Protokoll:
2174

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 174

  • date_rangeDatum: 29. November 1956

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:26 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 174. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1956 9589 174. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. November 1956. Wünsche für baldige Genesung des während der Tagung der Interparlamentarischen Union in Bangkok erkrankten Vizepräsidenten Dr. Schmid 9591 D Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Friedensburg, Sträter und Mukkermann 9591 D Glückwünsche zur Genesung des Abg. Blachstein 9601 B Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . . 9592 B Bestätigung des vom Bundestag in der 164. Sitzung beschlossenen Gesetzes über Bergmannsprämien durch den Vermittlungsausschuß (Drucksache 2921) . . . . 9592 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 285, 290, 292, 293, 295 (Drucksachen 2797, 2884; 2818, 2897; 2830, 2892; 2831, 2893; 2856, 2915) und über Vorlage der Dritten Verordnung zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung über die Beimischung inländischen Rüböls und Feintalges 9592 B Zur Tagesordnung 9620 D, 9631 C, 9635 D, 9677 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage (Drucksache 2901) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes (Drucksache 2902), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel (Drucksache 2903), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Ausbau des Oberrheins zwischen Basel und Straßburg (Drucksache 2904) und mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zur Abänderung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 2905) . 9592 C Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 9592 C Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 9599 D, 9600 C Wehner (SPD) 9601 B Kiesinger (CDU/CSU) 9605 C, 9606 C, 9612 B Dr. Mommer (SPD) 9606 C, 9621 A Dr. Bucher (FDP) 9611 D, 9612 B Schneider (Bremerhaven) 9614 C Feller (GB/BHE) 9616 C Euler (FVP) 9619 A Dr. Hellwig (CDU/CSU) 9625 A Jacobs (SPD) 9628 C Walz (CDU/CSU) 9630 A Sabaß (CDU/CSU) 9631 P Ausschußüberweisungen 9631 A, B Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftpflicht des Bundes für Personen- und Sachschäden, die von der Bundeswehr verursacht werden (Bundeswehr-Haftpflichtgesetz) (Drucksache 2800) 9631 C Bazille (SPD), Antragsteller . . . . 9631 C Dr. von Merkatz, Bundesminister der Justiz 9631 D Überweisung an den Rechtsausschuß . . 9632 B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksache 85); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Drucksache 2834) . 9632 B Dr. Wahl (CDU/CSU): als Berichterstatter 9632 B Schriftlicher Bericht 9679 D Metzger (SPD) 9632 C Abstimmungen 9632 C, D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verf assungsrecht über den Antrag der Fraktion der FDP betr. Einheitliche Prozeßführung (Drucksachen 2795, 2435) 9632 D Bauer (Würzburg) (SPD), Berichterstatter 9632 D Beschlußfassung 9633 D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über den Antrag der Fraktion der FDP betr. Oberstes Bundesgericht (Drucksachen 2796, 2436) 9633 D Dr. von Buchka (CDU/CSU), Berichterstatter 9634 A Beschlußfassung 9634 C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes (Drucksache 2835) 9634 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung 9634 D Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Lage von Militärflugplätzen und anderen militärischen Einrichtungen (Drucksache 2767) 9634 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung 9634 D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Ersten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 (Erstes Nachtragshaushaltsgesetz 1956) (Drucksache 2874) . 9634 D Überweisung an den Haushaltsausschuß . 9634 D Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehemaligen KiautschouKaserne Cuxhaven; Verkauf an die Stadt Cuxhaven (Drucksachen 2837, 2581) . . 9635 A Beschlußfassung 9635 A Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des ehemaligen Heeresverpflegungsamtes in Ulm, Wörthstraße (Drucksachen 2838, 2594) 9635 A Beschlußfassung 9635 B Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Veräußerung einer Teilfläche von rund 50 000 qm des reichseigenen Kasernengrundstücks an der Invaliden-, Lehrter und Seydlitzstraße in Berlin an die Gebietskörperschaft Berlin im Wege des Tausches (Drucksachen 2839, 2661) . . 9635 B Beschlußfassung 9635 B Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des ehemaligen Flakbeständelagers Rahling an die Melitta-Werke Bentz u. Sohn, Minden (Westfalen) (Drucksachen 2840, 2668) 9635 B Beschlußfassung 9635 C Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung des Bundestages zum Verkauf des landwirtschaftlich zu besiedelnden ehemaligen Flugplatzes Wyck/Föhr (Drucksachen 2841, 2683) 9635 C Dr. Gülich (SPD), Berichterstatter . 9635 C Beschlußfassung 9635 C Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung des Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teilgrundstück der ehemaligen Westwerft in Wilhelmshaven (Drucksachen 2842, 2624) 9635 D Beschlußfassung 9635 D Fortsetzung der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlenwirtschaft (Drucksache 2019, Umdrucke 841, 842, 846) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Sofortprogramm für den Kohlenbergbau (Drucksache 2021), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlenwirtschaft (Drucksache 2246), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau (Drucksache 2356) und mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Bergarbeiterwohnungsbau (Drucksache 2858) 9635 D Dr. Bleiß (SPD), Antragsteller . . 9636 A Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau . . . . 9640 B, 9663 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft . . 9642 B, 9652 A, 9661 C Sabaß (CDU/CSU) . 9646 C, 9649 B, 9651 C, 9652 C Vizepräsident Dr. Becker . . 9649 B, 9651 B Dr. Deist (SPD) . 9652 B, C, 9670 C, 9674 B, 9675 D Dr. Blank (Oberhausen) (FVP) . . . 9664 E Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 9665 D Schloß (FDP) 9669 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) . 9673 D, 9674 A, B, 9675 A, 9676 A Dr. Baade (SPD) 9674 A, 9675 A Ausschußüberweisungen 9676 B Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teilgrundstück der ehemaligen Westwerft in Wilhelmshaven (Drucksachen 2843, 2670) 9676 D Beschlußfassung 9677 A Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 2329); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (Drucksache 2847) . . . 96* A Rehs (SPD), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 9681 B Beschlußfassung 9677 A Beratung des Berichts des Haushaltsausschusses gemäß § 96 (neu) der Geschäftsordnung (Drucksache 2849) und des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene (Drucksache 2846) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Maßnahmen zur Förderung der Umsiedlung von Heimatvertriebenen und Evakuierten sowie zur beschleunigten Auflösung der Flüchtlingslager (Drucksache 1899) 9677 B Kuntscher (CDU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 9181 C Abstimmungen 9677 A Persönliche Erklärungen zu Ausführungen in der 173. Sitzung über das Verhalten des Vizepräsidenten Dr. Schneider in der 172. Sitzung bzw. über parlamentarischen Stil: Dr. Arndt (SPD) 9677 C Vizepräsident Dr. Jaeger 9678 A Rasner (CDU/CSU) 9678 C Nächste Sitzung 9678 C Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 173. Sitzung 9678 C Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 9679 A Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über den Entwurf eines Gesetzes über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksache 2834) 9679 C Anlage 3: Antrag der Abg. Kroll u. Gen. zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlenwirtschaft (Umdruck 841) 9680 B Anlage 4: Antrag der Abg. Kroll u. Gen. zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlenwirtschaft (Umdruck 842) 9680 C Anlage 5: Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlenwirtschaft (Umdruck 846) 9681 A Anlage 6: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 2847) 9681 B Anlage 7: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Maßnahmen zur Förderung der Umsiedlung von Heimatvertriebenen und Evakuierten sowie zur beschleunigten Auflösung der Flüchtlingslager (Drucksache 2846) . . 9681 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 173. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 9573 D Zeilen 13 und 16 von unten statt „Zwangsrücknahmen" : Inanspruchnahme; Seite 9586 C Zeile 8 in der Zusammenstellung der namentlichen Abstimmung über den § 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes: Frau Finselberger beurlaubt. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Ackermann 30.11. Arndgen 30.11. Bender 30.11. Frau Beyer (Frankfurt) 14.12. Birkelbach 1.12. Fürst von Bismarck 30.11. Blachstein 30.11. Dr. Blank (Oberhausen) 1.12. Frau Dr. Bleyler 30.11. Dr. Bucerius 29.11. Cillien 15.12. Dr. Deist 1.12. Dr. Dittrich 22.12. Dr. Dollinger 1.12. Dr. Dresbach 30. 12. Dr. Elbrächter 30.11. Erler 30. 11. Eschmann 30. 11. Dr. Franz 30.11. Freidhof 29. 11. Dr. Furler 1.12. Gefeller 30. 11. Geiger (Aalen) 30.11. D. Dr. Gerstenmaier 3.12. Dr. von Golitschek 30.11. Grantze 22. 12. Hilbert 30.11. Höfler 30.11. Hörauf 15.12. Dr. Horlacher 1.12. Jahn (Stuttgart) 29.11. Kahn 29. 11. Kiesinger 3.12. Dr. Klötzer 30. 11. Dr. Köhler 30.11. Dr. Kopf 1.12. Krammig 30.11. Dr. Kreyssig 1.12. Frau Dr. Kuchtner 30.11. Kühn (Köln) 30.11. Lenz (Brühl) 1.12. Dr. Lenz (Godesberg) 30.11. Dr. Löhr 29. 11. Mattick 30. 11. Mayer (Birkenfeld) 1.12. Dr. Menzel 30.11. Dr. von Merkatz 1.12. Meyer-Ronnenberg 29. 11. Dr. Mommer 30. 11. Morgenthaler 29.11. Müller-Hermann 30.11. Neubauer 30.11. Frau Niggemeyer 29.11. Odenthal 31.12. Dr. Oesterle 1.12. 011enhauer 15.12. Pelster 1.12. Petersen 29.11. Dr. Pohle (Düsseldorf) 1.12. Pohle (Eckernförde) 29. 11. Frau Praetorius 30. 11. Dr. Preiß 30.11. Dr. Dr. h. c. Pünder 30.11. Raestrup 22.12. Rasch 29.11. Frau Dr. Rehling 15.12. Dr. Reichstein 5.12. Richter 30. 11. Freiherr Riederer von Paar 30.11. Sabaß 1.12. Scheel 22. 12. Scheppmann 29.11. Dr. Schmid (Frankfurt) 3.12. Schmücker 29. 11. Schoettle 30. 11. Dr. Schöne 1.12. Dr. Seffrin 29. 11. Srock 1.12. Dr. Starke 30. 11. Stauch 29. 11. Wagner (Ludwigshafen) 30. 11. Dr. Welskop 29.11. Abgeordnete(r) bis einschließlich b) Urlaubsanträge Frau Dietz 13.12. Eberhard 8.12. Engelbrecht-Greve 13.12. Franzen 13.12. Herold 13.12. Majonica 15.12. Massoth 13.12. Pöhler 13.12. Anlage 2 Drucksache 2834 (Vgl. S. 9632 B) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksache 85). Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat sich besonders eingehend mit Artikel 1 und 2 des Zusatzprotokolls beschäftigt, während die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen für die gesetzgebenden Körperschaften zu gewährleisten (Artikel 3), als selbstverständlich, ohne weiteren Meinungsaustausch, angenommen werden konnte. Zu Artikel 1 bewegten sich die Darlegungen der Mitglieder des Rechtsausschusses auf der Linie des Bedauerns, daß es nicht gelungen war, als völkerrechtlichen Grundsatz auch in dem Zusatzprotokoll ausdrücklich die Pflicht zur Entschädigung enteigneter fremder Staatsangehöriger zu verankern. Immerhin ist in dem Sachverständigenbericht an das Minister-Komitee vom 18. Juli 1951 als gegenwärtig allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts eine solche Entschädigungspflicht festgestellt worden, und insoweit schließt die Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, nach denen die Enteignung durchgeführt werden muß, wenigstens im gegenwärtigen Zeitpunkt die Entschädigungspflicht ein. Besonders eingehend verliefen die Beratungen über Artikel 2, der in Satz 2 folgenden Wortlaut hat: (Dr. Wahl) Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihrer eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen. Dieser Wortlaut gewinnt seinen Sinn zu einem wesentlichen Teil dadurch, daß der Ausschuß für Rechts- und Verwaltungsfragen der Beratenden Versammlung des Europarats am 2. Oktober 1951 dem Präsidenten der Beratenden Versammlung folgende Stellungnahme unterbreitet hat, die auch in dem an das Minister-Komitee am 12. Dezember 1951 erstatteten Bericht des Generalsekretärs des Europarats enthalten ist: Wenn die Befürchtung ausgedrückt worden ist, daß jede andere Formel die Verpflichtung eines Staates zu implizieren scheine, unter ganzer oder teilweiser Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln Schulen zu errichten oder aufrechtzuerhalten, die den verschiedenen in der Bevölkerung bestehenden Richtungen entsprechen, so kann die Kommission nur nochmals versichern, wie es bereits der Beratenden Versammlung gegenüber erklärt worden ist, daß diese Frage als außerhalb des Rahmens der Konvention oder des Protokolls stehend zu betrachten ist. Angesichts dieser Erklärung hat sich der Rechtsausschuß des Bundestages auf den Standpunkt gestellt, vorbehaltlos dem Zusatzprotokoll zustimmen zu können, da die in dem Text des Zusatzprotokolls offengebliebene Frage, ob der Staat Schulen religiösen oder weltanschaulichen Charakters finanzieren muß, im Sinne der Verfasser der Konvention zweifellos verneint werden muß. Wenn diese Verpflichtung zur Finanzierung der Schulen aber nicht besteht, dann geht die Konvention nicht über die Lösungen des Grundgesetzes hinaus, wie sie in Artikel 6 Abs. 2 über das Elternrecht und in Artikel 7 Abs. 4 über die Zulassung der Schulen enthalten sind. Es ist aber gewünscht worden, daß durch eine besondere Entschließung diese Interpretation des Artikels 2 der Konvention ausdrücklich klargestellt werde. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat dem vorstehenden Bericht und sämtlichen Beschlüssen des federführenden Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zugestimmt. Bonn, den 25. Oktober 1956 Dr. Wahl Berichterstatter Anlage 3 Umdruck 841 (Vgl. S. 9640 B, 9676 B) Antrag der Abgeordneten Kroll, Wolf (Stuttgart), Stücklen, Jacobi und Genossen zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlenwirtschaft (Drucksache 2019). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, bei der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß die angesichts der starken Zunahme der Übersee-Importe von Kohle nicht mehr zeitgemäßen Unterschiede in der Tarifierung von Inlands- und sonstiger Montanunions-Kohle einerseits und Auslandskohle andererseits beseitigt werden. Bonn, den 15. November 1956 Kroll Wolf (Stuttgart) Stücklen Baier (Buchen) Bauereisen Bausch Dr. Brönner Dr. Czaja Dr. Dollinger Donhauser Finckh Fuchs Funk Dr. Furler Gedat Geiger (München) Gengler Dr. Götz Häussler Dr. Hellwig Hilbert Dr. Horlacher Frau Dr. Jochmus Kahn Frau Kaiser (Schwäbisch Gmünd) Kemmer (Bamberg) Lang (München) Leibing Lermer Leukert Maier (Mannheim) Menke Niederalt Dr. Oesterle Dr. Rinke Ruf Samwer Schill (Freiburg) Schüttler Schütz Spies (Emmenhausen) Stiller Wacher (Hof) Wacker (Buchen) Dr. Werber Dr. Willeke Wittmann Jacobi Müller (Erbendorf) Anlage 4 Umdruck 842 (Vgl. S. 9640 B, 9676 B) Antrag der Abgeordneten Kroll, Wolf (Stuttgart), Stücklen, Jacobi und Genossen zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlenwirtschaft (Drucksache 2019). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, Steinkohle in die Freiliste 1 (Anlage 2 zu § 7 Abs. 3 der Ausgleichsteuerordnung in Verbindung mit § 4 Nr. 1 b des Umsatzsteuergesetzes) aufzunehmen. Bonn, den 15. November 1956 Kroll Wolf (Stuttgart) Stücklen Baier (Buchen) Bausch Dr. Brönner Dr. Czaja Dr. Dollinger Donhauser Finckh Fuchs Dr. Furler Gedat Geiger (München) Gengler Dr. Götz Häussler Hilbert Dr. Horlacher Frau Dr. Jochmus Kahn Frau Kaiser (Schwäbisch Gmünd) Kemmer (Bamberg) Lang (München) Leibing Leukert Maier (Mannheim) Menke Niederalt Dr. Oesterle Dr. Rinke Ruf Samwer Schill (Freiburg) Dr.-Ing. E. h. Schuberth Schüttler Schütz Spies (Emmenhausen) Stiller Wacher (Hof) Wacker (Buchen) Dr. Werber Dr. Willeke Jacobi Müller (Erbendorf) Anlage 5 Umdruck 846 (Vgl. S. 9640 B, 9676 B) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlenwirtschaft (Drucksache 2019). Der Bundestag wolle beschließen: 1. Die Bundesregierung wird ersucht, nach Maßgabe des Vertrages vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in der Bundesrepublik eine weitsichtige Kohlenpolitik mit dem Ziel einer vollen Eingliederung des Kohlenbergbaus in die soziale Marktwirtschaft zu führen. 2. Die Bundesregierung wird ersucht, zur Schaffung neuer Kapazitäten im Kohlenbergbau und für die bessere Versorgung aller Verbraucher die Erschließung neuer Abbaufelder, das Abteufen neuer Schachtanlagen und die Errichtung von Zentralschachtanlagen steuerlich zu begünstigen. Bonn, den 16. November 1956 Dr. Krone und Fraktion Dr. Schneider (Lollar) und Fraktion Dr. Brühler und Fraktion Anlage 6 Drucksache 2847 (Vgl. S. 9677 A) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (34. Ausschuß) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 2329). Berichterstatter: Abgeordneter Rehs Nachdem für den mit dem Gesetzentwurf — Drucksache 2329 — beabsichtigten Zweck anstelle des geforderten Betrages von 10 Millionen DM im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 bereits ein Betrag bis zu 10,5 Millionen DM bereitgestellt worden ist, betrachtet der Ausschuß das Anliegen der Antragsteller als erfüllt. Bonn, den 30. Oktober 1956 Rehs Berichterstatter Anlage 7 Drucksache 2846 (Vgl. S. 9677 B) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (34. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Maßnahmen zur Förderung der Umsiedlung von Heimatvertriebenen und Evakuierten sowie zur beschleunigten Auflösung der Flüchtlingslager (Drucksache 1899). Berichterstatter: Abgeordneter Kuntscher Der Ausschuß stellt fest, daß dem unter Buchstabe A des Antrags — Drucksache 1899 — aufgeführten Anliegen inzwischen durch die von der Bundesregierung erlassene Verordnung zur Umsiedlung aus überbelegten Ländern vom 5. Juni 1956 (Bundesgesetzbl. I S. 490) entsprochen worden ist. Bezüglich der Buchstaben B und C des Antrags besteht nach der Feststellung des Haushaltsausschusses im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 keine Deckungsmöglichkeit. Bonn, den 24. Oktober 1956 Kuntscher Berichterstatter
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217400000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die betrübliche Mitteilung zu machen, daß unser verehrter Kollege Herr Vizepräsident Staatsrat Professor Dr. Carlo Schmid in Erfüllung seiner Pflichten als Vertreter dieses Hauses auf der Tagung der Interparlamentarischen Union nicht unerheblich erkrankt ist. Nach den neuesten Mitteilungen soll er sich allerdings auf dem Wege der Besserung befinden, und er wird in wenigen Tagen auf dem Wege nach Deutschland sein. Ich spreche sicherlich in Ihrer aller Namen, wenn ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß er recht bald wieder genesen möge.

(Beifall bei allen Fraktionen.)

Ich werde ihm bei seiner Rückkehr die guten Wünsche des Hohen Hauses in geeigneter Form auszusprechen wissen.
Ich habe sodann Glückwünsche zu Geburtstagen auszusprechen, und zwar dem Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg zum 70. Geburtstag am 17. November,

(Beifall)

dem Herrn Abgeordneten Sträter zum 65. Geburtstag am 22. November,

(Beifall)

und schließlich einem Geburtstagskind des heutigen Tages, dem Herrn Abgeordneten Muckermann, zum 65. Geburtstag.

(Beifall.)



(Vizepräsident Dr. Jaeger)

Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. November 1956 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über das Protokoll vom 15. Juni 1955 zur Berichtigung des französischen Wortlauts des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens,
Gesetz zu dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. April 1955 über Offshore-Beschaffungen.
Gesetz über die deutsch-schweizerische Vereinbarung vom 3. Oktober 1955 über die Änderung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 24. Oktober 1950 über Sozialversicherung,
Gesetz über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung (Schutzbereichgesetz),
Gesetz über den Ladenschluß,
Gesetz über die Statistik des grenzüberschreitenden Warenverkehrs (Außenhandelsstatistik — AHStatGes.),
Gesetz zu dem Sechsten Protokoll vom 23. Mai 1956 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen,
Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Realkredits,
Gesetz über die Vereinbarung vom 12. November 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Patente für gewerbliche Erfindungen,
Gesetz zu dem Internationalen Weizen-Übereinkommen 1956,
Gesetz zu dem Überelnkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Juli 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts,

(2. Unterhaltshilfezulagengesetz — 2. UZG Zu den beiden letzten Gesetzen hat der Bundesrat Ausführungen gemacht, die in den Drucksachen 2906 und 2907 niedergelegt sind. Dem Gesetz zur Anderung und Ergänzung des Art. 106 des Grundgesetzes hat der Bundesrat nicht zugestimmt; seine Auffassung ist in Drucksache 2908 niedergelegt. Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 28. November 1956 das vom Deutschen Bundestag in seiner 164. Sitzung am 11. Oktober 1956 beschlossene Gesetz über Bergmannsprämien Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 14. November 1956 die Kleine Anfrage 285 der Fraktion der FDP betreffend Schadensfeststellung im Lastenausgleich Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 20. November 1956 die Kleine Anfrage 290 der Fraktion der SPD betreffend Preispolitik der Bundesregierung Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 20. November 1956 die Kleine Anfrage 292 der Fraktion der FDP betreffend Kabinettsumbildung Der Herr Bundesminister für das Postund Fernmeldewesen hat unter dem 20. November 1956 die Kleine Anfrage 293 der Abgeordneten Bock, Schwarz und Genossen betreffend Senkung des Paketportos bei Liebesgabensendungen für ungarische Flüchtlinge nach Österreich Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 26. November 1956 die Kleine Anfrage Nr. 295 der Fraktion der FDP betreffend Haltung der Bundesregierung Im Suezkonflikt Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 17. November 1956 gemäß § 19 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe den ersten Punkt auf: a)

b) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes (Drucksache 2902);
c) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel (Drucksache 2903);
d) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Ausbau des Oberrheins zwischen Basel und Straßburg (Drucksache 2904);
e) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Oktober 1956 zur Abänderung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 2905).
Das Wort hat namens der Bundesregierung der Bundesminister Dr. von Brentano.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0217400100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst erlauben Sie mir ein persönliches Wort. Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen, daß das Präsidium und der Ältestenrat meine Bitte erfüllt und die Sitzung auf heute morgen 9 Uhr verlegt haben. Ich muß um die Mittagszeit nach Berlin, und ich bin dafür dankbar, daß mir dadurch Gelegenheit gegeben wird, die Verträge hier persönlich einzubringen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung legt dem Deutschen Bundestag heute ein umfangreiches Vertragswerk vor und erbittet dafür die Zustimmung des Hohen Hauses. Der Zweck dieses Vertragswerks kann mit einem Satz umrissen werden: Es soll dazu dienen, daß das Saarland am 1. Januar 1957 als jüngster Bundesstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert wird und damit eine Million Deutsche in ihre deutsche Heimat zurückkehren werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie werden verstehen, daß die Bundesregierung diese Vorlage zum Anlaß nimmt, um ihrer tiefen Befriedigung und ihrer aufrichtigen Freude Ausdruck zu geben. Seit der Errichtung der Bundesrepublik haben hier in diesem Hause zahlreiche außenpolitische Debatten stattgefunden, die das Saarproblem zum Gegenstand hatten. Die Bundesrepublik sah sich einem Tatbestand gegenüber, der in den Wirren des totalen Zusammenbruchs geschaffen worden war, eines totalen Zusammenbruchs, der am Ende eines von einer unseligen deutschen Regierung proklamierten totalen Krieges stand. Die Einheit des Deutschen Reichs und die Einheit des deutschen Volkes schienen in diesen chaotischen Tagen untergegangen zu sein. Jede politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung war zerstört. Niemand war da, der für das deutsche Volk sprechen konnte, um die Welt zu beschwören, begangenes Unrecht nicht mit neuem Unrecht zu vergelten. Niemand war da, der dem heißen Wunsch des ganzen deutschen Volkes Ausdruck


(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

verleihen konnte, sich eine neue staatliche Ordnung zu geben und dieses neue Deutschland in die freie Welt einzugliedern, um gemeinsam mit den Kräften dieser Welt die höchsten politischen Ziele zu verfolgen: den Frieden und ,die Freiheit für die kommenden Generationen zu sichern.
Diese Debatten, die hier in diesem Hause stattfanden, waren zuweilen leidenschaftlich und bewegt. Sie schienen oft von unüberbrückbaren Gegensätzen erfüllt zu sein, und doch waren sie stets der Ausdruck gemeinsamer Sorge und gemeinsamen Bemühens. Wir alle wußten, daß die Menschen an der Saar unter einer Entwicklung litten, die sie ihrer deutschen Heimat entfremdete, und wir wußten auch, daß das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zum deutschen Volke in der Welt häufig mißverstanden und als der Ausdruck eines falschen Nationalismus angesehen und verurteilt wurde.
Auf der andern Seite spürten wir die politischen und psychologischen Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung unseres Wunsches entgegenstellten. Wir wußten, daß Erinnerungen an begangenes Unrecht wach wurden, wenn wir uns auf das Recht der Selbstbestimmung beriefen. Und wir wußten wohl auch um die normative Kraft des Faktischen, die auch dann wirkt, wenn das Faktische mit dem Richtigen, mit dem Rechten nicht übereinstimmt.

