vielleicht 50 Prozent. –
Sie sind bei 35 Prozent geblieben, schalten aber Atom-
kraftwerke ab. Wer soll die Lücke schließen? Das ist ganz
klar: die fossilen Kraftwerke. Sie setzen wieder auf
Kohle.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie in Brandenburg!)


Sie haben es nicht begriffen. Wir sind nicht mehr im
20. Jahrhundert und schon gar nicht im 19. Jahrhundert,
wir sind im 21. Jahrhundert. Deshalb brauchen wir drin-
gend die Wende hin zu erneuerbaren Energien. Dies ist
im Interesse aller.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gregor, sag das mal deinen Kumpels in Brandenburg!)


– Ja, das mache ich; das können wir beide zusammen
machen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir regieren da nicht!)


Ich sage Ihnen: Mich stört, dass das Ganze wie aus ei-
nem Kinderbilderbuch von Karl Marx ist. Es gibt vier
große Konzerne und Hunderte mittelständische Unter-
nehmen. Was machen Union und FDP? Sie unterstützen
die vier großen Konzerne immer mehr und lassen die
mittelständischen Unternehmen über die Wupper gehen.
Das ist ein Skandal. Tausende Beschäftigte sind davon
betroffen. Deshalb werden wir solidarisch mit den Kol-
leginnen und Kollegen der Solarbranche dafür kämpfen,
dass das, was Sie hier vorhaben, verhindert wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716601000

Das Wort hat nun Hans-Josef Fell für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Lobby, die zweite!)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716601100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In der Debatte zur Solarvergütung in der letzten
Sitzungswoche hat Herr Minister Röttgen aus meiner
Rede zitiert, die ich vor zwei Jahren zur EEG-Novelle
gehalten hatte. Er warf mir vor, ich hätte vor Insolvenzen
und Arbeitsplatzverlusten in der Solarindustrie gewarnt,
die dann doch nicht eingetreten seien. Auch Frau Reiche
hat heute wieder gesagt, der Solarwirtschaft gehe es
blendend. Wo leben Sie denn, meine Damen und Herren
von Schwarz-Gelb?

Fabrikschließungen und Insolvenzen haben bereits
jetzt ein schlimmes Ausmaß angenommen, lange bevor





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)


Ihre heute vorgelegte Gesetzesnovelle in Kraft ist. Pro-
duktionsstätten wurden schon geschlossen: in Alzenau
SCHOTT Solar, Q-Cells in Thalheim und Conergy in
Frankfurt an der Oder. Insolvent gegangen sind Gecko
Group in Wetzlar, Solon in Berlin, Ralos in Michelstadt,
Scheuten in Gelsenkirchen, SunConcept in Limburg und
Systaic in Düsseldorf. Schlimmer noch: Der Ausverkauf
deutscher Unternehmen an arabische und chinesische
Firmen aus Verzweiflung vor drohenden Konkursen hat
bereits begonnen. All das ist das Ergebnis Ihrer verfehl-
ten Solarpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist jetzt gelogen!)


Diese schwarz-gelbe Bundesregierung trägt die
Schuld am bereits erfolgten Verlust Tausender Arbeits-
plätze in der deutschen Solarbranche.


(Stephan Thomae [FDP]: So ein Quatsch! Schauen Sie sich doch mal die Arbeitsmarktzahlen insgesamt an! – Michael Kauch [FDP]: Nein! Die falschen Geschäftsmodelle!)


– Ja, natürlich. – Das hat auch etwas mit der wachsenden
Konkurrenz aus China zu tun. Die chinesische Regie-
rung hat im Gegensatz zur Bundesregierung klar er-
kannt, dass die Photovoltaik einer der wichtigsten und
größten Exportmärkte der nahen Zukunft sein wird und
stützt daher strategisch den Ausbau der erneuerbaren
Energien in China.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Thomae [FDP]: Herr Fell, wollen Sie etwa Planwirtschaft? – Thomas Bareiß [CDU/ CSU]: Ach, das ist doch bekloppt!)


Doch was tut die Bundesregierung? Statt die heimi-
sche Solarindustrie im wachsenden internationalen Wett-
bewerb zu stützen, statt ein offensives Solarindustrie-
konzept vorzulegen,


(Stephan Thomae [FDP]: Was meinen Sie? Ein Konzept oder einen Plan?)


legen Sie heute eine Gesetzesnovelle vor, welche die
deutsche Solarwirtschaft noch weiter massiv unter Druck
setzen wird.


(Horst Meierhofer [FDP]: Herr Fell, was reden Sie denn da?)


Wir Grünen lehnen Ihren Gesetzentwurf ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern Sie, die Abgeordneten von Schwarz-
Gelb, auf: Korrigieren Sie diesen fatalen, verfehlten Ge-
setzentwurf der Bundesregierung!


(Gisela Piltz [FDP]: Das tun wir doch!)


Hören Sie wenigstens auf die Ministerpräsidenten der
unionsregierten Länder vor allem im Osten Deutsch-
lands, wo auch Sie, Frau Reiche, herkommen.


(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese fürchten eine zweite Deindustrialisierung im Os-
ten. Das kann doch nicht unser Ziel sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Streichen Sie die Verordnungsermächtigungen zur
Entmachtung von Bundestag und Bundesrat! Die Ent-
scheidungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien
gehören eben nicht in die Hand eines Wirtschaftsminis-
ters Rösler, der ausschließlich die Interessen der Kohle-
und Atomwirtschaft vertritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Horst Meierhofer [FDP]: Ausgemachter Käse!)


Wir hoffen, dass der Bundesrat seine eigene Entmach-
tung durch eine Zweidrittelmehrheit verhindern wird.

Ja, auch wir Grünen sehen die Chancen einer gleich-
mäßigen Vergütungssenkung für die Photovoltaik, ak-
tuell um noch einmal etwa 20 Prozent.


(Horst Meierhofer [FDP]: Bei Ihnen wären die meisten Unternehmen schon längst pleite! – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Haben wir gemacht!)


Das wäre als Reaktion auf die tollen Innovationserfolge
der Solarindustrie angemessen.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Aber das haben wir doch gemacht! – Michael Kauch [FDP]: Das steht doch im Gesetzentwurf! – Horst Meierhofer [FDP]: 20 Prozent! Das steht doch drin!)


Aber: Verhindern Sie die verheerenden Vorschläge der
Bundesregierung, die in Teilsegmenten eine Senkung
der Vergütung um 37 Prozent vorsehen! Das entspräche
in nur einem Jahr einer Vergütungssenkung um über
50 Prozent. Das verträgt die Branche nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Meierhofer [FDP]: Vor zwei Jahren haben Sie auch schon gesagt, dass die Branche das nicht verträgt!)


– Ja. Die Insolvenzen sind ja da, wie ich Ihnen gerade
vorgelesen habe, Herr Meierhofer. – Schaffen Sie lieber
Investitionsanreize für die Netzintegration! Das wäre al-
lemal besser, als den Zubau von Solarstromanlagen we-
gen fehlender Netzintegration einfach einzudämmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch sollten Sie einen Ausbaukorridor von etwa
5 Gigawatt jährlich anstreben. Ihr Ausbaupfad bis 2020
ist geringer als das, was schon heute von der Solarwirt-
schaft in Deutschland insgesamt installiert ist. Man muss
sich Ihre verrückten Vorstellungen einmal vor Augen
halten: Je billiger der Solarstrom wird, desto weniger
wollen Sie zubauen. Was ist das für eine Industrie- und
Energiepolitik?





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: Wir wollen Markt! – Horst Meierhofer [FDP]: Das sind doch alles nur Subventionen!)


Ein Jahr nach Fukushima wird uns immer klarer: Sie
wollen die Energiewende gar nicht. Wer gestern die
Rede von Herrn Paul gehört hat und wer gehört hat, was
Herr Fuchs heute im Deutschlandfunk gesagt hat,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


der weiß, dass Sie zur Laufzeitverlängerung zurückwol-
len und dass Sie nicht die Energiewende wollen.


(Michael Kauch [FDP]: Märchen!)


Stoppen Sie, meine Damen und Herren von der
Unionsfraktion und der FDP-Fraktion, den Versuch, die
Grundstruktur des Erneuerbare-Energien-Gesetzes abzu-
schaffen, und streichen Sie die Regelungen mit der 90-
und 85-prozentigen Vergütungsdeckelung!


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Warum? – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ihre Idee war das!)


Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
tionen, hören Sie endlich auf, die erneuerbaren Energien
für die Energiepreissteigerungen verantwortlich zu ma-
chen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Solar- und Windstrom senken die Börsenstrompreise im-
mer stärker. Ihre Hetze gegen die erneuerbaren Energien
als Energiepreistreiber wird immer unerträglicher.


(Gisela Piltz [FDP]: Warum brüllen Sie eigentlich so?)


Es sind die steigenden Öl-, Gas- und Kohlepreise, die die
Verbraucherinnen und Verbraucher belasten. Wenn Sie
schon die genauen Gründe nicht wissen wollen, dann hö-
ren Sie sich wenigstens an, was Herr Großmann von
RWE sagt.


(Gisela Piltz [FDP]: Oh! Sind Sie etwa auch Lobbyist bei RWE?)


Er hat bei der Darstellung des Unternehmensergebnisses
zugegeben, dass sich aufgrund der steigenden Kohle-
preise die Kosten erhöht und die Einnahmen vermindert
hätten und dass ihm – hören Sie jetzt genau zu! – der bil-
lige Solarstrom die Einnahmen vermasselt und das Er-
gebnis verhagelt hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit dieser Aussage wird uns immer klarer: In Wirk-
lichkeit wollen Sie den Solarstrom zurückdrängen, weil
Sie nur die Interessen von RWE und Co. im Blick haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716601200

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716601300

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
tionen, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Klima-
und Verbraucherschutz, dann setzen Sie endlich konse-
quent auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Korrigieren Sie diese radikale Solargesetznovelle und
nehmen Sie doch bitte dieses Mal unsere Warnungen vor
weiteren Insolvenzen ernst!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716601400

Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1716601500

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Schon

in der ersten Runde dieser Debatte erkennt man ganz
deutlich, was man der breiten Öffentlichkeit suggerieren
möchte: Hier sind die Protagonisten der Energiewende
und dort die Gegner,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


hier die Befürworter der erneuerbaren Energien und dort
die Gegner.

Die Welt ist aber nicht mehr ganz so einfach, wie Sie
sie gern hätten, meine Damen und Herren.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Leider ist es so!)


Sie machen es sich als Opposition zu einfach. Gregor
Gysi hat vorhin davon gesprochen, die Energiewende
voranzuträumen. Das war ein entlarvender Versprecher,
Herr Gysi. Voranträumen kann man in der Opposition.
Als Regierung muss man jedoch etwas umsetzen. Das
machen wir derzeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Warum regieren Sie eigentlich weiter, wenn Sie es nicht können?)


Ich hätte mir gewünscht, dass Sie bei dem, was wir
hier vorhaben, an unserer Seite stehen und sagen: Ja-
wohl, es entwickelt sich etwas positiv im Bereich der
Solarenergie. – Herr Fell, die Absenkungspotenziale, die
unbestreitbar gegeben sind, sind doch ein Beleg dafür,
dass wir in absehbarer Zeit nicht nur in der Lage sind,
genug Strom zu produzieren, sondern vor allem auch
Strom zu vernünftigen Kosten zu produzieren. Darum
muss es doch gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Georg Nüßlein NEN]: Wir tragen doch eine vernünftige Senkung mit! Aber nicht diese starke Senkung, die Sie vorhaben!)





(A) (C)


(D)(B)


Ich weise darauf hin, dass Sie dafür verantwortlich
sind, dass man zu früh und zu teuer mit der Solarenergie
an den Markt gegangen ist.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)

Deshalb schleppen wir jetzt einen Kostenberg hinter uns
her, der riskant ist mit Blick auf die Akzeptanz der er-
neuerbaren Energien in der Öffentlichkeit. Das muss
man doch einmal sagen. Deshalb widmen wir uns die-
sem Thema.

Im Erneuerbare-Energien-Gesetz spielt die Solarener-
gie eine Sonderrolle. Lassen Sie mich noch etwas zum
EEG ausführen. Sie können doch nicht einfach sagen:
Da sitzen die Gegner des EEG. – Das ist falsch. Letzt-
endlich steht doch eines klipp und klar fest: Das von Ih-
nen so viel gerühmte EEG fußt auf dem Stromeinspeise-
gesetz der Regierung Helmut Kohl. Das ist der Ursprung
des Mechanismus dieses Gesetzes.


(Ulrich Kelber [SPD]: Deshalb ist es 2000 und 2004 von Ihnen abgelehnt worden! Was ist das für eine Logik!)


Es muss uns gelingen, das, was Sie im EEG im Be-
reich der Innovation zu Recht angestoßen haben,


(Ulrich Kelber [SPD]: Aber Ihre Partei hat es doch abgelehnt!)


wieder auf ein Maß zurückzuentwickeln, sodass wir
letztendlich über das Stromeinspeisegesetz Folgendes si-
cherstellen können: Der Mittelständler und die Stadt-
werke, die Strom produzieren, haben Zugang zu den
Netzen, können ihren Strom einspeisen und bekommen
dafür eine ordentliche Vergütung. Das muss aus unserer
Sicht das Anliegen sein.

Ich habe bereits erwähnt, dass die Solarenergie eine
Sonderrolle spielt. Sie spielt deshalb eine Sonderrolle,
weil bei ihr das Innovationspotenzial am größten ist und
die Erfahrungskurve am steilsten verläuft. Genau des-
halb sind wir gezwungen, laufend nachzusteuern und
einzugreifen. Genau deshalb werden wir das in diesem
Zusammenhang wieder tun.

Das hat offenkundig aber nichts mit der Frage zu tun,
wie sich die Solarmodulproduzenten in Ostdeutschland
entwickeln. Es wurde vorhin zu Recht darauf hingewie-
sen, dass es in diesem Bereich ohnehin schon Schwierig-
keiten gibt. Zu Recht kann man feststellen, dass bei-
spielsweise die Halbleiterproduktion in Deutschland
schrittweise in Richtung Asien verlagert wurde. Man
kann darüber nachdenken, woran das liegt. Das mag na-
türlich auch damit zu tun haben, dass in Asien entspre-
chend subventioniert wird, was bei uns letztendlich nicht
möglich ist.

Dann muss man doch über andere Konzepte nachden-
ken, aber nicht über die Frage, wie man den Verbraucher
noch mehr belasten kann, nur weil man größere Spiel-

räume für Investoren schaffen will. Aber das wird nicht
funktionieren, weil die Investoren immer ihren Gewinn-
anteil natürlich maximieren wollen und am Schluss da-
für sorgen werden, dass die Rendite bei ihnen bleibt.
Wenn man bei einer hohen Einspeisevergütung noch
mehr Gewinn mit billigen Modulen machen kann, dann
werden die billigen Module gekauft.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden wie ein Oppositionspolitiker: Man muss nachdenken!)


Deshalb muss man einmal darüber diskutieren, ob
man mit der KfW nicht darüber reden sollte, dass das,
was sie beispielsweise im Ausland finanziert, auch be-
stimmte Qualitätsanforderungen erfüllen muss. Diese
Qualitätsanforderungen muss der deutsche Produzent
natürlich ohnehin erfüllen. Das heißt, ihm bringt die För-
derung nur etwas, wenn er qualitativ besser ist als die an-
deren. Alle, die in diesem Bereich schon lange tätig sind,
müssen sich an die eigene Brust fassen und fragen, wa-
rum sich im Bereich der Forschung und Entwicklung
nicht das getan hat, was wir uns alle vorgestellt haben.
Kollege Fell, vielleicht lag das auch am EEG und an der
Anfangskonstruktion, wodurch es denen anfangs zu gut
ging.


(Ulrich Kelber [SPD]: Es gibt Dumping in Deutschland, aber die Regierung tut nichts! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal, was Sie tun wollen, wenn Sie das Problem mit China haben! Was wollen Sie denn konkret tun?)


– Entschuldigung, wir machen in Bezug auf das EEG
jetzt erst einmal das, was notwendig ist: Wir führen Ab-
schläge ein; denn die Anlagen müssen sich auch ohne
hohe Förderung rentieren. Danach reden wir mit der
KfW über die Frage, was die Finanzierungsbedingungen
sind. Das ist doch eine ganz logische Geschichte.


(Ulrich Kelber [SPD]: Und dann denken Sie einmal nach!)


Dabei muss man die WTO und die Tatsache im Blick ha-
ben, dass es hier Schranken gibt und dass man in einem
Exportland wie Deutschland nicht einfach auf Local
Content setzen kann. In Bezug auf die Finanzierung
kann man aber vielleicht bestimmte Forderungen stellen.

Es muss dann auch um die Frage gehen, was wir mit
diesem Gesetzentwurf letztendlich verbessern. Ich bin
fest davon überzeugt: Nicht nur die Situation des Ver-
brauchers, sondern auch die Situation derjenigen, die die
Anlagen installieren, wird besser. Über eine permanente,
langsame Reduzierung der Vergütungssätze schaffen wir
es, den Schlussverkaufseffekt zu beseitigen, der ständig
zu Fehlentscheidungen führt. Denn manche achten gar
nicht mehr auf die Rendite, sondern investieren, weil sie
meinen, dass es noch Geld für sie gibt, wenn sie die An-
lage beispielsweise bis zum 31. Dezember auf dem Dach
haben. Bei Schnee und Eis hetzen sie dann wie bei uns in
Bayern die Handwerker aufs Dach, damit noch schnell
eine Anlage installiert wird. Wir werden die Vergütung
entsprechend abschwächen und dafür sorgen, dass sich
Kontinuität entwickelt.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)



(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch schon letztes Mal vorgeschlagen!)


Es ist ein großer Erfolg, dass wir dafür gesorgt haben,
dass derjenige, der Solarstrom produziert, ihn auch sel-
ber nutzt. Wir sind also nicht mehr in der perversen Si-
tuation, dass jemand Solarstrom produziert, ihn teuer
einspeist und den billigen Strom vom Versorger kauft.
Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir alle sagen
können: Das ist gut. Das ist ein Etappenziel, aber natür-
lich noch nicht das Ende.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb werden wir weiterhin kontinuierlich absenken.

Das Problem der Übergangsfristen werden wir bald
geklärt haben. Ich bitte um ein wenig Verständnis dafür,
dass sich die Regierung hier das sehr ehrgeizige Ziel ge-
setzt hat, einen solchen Schlussverkauf, bei dem der eine
oder andere probiert, vor Ende des Jahres schnell noch
irgendetwas anzustoßen, zu vermeiden. Wir haben im
parlamentarischen Verfahren dafür gesorgt, dass das
schon jetzt ordentlich läuft und dass jeder, der Vorinves-
titionen getätigt hat, diese auch umsetzen kann.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab 1. April! Das ist doch eine Lachnummer!)


Das ist ein Gebot der Fairness, des Anstandes und der
Planbarkeit. Auch an dieser Stelle sieht man ganz deut-
lich, dass wir hier absolut verlässlich sind.


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Über die Themen „Atmender Deckel“ und „Ermächti-
gung der Regierung“ werden wir noch einmal offen dis-
kutieren, auch unter dem Gesichtspunkt der Planbarkeit.
Wir werden auch noch einmal darüber diskutieren, wie
man, nachdem der Eigenverbrauchsbonus letztendlich
nicht mehr trägt, mit einem Speicheranreiz dafür sorgen
kann, dass sich die Technologie und die Netzintegration
weiterentwickeln.

Machen Sie sich also keine Sorgen. Wir haben fest im
Blick, dass wir eine Energiewende voranbringen und
eben nicht nur einseitig eine Branche subventionieren
wollen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden darüber, was Sie tun wollen, aber Sie tun es doch nicht! Sie regieren! Das ist doch peinlich!)


Durch den Aufbau von Kapazitäten wollen wir die Ver-
sorgung verbessern, Herr Kelber. Das ist unser Anliegen,
und das ist unsere Aufgabe als Regierung.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Da ist ja die Opposition konkreter!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716601600

Das Wort hat Dirk Becker für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1716601700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Bevor ich mit der eigentlichen Rede beginne, möchte ich
ein paar Punkte klarstellen, Frau Reiche. Ich finde es
zwar schön, dass Sie sich mit dem Bauch meines Partei-
vorsitzenden auseinandersetzen, zumindest wenn es um
den Ausbau der PV geht. Aber genau an dieser Stelle hat
er keinen Bauch; Sie können ihm den Ausbau nicht in
die Schuhe schieben. Denn ich erinnere an die Verhand-
lungen über die Zubauziele beim Thema PV in der Gro-
ßen Koalition: Die Vergütungssätze sind wie bei allen
anderen erneuerbaren Energien in einer Koalitionsrunde
besprochen, verhandelt und beschlossen worden.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da war die Union der Bremser!)


– Moment. – Wir haben stundenlang zusammengesessen
und zum Thema PV Beschlüsse gefasst. Dann kam Herr
Pfeiffer zu der Sitzung. Er konnte leider erst später kom-
men, weil er einen Interviewtermin bei Phoenix hatte. Er
kam in den Saal und sagte: Ich bin mit der Einigung
nicht einverstanden und möchte, dass nachverhandelt
wird. – Dazu hat sich die CDU/CSU zu Wort gemeldet
und gesagt, das sei in der Fraktion nicht abgestimmt; die
CSU sei gegen eine Nachverhandlung. Dann hat die da-
malige Verhandlungsführerin der Union so abgeschlos-
sen, und das war Katherina Reiche. Machen Sie sich hier
also keinen schlanken Fuß!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Es ist schon wichtig, sich mal zu erinnern, Frau Reiche!)


Zwei Punkte zu Herrn Kauch. Man kann wie Sie bei
der Vergütung im Rahmen des Ausbaus der erneuerbaren
Energien eine große Rede über soziale Gerechtigkeit
halten. Sozial gerecht ist, wenn die Menschen endlich
die Alternative haben, zwischen vielen Energieanbietern
auszuwählen,


(Michael Kauch [FDP]: Die haben sie! Man kann heute wechseln! Das haben wir durchgesetzt!)


und wenn wir eine dezentrale Energiestruktur bekom-
men und auf Windenergie und PV setzen, statt zu versu-
chen, diesen Weg zu bremsen, wie Sie das wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist: Wenn jetzt der Netzbetreiber
TenneT über die Lande zieht und sagt, er könne die An-
bindung der Offshorewindenergie nur dann hinbekom-
men, wenn ihm gestattet werde, eine zweistellige Ren-
dite einzupreisen, die mindestens 10 Prozent betragen
müsse, sonst mache er das nicht, dann erwarte ich von
Ihnen, dass Sie genauso standhaft sind und sagen: 7 Pro-
zent müssen reichen.





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Da macht Herr Rösler doch das Gegenteil!)


Interessant ist, dass wir das Thema, den Ausbau der
PV zu bremsen, hier immer wieder leidenschaftlich de-
battieren, dass dies aber in der Öffentlichkeit nicht der
Fall ist. Mit derselben Leidenschaft, mit der die Men-
schen den Ausstieg aus der Kernenergie wollten, wollen
sie jetzt in die PV. Nach einer aktuellen Umfrage von
Emnid halten 91 Prozent der Befragten Solarstrom für
wichtig und richtig.


(Horst Meierhofer [FDP]: Wir auch!)


69 Prozent finden nicht, dass PV zu schnell ausgebaut
wird. 60 Prozent sagen sogar, die Politik müsse mehr für
die Photovoltaik tun.

Darüber kann man sprechen. Sie werden sicherlich
sagen: Die Menschen haben gar nicht verstanden, was
das für sie bedeutet. – Nein, die Mehrheit ist sogar be-
reit, mehr für den Umstieg, für die Energiewende zu be-
zahlen. Das ist Ihr Problem. Darum versuchen Sie immer
wieder, durch neue Diskussionen und einen Zickzack-
kurs in der Förderpolitik Verunsicherung zu schüren.
Diese Verunsicherung ist bei den Menschen nicht vor-
handen. Die Angst vor dem Umstieg gibt es nicht. Sie
versuchen aber immer wieder, auf dieses Pferd zu set-
zen, weil Ihnen die Energiewende zu schnell geht. Das
ist der Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb verstehen die Menschen in Ostdeutschland
auch nicht, dass Sie die industriellen Strukturen, die wir
mühevoll über zehn Jahre hinweg aufgebaut haben, jetzt
durch diese ruckartige Politik gefährden. An diesem
Punkt sagen die Menschen: Wir haben Angst vor einer
zweiten Deindustrialisierung. – Sie tragen die Verant-
wortung dafür.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie bringen nicht nur in Vieraugengesprächen, wie es
der Kollege Kelber sagte, sondern auch in Ausschusssit-
zungen durchaus mit Zwischenrufen zum Ausdruck,
dass Sie längst gesagt haben: Wir werden dem Wettbe-
werb mit den chinesischen Anbietern nicht standhalten
können. – Wenn wir das nicht können, dann deshalb,
weil Ihre Politik den Unternehmen in Deutschland die
Zukunft raubt.


(Beifall bei der SPD – Horst Meierhofer [FDP]: Käse!)


– Wenn Sie das als „Käse“ bezeichnen, Herr Meierhofer,
dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie neben den Debatten
über Kürzungsschritte auch debattieren, wie wir den
Standort Deutschland anders für die PV sichern können
und wie wir über Forschung, Entwicklung und neue An-

forderungen an die PV den Standort Deutschland erhal-
ten,


(Horst Meierhofer [FDP]: Genau! – Gegenruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gerade Forschungsmittel gekürzt!)


die geschaffenen Arbeitsplätze sichern und Arbeits-
marktpolitik betreiben. Doch dazu sagen Sie kein Wort.
Absoluter Stillstand!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sogar Kürzung der Forschungsmittel in Nordrhein-Westfalen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist
aber auch deutlich: Die geplante Änderung des EEG be-
zieht sich entgegen der ursprünglichen Absicht nicht
mehr nur auf das Thema Photovoltaik. Vielmehr ist die
Absicht erkennbar, dass Sie das, was Sie jetzt beim
Thema PV machen, auch auf andere Erneuerbare aus-
dehnen wollen. Damit entfällt die Argumentation, Sie
wollten nur vor den hohen Kosten des PV-Zubaus schüt-
zen. Es geht um einen Generalangriff auch auf andere
Technologien der erneuerbaren Energien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will nur zu einigen Punkten des Gesetzentwurfs
Stellung nehmen.

Herr Fell hat eben für die Grünen gesagt: Wir sind be-
reit, ein Stück weit mitzugehen. – Für die Sozialdemo-
kraten gilt das ebenfalls; Uli Kelber hat es deutlich ge-
macht. Wir verschließen uns einem Kürzungsschritt
nicht. Ich erwarte aber von der Koalition, dass die jetzt
anstehende Sachverständigenanhörung von Ihnen ergeb-
nisoffen und nicht vorfestgelegt durchgeführt wird und
dass wir nach der Anhörung gucken, wie wir auch mit
Rücksicht auf die Unternehmen in Deutschland und mit
Rücksicht auf die Umlage die weitere Degression ausge-
stalten können. Wenn Sie das tun, dann haben Sie unser
Wort, mit Ihnen gemeinsam eine gute Lösung zu finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, bei dem wir
im Ziel beieinander sind. Ja, auch wir wollen den Eigen-
verbrauch stärken. Wenn man den Eigenverbrauch aber
stärken will – gerade im Hinblick auf das, was Uli
Kelber für Mehrfamilienhäuser, für Mietshäuser ange-
sprochen hat –, muss man auch Anreize schaffen. Dann
darf man nicht vorhandene Anreize abschaffen und statt-
dessen die umlagefähigen Prozentzahlen kürzen. Dies ist
kein Anreiz, um in Speicher zu investieren. Vielmehr
nehmen Sie damit eine weitere kalte Kürzung vor.

Bei dem, was Sie künftig im Zusammenhang mit dem
Zubaukorridor vorhaben, handelt es sich um einen tota-
len Systemwechsel. Zum einen gehen Sie weg von einer
prozentualen Kürzung hin zu einem festen Centbetrag.





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)


Je niedriger der Preis wird, desto stärker kürzen Sie also
prozentual. Insbesondere im Bereich der Freiflächen
kürzen Sie überproportional. Damit blockieren Sie er-
neut ausgerechnet den Ausbau der günstigsten Art der
Photovoltaik. In dem vorliegenden Entwurf ist an meh-
reren Stellen erkennbar, dass Sie insbesondere die Frei-
flächen-PV in Deutschland zum Erliegen bringen wol-
len.

An dieser Stelle nehmen Sie einen weiteren Schritt
vor. Dabei handelt es sich um die räumliche Begrenzung.
Freiflächenanlagen in einem Umkreis von 4 Kilometern
werden als eine Anlage gewertet. Was für einen Sinn soll
das machen? Wir haben reichlich Zuschriften bekom-
men – Sie auch –, in denen zum Ausdruck gebracht
wird: Dies hat inhaltlich keine Substanz und ist auch
nicht umsetzbar. – Das heißt, das Einzige, was Sie wol-
len, ist, die kostengünstigste und leistungsstärkste Form
der PV jetzt endgültig aus dem Markt zu kicken. Das ist
mit uns nicht zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Ulrich Kelber [SPD]: Faktisches Zubauverbot!)


Der letzte Punkt betrifft das Thema Verordnungs-
ermächtigung. Ich sage Ihnen: Da muss man schon ganz
schön viele Glücksperlen gelutscht haben, um das, was
aus Ihrer Fraktion kommt, als Stärkung des Parlaments
zu verkaufen. Auf der einen Seite haben Sie es zwar ge-
schafft, dass die Übertragung der Kürzungsinstrumente,
die Sie beim Thema Photovoltaik vorsehen, auf andere
Technologien einem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Ich
habe gelesen: Das Parlament darf jetzt mitbestimmen. –
Nein, das ist das ureigene Recht des Parlaments. Das
muss es auch bleiben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kauch [FDP]: Deshalb steht es da ja auch drin!)


Auf der anderen Seite machen Sie aber beim Thema PV
genau das Gegenteil, Herr Kauch; beim Thema Photo-
voltaik ist es anders. Wenn vom Korridor abgewichen
wird, treffen sich Herr Rösler und Herr Röttgen und ent-
scheiden am Parlament vorbei, welche nächsten Kür-
zungsschritte kommen. Dies ist eine Entmachtung des
Parlaments.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Abwarten!)


Wir werden das Thema PV nicht in die Hände dieser bei-
den Minister legen; denn wir wissen, wie das ausgehen
wird. Nein, auch hier muss die Entscheidung im Parla-
ment bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, auch wenn ich gestern
beim Thema Kraft-Wärme-Kopplung positive Ansätze
herausgestellt und erklärt habe, dass man damit arbeiten

kann, sage ich Ihnen jetzt: Beim Thema PV ist mit Ihnen
kein Staat zu machen.

Unser Fazit dieses neuerlichen Kürzungsszenarios ist
eindeutig: Sie versuchen alles, um beim Thema Photo-
voltaik einen Stellvertreterkrieg auszutragen. Das ist of-
fenkundig. Ich sage nur: Ein Schelm, wer denkt, dass
insbesondere die Atomlobbyisten in Ihren eigenen Rei-
hen massiv Einfluss hierauf haben. Ich empfehle Ihnen
– es klang eben schon kurz an –, sich das Interview von
Herrn Fuchs von heute Morgen im Deutschlandfunk ein-
mal anzuhören.


(Peter Hintze, Parl. Staatssekretär: Das war sehr gut!)


– Ja, es war sehr gut. Wer hat das gesagt? Dann kann ich
ihn gleich mit auf die Liste setzen.


(Zurufe)


– Herr Hintze; okay, alles klar.

Herr Fuchs hat heute Morgen im Deutschlandfunk ge-
sagt: Der schnelle Atomausstieg in Deutschland war ein
großer Fehler.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Immerhin gibt es bei uns keine Tsunamis. – Der Mann
hat es noch immer nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Der will es nicht begreifen!)


Sie müssen jetzt die Frage beantworten: Sind es nach
wie vor die Dinosaurier in Ihrer Fraktion, die die Ener-
giepolitik bestimmen? Wenn ja, dann ist völlig klar: Die
Energiewende ist nicht Sache Ihrer Fraktion. Ich habe
den Eindruck, dass Herr Fuchs bei Ihnen das Sagen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass dem so ist, merkt man auch bei anderen Gele-
genheiten. Uli Kelber hat zu Recht darauf hingewiesen:
Es ist doch wirtschaftspolitischer und energiepolitischer
Wahnsinn, kurz bevor die PV an der Schwelle zur Wett-
bewerbsfähigkeit steht, nach einem Jahrzehnt der Inves-
titionen in den Aufbau industrieller Kapazitäten sowie
am Beginn des weltweiten Siegeszugs der Solarenergie
diese Branche in Deutschland ans Messer zu liefern. Das
ist mit uns nicht zu machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva BullingSchröter [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716601800

Das Wort hat nun Horst Meierhofer für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1716601900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie

machen es sich in der Opposition äußerst leicht. Sie er-
klären, was bei der Photovoltaik alles falsch und
schlecht läuft, machen aber keinen einzigen konkreten
Vorschlag, aus dem hervorgeht, wie man es besser ma-
chen kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben sehr wohl gesagt, was wir anders machen wollen!)


Sie erklären uns, dass Sie jederzeit einer Kürzung in ei-
ner bestimmten Höhe zustimmen würden. Das haben so-
wohl die SPD als auch die Grünen gesagt. Die Linken
haben das natürlich nicht gesagt, weil sie gern eine hö-
here Vergütung zahlen wollen. Aber SPD und Grüne sa-
gen, Herr Kollege Fell, man könne um bis zu 20 Prozent
zusätzlich kürzen. Gleichzeitig weisen Sie darauf hin,
dass Firmen in Mitteldeutschland selbst ohne eine 20-pro-
zentige Kürzung zum Teil untergegangen bzw. pleitege-
gangen sind und dass es zu Entlassungen und Kurzarbeit
gekommen ist. Wie wollen Sie den Menschen, die ihren
Job verlieren, dann eine 20-prozentige Kürzung erklä-
ren? Wie soll das funktionieren?


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen fordern wir ein Solarkonzept ein!)


Es ist doch scheinheilig, einerseits eine solche Forde-
rung zu erheben und andererseits festzustellen, dass be-
reits Firmen pleitegegangen sind. Dann kann es doch
nicht an der EEG-Vergütung liegen. Dann sind wir uns
wieder einig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn man mit den ausländischen Wettbewerbern
konkurrieren will, hat man verschiedene Möglichkeiten.
Eine Möglichkeit ist, dass wir genauso wie die Chinesen
diese Branche subventionieren. Herr Krischer, das wün-
schen Sie sich vielleicht; denn Sie haben gefragt, wie wir
den deutschen Markt schützen können. Vermutlich kön-
nen wir die Photovoltaikbranche in Deutschland genauso
wenig schützen wie die deutschen Spielzeughersteller
vor chinesischen Herstellern, die günstiger produzieren.
Das EEG wäre auf jeden Fall der vollkommen falsche
Weg.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Eon und RWE wollen Sie schützen!)


– Herr Kollege Ott, wir schützen Eon und RWE doch
nicht dadurch, dass wir jedes Jahr so viel erneuerbare
Energie in die Netze fließen lassen wie niemals zuvor.
Was soll das denn für ein Schutz sein?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Kennen Sie jemanden, der momentan neue Gaskraft-
werke – das fordern Sie – bauen möchte? Kennen Sie
jemanden, der Hunderte Millionen Euro in die Hand
nehmen will? Ich jedenfalls kenne niemanden. Es gibt

niemanden, weil keine Planungssicherheit herrscht. Für
die Erneuerbaren gilt in den nächsten 20 Jahren Pla-
nungssicherheit; das ist gut und richtig. Aber je stärker
der Anstieg bei den Erneuerbaren ist, desto unrentabler
wird es, in Kraftwerke, die auf Basis fossiler Energieträ-
ger betrieben werden, zu investieren; das ist doch lo-
gisch.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Klimaschutz!)


In einer solchen Phase uns zu unterstellen, dass wir Poli-
tik zugunsten der vier Großen machen, die sich deutlich
schwerer tun als die Photovoltaikbranche, ist verlogen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bremsen doch die Photovoltaik aus! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist die Realität!)


Liebe Grüne, in dem letzten Jahr, in dem Sie noch
mitregiert haben, wurde die Kapazität der Photovoltaik
um 0,92 Gigawatt ausgebaut. Zuvor war es noch weni-
ger. Wir haben die Leistung der Photovoltaik im vorletz-
ten Jahr um 7,4 Gigawatt und im letzten Jahr um 7,5 Gi-
gawatt ausgebaut. Wer ist denn hier der Freund der
Erneuerbaren?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer hat denn etwas für die Photovoltaikbranche getan,
und wer hat nur warme Worte ohne Substanz übrig und
tut nichts?

In den letzten zweieinhalb Jahren haben wir für eine
Degression von über 50 Prozent bei den Einspeisevergü-
tungen gesorgt und gleichzeitig die höchsten Zuwachsra-
ten erzielt. Das nutzt der Branche doch. Wir helfen ihr,
wettbewerbsfähig zu werden. Nicht derjenige, der die
höchsten Subventionen zahlt, ist der beste Freund der er-
neuerbaren Energien, sondern derjenige, der ihnen hilft,
am besten und schnellsten wettbewerbsfähig zu werden.
Herr Gysi, Sie haben gesagt, wir wollten in fünf Jahren
nur noch 20 Prozent des jetzigen Ausbaus erreichen. Das
stimmt nicht. Wir wollen dann nur noch 20 Prozent för-
dern. Die Branche selbst sagt nämlich, sie könne schon
in fünf Jahren bei den großen Anlagen wettbewerbsfähig
sein. Das ist doch das Ziel. Wir wollen unendlich viel er-
neuerbare Energie, idealerweise 100 Prozent, aber nicht
allein durch Förderung. Die Branche muss wettbewerbs-
fähig werden. Wenn es eine Branche gibt, die bewiesen
hat, dass das ohne Subventionen möglich ist, dann ist es
die Photovoltaikbranche. In dieser Branche werden die
schnellsten Degressionen erreicht. Wir folgen dem.

Deswegen werden die Subventionen weiterhin ge-
senkt, und zwar zu Recht; denn es wurden Renditen von
15, 16 Prozent erzielt. Dafür zahlt derjenige, der eine
Wohnung mietet, also der Mieter, an denjenigen, der ihm
eine Wohnung vermietet, also an den Vermieter. Nach
der normalen Miete und den Heizkosten sind die so ent-
stehenden Kosten, die EEG-Umlagen-Miete, wie eine
dritte Miete. Wenn das Sozialpolitik à la Rot-Grün ist,





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


dann weiß ich, ehrlich gesagt, nicht mehr, was Sie wol-
len.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mir geht es um das Thema Rechtssicherheit. Wir ha-
ben uns für Rechtssicherheit starkgemacht. Wir haben
die Auffassung vertreten, dass eine Entscheidung bis
heute, 9. März, zu kurzfristig ist. Den großen Herstellern
von Solarmodulen wäre eine frühere gesetzliche Neu-
regelung wahrscheinlich lieber gewesen, weil sie genau
wissen, was passieren wird, nämlich ein gigantischer
Run. Hingegen brauchen die kleinen Hersteller von So-
larmodulen, die Unternehmer vor Ort, die die Solar-
zellen schon eingekauft haben, dahin gehend Planungs-
sicherheit, dass sie ihre Produkte verkaufen können.
Genau dafür haben wir uns eingesetzt. Planungssicher-
heit ist für die Hersteller von Solarmodulen für Freiflä-
chen noch wichtiger. Wir haben klargestellt: Wer bis
zum 1. März dieses Jahres einen Aufstellungsbeschluss
vorliegen hat – das ist der erste Schritt im Genehmi-
gungsverfahren –, der soll auch die Möglichkeit haben,
Solaranlagen zu bauen. Sich darauf verlassen zu können,
das ist Rechtssicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716602000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bulling-Schröter?


Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1716602100

Ja, sehr gerne.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716602200

Vielen Dank, Kollege Meierhofer. – Ich stelle fest:

Die FDP hat etwas gegen Gewinnspannen von 15,
16 Prozent in der Solarindustrie; das stört die Koalition
bzw. Ihre Fraktion. Wie schaut es denn mit den großen
Gewinnen von RWE und Eon aus?


(Michael Kauch [FDP]: Die werden aber nicht subventioniert!)


Sie haben die Rede des Kollegen Gysi sehr interessiert
verfolgt, wie ich gerade bemerkt habe. Er hat die Ge-
winnspannen bzw. die Ausschüttungen der großen Kon-
zerne, worüber gestern in den Medien berichtet wurde,
beschrieben. Wie stehen Sie zu diesen großen Gewinn-
margen? Sind Sie bereit, auch sie zu beschränken?


Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1716602300

Ich wünsche der Photovoltaik Renditen von 20, 30,

40 Prozent, aber bitte schön nicht dadurch, dass sie zu-
lasten der Stromkunden erwirtschaftet werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das ist der entscheidende Unterschied,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Renditen von RWE und Eon gehen nicht zulasten der Stromkunden? – Weitere Zurufe von der SPD)


Ich stelle infrage, dass jemand, der Subventionen be-
kommt, eine Rendite von bis zu 16 Prozent erzielen
muss. Zum Beispiel die Stiftung Warentest sagt, dass
auch nach der Absenkung der Vergütung für einen
Kleinunternehmer, der keine großen Anlagen hat und
keine Sonderkonditionen erhält, noch eine Rendite von
3,4 Prozent – bisher waren es bis zu 6,7 Prozent – mög-
lich ist, und zwar dann, wenn es auf dem Markt zu kei-
nerlei Anpassungen kommen wird.

Zu solchen Anpassungen wird es aber kommen. Na-
türlich wird es in der nächsten Zeit so sein, dass man
günstigere Module erwerben kann; denn der Preis der
Module bestimmt sich nicht nach den Herstellungs-
kosten, sondern leider allein danach, wie hoch die EEG-
Vergütung ist.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Die Frage ist nicht beantwortet!)


Herr Kelber, es ist nun einmal so, dass zwar 70 Länder
dem EEG entsprechende gesetzliche Regelungen über-
nommen haben, aber nicht die hohen Fördersätze, die bei
uns gelten. Da dort also nicht so hohe Vergütungen wie
bei uns gezahlt werden, kommt die Mehrzahl der Solar-
module zu uns, und ihr Preis wird immer niedriger. Na-
türlich wird mehr zugebaut. Sie haben selbst gesagt:
Wenn mehr als 3,5 Gigawatt zugebaut werden sollten,
dann müssten wir für eine deutlichere Degression sor-
gen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Plus Antidumpingstrategie!)