(abgewichen, die in der Vergangenheit die Richtschnur ihres Handelns bildeten und in Zukunft bilden werden. Sie wußte, daß ein Höchstmaß von Geduld nötig war, um das französische Volk und um die Welt davon zu überzeugen, daß es keine unbillige Forderung war, die das deutsche Volk erhob. Sie hat aber auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie für die Erreichung dieses Zieles nur einen Weg kannte: den der Verhandlung und der Verständigung. ich glaube sagen zu dürfen, daß auch in den zuweilen leidenschaftlich erregten Debatten, die hier in diesem Hause über diese Frage geführt wurden, niemals eine Stimme laut wurde, die der Bundesregierung empfohlen hätte, diesen Weg zu verlassen. Darum glaubt die Bundesregierung es (aber auch als einen überzeugenden Erfolg dieser Politik bezeichnen zu dürfen, wenn sie feststellt, daß in wenigen Wochen die Vertreter 'des Saarlandes als Abgeordnete des Deutschen Bundestages hier in diesem Hause mit uns zusammenarbeiten werden und daß die Saarfrage kein Gegenstand mehr sein wird für eine außenpolitische Debatte. Wenn wir nach dem 1. Januar über die Saar sprechen werden, so wird es ein Gespräch sein unter Deutschen, in der politischen Heimat aller Deutschen, — derer, die in der Freiheit leben, und derer, die in die Freiheit zurückkehren wollen und werden. Das Vertragswerk, das Ihnen vorliegt, meine Damen und Herren, reicht in vielfältige Bezirke unserer Außenpolitik. Es regelt ,das Verhältnis der Bundesrepublik zum Saarland. Es ist ein erster entscheidender Schritt auf dem Wege zur Wiedervereinigung aller Deutschen in Frieden und Freiheit. Es berührt zutiefst unsere Beziehungen zu dem französischen Nachbarvolk. Es ist ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit und die Notwendigkeit der Politik der europäischen Verständigung und Zusammenarbeit, und es ist nicht zuletzt auch ein Beitrag zur weltpolitischen Entspannung, den wir gerade in einem Zeitpunkt dankbar begrüßen, in dem um uns herum in vielen Teilen der Welt die Spannung in unerträglicher Weise zu steigen scheint. Wenn wir über dieses Vertragswerk sprechen, dann scheint es mir richtig, in erster Linie von dem Saarland selbst zu sprechen. Sein Schicksal wurde in diesem Vertrag geregelt, um die Verwirklichung seiner 'Hoffnungen und Wünsche ging es in erster Linie. Das Saarland hat in den vergangenen Jahrzehnten als Grenzland ein Los getragen, das zuweilen unerträglich schwer schien. Die alte Heimat schien verloren. Jahre hindurch hatte es den Anschein, als ob der Wunsch nach Rückkehr unvereinbar sei mit der Möglichkeit seiner Erfüllung. Es soll offen ausgesprochen 'werden, daß die Bevölkerung an der Saar uns hier in der Bundesrepublik zuweilen nicht verstand. Das Problem und die quälende Sorge um seine Lösung waren uns gemeinsam; aber es stellte sich wohl jenseits der saarländisch-deutschen Grenze häufig anders dar als diesseits dieser Trennungslinie, die in Kürze nur noch eine historische Erinnerung sein und, wie ich hoffe, auch als solche bald aus unserem Bewußtsein verschwinden wird. Dort im Saarland war es das beherrschende, das zentrale Problem, das die Menschen nicht losließ, hier bei uns war es eine der vielen drängenden Sorgen, war es nur ein Teil der trostlosen Erbschaft, die die Bundesrepublik aus dem Zusammenbruch des Reichs hatte übernehmen müssen. Das soll nicht heißen, daß wir dem Saarproblem mindere Aufmerksamkeit geschenkt und mindere Bedeutung beigemessen hätten. Es soll aber wohl heißen, daß wir über unseren Bemühungen, die staatliche Einheit im Westen herzustellen, nicht vergessen durften, daß die Wiedervereinigung mit den deutschen Menschen in Mittelund Ostdeutschland nur mit der vorbehaltlosen Unterstützung der freien Welt möglich sein wird. Darum galt es, die freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem französischen Nachbarvolk herzustellen und zu vertiefen. An dem Saarproblem durfte diese Freundschaft nicht scheitern, und ich meine, der Erfolg hat uns recht gegeben. In dem Bemühen, dem ganzen deutschen Volke die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit zu vermitteln, werden wir — davon bin ich überzeugt — in Frankreich einen zuverlässigen und aufrichtigen Freund und Bundesgenossen besitzen. (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im Namen der Bundesregierung möchte ich dem Volke an der Saar für die Beharrlichkeit und die Treue danken, mit der es an seiner deutschen Heimat hing.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Den brennenden Wunsch nach Wiedervereinigung haben die Menschen an der Saar damit in überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht, und sie haben damit, wie ich hoffe, der ganzen Welt die Erkenntnis vermittelt, daß die Teilung eines Volkes und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes gegen die Rechtsgrundsätze verstoßen, die auch dann gültig wären, wenn sie nicht Gemeingut aller freien Völker der Welt wären und als solche in der Charta der Vereinten Nationen ihre Bestätigunggefunden hätten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)



(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

Wir haben der Bevölkerung an der Saar auch dafür zu danken, daß sie in der Not wie im Erfolg Würde und Maß gezeigt hat. Nicht lärmende Proteste, sondern Geduld und Unbeirrbarkeit haben ihr den ersehnten Erfolg gebracht. Sie hat ihn nicht mit lautem Triumph, sondern mit stiller Freude gefeiert, und sie hat damit vielleicht unbewußt einen Beitrag zur Politik der Bundesregierung geleistet und diese Politik, die, ich sagte es schon, auf Verständigung von Freundschaft ausgerichtet war und ist, entscheidend unterstützt.
Die Bundesregierung glaubt, daß das Abkommen dem Saarland die Wiedervereinigung in einer Form bringt, die seinen Wünschen im wesentlichen Rechnung trägt. Die Wiedervereinigung oder, um es rechtlich zutreffend mit den Worten des Vertrages auszudrücken, die Ausdehnung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes auf das Saarland erfolgt zu dem frühest möglichen Termin, dem Zeitpunkt, den wir bei Eintritt in die Verhandlungen gemeinsam mit der Saarregierung ins Auge gefaßt hatten. Daß der Eingliederungsvorgang dieses Tages durch eine Übergangsregelung beschränkt wird, die spätestens am 31. Dezember 1959 ablaufen wird, wertet meine Feststellung nicht ab. Wir haben mit der Vereinbarung der Übergangsregelung nicht nur einem französischen Wunsch Rechnung getragen, sondern zugleich auch eine saarländische Forderung erfüllt und unserer eigenen Überzeugung von der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer solchen Regelung entsprechend gehandelt. Die Dauer der Übergangsregelung entspricht den Vorstellungen, die sich vor Eintritt in die Verhandlungen im Gespräch mit der Saarregierung als gemeinsame Auffassung herausgestellt hatten.
Wir haben für die sogenannte Endregelung, d. h. die Zeit nach Ablauf der Übergangsregelung, Vereinbarungen getroffen, die auf die besondere Lage des Saarlandes als eines Grenzlandes abgestellt sind. Um die Fehler von 1935 und die anderer in bezug auf das Saarland getroffener Regelungen zu vermeiden, ist seiner Wirtschaft nicht eine rein einseitige Orientierung, sondern die Möglichkeit gegeben worden, weiterhin enge wirtschaftliche Beziehungen zu Frankreich zu pflegen. Das gilt sowohl für den Austausch von Waren und Dienstleistungen als für die Verkehrsbeziehungen, das Niederlassungsrecht und speziell für die Ausbeute der Saarkohle, für die gegenseitige Liefer- und Abnahmeverpflichtungen geschaffen wurden.
Wenn dieser Vertrag Opfer kostete und Wünsche unerfüllt gelassen hat — ich werde darauf noch eingehen —, so hat sich die Bundesregierung bemüht, solche Opfer nach Möglichkeit auf den Bund als Gesamtheit zu übernehmen. Wir wollen nicht, daß ein Teil Deutschlands nur deshalb, weil seine geographische Lage dazu verleiten könnte, stärker als andere Gebietsteile mit Opfern belastet wird, die sich letztlich aus einem gemeinsam verlorenen Krieg erklären.
Der Vertrag zielt ferner auf eine politische Befriedung im Saarland ab. Wir haben — auch hier sowohl einem französischen Wunsche als einem saarländischen Anliegen und unserer eigenen Auffassung Rechnung tragend — Vereinbarungen getroffen, die unter die politischen Auseinandersetzungen des Saarlandes in der Vergangenheit den Schlußstrich ziehen und für alle Saarländer ein Willkommen im politischen Verbande der Bundesrepublik bedeuten.
Ich glaube, daß das Saarland seiner Zukunft jetzt hoffnungsfroh entgegensehen darf. Politisch befriedet und endgültig einbezogen in den Verband der Bundesrepublik, wird es in das in erfreulicher Entwicklung begriffene deutsche Wirtschaftsgebiet eingegliedert, und zugleich stehen ihm wirtschaftlich die Tore zu Frankreich und dessen überseeischen Besitzungen offen. Bis die Saar die Möglichkeiten, die ihr dieser Vertrag eröffnet, voll nützen kann, bleibt allerdings noch ein für sie nicht einfaches Stück Weg zurückzulegen, der Weg der Anpassung an das übrige deutsche Wirtschaftsgebiet. Ihr auf diesem Wege jede nur mögliche Hilfe zu leisten, muß für uns eine Ehrenpflicht sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Vertrag läßt hierfür bereits in der Übergangszeit weiten Raum und gestattet in der darauf folgenden Zeit die Maßnahmen, die darauf abzielen, die Eingliederung in möglichst reibungsloser und gerechter Weise durchzuführen. Auch hierbei wird die Bundesregierung in engster Fühlung mit der Saarregierung handeln.
An die außenpolitische Behandlung der Saarfrage schließt sich somit jetzt ein innerdeutsches Gespräch. Wir wollen hierbei darauf achten, daß es keine Benachteiligung und keine unberechtigten Vorteile gibt, und wollen besonders an die sozial Schwächeren denken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Saarland zieht in ein, ich glaube sagen zu dürfen, ansprechenderes Haus ein als im Jahre 1935. Es soll in diesem Hause seinen angemessenen Platz erhalten und darf nicht darunter leiden, daß es später einzieht als die anderen. Die Bundesregierung hat den lebhaften Wunsch, daß das Saarland, wenn der Prozeß der Eingliederung einmal abgeschlossen ist, das Gefühl hat, hierbei alles erhalten zu haben, was es mit Fug und Recht erwarten durfte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Regierung des Saarlandes hat in diesen Tagen hier in Bonn ein Memorandum übergeben. Diese sorgfältige Darstellung besonderer Anliegen des Saarlandes konnte naturgemäß noch nicht Gegenstand einer Beratung der Bundesregierung sein. Ich glaube aber, im Namen der Bundesregierung ausdrücklich erklären zu können, daß sie dieses Memorandum mit größter Sorgfalt prüfen wird, das, wie ich hoffe, eine gute Grundlage für die Hilfe des Bundes sein wird, die wir dem Saarland gewähren wollen.
Lassen Sie mich hier einen Satz zitieren aus der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler am 27. Oktober über den Rundfunk abgegeben hat, wenige Stunden, nachdem ich zusammen mit meinem französischen Kollegen, Herrn Außenminister Pineau, in Luxemburg das Vertragswerk unterzeichnet hatte. Er sagte:
Wir werden für die Rückkehr der Saar wirtschaftliche Opfer bringen müssen, denen alle Parteien im Grundsatz schon ihre Zustimmung gegeben haben. ... Wir werden aber diese Opfer, die der Bund für die Saar übernimmt, nicht der Saarbevölkerung anrechnen. Sie wird während der wirtschaftlichen Übergangszeit und nach der völligen Rückkehr der Hilfe von Bund und Ländern, aber auch der Hilfe der deutschen Wirtschaft bedürfen, um — einge-


(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

bettet in die Bundesrepublik — eine besondere Brücke für die wirtschaftlichen Probleme beider Staaten zu werden.
Regierung und Bevölkerung an der Saar können also überzeugt sein, daß Bundestag und Bundesregierung alles tun werden, was in ihrer Kraft liegt, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Saarlandes zu erhöhen. Das Saarland darf und wird kein Stiefkind der Bundesrepublik sein. Wir werden keine Anstrengung scheuen, um so rasch, wie es die Verhältnisse nur gestatten, dem Saarland alle Möglichkeiten zu geben, die es instand setzen werden, an der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik gleichberechtigt teilzunehmen und damit auch für die gesamte Bundesrepublik einen wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt des ganzen deutschen Volkes zu leisten.
Meine Damen und Herren! Die volle Bedeutung dessen, was ich über das Saarland sagte, wird erst deutlich, wenn wir die Rückkehr der Saar im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung sehen, deren ersten Abschnitt sie darstellt. Die Tatsache, daß dieser erste Schritt gelungen ist, soll und wird die Deutschen in allen den Teilen Deutschlands, die der Wiedervereinigung noch harren, aufhorchen lassen und ihre Hoffnungen neu beleben. Der 1. Januar 1957, an dem das Saarland zu uns zurückkehrt, wird ein Tag der Freude und Genugtuung für alle Deutschen, und er soll ein Meilenstein auf dem Weg zu Gesamtdeutschland sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hat den Zusammenhang zwischen Saarfrage und Wiedervereinigung in den deutsch-französischen Verhandlungen nie außer acht gelassen. Obwohl sie von Anfang an entschlossen war, die Verhandlungen mit dem französischen Partner großzügig zu führen, hat sie da zäh verhandeln zu müssen geglaubt, wo sie befürchtete, daß der Gedanke der Wiedervereinigung, d. h. die werbende Kraft der jetzt gefundenen ersten Teillösung gegenüber dem Gesamtproblem, Schaden erleiden könnte. Auch dies ist ein Grund dafür gewesen, daß wir uns für eine möglichst kurze Obergangszeit eingesetzt haben und daß wir uns bemüht haben, materielle Nachteile vom Saarland möglichst fernzuhalten und diese, soweit unvermeidbar, lieber dem Bund aufzuerlegen. Dies muß für uns ein doppelter Anlaß sein, dem Saarland in der nun folgenden Phase der innerdeutschen Maßnahmen den Weg zu uns in jeder Hinsicht zu ebnen. Das ist ein wichtiges Stück praktischer Wiedervereinigungspolitik.
Zeitungsmeldungen ist zu entnehmen gewesen, daß sich die Regierung der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik" mit dem deutschfranzösischen Saarvertrag befaßt habe. Ich kann nur wünschen, daß sie es auf das gründlichste getan hat.
Dieser Vertrag enthält außerordentlich wertvolle Fingerzeige für die Lösung des gesamtdeutschen Problems. Seine Vorgeschichte zeigt, daß es nur der Herstellung des Rechts der freien Meinungsäußerung bedarf, um auf das eindeutigste darzutun, wohin die Wünsche aller Deutschen gehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Vertrag zeigt, wie man zusammen mit einem ehemaligen Kriegsgegner in einer anständigen Form und in gerecht ausgewogener Weise die Frage
der Wiedervereinigung regeln kann. Er zeigt ferner, daß es der Bundesregierung eine selbstverständliche Pflicht ist, mit der frei gewählten Regierung eines anderen deutschen Landesteils bei der Durchführung der Wiedervereinigung auf das engste zusammenzuarbeiten, daß die Bundesregierung Verständnis für die besondere Lage der einzelnen Teile des deutschen Staatsgebietes hat und daß sie bereit ist, für die Wiedervereinigung Opfer zu bringen. Wir haben den sehnlichsten Wunsch, daß dieser Vertrag in Zukunft Beispiel sein möge.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Eine ganz hervorragende Bedeutung kommt dem Vertragswerk zu, wenn wir an das deutsch-französische Verhältnis denken. Ich möchte nicht eine historische Darstellung geben und damit schmerzliche Tatbestände in die Erinnerung zurückrufen, die vielmehr der Vergangenheit angehören sollen. Aber die Bundesregierung hält es für ihre besondere Pflicht, heute und von dieser Stelle aus der französischen Regierung und dem französischen Volke gegenüber ihrer tiefen Befriedigung und ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen dafür, daß Frankreich der deutsch-französischen Freundschaft, dem europäischen Gedanken und der Wiedervereinigung des deutschen Volkes einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der moralische und der politische Wert der Entscheidung, die Frankreich im Oktober 1955 spontan und ohne Zögern getroffen hat, muß nachdrücklich unterstrichen werden. Unsere Haltung wäre subjektiv und unredlich, wenn wir nicht anerkennen würden, daß dieser Entschluß vom Standpunkt der französischen Politik aus gesehen durchaus keine Selbstverständlichkeit war.
Wir können den Vorgang nicht mit der Volksabstimmung des Jahres 1935 vergleichen. Damals waren mehrere Alternativfragen gestellt, und man war sich darüber einig, daß man die Antwort des Volkes an der Saar auf diese Fragen anerkennen werde. Im Jahre 1955 dagegen stand Frankreich vor einer echten und folgenschweren politischen Entscheidung. Eine auf das rein Formale beschränkte Betrachtung des Abstimmungsergebnisses hätte zu der Auffassung führen können, daß die Bevölkerung an der Saar lediglich eine Regelung abgelehnt habe, die man ihr vorgeschlagen hatte. Die zwangsläufige Folge einer solchen Betrachtungsweise wäre die Feststellung gewesen, daß alles beim alten bleiben müsse. Frankreich hat aber in diesen Tagen bewiesen, daß Freiheit und Selbstbestimmungsrecht für ein freies Volk, das selbst in einer rechtsstaatlichen Ordnung lebt, keine formalen Begriffe sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Frankreich hat darum nicht gezögert, den wahren inneren Gehalt dieser Entscheidung anzuerkennen, die in den folgenden Wahlen zum Saarländischen Landtag ihren sinnfälligen Ausdruck und ihre Bestätigung fand. Eine formalrechtliche Behandlung des Abstimmungsergebnisses wäre für das Saarland selbst, für den Gedanken der Wiedervereinigung und für das deutsch-französische Verhältnis ein nie wiedergutzumachendes Unglück gewesen. Das französische Volk und seine Regierung haben das erkannt und haben damit die Bahn frei gemacht für eine glückhafte Entwicklung der Beziehungen zwischen unseren beiden Nationen.


(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

Zeitweise hat man der Bundesregierung einen Vorwurf daraus gemacht, daß sie sich zu den Vereinbarungen bekannte, die der saarländischen Bevölkerung im Wege der Volksabstimmung zur Entscheidung vorgelegt wurden. Die Bundesregierung sieht heute rückblickend keinen Anlaß, diese Haltung zu erklären oder gar zu verteidigen. Im Gegenteil, sie glaubt sagen zu dürfen, daß dieses loyale Bekenntnis zur Vertragstreue die psychologischen und politischen Voraussetzungen dafür schuf, daß Frankreich den mutigen Entschluß faßte, von dem ich soeben sprach.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube darum, daß der französische Außenminister Pineau und ich nach der Unterzeichnung des Vertragswerks mit Recht sagen durften:
Die Opfer, die gegenseitig gebracht wurden, zeugen von dem Willen der beiden Regierungen, einen neuen Abschnitt der deutsch-französischen Beziehungen zu beginnen, in dem die beiden Völker gemeinsam einer besseren Zukunft entgegenschreiten sollen. Es soll in Zukunft zwischen beiden Ländern nur noch solche Fragen geben, wie sie sich zwischen guten Nachbarn stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der mutige und weitblickende Entschluß Frankreichs wurde damals von dem französischen Kabinett getroffen, dem Ministerpräsident Edgar Faure und Außenminister Pinay angehörten. Die Durchführung lag bei der heutigen französischen Regierung des Ministerpräsidenten Mollet und seiner Mitarbeiter Außenminister Pineau und Staatssekretär Maurice Faure, die die Verhandlungen auf französischer Seite mit unbeirrbarer i Sachlichkeit und in voller Loyalität geführt haben.
Die Lösung des ganzen Fragenkreises, wie sie sich nun in dem Vertragswerk darstellt, wird auf das deutsch-französische Verhältnis glückliche Auswirkungen haben. Dafür bürgen drei Eigenschaften des Vertrags, einmal, daß es sich um eine frei vereinbarte Regelung handelt, wie sie zwischen freien Völkern angemessen ist, zum anderen, daß diese Regelung endgültig ist, und zuletzt, daß in ihr beide Teile auch ihren Vorteil finden werden.
Es hat für die Bundesregierung nie ein Schwanken in der Erkenntnis gegeben, daß eine befriedigende Regelung der Saarfrage nur auf der Grundlage einer deutschfranzösischen Vereinbarung gefunden werden konnte. An der Saar sind während der Verhandlungen gelegentlich Stimmen laut geworden, daß es eines Saarvertrages, d. h. eines Vertrags, der unvermeidlicherweise Opfer einschloß, nicht zwingend bedürfe. Das mag annehmen, wer die Saarfrage nicht eingebettet sieht in die überaus komplexe politische Problematik, wie sie der Lage Deutschlands gegenüber seiner Umwelt eigen ist. Mit einem solchen Gedanken zu spielen verbot sich aus den gleichen Gründen, die Frankreich davon abgehalten haben, der Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik zu widersprechen, und verbot sich insbesondere deshalb, weil eine positive französische Entscheidung vorangegangen war.
Der Saarvertrag löst die Saarfrage endgültig. Sie ersehen dies aus der Präambel, die von der Entschlossenheit beider Staaten spricht, die Saarfrage als Gegenstand zukünftiger Meinungsverschiedenheiten auszuschließen und mit dem Vertrag zu einer allgemeinen und endgültigen Befriedung beizutragen. Die Endgültigkeit ergibt sich ferner aus wiederholten Erklärungen französischer Staatsmänner und entspricht dem Geiste, in dem die Vertragsverhandlungen geführt wurden. Es ist somit auch, im Gegensatz zu früher geplanten Lösungen, davon abgesehen worden, in dem Vertrag den Vorbehalt des Friedensvertrags aufzunehmen. Eine territoriale Streitfrage, die nahezu 300 Jahre zurückreicht, hat ihren endgültigen Abschluß gefunden.
Die beiden Regierungen haben sich bemüht, diesen Streit nicht nur im Grundsätzlichen zu beenden, sondern die vereinbarte Lösung auch im einzelnen so auszugestalten, daß sie weitere Auseinandersetzungen ausschließt. Sie standen z. B. in der Warndt-Frage vor der Alternative, die mit ihr verbundenen schwierigen finanziellen Fragen entweder Schiedsgerichten zu überweisen, wozu mindestens vier Schiedsverfahren erforderlich gewesen wären, oder alle gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten in einem großzügigen Akte gegeneinander aufzuheben. Sie haben sich für die letzte Alternative entschieden.
In der Frage des Rheinseitenkanals war zu wählen zwischen einem sich unvermeidlicherweise über mehrere Jahre hinziehenden Schiedsverfahren, das die mit der Umgestaltung des Ausbauplanes verbundenen Mehrkosten zum Gegenstand gehabt hätte, sowie einem gleich schwierigen Schiedsverfahren zur Auslegung des Art. 358 des Versailler Vertrags auf der einen Seite und einer gleichen Aufrechnung wie der oben erwähnten auf der anderen Seite. Auch hier haben wir uns für den letzten Weg entschieden und haben alle diese Verfahren ausgeschlossen.
Auch über das Schicksal der Röchling-Werke wurde außerhalb des Vertrages eine endgültige Vereinbarung erzielt, die die Bundesregierung aufrichtig begrüßt. Ich kann dem Hohen Hause mitteilen — und die Presse hat es heute morgen schon veröffentlicht —, daß die Sequesterverwaltung über die Werke in Völklingen gestern aufgehoben wurde und die Firma Röchling am gleichen Tage die Verwaltung des Werks wieder übernommen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gewisse Prozesse, die mit der Rheinschiffahrt zusammenhängen, haben ihr Ende gefunden. Wir haben überall reinen Tisch gemacht.
Der Vertrag dürfte schließlich auch eine gut ausgewogene Lösung darstellen. Frankreich und Deutschland werden sich in den Erfolg teilen. Die Übergangsregelung sichert Frankreich noch für einige Zeit die Vorteile der Zoll- und Währungsunion und gibt seiner Wirtschaft die Möglichkeit, sich auf die Veränderung des wirtschaftlichen Status der Saar vorzubereiten.
Im Rahmen der sogenannten Endregelung ist ein System von Zollkontingenten geschaffen worden, das die administrativen Voraussetzungen dafür schafft, daß Frankreich seinen umfangreichen Warenverkehr mit dem Saarland aufrechterhalten kann. Die an der Saar tätigen französischen Unternehmungen, Banken und Versicherungen werden in ihrer weiteren Tätigkeit in keiner Weise behindert werden. Auf dem Verkehrsgebiet werden weiterhin Erleichterungen bestehen.
Die Regelung der Warndtfrage gestattet Frankreich den Abbau von 66 Millionen t Kohle und bringt ihm den Bezug von 24 Millionen t verbil-


(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

ligter Kohle ein. Die Vereinbarung eines Systems von Liefer- und Abnahmeverpflichtungen für die übrige Saarkohle habe ich bereits erwähnt. Der Absatz saarländischer und lothringischer Kohle auf anderen Märkten wird gemeinschaftlich erfolgen.
Eine zwischen der französischen und der saarländischen Regierung getroffene Kulturvereinbarung wird es ermöglichen, daß der geistige und kulturelle Austausch zwischen Frankreich und Deutschland sich auch im Saarland nutzbringend für unsere beiden Völker entwickeln wird.
Die vereinbarte politische Befriedung dient auch dem Interesse Frankreichs. Alles in allem behält Frankreich im Verhältnis zur Saar weitgehend das, was sich als gesunder Kern der französischsaarländischen Beziehungen herausgebildet hat, und nicht zuletzt verdankt Frankreich dem Saarvertrag die Erfüllung seines Wunsches nach Schiffbarmachung der Mosel.
Diese Vorteile Frankreichs stellen zum Teil deutsche Opfer dar, ebenso wie auch Frankreich Opfer gebracht hat, außer seinem politischen Opfer wirtschaftliche Opfer insofern, als durchaus nicht alle seine Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Ein großer Teil der soeben aufgezählten Vorteile Frankreichs sind aber zugleich Vorteile des Saarlandes oder allgemein deutsche Vorteile.
Das zeigt, daß dieser Vertrag eine gute Lösung darstellt, und beweist im übrigen einmal mehr, daß im heutigen Europa der Vorteil des einen nicht mehr der Nachteil des anderen sein muß, sondern daß unsere Schicksale schon so eng verbunden sind, daß ein Gewinn des einen auch der des anderen ist.