Der Kollege Fell hat gesagt: Wenn mehr als 5 Gigawatt
zugebaut werden, dann müsste man über eine Änderung
der Degression nachdenken.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie machen Ihre Hausaufgaben nicht!)


Übrigens sagt selbst der Branchenverband BSW, dass
ein Zubau von 5 Gigawatt möglich ist.

Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, Herr Fell, Herr
Kelber, dass wir im Jahr 2012 einen Zubau von deutlich
mehr als 3,5, ja sogar mehr als 5 Gigawatt haben wer-
den. Dann werden wir einmal schauen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Und woher kommen die Module dann?)


– Die Module kommen von dem, der dem Kunden das
beste Angebot macht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Akzeptieren Sie Dumping?)


Wenn Sie an Ihr Unternehmen vor Ort denken, lieber
Herr Kelber, dann werden Sie dafür sorgen,


(Ulrich Kelber [SPD]: Akzeptieren Sie Preisdumping, oder nicht?)


dass mehr in Forschung, in Entwicklung und in Techno-
logie investiert wird, damit die deutschen Unternehmen
in dem Maße besser werden als die Chinesen, die billiger
sind. Wenn Sie das nicht tun, dann wird es diese Unter-
nehmen irgendwann nicht mehr geben.





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)



(Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden am Thema vorbei!)


Aber das ist Marktwirtschaft, und das hat nichts mit dem
zu tun, was Sie zu interessieren scheint.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ach, Preisdumping ist Marktwirtschaft?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716602400

Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716602500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

diskutieren hier sehr hitzig und sehr leidenschaftlich.
Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in dieser Dis-
kussion über erneuerbare Energien nicht allein über
Marktanpassungen reden – das haben wir oft genug ge-
tan –; vielmehr geht es heute in der Tat darum: Wird die
Energiewende umgesetzt, ja oder nein? Heute geht es
darum: Werden die erneuerbaren Energien ausgebaut,
oder machen Sie die Photovoltaik kaputt? Dazu sage ich
Ihnen: Das darf nicht geschehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie sind aus der Atomkraft ausgestiegen, und jetzt
müssen Sie die erneuerbaren Energien und die Energie-
effizienz stärker ausbauen. An einem einzigen Tag haben
zwei Minister dieses Kabinetts, nämlich der Minister
Rösler und der Minister Röttgen, die Energiewende in
den Senkel gestellt. Das geschah einmal dadurch, dass
sie nach einem halben Jahr der Blockade von Maßnah-
men zur Energieeffizienz eine Lösung vorgeschlagen ha-
ben, die ein Witz ist. Die EU-Mitgliedstaaten mokieren
sich über Deutschland. Gleichzeitig haben sie die radi-
kale Absenkung der Vergütung für Strom aus Photovol-
taikanlagen vorgeschlagen.

Deshalb frage ich: Wo ist eigentlich Herr Rösler? Ich
kann verstehen, dass der Minister Röttgen heute nicht da
ist; er ist in Brüssel. Aber Herr Rösler ist auf der CeBIT.
Gestern hat er ein Stück Torte ins Gesicht bekommen;
ich würde es gut finden, wenn er heute hier wäre und
seine Fehlentscheidung zu den erneuerbaren Energien
verteidigen würde. Aber er drückt sich vor der Diskus-
sion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Worum geht es bei der Energiewende? Es geht darum,
wer die Oberhand gewinnen wird: die erneuerbaren
Energien oder die fossilen Energien. Deshalb ist es
schon spannend, was Herr Großmann von RWE auf der
Bilanzpressekonferenz vor einigen Tagen gesagt hat. Er
hat nämlich den Gewinnrückgang von 20 Prozent mit
dem Ausbau der Photovoltaik begründet. Warum? Man
denkt, dass Strom aus Photovoltaikanlagen viel teurer
ist. Wie kann das also sein? Strom aus Photovoltaikanla-
gen ist nicht immer verfügbar, er ist aber dann verfügbar,

wenn es spannend wird, nämlich mittags. Er ist dann
verfügbar, wenn der Stromverbrauch am größten ist.
Mittlerweile ist die Photovoltaik so weit ausgebaut, dass
der Solarstrom zu einer Senkung der Strompreise an der
Börse führt. Damit fehlen dem Unternehmen von Herrn
Großmann und den großen Kohlekraftwerken die höchs-
ten Margen um die Mittagszeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Eva BullingSchröter [DIE LINKE])


Ihnen und leider auch der FDP, auch Herrn Rösler, geht
es darum, die Solarenergie klein zu machen, damit die
Gewinne von RWE und Co groß bleiben. Darum geht es
in dieser Diskussion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat haben sich die großen Energiekonzerne
wieder neu aufgestellt. Sie sehen natürlich: Je mehr die
Erneuerbaren ausgebaut werden, desto mehr Probleme
bekommen sie. Und wegen der stark sinkenden Preise
wird die Photovoltaik immer wettbewerbsfähiger.

Aber die jetzt vorgeschlagenen Kürzungen gehen zu
weit: Ich mache Ihnen das einmal anhand einer ganz nor-
malen Dachanlage mit einer Leistung zwischen 10 und
30 Kilowatt klar. Es gab im letzten Jahr eine Vergütung
von 28,74 Cent für jede Kilowattstunde Solarstrom aus
einer solchen Dachanlage. Wir alle gemeinsam haben
gesagt, dass die Vergütung auf 24,4 Cent gesenkt werden
kann. Sie wollen die Vergütung im April auf 16,5 Cent
senken. Wenn man dann in Rechnung stellt, dass eine
weitere Absenkung im Laufe des Jahres auf 15,3 Cent
erfolgen und für 10 Prozent der erzeugten Strommenge
überhaupt keine Vergütung mehr gezahlt werden soll,
dann kommt man bei einer solchen Photovoltaikanlage
auf eine effektive Vergütung von 14,37 Cent pro Kilo-
wattstunde. Damit hat sich die Vergütung in einem Jahr
von 28,74 Cent auf 14,37 Cent halbiert. Ich sage Ihnen:
Eine solche Kürzung kann keine Technologie verkraften.
Sie aber setzen diese drastische Kürzung durch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir damit umge-
hen. Der chinesische Markt ist zu Recht angesprochen
worden. Was passiert in China? Anders als in den ver-
gangenen Jahren werden mittlerweile viele Photovol-
taikanlagen in China installiert. Jetzt sind es erst
3 000 Megawatt, aber in den nächsten Jahren wird es
viel mehr sein, mehr als in Deutschland heute. Die ent-
scheidende Frage ist, ob dann unsere Photovoltaikindus-
trie noch existiert und nach China liefern kann. Dafür
haben Sie zu sorgen. Im April gibt es einen Gipfel der
EU mit China. Ich erwarte, dass Deutschland und die EU
dafür sorgen, dass China seinen Markt öffnet.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


China schottet seinen Markt momentan ab und sub-
ventioniert die eigene Photovoltaikindustrie. Und China





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)


versucht, den Markt in Deutschland kaputtzumachen.
Ihre Antwort darauf ist – das hat auch ein Wirtschafts-
forscher gesagt –: Dann gibt es eben in Deutschland
keine Solarindustrie mehr. – Das ist ein Fehler, das zer-
stört Zehntausende von Arbeitsplätzen, und Sie tragen
dafür die Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wollen den Ausbau der Photovoltaik sogar noch
deckeln. Der Ausbau soll zurückgeführt werden, und am
Ende sollen es am unteren Ende des Ausbaukorridors
nur noch 900 Megawatt neu installierter Leistung pro
Jahr sein. Das heißt, vor dem Hintergrund, dass die
Preise gefallen sind, wollen Sie in den nächsten zehn
Jahren weniger zubauen als in den letzten zwei Jahren.
So etwas Verrücktes! Die Photovoltaik ist immer preis-
werter geworden, und jetzt würgen Sie die Photovoltaik
ab. Das ist das Gegenteil von guter Wirtschaftspolitik.
Dass ein Wirtschaftsminister der FDP sich hier hinstellt
und eine so erfolgreiche Industrie kaputtmacht und Ar-
beitsplätze zerstört, ist ein Skandal. Deshalb liegen Sie
in den Umfragen zu Recht bei 2 bis 3 Prozent. Eine sol-
che Politik kann man nicht befürworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Ende. – Es geht um die Energie-
wende. Ich habe am Anfang gedacht: Herr Rösler kann
sie nicht. Aber jetzt weiß ich: Er will sie nicht. Diese
Bundesregierung will die Energiewende nicht.


(Widerspruch bei der FDP)


Sie will den Markt für fossile Energien weiter offenhal-
ten. Dagegen werden wir stehen, und dagegen werden
wir kämpfen. Mit einer solchen Politik werden Sie nicht
durchkommen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716602600

Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1716602700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Kollegin Höhn, ich glaube, es hilft unserer
gemeinsamen Sache nicht,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich mache keine gemeinsame Sache mit Herrn Fuchs!)


wenn wir diese Debatte jetzt zum Kampf der Systeme
gegeneinander hochstilisieren oder dramatisieren, und es
hilft vor allen Dingen nicht, wenn man die Augen vor
den Realitäten nur fest genug zumacht.

Der Zubau der letzten beiden Jahre im Solarbereich,
die PV-Installation 2010 und 2011 von jeweils 7,5 Giga-
watt, ist zu groß. Das ist ein überhitztes Wachstum. Das
ist nicht nachhaltig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das hat mit den hohen Kosten zu tun – es sind trotz der
gesunkenen Modulpreise immer noch 3 Milliarden Euro
in den nächsten 20 Jahren –, aber vor allen Dingen mit
der Sorge um die Netze, die eine gemeinsame Sorge sein
sollte. In einem Gutachten im Auftrag des brandenburgi-
schen Wirtschaftsministeriums heißt es – Zitat –:

Da … großflächige PV-Nutzung … in schwachbe-
siedelten Regionen erfolgt, fehlt dort die notwen-
dige Abnahme und die regenerativ erzeugte Energie
muss über die Mittel- und Hochspannungsnetze in
das 380/220-kV-Übertragungsnetz zurückgespeist
werden. Für diese Aufgabe wurden die Netze …
nicht gebaut …

Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es nicht zu
einem Blackout kommt, weil das völlig unabsehbare
volkswirtschaftliche Kosten hervorrufen würde und weil
das vor allen Dingen die Akzeptanz in der Bevölkerung
für unsere Energiewende, für den weiteren Zubau an Er-
neuerbaren von jetzt auf gleich schwinden lassen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein gemeinsa-
mes Anliegen von uns allen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb geht der Kabinettsbeschluss vom 29. Februar
in die richtige Richtung. Wir Koalitionsfraktionen haben
ihn ein wenig modifiziert


(Ulrich Kelber [SPD]: Wenn es die richtige Richtung war, warum haben Sie dann modifiziert?)


und am 6. März unseren Gesetzentwurf in das parlamen-
tarische Verfahren eingebracht.

Um noch einmal über den Zielhorizont zu sprechen:
Da sind wir eigentlich auch gar nicht auseinander. Dieser
Zielhorizont ist im derzeit real existierenden Erneuer-
bare-Energien-Gesetz nachzulesen, damals mit der Bran-
che gemeinsam vereinbart. Darin steht für den Zubau ein
Zielhorizont von 2,5 bis 3,5 Gigawatt pro Jahr.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch laufend kürzen!)


Nur damit das klar ist: Das ist nicht vom Himmel gefal-
len, sondern das ist gemeinsam vereinbart worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sehen jetzt, dass dieser Zielhorizont nicht erreicht
wird. Wir sehen aber zugleich – auch das müssen wir zur
Kenntnis nehmen –, dass auf dem Weltmarkt die Preise
noch einmal stark sinken werden, auch in diesem Jahr.
Das hat etwas mit dem enormen Zubau von Produktions-
kapazitäten zu tun. Das hat auch mit den enormen Sub-
ventionen zu tun, die es in China gibt. Das hat aber auch





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)


etwas mit dem Nachfragerückgang auf den internationa-
len Märkten zu tun.

Die Preise für chinesische kristalline Module lagen
im Januar bereits um 51 Prozent unter dem Vorjahres-
preis. Wir haben Produktionskapazitäten weltweit von
60 Gigawatt und einen erwarteten Zubau von 25 Giga-
watt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir
einfach zur Kenntnis nehmen.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen – da haben
viele meiner Vorredner recht –, dass dieser Wettbewerb
für viele Betriebe gerade in Deutschland ruinös ist. Das
ist so. Aber daran ändern wir durch unser EEG nichts.


(Rainer Erdel [FDP]: Genau!)


Wir können weder Arbeitsplätze retten noch Arbeits-
plätze in Gefahr bringen, weil dieser Markt längst global
aufgestellt ist. Da können wir hier noch so engagiert de-
battieren: Das ist nicht mehr im Rahmen unseres EEG zu
lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für uns ist es deshalb wichtig, die Preisreduktion – es
ist keine Kostenreduktion – jetzt auch beim Verbraucher
ankommen zu lassen. Deshalb haben wir jetzt den ohne-
hin für den 1. Juli erwarteten Abschlag von 15 Prozent
um ein Vierteljahr vorgezogen. Das ist nicht maßlos. Da-
rauf kommt noch ein Abschlag von 5 bis 10 Prozent.
Von daher sind wir fast bei Ihren 20 Prozent, Herr Fell.
Wir liegen da also nicht Welten auseinander.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht fast dort! – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Um die Absenkung zu verstetigen und den Schluss-
verkaufeffekt zu vermeiden, machen wir eine monatliche
Absenkung, und zwar auch in dem Umfang, wie sie
schon bislang im EEG etabliert war. Auch dazu muss ich
sagen: Das ist einigermaßen kompatibel.

Aber was ich wirklich nicht verstehe, was mich ratlos
und auch ein bisschen ärgerlich macht, ist Ihr Schaulau-
fen gegen die Absenkung der einzuspeisenden Menge an
Strom bzw. die Verpflichtung, 15 Prozent bzw. 10 Pro-
zent bei Freiflächenanlagen selbst zu verbrauchen oder
zu vermarkten.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil das eine individuelle Veränderung des EEG ist! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist mühelos zu schaffen, bei kleinen Dachanlagen
ohnehin, und zwar rein durch eine Verhaltensänderung.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich erwarte einfach, dass
auch jemand, der eine große Dachanlage hat und neben-
bei einen Schweinestall betreibt, seine Lüftung über die
eigene PV-Anlage laufen lässt und dass ein großer Ein-
zelhändler – verflixt noch mal – seine Kühltruhen über
die PV-Anlage laufen lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk Becker [SPD]: Dann müssen wir mehr Schweineställe einrichten!)


Ich kann überhaupt nicht begreifen, warum man den
Strom, nur weil es ein paar Cent mehr gibt, lieber ein-
speist, sich das teuer erstatten lässt und sich dann selbst
über das allgemeine Netz versorgt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das kann nicht sein. Das entspricht auch nicht unserer
Idee von dezentraler Versorgung. Von daher möchte ich
sehr darum bitten, dass man sich mit diesem Gedanken
in Zukunft mehr und mehr anfreundet. Das ist genau der
Gedanke, den uns die Branche immer wieder nahegelegt
hat.

Wir haben im EEG die Möglichkeit der Marktprämie.
Auch da wäre es vielleicht ganz gut, wenn sich die Son-
nenbranche einmal mit diesem Gedanken auseinander-
setzen würde.

Wenn jetzt jemand sagt, das Ganze komme zu plötz-
lich,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schaffen Sie sie ab! Die wird teuer genug!)


kann ich dazu nur sagen: Ich habe schon im Sommer
2008 bei den Verhandlungen zum EEG 2009 über die
Marktintegration gesprochen. Seinerzeit hat der dama-
lige Koalitionspartner die Branche beschützt. Wohin das
führt, sehen wir heute. Aber die Notwendigkeit, sich im
Markt zu etablieren, ist doch da. Man kann in Deutsch-
land nicht mehr als 20 Großkraftwerke mit 25 Gigawatt
installierter Leistung betreiben und dann erklären: Wir
müssen einfach nur produzieren, aber nicht nach Kunden
suchen. – Das funktioniert nicht und wird in Zukunft im-
mer weniger funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich begrüße allerdings ausdrücklich die Übergangsre-
gelungen, die die Berichterstatter, die Koalitionsfraktio-
nen und insbesondere die Union selbstverständlich in
diesem Gesetzentwurf formuliert haben. Das Gesetz zur
Absenkung des Abschlags für Dachanlagen tritt zum
1. April in Kraft bei derzeit gültigen Inbetriebnahmere-
gelungen. Bei Freiflächenanlagen muss es bis zum
1. März 2012 einen Aufstellungsbeschluss für den Be-
bauungsplan geben. Bis zum 30. Juni muss das Vorha-
ben realisiert werden.

Bezüglich der Verordnungsermächtigungen wird es
so sein, dass eine Entscheidung in Bezug auf die Markt-
integration immer nur unter Einbeziehung des Bundesta-
ges getroffen werden kann. Das ist gut und richtig. Be-
züglich der Verordnungsermächtigung im Hinblick auf
die Einspeisevergütungen müssen wir einmal gucken, ob
das wirklich ein glückliches Instrument ist oder ob wir
nicht eher, wie es der Kollege Kauch angedeutet hat,
doch wieder Instrumente wie den atmenden Deckel in
dieses Gesetz einfügen werden.

Wir handeln jetzt, um den Ausbau der PV auf einen
nachhaltigen Pfad zu führen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Nachhaltigkeit ist reduziert!)






Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)


Wir werden in den parlamentarischen Beratungen die
Ziele des Klimaschutzes, der Versorgungssicherheit, des
Verbraucherschutzes und der Zukunft der PV-Technolo-
gie im Blick haben.

Unser Ausbauziel, um auch das noch einmal zu sa-
gen, bleiben 52 Gigawatt bis 2020. Aber wir gehen da-
von aus – das unterscheidet die beiden Seiten dieses
Hauses tatsächlich –, dass der Zubau nicht mehr aus-
schließlich im EEG stattfindet, sondern dass die PV
mehr und mehr erwachsen wird, sodass es sich schon al-
lein aus Marktgründen lohnt, eine PV-Anlage zu bauen
und den Strom entsprechend zu nutzen. Deshalb können
wir den Zubaukorridor ab 2014 langsam absenken.

Wer hätte noch vor fünf Jahren gedacht, dass die PV
in diesem kurzen Zeitraum tatsächlich so erfolgreich
sein wird und auf eigenen Beinen steht.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schon! Sie haben immer gesagt, das würde nie etwas! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum machen Sie es jetzt kaputt!)


Ich bin deshalb ganz sicher, dass die PV in diesem Land
auch künftig eine sonnige Zukunft haben wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716602800

Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile

ich Kollegen Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1716602900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Lieber Herr Kelber, Herr Becker, nach Ihren Re-
den


(Dirk Becker [SPD]: Sind Sie nachdenklich geworden!)


– ja – möchte ich Ihnen ein Zitat Ihres Parteivorsitzen-
den liefern, das mir vor wenigen Tagen auf den Tisch ge-
legt wurde. Es ist ein Zitat, das im April letzten Jahres in
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen
war. Dort sagte Sigmar Gabriel zur Solarenergie:

Und wir müssen über die sozialen Aspekte reden:
Ist es gerecht, dass Leute in Mietwohnungen über
einen sehr hohen Strompreis die Solardächer der
Hausbesitzer bezahlen?


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verkürzt zitiert!)


Meine Damen und Herren, lieber Herr Kelber, lieber
Herr Becker, es ist nicht gerecht, dass wir eine solche
Umverteilung von unten nach oben weiterhin dulden.
Deshalb müssen wir an diesem Punkt ansetzen. Deshalb
ist der Gesetzentwurf, wie wir ihn jetzt eingebracht ha-
ben, auch der richtige Weg, der richtige Schritt in die
richtige Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen im Blick haben, dass die Bezahlbarkeit
von Strom in den nächsten Jahren die Achillesferse der
Energiewende wird. Schon heute zahlt eine vierköpfige
Familie eine EEG-Umlage in Höhe von 180 Euro.


(Ulrich Kelber [SPD]: Weil Sie die EEG-Umlage immer weiter eingegrenzt haben mit Ihren ganzen Ausnahmen!)


Eine kleine mittelständische Bäckerei zahlt eine EEG-
Umlage in Höhe von 6 000 Euro. Wir haben Industrien
in Deutschland, die schon jetzt ihre Produktion ins Aus-
land verlagern, weil sie die Strompreise nicht mehr mit-
tragen können. Das ist doch die Realität.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die zahlen die EEGUmlage doch gar nicht! Lügen Sie die Leute doch nicht an!)


Deshalb müssen wir gegensteuern und dafür sorgen,
dass die Energie zukünftig noch bezahlbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist unerträglich! Entweder Sie haben es nicht verstanden oder Sie lügen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716603000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krischer?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1716603100

Ja, gerne.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716603200

Herr Kollege Bareiß, Sie entdecken die Energiekosten

immer dann, wenn es um die EEG-Umlage geht. Ist Ih-
nen bekannt, dass, wenn die Strompreise steigen, das nur
die Ursache hat, dass Sie Netznutzungsentgelte für
Großverbraucher senken? Sie machen mehr und mehr
Ausnahmeregelungen. Sie führen eine Marktprämie ein,
die zu reinen Mitnahmeeffekten führt und nichts mit
dem Markt zu tun hat. All diese Effekte haben dazu ge-
führt, dass die EEG-Umlage gestiegen ist. Hätten Sie das
nicht gemacht, wäre sie gesunken. Sind Ihnen diese Tat-
sachen bekannt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1716603300

Herr Krischer, mir ist die Tatsache durchaus bekannt,

dass wir hoch energieintensive Industrien auch entlasten.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle!)


Im Übrigen war das in diesem Hause bisher immer Kon-
sens von allen Parteien, dass wir das tun müssen, um die
Industrien in Deutschland zu halten, die wir insbeson-
dere mit Blick auf die Innovationen im Bereich der er-
neuerbaren Energien brauchen.





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)



(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 40 Millionen für die Braunkohle!)


Wir brauchen auch weiterhin die Kupfer- und Alumi-
niumhütten in Deutschland.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die waren schon befreit!)


Wir müssen sehen, dass sie auch noch weiterhin in
Deutschland bleiben. Deshalb ist es richtig, dass wir sie
auch weiterhin entlasten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es gar nicht!)


Es ist auch wichtig, dass wir die kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen entlasten, damit wir weiterhin Ar-
beitsplätze in Deutschland erhalten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Fell, ich komme zu Ihnen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön!)


Sie überraschen mich immer wieder; das muss ich ganz
offen sagen. Auch mich bedrückt es,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


wenn die vielen Unternehmen, die Sie vorhin genannt
haben, ihre Module nicht mehr in Deutschland produzie-
ren. Trotzdem haben wir in der Solarindustrie in den
letzten zwei Jahren Rekordwerte erzielt. Wir haben in
den letzten zwei Jahren zweimal jeweils 7 500 Megawatt
zugebaut. Herr Gabriel hat noch vor vier Jahren in sei-
nem Erfahrungsbericht gesagt, er erwarte für 2011 einen
Zubau von 800 Megawatt. Tatsächlich betrug der Zubau
7 500 Megawatt! Trotz dieser Überförderung haben wir
viele, viele Firmen verloren. Das zeigt doch ganz klar,
dass die Überförderung nicht dazu führt, dass wir Ar-
beitsplätze erhalten, sondern die Überförderung kostet
Arbeitsplätze. Deshalb müssen wir das entsprechend an-
packen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, dass Sie keine Solarstrategie haben, um die Energiewirtschaft zu stützen!)


Die Zahlen sprechen für sich. Meine Vorredner haben
das schon teilweise dargelegt: Schon heute beträgt der
Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien an unse-
rem Strommix 20 Prozent. Bis 2020 wollen wir einen
Stromanteil von 35 Prozent erreichen,


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum nehmen Sie immer so ein Mittel?)


mehr als Sie es jemals vorgehabt haben. Ich habe schon
gesagt, wir sind im letzten Jahr bei 7 500 Megawatt ge-
wesen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Es wird nicht richtiger, indem Sie das dauernd wiederholen!)


– Ich habe manchmal den Eindruck, lieber Herr Kelber,
dass Sie ein bisschen neidisch sind auf das, was wir er-
reichen. Ihnen geht das Thema verloren. Das merkt man
auch an den Reden, die den gleichen Inhalt haben wie
vor zwei Jahren. Sie haben die Energiewende ein Stück
weit verschlafen und sind im Heute noch nicht angekom-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Genau!)


Insofern rate ich Ihnen zu mehr Offenheit und Konsens.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie waren doch der letzte Vorkämpfer für die Atomenergie! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Energiewende war ein Fehler! Das ist doch die Position Ihrer Partei!)


Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal
deutlich machen – das hat auch meine Vorrednerin Maria
Flachsbarth gesagt –:


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Bareiß und die Energiewende! Ich lach mich schlapp!)


Auch wenn diese Zubaurate von jeweils 7 500 Mega-
watt in den letzten beiden Jahren beachtlich ist, müssen
wir ganz klar sagen, dass wir uns jährliche Zubauraten in
dieser Höhe in den nächsten Jahren nicht leisten können.
Wir tragen die Verantwortung nicht nur für die Verbrau-
cherpreise, sondern auch für die Netzstabilität.

Wir müssen zu einem Zubau kommen, der nicht nur
bezahlbar, sondern auch mit dem Netz kompatibel ist
und mit dem Netzausbau einhergeht.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie keinen Speichermodus?)


Deshalb müssen wir zu einem Grundkonsens kommen,
maximal 3 500 Megawatt zuzubauen;


(Ulrich Kelber [SPD]: Wo ist Ihre Speicherstrategie?)


das ist unsere Strategie für die Gesetzesnovelle.

Der Gesamtzubau im letzten Jahr kostete in der
Summe über 20 Milliarden Euro. Wenn wir in diesem
Jahr nicht aufpassen, dann werden wir bei einem Zubau
von 8 000 Megawatt landen und müssen dafür in den
nächsten 20 Jahren noch einmal 25 Milliarden Euro für
die Photovoltaik ausgeben.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Diese Zahlen zeigen, dass wir jetzt relativ schnell reagie-
ren und das Gesetz entsprechend schnell umsetzen müs-
sen.

Was machen wir konkret? Lassen Sie mich kurz auf
die einzelnen Punkte eingehen: Zunächst wollen wir mit
einer einmaligen Absenkung der Vergütung eine Anpas-
sung an die gesunkenen Marktpreise bewirken und neh-





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


men eine Degression von 20 bis 26 Prozent vor – nicht
die 36 Prozent, die von Ihnen vorhin beschrieben wur-
den.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich machen Sie die! Rechnen Sie alles zusammen! – Ulrich Kelber [SPD]: Zusammenrechnen! Die Bundesregierung hat hier bestätigt, dass es 37 Prozent sind!)


Wenn Sie sich einmal die Vergütungssätze anschauen,
stellen Sie fest: Es sind 20 bis 26 Prozent. Das spiegelt
ganz klar die Marktpreise wider. Insofern ist diese Ab-
senkung – das sagt sogar die Branche – durchaus vertret-
bar.


(Ulrich Kelber [SPD]: Weiterrechnen!)


Ich glaube, mit den jetzt vorgelegten Übergangsrege-
lungen werden wir problemlos den Bestandsschutz bzw.
den Vertrauensschutz vor Ort regeln können. Bei den
Dachanlagen kommt die Degression zum 1. April. Da-
mit können wir die sonst zu erwartende Endrallye etwas
eindämmen. Die vorhandenen Projekte werden wir den-
noch umsetzen können. Bei den Freiflächenanlagen gibt
es eine Übergangsregelung, die vorsieht, dass der Auf-
stellungsbeschluss zum 1. März vorliegen musste; die
Anlagen müssen dann bis zum 1. Juli installiert werden.
Mit diesen Vorschlägen können wir hoffentlich alle kon-
form gehen. Ich hoffe, dass auch die Bundesländer ent-
sprechend mitmachen werden.

Das ist jedoch nur ein kleiner Baustein in dieser Ge-
setzesnovelle, die im Grunde nur kurzfristig wirken
kann. Langfristig müssen mehr Markt und mehr Wettbe-
werb wirken.


(Ulrich Kelber [SPD]: Aber nicht zu den Bedingungen von RWE!)


Die christlich-liberale Koalition steht für mehr Markt
und Wettbewerb bei den erneuerbaren Energien. Wir
brauchen mehr Eigenverantwortung.

Ich glaube, dass wir mit der geplanten Regelung, nur
noch 85 bis 90 Prozent des EEG-Stroms aus Photovol-
taik zu vergüten, den richtigen Weg gehen. Die restli-
chen 15 Prozent müssen entweder eigenvermarktet oder
selbst verbraucht werden. Das ist heute bereits möglich.
Deshalb glaube ich – das will ich in aller Deutlichkeit
sagen –, dass wir sogar noch etwas mehr machen kön-
nen.

Darüber müssen wir in den nächsten Tagen sprechen.
Ich halte es durchaus für möglich, dass die Photovoltaik
20 bis 25 oder sogar 30 Prozent in den Markt hineinge-
ben kann. In diesem Zusammenhang finde ich den Vor-
schlag einer Kombination mit Speichertechnologien sehr
interessant. Wenn wir es schaffen, die eine oder andere
Speichertechnik in irgendeiner Form zu fördern, dann
hätten wir eine intelligente Lösung: die Photovoltaik auf
dem Dach und einen Speicher im Keller. Eine solche Lö-
sung


(Ulrich Kelber [SPD]: Speicherförderung haben Sie vor drei Jahren das erste Mal abge lehnt! Jetzt machen Sie sie wieder nicht! Nur Gelaber!)


wäre auch in den nächsten drei Jahren noch tragfähig.
Wir müssen prüfen, inwieweit die Speicher schon heute
technisch sinnvoll sind. Das werden wir in den nächsten
Wochen besprechen. Herr Kelber, ich lade Sie ein, hier-
bei mitzumachen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Vor zwei Monaten haben wir beide schon über Speicherstrategien gesprochen!)


Wir müssen prüfen, wie hoch der Anreiz sein muss
und was das Ganze an Netzentlastung bringt. In den
Fraktionen werden wir hierüber diskutieren. Wir gehen
jedenfalls den richtigen Weg.

Ein weiterer Punkt, den wir anpacken werden, ist die
Verstetigung der zukünftigen Degressionsschritte. Zum
1. Mai werden wir 0,15 Cent pro Kilowattstunde De-
gression einführen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Auch
wenn dieser Weg der richtige ist – immerhin wollen wir
die Endrallyes vermeiden –, reicht meiner Meinung nach
dieser Betrag monatlich noch nicht aus. Mit einem Blick
auf die Marktpreise ist die Gesamtdegression immer
noch zu niedrig. Ich halte den Vorschlag eines „atmen-
den Deckels“ für den richtigen. Damit können wir mehr
Automatismus und Verlässlichkeit schaffen


(Michael Kauch [FDP]: In beide Richtungen!)


und damit für die Zukunft im Hinblick auf die Investoren
den richtigen Weg gehen. Dann wäre eine Verordnungs-
ermächtigung nur noch ein Notfallinstrument. Auch das
ist der richtige Weg.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Bareiß redet gerade die nächste Rallye herbei! Unverantwortlich!)


Meine Damen und Herren, ich glaube, unsere Politik
ist verantwortlich.


(Dirk Becker [SPD]: Verantwortlich sind Sie, aber wofür?)


Das ist auch unser Anspruch. Wir wollen, dass die Ener-
giewende gelingt und bezahlbar ist. Die Debatte hat auch
gezeigt, dass dringend Handlungsbedarf besteht, dass
wir jetzt relativ schnell in die Beratungen gehen müssen.
Ich bin hoffnungsfroh, dass wir am 28. März in die
zweite Lesung gehen und Planungssicherheit für die In-
vestoren schaffen können. In diesem Sinne freue ich
mich auf das kommende Gesetzgebungsverfahren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716603400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/8877 und 17/8892 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Chancengleichheit von Männern und
Frauen in Wirtschaftsunternehmen (ChGlFöG)


– Drucksache 17/8878 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch
dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Eva
Högl für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1716603500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn un-
serer Debatte heute Morgen zunächst ein Blick auf die
Fakten: Ein Drittel der 160 Unternehmen in den DAX-
Indizes der Deutschen Börse hat keine einzige Frau in
seinen Führungsgremien, weder im Vorstand noch im
Aufsichtsrat. Aktuell haben wir 3,4 Prozent Frauen in
den Vorständen und 12,7 Prozent Frauen in den Auf-
sichtsräten. Da sage ich: Immerhin! In den Aufsichtsrä-
ten ist es so verteilt: auf der Anteilseignerseite 7,8 Pro-
zent, auf der Arbeitnehmerbank – da können wir ganz
froh sein – immerhin 20,6 Prozent Frauen. Angesichts
dieser Situation ist Deutschland Schlusslicht im Ver-
gleich der westlichen Industrienationen und in Europa.

Ich darf hier heute Morgen sagen: Das ist eine inak-
zeptable Situation. Elf Jahre nach der Selbstverpflich-
tung der deutschen Wirtschaft und der Vereinbarung mit
der Bundesregierung und auch drei Jahre nach Auf-
nahme des Themas Gleichberechtigung in den Corporate
Governance Kodex haben wir es hier mit einer entsetzli-
chen Situation zu tun, die mehr als peinlich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, diese Zahlen zeigen mehr als deutlich – das
wissen wir alle –: Appelle und Selbstverpflichtungen
führen zu rein gar nichts. Die Zeit ist mehr als reif für
eine gesetzliche Regelung.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte hier heute Morgen auch sagen, dass wir
alle miteinander – ich hoffe, dass ich da für alle spreche –
mehr als froh wären, wenn wir auf Quoten verzichten
könnten, wenn wir sagen könnten: „Wir haben genügend
Frauen in den Vorstandsgremien, in den Aufsichtsräten“,

wenn wir sagen könnten: „Unsere Politik ist erfolgreich,
und die Unternehmen wissen selbst, was sie tun müs-
sen.“ Aber wenn wir feststellen, dass die Situation so ist,
wie sie ist, dann sind wir hier als Gesetzgeber, als Deut-
scher Bundestag, gefragt, diese Situation zu beenden und
tätig zu werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Verpflichtung resultiert nicht zuletzt aus Art. 3
Abs. 2 GG.

Die SPD hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir
heute Morgen beraten, und ist damit die erste Fraktion,
die die politische Forderung nach mehr Frauen in den
Führungsgremien der deutschen Wirtschaft ausformu-
liert und einen konkreten Vorschlag vorgelegt hat. Wir
wollen 40 Prozent Frauen in Vorständen und Aufsichts-
räten. Wir wollen das stufenweise einführen; wir wollen
niemanden überfordern. Wir fangen mit einer Quote von
20 Prozent Frauen in den Vorständen und 30 Prozent in
den Aufsichtsräten an. Aber wir sagen auch ganz deut-
lich: Wir müssen jetzt beginnen; wir dürfen das nicht auf
die lange Bank schieben. Wir haben jetzt den Hand-
lungsbedarf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn wir müssen im Hinblick auf die nächsten Auf-
sichtsratswahlen tätig werden. Das Gesetz, das wir hier
umsetzen wollen, muss schon für die nächste Wahlpe-
riode der Aufsichtsräte gelten.

Ich betone noch einmal: Wir schmeißen niemanden
aus den Führungsgremien der deutschen Wirtschaft he-
raus, weder aus dem Vorstand noch aus dem Aufsichts-
rat. Aber wir wollen die frei werdenden Plätze endlich
konsequent mit Frauen besetzen.


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass ein Gesetz, das nur ein Ziel formuliert, überhaupt
nichts bringt. Wir kennen das vom Bundesgleichstel-
lungsgesetz. Wir kennen das auch vom Bundesgremien-
gesetz. Wir kennen die Berichte. Wir wissen, dass wirk-
same Sanktionen notwendig sind. Nur dann ist ein
Gesetz erfolgreich. Nur dann führt es dazu, dass Frauen
auch tatsächlich auf die Plätze kommen.

Wir haben uns deshalb wirksame Sanktionen überlegt
und setzen dabei nicht darauf, die sofortige Beschlussun-
fähigkeit von Gremien herbeizuführen. Weder der Vor-
stand noch der Aufsichtsrat sollen handlungsunfähig
werden. Uns ist die Handlungsfähigkeit deutscher Unter-
nehmen sehr wichtig, und deshalb setzen wir auf Selbst-
regulierung. Wir setzen darauf, dass dann, wenn die Vor-
gaben aus welchen Gründen auch immer nicht erfüllt
werden können, die Plätze zunächst unbesetzt bleiben.
Aber wir sagen auch ganz deutlich: Die Plätze sollen
nicht lange unbesetzt bleiben. Denn wir wollen, dass
Frauen auf den Stühlen sitzen. Wir wollen keine leeren
Stühle.


(Beifall bei der SPD)






Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen dürfen diese Stühle maximal ein Jahr leer
bleiben. Wir gehen allerdings davon aus, dass das gar
nicht der Fall sein wird. Wir setzen nämlich auf die
Selbstregulierung. Beispielsweise gilt für den Aufsichts-
rat eines mitbestimmten Unternehmens die Quote für
jede Bank, und wir gehen davon aus, dass jedes Unter-
nehmen ein Interesse daran hat, die Bänke der Anteils-
eigner und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
auch mit Frauen zu besetzen. Wir meinen, dass es viele
gute Frauen in unserem Land gibt, die diese Plätze auch
besetzen können.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte noch ein Wort zu dem Thema Vorstand sa-
gen. Dies ist ein sensibler Punkt, was wir selbstverständ-
lich in unserem Gesetzentwurf berücksichtigt haben. Wir
haben es sorgfältig geprüft und die Verfassungsgemäß-
heit ausführlich diskutiert. Wir schlagen auch für den
Vorstand eine Regelung vor, die den Vorstand zwar nicht
in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt, aber eine wirk-
same Sanktion beinhaltet. Demnach soll der Vorstand
seine Vertretungsmacht verlieren, wenn er nicht ord-
nungsgemäß besetzt ist. Dann muss der Aufsichtsrat für
das Unternehmen tätig werden. Wir gehen davon aus,
dass das dem Aufsichtsrat so lästig sein wird, dass er al-
les dafür tun wird, dass der Vorstand ordnungsgemäß mit
Frauen besetzt wird.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss noch
ein paar Worte zu dem, was uns entgegenschlägt, da wir
eine Quote befürworten. Es schlägt uns entgegen: Ihr
findet gar keine Frauen – und schon gar nicht für Vor-
stände. Es gibt gar keine qualifizierten Frauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist voll von
qualifizierten Frauen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU] – Abgeordnete der CDU/ CSU und FDP unterhalten sich)


– Das ist demonstratives Desinteresse. Ich nehme das
zur Kenntnis. – Was ist das für eine Botschaft an die
Frauen, wenn wir ihnen sagen, dass sie nicht qualifiziert
genug sind? Wir wissen, dass 97 Prozent der Vorstände
mit Männern besetzt sind. Will mir jemand erzählen,
dass diese 97 Prozent ausschließlich etwas mit Qualifi-
kation zu tun haben?


(Zurufe von der SPD: Nein!)


Das kann doch wohl nicht wahr sein.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sage ich Ihnen eines: Die Quote führt dazu,
dass die guten Frauen, die wir haben, endlich auf die
Plätze kommen, die ihnen zustehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das allein ist der Sinn und Zweck einer Quotierungs-
regelung, und deswegen appelliere ich an Sie, die Koali-

tionsfraktionen: Verschließen Sie sich doch nicht länger
dieser Debatte. Geben Sie Ihr grundsätzliches Nein auf.
Steigen Sie mit uns in die Sachdebatte ein. Wir haben ei-
nen Vorschlag vorgelegt. Wir können über Details spre-
chen. Wir haben es in Form eines Gesetzentwurfs durch-
formuliert. Lassen Sie uns doch heute, einen Tag nach
dem 101. Internationalen Frauentag, etwas für die vielen
tollen Frauen in unserem Land in Sachen Gleichberech-
tigung tun und endlich tätig werden für mehr Frauen in
Führungspositionen in deutschen Unternehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716603600

Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1716603700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

die SPD will mit ihrem Gesetzentwurf börsennotierte
und mitbestimmte Unternehmen der Privatwirtschaft
zwingen, mit einer gestaffelten gesetzlichen Mindest-
quote den Anteil der Frauen in Aufsichtsräten und Vor-
ständen und damit in Führungspositionen zu erhöhen.


(Caren Marks [SPD]: Wir verhelfen ihnen zu ihrem Recht!)


Ja, Frau Kollegin Högl, dem Grunde nach stimme ich
Ihnen zu, und es ist unstreitig: Frauen sind in unterneh-
merischen Führungspositionen im Jahr 2012 deutlich un-
terrepräsentiert; Sie haben die Quoten genannt.

Die Kollegin Strothmann wies mich gerade auf Fol-
gendes hin – und ich will das auch gerne sagen –: An
dieser Stelle wird immer wieder unter den Tisch fallen
gelassen, dass dieses Thema in mittelständischen Betrie-
ben längst kein Thema mehr ist. Dort sind sehr viele
starke und qualifizierte Frauen auch in Führungspositio-
nen. Ich finde, es gehört der Vollständigkeit halber dazu,
das auch einmal zu erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ja, in den großen Unternehmen sind es viel zu wenig.
Ich will die Zahlen aus Zeitgründen nicht wiederholen,
aber wir wissen, dass Frauen in den Vorstandsetagen
deutlich unterrepräsentiert sind.

Das darf uns als Politiker und Politikerinnen nicht in
Ruhe lassen, wir dürfen diese Probleme auch nicht klein-
reden. Das ist richtig, Frau Kollegin Högl.


(Caren Marks [SPD]: Aha!)


Aber wenn wir als Politiker merken, dass Handlungsbe-
darf gegenüber der Wirtschaft besteht, dann sollten wir
auch darauf achten, wie wir es in Unternehmen mit öf-
fentlicher Beteiligung auf Bundes- und Länderebene hal-
ten. Sie erwähnten vorhin das Bundesgremienbeset-
zungsgesetz. Von den dort gesetzten Zielvorgaben sind
wir auch nach 15 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


noch weit entfernt. Einer neueren Studie zufolge sind
Frauen in Aufsichtsräten von Bundesunternehmen mit
einem Anteil von 18,2 Prozent und in Vorständen mit
6,5 Prozent vertreten.

Die genannten Zahlen zeigen, dass es in Bezug auf
das Thema Frauen in Führungspositionen noch viel zu
tun gibt – da bin ich ganz selbstkritisch –; denn in der
Politik sollten wir eigentlich mit gutem Beispiel voran-
gehen. Liebe Kollegin Högl, meine Damen und Herren
von der SPD, ich frage Sie: Wie hoch ist eigentlich die
Quote in Einrichtungen in den Bundesländern, in denen
Sie mitregieren?

Nehmen wir als Beispiel das Land Brandenburg, in
dem ich leben darf. Dort regiert die SPD seit der Wieder-
vereinigung, also seit mehr als 20 Jahren. Ich darf auf
eine aktuelle Anfrage der CDU-Landtagsfraktion vom
Januar dieses Jahres verweisen. Die Antwort der Lan-
desregierung auf die Frage, wie hoch der Anteil von
Frauen in der Geschäftsführung der Unternehmen mit
Landesbeteiligung sei, lautete: Die Landesregierung
konzentriert sich nur auf die Unternehmen, bei denen
das Land Brandenburg zu nahezu 100 Prozent Anteils-
eigner ist und auf die sie Einfluss ausüben kann – das
setzt sie vorweg –, um dann im gleichen Atemzug zu sa-
gen: Der Anteil von Frauen in den Geschäftsführungs-
organen der sieben landeseigenen Unternehmen liegt
lediglich – meine Damen und Herren, hören Sie es sich
an – bei 15,38 Prozent.


(Elke Ferner [SPD]: Das ist in den CDU-geführten Ländern auch nicht besser!)


Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, noch
viel interessanter war die Antwort der Brandenburgi-
schen Landesregierung auf die zweite Frage, ob die rot-
rote Landesregierung eine Zielgröße festgesetzt hat, auf
die der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Un-
ternehmen mit Landesbeteiligung erhöht werden soll.
Nun hören Sie gut zu. Die Landesregierung antwortete:

Das Ziel einer Erhöhung des Anteils von Frauen in
Führungspositionen bei Unternehmen mit Landes-
beteiligung findet seinen Ausdruck in einer Reihe
von Handlungsempfehlungen

– sehr erstaunlich –

in den Regeln für die Unternehmen im Ab-
schnitt VI. des Corporate Governance Kodex für
die Beteiligungen des Landes Brandenburg an pri-
vatrechtlichen Unternehmen …. Dort ist vorgese-
hen, dass der Aufsichtsrat bei der Zusammenset-
zung der Geschäftsführung auch auf Vielfalt …
achten und dabei insbesondere eine angemessene
Beteiligung von Frauen anstreben soll …


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Meine Damen und Herren Sozialdemokraten,


(Caren Marks [SPD]: Und Sozialdemokratinnen, bitte!)


es ist schon wohlfeil: Hier und heute wollen Sie die Pri-
vatwirtschaft per Gesetz zu einer festgelegten gesetzli-

chen Mindestquote von 40 Prozent zwingen. Sie wollen
massiv in deren Eigentumsrechte eingreifen.


(Caren Marks [SPD]: Art. 3 Grundgesetz!)


Aber dort, wo Sie konkret Einfluss nehmen könnten, er-
reichen Sie nicht einmal selbst die Quote, die Sie der Pri-
vatwirtschaft auferlegen wollen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hatten noch nie eine Kanzlerkandidatin! – Elke Ferner [SPD]: Wie sieht es denn in den CDUregierten Bundesländern aus?)


Sie legen sie nicht einmal fest. Statt sich zu einer Quote
zu bekennen, verweisen Sie lediglich auf den Corporate
Governance Kodex, den Sie an anderer Stelle kritisieren.

Wenn Sie es im Land Brandenburg nach 20 Jahren
nur auf 15 Prozent geschafft haben, ist es schon eine
Chuzpe, von der Privatwirtschaft bereits in neun Mona-
ten eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte und
20 Prozent für Vorstände zu verlangen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich hege den Verdacht: Wenn wir uns die Beteiligungs-
berichte anderer Bundesländer, in denen die SPD mitre-
giert, anschauen würden, dann würden wir zu dem Er-
gebnis kommen, dass die Bilanz nicht sehr viel anders
aussieht.


(Caren Marks [SPD]: In Berlin sieht es richtig gut aus!)


Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, wie hal-
ten Sie es denn eigentlich in Ihrer Partei mit Frauen in
Führungspositionen?


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist doch nicht das Thema! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Thema heute!)


In ihrer langen Geschichte hat es zwar viele Parteivorsit-
zende gegeben, aber wie viele davon waren weiblich?
Keine einzige! Wie viele Bundeskanzlerinnen hat die
SPD gestellt? Keine einzige! Wie viele weibliche Frak-
tionsvorsitzende hatte die SPD bisher im Bundestag?
Keine einzige!


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Frauen haben Sie eigentlich in Ihrer Fraktion?)


Frau Kollegin Högl, Sie sagten vorhin: Die Welt ist
voll von qualifizierten Frauen. Ich denke, das trifft auch
auf die SPD zu.


(Sönke Rix [SPD]: Danke!)


Aber dass sich an Ihrer Bilanz etwas ändert, steht nicht
zu vermuten; denn in Bezug auf die Kanzlerkandidatur
erleben wir das Warmlaufen dreier Herren: Gabriel,
Steinmeier und Steinbrück.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Genau! – Elke Ferner [SPD]: Abwarten!)






Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


Ich rege an, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die
Union hat es Ihnen vorgemacht. Machen Sie es uns nach.

Das Problem der geringen Beteiligung von Frauen in
Führungspositionen ist komplex; das wissen wir. Ich will
den Handlungsbedarf auch gar nicht in Abrede stellen.
Ich weiß ebenso wie Sie, dass in meiner Fraktion unter-
schiedliche Positionen vertreten werden. Das heißt aber
nicht, dass wir uns über den Handlungsbedarf nicht einig
sind. Wir sind uns nur über die Wahl des Instrumentes
nicht einig. Ich denke, es muss erlaubt sein, zu fragen,
ob eine starre oder gesetzliche Mindestquote das Pro-
blem lösen könnte oder ob das vielleicht ein nachhaltiger
Eingriff in Eigentumsrechte ist.

Auch ich glaube, dass die Wirtschaft mehr und nach-
haltiger – wenn Sie so wollen: auch von der Politik – un-
ter Druck gesetzt werden muss. Die Vereinbarung aus
dem Jahr 2010 hat im Ergebnis mehr oder weniger nichts
gebracht. Das ist vollkommen richtig. Für die politische
Seite hat damals Bundeskanzler Schröder verhandelt.
Jetzt hat die Familienministerin, Frau Schröder, zusam-
men mit der Wirtschaft versucht, einen Stufenplan zu
entwickeln.


(Zurufe von der SPD)


Ich muss Ihnen sagen: Dieser Vorschlag bietet eine
gute Grundlage, um, ohne zu nachhaltig in Eigentums-
rechte von Unternehmen einzugreifen, dem Handlungs-
bedarf, den wir ja wohl alle sehen, entsprechend zielge-
richtet zu handeln. Ich gestehe zu: Davon müssen wir
unseren Koalitionspartner überzeugen. Wir arbeiten da-
ran. Vielleicht gelingt es uns.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Viel Spaß!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716603800

Die Kollegin Dr. Barbara Höll spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716603900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erneut über ein
so wichtiges gleichstellungspolitisches Thema wie die
gerechte Teilhabe von Frauen an den Entscheidungen
der Unternehmen dieses Landes sprechen.

Frau Voßhoff, ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich
mehr zum Thema geäußert hätten.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben der SPD Nachholbedarf vorgeworfen. Ich
wäre vorsichtig, dies als Mitglied einer Fraktion mit ei-
nem Frauenanteil von 19 Prozent zu tun, da die SPD ei-
nen Frauenanteil von 40 Prozent hat. In der Fraktion der
Linken sind wir 55 Prozent Frauen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist noch einmal ein ganzes Stück mehr. Ihre Art und
Weise des Umgangs geht gar nicht. So kann man
schwerlich vom Thema ablenken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
der SPD ein absolut richtiger Schritt vorgeschlagen
wird. Ein wenig Kritik sei mir am Anfang meiner Aus-
führungen aber erlaubt – das muss jetzt doch sein –: Ich
verstehe nicht, warum unser Antrag, der in eine ähnliche
Richtung zielt, hier gestern keine breite Unterstützung
der anderen Oppositionsfraktionen erhalten hat, sondern
sogar Gegenstimmen. Das ist für mich ein wahlkampf-
taktisches Spielchen. Das finde ich wirklich mehr als är-
gerlich. Frau Ziegler und Frau Fischbach haben gestern
zu Recht betont, dass es uns weiblichen und männlichen
Abgeordneten nur dann gelingen wird, eine geschlech-
tergerechte Gesellschaft zu erreichen, wenn wir in die-
sem Haus gemeinsam und fraktionsübergreifend tätig
werden.

Quoten sind unbeliebt, aber ohne Quote bewegt sich
in unserem Land offenbar nichts.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Nicht die Frauen, sondern die Unternehmen haben über
Jahrzehnte nachgewiesen, dass es ohne Quote nicht geht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen verbindliche, gesetzliche Regulierungen,
weil die Unternehmen sonst nicht bereit sind, die Forde-
rung des Grundgesetzes zu erfüllen. Frauen und Männer
sind gleichberechtigt – diese Formulierung existiert seit
60 Jahren. Aufgrund dieses Gleichstellungsauftrages des
Grundgesetzes muss eigentlich alles Regierungshandeln
auf die Herstellung geeigneter Rahmenbedingungen für
eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Män-
nern in allen gesellschaftlichen Bereichen ausgerichtet
sein. Aber leider sind wir davon weit entfernt.

Die entscheidenden Positionen in Politik, Wirtschaft,
Sport, Medien und Kultur werden in der Bundesrepublik
Deutschland leider immer noch von Männern besetzt.
Mehrere Bundesregierungen haben versucht, die Unter-
nehmen zu einer freiwilligen Erhöhung des Anteils von
Frauen in Führungspositionen zu bewegen. Sie sind da-
mit klar gescheitert. Ich möchte insbesondere Frau
Merkel daran erinnern, dass dieses Thema bereits zu ih-
rer Zeit als Ministerin für Frauen und Jugend eine Rolle
spielte.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lange ist es her! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie schon vergessen!)


Aber während sie mit dem Gleichberechtigungsgesetz
Maßnahmen zur Frauenförderung in der Bundesverwal-
tung und bei der Besetzung öffentlicher Gremien durch
Frauen und Männer durchsetzen konnte, hat sich durch





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


die freiwillige Verpflichtung von Unternehmen auch un-
ter ihren Nachfolgerinnen nichts, aber auch gar nichts
geändert.

Besonders peinlich ist dieses Schneckentempo bei der
Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungs-
positionen, wenn wir einmal über den eigenen Tellerrand
schauen. Norwegen ist zwar mit einer Quote von 40 Pro-
zent Frauen in Führungspositionen immer noch Spitzen-
reiter, aber auch in anderen Ländern hat sich sehr viel
bewegt. Schauen wir nach Spanien, Frankreich, Belgien
und Italien. Dort sind wesentlich mehr Frauen in den
Vorstandsetagen der Wirtschaft als in der Bundesrepu-
blik. Auch im weiteren internationalen Vergleich hinken
wir massiv hinterher. Man muss sagen: Deutschland ist
und bleibt ein gleichstellungspolitisches Entwicklungs-
land.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die EU-Kommissarin Reding kündigte in der letzten
Woche die Einführung einer EU-weiten verbindlichen
Frauenquote für große Unternehmen an, nachdem die
Aufforderung zur freiwilligen Selbstverpflichtung vor
einem Jahr keine ausreichende Wirkung zeigt. Der Ta-
geszeitung Die Welt gegenüber sagte Frau Reding: „Ich
bin kein Fan von Quoten. Aber ich mag die Ergebnisse,
die Quoten bringen.“ – Recht hat sie. An der Quote kom-
men wir nicht vorbei.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Gesetzgeber sollten nicht warten, bis eine
Richtlinie der EU uns dazu zwingt, sondern wir sollten
selbst noch in diesem Jahr dafür sorgen, dass die fort-
dauernde Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes durch
eine klare gesetzliche Quotenregelung endlich beendet
wird. Es wäre schön, wenn die Bundesrepublik die
EU-Kommissarin Reding in ihrem Bemühen unterstüt-
zen würde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthält eine
Reihe konkreter Schritte, durch die eine Besetzung von
Aufsichtsräten und Vorständen mit mindestens 40 Pro-
zent Frauen in den nächsten Jahren erreicht werden
kann. Als erster Schritt wird vorgeschlagen, ab 2013
eine gesetzliche Quote von mindestens 30 Prozent in
Aufsichtsräten und 20 Prozent in Vorständen festzule-
gen. Das bewegt sich in etwa in dem Rahmen, den auch
wir in unserem Antrag vorgesehen haben. Diese Größen-
ordnung ist realisierbar. Es ist unbedingt notwendig,
noch in diesem Jahr diesen Schritt zu tun,


(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!)


weil in diesem Jahr eine ganze Reihe von Positionen frei
werden. Wenn wir es nicht in diesem Jahr machen, wer-
den uns weitere fünf Jahre einfach verloren gehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In zahlreichen Petitionen wird gefordert, dass Frauen
Entscheidungen, auch ökonomische, endlich direkt auf
der Führungsebene treffen können. Umfangreiche Dis-
kussionen in den Medien belegen dies. Es ist Zeit, dass
die Frauen endlich die Hälfte der Macht und des Ku-
chens erhalten. Wir sind nicht länger bereit, Brosamen
zu akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich unterstreiche: Nicht nur Frauen haben dies erkannt,
sondern bereits auch viele Männer. Gemeinsam müssen
wir diese Aufgabe lösen.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Dezember des vergangenen Jahres haben unsere
Kolleginnen Dorothee Bär, Ekin Deligöz, Sibylle
Laurischk, Cornelia Möhring, Rita Pawelski und Dagmar
Ziegler gemeinsam mit den Vertreterinnen von sechs Ver-
bänden die Berliner Erklärung vorgestellt, in der sie eine
Mindestquote von 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten
als ersten Schritt zu einer geschlechtergerechten Beset-
zung von Entscheidungsgremien der Wirtschaft fordern.
Dies ist eine sehr gute Initiative.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Reaktionen waren und sind interessant. Es gibt
ein großes Echo in den Verbänden, den Gewerkschaften,
den Kirchen und den Frauenverbänden aller im Bundes-
tag vertretenen Fraktionen. Ich denke, es wäre gut, wenn
wir hier gemeinsam ein Zeichen setzen und Sie vielleicht
die heutige Debatte bzw. die Woche des Frauentages nut-
zen, um diese Erklärung zu unterzeichnen. Ich helfe
gern: www.berlinererklaerung.de. Per iPad können Sie
das sofort erledigen.


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit der Abg. Caren Marks [SPD])


Ich denke, der Entwurf der SPD kommt zum richtigen
Zeitpunkt. Wir werden ihn unterstützen. Sie haben sehr
detailliert gearbeitet und präzise dargelegt, wie man die
Besetzung der Aufsichtsräte und der Vorstände ohne
Ausnahmemöglichkeiten regeln kann. Das finde ich gut.
Ich glaube aber, wir sollten noch einmal gemeinsam
überlegen, ob die Frage der Sanktionen, die verhängt
werden können, wenn in einem Unternehmen nichts pas-
siert, ausreichend geregelt ist. Aber dafür ist ja genug
Beratungszeitraum da.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist
für mich, für die Linke und für viele Frauen hier im
Saale die Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen
nur ein erster Schritt hin zu einer geschlechtergerechten
Besetzung aller Arbeitsplätze in den Unternehmen. Es





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


ist absurd, dass Frau Schröder gestern versucht hat, diese
Debatte als Elitediskussion abzuqualifizieren.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Dies ist vielmehr ein wichtiger erster Schritt, den viele
Wählerinnen und Wähler unterstützen. Freiwillige Ver-
pflichtungen haben nichts verändert. Wir müssen endlich
tätig werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Schröder redet in der heutigen Debatte ja gar
nicht; vielleicht ist es auch besser so.


(Elke Ferner [SPD]: Die ist gar nicht da! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist besser so! – Caren Marks [SPD]: Die ist so interessiert, dass sie gar nicht da ist! – Thomas Oppermann [SPD]: Wo ist denn Frau Schröder heute? Ist sie wieder nach Tunesien gefahren?)


Was sie gestern gesagt hat, war schon sehr abstrus. Sie
hat gesagt, wer sie nicht bei der Flexiquote unterstütze
– die nichts anderes ist als wieder einmal nur eine
Selbstverpflichtung –, der würde diesem Ziel in den Rü-
cken fallen. Darauf muss man erst einmal kommen –
aber okay.


(Caren Marks [SPD]: Ganz genau! – Heinz Golombeck [FDP]: Die ist innovativ!)


An anderer Stelle hat sie sich noch klarer geäußert.
Dem Wiesbadener Kurier gegenüber sagte sie:

Eine starre Quote halte ich grundsätzlich für proble-
matisch.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Genau! Recht hat sie!)


Es ist nicht Aufgabe des Staates, den verschiedens-
ten Unternehmen ein und dieselbe Quote zu verord-
nen.


(Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Sehr gut!)


Das Grundgesetz gilt doch wohl für alle, oder?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frauen und Männer sind gleichberechtigt, und zwar in
allen Unternehmen. Das ist die Zielstellung, und dazu
bekennen wir uns.

Ich glaube, wir haben die große Chance, noch in die-
sem Jahr einen Gesetzentwurf zu verabschieden und
endlich international aufzuholen. Wir können die Wei-
chenstellung vornehmen, Frauen in der Wirtschaft in
Führungspositionen zu bringen. So könnten wir bewir-
ken, dass die Frauen in Führungspositionen mit dazu
beitragen, dass alle Arbeitsplätze tatsächlich geschlech-
tergerecht besetzt werden.

Frauen haben einen anderen Blick. Genau deshalb ar-
beiten Unternehmen, die gemischte Führungsgremien
haben, erwiesenermaßen besser. Frauen sorgen nämlich
oftmals für ein besseres Betriebsklima. Frauen ist zum

Beispiel klar, dass man dann am besten arbeiten kann,
wenn man weiß, dass die Kinder gut versorgt sind. Dafür
stehen Frauen. Ich glaube, dieses Thema ist es wert, dass
wir uns gemeinsam dafür einsetzen. In diesem Sinne
werbe ich für den Gesetzentwurf der SPD. Unsere Un-
terstützung haben Sie.


(Caren Marks [SPD]: Vielen Dank!)


Danke.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716604000

Der Kollege Marco Buschmann hat das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Eigentlich könnten Sie sich schon wieder hinsetzen! – Dagmar Ziegler [SPD]: Ein Frauenversteher! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal etwas Neues, Herr Buschmann! Nicht immer nur die ollen Kamellen!)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716604100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei den Erstel-
lern der Beratungsgrundlage bedanken.


(Caren Marks [SPD]: Es sind vor allem Erstellerinnen!)


Die Erstellung eines Gesetzentwurfes ist immer eine be-
sondere Leistung,


(Caren Marks [SPD]: Erstellerinnen, Frau Buschmann!)


die über die Erarbeitung eines bloßen Entschließungsan-
trags hinausgeht. Auch wenn uns das Ziel der Chancen-
gerechtigkeit von Männern und Frauen in diesem Hause
eint,


(Elke Ferner [SPD]: Was?)


wird Sie nicht verwundern, dass wir als FDP-Fraktion
diesen Gesetzentwurf nicht unterstützen werden.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das noch mal mit Frauen bei der FDP? Frauen an die Spitze?)


Denn das Instrument einer allgemeinen Zwangsquote für
die Leitungsorgane der Privatwirtschaft halten wir
schlichtweg für falsch. Warum das so ist, möchte ich mit
drei grundsätzlichen Bemerkungen begründen.


(Caren Marks [SPD]: Na, da freuen wir uns aber!)


Die erste Bemerkung lautet: Zwangsquoten bringen
nichts. Sie bringen keinen gesellschaftlichen Fortschritt,


(Elke Ferner [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Aber die Freiwilligkeit, ja?)


und sie bringen kaum einer Frau etwas.





Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall der Abg. Nicole Bracht-Bendt [FDP] – Caren Marks [SPD]: Das sieht man bei der FDP!)


Von einer Zwangsquote würde allenfalls eine verschwin-
dend geringe Anzahl von Frauen profitieren.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wo ist denn Frau von der Leyen? Die kann sich ja auch mal äußern!)


Nehmen wir das Beispiel der immer wieder zitierten
Gruppe der DAX-Vorstände.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Frau von der Leyen hören!)


Dabei geht es um 450 bis 500 Personen in Deutschland.
40 Prozent davon – abzüglich der Frauen, die bereits in
Amt und Würden sind – sind weniger als 200 Frauen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten doch mal etwas Neues erzählen!)


Bezogen auf die 15 Millionen erwerbstätigen Frauen in
Deutschland ist das eine Quote von – hören Sie genau
zu! – 0,00001.


(Caren Marks [SPD]: Mann, Sie können ja rechnen! Super!)


Von Ihrer Zwangsquote würde nur jede Hunderttau-
sendste berufstätige Frau profitieren. Bezogen auf die
Gesamtbevölkerung wäre es gar nur jede Fünfhundert-
tausendste Frau.


(Caren Marks [SPD]: Rechnen Sie es doch auch noch auf die Weltbevölkerung hoch!)


Sie betreiben hier keine Gesellschaftspolitik. Was Sie
betreiben, ist ein Elitenprojekt für die Champagneretage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716604200

Herr Kollege Buschmann, Frau Ziegler würde Ihnen

gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchte Sie sie zulas-
sen?


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716604300

Wer?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716604400

Frau Ziegler.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716604500

Ja. Sehr gern.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716604600

Bitte schön.


Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1716604700

Ich weiß nicht, warum Sie den Begriff einer gesetzli-

chen Zwangsquote verwenden; denn das hat nichts mit
Zwang zu tun. Sonst wären alle Gesetze Zwangsgesetze.
Das halte ich für eine sehr verwerfliche Formulierung
von Ihnen.

Wenn Sie aber sagen, dass der Nutzen einer solchen
Quote so gering sei, warum fürchten Sie sie dann?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716604800

Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie müssen stehen blei-

ben, damit ich Ihre Frage beantworten kann.


(Caren Marks [SPD]: Sie muss gar nichts! – Burkhard Lischka [SPD]: Frauenversteher! – Caren Marks [SPD]: Zwangsweise, angeordnet von Herrn Buschmann!)


Die erste Antwort auf Ihre Frage ist: Ich nenne das
Zwangsquote, weil sich die gesetzliche Quote dadurch
von der Selbstverpflichtung unterscheidet, dass die Re-
gelung notfalls mit gesetzlichem Zwang durchgesetzt
wird. Deshalb ist die Bezeichnung „Zwangsquote“
selbstverständlich zutreffend; denn sie unterscheidet sich
auch nicht von anderen Formen des gesetzlichen
Zwangs.

Das Zweite ist: Ich fürchte eine Quote überhaupt
nicht. Die Quote ist allerdings ein Instrument, das nichts
bringt, und was nichts bringt, gehört nicht ins Bundesge-
setzblatt. Das Bundesgesetzblatt gehört nicht aufgebläht
mit überflüssigen Maßnahmen. Das ist meine Antwort
auf Ihre Frage.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716604900

Herr Kollege, es gäbe noch eine zweite Zwischen-

frage zur Verlängerung Ihrer Redezeit, und zwar eine
Frage des Kollegen Oppermann.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716605000

Sehr gern.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716605100

Unter Männern. – Herr Oppermann, bitte schön.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1716605200

Sehr geehrter Herr Kollege, Sie sagen, dass freiwil-

lige Vereinbarungen zur Besetzung von Spitzenpositio-
nen mit Frauen ausreichen, dass diese Vereinbarungen
gut funktionieren. Daher frage ich Sie, ob Sie wissen,
wie viele Frauen in der Bundesregierung von der FDP
gestellt worden sind. Die FDP war 46 Jahre lang an der
Bundesregierung beteiligt. Wissen Sie, wie viele FDP-
Frauen in dieser Zeit ein Ministeramt bekleidet haben?


(Zuruf von der FDP: Was ist denn das für eine Frage!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716605300

Das ist eine hochinteressante Frage, die aber nichts

mit dem Thema der heutigen Debatte zu tun hat und des-
halb neben der Spur liegt.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute geht es um Leitungsorgane in der Privatwirt-
schaft. Insofern halte ich das für eine Nebelkerze, die Sie
hier zünden. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716605400

Herr Oppermann möchte eine zweite Fragen stellen.

Herr Buschmann entscheidet, ob er diese zulässt.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716605500

Selbstverständlich. – Herr Kollege Oppermann, auch

für die zweite Nebelkerze bin ich sehr dankbar.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1716605600

Ich habe nur die Frage stellen wollen, ob Sie wissen,

wie viele Ministerinnen die FDP gestellt hat. Wenn Sie
das nicht wissen, kann ich Ihnen helfen. Es waren näm-
lich zwei FDP-Ministerinnen in 46 Jahren.

In dieser Zeit hätten Sie aber doch die Möglichkeit
gehabt, hochqualifizierte FDP-Frauen ins Kabinett zu
holen. Warum ist das nicht geschehen?


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716605700

Sehr geehrter Herr Kollege Oppermann, die Frage,

wen wir ins Kabinett schicken und wie sich Kabinette
zusammensetzen, hat mit der Frage, wie sich Leitungs-
organe der Privatwirtschaft zusammensetzen, schlicht-
weg nichts zu tun.

Herzlichen Dank.


(Elke Ferner [SPD]: Hat mit Qualität nichts zu tun, Herr Kollege! – Caren Marks [SPD]: Das war schön entlarvend!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716605800

Würden Sie Herrn Beck auch noch eine Frage stellen

lassen?


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1716605900

Mit Rücksicht auf die Redner der nachfolgenden De-

batten meine ich, dass wir in der Debatte vorwärtskom-
men sollten. Insofern lehne ich diese Zwischenfrage jetzt
ab.

Zwangsquoten verhelfen den betroffenen Gesell-
schaften auch nicht zu mehr Ausgewogenheit in der Ge-
samtbelegschaft. Ich habe an dieser Stelle schon sehr
häufig auf die sozialwissenschaftlichen Belege dafür
hingewiesen, dass die einfache Formel „Frauen oben
fördern Frauen unten“ empirisch schlicht falsch ist. Statt
Zwangsquoten bedarf es echter Gesellschaftspolitik.
Dazu gehören intelligente Arbeitszeitmodelle auch für
Führungskräfte sowie vor allen Dingen verlässliche Kin-
derbetreuungsmöglichkeiten, und zwar jenseits der nor-
malen Kernarbeitszeiten; denn hier treten sehr häufig

Probleme auf. Eine Zwangsquote bietet all das aber na-
türlich nicht.

Meine zweite grundsätzliche Anmerkung lautet: Tun
Sie bitte nicht immer so, als ob gar nichts passieren
würde. Sie haben natürlich recht – und das ist auch mit
eine Antwort auf die Frage des Kollegen Oppermann –,
wenn Sie sagen, dass die Vereinbarungen der rot-grünen
Bundesregierung selbstverständlich nichts gebracht ha-
ben. Auch wir attestieren Ihnen gerne vollständiges Ver-
sagen. Ignorieren Sie aber doch bitte nicht, dass es 2010
eine Änderung des Corporate Governance Kodex mit
neuen Regeln für mehr Frauen in Vorständen und Auf-
sichtsräten gab.


(Elke Ferner [SPD]: Und zu was hat das geführt?)


Wenn Sie den Anteil der Frauen in der Gruppe der
dann neu gewählten Vorstände mit ihrem Anteil in die-
sen Gremien insgesamt vergleichen, dann stellen Sie
fest, dass der Faktor 4 beträgt.


(Elke Ferner [SPD]: Man kann es sich auch schönrechnen!)


– Ein Faktor 4 ist nicht nichts! Natürlich ist das Niveau
noch niedrig, aber dieser Faktor 4 ist ein erster Schritt in
die richtige Richtung.


(Caren Marks [SPD]: Ihr Niveau ist sehr niedrig! Das war das Stichwort!)


Damit komme ich zu meiner dritten Bemerkung. Hö-
ren Sie bitte auf, immer die Privatwirtschaft an den Pran-
ger zu stellen. Sie tun immer so, als ob das eine Insel der
Fortschrittsverweigerer wäre,


(Caren Marks [SPD]: Ja, genau! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja auch!)


die man mit Zwangsmitteln bessern müsse. Frau Kolle-
gin Voßhoff hat bereits darauf hingewiesen, dass sich
diese Probleme auch in anderen Organisationen finden,
denen Sie seltsamerweise nicht mit Zwang zu Leibe rü-
cken wollen.

Ich nenne zum Beispiel die Tatsache, dass die größten
Arbeitgeber in Deutschland gar keine privatwirtschaftli-
chen Unternehmen mehr sind. Das sind nämlich die ge-
meinnützigen Wohlfahrtsverbände. Schauen Sie sich die
Vorstände dieser Unternehmen an, in denen überpropor-
tional viele Frauen beschäftigt sind. Ist da denn Ge-
schlechtergerechtigkeit in Ihrem Sinne verwirklicht?

Der Paritätische Gesamtverband hat einen Vorstand
mit sieben Mitgliedern. Eines davon ist weiblich. Warum
rücken Sie denen denn nicht zu Leibe? Oder schauen Sie
sich den Bereich der politischen Bildung an. Bei der
SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gibt es elf ordentli-
che Vorstandsmitglieder. Zwei davon sind weiblich.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Tragen Sie doch einmal etwas Vernünftiges vor!)


Warum rücken Sie denen denn nicht mit Zwang zu
Leibe?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


Sie sind also der Meinung, dass man mit Zwang ar-
beiten muss. Warum aber nicht bei denen? Ist gemein-
nützige Arbeit etwa weniger wert?


(Caren Marks [SPD]: Ihre Arbeit ist gar nichts wert!)


Ich glaube das nicht. Ich sage Ihnen, warum Sie das
nicht tun und warum Sie bei diesen Organisationen knei-
fen: wegen all der SPD-Funktionäre in den Gremien die-
ser Organisationen, die Sie dann nämlich auf die Straße
setzen müssten, um die Quoten zu erfüllen. Dass Sie dort
kneifen, ist Ausdruck reiner Lobbypolitik im Sinne der
SPD und der männlichen SPD-Funktionsträger.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Damit kennen Sie sich doch aus! – Weitere Zurufe von der SPD!)


Neben diesen drei grundsätzlichen Bemerkungen
könnte ich auch noch jede Menge rechtstechnischer Un-
gereimtheiten und großer Ungerechtigkeiten für kleine
Gesellschaften in dem Entwurf ansprechen. Zum Bei-
spiel ist Ihre 20-Prozent-Quote für die kleinen AGs fak-
tisch eine 50-Prozent-Quote. Auf all das werden wir im
Rahmen der zweiten Lesung aber noch zu sprechen
kommen. Die FDP bleibt bei ihrem klaren Nein zu
Zwangsquoten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Eva Högl [SPD]: Lesen! – Caren Marks [SPD]: Nach dieser Rede haben Sie in der nächsten Woche nur noch 1 Prozent!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606000

Ekin Deligöz hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte, die wir hier führen, löst bei mir ambiva-
lente Gefühle aus. Zum einen freue ich mich, dass die
Debatte fortgesetzt wird, dass nach dem Gesetzentwurf
der Grünen auch die SPD einen Gesetzentwurf vorlegt
und zeigt, wie es gehen kann, und dass wir eine breite
Zustimmung der Frauen in diesem Haus für eine gesetz-
liche Frauenquote haben. Zum anderen schmerzt es
mich, ehrlich gesagt, solchen Reden zuhören zu müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Marco Buschmann [FDP]: So viel zur Meinungsfreiheit!)


Noch mehr schmerzt es mich, dass die zwei zuständigen
Ministerinnen es noch nicht einmal für notwendig hal-
ten, in diesem Raum zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe aus den Reihen der CDU/CSU gehört, die
zuständige Ministerin von der Leyen sei ja da. Ich

wünschte mir, Frau von der Leyen wäre die zuständige
Ministerin, weil sie die Zeichen der Zeit erkannt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die zuständige Frauenministerin hält es noch nicht
einmal mehr für nötig, sich für eine Flexiquote einzuset-
zen. Stattdessen glänzt sie hier durch Abwesenheit. Sie
ist in der großen weiten Welt unterwegs und nicht hier,
um Politik zu machen. Das ist das Problem, das wir hier
haben. Das sollten auch Sie erkennen. Ihre Frauen, die
sich für die Sache einsetzen, müssen sich nach hinten
setzen und dürfen hier vorne nicht das Wort ergreifen.
Das sollten Sie einmal wahrnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Rita nach vorne!)


Wie viel Zeit wollen Sie eigentlich noch vertrödeln,
bevor Sie die Zeichen der Zeit erkennen? Was soll denn
noch alles geschehen? Viel schlimmer noch: Wie stark
will diese FDP Frauen in diesem Land noch diffamie-
ren?


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


Dazu will ich Ihnen ein Beispiel nennen: In dieser Wo-
che sagte Herr Patrick Döring


(Burkhard Lischka [SPD]: Wer ist das?)


im Hamburger Abendblatt, das Thema Frauenquote sei
ein „Luxusprogramm“.


(Otto Fricke [FDP]: Sie haben wieder vereinfacht!)


Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Gleichberechti-
gung ist in diesem Land kein Luxusprogramm, meine
Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Zuruf von der FDP: Das hat er doch gar nicht gesagt!)


Ich sage bewusst „meine Herren“; denn der Anteil der
Damen ist in Ihrer Fraktion ja verschwindend gering.

Es ist kein Luxus, sich in diesem Land für Gleichbe-
rechtigung einzusetzen; das steht vielmehr in unserer
Verfassung. Sie sind verpflichtet, sich dafür einzusetzen.
Dieser Verpflichtung müssen wir endlich nachkommen.

Die Diffamierung von Frauen in diesem Land steht
keiner Fraktion in diesem Haus zu. Sie sollten sich fra-
gen, wie weit Sie damit kommen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Marco Buschmann [FDP]: Sie haben an einer anderen Debatte teilgenommen!)


Warum wollen wir die Frauenquote? Warum kämpfen
wir dafür? Weil es um die Sache geht. Es geht um die In-
halte; die Quote ist kein Selbstzweck. Wir wissen: Erst
mit dem weiblichen Blick in den Führungsstrukturen
können wir auch etwas für die Arbeitnehmerinnen insge-





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)


samt tun. Damit können wir etwas in der Geschäftskultur
und in den Führungs- und Personalstrukturen ändern.
Auch deshalb wollen wir mehr Frauen in den Füh-
rungsetagen. Wir wollen die festgefahrenen männlichen
Strukturen aufbrechen. Es gibt auch genug Männer,
denen diese festgefahrenen Strukturen nicht gefallen.
Deshalb wollen wir Frauen in den Führungsetagen. Wir
wollen die Besten der Besten aus diesem Land in verant-
wortungsvollen Positionen, statt nur deshalb auf Talente
zu verzichten, weil es weibliche Talente sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen Wettbewerbsfähigkeit, und wir wollen die
Wirtschaft stärken. Lesen Sie die Studien, die es dazu
gibt. Wenn Frauen an der Spitze stehen, dann sind Unter-
nehmen viel besser dran als die mit einer reinen Männer-
spitze. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, wenn Sie
tatsächlich eine gute Wirtschaftspolitik machen wollen,
meine Herren von der FDP. Auch darum geht es bei der
Frauenquote.


(Otto Fricke [FDP]: Das haben wir ja bei Hewlett Packard gesehen!)


Die Berliner Erklärung zeigt, dass es im Bundestag
genug Frauen gibt, die verstanden haben, worum es geht.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die SPD hat
nun auch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir beweisen,
dass es möglich ist. Wir können das machen.

Die Frauen in den Unternehmen beweisen: Es gibt ge-
nug qualifizierte Frauen. Inzwischen gibt es Datenban-
ken, die zeigen, wie viele Frauen nicht nur dafür infrage
kommen, sondern auch bereit sind, verantwortungsvolle
Führungspositionen zu übernehmen. Es gibt diese
Frauen.

Diese Chance hat das Land. Diese Chance nicht zu er-
greifen, wäre eine Schande. Absichtserklärungen reichen
uns nicht mehr; wir wollen mehr.

Frei nach dem Sozialphilosophen Charles Fourier, der
das bereits im 18. Jahrhundert sagte, gilt: Der soziale
Fortschritt erfolgt nur dann, wenn wir auch Fortschritte
in den Rechten der Frauen manifestieren. – Was damals
gesagt wurde, gilt noch heute.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie eine Modernisierungspartei sein wollen,
dann müssen Sie das ernst nehmen. Ohne Frauen wird
das nicht funktionieren.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606200

Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1716606300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei allen
Unterschieden, die heute zutage getreten sind, sollten
wir uns zunächst einmal vor Augen führen, wo wir ei-
gentlich beieinander sind. Ich glaube, wir sind in der Be-
wertung der Ausgangslage relativ eng beieinander. Wir
sind relativ eng beieinander in der Feststellung, dass der
Frauenanteil gerade in den großen Unternehmen in
Deutschland viel zu niedrig ist. Das zeigt etwa ein Blick
auf die Vorstände der DAX-Unternehmen mit einem
Frauenanteil von weniger als 5 Prozent. Das ist inakzep-
tabel. Darin teile ich uneingeschränkt Ihre Auffassung,
Frau Kollegin Högl.

Unterschiedlicher Auffassung sind wir in der Frage,
welche Konsequenzen wir ziehen müssen, um das Ziel
der Erhöhung des Frauenanteils besser zu erreichen. Da-
bei haben wir die grundsätzliche Frage zu beantworten,
ob wir auf starre Vorgaben und starre Lösungen oder auf
flexible Modelle und passgenaue Lösungen setzen.

Aus unserer Überzeugung ist Letzteres der bessere
Weg. Warum? Ein Blick auf unsere Wirtschaft zeigt: Wir
haben sehr unterschiedliche Branchen mit völlig unter-
schiedlichen Frauenanteilen. In der Branche der Energie-
wirtschaft und Wasserversorgung liegt der Frauenanteil
bei 14 Prozent. In der Baubranche beträgt der Frauenan-
teil 17 Prozent. Im Maschinenbau sieht es wenig besser
aus. Wenn wir in den Dienstleistungsbereich schauen,
stellen wir fest: Es gibt Branchen, in denen der Frauen-
anteil über 50 Prozent – mitunter weit über 50 Prozent –
liegt.

So klar es ist, dass es ungerecht ist, wenn Frauen und
Männer in der Arbeitswelt unterschiedlich behandelt
werden, so klar ist nach meiner Überzeugung auch: Es
ist ungerecht, eine Quote von 40 Prozent über alle Unter-
nehmen zu legen –


(Elke Ferner [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


völlig unabhängig davon, ob das eine Branche mit einem
Frauenanteil von 17 Prozent ist oder eine Branche mit
einem Frauenanteil von 60 oder 70 Prozent. Das passt
nicht. Deshalb ziehen wir passgenaue und maßgeschnei-
derte Lösungen vor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das heißt also: Raus mit Männern aus Frauenberufen!)


Wenn Sie erklären, wie eben wieder geschehen, das
sei alles auch im wohlverstandenen Interesse der Unter-
nehmen – es gebe ja Studien, die belegten, dass Unter-
nehmen dann besser geführt würden –, müssen Sie sich
schon fragen lassen, warum Sie Ihren Gesetzentwurf ei-
gentlich so eng angelegt haben.

Diese Studien führen nämlich nicht nur zu dem Er-
gebnis, dass Vorstände, Aufsichtsräte und sonstige Gre-
mien besser arbeiten, wenn in ihnen beide Geschlechter
angemessen berücksichtigt sind. Vielmehr sprechen
diese Studien für mehr Diversität in einem viel breiteren
Sinne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)


Sie plädieren dafür, etwa die unterschiedlichen berufli-
chen Hintergründe, die Menschen haben, stärker zu be-
rücksichtigen und darauf zu achten, dass nicht nur Tech-
niker, Kaufleute oder Juristen in den Gremien sitzen,
sondern dass es eine gesunde Mischung gibt. Diese Stu-
dien besagen: Es kommt auch auf die regionale Herkunft
an; Aufsichtsgremien, denen Europäer und vielleicht
Amerikaner oder Asiaten angehören,


(Elke Ferner [SPD]: Immer nur Männer! Was ist denn mit Europäerinnen, Amerikanerinnen oder Asiatinnen?)


sind aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit Gremien, die zu
einseitig besetzt sind, vorzuziehen.

Wenn Sie aus diesen Studien nur ein Segment heraus-
greifen, das Ihnen gerade opportun erscheint,


(Zuruf von der SPD: Sie blenden das ja aus!)


setzen Sie sich schon dem Vorwurf aus, dass Ihr Gesetz-
entwurf zu eng angelegt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, Sorgen bereitet mir bei Ih-
rem Entwurf, dass er in seinem Anwendungsbereich
weit über die DAX-30-Unternehmen hinausgeht, an die
wir in der Diskussion häufig denken.


(Elke Ferner [SPD]: Was jetzt? Zu eng oder zu weit? Was wollen Sie denn jetzt?)


Sie wollen nämlich den Anwendungsbereich auf mitbe-
stimmte Unternehmen ausdehnen.

Wir haben in Deutschland 700 paritätisch mitbe-
stimmte Unternehmen. Wir haben 1 500 drittelparitä-
tisch besetzte Unternehmen.


(Elke Ferner [SPD]: Aha! Das ist Ihnen zu viel, oder was?)


– Ich weiß, dass Sie schon immer gewisse Probleme mit
dem Mittelstand hatten. Der passt nicht so sehr in Ihr
Weltbild wie Großkonzerne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Sie haben Probleme mit den Frauen!)