(Beifall in der Mitte.)

Deutschland und Frankreich werden sich weiterhin an der Saar begegnen, aber nicht mehr in gegensätzlichem Geiste, sondern im Handeln zum gemeinsamen Interesse. Schon die Übergangsregelung erfordert eine sehr enge Zusammenarbeit. Daß eine Regelung so ungewöhnlicher Art überhaupt vereinbart werden konnte, setzt eine weitgehende Bereitschaft zur Kooperation voraus.
Ich glaube, daß die Öffentlichkeit beider Länder die Vorteile, die die Verträge beiden Seiten gewähren, klar erkannt hat. Von wenigen Außenseitern abgesehen, die nie zufriedenzustellen sind, hat das Vertragswerk in beiden Ländern ein durchaus positives Echo gefunden und eine Reaktion sowohl der Erleichterung als der Genugtuung ausgelöst.
Die Verträge stellen den Schlußstein in der Durchführung des Programms dar, das im Oktober 1954 von dem Herrn Bundeskanzler und dem damaligen französischen Ministerpräsidenten, Herrn Mendès-France, anläßlich des Abschlusses der Pariser Verträge mit dem Ziel einer deutsch-französischen Zusammenarbeit auf allen Gebieten vereinbart wurde. Ich darf die Gelegenheit benutzen, Ihnen einen kurzen Überblick über das Ergebnis dieses Programms zu geben.
Auf wirtschaftlichem Gebiet haben wir im vorigen Jahre ein langfristiges Handelsabkommen geschlossen. Gleichzeitig mit den jetzt abgeschlossenen Verträgen ist ein Niederlassungsabkommen vereinbart worden. Aus der Kriegszeit herrührende Fragen auf dem Gebiete der Warenzeichen sind durch ein besonderes Abkommen geregelt. Wir haben eine deutsch-französische Handelskammer, einen ständigen deutsch-französischen Land-wirtschaftsausschuß und ein aus Regierungsvertretern bestehendes deutsch-französisches Wirtschaftskomitee gegründet. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Erschließung Französisch-Afrikas ist aufgenommen worden.
Als sichtbarste Folge dieser Maßnahmen zeichnen sich die glänzenden Ergebnisse des deutschfranzösischen Warenverkehrs ab, der in diesem Jahr mit einem Gesamtumsatz von voraussichtlich knapp 5 Milliarden DM eine neue Rekordhöhe erreicht und alles in den Schatten stellt, was es je zuvor in der Geschichte der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen gegeben hat und was noch vor wenigen Jahren erhofft werden konnte. Unsere Stellung als erster Außenhandelspartner Frankreichs hat sich konsolidiert, und ebenso befindet sich Frankreich in der Spitzengruppe unserer Außenhandelspartner. Hinzu kommen jetzt die Abreden über die Saar, die sowohl in der Übergangszeit wie in der Endregelung zu einer Erhöhung der Gesamtumsätze des deutschfranzösischen Handels führen werden.
Auf kulturellem Gebiet haben sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern außerordentlich verdichtet. Es gibt hier keine so sinnfälligen Tatsachen wie auf wirtschaftlichem Gebiet, aber ich glaube, der interessierte Beobachter kann eine Vielfalt und Intensität des kulturellen Austausches feststellen, die ebenfalls über das frühere Maß hinausgehen. Als erfreuliche Einzelheiten darf ich erwähnen, daß ich gerade in diesen Tagen an der Eröffnung eines Deutschen Hauses in der Cité Universitaire in Paris teilnehmen konnte, die der Präsident der Republik, Herr Coty, durch seine Anwesenheit auszeichnete, und daß ,die Besetzung des schon früher vereinbarten deutschfranzösischen Kulturkomitees jetzt abgeschlossen ist, das nunmehr seine Tätigkeit aufnehmen wird.
Die Hauptbedeutung des Programms von La Celle—St.-Cloud, insbesondere des jetzt vorliegenden Vertragswerkes, liegt zweifellos auf politischem Gebiet. Letzteres hat nicht nur die Saarfrage bereinigt, es hat mit der gleichzeitigen Regelung der Fragen der Schiffbarmachung der Mosel und des Rheinseitenkanals überhaupt die letzten größeren Meinungsverschiedenheiten bilateraler Art, die zwischen beiden Ländern noch bestanden, ausgeräumt.
So stellt der Abschluß dieser Verträge wahrhaftig ein historisches Ereignis dar. Wie weit muß man in die Vergangenheit zurückgreifen, um die Feststellung treffen zu können, daß es keine deutsch-französischen Streitfragen gegeben habe!
Der Weg ist nun frei für ein nachbarliches Verhältnis im besten Sinne, für die gemeinsame Behandlung der großen Fragen, die sich aus der Stellung beider Länder im Lager der freien Welt ergeben, und insbesondere für die gemeinsame Arbeit an der Schaffung eines neuen geeinten Europas. Ich glaube in der Tat, daß beide Regierungen mit diesem Vertragswerk auch etwas für Europa getan haben. Allein die Tatsache, daß damit eine lange Periode deutsch-französischer Gegensätzlichkeit ihr Ende gefunden hat, ist für Europa von unschätzbarem Wert. Die Saarregelung im Speziellen bedeutet zusammen mit dem kürzlich abgeschlossenen deutsch-belgischen Grenzabkommen, zu dem hoffentlich noch eine deutsch-niederländische Vereinbarung gleichen Inhalts hinzukommen wird, daß es innerhalb des freien Europa keine territorialen Probleme mehr gibt.

(Zustimmung in der Mitte.)



(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

Ich glaube auch, daß die beiden Regierungen hinsichtlich der Methode, mit der sie ihre Meinungsverschiedenheiten ausgetragen haben, nämlich den Weg der freien Vereinbarung zu gehen und sich hierbei von der festen Entschlossenheit leiten zu lassen, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, ihren Interessen gegenseitig großzügig Rechnung zu tragen und Opfer nicht zu scheuen, in europäischem Geist gehandelt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Einige Bestimmungen der jetzt getroffenen Regelung erscheinen mir vom europäischen Standpunkt aus besonders wertvoll. Ich denke an die schon erwähnte Maßnahme zur politischen Befriedung, an die französisch-saarländischen Vereinbarungen auf kulturellem Gebiet und an die handelspolitischen Bestimmungen der Endregelung. Mit den letzteren wird der Versuch gemacht, auf einem beschränkten Territorium zwei Länder unter gleichen handelspolitischen Voraussetzungen, d. h. unbehindert durch Zölle und mengenmäßige Beschränkungen zum Zuge kommen zu lassen, also eine Art gemeinsamen Marktes zu schaffen. Gelingt dieser Versuch, so stellt er ein gutes Argument für den größeren gemeinsamen Markt dar, den wir und die anderen europäischen Länder anstreben. Daß ein solcher Versuch gerade im deutsch-französischen Verhältnis gemacht wird, d. h. im Verhältnis der beiden Länder, auf die es bei der Schaffung eines solchen gemeinsamen Marktes entscheidend ankommen wird, gibt diesem seine besondere Bedeutung.
Nicht nur ist somit etwas für Europa getan worden, sondern Europa hat bei der Regelung der Saarfrage auch etwas für Deutschland und Frankreich getan. Das verdient heute mit Dank vermerkt zu werden. Der Europarat war es, der im Jahre 1952 erstmalig ein positives Saargespräch aufgenommen hat. In seinem Auftrag hat damals der holländische Abgeordnete Herr van der Goes van Naters wertvolle Studien über die Saarfrage angestellt und aus echter europäischer Überzeugung einen Plan ausgearbeitet, der auch bei denen Anerkennung fand, die ihm nicht zustimmen konnten.
Unser Dank gilt ferner dem belgischen Außenminister, Herrn Spaak, der sich als unermüdlicher Makler, insbesondere in den Verhandlungen vom Sommer 1954, erwiesen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er gebührt dem Rat und dem Generalsekretariat der Westeuropäischen Union und namentlich dem Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarates, dem belgischen Senator Herrn De-housse,

(Beifall bei der CDU/CSU.)

der im Auftrag der WEU vor und während der Abstimmung im Saarland in vorbildlicher Weise zusammen mit den anderen Mitgliedern seiner Kornmission tätig war. Dank schulden wir schließlich der luxemburgischen Regierung und Öffentlichkeit, die mit ihrer Zustimmung zur Schiffbarmachung der Mosel der europäischen Verständigung einen großen Dienst erwiesen haben.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Wenn es so zu dem Abschluß der Verträge kam, die die Bundesregierung Ihnen heute vorlegt und für die sie Ihre Zustimmung erbittet, so halte ich es für meine Pflicht, in aller Offenheit auch hervorzuheben, daß die Bundesregierung bei manchen Teilen der Verträge eine andere Lösung vorgezogen hätte. Wir haben nicht alles erreicht, was uns vorschwebte, und wir haben auch erhebliche Opfer gebracht. Bei der Übergangsregelung hätte die Bundesregierung eine Vereinbarung vorgezogen, die mehr als die vorliegenden Verträge dem Gedanken Rechnung getragen hätte, daß die Übergangszeit die saarländische Wirtschaft auf den Eintritt in das deutsche Wirtschaftsgebiet vorbereiten sollte. Großzügigere Erleichterungen der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik hätten diesem Wunsche mehr entsprochen.
Die Bundesregierung glaubt weiter, daß sie bei der Festsetzung der Kohlenmenge, die im Warndt noch für Frankreich abgebaut werden soll, bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen ist, auch wenn die endgültig festgesetzte Menge nur etwa der Hälfte der ursprünglichen französischen Forderung entspricht.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sehr richtig!)

Wir glauben auch in der Frage der Verwendung der französischen Zahlungsmittel, die bei der Währungsumstellung anfallen werden, eine weitgehende Konzession gemacht zu haben, indem wir uns bereit erklärt haben, einen Betrag von insgesamt 40 Milliarden französischen Franken an Frankreich unentgeltlich zurückzugeben. Es war selbstverständlich, daß wir die 9 Milliarden Franken übernehmen mußten, die der Erstausstattung des Saargebietes dienten.
Es war ebenso selbstverständlich, daß wir in die öffentlichen Verbindlichkeiten eintreten mußten, die im Verhältnis zwischen dem Saarland und Frankreich bestanden. Immerhin wird aber die Bundesrepublik in dem Jahre der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes aus diesen Gründen zusammen etwa eine Milliarde D-Mark aufzubringen haben.
Auch unsere Zustimmung zur Schiffbarmachung der Mosel betrachtet die Bundesregierung als eine echte Konzession. Niemals hat die Bundesregierung diese Frage ausschließlich vom nationalwirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. Wir wissen, daß eine solche Betrachtung zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber letztlich wohl zu einer Verneinung geführt haben würde. Die Bundesregierung hat diese Bedenken zurückgestellt, weil sie sich bewußt war, daß es letztlich eine politische Frage war, die notwendigerweise im Zusammenhang mit dem ganzen Fragenkomplex gesehen und beantwortet werden mußte.
Darum hat die Bundesregierung auch nicht gezögert, diese Opfer zu bringen, die nach ihrer Überzeugung notwendig waren, wenn man zu einer Regelung kommen wollte, die auch alle die Vorteile enthält, von denen ich schon sprach. Sollte aus dem Hohen Hause die Frage gestellt werden, ob diese Opfer tatsächlich in diesem Umfang nötig waren, so möchte ich sie schon jetzt uneingeschränkt bejahen. Auf allen den Gebieten, die ich erwähnte, ist hart gerungen worden, aber beide Partner waren dabei von dem ehrlichen Bemühen geleitet, zu einer Verständigung zu kommen.
Die Bundesregierung hat bei diesen Verhandlungen auch nicht vergessen, daß der schmerzliche Tatbestand, den es aus der Welt zu schaffen galt, seinen Ursprung letzten Endes in dem unseligen


(Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

Kriege hatte. Die Bundesregierung und das deutsche Volk mögen die Verantwortung an diesem unseligen Geschehen von sich weisen, seinen Folgen sich entziehen zu wollen, wäre unrealistisch und im letzten auch unredlich.
Wenn die Bundesregierung das Hohe Haus heute bittet, dem Vertragswerk seine Zustimmung zu geben, dann weiß sie wohl, daß diese Zustimmung selbstverständlich eine sorgfältige Prüfung voraussetzt. Die laufende Zusammenarbeit mit der Saarregierung, die ich mit besonderer Dankbarkeit erwähnen möchte, hat sichergestellt, daß man im Saarland über alle Phasen der Verhandlungen und über alle Erwägungen, die zu den einzelnen Entscheidungen führten, unterrichtet war. Und ich bin dankbar, daß der Bundestag durch den Saarunterausschuß des Auswärtigen Ausschusses meinen Mitarbeitern und mir Gelegenheit gab, das Parlament laufend zu informieren und die Einzelfragen im offenen Gespräch zu erörtern. Diese Art der Vorbereitung wird, wie ich hoffe, die Entscheidung sowohl des Deutschen Bundestages wie des Landtages in Saarbrücken erleichtern.
Bei der Prüfung sollten wir, wie ich glaube, nicht eine Rechnung von Leistungen und Gegenleistungen aufmachen und die einzelnen Entscheidungen kritisch beleuchten, die j a doch alle in einem untrennbaren inneren Zusammenhang stehen. Wir sollten uns vielmehr der außerordentlichen politischen Bedeutung klarsein, die dieses Vertragswerk für uns besitzt und auf die hinzuweisen ich für richtig hielt.
Die Bundesregierung zweifelt darum auch nicht daran, daß der Deutsche Bundestag volles Verständnis dafür haben wird, daß das große Ziel, das wir anstrebten, uns auch Opfer auferlegte. Sind doch aus seiner Mitte heraus seinerzeit die ersten Anregungen gekommen, die Lösung der Saarfrage im Wege eines solchen Ausgleichs zu suchen.
Erlauben Sie mir, zusammenfassend noch folgendes zu sagen. In dem Vertragswerk, das ich für die Bundesregierung am 27. Oktober unterzeichnen konnte, erblickt die Bundesregierung einen bedeutenden außenpolitischen Erfolg. Sie betrachtet ihn nicht zuletzt als Ergebnis der von ihr verfolgten europäischen Politik. Aus dieser Politik, die gleichzeitig diejenige der französischen Regierung war und ist, und aus der unbeirrbaren Treue der Saarländer zur deutschen Heimat ist dieser Erfolg erwachsen.
Die weltpolitische Lage ist zur Zeit düster und ernst. Nicht weit von uns kämpfen Völker um ihre Freiheit, die zum europäischen Kulturkreis gehören und die kein minderes Recht auf eine freiheitliche Entwicklung besitzen als wir selbst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nicht weit von uns vollzieht sich ein. tragisches Geschehen, das wir mit Bewunderung für den ungebrochenen Freiheitswillen von Millionen von Menschen und mit tiefem Abscheu gegenüber den Methoden ihrer Unterdrücker verfolgen.

(Beifall im ganzen Hause.)

Das Ordnungsprinzip, das in diesem Vertrag seinen Ausdruck findet und das künftig ausschließlich das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bestimmen wird, das Recht nämlich auf die freie Selbstbestimmung freier Menschen, wird an-
derwärts mit Füßen getreten. Um so leidenschaftlicher wollen wir uns zu diesen Grundsätzen bekennen. Nur wenn wir das tun, würdigen wir die Verträge im rechten Sinne.
Letzten Endes waren es nicht rechtliche und politische, sondern im wahrsten Sinne des Wortes moralische Verpflichtungen, die Frankreich erfüllte, weil sie seinen Grundsätzen entsprachen. Nicht rechtliche und politische, sondern moralische Vorstellungen über das Zusammenleben freier Völker waren auch bestimmend für den Inhalt der Ihnen vorgelegten Verträge und waren ausschlaggebend für die Entscheidungen der an ihrer Ausarbeitung beteiligten Regierungen. Es geht nicht darum, nunmehr einen Katalog der Rechte und Verpflichtungen aus diesen Verträgen zu erarbeiten und gegenüberzustellen. Es wäre eine fragwürdige Rechnung, aus der jeder einen anderen Saldo ziehen würde.
Darum legt die Bundesregierung diese Verträge auch ohne jeden Vorbehalt und ohne jedes Zögern vor. Sie ist der Überzeugung, daß sie der Ausdruck einer politischen Gesinnung sind, deren Gültigkeit für die Beziehungen zwischen den Völkern der Welt nur derjenige bestreiten kann, der sich zur Politik der Macht und des Unrechts bekennt. Wenn wir die Verträge ratifizieren, wollen wir dieser Politik eine endgültige Absage erteilen und damit vielleicht auch diejenigen überzeugen oder doch wenigstens ansprechen, die sich zu gleicher Erkenntnis noch nicht durchgerungen haben.
Die Bundesregierung glaubt daher aus diesem Anlaß erneut und eindringlich an die Sowjetunion appellieren zu sollen. Auch zu diesem Land wollen wir unsere Beziehungen im gleichen Sinne ordnen. Das wiedervereinigte Deutschland will dem Frieden und der Freiheit in der Welt ebenso dienen wie die Bundesrepublik. Und die 17 Millionen deutscher Menschen in der sowjetisch besetzten Zone werden, wenn sie einmal ihre Freiheit zurückgewonnen haben, dazu mit der gleichen unbedingten Entschlossenheit beitragen wie die eine Million Saarländer, die in allernächster Zeit ihre Anstrengungen mit den unsrigen vereinigen werden, um diese hohen politischen Ziele zu verwirklichen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und dem GB/BHE.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217400200
Nach dem Bundesminister des Auswärtigen hat nunmehr der Bundesminister des Innern das Wort.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0217400300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren: Ich habe die Ehre, den Entwurf eines Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes, d. h. über die innerstaatliche Einordnung des Landes an der Saar, zu begründen. Mein verehrter Kollege Herr von Brentano hat eine lange Rede gehalten, und ich glaube, daß ich mich deswegen auf eine kurze Rede beschränken kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir zurückdenken, trifft es sich sehr merkwürdig, daß wir etwa in diesen Tagen zum siebten Male den Gedenktag einer Debatte begehen können, die hier stattgefunden hat. Ich habe in Vorbereitung auf den heutigen Tag diese Debatte noch einmal nachgelesen, die in diesem Hause am 15. November 1949 stattgefunden hat.


(Bundesinnenminister Dr. Schröder)

Damals wurde auch eine Regierungserklärung abgegeben, eine Regierungserklärung durch den Herrn Bundeskanzler, der vom Petersberg herunterkam, wo das Petersberg-Abkommen abgeschlossen wurde. Ich kann allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses — den damaligen und denjenigen, die in der Zwischenzeit hinzugekommen sind — nur nahelegen, jene Debatte nachzulesen. Es ist eine der ersten Debatten gewesen, die in diesem Hause überhaupt stattgefunden haben, und sie zeigt in einer geradezu erregenden und dramatischen Weise, wo wir damals standen und welches in der Zwischenzeit der Weg der deutschen Politik gewesen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich habe gerade heute
morgen noch einmal die Ausführungen nachgelesen,
die damals der verstorbene Dr. Schumacher
zur politischen Situation gemacht hat. Ich verzichte
darauf, das Gesamtbild zu entwickeln, weil es nicht
zu unserem unmittelbar interessierenden Gegenstand gehört. Der unmittelbar interessierende Gegenstand war dieser: damals wurde darüber gesprochen, wie der Kurs der Bundesregierung der
Entwicklung an der Saar bekommen werde. Es
wurde von Herrn Dr. Schumacher die Befürchtung
geäußert, daß die Haltung der Bundesregierung
zur Saarfrage — und nun hören Sie bitte genau
zu — die politisch-moralische Position zerstören
könne, die wir für die Wiedergewinnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße brauchten.

(Zurufe von der SPD.)

Las ist damals in diesem Hause von dieser Stelle aus gesagt worden. Uns fand man in der Betrachtung dieser Probleme wesentlich zuversichtlicher.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Ich habe damals darauf erwidert, wir seien der Überzeugung, daß unser Eintritt in den Europarat, um den es sich seinerzeit handelte, nicht die Wiedergewinnung der Saar gefährden werde, sondern daß wir unsere Freunde an der Saar als Brüder begrüßen könnten.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.) Deswegen glaube ich, meine Damen und Herren, ist dies doch ein Tag,


(Unruhe bei der SPD)

den wir in der Rückbesinnung auf Mitte November 1949 mit großer und tiefer innerer Freude und Genugtuung begehen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es werden jetzt eine Million von jenen zwanzig Millionen Deutschen zurückkehren, die einstweilen noch getrennt von uns sind. Ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für die Stetigkeit und Richtigkeit der Politik, die wir betrieben haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der SPD. — Unruhe.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte nur ganz wenige Worte — —

(Zurufe von der SPD. — Abg. Berlin: Schämen Sie sich nicht, Herr Minister Schröder? — Gegenrufe rechts. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das müssen Sie provozieren?! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217400400
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Herrn Minister zu Ende reden zu lassen. Wir werden anschließend in die Aussprache eintreten.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das ist eine Provokation! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0217400500
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt ganz wenige Worte

(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Provokation! — anhaltende Unruhe)

über den Kern des Gesetzentwurfs machen, den ich hier vor Ihnen begründe. Der Gesetzentwurf sieht eine allmähliche, stufenweise Einführung unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung in das Saarland vor, und die Tendenz des Gesetzentwurfs ist es, dabei Nachteile für das Saarland und jede Art von Härten zu vermeiden.
Der zweite Kernpunkt ist der, daß auch an der Saar jetzt — mit Wirkung vom 1. Januar 1957 — das Grundgesetz gelten wird, wenn einstweilen auch noch mit gewissen Einschränkungen und Abweichungen, die sich aus dem Vertrag selbst ergeben.
Das Saargebiet wird ein Land der Bundesrepublik, und das bedeutet, daß auch die Bestimmungen über die Neugliederung des Bundesgebiets an der Saar Geltung haben werden. Sie treten dort mit dem Ende der Übergangszeit in Kraft.
Eine der Fragen, die dieses Haus am meisten interessieren wird, ist diejenige, in welcher Weise die künftige politische Vertretung der Saar hier geregelt wird. Bei der Regelung dieser Frage, für die sich verschiedene Möglichkeiten anboten, muß man zunächst zwei Umstände ins Auge fassen. Das erste ist der Umstand, daß dieses Haus nur noch den Rest einer Legislaturperiode, also etwa zehn Monate, vor sich sieht und daß es deswegen schwer sein würde, für den Rest dieser Legislaturperiode den umfänglichen Mechanismus an der Saar aufzubauen und durchzuführen, der zur Wahl des Bundestags selbst führt.
Der zweite Umstand ist der, daß die Bevölkerung an der Saar seit dem Oktober des vergangenen Jahres — genau: seit dem 23. Oktober — nicht weniger als dreimal zur Wahlurne gerufen worden ist, und deswegen glaubten wir, daß es gerechtfertigt sein würde, die Vertretung des Landes an der Saar hier in diesem Hohen Hause durch den Saarlandtag selbst bestimmen zu lassen. Dieser Bestimmung werden die Grundsätze des Verhältniswahlrechts zugrunde gelegt, also eines Wahlrechts, wie es auch für den Bundestag selbst gilt. Von der Unmittelbarkeit der Wahl zum Bundestag, die für uns die Regel ist, glaubten wir eine Abweichung deswegen zulassen zu können, weil es sich, wie gesagt, nur noch um einen kurzen Rest der Legislaturperiode handelt.
Ich will darauf verzichten, die umfänglichen und sich zum Teil etwas technisch ansehenden Bestimmungen über Finanz-, Wirtschaftsfragen usw. hier zu erörtern. Dazu wird in den Ausschüssen Gelegenheit genug sein. Ich darf mich nur noch mit einer einzigen weiteren Frage beschäftigen, nämlich der, ob es zur Rückkehr der Saar in den Verband der Bundesrepublik etwa einer Grundgesetzänderung bedurfte oder bedurft hätte. Die Bundesregierung hat diese Frage nach einem sehr sorg-


(Bundesinnenminister Dr. Schröder)

fältigen Studium verneint. Der Art. 23 Satz 2 des Grundgesetzes sieht vor, daß das Grundgesetz in hinzukommenden Teilen Deutschlands in Kraft gesetzt werden soll. Wenn es sich wie hier darum handelt, daß ein Teil hinzutritt, jedoch unter gewissen Übergangsbedingungen, so sind wir der Auffassung, daß die Abweichungen, die dafür festzulegen sind, auch durch den einfachen Gesetzgeber festgelegt werden können.
Meine Damen und Herren, es wäre wirklich schwer einzusehen, warum wir solche rechtliche Operationen schwieriger ausgestalten sollten, als sie sich die Verfasser des Grundgesetzes selbst vorgestellt haben. Ich glaube, wir haben eine gewisse Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß wir unsere verfassungs- und staatsrechtlichen Betrachtungen nicht komplizierter machen, als zwingend notwendig ist. Erlauben Sie mir folgende Bemerkung: Wir haben in der Zeit seit 1949 schon mehr Operationen am Grundgesetz vorgenommen, als z. B. ein Land wie England in mehreren Jahrhunderten seiner Geschichte an seinem Verfassungsrecht vorgenommen hat. Ich glaube, wir sollten unsere Freude auch an der Gesetzesmacherei — Sie werden mir den Ausdruck nicht übelnehmen — einigermaßen zurückstellen und darauf bedacht sein, daß wir praktische Lösungen finden.
Ich habe nur noch eine einzige weitere Berner-kung zu machen. Aus den Vorschlägen, die für die Abwicklung dieser Tagesordnung gemacht worden sind, habe ich gesehen, daß man daran denkt, diesen Entwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß zuzuleiten. Ich bin der Meinung, daß es gut wäre, wenn man an der Verteilung der Zuständigkeiten in derselben Weise festhalten wollte, wie sie innerhalb der Bundesregierung gilt. Deswegen habe ich den Wunsch, daß der Ausschuß für innere Verwaltung hier nicht mitbeteiligt, sondern federführend werden möchte.
Meine Damen und Herren, ich darf damit schließen, indem ich zu der historischen Anmerkung, die ich eingangs gemacht habe, zurückkehre. Ich glaube, man wird verstehen — und ich hoffe, daß dieses Verständnis auf allen Seiten des Hauses gleich-groß ist —, daß wir, wenn wir zurücksehen auf diese sieben Jahre, die wir hier gemeinsam verbracht haben, uns heute ohne Rücksicht auf Verdienst oder Nichtverdienst wenigstens einigen können in der Freude darüber, daß das Land an der Saar in wenigen Wochen zurückgekehrt sein wird.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217400600
Meine Damen und Herren, ich sehe soeben, daß Herr Abgeordneter Blachstein nach langer Krankheit erstmals wieder in dieses Haus zurückgekehrt ist. Ich darf ihm zu seiner Genesung unsere Glückwünsche aussprechen.

(Beifall.)

Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0217400700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wünscht die baldige Ratifikation dieser Verträge, um der Trennung der Bevölkerung des Saarlandes von der Bundesrepublik ein Ende zu setzen und um das deutsch-französische Verhältnis von einer schweren, von einer drückenden Last zu befreien. Unter diesem Gesichtspunkt will ich auch das, was meine Fraktion zu den Verträgen und zu den aus diesen Verträgen sich ergebenden Verpflichtungen und Aufgaben zu sagen hat, hier aussprechen. Ich bedaure es, daß der Herr Bundesminister des Innern an diesem Tag und bei dieser Gelegenheit der Versuchung erlegen ist, eine parteipolitische Auseinandersetzung zu suchen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Unverschämtheit! — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Nur jeden Streit anfangen, den wir haben können!)

Normalerweise hätte gerade das Eingliederungsgesetz, für das er ja hier, wenn ich es richtig verstehe, zu sprechen hatte, besondere Aufmerksamkeit verdient, denn wir sind der Meinung, dieses Eingliederungsgesetz und das, was damit zusammenhängt, ist das, was wir, nachdem diese Verträge so weit gediehen sind, mit aller Sorgfalt zu beachten haben.
Hier ist jahrelang und oft erbittert um die Lösung der Saarfrage gestritten worden. Vielleicht können wir, die wir in diesem Saale sind, es heute nicht auf uns nehmen, im einzelnen abzuwägen, wie groß der Anteil jedes Teils dieses Hauses und unseres Volkes an diesem Ergebnis ist. Das wird die Geschichte zu beurteilen haben.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich möchte deswegen diesen Versuch auch gar nicht unternehmen. Jahrelang — sehen Sie, es ist verführerisch, aber es ist wahrscheinlich doch nicht klug, der Versuchung zu erliegen, vorher, wie es Ihnen natürlich jetzt im Angesicht dieses Ereignisses und einer bevorstehenden Wahl naheliegen mag, die Verdienste aufzuteilen —, jahrelang war diese Auseinandersetzung um ,die Lösung der Saarfrage dadurch belastet, daß die ganze Saarfrage selbst mit einer Europakonstruktion belastet war, die um das abgetrennte Saargebiet herum gebaut und verwirklicht werden sollte, wobei ja in dem abgetrennten Saargebiet nicht einmal die Menschenrechte, die die Konvention des Europarats feststellt und die in ihr niedergelegt sind, respektiert und verwirklicht wurden. Dies ist vorbei. Es ist damit eine schwere Last von der Bevölkerung und eine schwere Last — ich wiederhole es — vom deutsch-französischen Verhältnis genommen.
Hier wurde aus den Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre ein Name in Erinnerung gerufen: der verstorbene Dr. Kurt Schumacher hat am 10. März des Jahres 1950, als hier die erste Saardebatte stattfand, die Saarfrage als einen Prüfstein für die alliierte Demokratie gegenüber den Deutschen bezeichnet. Wir dürfen heute sagen, daß Frankreich nach allem, was in diesen Jahren hat ausgekämpft werden müssen, in der Saarfrage das demokratische Recht der Selbstbestimmung respektiert hat.

(Beifall bei der SPD.)

Dr. Kurt Schumacher hat in dieser Saardebatte weiter gesagt:
wenn wir Europa wollen, können wir Europa nicht unter den Gesichtspunkten der Liquidation, der Bestrafung und der Belohnung errichten. Wir wollen in keiner Hinsicht Konsequenzen der Vergangenheit ausweichen,


(Wehner)

aber wir sollten darum kämpfen und an die Alliierten appellieren, uns die Möglichkeit zu geben, Europa nicht als einen Schlußstrich, sondern als einen Anfang zu betrachten.

(Beifall bei der SPD.)

Das, meine Damen und Herren, waren die sozialdemokratischen Ausgangspunkte bei diesen Auseinandersetzungen um die Saarfrage. Heute dürfen wir sagen, daß die Entlastung des deutschfranzösischen Verhältnisses von diesem Erbstück des Versailler Vertrages und des Hitlerkrieges einen gemeinsamen Anfang zur Zusammenarbeit Europas durch die Bundesrepublik und Frankreich erleichtert.
Es ist daran erinnert worden, daß in diesem Hause im Verlauf dieser Auseinandersetzungen Vorschläge gemacht und dargelegt worden sind, die anders aussahen als die, die von der Bundesregierung für richtig gehalten wurden. In der erwähnten Saardebatte hat Kurt Schumacher in Erkenntnis dieser Zusammenhänge zwischen der Notwendigkeit einer Lösung der Saarfrage und der Respektierung des deutschen Selbstbestimmungsrechts und der Notwendigkeit einer Lösung der Frage der europäischen Zusammenarbeit einen solchen Vorschlag gemacht. Es war ein Vorschlag, mit dem er damals einen anderen Weg als den, den der Bundeskanzler dann beschritten hat, zu wählen vorschlug.
Da man es offenbar nicht unterlassen kann, um die ganzen Vorgänge und Auseinandersetzungen eine gewisse Legende zu bilden, muß ich diesen Vorschlag selbst noch einmal so, wie er gemacht worden ist, in 'die Erinnerung rufen. Schumacher sagte damals, es gebe bei aller Anerkennung französischer Interessen an der Saar doch auch deutsche Interessen an der Saar, und es gebe auch saarländische Interessen an Deutschland.
Man sollte jetzt von unserer Seite — so betonte er —
den Versuch machen, unter Betonung der europäischen Kooperation und in streng europäischem Rahmen im Geiste der Gemeinsamkeit auf das Ziel einer größtmöglichen wirtschaftlichen Vereinigung Europas loszugehen.
Er sagte weiter:
Darum ... steuern wir auf das Ziel eines Friedensvertrages mit Deutschland. Aber solange er nicht realisiert ist, sollten wir besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet, nicht auf territorialem Gebiet, das Ziel angehen, Anfänge zu schaffen in der gegenseitigen wirtschaftlichen Berücksichtigung der Interessen Frankreichs und Deutschlands durch direkte Fühlungnahme. Mit anderen Worten: ich rede hier einer Initiative zu Verhandlungen mit Frankreich speziell auf wirtschaftspolitischem Gebiet das Wort. Verhandlungen, die größer sind und tiefer gehen als das, was Handelsvertragsabkommen hervorbringen können, die einen französisch-deutschen Freundschaftsvertrag bringen.
Wenn wir
— so schloß er —
dabei das Saargebiet weitgehend in den Mittelpunkt stellen, dann werden französische und deutsche Interessen berücksichtigt werden können.
Ich habe dies noch einmal so, wie es damals gesagt worden ist, in Erinnerung bringen zu müssen geglaubt, weil ich es für Unrecht halte, am Abschluß einer solchen, sich über viele Jahre hin erstreckenden Periode der Auseinandersetzungen im nachhinein der einen Seite mit einer Art Fußtritt zu danken für das, was sie in dieser Auseinandersetzung versucht hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Eine Legendenbildung wird nicht standhalten vor der Geschichte.

(Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Vogel: Auch eine umgekehrte nicht!)

Ich erinnere mich noch an die Zeit vor dem 23. Oktober 1955 im Saargebiet selbst, an die übermannshohen Bilder und an die Aufforderung, mit Ja zu jenem Saarstatut zu stimmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Genauso war es, Herr Schröder!)

Es war die Bochumer Rede, die damals von den Parteien, die für das Statut eintraten, in ihrem Sinne 'ausgenutzt wurde. Es war damals eine schwere seelische Belastung für die Bevölkerung des Saargebiets, die sich zu Deutschland 'bekennen wollte, wie auch für die Parteien, die diesem Bekenntnis durch die Ablehnung des Statuts Ausdruck verleihen wollten. Damals hat man versucht, der Bevölkerung des Saargebiets den Mut zu nehmen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Damals hat man aus Texten die Schlußfolgerung zu ziehen versucht: wenn es nicht so käme, wie die zwischen den Staatsmännern ,ausgehandelten Texte es festgelegt hätten, gäbe es überhaupt keine Möglichkeit zu einer befriedigenden Saarlösung.

(Beifall bei 'der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: So war es, Herr Schröder!)

Glücklicherweise hat sich die Bevölkerung des Saargebiets ihren Mut nicht rauben lassen. Es war nicht immer leicht. Sie hat das Hauptverdienst

(lebhafter Beifall bei der SPD)

an dem, was heute hier der Herr Bundesminister des Auswärtigen mit Recht hervorgehoben hat. Die Bevölkerung des Saargebiets hat das Verdienst, denn sie hat die Vernebelung durchstoßen, die um ihre eigene vaterländische Haltung und Gesinnung verbreitet worden war. Die Bevölkerung des Saargebiets hat d'as Verdienst, 'denn sie hat sich weder verlocken noch einschüchtern lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)

Meine Damen und Herren, gerade deshalb ist es so notwendig, in dieser Stunde an die Beratung der Verträge mit 'dem Blick nach vorwärts zu gehen. Denn wir haben jetzt die Verpflichtung, das zu bewältigen, was aus den Verträgen an Lasten und an materiellen Opfern erwächst. Diese Lasten können nicht mehr geändert werden, und es sollte daher über sie vernünftigerweise im Nachhinein keinen Streit mehr geben. Wir müssen aber die durch die Verträge bedingten materiellen Opfer genau kennenlernen, damit wir Wege finden und Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, 'daß aus diesen Lasten und Opfern der Bevölkerung und der Wirtschaft 'des Saarlandes Schäden erwachsen.
Die Hauptsorge schon während des Kampfes im Saargebiet hat gegolten und gilt auch wohl heute


(Wehner)

noch der Kohle im Warndtgebiet, die zu den entscheidenden Lebensgrundlagen der Bevölkerung des Saargebiets und seiner Wirtschaft gehört. Frankreich hat sich in den Verträgen für eine geraume Zeit die Fortsetzung der Ausbeutung der Warndtkohle gesichert. Es kommt jetzt darauf an, vom Saarland aus an den Abbau der Warndtkohle zu gehen. Bei den Verhandlungen, in die wir einen beträchtlichen Einblick haben nehmen können, ist um diese Seite der künftigen Existenz der Saarwirtschaft, die ein Stück deutscher Wirtschaft ist, hart gerungen worden. Jetzt wird es darauf ankommen, die erforderlichen Investitionsmittel sicherzustellen, damit das, was vom Saarland aus geschehen kann, auch wirklich modern, rasch und großzügig geschieht.
Nicht weniger ernst zu nehmen sind offenbar die Sorgen, die sich die Bevölkerung des Saarlandes hinsichtlich der Zukunft der eisenschaffenden Industrie macht, einer in der Gewichtsverteilung der Gesamtwirtschaft des Saarlandes bedeutungsvollen Industrie, die aber in 'diesen letzten Jahren infolge der Vernachlässigungen, infolge der Tatsache, daß andere Interessen maßgebend waren, besonders notleidend gewesen ist. Jahrelang war diese eisenschaffende Industrie benachteiligt, und nun muß sie aufholen, sie muß modernisiert werden. Man steht der Tatsache gegenüber — und das hat besondere Unruhe im Zusammenhang mit dem Vertragswerk geschaffen —, daß das benachbarte lothringische Gebiet und seine eisenschaffende Industrie über die Vorteile hinaus, die sie bei der Verteilung der Marshallplan-Mittel gehabt haben, nunmehr ganz erhebliche Standortvorteile im Zusammenhang mit der Schiffbarmachung der Mosel haben und ausnutzen werden. Nachdem die Schiffbarmachung der Mosel in den Verträgen geregelt ist — für und wider diese Schiffbarmachung der Mosel ist manches gesagt worden —, haben wir die Aufgabe, uns aufmerksam mit den Fragen zu befassen, die für die weitere Entwicklung der eisenschaffenden Industrie des Saarlandes lebenswichtig sind.
Und dann kommen — der Minister des Auswärtigen hat auf die Übergangszeit und auf deutsche Wünsche im Zusammenhang mit dieser Übergangszeit während der Vertragsverhandlungen hingewiesen — 'die Bestimmungen, die mit diesem etwas irreführenden Begriff „Übergangszeit" gemeint sind. Es ist eine Zeit, die bis zu drei Jahren dauern kann und die eigentlich keinen Übergang von den bisherigen Verhältnissen zu einer wirklichen Eingliederung und den wirtschaftlichen und finanziellen Folgen dieser Eingliederung darstellt, sondern ein Weiterbestehen französischer Vorrechte und Bestimmungen während einer bestimmten Zeit, von der wir nur sagen können: sie kann maximal drei Jahre dauern, vielleicht kann sie verkürzt werden. Es ist eine Zeit mit ,all den Nachteilen, die solche Wartezeiten für eine Wirtschaft haben, vor allen Dingen für die gewerbliche Wirtschaft und insonderheit für eine Wirtschaft von der Art des Saargebietes, die in der ganzen vergangenen Periode ohne ein eigentliches Hinterland und ohne eine wirkliche Erprobung ihrer Wettbewerbsfähigkeit hat existieren müssen. Es geht um die Fortdauer der französischen Zoll-, Währungs- und Steuerbestimmungen, und damit wird die Wirtschaft und wird die ganze Bevölkerung des Saarlandes vor schwerstwiegende Probleme gestellt, aus denen sich unserer Meinung nach Aufgaben nicht zuletzt für den Bund ergeben. Wir müssen hier tatkräftig unter die Arme greifen und vorbeugen und dürfen nicht nur versuchen, dann wirksam zu werden, wenn Schäden offenbar geworden sind.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Diese Wartezeit, diese sogenannte Übergangszeit, bringt mancherlei Gefahren mit sich, die erkannt werden müssen, damit sie gebannt werden können. Und sie können gebannt werden. Wir brauchen hier gar nicht nervös zu werden. Wir sollten auch von dieser Stelle aus klarmachen, daß die brunnenvergiftende Agitation jener politischen Kräfte des Saarlandes von vorgestern, die nunmehr in ihren Blättern die Behauptung zu lancieren versuchen, es wäre alles viel besser gewesen, wenn man sich für das damalige Saarstatut entschieden hätte und dem Herrn Hoffmann gefolgt wäre, in den Realitäten und in dem, was wir dazu beitragen können, keinerlei Boden hat und daß sich die Saarbevölkerung auf uns verlassen kann.

(Beifall bei der SPD.)

Das Hauptinteresse im Saarland und auch, meine ich, hier im Bund muß wohl sein, die gewerbliche Wirtschaft, das Handwerk, den Handel, die Landwirtschaft nicht Schaden leiden zu lassen durch die Auswirkungen einer Art von Wartezeit, wie ich diese Übergangszeit genannt habe, mit ihrer Unsicherheit. Schon in dieser Zeit sollte man tun, was in unseren Kräften steht, um der Saarwirtschaft die Umstellung zu erleichtern und sie leistungsfähig und wettbewerbsfähig zu erhalten bzw. zu machen; es kommt dabei nicht nur auf das Erhalten, sondern auf ganz erheblich mehr an.
Aufmerksamkeit verdienen wohl auch die Werke in öffentlicher Hand. Es ist aus den Beratungen, die wir schon vorweggenommen haben. klargeworden, daß auch in dieser Beziehung manches getan werden muß, weil es zu Schäden führen würde, wenn man es nicht täte. Dazu gehört insbesondere eine großzügige Entwicklung des Verkehrsnetzes im Saargebiet. das so. wie es heute ist. besonders dadurch fragwürdig ist, daß es in der Nord-Süd-Richtung, von Luxemburg nach Straßburg, vernachlässigt wurde. Hier sollte man nicht warten. Ich glaube, es war der Herr Bundesminister des Auswärtigen. der an Versäumnisse und Schlimmeres aus der Zeit nach 1935 erinnerte. Diese Versäumnisse. vor allen Dingen in den Verkehrsfragen, sind noch in Erinnerung. Wir haben es in der Hand, bei diesem neuen Schritt, den die Bevölkerung des Saargebietes tun kann, ganz andere Zeichen zu setzen.
Für den Bund bedeuten die vertraglichen Bestimmungen über die deutschen Leistungen bei der Umstellung der Währung von dem französischen Franken auf unsere Deutsche Mark eine ganz erhebliche finanzielle Leistung. Aber wir dürfen nicht außer acht lassen, daß über diese eigentliche finanzielle Leistung hinaus von uns im Zusammenwirken mit der Regierung des Saarlandes dafür gesorgt werden muß, daß die Umstellung für die Wirtschaft und die soziale Sicherheit im Saarland gefahrlos vor sich geht. Auch das ist zu machen; nur muß man es wollen — ich zweifle nicht daran. daß man es in diesem Hause will —: man muß auch alle gesetzlichen Vorkehrungen dazu treffen. Schon jetzt denkt man im Saarland auch an die Zeit nach dem Ablauf der Übergangszeit, z. B. in bezug auf den Warenverkehr zwischen Frankreich, dem Saarland und der übrigen Bundesrepublik. Darauf muß man sich ebenfalls schon jetzt vorbereiten.


(Wehner)

In diesem Zusammenhang wird man auch sagen müssen: in diesen Kreis der Vorbereitungen gehören auch die Bemühungen, die von unserer Seite, von der Bundesregierung angestellt werden, zum europäischen gemeinsamen Markt zu kommen. Denn letzten Endes sind diese Dinge wohl nur in einem allgemeinen gemeinsamen Markt befriedigend für alle Seiten zu regeln. Dazu gibt es Ansätze in den Beschlüssen der Messina-Konferenz, Ansätze, die schon allzulange durch die Mühlen aller möglichen Sachverständigen gedreht werden und wegen der Vorbehalte mancher beteiligter Seiten bisher noch nicht zu wirklichen Ergebnissen geführt haben.
Von erstrangiger Bedeutung ist unserer Meinung nach schließlich die Wahrung des sozialen Besitzstandes der breiten Schichten der Bevölkerung des Saargebiets. Dort hat sich in der Zeit der Trennung manches anders entwickelt als hier. Wir möchten, daß man behutsam aneinanderfügt, was sich entwickelt hat, damit denen, die betroffen sind, kein Nachteil und kein Schaden erwachse.
Unmittelbar steht eine solche Frage in Gestalt der Regelung für die Bediensteten der Eisenbahn und der Post mit dem Jahresbeginn vor uns. Ich will es mir hier versagen, darauf hinzuweisen, wie wenig bisher an dieser und jener Stelle Fachministerien sich verständnisvoll um die Lösung dieser Frage, die eine Testfrage ist,

(Sehr richtig! bei der SPD)

gekümmert haben. Ich will hier auch nicht darüber reden, wie unglücklich der Herr Bundesverkehrsminister in dieser Sache zunächst operiert hat. Ich glaube, er hat seinen Standpunkt inzwischen revidiert. Tatsache ist, daß im Hinblick auf die Besoldung und die sozialen Leistungen vom 1. Januar des neuen Jahres an die Eisenbahner und die Postbediensteten im Saarland gesichert werden müssen. Es geht da um die Stellung, die sie im Vergleich zu den weiter Landesbedienstete bleibenden Bediensteten einnehmen, und es geht darum, daß im Eingliederungsgesetz alle nötigen Voraussetzungen für die Sicherung des sozialen Besitzstandes geschaffen werden.
Ich muß hier einmal auf eine Einzelbestimmung hinweisen. Das ist hier notwendig; die Beratungen müssen ja im Laufe weniger Tage in den nächsten Tagen abgeschlossen werden, wenn man sich nicht Versäumnisse zuschulden kommen lassen will. Nach unserer Meinung muß der § 13 des Eingliederungsgesetzes präziser gefaßt werden, um keinen Zweifel daran zu lassen, daß die saarländischen Besoldungsänderungen nach dem 1. Januar 1957 bis zur Einführung des Bundesbesoldungsrechts für diese Bediensteten der Eisenbahn und der Post entsprechend anzuwenden sind und daß die Einführung des Bundesbesoldungsrechtes nicht vor dem Ablauf der Übergangszeit, wie sie der Art. 3 des Saarvertrages bestimmt, erfolgt. Darüber sollte und kann es meiner Meinung nach keine wirklichen Meinungsverschiedenheiten geben.
Denken wir bei der Gelegenheit auch an die Rentner, an die Kriegsopfer, an die Witwen, an die Waisen, deren Versorgung in mancher Beziehung anders geregelt war und ist, als wir es hier gewohnt waren, und denken wir da an eine besonders fürsorgliche Behandlungsweise der Anliegen dieser Kreise und Schichten der Bevölkerung des Saarlandes.
Alles in allem, meine Damen und Herren: lassen wir es unsere gesamtnationale Sorge und Verpflichtung sein, die aus den Verträgen und der Umstellung erwachsenden Lasten und Leistungen gemeinsam zu bewältigen! An den Verträgen selber ist nichts mehr zu ändern. Man kann sie annehmen — wir stimmen für die Annahme —, man kann sie ablehnen. Aber das Eingliederungsgesetz ist noch in unserer eigenen Hand. Ich möchte abgesehen davon, was der Herr Bundesminister des Innern hier zu der Frage einer Grundgesetzergänzung oder -änderung gesagt hat — er hat sie für überflüssig gehalten —, meinen, das sollte doch noch einmal ernstlich geprüft werden. Es handelt sich ja dabei nicht um den Vorgang der Eingliederung im Grundgesetz, es handelt sich doch um das, was unter Umständen — ich bin dieser Meinung — an besonderen gesetzgeberischen Vollmachten grundgesetzlich verankert werden muß, die für eine ganze Zeit, besonders für diese hier erwähnte Übergangszeit, während der die französischen Bestimmungen im Saargebiet auf gewissen Gebieten fortdauern, unvermeidlich sind. Man sollte auf jeden Fall noch einmal prüfen, ob wir so nicht besser fahren. Es ist nicht eine Prinzipienfrage, ob ja oder nein, sondern es ist die Frage, ob es uns etwas erleichtert. Wenn es uns etwas erleichtert, sollte man es tun; wenn nicht, dann kann man es bleiben lassen.
Auch der Haushaltsplan ist von uns selber zu gestalten. Ich glaube, im Haushaltsplan werden wir — abgesehen von dem, was wir zum Eingliederungsgesetz in den Ausschüssen noch zu sagen haben, die damit befaßt sein werden — das Notwendige tun.

(Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!)

Noch ein Wort zu dem Eingliederungsgesetz. Im Eingliederungsgesetz wird nach meiner Meinung und nach der Meinung meiner Fraktion in § 10 Abs. 4 klar gesagt werden müssen: der Bund gewährt dem Saarland für einzelne Rechnungsjahre eine Finanzhilfe,

(Beifall bei der SPD)

damit nicht daran gedeutelt werden kann, als ob er es tun oder nicht tun könnte. Kein Mensch wird bestreiten, daß es so sein wird. Es muß auch im Gesetz klar gesagt werden. Niemand soll das in Zweifel stellen können und in dieser Beziehung Nervosität in die Bevölkerung des Saargebietes bringen können.
Unserer Auffassung nach wäre es für unsere eigene Kontrolle gut, wenn wir, der Deutsche Bundestag, uns entschließen könnten, in einem Sonderhaushalt „Saar" des Bundeshaushalts 1957 die Verpflichtungen, die Leistungen und die Finanzierungshilfen zusammenzufassen, die erforderlich sind und von denen schon in der Regierungserklärung summarisch die Rede war.
Hier ist angesprochen worden, daß die Regierung des Saarlandes in einem Memorandum auf die Notwendigkeiten hingewiesen hat, die im Zusammenhang mit der Eingliederung auf finanziellem Gebiet ins Auge zu fassen sind. Auch dieses sollte bei der Behandlung der Verträge, des Eingliederungsgesetzes und des Haushaltsplans in den Ausschüssen gegenwärtig sein. Es ist ein außerordentlich lesenswertes, lehrreiches Memorandum. Ich möchte anläßlich der ersten Lesung in einigen Sätzen auf die Hauptpunkte zu sprechen kommen. Die Regierung des Saarlandes hält an Finanzierungshilfen für die neu zu gründenden Unternehmen der Saarberg-


(Wehner)

werke 9 bis 10 Milliarden französische Franken im Rahmen des Haushalts für das Jahr 1957 für erforderlich. Es geht hier um die, wie ich es nannte, Hauptsorge im Leben der Saarbevölkerung und der ganzen Saarwirtschaft, um jene Modernisierung und um jene Inangriffnahme der Ausbeutung der Warndt-Kohle von der Saar selbst her, nachdem sie jahrelang von anderer Seite ausgebeutet worden ist. Ferner müssen bereitgestellt werden als Darlehen für Investitionskredite, für Eigenkapitalsund Auftragsfinanzierung 15 Milliarden französische Franken. Als Zuschüsse des Bundes für die Deckung des Haushaltsdefizits, das sich aus der Umstellung, vor allen Dingen aus der steuerlichen Umstellung, aber auch aus anderen Gründen, z. B. Ausgleich für Transferverlust, Erstellen von Autobahnen und Kraftfahrbahnen, ergibt, sind weitere rund 15 Milliarden französische Franken erforderlich. Hier handelt es sich um Aufgaben der Dringlichkeitsstufe I. Alle Fraktionen dieses Hauses haben — darauf hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen hingewiesen — die Eilbedürftigkeit der Beratung und der Verabschiedung des Saarvertrags und der mit ihm zusammenhängenden Verträge anerkannt und sich deshalb dazu auch einer besonderen Methode bedient. Es sollte auch möglich sein, die aus den Verträgen erwachsenden Folgerungen mit der gebotenen Dringlichkeit zu behandeln, um weder Lücken noch Versäumnisse entstehen zu lassen.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn wir in etwa 14 Tagen die dritte Lesung dieser Verträge durchführen, sollten wir imstande sein, zu erklären, daß der Deutsche Bundestag alles in seiner Kraft Stehende tun wird, um dem Saarland bei der Eingliederung in den Bereich des Grundgesetzes die notwendige Hilfe zu leisten: 1. die Volkswirtschaft des Saargebietes durch Modernisierung auf den Stand der bundesdeutschen Volkswirtschaft zu bringen und dazu Darlehen bereitzustellen, 2. durch geeignete Förderungsmaßnahmen für die saarländische Wirtschaft dieser den Zugang zu den Märkten der Bundesrepublik zu ermöglichen, 3. insbesondere auch durch Schaffung und Modernisierung der Verkehrswege der Saarwirtschaft die Eingliederung zu erleichtern, schließlich 4. die Nachteile, die der Saarwirtschaft durch die Schiffbarmachung der Mosel entstehen werden, auszugleichen und 5. durch Zuschüsse des Bundes für den Ausgleich des Saarhaushalts zu sorgen.
Ich zweifle nicht, daß dies das Ergebnis der Beratungen sein muß und daß wir das in einer Art von Entschließung und Willenskundgebung bei der dritten Lesung zum Ausdruck bringen wollen. Es muß klar sein, daß der Deutsche Bundestag bereit ist, alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse im Saargebiet zu ermöglichen. Bei der Eingliederung des Saarlandes wird für die Arbeitnehmer und im Bereich der sozialen Sicherheit keinerlei Verschlechterung eintreten; das muß klar sein, das muß gewährleistet sein.

(Beifall bei der SPD.)

In diesem Sinne wird dieser Bundestag die Bundesregierung auffordern und ersuchen müssen, im Haushaltsjahr 1957 die mit der Saarregierung abzustimmenden Beträge für Darlehen und Zuschüsse auszubringen.
Das heißt, wir stehen vor einer immensen Arbeit, die sich aus diesen Verträgen ergibt. Wir werden sie bei allen politischen Gegensätzen, die wir haben, freudig dann erfüllen können, wenn uns klar ist,
daß es sich hier um eine Aufgabe von nationalpolitischer Bedeutung und Rangordnung handelt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217400800
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0217400900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der ChristlichDemokratischen Union begrüßt diesen Tag, an dem wir mit der ersten Lesung des uns vorliegenden Vertragswerkes über die Angliederung des Saargebiets an die Bundesrepublik bereits den Augenblick vorwegnehmen dürfen, in dem das Saarland am 1. Januar des kommenden Jahres ein Teil dieser Bundesrepublik sein wird, mit tiefster innerster Freude.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Schröter [Wilmersdorf].)

Daß dabei, obwohl es nicht allen gefallen mag, auch ein tiefes Gefühl der Genugtuung mitschwingt, daß die Rückkehr des Saarlandes

(Abg. Dr. Menzel: Trotz der Bochumer Rede! — Weitere Zurufe von der SPD)

gewiß der Treue der Saarbevölkerung, aber auch der Richtigkeit der von der Bundesregierung vertretenen Politik zu verdanken ist,

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

das wird man uns auf den Bänken —

(fortgesetzte lebhafte Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

— das wird man uns auf den Bänken der Opposition verargen, weil es nun einmal auf unser HabenKonto kommt.

(Lachen bei der SPD.)

Aber Sie zerstören die geschichtliche Wahrheit trotzdem nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

Wie oft, meine Damen und Herren, habe ich in diesem Hause das „Lachen links" gehört

(anhaltende Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

bei Plänen und Konzeptionen unserer Politik, die hier entwickelt worden sind, und wie oft hat sich trotz dieses Lachens die Richtigkeit unserer Konzeption erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Erneute Zurufe von der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Das ist der große nationale Freudentag!)

Der Herr Kollege Wehner hat von Legendenbildung gesprochen,

(Zurufe von der SPD)

die verhindert werden müßte. Auch wir sind der Meinung, daß eine falsche Legendenbildung verhindert werden muß. Deswegen lassen Sie uns einmal, meine Damen und Herren, den Verlauf der Dinge bis zum heutigen Tage überprüfen. Dabei will ich keineswegs, wie es Herr Wehner ausgedrückt hat, für die Arbeit der Opposition auf die-


(Kiesinger)

sem Gebiete mit einem Fußtritt danken. Was immer die Opposition mit dazu beigetragen hat, daß es zu diesem Tag gekommen ist, soll ihr gedankt sein. Es ist aber wichtig, die Wahrheit festzustellen

(Abg. Arnholz: Tun Sie das nur!)

— ich tue es —, und zwar schon deswegen, weil das Saarproblem nicht für sich allein betrachtet werden darf,

(Sehr gut! in der Mitte)

sondern weil es, wie gesagt wurde, der Testfall des viel größeren und umfassenderen Problems gesamten deutschen Außenpolitik und innerhalb dieser des Problems der deutschen Wiedervereinigung ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hätten wir — und ich spreche für die Regierung und die sie hauptsächlich tragende Partei — an diesem Problem versagt, hätte man uns allenfalls den Vorwurf machen können, daß es uns wohl auch nicht gelingen werde, das schwierigere Problem der Wiedervereinigung zu lösen.

(Zuruf von der SPD: Ihnen gelingt das auch nicht!)

Da wir aber — und das können Sie nun beim besten Willen nicht wegleugnen — unter dieser Regierung und mit dieser Regierung

(lebhafte Zurufe von der SPD: Trotz Ihrer Regierung! Trotz Adenauer!)

— ich habe verstanden — die Rückkehr des Saarlandes erleben werden, können wir das Vertrauen des Volkes auch für den anderen Teil unserer Wiedervereinigungspolitik fordern.
Was erreicht worden ist, das haben wir erreicht durch Nüchternheit, Geduld, Festigkeit in der Behauptung des wirklich Unverzichtbaren, Verständnis für die Situation des Verhandlungspartners und eine sich daraus ergebende Bereitschaft zu Opfern und Zugeständnissen, auch schwerer Art; durch einen unbeugsamen Willen, nicht nur dieses eine Problem zu lösen, sondern mit diesem Problem auch eine Gesamtbereinigung der Beziehungen der beiden Länder herbeizuführen, und durch eine in jedem Augenblick der langen und zähen Verhandlungen unerschütterliche und unbezweifelbare Loyalität, die erst jene Atmosphäre geschaffen hat, in der schließlich das Problem gelöst werden konnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wie war denn der Verlauf der Dinge? Unser Kollege Mommer hat jüngst in einem beachtenswerten Artikel in der Zeitschrift „Außenpolitik" folgendes geschrieben:
Wie in dem Quellenband des Hamburger Völkerrechtlichen Instituts in den Ausführungen von Ministerpräsident Faure bestätigt wird, entriß der Bundeskanzler im Oktober 1954 das zweite Plebiszit als Zugeständnis.

(Abg. Dr. Mommer: Bitte, zitieren Sie das Ganze!)

— Das ist der Passus. Ich kann beim besten Willen,
Herr Mommer, Ihren Artikel nicht ganz vorlesen.

(Zurufe von der SPD.)

Herr Mommer hat in diesem Artikel selbst zugestanden, daß hier ein ganz entscheidender Erfolg
der deutschen Bemühungen um die Lösung des Saarproblems errungen wurde. Hier lag der entscheidende Wendepunkt. In jenem Abkommen ist es uns gelungen, die Franzosen zum erstenmal dazu zu bewegen, ihr Einverständnis zu erteilen, daß über das endgültige Schicksal des Saargebiets allein und ausschließlich die Saarbevölkerung zu entscheiden hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217401000
Herr Abgeordneter Kiesinger, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Mommer?

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0217401100
Bitte sehr.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0217401200
Herr Kiesinger, erinnern Sie sich, wenn Sie diese meine Ausführungen in der „Außenpolitik" gelesen haben, daß ich da festgestellt habe, der Herr Bundeskanzler habe der französischen Regierung ,das zweite Plebiszit, das in dem Saarvertrag vom 23. Oktober vorgesehen war, entrissen, nicht aber das erste, und daß das erste Plebiszit eine Forderung der Franzosen war, die in dem berühmten Naters-Plan zum erstenmal aufgetaucht war?

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0217401300
Selbstverständlich, Herr Mommer; ich komme sofort auf diese Gedankengänge zurück.

(Zuruf von der SPD.)

Meine Herren, lassen Sie mich genau ausführen, wie die Dinge gekommen sind. Ich stelle noch einmal fest: der entscheidende Wendepunkt im ganzen Saarproblem war jenes deutsch-französische Abkommen über das Saarstatut, weil es durch die Einräumung dieses zweiten Plebiszits der Saarbevölkerung die Entscheidung über ihr eigenes Schicksal zusprach.
Damit war die Frage im Prinzip gelöst. Bei Unterhaltungen mit führenden französischen Politikern, die ich unmittelbar darauf hatte, wurde mir von diesen freimütig zugestanden, daß sie selbst glaubten, daß das Saarproblem damit praktisch schon entschieden sei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es gab aber nicht nur ein zweites Plebiszit. Bei jenen Unterhandlungen stritt man auch noch um ein anderes, sehr Bedeutsames, nämlich darum, daß im Saarland endlich eine freigewählte, wirklich unabhängige Volksvertretung ihre politische Meinung bekunden dürfe.
Wir konnten also, wenn es nach den Plänen des Abkommens gegangen wäre und wenn die Saarbevölkerung das Saarstatut bejaht hätte, mit folgenden zwei Etappen rechnen: erstens mit der Wahl eines freien Landtages in der Hoffnung, daß die überwältigende Mehrheit dieses Landtages ein eindeutiges Bekenntnis der Saarbevölkerung zu Deutschland repräsentieren würde,

(Zurufe von der SPD)

zweitens, daß am Ende der Entwicklung jenes Plebiszit der Saarbevölkerung stünde, mit dem die Saarbevölkerung nach diesem Abkommen Rechtens zu Deutschland zurückkehren würde.

(Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Wann?)

— Wann? Das ist eine Frage, verehrter Herr
Becker, über die Sie so wenig entscheiden konnten


(Kiesinger)

wie wir. Die Frage des Wann liegt in solchen Fällen nicht in der Hand des Politikers, der vorbereiten und bereit sein muß für die Ereignisse der Geschichte.

(Zurufe von der SPD.)

Diejenigen, die mit dem Kopf durch die Wand wollen, haben noch nie etwas erreicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ja, dieses Wann in der Saarfrage, dieses Wann in der Wiedervereinigungsfrage im Osten, die Hybris, dieses hektische Bemühen, in einer Zeit der Unreife eines politischen Problems die reife Frucht pflücken zu wollen, das ist wieder die alte treuherzige politische Romantik!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Uh-Rufe bei der SPD.)

Ich habe damals mit vielen Menschen, mit Leuten aus dem Saargebiet, mit Menschen meiner eigenen Fraktion und Ihrer Fraktion Gespräche über die mögliche Haltung der Saarbevölkerung bei der Entscheidung über das Saarstatut geführt. Nun, ich gehörte damals zu jenen — meine Freunde aus dem Saargebiet wissen das —, die davon überzeugt waren, daß die Saarbevölkerung schon bei der Entscheidung über dieses Statut ihren klaren Willen zu Deutschland bekunden werde. Ich habe das seinerzeit auch meinen Freunden aus dem Saargebiet gesagt.

(Abg. Metzger: Und der Herr Bundeskanzler?)

— Und der Herr Bundeskanzler? Der Herr Bundeskanzler hat durch den Abschluß jenes entscheidenden Abkommens, dadurch, daß er das Vertrauen der französischen Unterhändler gewann, den ersten und entscheidenden Schritt zu der Befreiung getan.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Konnten Sie vom Bundeskanzler, konnte jemand vom Bundeskanzler erwarten, daß er, nachdem er dieses Abkommen geschlossen hatte, sich öffentlich hinstellte und die Saarbevölkerung aufforderte, gegen dieses Abkommen zu stimmen?

(Abg. Metzger: Da hätte er ja den Mund halten können! — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

Wenn Sie einem deutschen Politiker,

(erneute Zurufe von der SPD)

einem deutschen Staatsmann diesen Ratschlag geben, meine Damen und Herren,

(Abg. Arnholz: Solchen Vorschlag haben wir nicht gemacht. Er hätte schweigen sollen!)

dann werden Sie für alle Zukunft jedes Abkommen, das irgendein deutscher Staatsmann mit einem fremden Staate schließen wird, dadurch entwerten, daß Sie den Eindruck erwecken: Der Deutsche sagt heute ja, und morgen bricht er schon sein Wort.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie dem Bundeskanzler einen Vorwurf machen wollen — wenn Sie sachlich blieben bei Ihren Vorwürfen —,

(Zuruf von der SPD: Bleiben S i e doch sachlich! — Abg. Wehner: Wer ist denn hier unsachlich geworden?)

dann könnten Sie folgendes sagen: — —

(Abg. Wehner: Wer holzt denn hier? — Abg. Dr. Gülich: Minister Schröder hat so töricht angefangen!)

— Nun lassen Sie doch mal Herrn Schröder, befassen Sie sich doch einen Augenblick mit mir! (Abg. Dr. Gülich: Das tue ich!)

Dann könnten Sie sagen: Jawohl, der Bundeskanzler war zur loyalen Einhaltung des von ihm geschlossenen Abkommens verpflichtet.

(Abg. Dr. Gülich: Natürlich war er es! Das bestreitet niemand!)

Man konnte vom Bundeskanzler nicht erwarten, daß er die Saarbevölkerung zum Gegenteil aufforderte.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Sie konnten sagen: Warum hat dann der Bundeskanzler die Dinge nicht sich selbst überlassen?

(Sehr richtig! bei der SPD und beim GB/BHE.)

— Jawohl, so konnten Sie fragen. (Abg. Dr. Kather: Dazu war er verpflichtet!)

Ich will Ihnen die Antwort geben: weil sehr viele Leute und nicht nur der Bundeskanzler das befürchteten, was der Außenminister in seinen Erklärungen bereits gesagt hat. Die Rechtslage war die, daß, wenn die Saarbevölkerung das Statut ablehnte, ein Vakuum entstand, d. h., daß sich Rechtens Frankreich dann hätte darauf berufen können, daß nunmehr der alte Zustand wiederhergestellt sei. Weil der Bundeskanzler eine solche Möglichkeit befürchtete und weil er darüber hinaus nicht nur eine Erstarrung des Saarproblems, sondern auch eine Erstarrung der deutsch-französischen Beziehungen und des Fortgangs der europäischen Integration befürchtete, hat ihm die große Sorge um diese mögliche Entwicklung

(Abg. Feller: Vorsichtig! Jetzt wird's gefährlich!)

seine Haltung vorgeschrieben.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Feller: Sehr gefährlich, was Sie hier sagen! — Zuruf von der SPD: Sehr schlecht!)

Dabei bleibt festzuhalten, daß es bei der Haltung der Saarbevölkerung gar keinen Zweifel gegeben hätte, daß, wenn das Statut angenommen worden wäre und ein freier Landtag gewählt worden wäre, die Entwicklung — Herr Becker, Ihr „Wann"! — im Saargebiet ebenfalls mit großer Geschwindigkeit auf eine Lösung gedrängt hätte, wie wir sie auf andere Weise erlebt haben. Ob das ein Jahr früher oder später geschah, spielte in dem großen Zusammenhang der europäischen Dinge nicht die überragende Rolle, die Sie ihr zusprechen wollen.

(Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Metzger: Das ist sehr dünn! — Abg. Wittrock: Sie sind ein schöner Eiertänzer! Abg. Rehs: Das ist zu geschickt, Herr Kiesinger!)

— Wenn Sie einem Argument wirklich nichts sachlich entgegenzuhalten vermögen: dann nennen Sie die Argumentation „geschickt"! Sie ist nicht „geschickt", sie ist wahr.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



(Kiesinger)

Was kam dann, nach der Ablehnung des Saarstatuts durch die Saarbevölkerung? Jene Reaktion Frankreichs, die auch die kühnsten Träumer von Ihnen nicht zu erhoffen gewagt hatten, meine Damen und Herren.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

Frankreich hat sich dem manifestierten Willen der Saarbevölkerung gebeugt. Warum hat es das wohl getan?

(Zuruf des Abg. Metzger.)

— Es mag, Herr Metzger, manche unter Ihnen geben, die glauben, daß Frankreich dies nur getan habe, weil eben die Bevölkerung an der Saar ihr Bekenntnis zu Deutschland abgelegt habe. Wir aber sind davon überzeugt: diese Haltung Frankreichs ist nur dadurch zu erklären, daß das Verhandlungsklima, in dem die ganzen Jahre hindurch dieses schwierigste aller Probleme zwischen unseren beiden Ländern behandelt worden ist, daß gerade die Loyalität auf deutscher Seite, die niemals bezweifelt werden konnte, das Entscheidende dazu beigetragen hat, daß Frankreich sich schließlich den Tatsachen beugte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich erinnere mich der furchtbaren Isolierung, in die Ihre Vertreter im Europarat in dieser Frage gerieten. Sie waren es doch, die das Saarproblem durch eine „Politik der Stärke", um Ihr beliebtes Schlagwort aufzunehmen, lösen wollten.

(Ach! und weitere Zurufe von der SPD.)

— Soll ich Ihnen die Reden, die in Straßburg gehalten worden sind, vorlesen, soll ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, wie Dehousse aufstand und mit welchen Worten er damals den deutschen sozialdemokratischen Vertretern unter dem Beifall des ganzen Hauses entgegentrat?

(Zuruf von der SPD: Auch von Ihnen?)

Meine Damen und Herren, das Bewußtsein des Rechts, das wir alle in der Saarfrage hatten, durfte uns nicht dazu verleiten, zu hoffen, daß das Saarproblem mit einer Haltung zu lösen wäre, die Frankreich mit tiefstem Mißtrauen gegen einen neuentstehenden deutschen Nationalismus erfüllen mußte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin in jener Zeit — glauben Sie mir dies einmal, meine Damen und Herren —, mit einer ganzen Reihe von Ausländern immer wieder in Streit geraten über ihre Behauptung, die deutsche Sozialdemokratie beweise durch ihre Haltung in der Saarfrage, daß sie eine nationalistische Partei sei.

(Zurufe von der SPD.)

Wie oft habe ich damals in Gesprächen und in öffentlichen Reden diesen Vorwurf gegen die Sozialdemokratie zurückgewiesen!

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Die Parole hat doch Ihr Kanzler ausgegeben!)

Ich erzähle Ihnen das nur, weil ich Ihnen klarmachen möchte, daß Sie durch Ihre damalige Politik
— und nicht umsonst hat der Innenminister die Erinnerung an das Petersberger Abkommen, an Ihre Ablehnung der Montanunion, Ihre Ablehnung des Eintritts in den Europarat heraufbeschworen —, durch Ihre damalige Haltung, ein Klima in Westeuropa zu schaffen drohten, in dem die
deutsch-französische Versöhnung von vornherein einfror.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Die neue Geschichtsschreibung des Herrn Kiesinger!)

— Natürlich! Ich bin durchaus bereit — was ich sage, steht ja in den Protokollen des Bundestags —,

(Bundesinnenminister Dr. Schröder: Sehr gut!)

vor der Vergangenheit und vor der Zukunft für
diese meine Auffassung Verantwortung zu tragen.

(Abg. Wehner: Werden Sie nicht zum Advokaten für Kirn!)

Ich habe damals, zum Petersberger Abkommen, meine erste außenpolitische Rede in diesem Hause gehalten. Ich erinnere mich noch sehr wohl daran, daß ich damals vorausgesagt habe, wie die Entwicklung kommen werde.