Wir sind der festen Überzeugung, dass gerade die
mittelständischen Betriebe das Herz unserer Wirtschaft
sind. Darunter sind viele Betriebe, die nicht von morgens
bis abends von der Sorge geplagt sind, wie sie möglichst
viel Frauenfeindlichkeit und Frauenbenachteiligung um-
setzen könnten. Vielmehr gehen diese Betriebe sehr
pragmatisch vor. Das sind häufig Familienunternehmen,
in denen die Frage, wie ein Geschäftsführungsorgan
oder ein Beiratsorgan in der nächsten Generation besetzt
wird, schlicht und ergreifend davon abhängt, ob die Un-
ternehmerfamilie in der nächsten Generation vielleicht
zwei Töchter oder ob sie zwei Söhne hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Warum Sie in Ihrem Regelungsansatz weit über die
börsennotierten Großunternehmen hinausgehen und sa-
gen: „Wir wollen in all diese Unternehmen hineinregie-

ren“, ist für uns nicht nachvollziehbar. Es gibt Familien-
unternehmen, in denen es seit jeher Tradition war, dass
das Unternehmen von Mitgliedern der Familie geführt
wird. Wenn das Unternehmen in einer Generation eben
zwei weibliche Familienmitglieder hat, die das Unter-
nehmen führen möchten: Warum nicht? Warum muss
dann unbedingt ein männlicher Fremdgeschäftsführer
eingestellt werden?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein weiterer Punkt kommt hinzu: die kurzen Über-
gangsfristen. Frau Kollegin Högl, Sie haben gesagt, dass
Sie niemanden rauswerfen möchten. Was die Aufsichts-
ratswahlen betrifft, mögen Sie mit Ihrem Regelungsan-
satz recht haben. Im Hinblick auf die Vorstände und die
Geschäftsführer haben Sie nicht recht. In aller Regel
werden Geschäftsführerverträge eben nicht für ein paar
Monate abgeschlossen, sondern für drei, vier oder fünf
Jahre. Wenn Sie jetzt sagen: „Wir wollen ab 2013 Neure-
gelungen haben“, führt das für viele Unternehmen dazu,
dass sie das Problem auf der Geschäftsführungsebene
nicht einfach bei der nächsten routinemäßigen Beset-
zung lösen können. Für diese Unternehmen führt es
schlicht und ergreifend dazu, dass sie neben den Ge-
schäftsführern, die sie im Augenblick haben, weitere
Geschäftsführer einstellen müssen und sich damit die
Kosten für das Unternehmen erhöhen. Das mag bei
Großunternehmen eine vernachlässigbare Größe sein.
Für einen mittelständischen Unternehmer macht es aber
einen Unterschied, ob er zwei, drei oder vier Geschäfts-
führer bezahlen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nach meiner Meinung stellen Sie in Ihrem Gesetzent-
wurf diese Thematik in keinen ausreichend breiten Zu-
sammenhang. Es geht auch um Fragen der Frauenförde-
rung weit unterhalb der Vorstandsebene. Wir müssen
sicherstellen, dass der Anteil weiblicher Führungskräfte
zunimmt, damit im Sinne einer nachhaltigen Entwick-
lung Frauen in Vorstände und Aufsichtsräte quasi hinein-
wachsen können. Wir sind in der Union der Auffassung,
dass der richtige Weg nicht eine starre Quote, sondern
ein Konzept ist, das sich an einen Stufenplan anlehnt. In
der Tat kann es kein Weiter-so wie in den letzten Jahren
geben. Aber wir brauchen keine einheitliche, pauschalie-
rende Quote für alle Unternehmen, sondern eine maßge-
schneiderte Lösung, die branchenspezifischen Besonder-
heiten und der jeweiligen Situation der Unternehmen
Rechnung trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt wird und
dass einzelne Reden mit Heftigkeit, Vehemenz und mit-
unter sogar mit Schärfe vorgetragen werden, hat mögli-
cherweise etwas damit zu tun, dass von der Frauenpoli-
tik der rot-grünen Bundesregierung eigentlich nicht
mehr in Erinnerung geblieben ist als die dümmliche Be-
merkung des damaligen Kanzlers, Frauenpolitik sei Ge-
döns. Herr Kollege Oppermann, falls Sie sich nicht mehr
richtig erinnern können: Es ist Gerhard Schröder, von
dem das stammt.





Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)



(Thomas Oppermann [SPD]: Das haben Sie falsch verstanden!)


Aber dass dümmliche Äußerungen von Gerhard Schröder
keine Seltenheit sind, haben wir auch in dieser Woche
zur Genüge erleben dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden mit der Umsetzung unseres Konzepts,
das vorsieht, den Frauenanteil mit maßgeschneiderten
Lösungen zu erhöhen, fortfahren.


(Elke Ferner [SPD]: Welches Konzept denn?)


Wir werden aber jede Vorlage, die auf Quotierung, Re-
gulierung und staatlichen Dirigismus setzt, ablehnen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606400

Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1716606500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit der
Lippenbekenntnisse muss endgültig vorbei sein. Sie,
meine Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,
erhalten von uns, der SPD-Bundestagsfraktion, die Gele-
genheit, sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Ta-
ten zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD)


Allen, die es mit der Forderung nach mehr Frauen in
Führungsfunktionen – mindestens 40 Prozent Frauen in
Aufsichtsräten und Vorständen – wirklich ernst meinen,
können am Ende des parlamentarischen Verfahrens un-
serem Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall bei der SPD)


Wir freuen uns über alle, die diese parlamentarische Ini-
tiative konstruktiv begleiten und unterstützen. Nachdem
bei der schwarz-gelben Regierungskoalition Fraktions-
disziplin ja keine so große Rolle mehr spielt, hoffe ich
natürlich auf Unterstützung auch aus Ihren Reihen.


(Beifall bei der SPD)


Denn damit erhielten auch all die gesellschaftlichen
Kräfte, die sich für eine Quotenregelung engagieren, ein
klares, ein notwendiges Signal aus der Politik.

Ich denke dabei zum Beispiel an den Deutschen Juris-
tinnenbund und seine engagierte Aktion „Aktionärinnen
fordern Gleichberechtigung“. Erst letzte Woche haben
führende Journalistinnen einen Aufruf gestartet, um eine
30-Prozent-Quote in den Chefetagen der Redaktionen
einzufordern. Heute, ganz aktuell, ist nachzulesen, dass
selbst Olaf Henkel eine gesetzliche Quote in Aufsichts-
räten fordert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Beispiele machen deutlich: Große Teile unserer
Gesellschaft fordern unüberhörbar die angemessene Be-
teiligung von Frauen ein. Und ich sage: Recht haben sie!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dennoch ist diese Bundesregierung handlungsunwil-
lig, wenn es um Frauen- und Gleichstellungspolitik geht.
Das beste Beispiel dafür ist uns zu Beginn dieser Woche
geboten worden: Da verbittet sich Ministerin Schröder,
die es heute noch nicht einmal nötig hat, anwesend zu
sein,


(Burkhard Lischka [SPD]: Pfui!)


und die eigentlich auch Frauenministerin sein sollte,
weitere Einmischungen. Deutschland brauche keine bü-
rokratischen Vorschriften und Belehrungen aus Brüssel.


(Marco Buschmann [FDP]: Genau so ist es! Sehr gut!)


Wir hingegen, die SPD-Bundestagsfraktion, begrüßen
ausdrücklich das Engagement der EU-Kommissarin
Viviane Reding für gesetzliche Regelungen.


(Beifall bei der SPD)


Frau Reding hat uns sehr deutlich vor Augen geführt,
wie schlecht es bei uns in Deutschland um den Anteil
von Frauen in Führungspositionen im europäischen Ver-
gleich aussieht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Besetzung
von Vorstandsposten finden wir Frauen uns in Deutsch-
land am Schluss wieder. Bei den Aufsichtsratsmandaten
rangiert Deutschland im unteren Drittel. Selbst diese
Position ist nur der Tatsache geschuldet, dass die Rate
der entsandten Frauen auf der Arbeitnehmerseite höher
ist. Das ist beschämend. Frauen sind bei den Schlüssel-
positionen der deutschen Wirtschaft weiterhin außen vor.
Überwiegend prägen reine Männerrunden die Unterneh-
menskultur und damit die Arbeitswelt in unserem Land.

Trotz dieser Tatsachen handelt die Bundesregierung
nicht. Frau Schröder setzt weiter unbeirrt auf die Frei-
willigkeit der Wirtschaft, und diese Woche konnten wir
den Medien entnehmen, dass sie vor der FDP einge-
knickt sei und selbst ihre wachsweiche Flexiquote zu
den Akten gelegt habe. Diese Regierung kommt frauen-
politisch einfach nicht voran. Sie ist zerstritten, und sie
ist somit handlungsunfähig. Wir haben eine Bundes-
frauenministerin, die durch ihre „Nichthaltung“ und ih-
ren Beitrag in der gestrigen Debatte zum Internationalen
Frauentag signalisiert, dass ihr dieses Thema eigentlich
egal ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem haben wir eine Bundesarbeitsministerin,
die jetzt, dank einer gereiften Erkenntnis, eine gesetzli-
che Quote von 30 Prozent fordert. Als sie noch Frauen-
ministerin war, habe ich ein entsprechendes Engagement
vermisst. Aber ich sage ganz ehrlich: Ich freue mich
über Ihre Unterstützung. Ich finde es auch gut, dass Sie





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


heute hier sind und damit ein Zeichen setzen, Frau von
der Leyen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Besser spät als gar nicht!)


Dann ist da noch eine Bundesjustizministerin, die ich
heute genauso wie die Frauenministerin vermisse. Sie ist
gleichstellungspolitisch uninteressiert und ignoriert die
Meinung ihrer Länderfachkolleginnen und -kollegen.
Diese haben nämlich auf der Justizministerkonferenz im
Mai letzten Jahres festgehalten, dass die Einführung ei-
ner bundesgesetzlich geregelten Geschlechterquote drin-
gend geboten ist. Und was macht die Kanzlerin? Nichts!
Sie ist handlungsunwillig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz anderer Ver-
lautbarungen von Frau Schröder ist gleichstellungspoli-
tisch in diesem Land in den letzten Monaten nichts pas-
siert. Der von Frau Schröder bejubelte Quotengipfel im
Oktober 2011 ist im Ergebnis mehr als peinlich. Solche
freiwilligen Unverbindlichkeiten führen nicht zum Ziel.
Ich kann allen nochmals empfehlen: Sehen Sie sich die
Entwicklung in Norwegen an: Dort ist der Frauenanteil
in den Aufsichtsräten von 7 auf 42 Prozent gestiegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das belegt eindeutig: Wenn es einen Schlüssel zum
Erfolg gibt, dann ist es die gesetzliche Quote. Andere
Länder sind diesem Beispiel im Übrigen inzwischen be-
reits gefolgt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur in Deutschland glaubt die Bundesregierung auch
nach über zehn Jahren freiwilliger Vereinbarung – ja,
woran eigentlich? An ein Wunder? Die geschehen erfah-
rungsgemäß selten, eigentlich nie.

Wir von der SPD-Fraktion warten nicht auf Wunder,
sondern legen heute einen Gesetzentwurf vor. Damit
wird ein entscheidender Beitrag für eine chancenge-
rechte Teilhabe von Frauen in den Aufsichtsräten und
Vorständen ermöglicht, und dies nicht nur bei den bör-
sennotierten, sondern auch bei den mitbestimmten Un-
ternehmen. Eine gesetzliche Quote wird mehr Frauen in
Führungspositionen bringen. Am Ende zählt das Ergeb-
nis. Auch wird die Quote eine Signalfunktion für die Un-
ternehmenskultur und für die Arbeitswelt in unserem
Land haben.

Allen Kritikerinnen, die betonen, sie wollten keine
Quotenfrauen sein, kann ich nur sagen: Die Quote öffnet
lediglich die Tür. Beweisen müssen sie sich ohnehin
selbst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Gesetzentwurf bürdet den Unternehmen keine
Last auf, im Gegenteil: Mehr Frauen in Führungsfunk-
tionen erhöhen die Chancen auf einen wirtschaftlichen
Erfolg. Dies belegen auch diverse Studien. Außerdem

kommt unser Gesetzentwurf ohne finanzielle Sanktionen
und ohne Härtefallregelungen aus. Wenn die Quote nicht
eingehalten wird, bleibt der Stuhl leer. Ich bin mir sicher:
Dieser wird nicht lange leer bleiben. Auf ihm wird
schnell eine kompetente Frau Platz nehmen. Nach kurzer
Zeit wird darüber kein Wort mehr verloren, so wie in
Norwegen.

Die Frauen in Deutschland fordern zu Recht Taten
statt Worte von Regierung und Parlament. Mit Ihrer Zu-
stimmung zu unserem Gesetzentwurf lassen wir den
Worten Taten folgen. Tatsächliche Gleichstellung muss
Realität auch bei uns in Deutschland werden. Ich bin mir
sicher: Dafür lohnt es sich, zu kämpfen, auch über die
Fraktionsgrenzen hinweg.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606600

Unser Kollege Jörg von Polheim hat jetzt das Wort für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Jörg von Polheim (FDP):
Rede ID: ID1716606700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
dieser Debatte schon einiges gehört, einiges Richtige
und viel Falsches.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, von Herrn Buschmann zum Beispiel!)


Deshalb möchte ich als Handwerker und kleiner mit-
telständischer Bäckermeister in dieser Debatte auf die
Auswirkungen Ihres Gesetzentwurfs auf den oder die
ganz normale Berufstätige eingehen. Während wir Li-
berale und Christdemokraten uns mit der Materie „Chan-
cengleichheit von Männern und Frauen“ eingehend aus-
einandersetzen und eventuell auch unpopuläre
Meinungen vertreten, weil wir sie für richtig halten, for-
dert die SPD einen Stufenplan für eine 40-Prozent-Min-
destquote für börsennotierte Gesellschaften,


(Mechthild Rawert [SPD]: Sehr gut!)


womit man ganz herrlich Schlagzeilen produzieren
kann, was jedoch in der Sache nur wenigen Hundert Un-
ternehmen und Menschen hilft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass Ihre Initiative zum Thema Quote lediglich an
Symptomen herumdoktert und dabei an sämtlichen All-
tagsproblemen der Bürgerinnen und Bürger vorbeigeht,
soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Was bringt Ihre Elitenquote für die Mutter von ne-
benan, die hart arbeitet und trotzdem Probleme hat, ihren
Lebensunterhalt zu sichern? Nichts.


(Beifall bei der FDP)






Jörg von Polheim


(A) (C)



(D)(B)


Welche spürbaren Verbesserungen ergeben sich für
junge Singlefrauen, die zukunftssicher ihr Leben planen
möchten? Keine. Oder anders gesagt: Wem nützt das,
was Sie vorschlagen? Niemandem.


(Beifall bei der FDP)


Anstatt mit Quotenregelungen staatlichem Zwang das
Wort zu reden, sollte es Ihnen, wenn es Ihnen um die Sa-
che ginge, vielmehr ein Anliegen sein, Angebote für die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterbreiten.
Damit wäre den berechtigten Anliegen der Frauen und
übrigens auch vieler Männer weitaus mehr geholfen als
mit einer Quote für einige wenige Führungsetagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht hier um Chancengleichheit für alle Bürgerin-
nen und Bürger. Es geht um reale Fortschritte bei der
Koordinierung von Kind und Karriere. Es geht um Men-
schen in unserem Land, um bessere Aufstiegschancen
für Frauen in der Arbeitswelt, aber nicht um willkürlich
festgesetzte Vorstandsquoten fernab der Lebenswirklich-
keit unserer Bürgerinnen und Bürger.

Diese Koalition hat viel für die berufliche Chancen-
gleichheit getan, mehr als es durch jede Quote erreicht
werden könnte.


(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])


Wir haben trotz Haushaltskonsolidierung zusätzliche
4 Milliarden Euro für den Rechtsanspruch auf die U-3-
Betreuung aufgebracht. Das erhöht die Chancen jeder
einzelnen Frau, ihre Karriere individueller zu planen, als
es je zuvor der Fall war.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang sollten Sie einmal zu Ihren
Genossen nach Nordrhein-Westfalen schauen. Dort wird
der Ausbau der U-3-Betreuung von der SPD-geführten
Landesregierung massiv gekürzt, und Sie reden hier von
Chancengleichheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Schauen Sie einmal in den Landeshaushalt. – Diese
Bundesregierung hat das Unternehmensprogramm „Er-
folgsfaktor Familie“ und die Initiative „Familienbe-
wusste Arbeitszeiten“ aufgelegt. Diese Programme sor-
gen dafür, dass Familienleben und Arbeitswelt besser in
Einklang gebracht werden können. In Zukunft wird
diese Koalition die Elternzeit flexibler gestalten. Durch
diese Flexibilisierung wird es jungen Familien ermög-
licht, mit einem Bein im Berufsleben zu bleiben, ohne
auf eine Auszeit zum Wohle des Kindes verzichten zu
müssen. All diese Initiativen sind weiche Faktoren, die
uns langsam, aber stetig dorthin bringen sollen, wo bei-
spielsweise Schweden schon heute ist: mehr Frauen in
Vorstandsgremien – und das ohne staatlich verordnete
Quote. Das ist ernst gemeinte nachhaltige Politik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jede unserer Initiativen hilft sowohl den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern
weitaus mehr als die von Ihnen vorgeschlagene Frauen-
quote für Vorstandsetagen. Die SPD möchte Frauen mit
der Brechstange in die Vorstände bringen;


(Dr. Eva Högl [SPD]: Nein, mit der Quote!)


wir wollen Verbesserungen in der Sache. Sie bedienen
Klischees; wir bedienen die Realität.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606800

Herr von Polheim, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen
des Hauses recht herzlich und wünsche Erfolg für Ihre
Arbeit hier.


(Beifall – Abg. Jörg von Polheim [FDP] nimmt Gratulationen entgegen)


– Küsse werden ins Protokoll aufgenommen; nur damit
das klar ist.


(Gisela Piltz [FDP]: Unbedingt! Mir würde was fehlen!)


Die nächste Rednerin ist Monika Lazar für Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716606900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Thema Quote wird in dieser Woche wieder sehr
breit diskutiert. Trotz des Widerstands in der Koalition
gibt es inzwischen eine breite Mehrheit, die sich für die
Quote ausspricht,


(Jörg von Polheim [FDP]: Nur nicht in der Bevölkerung!)


unter anderem bei der Frauen Union und bei den Frauen
in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ministerin von
der Leyen, die als einzige Ministerin hier zum Glück
dabei ist, sagte erst kürzlich im Tagesspiegel: „Im
Schneckentempo können wir nicht weitermachen“. Das
ist richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die EU-Kommissarin Reding ist mit ihrer Geduld am
Ende und wird handeln. Auch die Berliner Erklärung, für
die sich Frauen aus allen Fraktionen zusammengefunden
haben und die Tausende von Unterschriften trägt,
spricht, denke ich, eine eindeutige Sprache.

Die FDP – das hat man auch heute wieder gesehen –
hat anscheinend große Angst vor der Quote.


(Otto Fricke [FDP]: Da haben Sie eben nicht zugehört!)


Sie sollten sie ruhig einmal ausprobieren. Ich glaube,
dann hätten Sie auch ein paar Probleme weniger.





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Generalsekretär Döring beklagt, dass eine gesetzliche
Quote ein Eingriff in das Eigentum der Aktionärinnen
und Aktionäre wäre. Damit hat er recht. Aus gutem
Grund würde der Gesetzgeber eingreifen: zum Schutz
vor Diskriminierung.

Auch Herr Brüderle lehnt eine Quote ab. Zitat:
„Frauen sind zu unterstützen, weil sie gut sind – nicht
weil sie Frauen sind“. Was ist denn das für ein Argu-
ment? Das zeigt wieder einmal, dass die FDP das Prinzip
der Quote immer noch nicht verstanden hat.


(Marco Buschmann [FDP]: Sie haben nicht verstanden, dass Ihre Theorien in der Wirklichkeit widerlegt werden!)


Wenn Sie allen Ernstes behaupten, eine Quote habe mit
Leistung nichts zu tun, dann ignorieren Sie die wissen-
schaftlichen Ergebnisse zu den Leistungen von Frauen
einerseits und ihren Aufstiegsmöglichkeiten anderer-
seits. Wir müssen uns eben die besten Frauen aus dem
Pool heraussuchen und dürfen nicht, als hätten wir
Scheuklappen auf, nur auf die Männer setzen, die den
meisten Unternehmen als Erstes einfallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Enttäuschung über die Frauen- und Geschlechter-
politik der Koalition sitzt tief. Selbst die dürftigen An-
sätze der Frauenministerin werden von der FDP im
Keim erstickt. So schrieb die taz am 5. März: „FDP
muckt auf und Frau Schröder knickt ein“, und sie schrieb
ferner von der FDP in „Ignorantenhausen“.

Womit die Ministerin allerdings regelmäßig die Me-
dien bedient, sind Ankündigungen von Gesetzentwürfen.
Wir erwarten, dass sie ihre Vorhaben zuerst mit dem
Koalitionspartner bespricht, dann uns im Plenum infor-
miert, sodass wir es hier diskutieren können. Es kann
nicht sein, dass wir immer nur in der Zeitung etwas lesen
und dann nichts passiert.

Auch die aktualisierten Zahlen aus dem Ministeriums-
etat sprechen eine eindeutige Sprache. Besonders über-
rascht bin ich darüber, dass beim Titel „Gleichstellungs-
politik in der Lebenslaufperspektive“ deutlich weniger
ausgegeben werden soll als zunächst geplant. Sie haben
doch erst gestern den Antrag zu diesem Thema einge-
bracht. Anscheinend ist das nicht mit Zahlen untermau-
ert, oder Ihnen fällt nichts dazu ein.

Auch zur Flexiquote und zum Stufenplan der Ministe-
rin – so niedrig die Ziele darin auch sind – ist im aktuel-
len Haushaltsentwurf nichts Passendes mehr drin. Sie
untergraben mit den Zahlen also Ihre eigenen Vorhaben
mit den ohnehin schon niedrigen Zielen. Das ist wirklich
ein Trauerspiel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Marks [SPD] und Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


In dem Gleichstellungsbericht, den wir gestern mit
diskutiert haben, heißt es sehr eindeutig:

Die Kosten der gegenwärtigen Nicht-Gleichstel-
lung übersteigen die einer zukunftsweisenden
Gleichstellungspolitik bei weitem.

Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und handeln Sie
danach! Wir wollen nicht mehr länger darauf warten,
dass es endlich einmal vorangeht.

Die Opposition handelt wieder einmal. Heute steht
der Gesetzentwurf der SPD auf der Tagesordnung. Wir
Grünen haben vor reichlich einem Jahr einen Gesetzent-
wurf zu den Regelungen bei Aufsichtsräten und danach
noch einen Antrag zu den Regelungen bei Vorständen
eingebracht. Auch von der Linksfraktion liegen Vor-
schläge vor. Ich denke, selbst wenn sich unsere einzel-
nen Vorschläge etwas unterscheiden, ist die Richtung
doch die gleiche.


(Caren Marks [SPD]: Da kommen wir zusammen!)


Uns allen sollte klar sein: Freiwillige Vereinbarungen
haben nichts gebracht. Die gläserne Decke lässt sich so
einfach nicht durchbrechen. Ich rufe die Ministerin auf
– Herr Kues, richten Sie es ihr bitte aus, da sie heute
nicht da ist; vielleicht kommt ja im Laufe der nächsten
Monate doch noch etwas –: Wir müssen wirklich han-
deln; denn – dies wurde schon angesprochen – die meis-
ten der Aufsichtsratsposten werden im nächsten Jahr neu
besetzt. Deshalb ist es Zeit, in diesem Jahr etwas vorzu-
legen. Die Vorschläge der Opposition liegen vor. Suchen
Sie sich etwas aus. Wir diskutieren gern im Detail da-
rüber. Meine Bitte zum Schluss: Tun Sie endlich etwas!

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607000

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716607100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sind uns sicherlich darin einig, dass es in
Deutschland nach wie vor erhebliche Defizite bei der
Gleichstellung von Männern und Frauen gibt und dass
das namentlich auch in der Privatwirtschaft der Fall ist.
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen bewegt
sich weiterhin auf einem unbefriedigend niedrigen Ni-
veau. Deswegen sollte auch Einigkeit darin bestehen,
dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nur,
wenn wir dieses Thema als eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe betrachten, dann muss das auch in unseren De-
batten zum Ausdruck kommen. Dann muss es auch eine
Beteiligung von Männern an dieser Debatte geben.


(Caren Marks [SPD]: Na klar!)

Ich stelle fest, dass von der CDU, der CSU und der FDP
Männer an dieser Plenardebatte teilnehmen. Ich frage
Sie von der Opposition: Wo sind Ihre Männer?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie lassen die Frauen reden.





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Eva Högl [SPD]: Weil die Frauen für die Quote sind!)


Ihre Männer aber bleiben bei diesem Thema stumm


(Caren Marks [SPD]: Die stehen zu 100 Prozent hinter der Quote! – Dr. Eva Högl [SPD]: Bei uns sind die Männer für die Quote!)


und rücken damit die Gleichstellung von Frauen in eine
Nische, in die sie gerade nicht gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607200

Herr Silberhorn, der Kollege Beck hat das jetzt per-

sönlich genommen. Er würde gern eine Zwischenfrage
stellen.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716607300

Ich komme gleich zu den Grünen. – Ich erinnere mich

noch sehr gut an die Worte von Bundeskanzler Gerhard
Schröder über Frauen. Er sprach von „Gedöns“. Ich sage
Ihnen sehr deutlich: Sie haben noch nicht viel dazuge-
lernt. Sie als Frauen in der SPD müssen Ihre Männer bei
dieser Diskussion in Mitverantwortung nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden!)


Wie kann es sein, dass in der Tante SPD immer nur On-
kels das Sagen haben? Denn dort, wo es um Spitzen-
funktionen geht – Fraktionsvorsitzende und Parteivorsit-
zende –, finden Frauen in der SPD nicht statt.


(Caren Marks [SPD]: Sagt ein Klugscheißer!)


Frauen an der Spitze sind in der SPD Fehlanzeige.


(Elke Ferner [SPD]: Wie hoch ist denn der Frauenanteil in Ihrer Bundestagsfraktion aus Bayern? Wie viele Frauen haben Sie aus der CSU?)


Bei den Grünen schaut es nicht allzu viel besser aus,
wenn ich in die Zeitungen der letzten Tage schaue. Die
Financial Times Deutschland titelte am 7. März: „Be-
drohte Art: Die grüne Spitzenfrau“. Es ist die Rede da-
von, dass die Doppelspitze für 2013 infrage gestellt wird
und dass in den Ländern die Doppelspitze vielfach nicht
mehr vorhanden ist. Die ehemalige Kollegin Antje
Hermenau wird mit dem Satz zitiert:

Die Quote ist unverzichtbar für die Erstchance, da-
mit Frauen zeigen können, was sie drauf haben.

Aber weiter heißt es dann:

Für die ganz hohen Weihen ist sie nicht unbedingt
das beste Auswahlkriterium.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607400

Herr Silberhorn, jetzt hat sich Herr Beck noch einmal

gemeldet.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716607500

Ich würde gerne fortfahren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vertragen Sie keine männliche Antwort auf Ihre Rede? Feigling!)


Wir haben in der CDU und in der CSU – von Angela
Merkel bis Gerda Hasselfeldt – kein Problem mit Frauen
an der Spitze.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Aber Gerda Hasselfeldt hat ein Problem mit Ihnen, junger Mann!)


Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Die Politik muss
in dieser Debatte schon ihre Vorbildfunktion wahrneh-
men. Sie alle sollten sich an die eigene Nase fassen und
nicht mit dem Finger auf andere zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte deutlich machen – da können Sie mir si-
cherlich wieder zustimmen –, dass wir einen ganzheitli-
chen Ansatz verfolgen müssen. Gleichstellungspolitik
– das ist ein Ergebnis des Ersten Gleichstellungsberichts
der Bundesregierung, über den wir gestern im Plenum
diskutiert haben – soll sich an den grundgegebenen na-
türlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern
orientieren. Es kann nicht darum gehen, unterschiedliche
Verhaltensweisen und unterschiedliche Lebensverläufe
von Männern und Frauen zu negieren.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn?)


Im Gegenteil, Gleichstellungspolitik muss diese unter-
schiedlichen Lebensverläufe ermöglichen. Deshalb
brauchen wir flexible und differenzierte Konzepte für
verschiedene Lebensphasen.

Eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und
Frauen muss in allen Etappen des Lebensverlaufs ge-
währleistet sein.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich eine Zumutung hier!)


Dies liegt nicht nur im Interesse der Frauen. Auch Män-
ner stoßen oft auf Widerstand


(Lachen bei der SPD)


– Sie sollten das nicht lächerlich machen; das ist ein
Faktum –,


(Caren Marks [SPD]: Ihre Rede ist lächerlich!)


wenn sie selber Verantwortung für ihre Familie, für ihre
Kinder übernehmen wollen und Elterngeld beantragen
oder zugunsten der Familie Teilzeit arbeiten möchten.
Deswegen liegt es auch im Interesse der Frauen, dass
Männer zunehmend ihren Teil der Verantwortung für die
Familie wahrnehmen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das liegt auch im Interesse der Männer!)






Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


Natürlich reden wir unstreitig über eine vorhandene
Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben. Das stellt
nicht nur eine Beeinträchtigung ihrer individuellen
Chancengleichheit, sondern auch eine Verschwendung
gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ressourcen dar.
Im Hinblick auf die demografische Entwicklung und den
wachsenden Bedarf an Fachkräften können wir uns das
schlicht nicht länger leisten. Deswegen sage ich sehr
deutlich: Abwarten und nichts tun ist aufgrund der fest-
gestellten Missstände und der offenkundigen Defizite
keine Lösung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine
freiwillige Selbstverpflichtung in der Wirtschaft bisher
nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat. Ich bin
allerdings der Auffassung, dass die gesetzgeberische
Verantwortung zunächst darin besteht, die Wahrung glei-
cher Teilhabe sicherzustellen, und nicht darin, die glei-
che Teilhabe selbst zu realisieren. Der Gesetzgeber darf
an dieser Stelle nicht über das Ziel hinausschießen, son-
dern muss die Eigenverantwortung der Wirtschaft ein-
fordern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich darf feststellen, dass hier in den letzten Mona-
ten und Jahren ein Umdenken eingesetzt hat. 24 der
DAX-30-Unternehmen haben sich im Frühjahr 2011
konkrete Ziele zur Erhöhung des Frauenanteils in ihren
Aufsichtsräten gesetzt.


(Elke Ferner [SPD]: Da sind wir aber dankbar, Herr Kollege!)


Im Herbst vergangenen Jahres haben die DAX-30-Un-
ternehmen außerdem verbindliche Zielvorgaben vorge-
stellt, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen
zu erhöhen. Im Jahr 2011 sind 40 Prozent der frei gewor-
denen Aufsichtsratssitze in den DAX-30-Unternehmen
mit Frauen besetzt worden. In den Vorständen sind wir
noch nicht so weit, aber auch hier ist ein positiver Trend
zu verzeichnen.

Ein Blick auf die Selbstverpflichtungen der Wirt-
schaft zeigt aber auch, dass individuelle Lösungen je
nach Größe und Branche der Unternehmen erforderlich
sind. Es ist so, dass in vielen Branchen der Anteil von
Frauen an der Gesamtbelegschaft schon relativ niedrig
ist. Das schlägt natürlich auf die Führungsetagen durch.
Führungspositionen werden oft nach einer langjährigen
Bewährung im Unternehmen vergeben.


(Elke Ferner [SPD]: Deswegen sind auch so viele Männer an der Spitze in den Betrieben, wo überwiegend Frauen arbeiten!)


Der Personalpool ist begrenzt. In Personalabteilungen
und bei Personalagenturen haben Frauen durchaus gute
Chancen auf Führungspositionen.

Die Forderung der Opposition nach starren Quoten
geht aber an der Realität vorbei.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Ihre Politik geht an der Realität vorbei! – Elke Ferner [SPD]: Ihre Rede geht gerade an der Realität vorbei, Herr Kollege!)


Sie wird den spezifischen Gegebenheiten in vielen Un-
ternehmen nicht gerecht. Besonders praxisfern finde ich
die Vorstellung, bei einer mangelnden Berufung von
Frauen Stellen vorübergehend unbesetzt zu lassen. Das
ist ein massiver Eingriff in die Berufsfreiheit und in die
Eigentumsfreiheit der Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine Quotenregelung, die die Leistungsfähigkeit eines
Unternehmens gezielt schwächt, kann niemanden über-
zeugen.

Ich bin durchaus der Auffassung, dass eine gesetzli-
che Regulierung mithilfe von Quoten als Impuls dienen
kann, die Gleichstellung von Frauen voranzutreiben. Wir
sind uns sicherlich einig, dass eine stärkere Teilhabe von
Frauen an der Unternehmensführung wirtschaftlich sinn-
voll ist, dass sie positive Auswirkungen auf die Leis-
tungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Erfolg eines Un-
ternehmens hat. Die Bundesfamilienministerin hat ein
Stufenmodell vorgelegt, das individuelle spezifische Lö-
sungen ermöglicht,


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat sie das denn vorgelegt?)


je nach Branche und Größe des Unternehmens. Dieses
Modell setzt auf Transparenz und auf Wettbewerb, auch
unter Beteiligung der Belegschaften und der Öffentlich-
keit. Das ist meiner Meinung nach der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Ich sage Ihnen aber auch: Wir müssen die Arbeitswelt
deutlich familienfreundlicher gestalten, als das heute der
Fall ist. Dass von Beginn an Frauen deutlich schlechter
bezahlt werden als Männer, nämlich im Schnitt um
22 Prozent, ist schlicht inakzeptabel.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie dagegen?)


Im öffentlichen Dienst gibt es das seit Jahrzehnten nicht
mehr. Es ist nicht hinnehmbar, dass die freie Wirtschaft
nicht das zuwege bringt, was im öffentlichen Dienst seit
Jahrzehnten der Fall ist.

Dass Teilzeit in Führungspositionen nur selten mög-
lich ist, ist auch ein Phänomen der Privatwirtschaft, das
wir im öffentlichen Dienst so nicht kennen. Selbst die
Kinderbetreuung wird im öffentlichen Dienst vielfach
besser sichergestellt als in Unternehmen. Das ist auch
eine unternehmerische Aufgabe, weil man nur dann im
Beruf leistungsfähig ist, wenn man den Kopf frei hat,
weil die Kinderbetreuung sichergestellt ist.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607600

Herr Kollege!


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716607700

Der öffentliche Dienst hat hier eine Vorbildfunktion,

und die Wirtschaft hat erheblichen Nachholbedarf.





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


Ich darf mit der Bemerkung schließen: Frauenförde-
rung ist eine Führungsaufgabe,


(Elke Ferner [SPD]: Da haben Sie aber komplett versagt!)


gerade auch für die Männer, die an der Spitze stehen – in
Unternehmen, in Verbänden, im öffentlichen Dienst,
aber auch in unserer und in Ihrer Partei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Wenn das nicht so ernst wäre, wäre es ganz schön lustig!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607800

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716607900

Herr Kollege Silberhorn, Sie haben die Vorbildfunk-

tion der Politik angesprochen. Wenn ich in die Reihen
der Koalition schaue, dann wundert es mich nicht, dass
es in der Debatte einen hohen Anteil männlicher Redner
gibt; denn auch im Hinblick auf die Präsenz ist der Frau-
enanteil bei Ihnen gering. Bei der FDP-Fraktion ist eine
einzige Frau vertreten, demgegenüber acht Männer. Das
kommt nicht von ungefähr. Es liegt nicht daran, dass die
Frauen in der FDP-Fraktion zu faul wären, ins Plenum
zu kommen, sondern schlicht daran, dass es so wenige
gibt.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das wiederum liegt daran, dass die FDP bislang auf die
„Zwangsquote“, wie Sie das nennen, verzichtet. Das
führt eben zu solchen Resultaten.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist das Beck’sche Paradoxon!)


Dass es eine Auslese nach Eignung und Befähigung gibt,
kann man an dem politischen Ergebnis der FDP eindeu-
tig widerlegen. Das sehen die Wählerinnen und Wähler
übrigens auch so.


(Marco Buschmann [FDP]: Uns haben 800 000 Frauen mehr gewählt als Sie!)


Herr Silberhorn, wenn Sie hier sagen, eine starre
Quote widerspreche der Berufsfreiheit und anderen
Grundrechtspositionen – offensichtlich der Grundrechts-
positionen von Angehörigen meines Geschlechts –, dann
wundert es mich, dass Sie bei grundsätzlichen demokra-
tischen Fragen wie der Freiheit des Mandats und der de-
mokratischen Partizipation in Ihrer Partei mittlerweile
anderer Auffassung sind. Selbst die CSU – man mag es
kaum fassen – hat mittlerweile eine Mindestquotierung
von 40 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Warum ist das, was in der CSU richtig ist, in der Wirt-
schaft falsch? Das vermag mir nicht einzuleuchten.


(Patrick Döring [FDP]: Weil es das Eigentumsrecht gibt!)


Wir haben doch in unseren eigenen Parteiorganisationen
gesehen: Wo es keine Quote gibt, führen die Männer-
netzwerke dazu, dass nach Netzwerkzugehörigkeit ent-
schieden wird und nicht nach Eignung und Befähigung.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist vielleicht bei den Grünen so!)


Das wäre in unserer Fraktion, in unserer Partei auch so.
Wenn wir die Quote nicht hätten, dann gäbe es einen
Backlash.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: So ist das bei Ihnen mit der Kanzlerkandidatur!)


In unserer Fraktion werden Sie aufgrund der Mindest-
quotierung häufig erleben, dass in fachpolitischen De-
batten nur weibliche Rednerinnen auf der Liste stehen,
und zwar nicht, weil wir das in der Fraktion nach Ge-
schlecht entscheiden, sondern weil sich das aufgrund der
angemessenen Repräsentation beider Geschlechter fach-
politisch so ergibt.


(Patrick Döring [FDP]: Kurzintervention heißt das!)


Das fällt uns für gewöhnlich gar nicht so auf. Ich finde
gut, wenn sich das herumspricht; denn das ist für die
Politik sehr wichtig.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608000

Herr Kollege Beck!


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608100

Wir haben hier eine Vorbildfunktion: Junge Frauen

und junge Männer sehen, dass sich im Politikbetrieb
beide Geschlechter an Führungsaufgaben beteiligen. Das
ist bei uns eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608200

Herr Silberhorn zur Beantwortung, bitte.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716608300

Herr Kollege Beck, ich danke Ihnen sehr für Ihre

Kurzintervention, wenngleich ich es wirklich bedaure,
dass Sie als Mann in Ihrer Fraktion zu diesem Instrument
greifen müssen, weil man Ihnen bei diesem Thema keine
Redezeit zugebilligt hat.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Wie billig! Das tut weh! Ich möchte Schmerztabletten!)


Herr Kollege Beck, wir können gerne zählen, wer wie
viele Frauen in Parteien und Fraktionen hat. Das war
aber gar nicht mein Anliegen. Mein Anliegen war, dass
wir Frauenförderung, die Gleichstellung von Männern
und Frauen, zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema
machen;





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)



(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das machen wir doch schon längst!)


das muss auch in der Debatte im Deutschen Bundestag
zum Ausdruck kommen. Deswegen ist es nicht zurei-
chend, wenn nur Frauen über Frauenförderung diskutie-
ren. Sie müssen darüber gemeinsam mit den Männern
diskutieren, wenn sie zu Erfolgen kommen wollen. Das
hat die Koalition demonstriert. Sie sollten es nachma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was die Quoten in der CSU betrifft, leite ich Ihnen
gerne die entsprechenden Texte zu; denn das sind gerade
keine starren, sondern differenzierte Quoten. Wir haben
eine verpflichtende Quote auf Landes- und Bezirks-
ebene,


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine „Zwangsquote“?)


und wir haben in den Orts- und Kreisverbänden mit
Blick auf die dortige Situation eine nicht verpflichtende
Quote, verbunden mit der Zielvorstellung, einen Frauen-
anteil in gleicher Größenordnung zu erreichen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber unsere Quote ist schon Zwang?)


Es gibt durchaus die Möglichkeit, in zwei Jahren zu
überprüfen, ob wir mehr tun müssen als bisher. Aber wir
wollen eben nicht eine Quote, bei deren Realisierung
man vor Ort auf Schwierigkeiten stoßen würde; wir müs-
sen schon entsprechende Ergebnisse erzielen können.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zerreden Sie aber Ihren Parteitagsbeschluss! Lesen Sie mal nach!)


Herr Kollege Beck, bei der Besetzung von Vorständen
einer Partei geht es nicht um Eigentumspositionen, die
infrage gestellt werden. Wir sehen auch nicht vor, Vor-
standspositionen nicht zu besetzen; die Vorstände wer-
den vollständig gewählt, unter Beteiligung der Frauen.
Ich verrate Ihnen etwas: Trotz der Quote, die wir in der
CSU haben, gibt es viele Vorstände, die diese Quote weit
übererfüllen, weil wir eben nicht allein zählen, sondern
uns daran gelegen ist, dass Frauen an der politischen
Willensbildung beteiligt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber nicht wirklich überzeugend!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608400

Die Kollegin Elke Ferner hat jetzt das Wort für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1716608500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Silberhorn, ich möchte Ihnen gerne zweierlei mit-
geben. Das Erste ist: Ihre Rede war an Peinlichkeit wirk-
lich nicht zu überbieten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe gedacht, die gestrigen Reden der Ministerin
und auch des Generalsekretärs der FDP – er ist schon
wieder weg – seien nicht zu toppen; aber Sie haben das
heute mühelos geschafft.


(Caren Marks [SPD]: Da war die Latte aber nicht hoch!)


Das Zweite ist: Ihre Quote in der CSU scheint nur
mäßig zu wirken. Der hohe Frauenanteil in der CSU-
Landesgruppe führt dazu, dass der Frauenanteil in der
Unionsfraktion nicht einmal 20 Prozent übersteigt. Inso-
fern sollte, was die parteiinternen Geschichten anbe-
langt, jeder vor seiner Haustür kehren. Wir haben das in
unserer Partei teilweise mit sehr großem Erfolg gemacht:
In unserer Parteispitze sind jetzt, nach dem letzten Bun-
desparteitag, mehr Frauen als Männer.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: In das Dreigestirn ist ja noch keine Frau vorgelassen worden!)


Ich garantiere Ihnen: Auch Sie werden noch eine sozial-
demokratische Kanzlerkandidatin und auch eine sozial-
demokratische Kanzlerin erleben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Ich möchte auf gestern zurückkommen, als der Erste
Gleichstellungsbericht diskutiert wurde. Ich muss sagen:
Es liegen ganz konkrete Handlungsoptionen vor; aber
Sie tun nichts. Auch der Antrag, der gestern von den Ko-
alitionsfraktionen eingebracht worden ist, ist an Unsäg-
lichkeit und Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten.