(Oho! bei der SPD.)

Wenn Sie diese Rede nachlesen, dann werden Sie vielleicht sagen: Kiesinger hat damals „sehr geschickt" vorausgesagt, weil alles, was er vorausgesagt hat, in der Zwischenzeit eingetreten ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Neumann: Da haben Sie den Kanzler schlecht beraten!)

Da ich auf diese geschichtlichen Repliken nicht vorbereitet war, habe ich meine Ausführungen aus jener interessanten Nacht nicht mitgebracht; es ist schade. Ich hätte sie gern verlesen. Aber ich bitte Sie, das vielleicht in einer stillen Stunde der Einkehr selbst zu tun.

(Heiterkeit. — Abg. Mellies: Das scheinen Sie am nötigsten zu haben, und zwar nicht nur für die verflossenen Jahre!)

Ich habe jedenfalls damals vorausgesagt, daß das Petersberger Abkommen der erste Schritt zu einer Bereinigung aller noch schwebenden Probleme, die zwischen uns und dem Westen stünden, sein werde.
Meine Damen und Herren, der Außenminister konnte heute feststellen: Nach der Bereinigung des Saarproblems, des deutsch-belgischen Verhältnisses stehen noch gewisse Dinge aus, die wir mit Holland bereinigen müssen: dann aber ist diese Teilaufgabe der deutschen Außenpolitik, die anstehenden Probleme im Westen zu lösen, zu unser aller und unserer Nachbarn Zufriedenheit gelöst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das müssen Sie uns schon in einer solchen Stunde zu sagen erlauben. Sie versuchen ja fortgesetzt, unsere Politik da, wo sie noch keine sichtbaren Erfolge hatte, unter allen Umständen zu bestreiten, und da, wo sie zu sichtbaren Erfolgen führte, zu behaupten, diese seien trotz unserer Politik eingetreten.

(Sehr gut! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Siehe Saargebiet!)

— Ja, ja, siehe Saargebiet! Das ist ja ein Exempel, an dem Sie es versuchen.

(Zuruf von der SPD: Sie überzeugen nur sich!)



(Kiesinger)

— Tassen Sie das unsere Sorge sein, wen in diesem Volke wir überzeugen. Ich bin völlig zuversichtlich,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

daß die Mehrheit unseres Volkes unsere Überzeugung teilen wird.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

— Meine Damen und Herren, jubeln Sie nicht zu f rah!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wittrock: Das Volk hat Sie schon durchschaut!)

— . Es ist noch eine weite Strecke zurückzulegen, verehrter Herr Kollege, bis zu den Bundestagswahlen des Jahres 1957. Wir werden das Unsere tun, damit das Volk weiß, um was es geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien, — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Die Millionen allein machen es nicht!)

-- Ach, wissen Sie, die Millionen, Herr Kollege, ich weiß nicht, bei wem die sind. Bis jetzt hatte ich immer den Eindruck, als ob die Millionen bei Ihnen lägen, nicht bei uns.

(Weitere Zurufe von der SPD. — Abg. Mellies: Ich habe bloß Ihr Wahlkonto gemeint!)

Ich wünschte, die Christlich- Demokratische Union wäre imstande, ein ebenso großartiges Parteigebäude in Bonn zu errichten wie Sie. Unsere Finanzlage erlaubt es leider nicht;

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

Sie mögen's glauben oder nicht!

(Erneutes Lachen und Zurufe von der SPD. — Abg. Mellies: Diese Demagogie ist selbst für Kiesinger zuviel!)

— Herr Mellies, manchmal unterschätzen Sie uns, vielleicht zu oft. In diesem Falle eben haben Sie uns überschätzt.
Wir müssen aber zum Saarproblem noch etwas anderes sagen, weil man uns die Saarlösung, das, was erreicht und das, was nicht erreicht worden ist, gerne als einen Modellfall für die große Lösung der Wiedervereinigung darstellt. Herr Mommer hat es in dem von mir vorhin zitierten Artikel schon getan. Ichwill durchaus nicht allem widersprechen, was Herr Mommer in jenem Artikel gesagt hat. Im Gegenteil, in manchen Punkten bin ich durchaus mit ihm einig. Aber wir dürfen, wenn wir — und das sollten wir an einem solchen Tag nicht unterlassen — das ganze Problem der Wiedervereinigung an dem Beispiel des Teilfalles ins Auge fassen, doch nicht übersehen, daß die Lösung des Saarproblems durch die bestehende Ost-West-Spannung erleichtert worden ist.
Es ist kein Zweifel, daß die Notwendigkeit der europäischen Einigung alle westlichen Länder äußerst interessiert daran machte, daß die Barriere zwischen Deutschland und Frankreich beseitigt wurde. Das ist leider der große Unterschied gegenüber der Problematik der Wiedervereinigung im Osten. Die bestehende Ost-West-Spannung steht der Wiedervereinigung im Osten leider im Wege, ist ihr hinderlich. Die Gefahr im Westen war nur die, daß bei der Lösung, auf ,die alle Welt hindrängte, die deutschen Interessen zu kurz kamen. Wir haben erlebt, daß eine ganze Reihe von Politikern bereit waren, über die deutschen Interessen hinwegzugehen und uns zuzureden: Nun bereinigt doch dieses Problem, ganz gleich, wie, schließlich auch unter Preisgabe eurer Position, nur damit der europäische Prozeß weitergehen kann.
Herr Wehner hat von einer Europakonstruktion gesprochen, die um ein abgetrenntes Saargebiet herumgebaut war. Ja, man kann es auch so ausdrücken, es kommt auf den Blickpunkt an. Wenn Freunde von mir bereit waren, in jener Zeit unter Umständen zu einer Lösung ja zu sagen, die dem Saargebiet einen unabhängigen Status im Rahmen eines wirklich vereinigten Europas gegeben hätte, dann taten sie dies schweren Herzens und unter vielen Bedenken aus der Einsicht hieraus, daß die Zeit der nationalstaatlichen Anarchie Europa vorbei sei und daß die einzige Rettung für die Zukunft Europas im Zusammenschluß der europäischen Staaten liege. Wenn ein solcher Zusammenschluß Wahrheit geworden wäre — es schien einen kurzen Augenblick lang so, als ob er Wahrheit werden könnte —, dann wäre vielleicht sogar dieses Opfer des großen Zieles wert gewesen.

(Belfall bei der CDU/CSU.)

Aber diese Stunde ist von Europa versäumt warden. .
Ich erinnere Sie an jene Debatte im Europarat, als man versuchte, nach dem Scheitern der EVG und der Politischen Gemeinschaft uns trotzdem wieder auf die Linie des van-Naters-Plans zu drängen. Damals haben wir dagegen protestiert. Nachdem die europäische Konzeption der politischen Gemeinschaft gescheitert war, war es auch mit der Diskussion um einen unabhängigen internationalen Status des Saarlandes vorbei. Man hat uns das denn auch im Europarat abgenommen.

(glücklichen Gelingen geführt haben, nicht zuletzt deshalb,weil wir unseren Partner schließlich zu der Einsicht brachten, daß es besser sei, den Willen der freien Saarbevölkerung zu respektieren als auf einer Politik der Gewalt und der Annektion zu bestehen. Meine Damen und Herren, das ist ja genau das, was Sie immer wieder von uns fordern, wenn Sie den Blick auf das Problem der Wiedervereinigung im Osten lenken. Sie werfen uns vor, wir täten hier nicht genug. Wir haben diesen Vorwurf stets zurückgewiesen. Sie erinnern sich daran, daß selbst die Verträge, die die Bundesrepublik in den Kreis der NATO-Staaten geführt haben, keineswegs eine endgültige Regelung vorsehen, die einer Verständigung, einer wirklichen Verständigung, mit Sowjetrußland im Wege stehen würde. Die Pariser Verträge verpflichten nur die Bundesrepublik, nicht das wiedervereinigte Deutschland zur Teilnahme an der NATO. Der Artikel 10 des Deutschlandvertrags sieht eine Revision vor nicht nur im Falle der Wiedervereinigung, sondern „in jeder Lage, die nach Auffassung aller Unterzeichnerstaaten aus einer Änderung grundlegenden Charakters in den zur Zeit des Inkrafttretens des Vertrags bestehenden Verhältnissen entstanden ist". Mit anderen Worten: die von uns abgeschlossenen Verträge lassen alle Türen auf, die unter Umständen einmal benutzt werden können, um eine Lösung des Problems der Wiedervereinigung im Osten zu erreichen. Daß unsere Regierung es mit diesen Vorbehalten ernst meint, hat sie durch ihre Note vom 7. September 1956 klar erwiesen. Ich hebe die wichtigsten Punkte dieser Note noch einmal hervor. Es ist erstens der Hinweis darauf, daß wir nicht beabsichtigten, durch die Wiedervereinigung die militärische Lage einer Mächtegruppe zu verbessern; zweitens die Erklärung der Bereitschaft zur Erörterung aller denkbaren Vorschläge für ein europäisches Sicherheitssystem; drittens die Erklärung der Bereitschaft zur Einrichtung einer militärisch abgeschwächten oder demilitarisierten Zone diesseits und jenseits der Demarkationslinie und nicht zuletzt auch der Hinweis darauf, daß wir im Falle einer Wiedervereinigung so, wie wir es jetzt im Saargebiet getan haben, nicht an irgendwelche „Vergeltung" für eine in der Zwischenzeit eingenommene politische Haltung denken. Das ist angesichts der Politik, die von den Machthabern in Pankow betrieben wird, wahrhaftig ein sehr viel größeres Zugeständnis als das, das wir im Saargebiet, gemacht haben, obwohl es auch dort richtig gewertet werden sollte. Das sind keine Phrasen, sondern konkrete Angebote an Sowjetrußland, einen Weg zu beschreiten, der eines Tages zur Lösung der deutschen Frage führen kann. Es sind dieselben Grundsätze, es ist derselbe Geist der Behauptung des Friedens und der Freiheit, der unsere ganze Politik trägt. Ich brauche nicht zu betonen, daß wir alles Künftige in vollkommener Loyalität gegenüber unseren Vertragspartnern tun und tun werden. Der Blick auf die gegenwärtige Weltlage zwingt uns, in dieser Stunde beschwörend zu sagen: Wenn wir, wenn das westliche Europa, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika das Mißtrauen und die Unsicherheit, die durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate entstanden sind, nicht zu überwinden vermögen, wenn dieses Mißtrauen innerhalb der Gemeinschaft der Staaten des Nordatlantischen Paktes weiterfressen und -wuchern würde, dann wäre allerdings das Ende aller Sicherheit in diesem Bereich der Erde gekommen. Es wäre selbstmörderisch, aus gefühlsmäßigen oder aus allzu eilfertigen verstandesmäßigen Schlüssen durch Verteilung von unzeitgemäßem Lob und unzeitgemäßem Tadel dieses Mißtrauen zu stärken und zu vergrößern. Die Dinge sind in vollem Fluß. Niemand von uns weiß, wie sich die Ereignisse im Nahen Osten, wie sich auch die Ereignisse in Ungarn auf die weitere Entwicklung unserer Geschichte auswirken werden. Aber eins, meine Damen und Herren, sollten wir doch, wenn wir das Ziel der deutschen • Wiedervereinigung unbeirrbar im Auge behalten, nicht vergessen, und das sollte uns gerade eine Lehre aus den Ereignissen in Ungarn sein: Wir haben Pakte über die ganze Welt, wir sehen Sowjetrußland in den Vereinten Nationen. Dort haben wir ein internationales Sicherheitssystem, und dieses Sicherheitssystem, diese Pakte haben nicht verhindern können, was in den letzten Wochen und Monaten in dieser Welt geschehen ist. Sie haben vor allen Dingen nicht verhindern was in Ungarn geschehen ist. Wir alle haben wahrscheinlich, als wir die ersten Nachrichten aus Ungarn hörten, ähnliche Empfindungen gehabt: Erschütterung, Bewunderung, aber auch Mitleiden mit diesem tapferen Volk, das, wie damals am 17. Juni 1953 unsere Menschen im Osten, es wagte, gegen den Titanen, der dieses Volk unterdrückt, aufzustehen. Es hat Kritiker gegeben, die sagten: Hätten die Ungarn das doch unterlassen! Es war doch alles schon auf bestem Wege. Die Entstalinisierung schien erfolgreich, wie das Beispiel Polens lehrte. Warum haben nun die Ungarn eingegriffen und haben diesen Prozeß einer allmählichen Lockerung und Konsolidierung unterbrochen? — Nun, meine Damen und Herren, ich will solchen Gedanken nicht entgegentreten. Ich weiß nicht, ob die Politik der Entstalinisierung wirklich zu jener Lockerung, jener allmählichen Liberalisierung und Angleichung der östlichen Welt an die westliche Welt geführt hätte oder führen wird, wie so viele im Interesse des Friedens hoffen. Es kann so sein, es kann auch das Gegenteil eintreten. Aber daß es in deutschen Landen möglich war, den Aufstand der Ungarn so darzustellen, daß man über gewisse Artikel den Satz hätte schreiben können: „Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldig", das treibt mir die Schamröte ins Gesicht. — Nein, ich bin nicht vom Thema abgekommen, Herr Metzger; ich bin mitten drin. Der Beitrag des ungarischen Volkes auch zur deutschen Wiedervereinigung ist unmeßbar. Aber eines steht fest. Dieser Beitrag hat jenen Leuten in Sowjetrußland, die vielleicht glauben mochten, daß ihr politisches System in den Satellitenländern unerschüttert stehe oder gar, wie sie es immer wieder versichern, von der Masse der Völker gebilligt werde, gezeigt, daß diese Behauptung nicht aufrechterhalten werden kann. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD.)


(Kiesinger)


(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)


(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Metzger: Sie sind vom Thema abgerutscht!)


(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Der Aufstand des ungarischen Volkes hat ferner der Anteilnahme der freien Welt an der Sache der unterdrückten Staaten und Völker im Osten Europas, wozu auch unsere 18 Millionen gehören, einen gewaltigen Auftrieb gegeben. Bei unserer Reise in Asien haben wir erlebt, daß die asiatischen Massen das Problem des Satellitenraums wohl zum erstenmal in seiner Bedeutung erkannt haben. Asiatische Staatsmänner, die sich bisher sehr zurückgehalten haben einer von ihnen hat zunächst den Fall Ungarn als einen nationalistischen Aufstand abgetan —, waren nun doch gezwungen, den Fall Ungarn aufzugreifen und Sowjetrußland zu verurteilen. Wenn das ungarische Volk für sich selbst in dieser Stunde nur Leid und Unglück geerntet hat, so hat es doch der Sache der Freiheit und der Anteilnahme der Welt für die Sache der Freiheit einen großen Dienst geleistet.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich brauche nicht mehr zu versichern — darüber sind wir uns in diesem Hause alle einig —, mit welcher tiefen Anteilnahme wir das Geschick des ungarischen Volkes in diesen Tagen und Wochen verfolgen. Aber ich will meine Betrachtungen zum Problem der Wiedervereinigung nicht beschließen, ohne zurückzukommen auf den Grundsatz, bei dem wir unbeirrbar beharren werden: Was immer Sowjetrußland beitragen mag zur wirklichen Entspannung in dieser verwirrten Welt, was immer es beitragen mag zum Abbau aller jener Voraussetzungen, die zur Begründung des nordatlantischen Verteidigungspakts führen mußten, wird von uns auf das freudigste begrüßt werden. Wir werden durchaus nicht nur abwarten, ob Sowjetrußland


(Kiesinger)

derartige Schritte tut. Auch jetzt, auch nach der furchtbaren Enttäuschung, die wir durch die Ereignisse in Ungarn erlebt haben, die uns bewiesen haben, daß Sowjetrußland zur Zeit nicht bereit ist, irgendein Quentchen seines gegenwärtigen Besitzstandes aufzugeben: Auch jetzt rufen wir Sowjetrußland zu, daß es nicht darauf vertrauen kann — wie keine Macht auf dieser Erde —, auf die Dauer mit Gewalt freiheitsliebende Völker — und dazu gehören auch unsere 18 Millionen — unterdrücken zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir fordern Sowjetrußland auf, im Geiste der Note, die wir übersandt haben, Verhandlungen aufzunehmen, die zu einer wirklichen Entspannung auf der ganzen Erde, zu einem Abbau der durch Stalin geschaffenen Schwierigkeiten führen, damit endlich jenes System der Sicherheit und des Friedens begründet werden kann, von dem Sowjetrußland selbst so viel spricht. Aber dieser Tag ist — so scheint es doch jedem, der mit offenen Augen durch die Welt geht — noch fern, solange die Weltlage bleibt wie jetzt; solange Europa wehrlos einem möglichen Vorstoß aus dem Osten gegenübersteht, müssen wir zunächst auf unsere Sicherheit bedacht sein. Es ist unsere Schuld und die Schuld aller westeuropäischen Völker, daß die Lage nicht anders ist. Wir haben in der Frage der Sicherung weithin versagt. Ich habe nicht verstehen können, daß von Sozialdemokraten, als die Ungarnkrise ausbrach, der Satz aufgestellt wurde, es sei gut, daß wir noch keine Bundeswehr hätten, denn deren Vorhandensein würde den Frieden gefährdet haben.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Es genügt, einen solchen Satz zu wiederholen, um seine Absurdität darzutun.

(Zuruf von der SPD: Der ist gar nicht so absurd!)

Nein, meine Damen und Herren, nicht treuherzige, bieder-täppische Zutraulichkeit im Verhandeln mit dem russischen Bären, sondern Festigkeit und Unbeirrbarkeit und verantwortungsbewußte Sorge für die Sicherheit unseres Volkes bringen uns weiter.

(Beifall in der Mitte.)

Dazu gehört nun einmal, ob wir es mögen oder nicht, die Aufstellung einer Verteidigungswehr auch in diesem Lande. Sorge für diese Sicherheit ist es, die unser Handeln für den Augenblick vor allem bestimmen muß. Ohne die Sicherung der Ausgangsbasis für die deutsche Wiedervereinigung — und das ist die Bundesrepublik — werden wir eine Wiedervereinigung in Freiheit niemals erreichen.

(Beifall in der Mitte.)

Wir revidieren nicht unsere Politik der Wiedervereinigung, wir konsolidieren sie!

(Erneuter Beifall in der Mitte.)

Wir lassen zu gleicher Zeit nicht davon ab, unserem künftigen Verhandlungspartner Sowjetrußland zu zeigen, daß wir bereit sind — und zwar gerade deswegen, weil wir keine Scheinmanöver machen, sondern weil wir unsere Lebensprinzipien ehrlich vertreten —, in voller Loyalität eine Gesamtbereinigung der Beziehungen Gesamtdeutschlands zu Sowjetrußland herbeizuführen.

(Zurufe von der SPD.)

Über die Fragen, die im einzelnen mit der Eingliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik zusammenhängen, hat Herr Wehner gesprochen. Ich kann zu diesem Teil seiner Ausführungen im großen und ganzen mein Ja sagen.

(Abg. Metzger: Dann hätten Sie sich schon längst setzen können!)

— Es hätte Ihnen gepaßt, wenn wir an diesem Tage an dem großen Erfolg unserer Politik vorbeigegangen wären.

(Beifall in der Mitte. — Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Herr Präsident, wollen Sie nicht darauf achten, daß der Redner zur Sache spricht!)

Über diese anderen Fragen werden Berufenere als ich sprechen.

(Abg. Mellies: Verlegenheit!)

— Herr Kollege Mellies, zur Sache sprechen, heißt im Falle der Rückkehr der Saar in ,die Bundesrepublik ,auch etwas über die Gesamtkonzeption unserer Wiedervereinigungspolitik zu sagen, und das habe ich hiermit getan.

(Beifall in der Mitte. — Abg. Mellies: Sehr großzügig!)

Mein Freund Dr. Hellwig, der selber Saarländer ist, und ein weiterer _Freund aus meiner Fraktion, der noch heute im Saarland beheimatet ist, Kollefle Walz, werden zu den Einzelproblemen Stellung nehmen.
Der Außenminister hat bereits gesagt, daß das von der Saarregierung überreichte Memorandum, in der sie alle ihre Anliegen zusammengefaßt hat, die Grundlage für alle inneren Folgerungen darstellt, die sich aus der Rückkehr der Saar ergeben. Wir wollen der Saar diese Rückkehr so erfreulich und so ersprießlich wie möglich .machen, damit sich die Saarbevölkerung in der gemeinsamen Heimat, von der der Bundesaußenminister gesprochen hat, von Herzen wohl fühlen möge.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217401400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0217401500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen zumuten, von dem außenpolitischen Gedankenflug meines verehrten Vorredners zurückzukehren auf den Boden des innerdeutschen Problems, das hier zur Beratung steht.

(Beifall bei der SPD.)

Unsere Aufgabe am heutigen Tage ist es, zu prüfen, ob die politischen Fortschritte, die uns der Saarvertrag bringt, die wirtschaftlichen Opfer überwiegen, die er uns abverlangt. Ich darf schon jetzt sagen, daß die Antwort meiner Fraktion darauf ein Ja sein wird. Wir haben uns weiterhin zu überlegen, auf welche Art und Weise wir dem Saarland die Eingliederung möglichst erleichtern können. Wir haben, um mit Herrn Kollegen Wehner zu sprechen, Politik nach vorwärts zu machen.
Ich hatte eigentlich nicht erwartet, daß hier nun die Frage, wem das Verdienst an diesen Saarverträgen zukomme, so sehr in den Mittelpunkt gestellt wird.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Sehr gut!)



(Dr. Bucher)

Man muß dem Herrn Bundesaußenminister zubilligen, daß er sich in dieser Beziehung größte Zurückhaltung auferlegt hat.

(Abg. Dr. Menzel: Er hat schon gewußt, weshalb!)

Er hat zwar von einem überzeugenden Erfolg der Politik der Bundesregierung gesprochen, aber in dem Zusammenhang mit einer Politik der Verhandlungen, von der er sprach. Das kann man durchaus akzeptieren. Wenn aber Sie, Herr Kollege Kiesinger, diese Saarverträge mit einem kühnen Griff auf das Haben-Konto Ihrer Partei setzen

(Zustimmung bei der SPD — Abg. Kiesinger: Nicht meiner Partei, sondern der Regierung!)

— oder der Regierung —

(Bundesinnenminister Dr. Schröder: Wer hat denn die Verträge unterschrieben?)

— das wissen wir —, so muß ich sagen: wir werden uns, wie diese Zwischenrufe zeigen, nicht darüber einigen können, ob das nun eine Falschbuchung oder gar eine Bilanzfälschung ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD. — Widerspruch in der Mitte. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217401600
Meine Damen und Herren, es ist nicht üblich, daß von der Regierungsbank Zwischenrufe gemacht werden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Zumindest sollten sie intelligenter sein!)

Der Herr Minister kann ja als Abgeordneter nach ) unten gehen.

(Abg. Kiesinger meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Bucher?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0217401700
Jawohl!

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0217401800
Nur eine kurze Zwischenfrage, Herr Kollege Bucher! Sie erinnern sich doch daran, daß ich soeben nicht von dem Erfolg einer Politik meiner Partei, sondern von dem Erfolg der Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Gruppen gesprochen habe.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0217401900
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir doch mit solchen Behauptungen vorsichtig sein sollten. Wir stehen am Ende der Bilanzperiode, und es wird sich dann empfehlen — was man am Ende der Periode tut —, einen Rechnungsabgrenzungsposten einzusetzen mit der Bezeichnung „Meinung des Wählers zur Saarpolitik der Bundesregierung".

(Beifall bei der FDP und der SPD. — Zuruf des Abg. Kiesinger.)

Es sind doch in dem, was hier gesagt wurde, so viele Widersprüche. Einerseits sagt man, dieses Saarstatut mit der Möglichkeit der Abstimmung sei damals vorgeschlagen worden, weil sich die Bundesregierung mehr oder weniger darüber im klaren gewesen sei, daß es werde abgelehnt werden und daß dann also der Weg zu der jetzigen Entwicklung frei sei; und andererseits hat Herr Kollege Kiesinger vorher gesagt, es habe die Gefahr bestanden, daß im Falle der Ablehnung des Saar-
statuts ein rechtliches Vakuum entstehe. Also was hat nun die Bundesregierung gedacht? Hat sie gehofft, daß das Saarstatut abgelehnt werde, oder hat sie es gefürchtet?

(Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Natürlich!)

Weiter wurde auf die Frage meines Freundes Becker — die berechtigte Frage —: „Wann findet die zweite Abstimmung statt?", geantwortet, darin drücke sich eine hektische Eile aus und eine Ungeduld. Aber diese Frage war durchaus berechtigt, denn die zweite Abstimmung war ja nach unserer Auffassung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, nämlich auf den Zeitpunkt des Friedensvertrags. Wenn man uns gleichzeitig vorwirft, es sei hektisch, wenn wir auf den Friedensvertrag drängten — der hängt ja mit der Wiedervereinigung zusammen —, dann kann man wohl nicht sagen, diese zweite Abstimmung sei nun in greifbarer Nähe gestanden.
Daß der Herr Bundeskanzler in Bochum nicht gegen das von ihm abgeschlossene Saarstatut sprechen konnte, sehe ich ein. Aber er konnte schweigen, und er mußte schweigen,

(Zustimmung bei der SPD)

und er durfte nicht die zur Abstimmung gerufene Saarbevölkerung beeinflussen.

(Abg. Metzger: Das war sogar vertraglich festgelegt!)

Gerade wenn man sich diese Bochumer Äußerung, die am Tage vor der Abstimmung wiederholt wurde, vergegenwärtigt, dann muß man doch sagen: es ist eine geradezu, verzeihen Sie das Wort, mephistophelische Dialektik, wenn nun die damaligen
Befürworter des Saarstatuts heute sagen: „Wir haben euch Saarländer in die Versuchung geführt" — wahrlich in die Versuchung geführt, nicht nur vor die Wahl gestellt —, „und ihr habt der Versuchung widerstanden, ihr habt anders entschieden, und das ist unser Verdienst, die wir euch in die Versuchung geführt haben!"

(Lebhafter Beifall bei der FDP, bei der SPD und beim GB/BHE.)

Aber ich möchte nun damit schließen. Ich möchte darauf verzichten, das Verdienst unserer Fraktion an dem Lauf der Saarpolitik zu unterstreichen. Ich möchte nur eines sagen: das Verdienst an dem Lauf, an der Entwicklung der Saarpolitik und das Verdienst daran, daß wir voraussichtlich am 1. Januar 1957 das Saarland im Bereich der Bundesrepublik haben werden, gebührt in allererster Linie der Saarbevölkerung. Darüber sollten wir uns nicht streiten!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und beim GB/BHE.)

Nun zur Sache selber! Der politische Fortschritt, der mit dem Saarvertrag verbunden ist, ist gegenüber dem bisherigen Zustand und auch gegenüber dem, was im Saarstatut vorgesehen war, ein ganz bedeutender und wesentlicher. Er besteht — in einem Satz gesagt — darin: das Saargebiet kehrt politisch und nach einer bestimmten Zeit auch wirtschaftlich in den deutschen Staatsverband zurück. Es kehrt zurück und genießt sofort die vollen demokratischen Freiheiten. Der politische Fortschritt ist wirklich ein sehr bedeutender und wesentlicher, und die wirtschaftlichen Opfer, die wir nach der Lage der Sache dafür bringen müssen,


(Dr. Bucher)

müssen in Kauf genommen werden. Diese wirtschaftlichen Opfer sollten allerdings von uns keineswegs bagatellisiert werden. Schon wenn wir bedenken, daß die ganzen unterbliebenen Investitionen des Saargebiets noch auf uns harren, daß wir diese Investitionen also nachholen müssen, wird es uns klar, was diese Opfer bedeuten. Die WarndtKohle wurde bereits erwähnt. Der vorgesehene Modus des Zahlungsmittelumtausches belastet uns ebenfalls ganz erheblich. Selbstverständlich haben wir die von den Franzosen seinerzeit gegebene Erstausstattung zu ersetzen. Aber daß wir nicht nur für diese Summe die Haftung übernehmen, sondern darüber hinaus einen Betrag von 40 Milliarden Franken als Umtauschsumme garantieren, bedeutet doch praktisch, daß die Früchte der saarländischen Arbeit Frankreich auf unsere Kosten zugute kommen. Das muß in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Über den Moselkanal sind die Ansichten in Deutschland geteilt. Im Bundesrat ist sehr vorsichtig ausgesprochen worden, die wirtschaftlichen Nachteile, die man von ihm befürchte, seien jedenfalls doch nicht so groß, wie zunächst angenommen worden sei. Ich glaube, daß man sich bei dieser Formel wird beruhigen können. Ich persönlich habe zwar immer noch den Eindruck, daß es sich bei diesem Unternehmen um eine Fehlinvestition handelt. Vor allem glaube ich, daß dieser Kanal sehr stark als Einbahnstraße wirken wird, weil er eben nur der lothringischen Wirtschaft zugute kommt, aber nicht uns.
Zu prüfen ist auch noch, ob in den Tarifvergünstigungen, die hier vorgesehen sind, nicht ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Montanunionvertrages liegt.
Die Saarregierung selbst hat in ihrem Memorandum darauf hingewiesen, daß der Vertrag auch für die Saarwirtschaft Nachteile mit sich bringt.
Eine günstige Nebenwirkung wird zweifellos die Gewinnung elektrischer Energie für RheinlandPfalz sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch ein Problem anschneiden. Es muß geprüft werden und wir müssen darüber informiert werden, ob die wichtige Bestimmung des Art. 8 der Anlage 8 betreffend Reinhaltung der Saar und ihrer Zuflüsse durchgeführt wird, bevor mit dem Bau des Moselkanals begonnen wird. Wir halten das für sehr wichtig, damit nicht von vornherein eine Verschlammung und Verschmutzung stattfindet, die dort ja heute schon ganz bedenkliche Grade erreicht hat.
Ich verhehle nicht, daß uns aus Baden-Württemberg der Moselkanal noch dadurch besonders schmackhaft geworden ist, daß hinsichtlich des Rheinseitenkanals eine befriedigende Lösung gefunden wurde. Unsere Sorge hierbei ist nur die Abwässerklärung, wenn einmal eine stärkere Industrie am Oberrhein entsteht. Auch darauf wird man das Augenmerk noch besonders zu lenken haben.
Ich möchte noch einiges zu dem Eingliederungsgesetz sagen; denn es ist ja das einzige Gesetz, bei dem wir es in der Hand haben, einzelne Bestimmungen zu ändern. Ihm kommt eine sehr große Bedeutung bei, da von der Bundesregierung selbst darauf hingewiesen wird, daß es ein Muster für die Wiedervereinigung darstellen solle.
Herr Kollege Wehner hat bereits verfassungsrechtliche Fragen angeschnitten. Unsere Fraktion ist ebenfalls der Ansicht, daß diese Fragen geprüft werden müssen. Wir machen der Bundesregierung hier keinen Vorwurf, daß sie anderer Ansicht ist. Sonst hat die Bundesregierung meistens eine unglückliche Hand in der Behandlung des Grundgesetzes gezeigt. Das kann man in diesem Fall nicht sagen. Der Standpunkt, den sie hier vertritt, läßt sich vertreten. Aber wir glauben doch, daß es notwendig ist, sehr genau zu prüfen, ob diese verschiedenen Bestimmungen, vor allem die über die Wahl der Bundestagsabgeordneten für die Übergangszeit, die Ermächtigung, Bundesrecht zu setzen, die Einschränkung der Gewerbefreiheit, vorübergehend ohne Verfassungsänderung geschaffen werden können. Das Argument, das der Herr Bundesinnenminister anführte, daß wir in den letzten Jahren schon soviel an der Verfassung herumgeändert hätten, kann ich nicht gelten lassen. Wir haben das beileibe nicht gern getan, und ich kann dazu nur vorschlagen, z. B. den Art. 79 Abs. 1 Satz 2 und Art. 142 a baldmöglichst im Zuge der Entrümpelung aus dem Grundgesetz zu streichen. Diese Artikel sollten ja damals die Verfassungsmäßigkeit der EVG garantieren und stehen heute im Grundgesetz etwa so wie der Morgensternsche Lattenzaun. bei dem der Architekt den Zwischenraum gestohlen hat.
Auch das Problem der Finanzbeihilfe scheint uns einer genaueren Prüfung wert zu sein. Auch wir sind der Ansicht, daß es hier nicht bei einer KannBestimmung bleiben darf, sondern daß es heißen muß: „Finanzbeihilfe wird vom Bund und von den Ländern gewährt". Das kann selbstverständlich dadurch eingeschränkt werden, daß als Voraussetzung für die Finanzbeihilfe bestimmt wird, daß das Saarland seine eigenen Steuerquellen in genügendem Maße ausschöpft. Aber wenn man bedenkt, welche schweren wirtschaftlichen Aufgaben vor dem Saarland stehen — ich nenne den vorhin von mir erwähnten Investitionsnachholbedarf, Aufgaben im Verkehrswesen. die Belastungen auf dem Gebiet der Kohlewirtschaft —, dann erscheint es ganz selbstverständlich, daß hier nicht nur eine Kann-Bestimmung vorgesehen werden sollte.
Es liegt uns auch sehr daran, daß die saarländischen sozialen Errungenschaften beibehalten werden: hier dürfen wir dieses Wort ja wirklich ohne Anführungszeichen gebrauchen. zu deren Gebrauch wir ja sonst gezwungen sind. Vor allem wird die Angleichung in der Kriegsonferversorgung ein Problem darstellen, da im Saargebiet auf diesem wie auf anderen sozialen Gebieten höhere Leistungen gewährt werden. Im Zusammmenhang damit steht die Frage der Behandlung der öffentlichen Bediensteten, die zum Bund übergehen. Es wird nicht zu verantworten sein, sie schlechter zu stellen als die saarländischen Landesbeamten. Das muß im Eingliederungsgesetz zum Ausdruck kommen.
Der vom Bundesrat vorgeschlagene § 17 a Abs. 3, der sich mit der Zollbehandlung der in das Saargebiet eingeführten französischen Waren befaßt, stößt bei meiner Fraktion auf keine Gegenliebe. Maßgebend für die französischen Lieferungen nach dem Saargebiet ist ja der Umfang, den sie im Jahre 1955 hatten. Die Entwicklung wird aber dahin führen, daß gleichzeitig deutsche Waren in das Saarland strömen, die dort gekauft werden wollen und gekauft werden. Es könnte die Saarwirtschaft nun doch in ganz erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn sie die französischen Waren, die nach


(Dr. Bucher)

diesem Paragraphen ja im Saarland verbleiben müssen, nicht mehr in genügendem Umfange abnimmt, infolgedessen auch nicht mehr entsprechend nach Frankreich ausführen kann. Wir sollten hier also eine etwas großzügigere und elastischere Regelung finden, die es nicht völlig ausschließt, daß Waren aus dem Saargebiet in das übrige Bundesgebiet fließen. Man sollte sich darauf beschränken, hierbei Mißbräuche zu verhüten.
Ein berechtigtes Anliegen des Saarlandes ist es schließlich, daß die Bestimmungen für die Übergangszeit im Eingliederungsgesetz oder in wirtschaftlichen und finanziellen Eingliederungsmaßnahmen den Bestimmungen des Vertrages angepaßt werden, denn die Übergangszeit ist keine homogene Einheit, sondern sehr wichtige Bestimmungen treten erst im dritten Jahr in Kraft, z. B. der Art. 48 Abs. 4 in Verbindung mit der Anlage 15, wonach alle dort genannten Investitionsgüter erst ab 1. Januar 1959 zollfrei eingeführt werden können. Es besteht die Gefahr, daß, wenn die Übergangszeit kürzer ist als drei Jahre, was ja möglich ist, das Saarland dann eben gerade nicht mehr in den Genuß der Übergangsvergünstigungen dieses letzten, dritten Jahres kommt.
Der Herr Bundesinnenminister hat vorgeschlagen, das Eingliederungsgesetz nicht dem Rechtsausschuß, sondern dem Ausschuß für innere Verwaltung als federführendem Ausschuß zu überweisen. Ich möchte diesem Vorschlag entgegentreten. Gerade die Verfassungsprobleme, die hier aufgetaucht sind, machen es notwendig, daß die Federführung beim Rechtsausschuß liegt.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen, daß ja nicht erst seit Bestehen der Bundesrepublik, sondern auch schon vorher immer die einhellige Meinung zum Ausdruck gebracht wurde, daß das Saargebiet deutsches Land ist. Das kam bereits am 13. September 1946 auf einer Pressekonferenz in Stuttgart zum Ausdruck, die die Ministerpräsidenten Geiler, Hoegner und Maier der damaligen amerikanischen Zone abhielten, wo sie besonderen Wert auf diese Feststellung legten. Später — das darf ich hier auch erwähnen — wurde, nicht zuletzt auf Anregung der heute unserem Hause angehörenden Abgeordneten Frau Hütter, zur Ministerpräsidentenkonferenz des Jahres 1947 die Saarregierung eingeladen.
Über das wesentliche Ziel, das Saargebiet wieder zu einem Teil Deutschlands zu machen, hat es weder in diesem Hause noch außerhalb je einen Streit gegeben. Die Abstimmung vom 23. Oktober 1955 hat für dieses unser gemeinsames Anliegen eine neue Grundlage geschaffen. Die logische Folge davon müßte eigentlich die automatische Rückkehr des Saargebiets gewesen sein. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß praktisch Opfer gebracht werden müssen, und meine Fraktion hat auch schon immer den Standpunkt vertreten, daß wir bereit sind, solche wirtschaftlichen Opfer zu bringen. Es muß auch in vollem Umfange anerkannt werden, daß Frankreich sofort nach der Abstimmung die Konsequenzen gezogen hat und nicht einmal mit dem Gedanken gespielt hat, dieses als möglich erwähnte rechtliche Vakuum eintreten zu lassen.
Wenn die Ablehnung des Saarstatuts damals die Niederlage einer Formel war, die sich mißbräuchlich als europäisch bezeichnete, so kann man sagen, daß der bevorstehende Abschluß dieser Saarverträge zur Verbesserung des durch das Saarproblem bisher belasteten deutsch-französischen Verhältnisses wesentlich beitragen wird und damit auch einen tatsächlichen, praktischen Dienst für Europa leisten wird.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217402000
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

(Vizepräsident D r. Schneider übernimmt den Vorsitz.)


Herbert Schneider (CDU):
Rede ID: ID0217402100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Deutschen Partei darf ich hier folgendes erklären. Mit der Ratifizierung des Saarvertrages ist ein langer, dornenvoller Weg deutscher Nachkriegsgeschichte jedenfalls in einem Punkte beendet. Wenn ich selbst als geborener Elsässer daran denke, ,daß ich an der Hand meiner Eltern im Jahre 1919 .auf einem elsässischen Bahnhof stand, um die Ausreise nach Deutschland anzutreten — da wir vor die Wahl gestellt waren, entweder für Frankreich zu optieren und Franzosen zu werden oder für Deutschland zu optieren und dann nach Deutschland auszureisen —, dann darf ich wohl feststellen, ,daß inzwischen ein erheblicher Wandel in den Auffassungen eingetreten ist, und zwar ein Wandel, der uns allen Anlaß gibt, hoffnungsfroh in die Zukunft zu schauen.
Als besonders bedeutsam betrachten es meine Freunde, daß hier erstmals ein freundschaftliches Abkommen mit Frankreich getroffen werden konnte, mit Frankreich, mit dem Deutschland in der Vergangenheit oftmals nicht dasbeste Verhältnis gepflegt hat. Ich will dabei die Gründe nicht untersuchen, die zu diesem oftmals schlechten Verhältnis 'geführt haben, auch aus der Freude der Stunde heraus, daß unter diese Dinge nun ein Schlußstrich gemacht ist.
Dieses Saarabkommen, der Saarvertrag, den wir zu behandeln haben, ist aber nach Auffassung meiner politischen Freunde zugleich ein Beweis dafür, daß alle euronäischen Nationen — besonders wir mit unseren Nachbarn — in einem Boote sitzen und daß — wenn auch manchmal die langatmigen Abhandlungen in den parlamentarischen Gremien des Furonarates die Öffentlichkeit in allen europäischen Ländern schier verzweifeln lassen — wir doch die Hoffnung haben können. daß es in solchen Fragen. in denen eine friedliche Regelung gefunden werden kann und gefunden werden muß, auch letztlich zu einem friedlichen Abkommen kommen kann.
Natürlich ist diese Stunde auch ein Anlaß. um der Saarbevölkerung für ihr treues Aushalten in den Jahren nach dem Krieg zu danken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte dies nicht überbetonen, um insbesondere nicht etwa auf der Gegenseite auch ein Gefühl der Bitterkeit aufkommen zu lassen. Aber immerhin verdient es festgehalten zu werden, daß ene Stimmen, die vor der Ratifikation dieses Vertrages behaupteten, daß die saarländische Beyölkerung einen Status der Autonomie oder der Neutralität zwischen Deutschland und Frankreich vorziehe, ad absurdum geführt sind, und hierfür unser Dank! Man kann wahrhaftigen Gottes sagen, daß die Saarbevölkerung, die in den letzten elf Jahren ein Grenzlandlos zu ertragen hatte, sich hervorragend und tapfer geschlagen hat.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhange muß natürlich loyalerweise auch festgestellt


(Schneider [Bremerhaven])

werden — und wenn ich, der ich anläßlich der damaligen Beratung der Saarfrage mich der Stimme enthalten habe, es erkläre, mag es vielleicht noch ein besonderes Gewicht haben —, daß die Europapolitik der Bundesregierung in diesem Punkte einen wichtigen Markstein gesetzt hat, daß diese Europapolitik Erfolg gezeitigt hat, einen vor aller Welt sichtbaren Erfolg. Ich glaube, die Loyalität gebietet es, dies ausdrücklich festzustellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf es aber nicht unterlassen, auch daran zu erinnern, ohne eine parteipolitische Frage aus dem hier zu verhandelnden Gegenstand zu machen, daß meine Freunde von der Deutschen Partei anläßlich der Londoner Konferenz im Jahre 1947 schon schwarz auf weiß gefordert haben, daß Volk und Gebiet an der Saar ein unlösbarer Bestandteil Deutschlands seien und auch bleiben müßten. Meine politischen Freunde von der Deutschen Partei und ich sind der Meinung, daß das jetzt zu ratifizierende Abkommen weder einen Stachel im französischen Volke noch einen Stachel im deutschen Volke zurücklassen sollte oder zurückzulassen braucht. Ich gebe zu, daß uns nach dem demokratischen Bekenntnis der Saarbevölkerung die weitergehenden materiellen Forderungen Frankreichs zweifellos, nun, ich will einmal sagen: aufgefallen sind, und wir betrachten dies als einen Wermutstropfen in dem Becher der Freude, der uns mit diesem Abkommen präsentiert wird. Immerhin, die Welt ist in den letzten zehn Jahren auch anders igeworden, und ich glaube, daß bei der Verwandlung der wirtschaftlichen, sozialen und auch militärischen Strukturen diese Dinge im Rahmen der großen Politik zur Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfen, noch ,dazu gemessen daran, daß in einem Augenblick, in dem in vielen Teilen der Welt die Waffen klirren, hier ein wahrhaftiger Akt des Friedens vollzogen wurde.

(Beifall bei der Deutschen Partei.)

Dieser Akt des Friedens ist kein trennender, sondern erfreulicherweise ein verbindender Akt. Wenn ich betrachte, welche materiellen Forderungen hei der Ratifikation dieses Vertrages unter Umständen an uns gestellt werden, dann bin ich auch bereit, zu sagen, daß bei einem zu erwartenden schweren Opfer wir dieses lieber auf uns nehmen sollten als noch eine weitere, Jahre andauernde Unruhe, wie wir sie in den verflossenen Jahrzehnten leider zwischen dein beiden Völkern gehabt haben.
Ich unterstreiche das, was der Herr Bundesaußenmnisten heute morgen bezüglich der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Beziehungen in bezug auf das Saargebiet gesagt hat, und möchte es mir wegen der vorgeschrittenen Zeit versagen, auf Einzelheiten, d. h. Forderungen des Verkehrs, der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik usw. einzugehen, zumal wir noch Gelegenheit haben werden, im Detail über diese Dinge zu sprechen.
Ich kann aber. wenn ich das Fazit aus dem von mir Gesagten ziehe, sagen, daß ein nüchterner Schlußstrich unter eine politische Entwicklung gezogen worden ist, die sich einstmalsnicht — scheinbar nicht — zum Guten wenden sollte. Meine Freunde bedauern dabei allerdings — ich bitte den Herrn Bundesaußenminister, er ist im Augenblick nicht da. es mir nicht zu verübeln —, daß der Außenpolitische Ausschuß nicht in dem erforderlichen Umfang in diese Verhandlungen eingespannt worden ist, wie wir es hätten erwarten müssen. Ich muß loyalerweise auch sagen, daß es nicht genügt, meine Damen und Herren, wenn die Opposition in diesen wichtigen Fragen der Nation lediglich unterrichtet und nicht vorher befragt wird. Wir sind der Meinung, daß in einer Frage wie dieser die breiteste Grundlage, die breiteste parlamentarische Grundlage geschaffen werden muß und daß sich ein solches Objekt wie das hier zu verhandelnde für parteipolitische Streitigkeiten am allerwenigsten eignet.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Die Saarbevölkerung selbst dürfte sehr wenig Verständnis dafür haben, wenn wir uns heute in diesem Saale darüber streiten, wer mehr und wer weniger verdient hat.

(Sehr richtig! rechts.)

Es kommt hier auf die Sache an. Allein staatspolitische Erwägungen können dieser Aktion ihren Stempel aufdrücken, aber nicht parteipolitische.
Meine Damen und Herren, dies gilt wohl vor allen Dingen im Hinblick auf die Aufgaben, die wir bezüglich der deutschen Wiedervereinigung und der künftigen europäischen Politik noch zu läsen haben. Ich möchte in dem Zusammenhang feststellen, daß es mindestens der Geist des Saarvertrages ist, der als Modellfall für die deutsche Wiedervereinigung dienen könnte. Aber es ist noch mehr als der Geist, und zwar insofern, als die Prinzipien von Freiheit und Selbstbestimmung, die in einem Hause wie diesem sehr oft angeführt werden und idie deswegen vielleicht banal klingen, dieaber alles andere als banal sind, für uns alle in diesem Hause unabdingbare Voraussetzung für eine deutsche Wiedervereinigung sind.
Gleichzeitig ist es aber auch ein Modellfall im Sinne des Kontrastes. Wenn man von Freiheit und Selbstbestimmung als den eigentlichen gestaltenden politischen Elementen ausgeht, dann ist auch klar, daß die Sowjetunion mit ihren Kolonialmethoden in Mitteldeutschland versagt hat. Ich glaube, es ist dies auch die Stunde, erneut einen Appell an die Sowjetunion zu richten, unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone aus dem Zwang und dem Terror zu entlassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bund hat jetzt die Aufgabe, mit Zielstrebigkeit und Klarheit an die Fragen heranzugehen, die sich aus der Ratifikation dieser Verträge ergeben. Meine Fraktion wünscht kein kleinliches Tauziehen. Wir würden der Größe des erreichten Erfolges in dieser Frage nicht gerecht werden.

(Abg. Rasner: Sehr gut!)

Ich bedaure, daß der Bundesrat in diesem Zusammenhang, der hier verhandelt wird, eine etwas traurige Rolle gespielt hat.

(Abg. Lücke: Wie so oft!)

Nach Auffassung meiner politischen Freunde ist es eine völlige Verkennung der politischen Situation, wenn die Länder glauben, daß sie es sich in dieser Stunde, in der es um ein gesamtdeutsches Anliegen ,geht, herausnehmen können, sich von vornherein einmal von jeglicher, besonders aber von finanzieller Hilfe in dieser Frage freizustellen.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Meine Freunde von der Deutschen Partei und ich sind der Auffassung, daß das föderalistische Prinzip mehr ist als ein Streitobjekt


(Abg. Lücke: Sehr gut!)