Wir brauchen in diesem Jahr eine Regelung, weil im
nächsten Jahr zahlreiche Aufsichtsratsmandate neu be-
setzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Ich kann zwar nachvollziehen, dass Sie hier auf Zeit
spielen, weil Sie nicht bereit sind, etwas zu tun; aber es
ist nicht angemessen und vor allen Dingen nicht das, was
die Mehrheit in der Bevölkerung will.

Jetzt sieht man, dass die sogenannte Frauenministerin
strammsteht, nur weil die Boygroup der Fast-3-Prozent-
Partei FDP sagt: Wir wollen überhaupt keine Quoten. –
Das wundert mich nicht. In der gestrigen Ausgabe der
Zeit gab es einen Artikel mit der Überschrift „Wenn
schon Frauen, dann schöne“. Daraus möchte ich gerne
zitieren:

Neben den Altherren der FDP zeigen sich auch die
jungen liberalen Männer weitgehend unempfäng-
lich für frauenpolitische Fragen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das haben wir heute gehört!)


Spötterinnen unter den FDP-Damen führen das da-
rauf zurück, dass die eitle Jungsriege um Rösler,





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)


Christian Lindner und Daniel Bahr so viel von Au-
gencremes und Maniküre verstehen, dass sie das
Weibliche in der Politik abzudecken glaubten.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So weit zur FDP.

Mein Eindruck ist: Das ist in den Führungsetagen der
deutschen Wirtschaft nicht anders. Denn dort hieven sich
die Männerseilschaften gegenseitig in die Vorstände und
in die Aufsichtsräte. Wenn es nach der Qualifikation
ginge, dann müssten schon jetzt deutlich mehr Frauen in
den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft ange-
kommen sein.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Hat die SPD nicht mehr Niveau zu bieten?)


Aber wir wissen, dass das nicht der Fall ist. In den
DAX-30-Unternehmen gibt es einen Anteil der Frauen
von 3,7 Prozent. Das sind sieben; dieses Jahr kommen
noch zwei hinzu. In 24 von 30 Vorständen ist keine ein-
zige Frau zu finden. In den Vorständen der Top-100-Un-
ternehmen – ohne die Finanzdienstleister – gab es 2011
sage und schreibe elf Frauen; in den nächsten 100 Unter-
nehmen waren es ein paar mehr. Insgesamt sind
28 Frauen in den Top-200-Unternehmen. Von 942 Vor-
standsposten sind es sagenhafte 3 Prozent. Man kann es
auch andersherum sagen: 97 Prozent der Vorstandspos-
ten sind mit Männern besetzt. Wenn das keine Quote ist,
liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist es dann?


(Beifall bei der SPD)


Es gibt unter den Top-100-Unternehmen keine einzige
Vorstandsvorsitzende, und unter den nächsten 100 ist es
gerade einmal eine einzige.

In den Aufsichtsräten sieht es nicht besser aus. Auch
da gibt es frauenfreie Zonen. Schließlich findet man in
mehr als einem Viertel der Top-200-Unternehmen keine
einzige Frau im Aufsichtsrat. Insofern kann man nur
noch sagen: Hier liefert sich der Fortschritt mit einer
Schnecke ein Wettrennen. Wenn man dann sieht, dass
der Löwenanteil der Aufsichtsrätinnen über die Mitbe-
stimmung und nicht über die Hauptversammlung in die
Aufsichtsräte kommt – es sind über 70 Prozent –, dann
liegt der Handlungsbedarf doch auf der Hand. Wer das
negiert, ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.


(Beifall bei der SPD)


Was die FDP angeht – Sie wollen ja keine Quotenre-
gelung, weil es Ihnen auf die Qualität ankommt –, so tun
mir die Frauen in der FDP echt leid.


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


Denn von hoher Qualität kann man beispielsweise bei
den Verursachern der Finanzkrise nun wirklich nicht re-
den; das waren ja ausschließlich Männer. Ich finde, es
wird auch den Frauen in der FDP nicht gerecht, dass die
Männer jetzt so tun – das gilt auch für einige Frauen –,
als ob bei der FDP nicht mehr als 25,8 Prozent der

Frauen – 24 Frauen sind in der FDP-Fraktion; das ent-
spricht 25,8 Prozent – für ein Bundestagsmandat infrage
kämen. Wenn ich mir die 74,2 Prozent Männer in Ihrer
Fraktion anschaue, kann ich nur festhalten, dass das Kri-
terium Qualifizierung nicht unbedingt ausschlaggebend
gewesen sein kann.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das ist genauso diskriminierend! – Gegenruf der Abg. Caren Marks [SPD]: Da fühlt sich ein Herr Fricke getroffen!)


Und was macht die Union? Sie stellt zwar die erste
Kanzlerin – das ist wohl wahr –, aber sie tut nichts für
Frauen. Auch die sogenannte Frauenministerin tut nichts
für Frauen. Man hat ja gestern gesehen, wie sie sich ge-
quält hat, etwas Positives zum Thema Frauen zu sagen.
Ich meine, sie sollte das Wort „Frauen“ aus ihrem Minis-
teriumsnamen streichen. Das würde der Sache gerechter
als das, was sich im Moment abspielt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der FDP: Sehr sachlich!)


Zu unserem Gesetzentwurf. Wenn ich mir anschaue,
welche Instrumente wir jetzt anbieten, dann kann ich Ih-
nen sagen, dass das überhaupt nichts mit Zwang zu tun
hat. Wenn die beiden Bänke, sowohl Anteilseignerseite
als auch Arbeitnehmerseite, die entsprechenden gesetzli-
chen Vorgaben erfüllen, dann sind alle Stühle besetzt
und es tritt nicht mehr ein, als dass mehr Frauen in die
Gremien kommen. Was wäre daran so schlimm? Sie ver-
mitteln den Eindruck, als breche eine Katastrophe aus,
nur weil plötzlich mehr weiblicher Sachverstand in die
Führungsetagen der deutschen Wirtschaft einzieht.
Wenn man sich Norwegen und andere Länder anschaut,
dann stellt man fest, dass die Unternehmen, in denen die
Vielfalt in den Führungspositionen angekommen ist,
auch wirtschaftlich erfolgreicher sind.


(Beifall bei der SPD)


Ich räume ein: Das ist zwar ein Eingriff in Eigentums-
rechte; das ist richtig. Aber es ist keine Enteignung. Vor
allen Dingen dient dieser Eingriff der Durchsetzung des
Gleichheitsgebotes in Art. 3 Grundgesetz, und dieses
Gebot steht nicht umsonst so weit vorne im Grundge-
setz. Insofern kann ich nur sagen: Die Zeit ist reif für
eine gesetzliche Regelung. Wer etwas verändern will,
der muss sich jetzt für eine gesetzliche Vorschrift mit
klaren Zielvorgaben und wirksamen Regelungen ent-
scheiden, und wer den Stillstand konservieren will, der
muss alles daransetzen, dass eine solche gesetzliche Re-
gelung verhindert wird.

Ich hoffe sehr auf die Frauen, aber auch auf die weni-
gen Männer in den Koalitionsfraktionen, die im 21. Jahr-
hundert angekommen sind. Wir als Abgeordnete des
Bundestages haben es in der Hand, ob die vielen qualifi-
zierten Frauen im nächsten Jahr in die Aufsichtsräte
kommen oder nicht.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Ganz genau!)


Lassen Sie uns dieses Thema in den Ausschüssen ver-
nünftig diskutieren. Ich hoffe, dass wir in zweiter und
dritter Lesung mit Mehrheit für dieses Gesetz stimmen





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)


werden, damit der Fortschritt endlich auch in Deutsch-
land einziehen kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608600

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Nicole Bracht-Bendt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1716608700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg
möchte ich feststellen: Ich bin gerne als Frau in der FDP,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie müssen sich nicht entschuldigen! Ist schon okay!)


und ich bin im 21. Jahrhundert angekommen. Ich danke
meinen männlichen Kollegen, dass sie hier sind. Ich
fühle mich wirklich wohl, und das ohne Quote.

Der Anteil von Frauen in Führungspositionen, insbe-
sondere in Vorständen und Aufsichtsräten der großen
deutschen Unternehmen, ist immer noch deutlich zu
niedrig; da sind wir einer Meinung. Auch ich bin der
Meinung, dass sich das ändern muss, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wie?)


Tun Sie aber bitte nicht so, als wäre in den letzten Mona-
ten nichts passiert.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Seit der Aufnahme der Empfehlungen zur Erhöhung
des Frauenanteils im Deutschen Corporate Governance
Kodex im Jahr 2010 – ich sage 2010, weil Sie immer sa-
gen: vor zehn Jahren – zeigen sich erste deutliche Er-
folge.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Nein! – Caren Marks [SPD]: Das war die Vereinbarung! Aber dazu müsste man mehr wissen!)


Die DAX-30-Unternehmen haben sich außerdem kon-
krete Ziele auch unterhalb der Ebene des Vorstands und
des Aufsichtsrats gesetzt. Das ist positiv; denn eine hö-
here Anzahl von Frauen in den mittleren und oberen
Führungsetagen ist eine entscheidende Voraussetzung
dafür, mehr Frauen in der höchsten Ebene zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund lehnt die FDP-Fraktion gesetzli-
che Quoten derzeit ab.


(Beifall bei der FDP – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Überraschung!)


Eine gesetzliche Frauenquote für den Aufsichtsrat und
erst recht für den Vorstand wäre ein massiver Eingriff in
die unternehmerische Freiheit; darauf wurde heute schon

mehrfach hingewiesen. Eine Quote würde nur an den
Symptomen und nicht an den Ursachen ansetzen. Wir
können auch nicht alle Unternehmen über einen Kamm
scheren.

Unsere Aufgabe wird es sein, aufmerksam zu be-
obachten, ob die freiwilligen Lösungen weiterhin Erfolg
haben.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Elf Jahre!)


Die FDP-Fraktion setzt auf Transparenz und auf Offen-
legung aller Angaben zum Anteil von Frauen in den Ge-
sellschaftsorganen


(Dr. Eva Högl [SPD]: Beobachten!)


– hören Sie zu! – und in den ersten zwei Führungsebe-
nen unter der Geschäftsführung in allen börsennotierten
Unternehmen. Eine solche neue Berichtspflicht würde
sich gut in den Stufenplan einfügen, den wir im Koali-
tionsvertrag beschlossen haben.


(Caren Marks [SPD]: Berichte haben wir genug! Wir müssen endlich einmal handeln!)


Bereits jetzt gibt es mit dem Women-on-Board-Index
von FidAR, Frauen in die Aufsichtsräte e. V., einen gut
funktionierenden Monitoringansatz. Der könnte damit
auf eine noch größere Basis gestellt werden. Interessant
an dem FidAR-Bericht, der im letzten Monat veröffent-
licht wurde, ist übrigens, dass von den Aufsichtsratspos-
ten, die im vergangenen Jahr neu besetzt wurden,
40 Prozent auf Frauen entfielen; auch das wurde schon
erwähnt. Aber auch ein von der Wirtschaft oder ihren
Verbänden selbst durchgeführtes Monitoring auf der
Grundlage der neuen Berichtspflicht würde deutlich ma-
chen, dass ein höherer Frauenanteil im oberen Manage-
ment ein eigenes, unmittelbares Anliegen der Wirtschaft
ist.

Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, fragen
Sie doch einmal Personalberater.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Was meinen Sie denn, was wir tun?)


Von wegen, die Unternehmen seien nur sensibilisiert
– hören Sie bitte zu –; Personalberater werden heute re-
gelrecht angefleht, Kandidatinnen zu nennen. Der Bun-
desverband der Deutschen Industrie gab schon letztes
Jahr unumwunden zu, dass eine stärkere Beteiligung von
Frauen in der Unternehmensführung aus demografischen
und wirtschaftlichen Gründen im ureigenen Interesse der
Unternehmen liege.


(Dr. Eva Högl [SPD]: 3,4 Prozent!)


Die FDP-Fraktion bleibt dabei: Eine starre Quote für
Wirtschaftsunternehmen in Verbindung mit einer Ände-
rung im Aktiengesetz wird es mit uns nicht geben.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU] – Caren Marks [SPD]: Aber mit Frau Laurischk!)


– Ja gut, eine. – Ohnehin wird eine starre Quote unter-
nehmerischen Realitäten nicht gerecht. Neben transpa-
renten Selbstverpflichtungen sind die gesellschaftli-





Nicole Bracht-Bendt


(A) (C)



(D)(B)


chen, politischen und betrieblichen Rahmenbedingungen
so zu ändern, dass Führungsaufgaben auch tatsächlich
von Frauen und Männern in gleicher Weise wahrgenom-
men werden können. Wir brauchen also größere An-
strengungen für einen stärkeren Wandel der Unterneh-
menskulturen. Flexiblere Arbeitszeiten, der Kontakt
zwischen Unternehmen und Mitarbeiterinnen auch wäh-
rend der Elternzeit, lockere Präsenzpflichten sind das
eine, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist das
andere.

Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion – ich
muss Sie leider immer wieder ansprechen –, Sie kom-
men in Ihrem Gesetzentwurf zu dem Schluss, dass Frei-
willigkeit nicht zu gerechter Teilhabe in Aufsichtsräten
und Vorständen führt.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Elf Jahre! Wie lange sollen wir denn Ihrer Meinung nach noch warten? – Caren Marks [SPD]: Selbst Herr Henkel hat es kapiert!)


Das sehen wir anders. Ich bin sicher, dass die Wirtschaft
auf das wertvolle Potenzial hervorragend ausgebildeter
Frauen in Zukunft nicht verzichten kann und auch gar
nicht will.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716608800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr. Matthias Heider.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1716608900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Schluss die-
ser Debatte ist es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen:
Nicht jeder wünschenswerte Zustand erstarkt in einer ge-
setzlichen Pflicht, und nicht jede Quote garantiert ein
gutes Ergebnis.

Das Feuerwerk, das Sie hier heute abbrennen, sehr
geehrte Kolleginnen von der SPD, leuchtet weit. Sie
weisen auf einen Zustand hin, der in der Tat verbesse-
rungsfähig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Einmal abgebrannt, zeigen sich nach dem schönen
Schein aber auch Effekte, die gesellschaftspolitisch und
wirtschaftspolitisch unbefriedigend wären. Ob auf dem
von Ihnen eingeschlagenen Weg wirklich Chancen-
gleichheit für Männer und Frauen hergestellt werden
kann, ist zweifelhaft. Allein dass Ihnen eine Mindest-
quote von 40 Prozent reicht,


(Elke Ferner [SPD]: Mindestens!)


zeigt, dass es eigentlich gar nicht um Gleichberechti-
gung geht. Warum fordern Sie nicht 50 Prozent? Warum
schreiben Sie das nicht in Ihren Gesetzentwurf hinein?


(Caren Marks [SPD]: Wir können auch 70 Prozent fordern! – Iris Gleicke [SPD]: 97 Prozent!)


Abgesehen davon zielt die Regelung, die Sie für börsen-
notierte und mitbestimmte Unternehmen fordern, an den
realen Anforderungen der Wirtschaftsunternehmen vor-
bei. Es geht um eine erfolgreiche und verantwortliche
Besetzung der Leitungs- und Aufsichtsgremien dieser
Unternehmen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: 97 Prozent Männer!)


Sie wollen eine politische Frauenquote in den Füh-
rungsgremien. Das schmälert in jedem Fall den notwen-
digen unternehmerischen Spielraum. Es geht darum, auf-
gabenbezogen den personellen Anforderungen in den
Leitungsgremien gerecht zu werden.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das können nur Männer!)


Das stellt – das muss ich Ihnen leider sagen – einen weit-
reichenden Eingriff in die Eigentumsrechte der Anteils-
eigner dar.


(Caren Marks [SPD]: Art. 3 Grundgesetz!)


Das ist ordnungspolitisch falsch, das ist verfassungs-
rechtlich bedenklich,


(Caren Marks [SPD]: Art. 3 ist bedenklich?)


und das ist in jedem Fall nicht im Sinne der Unterneh-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: 3,71 Euro für Friseurinnen ist ein Eingriff ins Eigentum, aber wie!)


Grund dafür, dass es in Deutschland noch zu wenig
Frauen in Führungspositionen gibt – das möchte ich
ganz deutlich machen –, ist nicht die Tatsache einer feh-
lenden gesetzlichen Regelung. Gründe für die Probleme
sind eine fehlende Sensitivität der Anteilseigner und Ak-
tionäre, eine nicht ausreichend vorausschauende Perso-
nalpolitik in den Unternehmen, fehlende flexible
Arbeitszeitmodelle und zu wenig Kinderbetreuungsmög-
lichkeiten. Ich will nicht sagen, dass Letzteres bei den
Führungskräften das Hauptproblem ist. Ganz entschei-
dend für die Debatte ist aber, dass wir dort ansetzen, wo
die eigentlichen Probleme liegen, nämlich bei der Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf. Diese Herausforde-
rung betrifft alle Frauen


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Männer!)


in deutschen Unternehmen und nicht nur die Kandidatin-
nen, die für Aufsichtsräte oder Vorstände in Betracht
kommen. Die Bundesregierung hat gehandelt. Ich nenne
die Einführung des Elterngeldes. Ich nenne die Initiative
„Familienbewusste Arbeitszeiten“.


(Elke Ferner [SPD]: Das waren wir!)


Ich nenne die Förderung des Ausbaus der Betreuung von
Kindern unter drei Jahren.





Dr. Matthias Heider


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann mir nicht vorstellen, dass es geschäftspoli-
tisch sinnvoll ist, die Besetzung einer Position in Vor-
stand oder Aufsichtsrat nur aufgrund einer gesetzlichen
Zwangsquote vorzunehmen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Wir haben eine Quote: 97 Prozent Männer! Das ist eine Quote!)


Das Selbstverständnis der Managerinnen in den Füh-
rungsgremien der deutschen Wirtschaft, die ich kenne,
ist ein anderes. Hier zählen


(Caren Marks [SPD]: Kungelei!)


Kompetenz, Qualifikation und Leistung. Das sind im
Übrigen exakt die gleichen Prinzipien, die für Führungs-
aufgaben in Unternehmen grundsätzlich gelten.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Sagen Sie, dass Frauen das nicht können?)


Ich glaube, an dieser Stelle ist es angebracht, die vielen
selbstständigen und erfolgreichen Apothekerinnen,


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist ja wirklich untermaßig!)


Wirtschaftsprüferinnen, Architektinnen, Rechtsanwältin-
nen, Steuerberaterinnen, Ingenieurinnen und Frauen in
anderen freien Berufen zu nennen, die als eingetragene
Kaufleute, als Partnerinnen in Sozietäten oder Teilhabe-
rinnen von Gesellschaften in hohem Maße zum Erfolg
ihres Unternehmens beitragen.


(Caren Marks [SPD]: Aber nicht im Vorstand! Das ist des Guten zu viel!)


Das Gleiche gilt übrigens für den industriellen deutschen
Mittelstand. Die Lage dort – das wissen Sie – ist eine an-
dere.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Die ist nicht Gegenstand unseres Gesetzentwurfs! – Gegenruf des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Natürlich ist sie das!)


Aber um diese Dimension geht es Ihnen gar nicht in Ih-
rem Entwurf. Dieser zielt auf alle börsennotierten und
mitbestimmten Unternehmen,


(Caren Marks [SPD]: Zumindest das hat er richtig gelesen!)


bei denen die DAX-30-Werte sozusagen die Leucht-
türme bilden. Wahr ist aber, meine Damen und Herren
von der SPD, dass Sie mit Ihrem Vorschlag auch über
700 paritätisch mitbestimmte Gesellschaften und über
1 000 drittelparitätisch mitbestimmte Gesellschaften
treffen. Damit zwingen Sie sie in ein gesellschaftspoliti-
sches Konzept, das nicht den wirtschaftlichen Erfolg
dieser Unternehmen und ihrer Belegschaft zum Ziel hat,


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das können nur Männer gewährleisten? Das ist ja unglaublich!)


sondern Ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Jetzt weiß ich, warum die meisten Ihrer Frauen nicht da sind! Fremd schämen ist angesagt! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das sollte unter Ihrem Niveau sein!)


Die Zeit, auf technische Einzelheiten Ihres Entwurfs
einzugehen, bleibt hier leider nicht. Nur so viel: Was
passiert eigentlich mit Einzelvorständen und Einzelge-
schäftsführern? Wenn Sie konsequent wären, dürften Sie
diese nicht allein handeln lassen. Wollen Sie wirklich ei-
nem Aufsichtsrat die Beschlussfähigkeit aberkennen,
wenn er infolge von Änderungen seiner Zusammenset-
zung nach zwölf Monaten die 40-Prozent-Quote ver-
fehlt? Schon diese Beispiele zeigen, dass der Gesetzent-
wurf mit dem Anspruch an eine auf Kontinuität


(Dr. Eva Högl [SPD]: Männer garantieren Kontinuität? Unglaublich!)


und Risikovermeidung orientierte Unternehmensführung
in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten nicht viel zu tun
hat.


(Caren Marks [SPD]: Es spricht der Heider aus Lüdenscheid!)


Wenn alles so einfach wäre, dann müssten wir zusam-
men den politischen Willen aufbringen, in den Unterneh-
men des Bundes, der Länder und der Kommunen eine
andere Besetzung der Aufsichtsräte und Vorstände hin-
zubekommen. Bei den öffentlichen Unternehmen des
Bundes liegt der Anteil von Frauen in Vorständen mit
5,5 Prozent im Jahr 2011 sogar noch unter dem Anteil,
den es 2010 gab.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Dann können Sie etwas tun! Sie regieren doch!)


In den Aufsichts- und Verwaltungsräten lag die Quote
bei 15,1 Prozent. Wenn Sie alle überlegen, wie die Ge-
schäftsführungen und Aufsichtsräte bei kommunalen
Gesellschaften in Ihren Wahlkreisen besetzt sind,


(Dr. Eva Högl [SPD]: Dann schauen Sie einmal nach Berlin!)


dann wird Ihnen ohne Weiteres klar, wie sehr Personal-
entscheidungen vom Gestaltungswillen im Einzelfall ab-
hängen. Wenn wir nicht einmal bei öffentlichen Unter-
nehmen – nehmen wir ruhig den Bund als Beispiel –


(Dr. Eva Högl [SPD]: Schauen wir einmal nach Berlin!)


in der Lage sind, Frauen in der Unternehmensleitung an-
gemessen zu beteiligen,


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie versagt! In der Tat!)


dann wird man von der Wirtschaft wohl nicht die Erfül-
lung einer gesetzlichen Zwangsquote verlangen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr Mut zu sich selbst!)


Ich sage noch einmal ausdrücklich: Es ist völlig unbe-
stritten, dass Unternehmen ein großes Interesse daran
haben müssen, den Frauenanteil in ihren Topgremien zu
steigern; ich stimme Ihnen da völlig zu. Eine Analyse
des Mixed Leadership von Ernst & Young zeigt, dass ge-





Dr. Matthias Heider


(A) (C)



(D)(B)


mischte Führungsteams durchaus einen guten Einfluss
auf die Unternehmensperformance haben.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie einmal Herrn Buschmann! Der weiß das immer noch nicht!)


Ich bin als letzter Redner in dieser Debatte zuver-
sichtlich, dass wir bei den kommenden Aufsichtsrats-
wahlen im Frühjahr 2013 positive Entwicklungen hin zu
einer höheren Frauenrepräsentanz in Führungspositionen
sehen werden. Bei all der Diskussion über die Einfüh-
rung einer Frauenquote dürfen wir nicht außer Acht
lassen: Es geht weniger um Quotenfrauen, es geht bei
Männern und Frauen immer um Kompetenz, um Qualifi-
kation und um Leistung. Deshalb sollten wir der freiwil-
ligen Selbstverpflichtung zunächst weiter Gelegenheit
geben, sich in der Praxis zu bewähren.


(Caren Marks [SPD]: Jau!)


Nicht die Brechstange ist gefragt, sondern kluge Unter-
nehmensführung.


(Caren Marks [SPD]: Ich möchte meiner Tochter eine bessere Welt hinterlassen!)


Sie dürfen sicher sein, dass wir von der CDU die Wirt-
schaft dabei unterstützen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716609000

Ich schließe damit die Aussprache.

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/8878 soll an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über-
wiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 28 auf:

Vereinbarte Debatte

Arbeitsprogramm der Europäischen Kommis-
sion für das Jahr 2012

Eine Dreiviertelstunde soll debattiert werden. – Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Das Wort für die Bundesregierung erhält der Staats-
minister Michael Link.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1716609100

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es hat

gute Tradition, dass Bundestag und Bundesregierung ge-
meinsam über das Arbeitsprogramm der Kommission
diskutieren. Aber lassen Sie mich aus aktuellem Anlass
eines vorab sagen: Ich glaube, die Tatsache, dass die
griechische Umschuldung in den letzten Tagen zu einem
sehr befriedigenden Anteil gelungen ist, ist etwas, was
uns alle mit großer Erleichterung erfüllen sollte. Es

zeigt, dass sich die Europäische Union, insbesondere die
Euro-Zone, auch und gerade gemeinsam mit dem Mit-
glied Griechenland als handlungsfähig erwiesen hat. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Bundesregierung ist
damit außerordentlich zufrieden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Europa muss gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.
Deshalb müssen wir an ihren Ursachen ansetzen. Anset-
zen müssen wir insbesondere an der exzessiven und un-
disziplinierten Staatsverschuldung, der mangelnden
Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Staaten und der Be-
reinigung der grundlegenden Konstruktionsfehler der
Wirtschafts- und Währungsunion.

Die Lösung dieser Grundprobleme kann nur im Auf-
bau einer nachhaltigen Stabilitätsunion bestehen, die von
den Grundsätzen einer soliden Haushaltsführung, der eu-
ropäischen Solidarität und eines engagierten Wachs-
tumskurses getragen wird. Deshalb stellt der Fiskalpakt,
den wir in den vergangenen Wochen verhandelt und
beim Europäischen Rat unterzeichnet haben, einen ganz
wichtigen Meilenstein dar.

Über Jahre hinweg hat Deutschland, haben deutsche
Vertreter im Europäischen Rat immer wieder dafür ge-
worben, dass wir eine europäische Schuldenbremse be-
kommen. Dass wir es mithilfe des Fiskalpakts jetzt
geschafft haben, sie entweder in Verfassungen zu veran-
kern oder sie in nationale Gesetzgebungen zu tragen, ist
ein großer Erfolg, den wir bei allen parteipolitischen Un-
terschieden, die es in diesem Hause gibt und die in einer
Demokratie natürlich immer zum Tragen kommen wer-
den, nicht kleinreden sollten. Die Schuldenbremse ist ein
großer Erfolg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Nein!)


Der Fiskalpakt, den wir vereinbart und den die Kanz-
lerin, der Außenminister und der Bundesfinanzminister
gemeinsam verhandelt haben, steht für einen fundamen-
talen Paradigmenwechsel in Europa. Er steht für die
Kultur der Stabilität. Der Leitsatz lautet: Keine immer
neuen Schulden, um der alten Schulden Herr zu werden.
Dass es uns noch dazu gelungen ist, den Pakt in Rekord-
zeit zu verhandeln, obwohl wir lieber Vertragsänderun-
gen gehabt hätten – das füge ich deutlich hinzu –, ist ein
weiterer Beweis für die europäische Entschlossenheit in
diesem zentralen Punkt.

Wir müssen die Probleme der Staatsverschuldung im-
mer zusammen mit dem Wachstumskurs denken und an-
gehen. Deshalb stellen wir auch in diesem Zusammen-
hang die Verbindung mit dem Arbeitsprogramm der
Kommission her. Denn das Arbeitsprogramm der Kom-
mission muss an genau dieser zentralen Frage ansetzen:
Wie kann die Wachstumsfähigkeit gesteigert werden?

Was diesen Aspekt betrifft, hat die Bundesregierung
Ihnen immer wieder klar gesagt – ich möchte das heute
noch einmal ganz deutlich festhalten –: Wir sehen die
Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge und als
Initiativgeberin. Wir stehen insbesondere zur Stärkung
der Gemeinschaftsmethode, überall dort, wo die Ver-





Staatsminister Michael Link


(A) (C)



(D)(B)


träge sie vorsehen, und überall dort, wo in Zukunft Ver-
tragsänderungen vorgenommen werden. Die Stärkung
der Gemeinschaftsmethode ist eine Stärkung der Euro-
päischen Union und damit auch eine Stärkung ihrer Mit-
glieder.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!)


Das Arbeitsprogramm der Kommission ist aus der
Sicht der Bundesregierung ein wichtiges Dokument. Wir
haben Ihnen unsere Kommentare dazu vorgelegt. Die
Stellungnahme der Bundesregierung ist Ihnen im Januar
und Februar dieses Jahres in zwei Teilen zugegangen.
Wir haben in dieser schriftlichen Stellungnahme auch
eine Reihe von Kritikpunkten und begrüßenswerten
Punkten genannt, die ich hier nicht weiter ausführen
will. Ich möchte mich jetzt auf einige Kernpunkte be-
schränken.

Unter dem Leitmotiv Wachstum soll die Vertiefung
des europäischen Binnenmarktes – das ist für uns ein
Kernpunkt – zu einer tatsächlichen europäischen wirt-
schaftlichen Schlüsselaufgabe werden. Dieses Projekt
der Kommission begrüßen wir ausdrücklich. Der Bin-
nenmarkt bietet nämlich das größte Potenzial zur Steige-
rung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in al-
len 27 Mitgliedstaaten.

Wenn ich von Beschäftigung spreche, dann gilt das
vor allem mit Blick auf die jungen Bürgerinnen und Bür-
ger. Denn in zahlreichen Mitgliedstaaten der Union,
nicht in Deutschland, gibt es Jugendarbeitslosigkeits-
raten von über 25 Prozent. Diese jungen Leute fragen
sich mit Recht: Was ist denn eigentlich der Mehrwert
dieser Europäischen Union? Deshalb muss es im Kern
immer wieder um die Frage gehen: Wie können wir die
Beschäftigung steigern? Insofern begrüßen wir den An-
satz der Kommission, die jetzt vorgeschlagen hat, insbe-
sondere die steuerliche Belastung von Arbeit zu reduzie-
ren. Das ist ein Punkt, über den wir, glaube ich, auch
über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam nachdenken
sollten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir müssen stärker in den Bereichen investieren, in
denen am besten nachhaltiges Wachstum gefördert wer-
den kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb muss die Strukturpolitik der EU – ich sage
das bewusst mit Blick auf Debatten hier bei uns im
Lande, wissend, dass es oft unterschiedliche Interessen
gibt, auch mit Blick auf die föderale Konstruktion
Deutschlands – kritisch überprüft werden. Entscheidend
ist eine gezielte Ausrichtung der Struktur- und Kohä-
sionspolitik auf die Bereiche Bildung, Forschung, Wett-
bewerb, Innovation sowie auf die Schaffung von Ar-
beitsplätzen.

Auch das Bestreben der Kommission, die Neuord-
nung der Finanzmärkte weiter voranzutreiben, verdient
unsere volle Unterstützung. Die bereits angestoßenen Fi-
nanzmarktreformen sowie die für 2012 geplanten Maß-

nahmen stellen die Antworten der EU auf die Finanz-
krise dar und werden auch im globalen Kontext in
Umsetzung der bestehenden G-20-Verpflichtungen dazu
beitragen, die Akteure und Produkte auf den Finanz-
märkten angemessen zu regulieren und streng zu beauf-
sichtigen, um so ein stabiles und widerstandsfähiges Fi-
nanzsystem zu schaffen.

Die Bundesregierung wird weiterhin alle Maßnahmen
der Kommission zur Finanzmarktreform unterstützen,
sei es bei der stärkeren Regulierung von Ratingagentu-
ren oder des außerbörslichen Derivatemarktes.

Wir unterstützen grundsätzlich auch die Einführung
einer EU-weiten Finanztransaktionsteuer. Die Vor-
schläge der Kommission ebenso wie das derzeit in der
Diskussion stehende französische Modell werden wir in-
nerhalb der Bundesregierung prüfen. Klar ist aber auch,
dass wir eine Finanztransaktionsteuer als eine mögliche
Eigenmittelquelle für den EU-Haushalt ablehnen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es noch nicht geprüft? Es liegt doch schon seit Monaten vor!)


Der mittelfristige Finanzrahmen wird uns noch inten-
siv beschäftigen, aber nicht in der heutigen Debatte zum
Arbeitsprogramm. Die Bundesregierung hat die Stel-
lungnahme des Bundestags zum mehrjährigen Finanz-
rahmen zur Grundlage für die Erarbeitung ihrer eigenen
Position genommen. Zum Ende der dänischen Präsident-
schaft werden wir die Verhandlungsbox formulieren
müssen, die dann im zweiten Halbjahr konkret wird und
möglichst bereits im zweiten Halbjahr beim mehrjähri-
gen Finanzrahmen zum Ende kommen soll.

Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir
einige Punkte des Arbeitsprogramms der Kommission
kritisch sehen. Wenn wir die Verhältnismäßigkeit eines
angekündigten Vorhabens der Kommission infrage stel-
len oder Bedenken bei Zuständigkeitsfragen haben, be-
nennen wir das ausdrücklich in unserer Stellungnahme.
Es gehört dazu, dass wir auch das deutlich machen. Als
Beispiel möchte ich die angekündigte Reform des Mehr-
wertsteuersystems oder auch die im Bereich der Alters-
vorsorge vorgelegten Vorschläge der Kommission zu
den ergänzenden Rentenansprüchen von Arbeitsplatz-
wechslern innerhalb der Europäischen Union nennen.

Lassen Sie mich deshalb ganz grundsätzlich sagen:
Die Kommission ist vor allem dann stark, wenn sie sich
auf die Themen und Kernaufgaben konzentriert, bei de-
nen tatsächlich ein Mehrwert für die Bürgerinnen und
Bürger Europas entstehen kann. Nicht mehr Regulie-
rung, sondern effiziente Regulierung ist wichtig. Das In-
itiativrecht der Kommission ist ein hohes Gut. Es sollte
nicht für möglichst viele Initiativen genutzt werden, son-
dern für möglichst substantielle Initiativen. Diese Ver-
antwortung muss die Kommission aus unserer Sicht
ernst nehmen; denn sie hat als Inhaberin des Initiativ-
rechts die große Verantwortung, dieses Instrument nicht
inflationär, sondern sehr zielgerichtet zu nutzen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen, Frau Präsi-
dentin. Wir möchten insbesondere, dass neben dem er-
wähnten Thema der Solidität in der Haushaltsführung





Staatsminister Michael Link


(A) (C)



(D)(B)


auch im Außenhandel der EU dieses Instrument ernst ge-
nommen wird. Mit Blick auf die europäische Nachbar-
schaftspolitik erwarten wir von der Kommission deutli-
chere und klarere Initiativen im Rahmen des vorgelegten
Plans „More for more“, „Mehr für mehr“, wie ihn die
Kommission nennt. Wir warten dringend auf eine Kon-
kretisierung dieses Bereichs mit mehr Konditionalität;
denn auch im Außenhandel der Europäischen Union
müssen wir effizienter und stärker auftreten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716609200

Der Kollege Axel Schäfer hat das Wort für die SPD-

Fraktion.


Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1716609300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich nehme das auf, was der Kollege Staatsminister ge-
sagt hat zum Thema „Mehr Gemeinschaft in Europa“.
Die Bundesregierung kann das direkt beweisen, indem
sie bei der Beratung des ESM sagt: Jawohl, das ist eine
europäische Gemeinschaftsaufgabe. Das ist eine euro-
päische Angelegenheit nach Art. 23 Grundgesetz und
nicht nach Art. 59 Grundgesetz.

Deshalb korrigieren Sie Ihre Position, lieber Kollege
Link. Sie haben mit der Übernahme Ihrer neuen Auf-
gabe, zu der ich Ihnen alles Gute wünsche, direkt den
Auftrag, der wahrscheinlich von der großen Mehrheit im
Parlament mitgetragen wird, dieses durchzusetzen.
Glück auf dafür! Sie haben uns an Ihrer Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Vorschlägen der Kommission in ihrem Ar-
beitsprogramm ist eines, glaube ich, ganz wichtig: Die
Kommission, die um ihre Rolle als zentraler Akteur in-
nerhalb der Europäischen Union kämpfen muss, lässt
sich nicht zu einem Sekretariat des Rates herabstufen,
sozusagen downgraden.

Die Kommission hat sehr viele Vorschläge zu Finanz-
marktregelungen, zur Finanzmarkttransaktionsteuer und
zur Bankenaufsicht gemacht. Das ist eine sehr lange
Liste. Allen gemein ist – es geht nicht um Details, über
die wir sicherlich streiten können –, dass es sich hierbei
um europäische Regeln handelt, die per Gesetz verab-
schiedet werden müssen. Das heißt, dies muss auf glei-
cher Augenhöhe zwischen dem Europäischen Rat und
dem Europäischen Parlament geschehen. Für diese Ver-
abschiedung ist eine intensive, frühe Beteiligung der na-
tionalen Parlamente notwendig, also gerade das, was wir
im Deutschen Bundestag gemeinsam tun wollen.

Bei jedem Arbeitsprogramm der Kommission haben
wir in Europa diesen Kampf auszufechten: Wird sich auf
Dauer die sogenannte Unionsmethode von Frau Merkel
durchsetzen, die, neben den schönen Worten von Ge-
meinschaft, in der Praxis immer mehr intergouverne-
mental sein wird, oder werden wir dieses gemeinsame
Europa tatsächlich auch parlamentarisch, das heißt rich-

tig demokratisch, stärken oder nicht? Das wird die ent-
scheidende Frage sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb war es ganz wichtig, dass das Europäische
Parlament bei der kritischen Bewertung des Fiskalpaktes
das geschafft hat, was wir im Bundestag bisher nur er-
reicht haben, als es um die Beteiligungsrechte ging. Es
hat nämlich einen europäischen Konsens erreicht. Ich
habe die Bitte und die Erwartung an die Regierungsko-
alition, dass sie bei allen anstehenden Gesetzen auf einen
Konsens in Bezug auf die Beteiligungsrechte des Deut-
schen Bundestages im ganzen Hause setzt, wie wir das,
Michael Stübgen, mit allen fünf Fraktionen in der letzten
Legislaturperiode geschafft haben. Das ist Ihre Bring-
schuld. Wir warten darauf.

Ich glaube, wir alle sind hier offen. Die Grünen sehen
das ebenfalls so, und ich glaube, das gilt auch für die
Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion. An diese
Bringschuld werden wir Sie in den nächsten Tagen und
Wochen erinnern; denn es kommt hier wirklich darauf
an, ob der Bundestag gemeinschaftlich in der Lage ist,
seine Rechte durchzusetzen, oder ob Parteitaktik und an-
deres die entscheidende Rolle spielen.

In Bezug auf die Arbeit der Kommission kann ich als
Sozialdemokrat feststellen: Vieles von dem, was jetzt
vorgeschlagen wird, teilen wir ausdrücklich. Das ist des-
halb überraschend, weil die meisten Kommissarinnen
und Kommissare in Europa eher der Parteifamilie der
Christdemokraten oder der Liberalen angehören. Wir als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – auch die
Grünen – sind hier leider noch in der Minderheitenposi-
tion.

Eine Reihe von Dingen, die von der Europäischen
Kommission vorgeschlagen werden, werden im Deut-
schen Bundestag und auch von der Regierungskoalition
aber nicht so gesehen. Kollege Link, in den Bereichen,
in denen es die Möglichkeit gibt, etwas europäisch zu re-
geln – das gilt gerade für den Bereich der Steuern, zum
Beispiel bei der Mehrwertsteuer –, würde ich mir im Ge-
gensatz zu Ihnen mehr Mut von der Kommission wün-
schen. Wenn wir die Chance haben, das, was bereits
heute in den Verträgen steht, in Europa gemeinschaftlich
zu regeln, dann müssen wir das auch anpacken. Das ist
der entscheidende Punkt. Dafür braucht man als Kom-
mission Mut,


(Beifall bei der SPD)


und man muss schauen, wie die Mehrheitsverhältnisse
sind, aber der erste Schritt ist der wichtigste. Man muss
damit anfangen.

Daneben wird von uns sicherlich zu Recht kritisch ge-
sehen: Es gibt kein Stabilitätseuropa in finanzieller Hin-
sicht auf der einen Seite, wenn es auf der anderen Seite
kein Stabilitätseuropa in sozialer Hinsicht gibt. Es gibt
keine erfolgreiche einseitige Fixierung auf die Schulden-
reduzierung, wenn es auf der anderen Seite nicht eine
genauso starke Verpflichtung in Richtung Impulse für
Wachstum, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und so-





Axel Schäfer (Bochum)



(A) (C)



(D)(B)


ziale Nachhaltigkeit gibt. Beides gehört zusammen. Nur
auf diesem Wege werden wir gemeinsam erfolgreich
sein.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb werden wir sehr genau darauf achten – Sie
haben ja auch von der Bekämpfung der Jugendarbeitslo-
sigkeit gesprochen –, wie das entsprechende Programm
aussieht und was das in der Praxis bedeutet. Sie wissen:
Das ist vor allen Dingen für Länder in Süd- und Südost-
europa entscheidend, deren Situation aufgrund einer Ju-
gendarbeitslosigkeit von 30 bis 50 Prozent dramatisch
ist. Es wird darauf ankommen, dass die Bundesregierung
nicht nur am Sonntag erklärt, dass sie die Jugendarbeits-
losigkeit bekämpft, sondern dass sie auch von Montag
bis Freitag in den konkreten Beratungen sagt: Jawohl,
wir werden auch in Europa den notwendigen Weg gehen
und Mittel dafür einsetzen, damit schnell etwas passiert.
Wir dürfen, wollen und können uns in Europa keine ver-
lorene Generation von Jugendlichen leisten.


(Beifall bei der SPD)


Es geht auch ein bisschen um die Selbstverpflichtung
in diesem Hause. Ich glaube, es ist wichtig, dass es bei
allen Delegationsreisen nach Brüssel und unseren Ge-
sprächen dort immer eine Selbstverpflichtung sein muss,
dass wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament gut und eng zusammenarbeiten.
Ich glaube, das hat sich in den letzten Jahren in allen
Fraktionen verbessert.

Es wird aber auch darauf ankommen, dass wir auch
als Parlamentarier hier sagen: Für die Handlungsfähig-
keit in Europa brauchen wir eine handlungsfähige Kom-
mission. Das hat simple und praktische Konsequenzen.
Ich finde, wir sollten im Zusammenhang mit dem nächs-
ten Arbeitsprogramm der Kommission auch darüber
diskutieren, wie wir die Kommissare im Deutschen Bun-
destag etwas besser einbeziehen, etwa durch eine Einla-
dung zum Meinungsaustausch und all das, was dazuge-
hört.

Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Ich
möchte anregen – der Vorsitzende des Europaausschus-
ses, Gunther Krichbaum, ist auch anwesend –, das Expe-
riment, das wir im Jahr 2009 auf Initiative von SPD und
FDP gemacht haben, nämlich den designierten Kommis-
sar in den Deutschen Bundestag einzuladen, zur Selbst-
verpflichtung der nationalen Parlamente zu machen.
Günther Oettinger ist Christdemokrat – man muss auch
die Kolleginnen und Kollegen der anderen Couleur lo-
ben können, wo dies richtig ist – und hat das damals ge-
macht. Er war übrigens der Einzige in Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich bekomme einmal Beifall von der Union. Vielen
Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir müssen das in Europa auch im Rahmen unserer
Möglichkeiten – Stichwort COSAC – mit voranbringen;
neueuropäisch heißt das Good Practice. Wir müssen es
schaffen, dass es selbstverständlich wird, dass die Kom-
missarinnen und Kommissare, die demnächst wieder zur

Wahl anstehen, sich vorher auch in den nationalen Parla-
menten vorstellen.


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Dadurch wird es aber Best Practice!)


Es geht nicht darum, dass wir sie auswählen, sondern um
eine andere Form von Rückbindung.

Wir bekommen nur dann eine starke Kommission,
wenn sie auch stark in den Nationalstaaten verwurzelt
ist, und zwar im politischen Sinne für die europäische
Gemeinschaft statt als spezielle Interessenvertretung des
Landes. Dafür ist bekanntlich die Mannschaft und Frau-
schaft im Ministerrat zuständig.

Wir müssen beim nächsten Mal die Selbstverpflich-
tung schaffen, dass wir eine große Zahl von Frauen in
die Kommission bekommen wollen. Das wird die
schwierigste Selbstverpflichtung. Ich weiß, wie es in
meiner eigenen Parteifamilie ist. Ich weiß aber auch, wie
weit wir schon positiv vorangekommen sind.

Es reicht nicht aus, dass wir 1982 unter Odile Quintin
mit dem Gleichstellungsprogramm die Frauenbüros in
der EU-Kommission erfunden haben, sondern wir müs-
sen das auch für die künftigen Kommissionen auf allen
Ebenen durchsetzen. Und wir müssen die Europäische
Kommission tatsächlich aufgrund des Ergebnisses der
nächsten Europawahl im EP wählen. Wir werden von
der Kommission nicht verlangen können, dass sie parla-
mentarisch agiert, wenn wir nicht die volle Parlamentari-
sierung in Europa durchsetzen.

Das heißt – das ist als Selbstverpflichtung an alle in
diesem Hause gerichtet –, wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten leisten unseren Beitrag dazu, dass die
Europawahl tatsächlich eine europäische Wahl wird. Ich
hoffe sehr – die Grünen haben 2004 mit Daniel Cohn-
Bendit begonnen; wir Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten werden mit einem Mann oder einer Frau fol-
gen –,


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf sind wir gespannt!)


dass wir einen Spitzenmann oder eine Spitzenfrau auf-
stellen


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Frau wäre gut!)


– okay, damit bin ich einverstanden, aber bitte eine So-
zialdemokratin –, damit wir es schaffen, dass derjenige
oder diejenige als Spitzenkandidat hinterher im Europäi-
schen Parlament als Kommissionspräsident oder Kom-
missionspräsidentin zur Wahl steht.

Wir sollten als Parlamentarier Interesse daran haben.
Wir sollten, egal ob wir Regierung oder Opposition sind,
kein Interesse daran haben, dass bei der nächsten Euro-
pawahl die Kommission schon vorher dadurch ge-
schwächt wird, dass Staats- und Regierungschefs im Mai
sagen, wer Kommissionspräsident wird, egal wie die
Europawahl ausgeht. Nein, die Europawahl muss die Vo-
raussetzung für die Zusammensetzung der Kommission
schaffen, zumindest was den Kommissionspräsidenten
oder die -präsidentin anbelangt. Nur so werden wir uns





Axel Schäfer (Bochum)



(A) (C)



(D)(B)


parlamentarisch behaupten können. Nur so wird sich die
Europäische Kommission auch gegenüber dem Rat
durchsetzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei bitte ich ganz herzlich auch im Namen meiner
Fraktion und, wie ich sehe, auch mit Unterstützung der
Kolleginnen und Kollegen der Grünen um Umsetzung.
Das wird die Aufgabe sein.

Ein Letztes: Wir brauchen auch noch eine Selbstver-
pflichtung. Jedes Jahr diskutieren wir das Arbeitspro-
gramm der Kommission. Wir sollten uns gemeinsam in
den Fraktionen bemühen, dass wir das an noch etwas
prominenterer Stelle und dann auch mit mehr Beteili-
gung in diesem Hause hinbekommen. Das gilt für alle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiterhin an diesem
gemeinsamen Europa arbeiten. Wir Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten haben eine Reihe von guten
Vorschlägen gemacht. Es kommt jetzt darauf an, sie um-
zusetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716609400

Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Detlef Seif

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1716609500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für uns

ist nicht überraschend, dass das Arbeitsprogramm 2012
der EU-Kommission dieses Jahr unter dem Vorzeichen
der Finanzmarktkrise und der europäischen Staatsschul-
denkrise steht. Die EU-Kommission widmet sich des-
halb folgerichtig in ihrem ersten Teil des Programms ei-
nem Europa der Stabilität und Verantwortung.

Letztes Jahr wurde viel auf den Weg gebracht
– Staatsminister Link hat das im Einzelnen ausgeführt –:
sei es das Europäische Semester, sei es der Sixpack, sei
es der in diesem Jahr noch zu ratifizierende Fiskalpakt,
der insbesondere die Schuldenbremse enthält. Das wird
eine gute Ausgangslage sein, um zukünftig die Staats-
finanzen in Europa auf eine solide Basis zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich halte es auch für richtig, dass die Kommission ei-
nen Schwerpunkt auf eine weitere Regulierung des
Finanzmarkts legt. Persönlich sehe ich die Einführung
einer Finanztransaktionsteuer aber eher kritisch.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach! – Schlecht!)


Die Finanztransaktionsteuer hätte weder die Immobi-
lienblase in den USA noch die dadurch verursachte
Finanzmarktkrise verhindert.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon noch mehr machen, nicht nur die Finanztransaktionsteuer! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Einstieg!)


Sie ist sicherlich ein wichtiges Instrument zur Verhin-
derung des Turbohandels, des Hochfrequenzhandels.
Aber wir müssen hier mit äußerstem Fingerspitzengefühl
vorgehen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie aber endlich einmal vor, Herr Seif!)


Die kritischsten Ausführungen, die davon ausgehen,
dass dem Finanzplatz Europa sogar bis zu 200 Milliar-
den Euro Wirtschaftskraft entgehen könnten, teile ich
nicht. Dennoch kann sie zur Wettbewerbsverzerrung
führen und auch den Finanzplatz Europa gefährden. Wir
müssen ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass
gerade auch die Interessen des Finanzplatzes Deutsch-
land gewahrt bleiben.

Im zweiten Teil des Programms geht es folgerichtig
um eine Union des Wachstums und der Solidarität. Die
vernünftige Regulierung des Finanzmarkts sowie die
Vorschriften, die die Begrenzung der Staatsverschuldung
vorsehen, sind wichtig und unumgänglich. Damit lässt
sich aber noch kein Wachstum generieren. Deshalb wid-
met sich das Arbeitsprogramm der EU-Kommission fol-
gerichtig auch vielen Einzelmaßnahmen zur Belebung
des Binnenmarktes.

Eine besondere Herausforderung ist auch für die EU-
Kommission, die da im Wesentlichen mitgewirkt hat, bei
den Ländern, die in Schieflage geraten sind, Wachstums-
impulse zu setzen.

Die vielfach vertretene These „Wir brauchen einen
Marshallplan; dann wird sich alles lösen“ kann ich aber
nicht teilen. Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg
war eine völlig andere. Europa lag brach. Die Produk-
tionsstätten waren zerstört. Vor der Haustüre gab es kei-
nen oder kaum Wettbewerb. Der Marshallplan war ein
Selbstläufer. Wir können mit dem Pumpen von viel Geld
in Krisenregionen die Probleme hingegen nicht lösen.
Gerade den südeuropäischen Ländern hat nach der Auf-
nahme in die Euro-Zone billiges Geld in großem Maße
zur Verfügung gestanden. Heute wissen wir: Man hat
dieses Geld nicht für Produktion genutzt, sondern über-
wiegend in Konsum gesteckt. Auch das war eine Mit-
ursache für unsere Staatsschuldenkrise. Das müssen wir
zur Kenntnis nehmen. Deshalb werden uns große Worte
von einem Marshallplan nicht weiterhelfen.

Die Griechen haben in den letzten Monaten viel er-
reicht und große Opfer gebracht. Das wissen wir alle. Ich
wünsche mir, dass es den vernünftigen Kräften in Grie-
chenland gelingt, sich durchzusetzen, und zwar dauer-
haft. Vor allen Dingen wünsche ich mir, dass man die
Hilfe, die wir Europäer den Griechen anbieten, tatsäch-
lich annimmt.

Die Europäische Union kann Griechenland beim
Wirtschaftsaufbau vielfach unterstützen, so zum Beispiel





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


durch die im vergangenen Jahr eingerichtete Taskforce,
die meines Erachtens aber personell aufgestockt werden
muss, um den zügigen Einsatz der bislang noch nicht ab-
gerufenen Kohäsionsmittel von rund 15 Milliarden Euro
zu ermöglichen.

In ihrem Arbeitsprogramm betont die EU-Kommis-
sion, dass sie die Rolle Europas auf der Weltbühne stär-
ken will. Das ist richtig. Aber hier wird verschwiegen,
dass das Kompetenzgerangel innerhalb der EU-Kom-
mission und die Missachtung der Kompetenzen der Ho-
hen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik haus-
gemachte Probleme sind. Hier erwarte ich eine deutliche
Nachjustierung durch die Kommission. Auch die Kom-
petenzen der Hohen Vertreterin müssen zur Geltung
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die jüngsten Krisen haben zweifelsohne die Länder
der Europäischen Union enger zusammengeschweißt.
Die Europäische Union entwickelt sich zunehmend zu
einer Schicksalsgemeinschaft. Gerade auch deshalb bin
ich der Meinung, dass die Erweiterungspolitik der Euro-
päischen Union zu überdenken ist. Wohin soll Europa
steuern? Verstehen wir uns in erster Linie als eine große
Wirtschaftsmacht oder als eine Wertegemeinschaft? Ist
die EU auf dem richtigen Weg, wenn sie bei der Auf-
nahme neuer Mitglieder bei einzelnen Kapiteln nicht nur
ein Auge, sondern sogar beide Augen zudrückt?


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen meinen Sie denn konkret?)


– Ich vermeide es bewusst, in meiner Rede konkrete
Länder zu nennen. Sie als erfahrener Europapolitiker der
Grünen wissen sicherlich, warum ich das an dieser Stelle
mache.

Meine Damen und Herren, ich erwarte hier Anregun-
gen der Kommission. Ich sehe unser gemeinsames Pro-
jekt Europa in Gefahr, wenn die zukünftige Erweite-
rungspolitik nicht mit Vernunft und Augenmaß betrieben
wird. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Bundesregie-
rung und der EU-Kommission daran arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716609600

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Andrej

Hunko das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716609700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-

kutieren heute über das Arbeitsprogramm der EU-Kom-
mission. Es ist symptomatisch, dass wir die Diskussion
über dieses Arbeitsprogramm mehrfach verschoben
haben, obwohl in der Zwischenzeit weitreichende Ent-
scheidungen auf europäischer Ebene und hier im Bun-
destag gefällt wurden, die – wie der Kollege Link richti-
gerweise gesagt hat – einen Paradigmenwechsel in der
Europäischen Union bedeuten.

Ich meine unter anderem das Griechenland-Paket, das
wir am vorletzten Montag in einer Sondersitzung des
Bundestages verabschiedet haben. Es ist nichts anderes
als ein Programm des Sozialabbaus und führt zu sozialer
Verelendung in Griechenland. So wird der Mindestlohn
um 22 Prozent – bei jungen Menschen sind es sogar
32 Prozent – gesenkt. Ich weiß nicht, wer die 750 Seiten,
auf denen dieses Paket dargelegt wird, tatsächlich gele-
sen hat. Wer es aber getan hat, weiß, dass unter anderem
die Gesundheitsausgaben in Griechenland auf 6 Prozent
des ohnehin schrumpfenden Bruttoinlandsproduktes
– bei uns dagegen sind es 11 Prozent – gedeckelt wer-
den.

Die EU-Kommission ist in Form der Troika – zusam-
men mit IWF und EZB – an dem Paket für Griechenland
genauso beteiligt wie an den Paketen für Portugal und Ir-
land. Aber dazu finden wir nichts im Arbeitsprogramm
der EU-Kommission, ebenso wenig wie zum sogenann-
ten Fiskalpakt, der am vergangenen Donnerstag bzw.
Freitag in Brüssel beschlossen wurde. Auch daran ist die
EU-Kommission beteiligt. Es handelt sich zwar um ei-
nen völkerrechtlichen Vertrag zwischen 25 Ländern, der
aber die EU-Kommission einbindet. Aber auch dazu fin-
den wir nichts im Arbeitsprogramm der EU-Kommis-
sion, genauso wenig wie zur Einrichtung des ESM, der
die andere Seite der gleichen Medaille ist. Man kann sa-
gen: Der Fiskalpakt ist die Peitsche, während der ESM
das vermeintliche Zuckerbrot ist. Fiskalpakt und ESM
gehören zusammen. An beidem ist die EU-Kommission
beteiligt. Auch dazu finden wir nichts.

Ich will trotzdem ein paar Worte zu diesem Arbeits-
programm selbst sagen. Insgesamt ist es von der EU-
2020-Strategie geprägt, einer Fortsetzung der gescheiter-
ten neoliberalen Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000.
Entsprechend kritisch sehen wir dieses Arbeitspro-
gramm.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt ein paar wenige positive Elemente, zum Beispiel
den Vorschlag zur Ausgestaltung der Finanztransaktion-
steuer.

Es gibt darin aber auch Sätze wie den folgenden – ich
zitiere –:

Eine umfassende Reform der Regulierung und Be-
aufsichtigung der Finanzmärkte hat das Finanzsys-
tem der EU auf eine solide Grundlage gestellt.

Man fragt sich: Wo leben die Autoren denn?


(Otto Fricke [FDP]: In Europa!)


Haben sie etwa nicht den letzten Halbjahresbericht der
EZB gelesen, in dem es beispielsweise heißt, dass das
Finanzsystem der Euro-Zone so stark gefährdet ist wie
seit 2008 nicht mehr?

Ist denn in Europa die Finanztransaktionsteuer einge-
führt? Sind Hedgefonds verboten worden? Sind die Gift-
papiere verboten worden? Ist das Kasino geschlossen
worden? All das hat nicht stattgefunden.





Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)



(Otto Fricke [FDP]: Haben diese Staaten aufgehört, sich zu verschulden? Ich weiß, das ist für Sie unwichtig! Mannomann!)


– Die Europäische Kommission spricht hier von der Re-
gulierung der Finanzmärkte, und die hat eben nicht statt-
gefunden.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir ste-
hen europapolitisch vor sehr weitreichenden Entschei-
dungen. Der Fiskalpakt ist zwar unterzeichnet worden,
aber noch nicht ratifiziert. Der ESM steht vor der Verab-
schiedung. Meine Erfahrung mit dieser Bundesregierung
ist, dass sie Argumenten sehr wenig zugänglich ist. Des-
wegen wende ich mich hier auch an die irische und die
französische Bevölkerung:

I want to address the Irish people: You have the
chance to vote on the fiscal treaty, a possibility that is de-
nied to us here in Germany and is denied to hundreds of
millions of Europeans. I appeal to you to use this oppor-
tunity wisely. Please study the fiscal treaty carefully and
reject it.


(Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das muss auch auf Gälisch kommen! Oder Esperanto!)


Ich wende mich auch an die französische Bevölke-
rung. Sie hat nämlich in der Präsidentschaftswahl die
Möglichkeit – –


(Zurufe)


– Jetzt werden einige hier ganz aufgeregt.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Britischer Imperialismus hier von der Linkspartei! – Lachen bei der LINKEN)


– Ja, jetzt werden einige hier ganz aufgeregt. – Die fran-
zösische Bevölkerung hat bei der Präsidentschaftswahl
die Möglichkeit, zumindest Sand in das Getriebe dieses
Fiskalpaktes zu streuen. Ich appelliere auch an die fran-
zösische Bevölkerung, sehr genau hinzuschauen, wel-
cher Präsidentschaftskandidat welche Position dazu
vertritt, und sich dagegen zu wenden, dass wir ein
austeritäres und autoritäres – in Frankreich sagt man
„une Europe autoritaire et austéritaire“ – Europa bekom-
men.

Eines ist klar – das sage ich immer am Ende –:
Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Bonne chance!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716609800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Lisa Paus das Wort.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716609900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Euro-

päische Erneuerung“ – so lautet die Überschrift dieses
Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission.

Wenn man die letzten beiden Jahre heute einmal nüch-
tern Revue passieren lässt, dann kommt man zu dem
Schluss: Europa hat sich in den letzten beiden Jahren
ganz massiv verändert; aber von einer Erneuerung war
leider nichts zu spüren. Stattdessen mussten wir erleben,
wie nationalstaatliche Restauration quasi aus allen Lö-
chern dieser Europäischen Union herausgekrochen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Bismarck’scher Manier mussten wir erleben, wie Re-
gierungschefs Spaziergänge absolviert haben,


(Otto Fricke [FDP]: Da haben wir ja noch mal Glück gehabt, dass es keine Emser Depesche gibt! – Gabriele Molitor [FDP]: Was haben Sie gegen Spaziergänge?)


Verträge verhandelt haben, unterzeichnet haben.

Damit bin ich schon direkt beim Thema Fiskalpakt,
meine Damen und Herren von der Koalition. Das Demo-
kratiedefizit dieses Fiskalpakts ist eben keine Petitesse.
Die intergouvernementale Strategie der letzten beiden
Jahre ist eben nicht nur ein Schönheitsfehler; damit ein-
her geht vielmehr das Problem der Renationalisierung
und der Entsolidarisierung. So droht der Grundstein, auf
dem die Europäische Union gebaut ist, eingerissen zu
werden. Das ist ein Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte es ganz konkret machen. Griechenland
war heute schon Thema; auch Herr Seif hat sich dazu
ausgelassen. Herr Seif, die Sendung Monitor hat letzte
Woche, sichtbar für alle Bürgerinnen und Bürger im öf-
fentlich-rechten Fernsehen, zum Glück deutlich ge-
macht, dass wir eine völlig schräge Debatte führen. Der
Bürger ist der Auffassung, wir hätten bereits Kosten in
Milliardenhöhe gehabt und der deutsche Steuerzahler
hätte in den letzten zwei Jahren für die Europäische
Union geblutet. Richtig ist: Wir haben über Garantien
abgestimmt, und wir sind Risiken eingegangen, aber ge-
kostet hat uns das bisher noch nicht einen einzigen Euro.
Im Gegenteil besteht die absurde Situation, dass
Deutschland Krisengewinnler ist und von der aktuellen
Krise profitiert. Der deutsche Bundeshaushalt ist durch
diese Krise um 50 Milliarden Euro entlastet worden,
weil im Gegensatz zu früher momentan lieber Bundes-
anleihen als die Anleihen anderer Staaten gekauft wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Dieses Land hat die Exportüberschüsse um über
50 Milliarden Euro erhöhen können,


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Unter Agenda 2010!)


weil sich die Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Krise
verbessert hat und weil der Euro leicht abgewertet
wurde. Deshalb sind 100 Milliarden Euro mehr in der
deutschen Kasse und nicht weniger. Die schräge De-
batte, die wir hier in Deutschland führen, ist das Produkt





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


Ihrer Renationalisierungsstrategie. Deswegen müssen
wir damit aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sehr wahr!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716610000

Kollegin Paus, gestatten Sie eine Frage oder eine Be-

merkung?


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716610100

Bitte, Herr Seif.


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1716610200

Zunächst einmal haben Sie eine Meinung geäußert,

die sich nicht mit der Meinung der Koalition deckt und
sich nicht in Übereinstimmung mit der praktischen Poli-
tik der Koalition befindet.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Frage an Sie lautet: Meinen Sie nicht, dass
Europa darauf angewiesen ist, dass wir ein wirtschaftlich
starkes und finanziell gut aufgestelltes Deutschland ha-
ben? Denken Sie an die EFSF. Wir müssen aufgrund un-
serer Stellung als Staat mit einer Triple-A-Bewertung
viel mehr aufbringen als andere Staaten. Ist es also nicht
gut für Europa, dass es ein starkes Deutschland gibt und
Deutschland ein Schlüsselland in Europa ist?


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das wollte sie doch sagen! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Fragen Sie mal in Griechenland!)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716610300

Herr Seif, das habe ich überhaupt nicht in Abrede ge-

stellt. Aber in der Tat ist die spannende Frage, ob es für
Europa gut ist, wenn Deutschland die Ungleichgewichte
innerhalb der Europäischen Union weiterhin verschärft,
indem sich diese Bundesregierung und die Koalition
nach wie vor weigern, das Thema der Leistungs-
bilanzungleichgewichte in der Europäischen Union
adäquat zu thematisieren und einen Beitrag dazu zu leis-
ten, dass die Länder der Europäischen Union noch stär-
ker zusammenwachsen, anstatt dass sie weiter auseinan-
derdriften.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe auf das Demokratiedefizit des Fiskalpakts
hingewiesen. Auch das Arbeitsprogramm der Europäi-
schen Kommission unterstreicht, dass dieser Fiskalpakt
nicht nur was die Demokratiefrage angeht, zu kurz
greift, sondern dass er auch inhaltlich zu kurz greift. Es
werden zwei Punkte angeführt, die auch wir Ihnen vor-
getragen haben. Ich möchte somit die Kommission als
Anwalt zitieren und Ihnen die Lektüre des Arbeitspro-
gramms ans Herz legen.

Zum Ersten finden Sie die Binsenweisheit – das führt
bei Ihnen aber leider nicht zu Taten –, dass wir aus der

Krise nur herauskommen, wenn wir sparen und investie-
ren.

Zum Zweiten steht in diesem Programm, dass die
Konsolidierungsanstrengungen nicht allein über Ausga-
benkürzungen geleistet werden können, sondern dass
auch Einnahmeerhöhungen erfolgen müssen. Deswegen
müssen wir in der Europäischen Union gemeinsam
Steuerflucht bekämpfen; denn das ist wegen der Libera-
lisierung und der Binnenmarktfreiheit national nicht
mehr möglich. Wir brauchen gemeinsame Anstrengun-
gen zur Reduzierung der Steuerflucht. Wir brauchen eine
gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für
Unternehmen, damit es keinen schädlichen Steuerwett-
bewerb innerhalb der Europäischen Union gibt. Wir
brauchen auch Mindeststandards bei der Energiebesteue-
rung, und wir müssen erreichen, dass die Einführung der
Finanztransaktionsteuer nicht nur in jeder Rede vor-
kommt, sondern dass diese Steuer endlich Realität in der
Europäischen Union wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Haltung der FDP in der Debatte um die Finanz-
transaktionsteuer ist besonders unerträglich. Ich will den
disparaten Chor der Einzelstimmen nicht wiederholen.


(Lachen des Abg. Holger Krestel [FDP])


Auch Herr Seif hat sich ja diesbezüglich heute noch ein-
mal geäußert. Ich möchte an dieser Stelle nur eines sa-
gen: In diesem Hause gibt es zumindest für die Einfüh-
rung einer Finanztransaktionsteuer, werte CDU/CSU,
eine Zweidrittelmehrheit; das wissen Sie. Für den Fis-
kalpakt gibt es die Zweidrittelmehrheit in diesem Hause
bisher noch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Krichbaum, Sie sagten, die Grünen hätten viel-
leicht ein Problem, weil alle anderen Grünen in der
Europäischen Union zustimmen würden; deshalb könn-
ten wir nicht anders. Diesbezüglich kann ich Sie infor-
mieren, dass das nicht der Fall ist.


(Otto Fricke [FDP]: Sind Sie nicht für den Fiskalpakt?)


Es wäre eher umgekehrt. Wenn wir Grüne zustimmen
würden, dann wären wir mit den finnischen Grünen die
Einzigen und somit in der Minderheit. Es geht also um
Anstrengungen Ihrerseits. Draußen versteht kein Bürger
und keine Bürgerin, warum die Finanztransaktionsteuer
in der Europäischen Union nicht endlich kommt. Deswe-
gen wollen wir mit Ihnen darüber reden, ganz konkret,
dass die Devisen mit einbezogen werden und dass die
Derivate mit einbezogen werden. Wir brauchen konkrete
Verabredungen zur Finanztransaktionsteuer im Rahmen
der Fiskalpaktdebatten hier im Deutschen Bundestag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Otto Fricke [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


„Nicht nur sparen, auch investieren“, das kommt in
den Sonntagsreden der Bundeskanzlerin inzwischen vor;
konkret gibt es dazu gar nichts, Geld sowieso nicht. Ich
würde trotzdem Ihren Blick noch einmal auf das Arbeits-
programm richten wollen. Das Arbeitsprogramm gibt
zumindest Hinweise auf die zentralen Wachstumsfelder,
die erst einmal noch keinen zusätzlichen Euro kosten.

In der Energiewende und der Energieeffizienzrichtli-
nie – das sind zwei Beispiele, die ich nennen will –
steckt richtig Wachstumspotenzial. Was machen Sie? Sie
blockieren! Zur Energieeffizienzrichtlinie gibt es keine
Meinung dieser Koalition. Die Umsetzung würde jeden
Privathaushalt in der Europäischen Union um 1 000 Euro
entlasten und 2 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Das
nur als ein Beispiel. Deswegen: Geben Sie sich zumin-
dest an dieser Stelle einen Ruck für mehr Zukunft in Eu-
ropa!

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716610400

Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Molitor [FDP])



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1716610500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört man jetzt von hier bis nach Bayern!)


„Europäische Erneuerung“ – so lautet der Titel des dies-
jährigen Arbeitsprogramms der Europäischen Kommis-
sion. Ein solcher Titel klingt überaus vielversprechend,
und er weckt auch große Erwartungen.

Für uns als Parlamentarier ist dieser Titel daher zu-
gleich aber auch eine große Verpflichtung. Denn seit wir
uns als nationales Parlament mit dem Vertrag von Lissa-
bon neue Rechte im europäischen Gesetzgebungsprozess
erkämpft haben, sind wir natürlich auch in der Pflicht,
uns frühzeitig aktiv mit den anstehenden europäischen
Themen auseinanderzusetzen. Das Arbeitsprogramm der
Europäischen Kommission stellt hierfür den Auftakt dar.
Es kann daher in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Ich möchte an dieser Stelle gern
auf einige mir besonders wichtig erscheinende Punkte
dieses Programms eingehen.

Wie wir schon öfter gehört haben, liegt der Schwer-
punkt des Programms auf der Schaffung von Stabilität
und Wachstum.

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein Europa,
das wirtschaftlich und finanzpolitisch auf festen Füßen
steht, ein Europa der Verantwortung, das sich gerade we-
gen seiner Stabilität auch Solidarität leisten kann. Dabei

müssen wir Schuldenabbau auf der einen Seite und
Wachstum auf der anderen Seite miteinander in Einklang
bringen. Hier sind mir die geplanten Maßnahmen des
Arbeitsprogramms der Kommission zum Schuldenabbau
ein wenig zu einseitig. Die Europäische Kommission
will hauptsächlich die Einnahmeseite erhöhen und ver-
nachlässigt zu stark die Ausgabenseite. Daran muss sich
etwas ändern; denn die Wachstumsagenda muss mit ei-
ner echten Konsolidierung einhergehen.

Dass dies kein Widerspruch ist, zeigt das Beispiel
Deutschland. Wir sind trotz massiver Sparanstrengungen
die Wachstumslokomotive in Europa. Gott sei Dank ha-
ben wir ein starkes Deutschland, und dies, meine Damen
und Herren, liegt sicherlich an der guten und erfolgrei-
chen Politik der christlich-liberalen Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kritisch anmerken muss ich auch, dass es die Euro-
päische Kommission offenbar nicht lassen kann, in im-
mer wiederkehrenden Abständen nach einer eigenen
Steuer als EU-Eigenmittel zu streben; nun über die Fi-
nanztransaktionsteuer, die wir und auch ich im Grund-
satz sehr begrüßen. Die Forderung nach einer eigenen
europäischen Steuer weisen wir aber ebenso hartnäckig
zurück, wie sie von der Kommission erhoben wird.

Sehr zu begrüßen ist die Absicht, die Mindestdauer
öffentlicher Konsultationen im Anschluss an einen
Kommissionsvorschlag um vier Wochen zu verlängern.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716610600

Kollege Holmeier, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Sarrazin?


Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1716610700

Gern.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716610800

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Kollege Holmeier,

Sie wissen, dass ich ein großer Freund vieler europäi-
scher konservativer Parteien bin, in vielen Bereichen
insbesondere ein großer Anhänger der Politik der polni-
schen Konservativen von Ministerpräsident Tusk. Jetzt
haben die polnischen Konservativen eine ganz andere
Position als Sie. Sie sind nämlich für die Finanztrans-
aktionsteuer, und zwar ausdrücklich als europäisches
Eigenmittel, weil sie finden, dass es den polnischen Inte-
ressen widerspricht, wenn nachher polnische Unterneh-
men über den Finanzplatz Frankfurt sozusagen zum
deutschen Steueraufkommen beitragen.


(Otto Fricke [FDP]: Wie geht das denn?)


Deswegen frage ich Sie hier, ob die Linie der Bundes-
regierung, die Finanztransaktionsteuer als europäisches
Eigenmittel zu verhindern, nicht letztlich erstens dem
gemeinsamen Interesse, dass sich möglichst viele Staa-
ten daran beteiligen, schadet und zweitens auch den Inte-
ressen der polnischen Konservativen diametral entge-
gensteht.






(A) (C)



(D)(B)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1716610900

Das ist die Meinung der polnischen Partei. Wir haben

natürlich eine andere Meinung. Wir sind dafür, dass
Europa keine eigene Steuer bekommt.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt eine Transaktionsteuer, oder nicht?)


– Ja, aber als deutsche Steuer. Wir wollen nicht, dass das
eine europäische Steuer wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass die Mindestdauer öffentlicher Konsultationen
um vier Wochen verlängert wird, habe ich schon ange-
sprochen. Dies ist angesichts der Fülle und Komplexität
vieler Vorschläge positiv zu bewerten und fördert unser
aller Ziel, Europa bürgernäher zu machen.

Als Kommunalpolitiker, der ich noch immer bin, freut
es mich natürlich besonders, dass unsere Forderungen
nach Bürokratieabbau auf europäischer Ebene nun we-
nigstens im Ansatz Gehör gefunden haben. Ich sage aber
ganz klar: Hier geht noch mehr. Unser ehemaliger baye-
rischer Ministerpräsident Edmund Stoiber hat zwar
schon einiges erreicht, aber es muss noch mehr möglich
sein.

Erfreut habe ich auch das Ziel zur Kenntnis genom-
men, einen integrierten, wettbewerbsfähigen und benut-
zerfreundlichen europäischen Zahlungsverkehr zu schaf-
fen. Hier hat der Deutsche Bundestag mit seinem
Entschließungsantrag aus dem letzten Jahr zur SEPA-
Verordnung einen überaus wichtigen Beitrag dazu ge-
leistet, dass nun die vom Rat verabschiedete Verordnung
tatsächlich nutzerfreundlich geworden ist. Danach sah es
am Anfang gar nicht aus. Das ist ein hervorragendes
Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit den
europäischen Themen zu befassen und insofern auch das
Arbeitsprogramm der Kommission sehr ernst zu neh-
men.

Abschließend möchte ich als Berichterstatter für den
Güterkraftverkehr im Verkehrsausschuss gern noch et-
was zu diesem Thema sagen. Es freut mich, dass die
Kommission einen Bericht vorlegen möchte, der die
Lage auf dem Güterkraftverkehrsmarkt analysiert. Das
erscheint mir sehr wichtig und auch dringend notwendig.

Wenn ich jedoch im Programm lese, dass gleichzeitig
ein neues Legislativpaket für den Zugang zum Güter-
kraftverkehrsmarkt und zum Beruf des Kraftverkehrsun-
ternehmers vorgelegt werden soll, dann erscheint mir
das positiv zu sehende Bestreben einer vorgeschalteten
Analyse etwas unglaubwürdig. Vielleicht sollte man hier
strategisch etwas klüger vorgehen, den Bericht zunächst
abwarten und ihn sich dann in Ruhe anschauen.

Wenn ich dann noch lese, dass Spediteure in die Vor-
schriften über den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrs-
unternehmers einbezogen werden sollen, bestätigt das
meinen Eindruck, dass hier häufig Vorschriften von Leu-
ten gemacht werden, die von der Praxis wenig Kenntnis
haben.


(Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr positiv hingegen sehe ich die Pläne zur Schaf-
fung eines einheitlichen Rahmens für die Erhebung von
Straßenbenutzungsgebühren. Auch die Überlegungen
zur Einbeziehung leichter Nutzfahrzeuge und gegebe-
nenfalls auch einer Pkw-Vignette finden meine vollste
Unterstützung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sieht,
welche Tragweite dieses Arbeitsprogramm der Europäi-
schen Kommission hat. Ich denke, das Beispiel SEPA
zeigt, wie wichtig es ist, sich frühzeitig einzubringen.
Wenn wir alle das gemeinsam ernst nehmen, dann haben
wir gute Chancen, die von der Europäischen Kommis-
sion in Angriff genommene „Europäische Erneuerung“
zu schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611000

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Stefanie Vogelsang für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stefanie Vogelsang (CDU):
Rede ID: ID1716611100

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Meine lieben

Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte
bleibt nicht mehr auf viele Punkte aufmerksam zu ma-
chen. Ich denke, die wesentlichen Dinge sind schon an-
gesprochen worden.

Ich möchte noch einmal das Arbeitsprogramm der
Kommission mit den vier Bestandteilen, in denen es auf-
gelegt ist, würdigen. Ich möchte meinen Schwerpunkt
auf den zweiten Bestandteil legen, und zwar auf die Frei-
setzung von Wachstumskräften und Solidarität. Ich
möchte ganz konkret zwei Punkte aus dem Bereich der
Gesundheitsforschung, nämlich insbesondere die Stär-
kung des Wettbewerbs – nicht aus Selbstzweck, sondern
im Hinblick auf die Qualität der Versorgung der Men-
schen in der Europäischen Union –, ansprechen.

Mir ist wichtig, am Anfang eines deutlich zu machen:
Wir sind in unserer Strategie zum Aufbau der Europäi-
schen Union nicht davon ausgegangen, dass wir uns als
Völker einfach zusammentun, sondern unsere Botschaft
war von Anfang an auf eine Friedens- und eine Werte-
gemeinschaft gerichtet. Ich glaube, dass es auch Auf-
gabe der Europäischen Kommission in diesem und im
nächsten Jahr sein muss, Werbung bei den Menschen in
den europäischen Ländern dafür zu machen, dass wir
solidarisch miteinander für diese europäische Werte-
gemeinschaft einstehen und dass wir als europäische
Völker auch den jeweiligen anderen Völkern Vertrauen
entgegenbringen.

Ich glaube, die Diskussion um die Staatsschulden-
krise in den unterschiedlichen Ländern innerhalb Euro-
pas zeigt, dass jedes Land einen anderen Schwerpunkt
setzt. In Deutschland reden wir über die Belastung des
deutschen Steuerzahlers. In Griechenland wird über die





Stefanie Vogelsang


(A) (C)



(D)(B)


Art und Weise geredet, wie die Menschen dort einge-
schränkt werden. In Frankreich wird der Schwerpunkt
auf den einen Bereich und in anderen Ländern auf an-
dere Bereiche gelegt.

Im Mittelpunkt unserer Philosophie und unseres Ge-
dankenganges steht, dass die Europäische Union der Ga-
rant für einen Wertekanon Europa ist. Die Europäische
Union ist nur möglich, wenn alle zusammenhalten und
sie innerhalb der Bevölkerung akzeptiert wird, das heißt
von den Eliten, aber natürlich auch von den einfachen
Menschen in den Ländern. Dies kommt mir etwas zu
kurz. Ich bitte herzlich darum, dass wir in Deutschland
oder in den unterschiedlichsten Ländern, die wir auf De-
legationsreisen besuchen, unser Augenmerk auf diesen
Aspekt legen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vertrauen der Völker untereinander liegt also im Inte-
resse des gemeinsamen Wertekanons und auch im Inte-
resse des gemeinsamen Wohlstandes.

Block zwei des Arbeitsprogramms der Europäischen
Kommission ist ausgerichtet auf die Unterstützung der
Kräfte des Binnenmarktes, auf das Freilegen von Wachs-
tumskräften. Das wird nicht aus Selbstzweck gemacht.
Es geht in der Europäischen Union oder in unseren De-
batten nicht darum, aus Selbstzweck diesen Wachstums-
kurs zu formulieren und aus Selbstzweck die einzelnen
Meilensteine zu setzen. Es geht ausschließlich darum,
den Wohlstand und die Lebensqualität aller Menschen,
die in Europa zusammenleben, zu stabilisieren, zu meh-
ren und auf einem hohen Stand zu halten. Deswegen
sind alle Maßnahmen, die im Binnenmarkt Wachstums-
kräfte freisetzen, von allerhöchstem Interesse für jedes
einzelne Mitglied der Europäischen Union.

Wir haben vor zwei Jahren im deutschen Parlament,
als die Debatten über Griechenland begannen, aus der
CDU/CSU-Fraktion heraus unsere Regierung aufgefor-
dert, eine Diskussion über die Gläubigerbeteiligung
beim Schuldenschnitt und über die Staatshaushaltskrise
in Griechenland zu führen. Wir haben unsere Regierung
beauftragt, über eine Gläubigerbeteiligung in den euro-
päischen Gremien zu sprechen. Heute, wenn ich es rich-
tig gesehen habe, hat die griechische Regierung mitge-
teilt, dass sich nahezu 90 Prozent der privaten Gläubiger
am Schuldenschnitt beteiligen. Ich finde, das ist ein ein-
drucksvolles Zeichen erfolgreicher deutscher Europa-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen sehe ich das sehr, sehr positiv.

Ich würde gerne einen Übergang formulieren, aber
weil mir das nicht gelingt, mache ich lieber einen
Schnitt: In dem Arbeitsprogramm der Europäischen
Union stehen 127 einzelne Maßnahmen. Mir kommt es
dabei auf einen einzelnen Punkt an, nämlich auf die
Schaffung eines einheitlichen Zugangsmarktes für inno-
vative Medizinprodukte und innovative Produkte aus
dem Bereich der Gesundheitsforschung. Ich glaube, es

ist nicht positiv, weder für die Kraft des Wachstums noch
für die Versorgung der Menschen mit diesen wichtigen
gesundheitsfördernden Gütern, dass wir 20 verschiedene
Zulassungsverfahren mit ganz unterschiedlichen Krite-
rien für den Zugang zu unseren Gesundheitsmärkten ha-
ben. Ich denke, eine Vereinheitlichung muss das Ziel
sein. Mit diesem Anliegen, dass alle Menschen in Eu-
ropa medizinisch gleich gut versorgt werden, möchte ich
schließen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611200

Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Leiharbeit verbieten und in reguläre Beschäf-
tigung umwandeln

– Drucksache 17/8794 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen auf der rech-
ten Seite des Hauses, die an der Debatte nicht mehr teil-
nehmen können, uns möglichst schnell die entsprechen-
den Bedingungen zu gewährleisten, dass ich die
Aussprache eröffnen kann.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nahezu
zehn Jahren entwickelt sich die Leiharbeit in Deutsch-
land negativ. Dank der Aufweichung von Rot-Grün
wurde das Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“
gesetzlich unterlaufen. Leiharbeit wurde zu einem Mas-
senphänomen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das erlaubt die EU-Zeitarbeitsrichtlinie!)


Seitdem versuchen wir, die Leiharbeit wieder in den
Griff zu bekommen.

Wenn ich mir anschaue, welche Konsequenzen Leih-
arbeit für die Menschen hat, werde ich regelrecht wü-
tend.


(Beifall bei der LINKEN)






Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)


Mittlerweile kratzt die Zahl der Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer an der Millionenmarke. 120 000
von ihnen müssen ihr Gehalt mit staatlicher Unterstüt-
zung aufstocken. Kaum Geld zum Leben und die Angst,
wieder keinen dauerhaften Job zu finden – das ist Alltag
für diese Menschen.

Die Zahlen sind deutlich: Der angebliche wirtschaftli-
che Aufschwung Deutschlands – in einer Zeit, in der eu-
ropaweit die Arbeitslosenzahlen steigen – ist vor allem
ein Aufschwung in der Leiharbeit. Noch im letzten Mo-
nat verzeichnete die BA die meisten offenen Stellen im
Bereich der Leiharbeit – mehr als im Handel, im Ge-
sundheits- und Sozialwesen und im verarbeitenden Ge-
werbe zusammen.

Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken; ich jedenfalls
möchte nicht an der Ausbeutung meiner Mitmenschen
beteiligt sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen das alte Gerede von einem Job um jeden
Preis endlich durch eine strukturelle Diskussion über
gute Arbeit ersetzen. Die Linke will sich mit der Leihar-
beit nicht abfinden und fordert deshalb ein Ende dieser
menschenverachtenden Form der Erwerbsarbeit.


(Beifall bei der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Mein Gott!)


Mit dieser Forderung stellen wir uns an die Seite von
über 90 Prozent der Bevölkerung, die die unterschiedli-
che Bezahlung von Beschäftigten mit gleicher Tätigkeit
innerhalb eines Betriebes für falsch halten.

Wir müssen aufhören, uns von den Wirtschaftsver-
bänden vor den Karren spannen zu lassen; denn diese
haben Leiharbeit als strategisches Instrument zum
Lohndumping und zur Spaltung von Belegschaften ge-
nutzt. Nach den völlig unzureichenden gesetzlichen Än-
derungen im vergangenen Jahr entdeckt die Wirtschaft
jetzt Werkverträge als einen neuen Weg zum Billiglohn.
Das ist eine richtige Sauerei!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen haben
eine doppelte Disziplinierungsfunktion gegenüber Be-
schäftigten, Gewerkschaften und Erwerbslosen. Selbst
wenn wir Equal Pay zurückerobert hätten: Leiharbeit-
nehmer hätten immer noch einen anderen Status als Fest-
angestellte und müssten wie befristet Beschäftigte Sorge
haben, dass sie nicht weiterbeschäftigt oder übernom-
men werden, insbesondere dann, wenn sie den Mund
aufmachen und sich für ihre Rechte einsetzen.

Leiharbeit besser zu regeln und Equal Pay einzufüh-
ren, wäre ein wichtiger erster Schritt. Wenn man aber zu
einer guten, angstfreien Arbeit kommen will, dann muss
man Leiharbeit abschaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn nur auf diesem Wege untersagt man es den Arbeit-
gebern, Leiharbeit als Instrument zur Disziplinierung

von Beschäftigten und zur Spaltung von Belegschaften
zu nutzen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Haben Sie schon mal was von sozialer Absicherung in diesem Land gehört?)


Wer einen Leiharbeitsjob nicht annehmen will, dem
droht Hartz IV als weiteres Disziplinierungsinstrument.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Mein Gott!)


Daher werden wir auch in Zukunft alles daransetzen,
dass Leiharbeit bald nur noch an einem Ort zu finden ist –
in den Geschichtsbüchern. Ich sage Ihnen: Sie werden
uns unsere Hoffnung, dass sich hier etwas ändert, nicht
nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611400

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1716611500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Krellmann hat wieder versucht, in der Öf-
fentlichkeit ein Zerrbild der Arbeitswelt entstehen zu
lassen. Die Fraktion der Linken glaubt, dass Leiharbeit
der Ursprung allen Übels in der Arbeitswelt sei. Verehrte
Kolleginnen und Kollegen, das ist beileibe nicht so.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na ja!)


Gerade einmal 3 Prozent der sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten in Deutschland sind in Zeitar-
beitsfirmen beschäftigt.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist der Punkt! 3 Prozent!)


Das zeigt sehr deutlich, dass nur ein ganz kleiner Bruch-
teil der Bürgerinnen und Bürger, die einer Arbeit nach-
gehen, in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Zusätzlich, Frau Kollegin Krellmann, ist zu verzeich-
nen, dass es sich auch bei der Zeitarbeit um reguläre, so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
handelt


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Zu Niedriglohnbedingungen!)


und die Zeitarbeit dazu angetan ist, Arbeitsspitzen in den
Betrieben abzufedern.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Dauerhafte Arbeitsplätze sind das mittlerweile!)


In dem wirtschaftlichen Aufschwung, den wir derzeit
dank der guten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregie-
rung erleben, sind natürlich mehr Arbeitsspitzen abzuar-
beiten, als wenn wir eine Rezession zu verzeichnen hät-





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


ten. Deshalb gibt es auch bei der Zeitarbeit einen
Aufschwung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Verehrte Kollegin Krellmann, dass dies zutreffend ist,
zeigt sich auch darin, dass nur 50 Prozent der Zeitarbeit-
nehmerinnen und Zeitarbeitnehmer länger als drei Mo-
nate im selben Betrieb beschäftigt sind. Das ist ein ein-
deutiges Indiz dafür, dass die Zeitarbeit zur Abarbeitung
von Arbeitsspitzen eingesetzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Weiteres ist, dass Zeitarbeit eine Brücke in den
ersten Arbeitsmarkt ist, weil sie die Chance bietet, in die
Stammbelegschaft übernommen zu werden. Gerade in
wirtschaftlich guten Zeiten, wie wir sie derzeit hier erle-
ben können, in denen eine große Nachfrage nach Ar-
beitskräften besteht, zeigt sich sehr deutlich, dass sehr
viele Zeitarbeitnehmer in die Stammbelegschaft aufge-
nommen werden.

Laut Zahlen des iGZ sind im vierten Quartal des
Jahres 2011 34,7 Prozent der Zeitarbeitnehmer in die
Stammbelegschaften der Betriebe aufgenommen wor-
den. Das zeigt sehr deutlich, dass die Zeitarbeit Chancen
eröffnet. Dies gilt auch für gering qualifizierte Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. Langzeitarbeits-
lose.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Laut iGZ-Umfrage sind sogar 70 Prozent der Zeitarbeit-
nehmer, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung
oder eine höhere Qualifizierung verfügen, in die Stamm-
belegschaft aufgenommen worden. Das zeigt sehr deut-
lich, welche Chancen in der Zeitarbeit liegen. Sie wollen
die Zeitarbeit verbieten und damit den Menschen diese
Chancen nehmen, verehrte Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Das ist doch Blödsinn!)


Ich möchte aber nicht verhehlen, dass es in der Ver-
gangenheit auch Probleme gab und dass es Situationen
gibt, über die man diskutieren muss. Die Zeitarbeit hat
sicherlich durch zu geringe Lohnabschlüsse, die zu ver-
zeichnen waren, einen schlechten Ruf bekommen. Ich
möchte aber herausstellen, dass diese Bundesregierung
dafür gesorgt hat, dass seit 1. Januar dieses Jahres ein
Mindestlohn in der Zeitarbeit Gültigkeit hat, also eine
Lohnuntergrenze eingezogen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: 7,89 Euro! Unterschiedlich in Ost und West!)


Dann gibt es Klagen darüber, dass es einen sogenann-
ten Drehtüreffekt gegeben hat, dass nämlich Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in Unternehmen ausgestellt
worden sind,


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: „Ausgestellt“? Rausgeschmissen!)


sie aber gleichzeitig das Angebot erhalten haben, für
eine betriebseigene Zeitarbeitsfirma wieder am selben
Arbeitsplatz tätig zu werden. Das ist dank dieser Bun-
desregierung seit Juli vergangenen Jahres verboten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie hat also auch hier für Ordnung im Bereich der Zeitar-
beit gesorgt.

Letztendlich gilt es, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen, daran zu arbeiten, bessere Bedingungen im Zeitar-
beitnehmerbereich zu schaffen. Diese Bundesregierung
hat sich das auf die Fahnen geschrieben. Aber zuerst
sind die Tarifparteien gefordert. Sie stehen jetzt in Ver-
handlungen – besonders die IG Metall, aber auch die an-
deren Gewerkschaften –, um hier gute Verträge auszu-
handeln und unter Umständen auch noch gleichen Lohn
für gleiche Arbeit nach drei Monaten am selben Arbeits-
platz durchzusetzen. Wir sind sehr optimistisch, dass
dies erreicht werden kann.

Wir geben der Tarifautonomie den Vorrang. Sie aber
sind nur eine Verbotspartei, die den Arbeitsmarkt letzt-
endlich stranguliert. Diesen Weg werden wir nicht mit-
gehen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611600

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus

Barthel das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1716611700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

schon richtig, dass wir das Thema Leiharbeit auf der Ta-
gesordnung halten; das gilt auch für das Thema Werk-
verträge. Denn leider steigen die entsprechenden Zahlen
weiterhin an, und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
ist besorgniserregend.

Zunächst einmal müssen wir uns die Grundsatzfrage
stellen, was für eine Arbeitswelt wir in Zukunft eigent-
lich wollen. Wollen wir die, die neulich im Spiegel – es
war in der Ausgabe 6/2012 – beschrieben worden ist?
Der Artikel „Frei schwebend in der Wolke“ stellt ein
Belegschaftsmodell vor, das bei IBM diskutiert wird.
Demnach sollen kleine Kernmannschaften ein Heer von
Auftragnehmern dirigieren, die unter den miesesten Be-
dingungen arbeiten. Das ist das Konzept „Prekarität für
möglichst viele und Sicherheit für möglichst nieman-
den“. Die Entwicklung auf unserem Arbeitsmarkt geht
in der Tendenz in diese Richtung; das muss man ganz
klar sehen.

Die Alternative ist das Modell, das uns erfolgreich
durch die Krise gebracht hat: Kurzarbeiterregelung,
Konjunkturprogramme, Arbeitszeitkonten, Flexibilität
auf der Grundlage von betrieblicher Mitbestimmung und
von gewerkschaftlichen Tarifvereinbarungen auf Augen-





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)


höhe. Das ist sozusagen das Gegenmodell. Welches Mo-
dell wir wollen, ist die erste Frage, die wir klären müs-
sen.

Die zweite Frage ist eine Grundsatzfrage, die gerade
im Zusammenhang mit Europa diskutiert worden ist.
Wollen wir tatsächlich die anderen Länder in Europa mit
unseren Exportüberschüssen plattmachen und jetzt die
Griechen, Spanier und andere zwingen, ihren Kündi-
gungsschutz abzubauen, Tarifverträge nur noch auf be-
trieblicher Ebene abzuschließen, in Tarifverträge einzu-
greifen und Löhne zu senken? Oder sagen wir, dass
unsere Vorstellung von Europa einem sozialen Europa
mit gesicherten und geregelten Arbeitsmärkten, in denen
Leiharbeit begrenzt werden muss – ich komme darauf
noch zu sprechen –, entspricht?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Straubinger, ich bin an einem Freitagnachmittag
jedes Mal gespannt, was die Koalition zu einer solchen
Debatte beiträgt. Wir erleben schließlich am Beispiel des
Mindestlohns, welch eine Inszenierung die CDU/CSU
seit Monaten hier vorführt: Sind Sie jetzt für oder gegen
den Mindestlohn? Dann verhandeln Sie vor und nach
Parteitagen untereinander.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: So etwas nennt man Demokratie, Herr Barthel!)


Dann sagen Sie: Schauen wir einmal, ob wir im März
vielleicht zu irgendeiner Einigung kommen. Aber da-
nach müssen wir erst noch mit der FDP reden.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wir sind eben keine „Basta!“-Partei, Herr Barthel! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Bei uns werden die Leute überzeugt!)


Diese Diskussion kann man doch aktuell in den Me-
dien nachverfolgen. Eine solche Inszenierung muss Ih-
nen doch langsam peinlich sein, Herr Straubinger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bezüglich der Leiharbeit haben Sie es gerade noch
einmal dokumentiert. Sie haben hier die Leiharbeit ver-
teidigt und das Hohelied auf die tollen Erfolge aufgrund
dieser Leiharbeit gesungen. Dann liest man aber in Ihrer
Vorschau auf die heutige Debatte – das ist das, was Sie
von der CSU in den Sozialausschüssen herumreichen –:
Die CSU fordert jedenfalls, dass Zeitarbeitnehmer nach
drei Monaten den gleichen Lohn erhalten müssen wie
Stammbeschäftigte. – Bravo! Dann machen Sie es doch
endlich.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das habe ich doch gerade gesagt!)


Sie erzählen, was die Stammtische hören wollen. Aber
Sie machen hier etwas ganz anderes. Das haben wir jetzt
langsam satt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich könnte noch viel zitieren. Das, was Sie machen,
erinnert mich immer ein bisschen an den Antrag auf Er-
teilung eines Antragsformulars.

Zum Antrag der Linken. Ich glaube, auch Sie müssen
sich langsam festlegen, was Sie eigentlich wollen. Wol-
len Sie Equal Pay? Oder wollen Sie die Leiharbeit ab-
schaffen? Ich glaube, das Abschaffen der Leiharbeit
würde den Betroffenen wenig helfen. Denn wenn Sie die
Unternehmen zwingen würden, die Mitarbeiter zu über-
nehmen, dann wären sie in dem Moment draußen, in
dem hier das Gesetz verabschiedet wird. Darüber hinaus
denke ich, dass so etwas in einer modernen Wirtschaft
nicht funktioniert.

Ich würde uns allen empfehlen: Nehmen wir doch
einfach die Befürworter der Leiharbeit und der Zeitarbeit
ernst, die da sagen: Wir brauchen das eben für Produk-
tionsspitzen; in einer modernen Wirtschaft muss so et-
was möglich sein. – Wir können ihnen dann entgegnen:
Produktionsspitzen sind Zeiten, in denen die Arbeit be-
sonders produktiv ist und in denen mehr Wert durch die
Nutzung des schon vorhandenen Maschinenparks ent-
steht, wodurch höhere Gewinne erzielt werden. Es ist
doch das Mindeste, dass die Leiharbeiter vom ersten Tag
an das gleiche Gehalt wie die festen Mitarbeiter bekom-
men.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Leiharbeit darf nicht billiger sein, so wie das jetzt
der Fall ist.

Klar ist: Leiharbeit wird missbraucht. Wir wissen,
dass Leiharbeiter im Durchschnitt ein Drittel bis die
Hälfte weniger an Lohn bekommen. Wir beobachten,
dass die Leiharbeit in Bereichen eingeführt wird, in de-
nen sie nichts zu suchen hat. In der Pflege, in den Kran-
kenhäusern, in der Gebäudereinigung und im Verkehrs-
bereich gibt es keine Produktionsspitzen, sondern es
handelt sich dort um Arbeit, die immer geleistet werden
muss. Hier findet eindeutig Missbrauch statt, den wir
durch gesetzliche Maßnahmen unterbinden müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Was Herr Straubinger eben erzählt hat, ist eindeutig
widerlegt. Die Lobbyistenpropaganda, dass es zu einem
Klebeeffekt kommen würde, hat das IAB schon hundert-
fach widerlegt. Es gibt so gut wie keinen Klebeeffekt,
und es gibt so gut wie keine Qualifizierungserfolge.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch!)


Es gibt so gut wie keine Maßnahmen, die dazu führen,
dass die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut wird; denn
klar ist: Betriebe, die Mitarbeiter brauchen, würden auch
Langzeitarbeitslose einstellen. Falls die Betriebe aber
keine Mitarbeiter brauchen, stellen sie auch keine Leih-
arbeiter ein.





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)


Unsere Forderungen bleiben bestehen: Begrenzung
der Leiharbeit auf ein Jahr – das haben wir in verschie-
denen Anträgen deutlich gemacht –, Equal Pay zu einem
möglichst frühen Zeitpunkt, Mindestlohn für die entleih-
freie Zeit – der muss natürlich dynamisch gestaltet wer-
den – und Synchronisierungsverbot.

Wir fordern vor allen Dingen die Ausweitung der be-
trieblichen Mitbestimmung – das haben Sie gar nicht
erwähnt –; denn auch die Betriebsräte müssen kontrollie-
ren, was in dem Betrieb, für den sie verantwortlich sind,
hinsichtlich der Leiharbeit passiert. Anders geht es nicht.
Aus dem Verleihbetrieb heraus ist so etwas nicht mög-
lich. Außerdem müssen Leiharbeitnehmerinnen und
Leiharbeitnehmer bei der Zahl der Beschäftigten berück-
sichtigt werden; denn sie ist relevant für die Größe der
Gremien.

Spannend finde ich auch das Thüringer Modell. Es
sieht vor, dass öffentliche Mittel nur dorthin vergeben
werden dürfen, wo Leiharbeit nicht missbraucht wird.
Dafür muss es klare Kriterien geben, auch bei der Ge-
währung von Zuschüssen durch öffentliche Stellen. Ich
nenne beispielsweise die Strukturmittel der EU.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Thema Werkverträge. Auch hier finden Sie nicht
den richtigen Ansatz. Sie fordern: Scheinwerkverträge
muss man verbieten. – Das Problem ist aber die Defini-
tion. Was ist denn ein Scheinwerkvertrag?


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Klar ist, dass die jetzige Rechtslage völlig unbefriedi-
gend ist, weil die Abgrenzung zwischen Scheinselbst-
ständigkeit, Dienstvertrag und Werkvertrag sehr kompli-
ziert ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat damals schon Rot-Grün nicht geschafft!)


– Herr Kolb, ich weiß, dass Sie nachher wieder mit der
Story kommen, dass das Rot-Grün zu verantworten hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben es ja nicht geschafft! – Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: So ist es ja auch!)


Das hören wir von Ihnen jedes Mal. Wir haben Ihnen
schon hundertmal gesagt: Wir haben die Entwicklung
zehn Jahre lang beobachtet und daraus gelernt, dass wir
die Regelungen korrigieren müssen. – Sie aber wollen
nichts daraus lernen. Ganz im Gegenteil: Sie wollen es
noch viel schlimmer machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Wo denn schlimmer machen? Was denn?)


Das sind die unterschiedlichen Lernprozesse, die hier zu
beobachten sind.

Beim Vorgehen gegen Scheinwerkverträge kommt es
darauf an, dass wir praktikable und kontrollierbare Kri-
terien für die Werkverträge festlegen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann stellen Sie doch einfach einmal einen Statusfeststellungsantrag!)


Solchen komplizierten Fragen stellen sich die Linken
leider nicht.

Eine letzte Bemerkung zur Tarifrunde. Herr Straubinger,
ich bin immer wieder erstaunt, dass Sie plötzlich die
Gewerkschaften loben. Wir müssen bei den jetzt anste-
henden Tarifverhandlungen doch sehen, dass eine Leih-
arbeitsregelung einen Preis hat, der bei den Lohnerhö-
hungen etwas kostet.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716611800

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1716611900

Ja. – Im Übrigen stellt sich auch die Frage: Was ma-

chen wir in den Bereichen, in denen es keine starken Ge-
werkschaften und keine entsprechenden Regelungen
gibt? Denn dort wird die Leiharbeit am meisten miss-
braucht. Sie kommen nicht drum herum, diese Frage zu
beantworten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612000

Kollege Barthel, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich ver-

rate Ihnen aber ein Geheimnis: Es folgt noch eine Kurz-
intervention der Kollegin Krellmann. Das heißt, Sie ha-
ben gleich noch einmal das Wort.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1716612100

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612200

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Barthel, vieles von

dem, was Sie gesagt haben, fand ich sehr richtig. Zu ein
paar Punkten muss ich aber etwas sagen. Wissen Sie,
dass wir auch zu Werkverträgen einen Antrag ein-
gebracht haben? Kennen Sie unseren Antrag zur Leih-
arbeit? Sie wissen, dass mir, seit ich im Bundestag bin,
die Themen Werkverträge und Leiharbeit am Herzen lie-
gen, weil ich als Gewerkschafterin weiß, was in Betrie-
ben los ist.

Sie haben nichts zu dem Kernpunkt dieses Antrags
gesagt. Er verurteilt die Disziplinierung, die in diesem
Bereich stattfindet. Es geht darum, zuerst den ersten
Schritt zu machen. Daher möchte ich Sie bitten, sich un-
seren Antrag zu den Werkverträgen anzuschauen. Als
Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales lade
ich Sie herzlich zur Anhörung zum Thema Werkverträge
ein. Sie findet am 23. April statt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612300

Kollege Barthel, möchten Sie antworten? – Bitte.






(A) (C)



(D)(B)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1716612400

Zu diesem Punkt muss man in der Tat etwas sagen.

Das konnte ich im Rahmen meiner Rede aufgrund der
knappen Redezeit nicht mehr tun.

Sie haben in der Tat viele Anfragen dazu eingereicht,
die uns viele Erkenntnisse gebracht haben.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Anträge!)


– Anfragen, aber auch Anträge. – Mich hat es über-
rascht, dass Sie nun einen solchen Antrag vorlegen. Die
Anträge werden doch nicht dadurch besser, dass man im-
mer mehr hineinschreibt und immer noch radikalere For-
derungen stellt, wie jetzt das Verbot von Leiharbeit und
Scheinwerkverträgen. Es macht mehr Sinn, sich an den
Anträgen abzuarbeiten, die Sie vorher gestellt haben;
denn diese Anträge haben mehr inhaltliche Substanz und
einen stärkeren Realitätsbezug. Es hätte sich schon ge-
lohnt, weiter daran zu arbeiten.

Die Anträge werden, wie gesagt, nicht dadurch bes-
ser, dass man immer noch etwas draufsetzt. Dadurch
kommt man doch nur von den eigentlichen Punkten weg.
Außerdem machen Sie es dadurch der Koalition leicht
– das werden Sie gleich erleben –, den Antrag abzubürs-
ten, weil Sie nicht auf dem Boden der Tatsachen und auf
der Grundlage bleiben, die Sie mit uns gemeinsam er-
arbeitet haben.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wir können doch sagen, was wir wollen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612500

Nun hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1716612600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte sehr zeiteffizient sein. Herr Kollege Barthel,
Sie müssen es ertragen, dass Sie immer wieder auf Ihre
Fehler hingewiesen werden. Sie können sich allerdings
nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben es zehn Jahre
lang beobachtet und wollen es jetzt ändern. – Denn von
den zehn Jahren haben Sie acht Jahre regiert. In dieser
Zeit hätten Sie etwas tun können.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Und zwar in der Großen Koalition!)


Erst in den letzten zwei Jahren, in denen Sie in der Op-
position sind, ist Ihnen eingefallen, dass Sie gerne alles
anders machen würden.

Frau Kollegin Krellmann und liebe Kollegen von den
Linken, Sie sollten öfter positiv denken.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Gute Antwort!)


Negatives Denken ist gefährlich. Das hat Nebenwirkun-
gen: Es schlägt aufs Gemüt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei 3 Prozent würde ich auch positiv denken!)


Ihre Anträge triefen nur so von negativem Denken. Das
gilt auch für den Antrag, der heute vorgelegt wurde. Man
merkt schon an der Sprache, dass Sie davon nicht weg-
kommen. Sie sprechen von „Leiharbeit“. Nein, das ist
Zeitarbeit. Es ist eine mögliche Beschäftigungsform in
einem ganzen Mix an Beschäftigungsformen, den wir in
unserem Land haben.

Gänzlich verbieten wollen wir die Zeitarbeit auf gar
keinen Fall. Wir wären ja auch blöd, wenn wir das täten.
1 Million Menschen haben dadurch in einer eigenen
Branche eine in der Regel unbefristete Beschäftigung
gefunden. Man muss zwischen dem befristeten Ausleih-
verhältnis und dem unbefristeten Grundbeschäftigungs-
verhältnis im Zeitarbeitsunternehmen unterscheiden. So
weit gehen Sie aber gar nicht. Ich glaube, dass Zeitarbeit
auf ein erträgliches Maß beschränkt ist: Der Anteil be-
trägt weniger als 3 Prozent der gesamten Beschäfti-
gungsverhältnisse. Aber 1 Million Menschen hat die
Zeitarbeit als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt genutzt.


(Beifall bei der FDP)


Frau Kollegin Krellmann, Sie sagen, dass die Be-
schäftigten in der Zeitarbeit zu gleichen Bedingungen
übernommen werden müssen. Das ist etwas anderes als
Equal Pay. Equal Pay hat die FDP als eine der ersten
Fraktionen im Deutschen Bundestag thematisiert, wenn
sie nicht sogar die erste Fraktion war.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neun Monate!)


Darüber kann man reden. Diese Umwandlung finde ich
aber gefährlich.

Man muss nicht viel Fantasie haben, um zu ahnen,
wie Ihr nächster Antrag aussehen wird. Sie haben ja für
alles einen Antrag. Manchmal vertreten Sie sogar die
Pro- und die Kontraposition. Ich formuliere Ihren nächs-
ten Antrag einmal ins Unreine: Die Arbeitslosigkeit wird
abgeschafft; jedes Unternehmen in Deutschland muss ei-
nen Arbeitslosen einstellen.


(Beifall des Abg. Michael Schlecht [DIE LINKE] – Gitta Connemann [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Das ist Ihre Logik! Das ist dramatisch!)


Ihrer Logik folgend muss Ihr nächster Antrag so aus-
sehen. Er wird genauso kurz und genauso einfältig sein.
Auf diese Art und Weise kann man aber keine Politik
machen. Ich glaube, die Probleme gebieten es, dass man
sich ihnen ein bisschen intensiver zuwendet.

Dass Sie noch weiter gehen und auch Werkverträge
verbieten wollen, ist aus Ihrer Sicht nur logisch. Das
wäre ein wirklich gefährlicher Eingriff in die arbeitstei-
lige Wirtschaft. Die SPD hat sich damals bei dem Ver-
such der Regelung der Scheinselbstständigkeit die Fin-
ger verbrannt. Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie das
versuchen, werden Sie aufgrund der Komplexität der





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


Wirtschaft und der arbeitsteiligen Lieferbeziehungen
scheitern. Sie würden sich die Finger verbrennen.

Zum Abschluss meiner drei Minuten Redezeit, in de-
nen niemand eine Zwischenfrage gestellt hat, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612700

Das klappt nicht immer am Freitagnachmittag.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1716612800

– rate ich uns, über die Probleme auf dem Arbeits-

markt in unserem Lande, die es gibt und geben kann,
ernsthaft zu diskutieren. Aber auf der Basis des Antrags,
den Sie heute vorgelegt haben, sollten wir das, glaube
ich, besser nicht tun.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen
ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716612900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Beate Müller-Gemmeke das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich muss gestehen: Der Antrag der
Linken irritiert auch mich.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Sie, die Linken, wollten die Leiharbeit bisher regulieren,
jetzt wollen Sie die Leiharbeit ganz verbieten. Außer-
dem geht es um Scheinwerkverträge. Ein anderer Antrag
– Sie haben es gerade angesprochen – liegt bereits vor;
aber wir haben noch nicht einmal die Anhörung dazu
durchgeführt.

Um was geht es heute eigentlich? Wir Grüne stehen
zu unseren Positionen. Wir wollen die Leiharbeit nicht
abschaffen, aber regulieren. Sie soll weiterhin zur fle-
xiblen Abfederung von Auftragsspitzen und zur Über-
brückung personeller Engpässe genutzt werden können,
aber nicht zum Nachteil der Beschäftigten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Leiharbeitskräfte müssen fair entlohnt werden und
mehr Sicherheit erhalten. Deswegen fordern wir konse-
quent Equal Pay, und zwar, Herr Kolb, nicht erst nach
neun Monaten,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach uns! Das Thema nehmt ihr uns nicht! Wir waren diejenigen, welche!)


sondern ab dem ersten Tag. Wir fordern einen Flexibili-
tätsbonus von 10 Prozent und die Wiedereinführung des
Synchronisationsverbots.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir kritisieren auch, dass die Leiharbeit vermehrt
durch Scheinwerkverträge umgangen wird. Deshalb ha-
ben auch wir vor einiger Zeit einen entsprechenden An-
trag eingebracht. Wir fordern klare Kriterien und eine
eindeutige Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werk-
verträgen. Diese Positionen sind bekannt. Bei uns Grü-
nen gibt es also nichts Neues. Ich kann Ihnen versichern,
dass wir heftig darum streiten werden.

Ich möchte die heutige Diskussion nutzen, um einen
anderen Aspekt zu erwähnen – dieser ist schon ange-
sprochen worden –: Nach der Reform der Leiharbeit im
letzten Jahr haben Sie, die Regierungsfraktionen, und die
Bundesarbeitsministerin von der Leyen die Verantwor-
tung für die Schaffung einer Equal-Pay-Regelung auf die
Tarifpartner übertragen. Sie haben den Tarifpartnern da-
für ein Jahr Zeit gegeben. Für den Fall, dass in dieser
Zeit keine tragfähige tarifliche Regelung gefunden wird,
hatte die Ministerin die Einführung einer gesetzlichen
Equal-Pay-Regelung in Aussicht gestellt. Dieses eine
Jahr ist bald vorbei. Ich frage die Regierungsfraktionen:
Wie sieht es aus? Wird es eine tarifliche Regelung ge-
ben?


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das Jahr ist noch nicht vorbei! Es hat zwölf Monate!)


– Die Frist von einem Jahr ist bald vorbei. – Wird wirk-
lich jede Branche, also auch kleine Branchen, selber
verhandeln müssen? Sind Sie, falls es keine tarifliche
Regelung geben sollte, endlich bereit, den Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gesetzlich durchzu-
setzen, oder waren Ihre Ankündigungen wieder einmal
nur schöne Sonntagsreden?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613000

Kollegin Müller-Gemmeke, gestatten Sie eine Frage

oder Bemerkung des Kollegen Weiß?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1716613100

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, nachdem Sie die

Regierungskoalition und die Regierung gefragt haben,
antworte ich nun mit einer Rückfrage an Sie: Haben Sie
zur Kenntnis genommen – es wurde auch öffentlich be-
kannt gegeben –, dass die Gewerkschaften und die Zeit-
arbeitgeberverbände, vorneweg IG Metall und Gesamt-
metall, das Thema Equal Pay auf der Tagesordnung der
zurzeit laufenden Tarifverhandlungen haben und über
Regelungen in Form von branchenbezogenen Zuschlä-
gen und über den Zeitpunkt, ab dem 100 Prozent gezahlt
werden sollen, diskutieren? Die Tarifverhandlungen
werden in diesen Tagen geführt, und man sagte uns auf
Nachfrage: Jawohl, wir sind optimistisch, eine Regelung
zu finden. Also wird das, was die Koalition angekündigt
hat, aller Voraussicht nach in diesem Frühjahr umgesetzt
werden.






(A) (C)



(D)(B)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Weiß, natürlich habe ich das mitbekom-
men.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich weiß auch, dass es in der Metallbranche bereits eine
tarifliche Regelung gibt. Aber – Kollege Barthel hat das
gerade schon angeführt –: Es kann doch nicht sein, dass
jede Gewerkschaft für ihren Bereich eine Regelung aus-
handeln muss.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das soll für alle gelten! Das soll übernommen werden! Das ist ja die Ankündigung! Was Metall macht, soll anschließend von der gesamten Zeitarbeitsbranche übernommen werden!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt nicht

im Dialog, sondern es heißt in unserer Geschäftsord-
nung: Fragen und Bemerkungen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Entschuldigung, Frau Präsidentin! – Zuruf von der FDP: Aber ich fand die wichtig!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist mir nicht bekannt, dass die im Bereich Metall
gefundene Regelung auf alle Branchen übertragen wer-
den kann; das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich
weiß nicht, wie das gehen soll.


(Klaus Barthel [SPD]: Da sind wir gespannt, Herr Weiß!)


Was wird mit den Branchen sein, in denen es keine Tarif-
verträge gibt? Was ist zum Beispiel mit den Kirchen?
Auch dort gibt es Leiharbeit und, und, und. Von daher:
Ich bin natürlich der Meinung, dass wir eine einheitliche
Regelung brauchen. Wir brauchen aber keine IG-Metall-
Regelung.


(Klaus Barthel [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Warum haben Sie denn dann nicht schon die IG-BCE-Regelung übernommen?)


– Es ist ja schön, dass Sie miteinander diskutieren; aber
ich glaube, jetzt bin ich an der Reihe.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte nicht, dass das von meiner Zeit abgeht.

Aus meiner Sicht ist eine tarifliche Equal-Pay-Rege-
lung ohnehin der falsche Weg. Die Gewerkschaften müs-
sen mittlerweile über sehr viele unterschiedliche The-
men verhandeln:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Trauen Sie denen das nicht zu? – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Das können die! Glauben Sie mir das!)


über die Übernahme von Azubis, Regelungen für Ältere,
die Übernahme von Leiharbeitskräften, die Arbeitsplatz-
sicherung und vieles andere mehr.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt muss sogar die FDP die Gewerkschaften gegen die Grünen verteidigen! So weit ist es schon gekommen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)


Je mehr Themen dazukommen – Herr Kolb stellen Sie
doch eine Frage –, umso weniger können die Gewerk-
schaften faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen
durchsetzen. Meiner Meinung nach schwächt das die
Gewerkschaften. Eine gesetzliche Equal-Pay-Regelung
hingegen würde die Gewerkschaften stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Zudem war Ihre Reform der Leiharbeit letztes Jahr
für die Beschäftigten nahezu bedeutungslos. Die Interes-
sen der Leiharbeitsbranche und der Wirtschaft aber sind
bedient worden. In der Folge ist der Trend zu immer
mehr Leiharbeit ungebrochen. Die Unternehmen profi-
tieren weiterhin doppelt: Sie erhalten Flexibilität und bil-
lige Arbeitskräfte. Die Leiharbeitskräfte hingegen leiden
unter einer doppelten Belastung: Sie verdienen weniger
und haben keinen sicheren Job. Ich bleibe dabei: Das ist
ungerecht und auch nicht fair. Leiharbeitskräfte haben
einen berechtigten Anspruch auf die gleichen Arbeitneh-
merrechte, auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen
wie alle anderen Beschäftigten auch.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht lockerlas-
sen. Wir werden Sie immer wieder an Ihr Versprechen
erinnern und konkretes Handeln einfordern. Sie sind
jetzt am Zug. Machen Sie Ernst mit Equal Pay, und zwar
mit einer gesetzlichen Regelung! Liefern Sie das, was
Sie versprochen haben!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613300

Das Wort hat die Kollegin Gitta Connemann für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1716613400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist

die Katze endlich aus dem Sack. In den letzten Jahren
haben Sie, meine Damen und Herren von den Linken,
uns fast monatlich mit Anträgen zur Zeitarbeit überzo-
gen.


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Genau! Und jetzt soll sie weg!)


Jetzt sagen Sie endlich, was Sie wirklich wollen,


(Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Weg damit!)


nämlich die Abschaffung der Zeitarbeit.





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, genau!)


Ich sage: Das ist ein starkes Stück.

Das gilt übrigens auch für das, was uns die Redner der
Oppositionsfraktionen hier bieten. Ich hatte bei dem ei-
nen oder anderen Hinweis, lieber Herr Barthel und liebe
Frau Müller-Gemmeke, schon den Eindruck, Sie seien
vom Virus der Vergesslichkeit befallen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Kollektive Demenz! Kollektive Amnesie!)


Ich erinnere daran, dass die Deregulierung der Zeit-
arbeit, die Sie immer wieder aufs Neue beklagen, 2003
eingeführt worden ist.


(Klaus Barthel [SPD]: Erzählen Sie doch mal etwas Neues! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wieso? Das ist doch interessant!)


Ich erinnere daran: Seinerzeit, 2003, hatten wir eine rot-
grün geführte Bundesregierung. Ich empfehle jedem
– auch den Gästen, die uns heute zuhören –: Messen Sie
Politiker an ihren Taten!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


An Ihren Taten messe ich auch Sie, lieber Herr
Barthel. Sie haben den Missbrauch bei der Zeitarbeit be-
klagt. Ja, es gibt einen Missbrauch bei der Zeitarbeit
– ich nenne das immer „Scheinzeitarbeit“ –, nämlich
dann, wenn Tochterunternehmen gegründet werden, um
Mitarbeiter zu niedrigeren Tariflöhnen im eigenen Un-
ternehmen zu beschäftigen. Wissen Sie, wer so etwas
macht? Zum Beispiel Mediengesellschaften der SPD wie
die Madsack-Gruppe


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha! Sehr interessant! – Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Ach, das ist doch so ein Unsinn!)


und große Unternehmen wie VW, aber auch viele an-
dere. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich dort empö-
ren, wo im Hinblick auf die Scheinzeitarbeit tatsächlich
Handlungsbedarf besteht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber dazu habe ich von Ihnen noch nie ein Wort gehört.


(Klaus Barthel [SPD]: Dann können Sie doch etwas machen, wenn Sie so gescheit sind! Das ist ja so peinlich!)


Tatsächlich verzerren Sie einmal mehr die Fakten.
Wir haben den Tarifvertragsparteien ins Stammbuch ge-
schrieben, dass sie eine Regelung zum Equal Pay verein-
baren sollen. Die Tarifvertragsparteien stehen in
Verhandlungen. Wir tun das, weil das Wort „Tarifauto-
nomie“ für uns mehr ist als eine bestimmte Anzahl
schwarzer Buchstaben. Vielmehr geht es dabei um ein
Grundrecht, und dieses Recht ist im Grundgesetz veran-
kert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die richtige Zeitarbeit hat ungeheuer viel für unseren
Arbeitsmarkt getan. Hinter der richtigen Zeitarbeit ste-
hen bestimmte Wahrheiten, und ich bitte Sie, diese end-
lich zur Kenntnis zu nehmen:

Erstens. Zeitarbeitnehmer sind vollwertige Beschäf-
tigte mit einem ganz normalen Arbeitsvertrag – in der
Regel unbefristet.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aufstocker!)


Zweitens. Es gilt das allgemeine deutsche Arbeits-
recht. Zeitarbeitnehmer haben dieselben Schutzrechte
wie alle anderen Beschäftigten. Sie haben übrigens kein
spezielles Kündigungsrecht.

Drittens. Fast 100 Prozent der Zeitarbeitnehmer wer-
den nach Tariflöhnen bezahlt, davon übrigens drei Vier-
tel nach DGB-Tarifverträgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was wissen Sie eigentlich von der Situation der Beschäftigten?)


Viertens. Es gibt in der Zeitarbeitsbranche eine Lohn-
untergrenze, die von der christlich-liberalen Koalition
eingeführt wurde. Das niedrigste Einstiegsgehalt für Un-
gelernte liegt bei 7,89 Euro pro Stunde. Begehrte Spe-
zialisten können mehr als 80 000 Euro im Jahr verdie-
nen. Es gibt viele Branchen, in denen das Lohnniveau
unterhalb des Lohnniveaus der Zeitarbeitsbranche liegt.
Ich nenne beispielhaft das Fleischerhandwerk in Nord-
rhein-Westfalen oder den Einzelhandel in Bremen.

Fünftens. In Deutschland gilt anders als im Rest Euro-
pas das Arbeitgebermodell. Zeitarbeitnehmer erhalten
ein festes Einkommen, übrigens auch in Zeiten des
Nichteinsatzes.

Sechstens. Die Zeitarbeit steht für die gesamte Fülle
des Arbeitsmarktes, vom Hilfsarbeiter bis zum IT-Exper-
ten.

Siebtens. Die Zeitarbeit holt Menschen aus der Ar-
beitslosigkeit. 65 Prozent der neu eingestellten Zeitar-
beitnehmer waren vorher ohne Beschäftigung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Achtens. Fast ein Drittel der Zeitarbeitnehmer hat
keine abgeschlossene Berufsausbildung und erhält über
die Zeitarbeit die Möglichkeit der Qualifizierung im Job.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mich überzeugt das, was die Kollegin da sagt!)


Neuntens. Stammbelegschaften werden nicht ver-
drängt. In Deutschland gibt es gut 29 Millionen sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigte, davon 800 000 Zeit-
arbeitnehmer. Damit ist eine Verdrängung allein schon
rechnerisch nicht möglich.


(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


– Hören Sie einfach zu, und schreien Sie nicht.





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)


Zehntens. Jedes Zeitarbeitsunternehmen benötigt eine
Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit. Bei Verstößen
kann diese jederzeit entzogen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das sind zehn Wahrheiten über die Zeitarbeit. Alle
Zahlen belegen das, aber das ficht Sie ja nicht an.

Meine Damen und Herren von der Linken, liebe Frau
Krellmann, wenn Sie Ihre juristischen Hausaufgaben ge-
macht hätten, dann müssten Sie das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts aus dem Jahre 1967 kennen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin keine Juristin wie Sie!)


Seinerzeit galt ein Verbot der Zeitarbeit, wie Sie es heute
fordern. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dieses
Verbot für verfassungswidrig. Es sei nicht mit dem
Grundrecht der freien Berufswahl vereinbar. Dieses Ur-
teil wurde von Ihnen geflissentlich ignoriert. Ich habe
gerade Ihre Zwischenbemerkung gehört, Sie seien keine
Juristin.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin Volkswirtin und Gewerkschaftssekretärin!)


Das ist aber eine vollständige Bankrotterklärung. Denn
Tatsache ist, dass sich der Gesetzgeber an Recht und Ge-
setz halten sollte, insbesondere an das Grundgesetz –
selbst Sie, Frau Kollegin Krellmann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch das Europarecht spielt für Sie keine Rolle. Ein
Verbot der Zeitarbeit auf nationaler Ebene würde auch
gegen dieses verstoßen, nämlich gegen die EU-Leih-
arbeitsrichtlinie. Dort heißt es übrigens in der Präambel
– ich zitiere –:

Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibili-
tätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Be-
dürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu
vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Ar-
beitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Einglie-
derung in den Arbeitsmarkt bei.

So die Leiharbeitsrichtlinie.

Das interessiert Sie aber nicht. Ihnen geht es vielmehr
um Ideologie.

Das zeigt übrigens auch Ihre zweite Forderung. Sie
wollen die Kundenunternehmen gesetzlich zwingen,
Zeitarbeitnehmer zu übernehmen. Das ist selbst für Ihre
Verhältnisse wirklich grotesk. Dabei will ich Sie gar
nicht mit rechtlichen Hinweisen langweilen. Ich könnte
wieder unsere Verfassung anführen: Art. 2 – die Privat-
autonomie – und Art. 12 des Grundgesetzes usw. Mit
dieser Forderung missachten Sie die Grundrechte ekla-
tant; das interessiert Sie aber nicht.

Für mich bleibt damit nur folgendes Fazit: Nach Ih-
rem Willen, nach Ihrem Antrag, soll der Gesetzgeber zu-
künftig bestimmen, welche Mitarbeiter ein Unternehmen
einstellen soll. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft

überhaupt nichts mehr zu tun. Das wäre ein weiterer
Schritt in Richtung sozialistische Planwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Linken:
Wollen Sie wirklich zurück zum System der DDR? Wol-
len Sie, dass der Ein-Parteien-Staat die Wirtschaft plant,
übrigens mit bekanntem Ausgang und Erfolg? Das kann
tatsächlich nicht Ihr Ernst sein.

Das ist es auch nicht; denn Sie vertrauen darauf, dass
wir Ihren Antrag ablehnen, und das werden wir auch tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich hätte auch gerne einmal so viel Redezeit wie Sie, damit ich Ihnen das erklären kann! – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613500

Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1716613600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Gute, das man über Ihren Antrag sagen kann, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ist


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er ist kurz!)


– in der Tat, lieber Kollege Kolb, er ist kurz –, dass er
ehrlich ist: Sie wollen die Zeitarbeit verbieten. Das
Schlechte, das man über Ihren Antrag sagen kann, ist:
Das ist nicht nur in der Sache falsch, sondern das ist
auch handwerklich unbefriedigend umgesetzt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wurden auch die Fünfjahrespläne in der DDR gemacht!)


Das fängt damit an, dass Sie die Fakten in Ihrer
Begründung falsch darstellen. Sie sagen, jeder zwölfte
Zeitarbeiter müsse wegen der Lohnhöhe aufstocken,
deswegen, weil sein Lohn nicht zum Leben reicht. Dabei
ignorieren Sie ein weiteres Mal – wir haben das schon
sehr häufig diskutiert; das wissen Sie so gut wie wir –,
dass die meisten Menschen, die trotz Vollzeit in
Deutschland ergänzendes Hartz IV bekommen, dies des-
halb bekommen, weil sie eine große Familie haben.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Wir können stolz darauf sein, dass wir als Gesellschaft
das solidarisch gewährleisten. Es liegt also nicht an der
Lohnhöhe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, an
einigen Stellen verstehe ich zudem nicht ganz, wie Sie
sich das vorstellen. Sie sagen, Sie wollen die Zeitarbeit
verbieten und alle Zeitarbeitnehmer, die gerade in einem
Entleihbetrieb im Einsatz sind, müssen von diesem fest
angestellt und übernommen werden. Selbst wenn man
die Zeitarbeit verbieten wollte: Was ist denn mit denjeni-
gen, die gerade in einer Verleihpause sind? Die sind





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)


dann arbeitslos. Insofern könnte man sagen: Ihr Antrag
würde zu Arbeitslosigkeit per Gesetz führen. Ich glaube
nicht, dass Sie das wollen. Ich habe den Eindruck: Rich-
tig durchdacht ist Ihr Antrag nicht.

Unabhängig von den Inkonsistenzen stört mich der
Antrag natürlich vor allem in der Sache. Ich verstehe
wirklich nicht – ich meine das ganz ernst –, wie Sie nicht
sehen können, dass die Zeitarbeit eine Branche ist, die
– das wurde von meinem Kollegen Kolb eben schon ge-
sagt – Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt er-
möglicht.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das haben wir doch schon gesagt: Das stimmt nicht!)


Man muss es noch einmal betonen – denn ich verstehe
nicht, wie Sie an diesem Fakt vorbeigehen können –:
Zwei Drittel der Zeitarbeiter kommen aus der Beschäfti-
gungslosigkeit, und 40 Prozent derjenigen, die in der
Zeitarbeitsbranche arbeiten, haben keine berufliche Qua-
lifikation. Sie hätten es am Arbeitsmarkt ansonsten
enorm schwer. Für sie ist die Zeitarbeit eine enorme Ein-
stiegschance. Das sollten wir in Deutschland nicht zer-
stören.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man muss auch sagen: Das deutsche Arbeitgebermo-
dell, das wir erhalten wollen und das Sie von der ver-
sammelten Opposition nicht mehr wollen – auch diejeni-
gen nicht, die die Zeitarbeit erhalten wollen –, sorgt eben
dafür, dass Zeitarbeit eine reguläre sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung ist. Frau Kollegin Müller-
Gemmeke, Sie wollen das immer abschaffen. Ich frage
mich: Warum sehen Sie nicht, dass der Unterschied zum
Beispiel zwischen dem Modell in Frankreich und unse-
rem Modell ist: Wenn in Frankreich ein Zeitarbeiter
krank wird, dann verliert er seine Stelle. In Deutschland
erhält er Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.


(Klaus Barthel [SPD]: Normalerweise wird ihm gekündigt!)


Das ist doch etwas Gutes, und das sollten wir erhalten.
Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie gegen das deutsche
Arbeitgebermodell der Zeitarbeit so zu Felde ziehen
können.

Es ist richtig: Wir müssen Missbrauch verhindern.
Deshalb ist es gut, dass diese Koalition den Weg zu einer
Lohnuntergrenze, die von den betroffenen Tarifpartnern
in der Zeitarbeit ausgehandelt wurde, freigemacht hat,
und es ist auch gut, dass wir den Weg hin zu Equal Pay
nach klug bemessener, ausreichend langer Frist gehen
wollen. Die Tarifpartner sind gerade dabei.

Liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, ich habe nicht
verstanden, wie Sie danach rufen können, dass die Poli-
tik das übernehmen soll. Das ist ein weiteres Beispiel,
bei dem ich mich frage, ob es nicht eine etwas seltsame
Situation ist – darüber sollten Sie nachdenken –, wenn
wir von der Regierungskoalition die Gewerkschaften
und die Tarifpartner vor Ihnen und Ihrem politischen
Handeln beschützen müssen. Ich glaube, das ist eigent-
lich nicht in Ihrem Sinne, aber in der Diskussion über die

Zeitarbeit vertreten Sie diese Position immer wieder. Ich
habe dafür kein Verständnis.

Die Tarifpartner sollen den Bereich Equal Pay regeln.
Sie können besser entscheiden, was die beste Lösung für
die Menschen ist. Deshalb muss das von ihnen verein-
bart werden. Es ist gut, dass sie sich auf diesen Weg ge-
macht haben und dass wir das politisch angeschoben ha-
ben.

Man kann also zusammenfassend sagen – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613700

Kollege Vogel, das mit der Zusammenfassung klappt

jetzt nicht mehr.


Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1716613800

Gut. Man kann in einem Satz, Frau Präsidentin, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716613900

Der auch einen Punkt hat.


Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1716614000

– zusammenfassend und etwas zugespitzt sagen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Leih-
arbeit ist Zeitarbeit, und Zeitarbeit ist gut. – Das sollten
Sie sich einmal ins Stammbuch schreiben lassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716614100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8794 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Situation von Roma in der Europäischen
Union und in den (potentiellen) EU-Beitritts-
kandidatenstaaten
– Drucksachen 17/5536, 17/7131 –

Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716614200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Drit-

ten Reich wurden von Deutschland im Rahmen des Ho-





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


locaust in einem Völkermord an den Sinti und Roma in
Europa 500 000 Menschen ermordet. Wer „Nie wieder
Auschwitz“ sagt, der muss auch sagen: Nie wieder Dis-
kriminierung von Sinti und Roma, und zwar in Deutsch-
land und in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Und nie wieder Krieg!)


Die gesellschaftliche Situation von Sinti und Roma in
unserem Land und von Roma in den Mitgliedstaaten und
Beitrittsstaaten der Europäischen Union zeigt: In vielen
Staaten ist die Lage katastrophal. In Deutschland ist sie
dramatisch schlecht.

Was sagt die Bundesregierung in ihren Antworten auf
die Große Anfrage und eine Kleine Anfrage zur Roma-
Strategie der Bundesregierung? – Ich weiß nichts. Ich
will nichts wissen. Ich tue auch nichts.

Die von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ mitfinanzierte Bildungsstudie sagt über die Si-
tuation deutscher Sinti und Roma: Nicht einmal 20 Pro-
zent haben eine berufliche Ausbildung. Fast die Hälfte
hat keinerlei Schulabschluss, und 13 Prozent der Kinder
besuchen nicht einmal eine Schule. 45 Prozent bekom-
men keine Unterstützung zum Beispiel bei Hausaufga-
ben. Dabei ist doch die Bildung der zentrale Schlüssel
für die Integration wenigstens der nachfolgenden Gene-
rationen der Sinti und Roma in Deutschland.

Was gibt die Bundesregierung zum Besten, nachdem
sie ursprünglich in ihrer Antwort auf die Anfrage völlige
Unwissenheit vorgeschützt hat? Ich zitiere:

Die Bundesregierung vermutet, dass die Einschät-
zungen der beiden

– von uns zitierten –

Studien, dass die Bildungsbeteiligung und Bil-
dungserfolge von Sinti und Roma in Deutschland
unterdurchschnittlich sind, nicht ganz unbegründet
sind. Die Verbesserung der Bildungssituation von
Sinti und Roma in den genannten Bereichen fällt
– sofern überhaupt staatliche Aufgabe – überwie-
gend in die Zuständigkeit der Länder.

Dabei belässt sie es dann. Das „sofern überhaupt staatli-
che Aufgabe“ muss man sich auf der Zunge zergehen
lassen.

Wir werden unserer historischen Verantwortung und
der dramatischen Benachteiligung von Sinti und Roma
in unserem Land nicht gerecht. Wir haben dabei eine
große Verantwortung, zunächst einmal für die Men-
schen, die hier bei uns leben, aber auch dann, wenn wir
die massiven Menschenrechtsverletzungen, die die Bun-
desregierung in ihrer Antwort – zu Recht – konzediert,
in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union kri-
tisieren. Wie können wir diese Kritik glaubwürdig vor-
tragen und von diesen Ländern verlangen, die Entmie-
tung von Roma-Familien in den Städten Osteuropas und
den Ausschluss von der Gesundheitsversorgung zu been-
den und Maßnahmen zu ergreifen, damit Kinder von

Roma-Familien nicht per se in Sonderschulen landen, in-
dem man durch frühkindliche Erziehung dafür sorgt,
dass sie die Sprache des Umgebungsvolkes erlernen, da-
mit sie eine Chance haben, in den Schulen Erfolge zu er-
zielen, wenn wir selber die Hände in den Schoß legen?
Bei allen Maßnahmen, zu denen wir uns in der Europäi-
schen Union verpflichtet haben, haben wir Argumente:
Für die Gesundheitsversorgung gibt es bei uns die Kran-
kenkassen. Für die Bildung sind die Länder und die
Schulen zuständig. Was Integration angeht, kümmern
wir uns nicht um spezifische Gruppen.


(Serkan Tören [FDP]: Das ist so!)


– Wie können Sie sagen: „Das ist so“? Wir verlangen
von anderen Ländern, dass sie sich der spezifischen Pro-
blematik dieser Minderheiten annehmen, und prangern
das Problem des Antiziganismus an, das keine osteuro-
päische Besonderheit ist, sondern, genauso wie der Anti-
semitismus, auch in unserem Land vorhanden ist. Wir
fordern, dass sie etwas tun. Dabei sind wir selber keinen
Deut besser.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, unsere historische Verant-
wortung gebietet, dass wir hier etwas tun.

Wir müssen auch bei den ausländerrechtlichen und
aufenthaltsrechtlichen Fragen etwas tun. Wenn man
sieht, dass die Kinder von Roma-Familien im Kosovo
nicht eingeschult werden, dass die Wohnungssituation in
vielen Regionen des Kosovo für Roma-Familien nicht
geregelt ist, dass es dort eine dramatische Benachteili-
gung vonseiten des Staates und der Gesellschaft gibt und
dass viele dieser Roma-Familien seit Jahren hier leben
und viele Kinder hier geboren sind, finde ich: Wir müs-
sen mit der Abschiebung Schluss machen. Wir müssen
uns um die Integration kümmern und diesen Menschen
eine Chance geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ganz zum Schluss: Es gibt in meinem Wahlkreis un-
weit meiner Wohnung ein wunderbares Projekt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716614300

Kollege Beck, versuchen Sie, es ganz kurz zu ma-

chen. Ich weiß, die Redezeit ist ungerecht.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716614400

Dieses Projekt nennt sich Amaro Kher, Unser Haus.

Dort werden Kinder aus Roma-Familien, die keinen
Aufenthaltsstatus haben, beschult. Der Erfolg ist sagen-
haft. Diese Kinder merken erstmals, dass sich Bildung
lohnt, dass es Spaß macht, etwas zu lernen, und dass sie
eine Chance bekommen.

Viele erfolgversprechende Bildungskarrieren werden
aber wieder abgebrochen, weil die Familie von Abschie-
bung bedroht ist. Die Kinder sind durch die Situation in
der Familie traumatisiert und kommen dann nicht zur
Schule, oder sie werden durch das Umziehen von einem





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Asylbewerberheim zum nächsten herumgeschubst und
am Schulbesuch behindert.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716614500

Kollege Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716614600

Damit müssen wir Schluss machen.


(Zuruf des Abg. Serkan Tören [FDP])


– Herr Kollege, wir haben in Nordrhein-Westfalen dafür
gesorgt, dass durch ein sehr differenziertes Verfahren die
Abschiebung der Roma dort faktisch beendet wird.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Von wegen!)


– Sagen Sie einmal, wie viele wo abgeschoben werden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716614700

Kollege Beck, diese Debatte müssen Sie jetzt bitte auf

die Ausschussberatungen verschieben.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716614800

Ich fordere uns alle auf, in diesem Zusammenhang

keine Parteipolitik zu machen,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein!)


sondern sich unserer historischen Verantwortung be-
wusst zu werden. Wir machen hier keine Parteipolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mir geht es um die Situation der Menschen. Sie sollten
sich dieses Problems annehmen. Die Antwort der Bun-
desregierung zeigt, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716614900

Kollege Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716615000

– dass Sie da noch viel zu tun haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es steht

außer Zweifel, dass wir uns hier mit einem sehr wichti-
gen Thema beschäftigen und dass wir dieses Thema
auch differenziert betrachten müssen. Ich bitte Sie trotz-
dem, mich nicht dazu zu zwingen, diesem Thema und
der entsprechenden Behandlung durch Intervention bei
erheblichem Überschreiten der Redezeit zu schaden.
Lassen Sie uns das jetzt also bitte miteinander so debat-
tieren, dass wir dann auch in die Ausschussberatungen
gehen können, ohne dort Verletzungen aufarbeiten zu
müssen.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])


Nun hat der Kollege Peter Beyer aus der Unionsfrak-
tion das Wort.


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1716615200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Ich
glaube, ich unterschreite meine hier angezeigte Redezeit
von zwölf Minuten bei weitem.

Auch heute ist die Diskriminierung von Minderheiten
in Europa immer noch anzutreffen. Dies ist ein zutiefst
beklagenswerter Zustand, an dessen Überwindung wir
alle – die Regierungen, die Nichtregierungsorganisatio-
nen und auch alle Teile der Zivilgesellschaft – arbeiten
müssen.

Besonders auffällig ist die Diskriminierung der Roma.
So sind Roma oftmals überproportional von Armut und
sozialer Ausgrenzung betroffen. Die Gründe dafür liegen
meistens in tief verwurzelten Vorurteilen, welchen sich
die Roma schon seit sehr, sehr langer Zeit leider immer
noch ausgesetzt sehen. Insbesondere in einigen osteuro-
päischen Staaten geht die soziale Ausgrenzung oftmals
mit einer räumlichen Ausgrenzung einher. In isolierten
Siedlungen leben die Menschen meistens unter unwürdi-
gen Bedingungen mit einer unzureichenden medizini-
schen Versorgung.

Leider ist es daher wenig überraschend, dass viele
Roma nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten besitzen,
sich weiterzubilden bzw. ihren Kindern den so wichtigen
Zugang zur Schulbildung zu ermöglichen. Daraus ergibt
sich wiederum die schlechte Ausgangslage für die spä-
tere berufliche Entwicklung. Somit setzt sich die Armut
vieler Roma über Generationen fort. Prekäre Lebensver-
hältnisse bleiben bestehen. Ein Ausstieg aus diesem Ar-
mutskreis durch berufliche Weiterentwicklung ist nur
sehr schwer erreichbar.

Ebenfalls versuchen rechtsextreme Parteien – das ist
besonders beklagenswert –, die Roma zu stigmatisieren
und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Selbst vor gewalt-
samen Aktionen gegen Angehörige der Roma wird dabei
nicht zurückgeschreckt.

Dies ist ein untragbarer Zustand, der entschiedene
Gegenmaßnahmen erfordert. Schließlich ist es eine be-
sondere europäische Verantwortung, jedem Menschen,
unabhängig von Ethnie, Religionszugehörigkeit oder
auch Herkunft, Sicherheit und Entwicklungschancen zu
gewähren.

Ich hatte erst kürzlich Gelegenheit, mich mit Vertre-
tern der Roma aus Ungarn hier im Deutschen Bundestag
persönlich auszutauschen. Meine Gesprächspartner lob-
ten die Anstrengungen, welche durch den EU-Rahmen
für nationale Strategien zur Integration der Roma bis
2020 unternommen werden. Dieser wurde 2011 von der
damaligen ungarischen Ratspräsidentschaft initiiert und
wird weiterhin mit Nachdruck vorangetrieben. Wichtig
war es den Roma-Vertretern, darauf hinzuweisen, dass
diese Anstrengungen nicht nachlassen, um mittelfristig
die soziale Integration ihrer Volksgruppe in die jeweili-
gen Mehrheitsgesellschaften zu erreichen.

Die Bundesregierung hat die Wichtigkeit der Integra-
tion von Roma seit langem erkannt. Daher engagiert sie
sich für die Verbesserung der Situation dieser Menschen
im Rahmen der europäischen Institutionen sowie bilate-





Peter Beyer


(A) (C)



(D)(B)


ral in Zusammenarbeit mit Partnerregierungen, Nichtre-
gierungsorganisation und Menschenrechtsgruppierun-
gen. Im Rahmen der Europäischen Union haben sich seit
dem Jahre 2007 der Europäische Rat, der Rat der Euro-
päischen Union, das Europäische Parlament sowie die
Europäische Kommission bereits verstärkt mit der Inte-
gration der Roma befasst. Besonders die Leitinitiative
Europäische Plattform gegen Armut, die Bestandteil der
2010 verabschiedeten Strategie Europa 2020 ist, setzt
dabei richtige Signale.

Der bereits erwähnte EU-Rahmen bietet den Mit-
gliedstaaten wertvolle Hilfestellung auf einer breiten eu-
ropäischen Basis. Dabei ist äußerst begrüßenswert, dass
diese Entscheidungen auf eine Berücksichtigung der Be-
lange der Roma in allen relevanten Politikbereichen set-
zen. Beispielsweise wird dem Zugang zu Bildung – das
hatte der Kollege Beck schon erwähnt – besondere Be-
deutung beigemessen. So ist es das erklärte Ziel, dass
Kinder aus Roma-Familien zumindest die Grundschule
erfolgreich abschließen.

Letztendlich kann nur ein umfassender und integrati-
ver Ansatz in den zentralen wirtschaftlichen und sozia-
len Fragen eine fortlaufende Verbesserung der Situation
der Roma im Hinblick auf Chancengleichheit ermögli-
chen. In seiner Straßburger Erklärung vom 20. Oktober
2010 hat der Europarat ebenfalls grundlegende Weichen
für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingun-
gen der Roma gestellt. Der in diesem Rahmen verab-
schiedete Prioritätenkatalog bietet einen übergreifenden
Ansatz insbesondere in den Bereichen Nichtdiskriminie-
rung und Staatsbürgerschaft, soziale Einbeziehung sowie
internationale Zusammenarbeit. Klar ist bei all dem, dass
sich die dauerhafte Verbesserung der Lebensbedingun-
gen der Roma nur gesamteuropäisch erreichen lassen
kann.

Die Bundesregierung setzt daher den Schwerpunkt ih-
res Engagements bewusst und richtigerweise auf einen
multilateralen Ansatz. Dem liegt die Überzeugung zu-
grunde, dass nur mittels gemeinsamer Anstrengung der
europäischen Länder, welche über die grundsätzlich na-
tionale Verantwortlichkeit der Staaten für Minderheiten-
schutz hinausgeht, eine effektive Integrationsförderung
zugunsten der Roma gelingen kann. Ergänzend themati-
siert die Bundesregierung im bilateralen Dialog mit den
europäischen Partnerländern die Situation der Roma und
anderer ethnischer Minderheiten. Ziel muss es sein, den
Roma bei der eigenständigen Verbesserung ihrer jeweili-
gen Lebensumstände zu helfen und sie vor jeglicher Dis-
kriminierung zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen,
gilt es letztendlich, gegen Stereotype und Ressentiments
vorzugehen. Diese sind eine der Hauptursachen für die
schwierige Lage der Roma, wie sie heute leider noch be-
steht.

Wer einem Menschen mit Vorurteilen begegnet und
ihn deshalb kategorisch ablehnt oder ihm aufgrund sei-
ner Herkunft negative Wesensmerkmale zuordnet, wird
diesem Menschen auch keine fairen Chancen einräumen.
Die Auseinandersetzung mit Vorurteilen erfordert konti-
nuierliche Anstrengungen und setzt Durchhaltevermö-

gen voraus. Tiefverwurzelte Vorurteile lassen sich leider
– das wissen wir alle – nur sehr langsam beseitigen.

Wir müssen auch strukturelle Hindernisse überwin-
den, wenn wir den Roma Perspektiven für das berufliche
Weiterkommen aufzeigen möchten. Damit meine ich
insbesondere die Verbesserung der Bildungssituation,
die den Schlüssel für einen eigenständigen Aufstieg in
der Gesellschaft darstellt. Dass ein solcher eigenständi-
ger Aufstieg gelingen kann, habe ich in meinem Wahl-
kreis erfahren. Ich habe dort Kontakt zu einer Roma-Fa-
milie, welche aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns
nach Deutschland gekommen ist. Diese Familie lebt be-
reits seit einigen Jahren hier bei uns in Deutschland und
hat alle Hürden, mit denen Einwanderer oftmals zu tun
haben, erfolgreich gemeistert. Mittlerweile hat es diese
Familie geschafft, sich erfolgreich mit einem kleinen Fa-
milienunternehmen in die Selbstständigkeit zu begeben.

Bei allen kritikwürdigen Umständen und noch zu
lösenden Problemen müssen wir auch die positiven Bei-
spiele benennen, welche zeigen, dass es für jede Minder-
heit, auch für die Roma, möglich ist, ihre Lebenssitua-
tion in Europa und auch hier bei uns in Deutschland
eigenständig zu verbessern. Abschließend möchte ich
sagen, dass es unsere vorrangige Aufgabe dabei ist, für
einen entsprechenden Rahmen zu sorgen, in dem diese
Entwicklung möglich ist.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615300

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Graf

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1716615400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
20 Jahren hat man beschlossen, für die von den Nazis er-
mordeten Sinti und Roma ein Mahnmal im Berliner
Tiergarten zu errichten. Damit wurde erst vor drei Jahren
wirklich begonnen. Derzeit ist das Ganze noch eine Bau-
grube. Man streitet wieder einmal ums Geld. Entspre-
chende Meldungen standen vor einigen Tagen in den
Zeitungen.

Lassen Sie mich sagen, dass ich hoffe, dass wir es,
wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann angekündigt
hat, im nächsten Winter einweihen können. Ich denke, es
wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass wir die vielen er-
mordeten Sinti und Roma eben nicht vergessen wollen,
und es wäre auch ein Zeichen gegen Rassismus in unse-
rer Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage aber auch: Vonseiten der Bundesregierung muss
es dazu mehr geben als ein Faltblatt und eine Broschüre.
Die Errichtung dieses Mahnmals muss intensiv begleitet
werden.





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)


Zur heutigen Debatte. Heute diskutieren wir eine
Große Anfrage der Grünen zur Situation der Roma in der
Europäischen Union und in den Staaten potenzieller EU-
Beitrittskandidaten. Ich erinnere mich sehr gut an die be-
eindruckende Rede von Zoni Weisz zum Gedenktag für
die Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 2011.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Beeindruckend, das stimmt!)


Er hat eben nicht nur über die Vergangenheit gespro-
chen, sondern auch die heutige Lebenssituation von Sinti
und Roma in der EU und insbesondere in osteuropäi-
schen Ländern als menschenunwürdig bezeichnet. Wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, haben damals diese Rede
von Zoni Weisz aufgenommen und einen daran anknüp-
fenden Antrag verfasst. Leider wurde er von der Mehr-
heit dieses Hauses abgelehnt. Ich freue mich deshalb
sehr, dass die Grünen die Mahnung aus dieser Rede in
ihrer Großen Anfrage mit aktuellen Zahlen zu Vorgän-
gen in ganz Europa unterfüttert haben. Freude empfinde
ich auch deshalb, weil sich auch die Bundesregierung
und die sie tragenden Parteien nochmals mit diesem
schwierigen Thema beschäftigen mussten.

Beim Lesen der Antworten der Bundesregierung wird
einem sehr klar: Der Umgang vieler EU-Staaten mit der
größten europäischen Minderheit ist sehr kritisch zu se-
hen. Ich nenne nur einige Beispiele:

Frankreich ist ganz offensichtlich nur knapp einem
Vertragsverletzungsverfahren wegen Verletzung der
Freizügigkeitsrichtlinie entgangen.

In Italien besuchen 75 Prozent der Roma-Kinder
keine Schule. Die Roma sind in Camps offensichtlich
sehr schlecht untergebracht. Dadurch verfestigt sich
– ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage – „die irrige Vorstellung von einer
nomadischen Lebensweise“ und der schlechten Inte-
grierbarkeit der Roma. Hier versagt aus meiner Sicht,
wie auch in anderen Zusammenhängen, der italienische
Staat. Die Bemerkung sei erlaubt: Ein bisschen weniger
„Bunga, bunga!“ und ein bisschen mehr Anstrengungen
für die Integration von Menschen wären hier vielleicht
eine gute Sache gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Tschechien stellte im Jahre 2009 eine neonazisti-
sche Partei ihre als wissenschaftlich deklarierte Schrift
„Die Endlösung der Zigeunerfrage in den böhmischen
Ländern“ ausgerechnet auf dem Gelände des ehemaligen
Roma-Lagers in Lety bei Pisek vor. Ich finde es sehr er-
freulich, dass derzeit gegen diese Neonazis ermittelt
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Tatsache ist aber auch, dass es solche Tendenzen überall
gibt.

Relativ finster wird es, wenn es um die Situation in
Ungarn, in Bulgarien und in Rumänien geht. Der Anti-

ziganismus wird in beunruhigender Weise immer salon-
fähiger, und das trotz zahlreicher guter Initiativen, Inter-
ventionen und Programme der Europäischen Union. Was
den restlichen Balkan betrifft, weiß ich auch aus eigener
Anschauung, wie schwierig die Situation der Roma zum
Beispiel in Mazedonien ist. Wer einmal in einem solchen
Dorf war, in dem Roma leben, der weiß, wovon ich spre-
che. Ich habe dies schon in meiner letzten Rede zu die-
sem Thema sehr deutlich gemacht.

Es muss uns klar sein – da hoffe ich auf die Zustim-
mung des ganzen Hauses –: Die humanitären Mittel im
Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa dürfen im
kommenden Jahr nicht gekürzt werden. Ich möchte mich
ausdrücklich bei unserem ehemaligen Kollegen
Christian Schwarz-Schilling für seinen Einsatz für serbi-
sche Roma bedanken


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und bin als Vorstandsmitglied der Organisation Help
stolz, dass auch wir über gute Projekte in Serbien den
Menschen helfen konnten. Dies ist umso wichtiger, als
das Einkommen von Roma in Serbien laut Antwort der
Bundesregierung um 48 Prozent niedriger liegt als das
der „normalen“ Serben. Wie soll ein Mensch vernünftig
und gesellschaftlich integriert leben können, wenn ihm
zusätzlich noch das Recht auf Bildung oder das Recht
auf Wasser verweigert wird?

Im Kosovo ist die Situation nach vielen Berichten,
unter anderem auch von der UNICEF, noch schlimmer
als in anderen Ländern des Balkans. Ich denke deshalb,
dass es richtig ist, Abschiebungen in dieses Gebiet aus-
zusetzen und dabei insbesondere das Wohl der Kinder,
die oft bei uns in Deutschland geboren und sozialisiert
sind, im Auge zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie sieht es generell mit der Roma-Politik in
Deutschland aus? Ist es wirklich so, wie die Kolleginnen
und Kollegen aus den Regierungsfraktionen schon bei
der letzten Debatte behauptet haben, dass die Roma in
Deutschland sozusagen auf einer Insel der Glückseligen
leben und nichts verändert werden muss, dass wir also
keinen nationalen Aktionsplan brauchen? In Deutsch-
land sind Sinti und Roma seit 600 Jahren beheimatet. In
den letzten Jahrzehnten sind allerdings viele Roma aus
den Staaten Südosteuropas zugewandert. Sie erleben
auch bei uns vielfältige Diskriminierung. Wird irgendwo
ein Fahrrad geklaut, dann war es im Zweifelsfall die
Roma-Familie aus der Parterrewohnung.

Diskriminierung lässt sich auch im Bildungsbereich
feststellen. Die Antwort der Bundesregierung zur Bil-
dungsbeteiligung und zum Bildungserfolg von Roma-
Kindern hat Volker Beck schon angesprochen. Die Ein-
schätzung, dass die Erfolge unterdurchschnittlich seien,
sei, so steht es in der Antwort der Bundesregierung,
nicht unbegründet. Allerdings falle das in die Zuständig-
keit der Länder.





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)


Erkenntnisse zum Antiziganismus hat die Antidiskri-
minierungsstelle des Bundes nicht. Es gibt auch keine
Lehrstühle, die sich schwerpunktmäßig mit Antiziganis-
mus auseinandersetzen, wobei es im NGO- und halb-
staatlichen Bereich eine Reihe von guten Berichten und
Ausarbeitungen dazu gibt. Ich frage mich, warum die
Bundesregierung diese Unterlagen nicht zum Anlass
nimmt, einen nationalen Aktionsplan für die in Deutsch-
land lebenden Roma aufzulegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der ständige Verweis der Bundesregierung auf die
Verantwortung der Länder, der sich durch die ganze Ant-
wort zieht, macht es übrigens nicht wirklich besser. In
nahezu jeder Antwort, die zu den Lebensumständen der
Roma in Deutschland gegeben wurde, berichtet die Bun-
desregierung zudem, es bestünden wegen des zu Recht
fehlenden statistischen Kriteriums der ethnischen Zu-
gehörigkeit keine aussagekräftigen „Erkenntnisse über
Wohnraumprobleme sowie die soziale und medizinische
Versorgung.“ Wäre es denn nicht klüger, auf offenkun-
dige Tatsachen zu reagieren, als den Eindruck zu erwe-
cken, man benutze das Fehlen statistischer Erkenntnisse
als Ausrede?

Ich nehme daher die Anfrage der Grünen zum Anlass,
nochmals an die Bundesregierung zu appellieren: Ent-
wickeln Sie gemeinsam mit den Roma-Verbänden und
dem Zentralrat Lösungen. Legen Sie einen Aktionsplan
auf. Holen Sie die Bundesländer und die Gemeinden ins
Boot. Stoppen Sie die Abschiebungspläne, und setzen
Sie sich für eine humanere Lösung ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie Ihre Verantwortung innerhalb Europas
wahr. Das würde insbesondere vor dem Hintergrund un-
serer Geschichte sicher gut sein.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michael Brand [CDU/CSU] und Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615500

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Pascal Kober

das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1716615600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

10 bis 12 Millionen Roma leben derzeit in den Staaten
Europas als deren Staatsbürger. In Deutschland gibt es
etwa 70 000 Roma mit deutschem Pass; hinzu kommt
noch eine unbekannte Zahl von Roma, die unter uns le-
ben. Um diese Menschen zu fördern, setzt diese Koali-
tion auf politische Maßnahmen im Rahmen ihrer breiter
angelegten Integrationspolitik. Dabei liegt der Fokus auf
dem Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheits-

versorgung und Wohnraum. Das stellt eine auf die kon-
kreten Probleme dieser Menschen ausgerichtete Politik
dar.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie haben die Abschiebung vergessen!)


Festhalten möchte ich jedoch, dass die allermeisten
Roma, die in Deutschland leben, sehr gut integriert sind
und auch keine nationale Roma-Strategie benötigen oder
fordern. Wir befürchten vielmehr, dass eine solche Stra-
tegie, die ausschließlich auf die Roma ausgerichtet wäre,
unter Umständen sogar zu deren Diskriminierung beitra-
gen und damit das Gegenteil von dem bewirken könnte,
was wir uns erhoffen.


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Jedoch sind sich alle Organisationen von der EU über
die OSZE bis zum Europarat darin einig, dass Roma in
vielen Ländern Europas mit erheblichen Problemen zu
kämpfen haben. Vor allem ihre wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Menschenrechte werden häufig nicht
hinreichend gewährleistet; häufig sind sie von Armut be-
troffen, und ihre Lebenserwartung liegt deutlich unter
dem Durchschnitt.

Ich möchte außerdem auf die besondere Problematik
hinweisen, dass Roma aus dieser Armut und Perspektiv-
losigkeit heraus überdurchschnittlich häufig Opfer von
Menschenhandel werden. Dieses Problem anzugehen, ist
uns als FDP-Fraktion, uns als Regierungskoalition be-
sonders wichtig.

Die Diskriminierungen, denen Roma ausgesetzt wer-
den, nehmen ein sehr unterschiedliches Maß an. Hier
muss man eine regionale Differenzierung vornehmen.
Vor allem in südosteuropäischen Ländern sind seit dem
Fall des Eisernen Vorhangs neue und sehr komplexe
Problemlagen entstanden. Während der vergangenen
20 Jahre hat dort der Zusammenhang von Armut und
ethnischer Zugehörigkeit stark zugenommen. Hiervon
sind die Roma in besonderem Maße betroffen.

Die bisher aufgelegten Regierungsprogramme, so sie
denn existieren, bringen häufig nicht den erhofften Er-
folg; Diskriminierung und Segregation nehmen zu.
Diese schleichende gesellschaftliche Desintegration be-
ginnt häufig schon in der Schule, wo immer mehr Roma-
Kinder getrennt unterrichtet werden. In Tschechien bei-
spielsweise werden besonders viele Roma-Kinder in
Schulen für Kinder mit Lernbehinderungen oder in rei-
nen Roma-Klassen unterrichtet. Dort ist nicht nur der
Bildungsstandard geringer als an den regulären Schulen,
womit den Kindern der spätere Einstieg in den Arbeits-
markt erschwert wird; die Folge davon ist auch, dass
diesen Kindern zwischenmenschliche Bindungen und
Freundschaften mit Kindern der Mehrheitsgesellschaft
fehlen. Diese Segregation fördert solches Schubladen-
denken und lässt überhaupt erst die Idee des Anderen
manifest werden.

Eine traurige Konsequenz aus den so entstandenen
Grenzen in den Köpfen der Menschen verdeutlicht die
Entwicklung in einer ostslowakischen Stadt. Dort hat die





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Stadtverwaltung im September 2010 eine hohe Mauer in
der Nähe einer Roma-Siedlung errichten lassen. Sie
sperrt eine Straße ab und verhindert, dass die Roma auf
ihrem Weg in das Stadtzentrum ein anliegendes Wohn-
viertel durchqueren, welches hauptsächlich von Nicht-
Roma bewohnt wird.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Diese Absperrung verlängert den Weg ins Stadtzentrum
für die Roma um rund eine halbe Stunde und ist ein Zei-
chen von Segregation, wie es ausgrenzender und diskri-
minierender kaum sein könnte. Ähnliche Mauern und
Zäune sollen auch in weiteren Gemeinden errichtet wor-
den sein.

Solchen Betonmauern gehen meist mentale Mauern
voraus, deren Fundamente tiefverwurzelt sind und die es
abzubauen gilt.

Nicht zu vergessen ist die menschenverachtende
Hetze rechtsextremer Gruppen, deren Gedankengut in
die Gesellschaft eindringt. Ihre Ausläufer zeigen sich in
der täglichen Diskriminierung, denen Roma ausgesetzt
sind, sei es in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder bei
den Behörden.

Darum begrüße ich es, dass die Bundesregierung auf
diesem Feld besonders aktiv ist und sich europaweit für
die Rechte der Roma einsetzt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schönrederei!)


Dass sie dabei in erster Linie einen multilateralen Ansatz
verfolgt, leuchtet angesichts des umrissenen Problems
ein. Denn die Integration der Roma in einem Europa
ohne Binnengrenzen kann nur gemeinsam gelingen, in-
dem jeder Staat seinen Verpflichtungen nachkommt.

Neben den multilateralen Maßnahmen steht diese
Bundesregierung natürlich auch im bilateralen Dialog
mit unseren europäischen Nachbarn und bringt dabei die
Roma durchaus zur Sprache. Sie hat beispielsweise die
bulgarische und rumänische Regierung in ihrer Politik
für die Roma unterstützt, indem sie den Kontakt zu
Hilfsorganisationen, einzelnen Vereinen und Verbänden
sowie zuständigen Regierungsstellen gefördert hat. Als
im April 2011 mehrere rechtsextremistische Gruppierun-
gen in einem ungarischen Dorf die Roma-Bevölkerung
über mehrere Wochen terrorisierten, hat die Bundesre-
gierung nicht geschwiegen und die ungarische Regie-
rung eindringlich ermahnt, dagegen vorzugehen. Da-
rüber hinaus steht die deutsche Botschaft in Budapest in
regelmäßigem Kontakt mit Vertretern der ungarischen
Zivilgesellschaft, organisiert Veranstaltungen und unter-
stützt den Austausch mit deutschen Roma.

Außerdem fördert die Bundesregierung in mehreren
Staaten des westlichen Balkans zahlreiche Projekte, die
der Verbesserung der Situation der Roma dienen. Dazu
gehören beispielsweise Hilfsmaßnahmen bei Existenz-
gründungen, Unterstützung bei der Schaffung von
Wohnraum und Mediationsmaßnahmen bei Konflikten
zwischen ethnischen Gruppen. Das Bundesministerium
des Innern und das Auswärtige Amt haben dafür in den
Jahren 2008 bis 2011 ungefähr 3,66 Millionen Euro aus-

gegeben. Auch zukünftig soll der bisherige Mittelum-
fang aufrechterhalten werden.

Schließlich setzt sich die Bundesregierung dafür ein,
dass bei der Bewertung der EU-Beitrittskandidaten der
vollständigen rechtlichen Gleichstellung und der gleich-
berechtigten Teilhabe von Minderheiten wie den Roma
gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich be-
grüße ausdrücklich, dass dabei nicht nur die formale Ge-
setzgebung bewertet, sondern auch auf Indikatoren wert
gelegt wird, die über die Entwicklung der sozialen, wirt-
schaftlichen und kulturellen Teilhabe der Roma Aus-
kunft geben.

Ich denke, ich habe klargemacht, dass diese Bundes-
regierung, lieber Herr Kollege Beck, ihrer Verantwor-
tung für die Roma in Gesamteuropa auf vielfältige Weise
nachkommt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie in Deutschland?)


In diesem Sinne werden wir uns weiter für eine Gesell-
schaft einsetzen, in der niemandem sein Platz verwehrt
wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615700

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Andrej Hunko das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Muss die Woche so enden?)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

sehr begrüßenswert, dass wir diese wichtige Debatte
führen. Ich möchte ausdrücklich den Grünen für ihre
Große Anfrage und die Entschließungsanträge danken,
die wir heute behandeln. Auch wenn ich es bedauere,
dass wir hier am Freitagnachmittag nur mit geringer
Aufmerksamkeit diskutieren,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Knapp an der Beschlussunfähigkeit vorbei!)


ist es wichtig, dass wir das diskutieren; denn die Lage
der Roma in der Europäischen Union ist in der Tat dra-
matisch.

Es sind bereits viele Beispiele genannt worden. Ich
möchte noch an das Lager in Turin in Italien erinnern,
das vor einigen Wochen von einem Mob in Brand ge-
steckt wurde. Ich möchte – das ist noch nicht angespro-
chen worden – auch an die unerträgliche Kampagne von
Sarkozy vor anderthalb Jahren gegen die Roma in Frank-
reich erinnern. Das sind Sachen, die nicht passieren dür-
fen. Das wollen wir in Europa nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wird die Kanzlerin im Wahlkampf klarmachen!)






Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)


Aber auch die Situation der Roma in Deutschland ist
bedrohlich. Allein durch das sogenannte Rückführungs-
abkommen mit dem Kosovo sind an die Zehntausend
Roma in Deutschland von der Abschiebung bedroht. Die
Abschiebungen finden auch statt. Auch wenn die Bun-
desregierung argumentiert: „Wir schieben gar keine
Roma ab; wir schieben kosovarische Staatsbürger ab“,
so sind es doch mit überwältigender Mehrheit Roma, die
von diesem Abschiebeabkommen betroffen sind. Wir
lehnen diese Abschiebeabkommen ganz klar ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte ein Beispiel aus meiner Heimatstadt
Aachen bringen. Dort wurde am Nikolaustag 2011 die
19-jährige Roma-Schülerin Sadbera R. frühmorgens
nicht vom Nikolaus, sondern von der Polizei aus dem
Schlaf gerissen. Sie wurde am gleichen Tag nach Sara-
jevo abgeschoben. Sie war gut integriert. Sie war Schü-
lerin. Ihre Familie ist auseinandergerissen worden. Diese
Abschiebung, Herr Beck, hat in Nordrhein-Westfalen
unter einer SPD-Grünen-Regierung stattgefunden.


(Zuruf von der FDP: Aha!)


Auch das darf nicht sein. Deswegen fordern wir einen
Abschiebestopp auch in Nordrhein-Westfalen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will auch an den Fall Borka T. erinnern, der 49-jähri-
gen Roma-Frau aus Mayen bei Koblenz. Sie wurde am
7. Dezember 2010 – ähnlich wie bei dem Fall in Aachen –
morgens zusammen mit ihrer Familie aus dem Bett ge-
rissen und wurde noch am gleichen Tag abgeschoben.
Wenige Wochen später ist diese Roma-Frau im Kosovo
an einer Gehirnblutung verstorben. Viele Sachverstän-
dige, die sich im Nachhinein damit befasst haben, haben
gesagt: Das ist durch die Abschiebung passiert. Mit einer
fachärztlichen Betreuung, wie sie in Deutschland gege-
ben war, wäre das nicht passiert. – Wir halten das für un-
erträglich. So etwas darf in einem zivilisierten Land wie
Deutschland nicht passieren.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Von der Koalition hört keiner zu! Die wollen das nicht hören!)


Zu den Anträgen der Grünen. Es ist begrüßenswert,
dass ein Abschiebestopp gefordert wird. Setzen Sie das
aber bitte schön auch in Baden-Württemberg und Nord-
rhein-Westfalen um. Kürzlich war eine Delegation der
Landesregierung Baden-Württemberg im Kosovo. Im
Nachhinein haben Sie die Situation dort schöngeredet
und haben gesagt: „Es ist alles okay, wir können weiter
abschieben.“ – Bitte nutzen Sie Ihren Einfluss auf die Lan-
desregierungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-
Westfalen, um einen völligen Abschiebestopp durchzu-
setzen.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das ist doppelzüngig!)


Die Linke fordert – ich komme zum Schluss, Frau
Präsidentin – ein vollständiges Bleiberecht und Aufent-
haltsrecht aller Roma in Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern das nicht nur aufgrund der humanitären Ver-
antwortung, sondern auch aufgrund der historischen Ver-
antwortung. 500 000 Sinti und Roma sind unter dem Na-
ziregime ermordet worden.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wenn Sie von historischer Verantwortung sprechen, klingt das merkwürdig!)


Wir fordern vor allen Dingen auch eine Aussetzung die-
ses unerträglichen Rückführungsabkommens mit der Re-
publik Kosovo. Bitte stoppen Sie dieses Abkommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Christoph Strässer [SPD]: Es ist ausgesetzt, das wissen Sie!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716615900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 17/8868 zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Hu-
manitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Innenaus-
schuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für
Gesundheit und an den Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu überweisen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Der Entschließungsantrag auf Drucksache 17/8869
soll überwiesen werden zur federführenden Beratung an
den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Aus-
wärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe und an den Ausschuss für
die Angelegenheiten der Europäischen Union. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 21. März 2012, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute, nicht nur für das Wo-
chenende.