(Schneider [Bremerhaven])

zwischen dem Bundesfinanzminister und den Ländern oder umgekehrt. Ich möchte feststellen, idaß sich niemand aus der gesamtdeutschen Verantwortung drücken kann. Wer auf der einen Seite, wie es der Bundesrat immer tut, auf seine Eigenständigkeit pocht, muß auch bereit sein, bei einem Vorgang wie diesem der Eingliederung des Saargebietes eine aktivere Rolle zu spielen, als man sie sich selbst zugedacht hat. Sonst sind alle Berufungen auf diese Eigenständigkeit unwahr bzw. sie sind unglaubwürdig. Ich glaube, das muß hier einmal ganz deutlich festgestellt werden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir sind uns alle darüber im klaren, daß die materiellen Belastungen, die im Zuge dieses Vertrages auf uns zukommen, heute wahrscheinlich noch gar nicht voll ausgerechnet und übersehen werden können. Deswegen will ich es mir auch versagen, mit irgendwelchen Zahlen zu operieren. Diejenigen, die es getan haben oder die es noch zu tun gedenken, werden selbst, vielleicht in einem Jahr, vielleicht erst später, feststellen, daß wir uns alle zusammen geirrt haben. Also machen wir uns in dieser Frage nichts vor!
Ich brauche, wie ich vorhin schon sagte, in diesem Zusammenhang nicht zu unterstreichen, welche verkehrspolitischen, wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und sonstigen Erfordernisse bestehen. Die Rechnung wird uns präsentiert werden, und wir sollten heute schon bereit sein, uns nicht in einem kleinlichen Tauziehen zu erschöpfen, sondern der Saar so zu helfen und ihr die Wiedereingliederung in das westdeutsche Gebiet so zu erleichtern, wie es notwendig ist.
Ich hoffe in diesem Zusammenhang, daß das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen inzwischen auch seine weiteren Erhebungen darüber angestellt hat, welche Belastungen für den Fall einer Wiedervereinigung eventuell auf uns zukommen könnten. Ich glaube — und das ist auch die Auffassung meiner Fraktion —, daß die westdeutsche Bereitschaft zu einem Opfer in diesem Fall gleichzeitig den Gradmesser für den wirklichen Willen der deutschen Öffentlichkeit zur Wiedervereinigung darstellt, und es wird auch ein Test auf unser Staatsbewußtsein schlechthin sein.
Ich darf daran erinnern — ich habe es schon ausgeführt —, daß die Saarbevölkerung vor der Abstimmung oftmals, ich will nicht sagen: verdächtigt wurde. aber daß man oftmals die Meinung hörte, sie würde sieh wohl für einen autonomen Status entscheiden. Ich möchte noch einmal unterstreichen wie glücklich wir uns schätzen, daß wir in dieser Stunde feststellen können. daß die Saar bei deichzeitiger Freundschaft zu Frankreich und zu Deutschland wieder zu uns gehört Wenn der Herr Bundesaußenrninister hier gesagt hat, daß wir für die Beharrlichkeit und Treue mit der diese Bevölkerung zu uns gestanden habe. danken müßten, dann haben wir, glabe ich, die Verpflichtung uns dieser Haltung würdig zu erweisen. Dabei bitte ich, diese Worte gar nicht als hochtrabend zu nehmen, sondern sie so zu verstehen daß jetzt Deutsche zu Teutschen zurückgekommen sind und daß wir ihnen die helfende Hand entgegenstrecken müssen.
In diesem Sinne begrüßen wir mit den übrigen Fraktionen des Hauses die jetzt zwischen Frankreich und Deutschland gefundene Regelung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217402200
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217402300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man nach unerfindlichem Ratschluß als fünfter Redner hier zu einem Thema zu sprechen hat, bleibt einem meistens nicht mehr viel Neues zu sagen übrig. Man kann höchstens noch einmal versuchen, dem Thema da oder dort eine andere Seite abzugewinnen.
Aber ein Gutes hat es, wenn man als einer der späteren Redner zu Worte kommt: man kann nämlich aus dem, was vorher schon sehr ausführlich dargelegt worden ist, ein gewisses Fazit ziehen. Wenn ich das als Leitartikler einer Tageszeitung zu tun und eine Überschrift für dieses Fazit zu suchen hätte, dann würde ich darüberschreiben: „Der Wahlkampf ist eröffnet!" Ich würde weiter dazu bemerken, daß diese Eröffnung des Wahlkampfes ein ziemlich makabres Schauspiel war, weil einige der Akteure Geist und Charakter des Stücks völlig verkannt haben. Ich würde ferner schreiben, daß die Leere des Hauses, die seit einiger Zeit festzustellen ist, in einem gewissen Mißverhältnis zur Bedeutung des Themas steht und daß diese Leere darauf zurückzuführen ist, daß es nicht allen zugemutet werden kann, sich einige doch oft bis an die Grenze der Geschmacklosigkeit gehende Wahlreden anzuhören.

(Beifall beim GB/BHE und bei Abgeordneten der SPD.)

Aber de gustibus non est disputandum, und auch ich will es nicht tun.
Der heutige Tag, an dem die fünf Gesetzentwürfe über die Wiedereingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik zur ersten Lesung stehen, hätte uns eigentlich in einer etwas feierlichen Stimmung vereinen sollen.

(Sehr gut! rechts.)

Es ist das erste Mal seit dem Erlaß ,des Grundgesetzes, daß von der in Art. 23 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, es für einen Teil Deutschlands in Kraft zu setzen, der bisher nicht zu seinem Geltungsbereich gehörte.
Vor allen anderen Überlegungen, die wir als Gesetzgeber mit den uns vorgelegten Regelungen zu verbinden haben, muß daher den Gefühlen Ausdruck gegeben werden, die uns bei diesem Anlaß bewegen: zunächst dem Gefühl der tiefen Dankbarkeit, die auch wir gegenüber den Brüdern und Schwestern an der Saar empfinden, die durch ihr am 23. Oktober 1955 abgegebenes Bekenntnis zu Deutschland diese Rückkehr ihrer Heimat in den deutschen Staatsverband ermöglicht haben; zum zweiten dem hoffnungsfrohen Gefühl. daß dieser Vorgang eine Wende in unserer Geschichte bedeutet, eine Wende insofern, als nach dem Zusammenbruch von 1945 und der Zerreißung unseres Vaterlandes nun die Zusammenfassung der auseinandergerissenen Teile auf friedlichem Wege ihren Anfang nimmt. Wir wollen hoffen. daß dieser Entwicklung in naher Zukunft auch weitere Schritte zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands folgen werden.
Die Freude und die eigentlich von uns erwartete Feierlichkeit dieses Tages sind sehr dadurch getrübt worden, daß einige Redner ausgerechnet diese Gelegenheit dazu benutzen, hier in eine


(Feller)

agitatorische Auseinandersetzung darüber einzutreten, welche Haltung in außenpolitischen Fragen in der Vergangenheit die richtigere gewesen sei. Denn die von uns allen freudig begrüßte Lösung der Saafrage bildet dafür wahrhaftig keinen Prüfstein, es sei denn, daß man ihn als Beweis dafür anzieht, daß nur der frei bekannte Wille zur Zusammengehörigkeit aller Deutschen auch ihre Wiedervereinigung in Freiheit erbringen kann. Es sind doch sehr unterschiedlich gelagerte Verhältnisse, die hier miteinander in Beziehung und Vergleich gesetzt werden, wenn man aus den Voraussetzungen, die zu einer so raschen und begrüßenswerten Verständigung mit Frankreich in der Saarfrage geführt haben, nun glaubt irgendwelche Schlüsse für eine mögliche Lösung der deutschen Frage im Osten ziehen zu können.

(Abg. Rasner: Man kann was lernen!)

Denn die Ordnung der freien Welt, Herr Kollege Rasner, und ihre friedliche Erhaltung beruht doch auf der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, die auch bei der Regelung der Saarfrage eine erfreuliche Bestätigung gefunden hat. Aber so selbstverständlich idies im demokratischen Westen eigentlich sein müßte, so wenig hat sich doch der totalitäre Osten bisher dazu bereit gefunden, wie gerade die Ereignisse in Ungarn erneut bewiesen haben. Eine deutsche Ostpolitik muß daher von anderen Voraussetzungen ausgehen und andere Wege beschreiten, um auch dort zu einer Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts zu gelangen.
Darüber zu diskutieren, meine Damen und Herren, ist aber heute nicht der Ort. Die Gelegenheit dazu war am 8. November gegeben, und ich muß mich eigentlich darüber wundern, daß die CDU, die damals nicht geneigt war, von dieser Gelegenheit ausgiebigen Gebrauch zu machen, heute versucht, diese Debatte, die doch einen ganz anderen Sinn hat, auf das Gebiet der Außenpolitik im allgemeinen auszudehnen. Oder hat vielleicht der Herr Kollege Kiesinger — er ist leider nicht da — das Bedürfnis gehabt, die Rede, die er eigentlich am 8. November hat halten wollen und die er infolge Abwesenheit nicht halten konnte, heute hier nachzuholen?

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

Dann sei ihm aber noch eins gesagt: Ich hoffe, daß er die Aussichtslosigkeit des Beginnens erkannt hat, gerade um die Saarverträge und um den Abschluß der Saarfrage so viel Nebel abzublasen oder Schaum zu schlagen, daß daraus ,die Seifenblase emporsteigt, daß der Herr Bundeskanzler das Hauptverdienst an der Heimkehr der Saar habe. Diese Seifenblase ist schon in Bochum geplatzt.

(Sehr wahr! und Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

Noch ein Wort zur Zerstörung der Legende vom Saar-Vater Adenauer! Herr Kollege Dr. Bucher hat, glaube ich, schon darauf hingewiesen. Es war nicht so, wie Herr Kiesinger hier sagte, daß Bochum nichts anderes gewesen sei als ein Beweis der Loyalität der Bundesregierung gegenüber dem damals abgeschlossenen Saarabkommen und dem Statut, sondern was damals geschehen ist, war ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Statuts.

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

Aber die erste Lesung von Gesetzen dient ja nach den herkömmlichen Gepflogenheiten dieses Hauses den Fraktionen dazu, ihre allgemeine Stellungnahme dazu vorzutragen

(Abg. Lücke: Richtig!)

— ja, richtig, und das haben alle getan außer den Vertretern Ihrer Fraktion, Herr Kollege —

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD)

und den Grad ihres Einverständnisses mit ihrem Inhalt zu erkennen zu geben. Daran möchte ich mich auch halten. Ich gebe aber zu, daß es etwas schwierig ist, zu internationalen Verträgen mit allgemeinen Ausführungen so Stellung zu nehmen, daß man den Inhalt in vollem Umfange erschöpft; denn sie können ja nur als Ganzes betrachtet und als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. Das verleitet vielleicht dazu, die Gelegenheit zu Ausflügen in allgemeine außenpolitische Betrachtungen zu benützen.
Wenn hier eine außenpolitische Frage zur Diskussion steht, dann ist es einzig und allein die unseres Verhältnisses zu Frankreich. Es hat durch die Lösung der Saarfrage, d. h. durch die Rückkehr der Saar zu Deutschland eine Befriedung und Festigung gefunden, die es durch keine andere Regelung dieser Frage hätte finden können. Es gibt zwischen uns und Frankreich danach keine territorialen Streitfragen mehr; lassen Sie auch mich das unterstreichen, denn ich bin genau wie der Kollege Schneider in einem Land geboren und aufgewachsen, das jahrhundertelang Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich war. Gerade deshalb ist mir ein von allen Belastungen freies Verhältnis zu Frankreich stets ein Herzensanliegen gewesen.
Die Furcht vor einer solchen Belastung hat mich auch entscheidend dazu bestimmt, das seinerzeitige Saarstatut mit der letzten Konsequenz abzulehnen und zu bekämpfen. Denn niemand konnte mit Sicherheit voraussehen, wozu es führen würde. Wenn Herr Kollege Kiesinger von sich behauptet hat, daß er das genau habe sich entwickeln sehen, dann sind wir so frei und offen, zuzugestehen, daß wir uns damals nicht darüber im klaren waren, wie das erste Referendum ausgehen würde. Das konnte auch niemand. Wenn wir geglaubt haben, daß es möglich sein würde, daß sich die Saarbevölkerung unter den gegebenen Umständen und angesicht der Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersah, bei diesem ersten Referendum nicht in der Mehrzahl für eine Ablehnung des Statuts entscheiden würde, dann haben wir ihr sicherlich Unrecht getan, und wir sind auch so frei, das heute ausdrücklich zu gestehen. Aber Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie damals für das Saarstatut eingetreten sind, haben wir nicht Unrecht getan, wenn wir Ihnen unterstellt haben, daß Sie nicht dieses Ergebnis, sondern ein anderes wollten.
Wenn es eines Beweises dafür bedarf, daß diese unsere Haltung durchaus richtig war oder daß sie zumindest richtig sein konnte, dann ist es das Verhalten einiger Ihrer Freunde, die ich jetzt nicht beim Namen nennen möchte — Sie kennen sie alle —, die unsere Auffassung damals geteilt haben. Weil wir eine solche Entwicklung, eine Entwicklung der dauernden Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses durch einen ungelösten Zustand an der Saar verhindern wollten, sind wir heute froh und der Saarbevölkerung dankbar, daß diese Entwicklung nicht eingetreten ist. Aber wir


(Feller)

denken gar nicht daran, diesen Umstand etwa auf unser eigenes Verdienstkonto zu buchen. Wir sind auch bereit, gerade dafür einen Kaufpreis zu zahlen. Ich sage: gerade dafür, weil das der eigentliche Gegenwert ist, der den Kaufpreis in seiner vollen Höhe rechtfertigt. Denn für die Rückkehr der Saar selbst sollte bei voller Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der in seiner Gesamthöhe noch gar nicht abzuschätzende, aber sicher nicht unbeträchtliche Preis kaum gefordert werden dürfen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß viele Gegner des Saarabkommens seinerzeit erklärt haben, man sollte die Saar mit finanziellen und wirtschaftlichen Konzessionen loskaufen. Auch ich habe das damals in diesem Hause gesagt. Ich habe aber hinzugefügt, der politische und der wirtschaftliche Preis, den uns Frankreich an der Saar bezahlen lassen wolle, sei zusammengerechnet zu hoch. Nun, meine Damen und Herren, politisch haben uns die Saarländer losgekauft. Der wirtschaftliche und finanzielle Preis ist aber keineswegs niedriger, sondern eher noch höher geworden. Trotzdem werden wir ihn bezahlen müssen, eben um das deutsch-französische Verhältnis von allen Belastungen zu befreien. Diese grundsätzliche Bereitschaft braucht uns auch nicht daran zu hindern, an die Regierung im Laufe der Beratungen noch einige Fragen zu stellen, ob diese oder jene Leistung oder Verpflichtung unumgänglich war. Aber das wird Aufgabe der Beratungen und der zweiten Lesung sein. Auch dabei wird sicherlich vieles nicht im vollen Umfang zu klären sein. Den endgültigen Preis werden wir erst im Laufe der Entwicklung erfahren, aus der sich die finanziellen und wirtschaftlichen Lasten ergeben werden.
Wir werden aber auch dann nicht von unserer heutigen Bereitschaft abgehen, die Tragung der Kosten zu bejahen, soweit dies in der Kraft des Bundes liegt. Aber wir wollen dabei auch nicht dahin mißverstanden werden, daß wir etwa der Meinung wären, alle wirtschaftlichen Nachteile, die in der Folge dieser Verträge eintreten oder irgend jemandem entstehen können, müßten vom Bund getragen, müßten dem Bund aufgelastet werden.
Herr Kollege Schneider hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, daß es angesichts des gesamtdeutschen, des nationalpolitischen Erfolges der Rückkehr der Saar sich nicht sehr schön ausnimmt, wenn die Länder versuchen, sich aus ihrer Mitverpflichtung durch Hinweis auf den Art. 109 des Grundgesetzes herauszumogeln. Dasselbe gilt aber auch für die Wirtschaft. Wenn die deutsche Wirtschaft gewisse Nachteile, insbesondere solche, die aus der Schiffbarmachung der Mosel erwachsen werden, zu tragen haben wird, dann scheint uns dies im Interesse der Allgemeinheit und im Hinblick auf den auch wirtschaftlichen Erfolg, den die Wiedereingliederung der Saar bringen wird, wohl zumutbar. Denn auf folgendes darf in diesem Zusammenhang einmal hingewiesen werden. Wir haben politische Geschehnisse hinter uns — in anderen Teilen Deutschlands sehen wir solche sich noch laufend vollziehen —, die Teilen der deutschen Wirtschaft Opfer bis zum letzten abverlangt haben, ohne daß ihnen dafür ein voller Ausgleich oder die volle, uneingeschränkte Möglichkeit gegeben worden wäre, an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der Bundesrepublik teilzunehmen.

(Sehr gut! beim GB/BHE.)

Überhaupt wird die Art, wie wir die mit der Annahme und Durchführung dieser Verträge verbundenen Opfer zu bringen verstehen, entscheidende Bedeutung dafür haben, welche Opferbereitschaft wir uns selber und andere uns zutrauen werden, wenn es einmal um die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands geht.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Wenn wir daran denken, müßten uns eigentlich die jetzt geforderten Opfer leicht fallen.
Hier liegt aber auch das politisch-moralische Motiv für die Forderung, daß die Bevölkerung des Saarlandes weder in der Übergangszeit einer deutsch-französischen Zoll- und Währungsunion noch nach dieser Übergangszeit irgendwelche Nachteile erleidet und damit für ihr Bekenntnis zu Deutschland noch bestraft wird. Gewiß, es ist schon in den Verträgen eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, um den Eintritt solcher Folgen zu verhindern. Die Bundesregierung wird auch die Übergangszeit dazu zu benützen haben, um die Vorkehrungen für eine möglichst reibungslose Eingliederung des Saarlandes in das deutsche Wirtschaftsgebiet zu treffen. Aber es handelt sich nicht nur um die Erhaltung des Absatzmarktes für die Saarwirtschaft und die Herstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch um die grundsätzliche Regelung einer Reihe von vor allem sozialpolitischen Fragen, die dem Bund und uns als Bundesgesetzgeber als Aufgabe gestellt sein werden. Es sind vor allem Befürchtungen von Verschlechterungen in dieser Richtung, etwa hinsichtlich der Beamtengehälter und der Löhne, der Kindergeldzahlungen oder der Renten, insbesondere der Kriegsopferrenten, die in der öffentlichen Meinung der Saar die nach dem Ergebnis der Abstimmung eigentlich grotesk anmutende Ansicht haben laut werden lassen, man könnte sich mit der politischen Rückgliederung jetzt ruhig noch etwas mehr Zeit lassen. Wir meinen, man sollte die Entstehung und Ausbreitung solcher Stimmungen durch entsprechende Maßnahmen möglichst rasch verhindern. Man sollte auf Vorschläge Rücksicht nehmen, wie sie uns von der Berufsorganisation des öffentlichen Dienstes an der Saar in diesen Tagen zugegangen sind, und den § 13 des Eingliederungsgesetzes — er ist, glaube ich, schon von einem der Vorredner erwähnt worden — entsprechend ändern, vielleicht auch den § 16, denn hier hat auch der Bundesrat eine Einwendung gemacht. Im Zusammenhang damit kann vielleicht auch den Wünschen, die von der Saar her laut geworden sind, Rechnung getragen werden.
Wir sollten solche Maßnahmen aber nicht nur aus wahltaktischen Überlegungen ergreifen, die anzustellen mir in diesem Zusammenhang verwerflich erscheint, sondern in erster Linie im Hinblick auf den Modellwert, den die Wiedervereinigung mit der Saar für die große Wiedervereinigung haben kann. Wenn wir in diesem Geiste an die Beratungen der Verträge herangehen, wird uns die Zustimmung trotz der Opfer, die sie uns allen auferlegen wird, nicht schwerfallen; denn dann werden wir sie vielleicht in späterer Zeit nicht als einen zu hoch bezahlten Preis werten, sondern als eine Investition, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Früchte getragen hat.

(Beifall bei dem GB/BHE, der SPD und der FDP.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217402400
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0217402500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Volkspartei möchte ich unserer tiefen Genugtuung Ausdruck geben, daß wir heute den Tag erreicht haben, an ,dem zum ersten Male ein Vertragswerk zur Debatte steht, das darin kulminiert: Die Saar wird am 1. Januar 1957 in den Bereich der Bundesrepublik eingegliedert.
Wir begrüßen dieses aus einer Reihe wichtiger Verträge bestehende Vertragswerk in seiner Gesamtheit unter fünf großen politischen Gesichtspunkten.
Zum ersten. Mit der politischen Lösung der Saarfrage in dem Sinne, daß die Saar in die Bundesrepublik eingegliedert wird — womit die einzige Lösung gefunden wurde, die auch eine gute europäische Lösung ist —, ist nicht nur das letzte territoriale Problem zwischen Deutschland und Frankreich bereinigt — das wurde schon gesagt —, sondern durch die Verträge über die Schiffbarmachung der Mosel und den Ausbau des Oberrheins tritt eine endgültige Entspannung in allen grenznachbarlichen Problemen auf der Gesamtlänge der deutsch-französischen Grenze von Basel bis an die Südspitze Luxemburgs ein. Es darf in seiner Bedeutung nicht übersehen werden, daß hinsichtlich der zukünftigen Behandlung nicht nur der territorialen Streitfrage Saar, sondern aller grenznachbarlichen Fragen entlang der gesamten Grenze durch diese Verträge das Kooperationsprinzip, das Prinzip der guten freundschaftlichen Zusammenarbeit sichergestellt und für alle Zukunft verankert ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Das ist der erste Gesichtspunkt, unter dem wir die Vertragswerke betrachten.
Der zweite Gesichtspunkt ergibt sich unmittelbar daraus, daß die Verträge die wichtigste Voraussetzung für die gedeihliche Weiterentwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses darstellen. Ich möchte sagen, daß mit diesen Verträgen nicht für eine kurze Zeit deutscher und französischer Politik, sondern für eine lange Epoche die ,deutschfranzösische Freundschaft sichergestellt ist, während bisher gerade die Saarfrage mit all dem, was ebenfalls nicht gelöst ,war — dem französischen Verlangen nach der Moselkanalisierung, dem deutschen Verlangen nach Unterbleiben des Seitenkanals am Oberrhein —, die Bemühungen beider Regierungen und aller besonnenen politischen Kräfte in beiden Ländern gefährdete, soweit sie sich auf eine Konsolidierung Europas richteten.
Das dritte wesentliche Moment sehen wir darin, daß die deutsch-französische Freundschaft, die wir jetzt als sichergestellt ansehen, der Eckpfeiler der Integration Europas ist und daß gerade durch diese Verträge die besten Aussichten auf den Erfolg der weiteren Bemühungen aller europäischen Staaten eröffnet werden, nun über die Ausdehnung des gemeinsamen Marktes und über die Verwirklichung von Euratom zu einer europäischen Integration im ganz umfassenden Sinne zu gelangen.
Daraus ergibt sich als viertes ausschlaggebendes politisches Moment die Verstärkung der Sicherheit im gesamteuropäischen Bereich gegenüber allen gerade in der Gegenwart so sehr in Erscheinung tretenden Gefahren aus dem Osten. Es ist wie ein symbolisches Zusammentreffen, an und für sich zwar ein zeitliches Zusammenfallen, aber ein Zusammenfallen von tieferer symbolischer Bedeutung, daß, während im Bereich der sowjetischen Herrschaft in Europa Freiheitsaufstände europäischer Völker blutig niedergeschlagen werden, hier in dem Europa außerhalb des sowjetischen Machtbereichs ein Vertragswerk wie die deutsch-französischen Verträge vom 27. Oktober zum entscheidenden Abschluß gebracht wird. Wir glauben, daß nichts Besseres geschehen konnte zur Demonstration dessen, was die europäischen Völker und ihre Regierungen außerhalb des sowjetischen Machtbereichs bewegt, als diese deutsch-französische Einigung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker und des Bemühens, alle Fragen friedlich in Kompromissen zu regeln, bei denen Opfer von beiden Seiten unvermeidbar sind und diese als unvermeidbar anerkannten Opfer auch freudig getragen werden.
Fünftens. Die Rückkehr der Saar in die Bundesrepublik ist die Ausgangsbastion für den gesamtdeutschen Staat der Freiheit, dem unsere ganze Arbeit gilt, der erste Akt der Wiedervereinigung, und damit sind die deutsch-französischen Verträge ein in seiner psychologischen Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzendes Versprechen, daß uns auch die Wiedervereinigung mit der SBZ auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts für unser deutsches Volk in Mitteldeutschland gelingen wird. Es kann nur eine Grundlage einer guten Lösung in Mitteldeutschland geben, und das ist die Grundlage der freien Selbstbestimmung der Bevölkerung, auf der auch die Verträge, die jetzt zur Ratifikation vorliegen, beruhen.
Unter diesen fünf großen politischen Gesichtspunkten begrüßen wir die Verträge. Sie werden uns noch in den Ausschüssen beschäftigen. Aber wir haben wohl Anlaß, zweierlei dankbar anzuerkennen. Erstens erkennen wir dankbar an, daß die Bevölkerung an der Saar mit der Ablehnung des Statuts bei der Volksbefragung am 23. Oktober den Ausgangspunkt für die neuere Entwicklung gesetzt hat, die zu dem heutigen Vertragswerk führte und damit zu der einzigen echten Lösung des Saarproblems, auch von den europäischen Zusammenhängen her gesehen, die es geben konnte. Diesen Dank an die Saarbevölkerung sollten wir nicht abstatten mit Worten, sondern mit der Art, in der wir in Zukunft alle die Fragen lösen, in denen die Saarbevölkerung und die heutige Saarregierung auf die tätige Mitwirkung der Bundesregierung, der Bundesbehörden und auch des Bundesparlaments angewiesen sind.
Zum zweiten ist die Anerkennung des Ergebnisses der Volksbefragung durch die öffentliche Meinung Frankreichs und die französische Regierung zu erwähnen, wie sie sofort nach dem 23. Oktober in Erscheinung traten. Damals hat Frankreich unmittelbar nach der Volksbefragung zugunsten Deutschlands einen großen Akt europäischer Selbstbesinnung geübt. Das muß ausgesprochen werden, weil es nicht selbstverständlich ist, daß die politischen Prinzipien von den Regierungen immer so respektiert werden, wie es damals geschah, als die französische Regierung alle Konsequenzen aus dem Ergebnis der Volksbefragung zog. Deshalb ist es erforderlich, daß wir uns des Dankes bewußt sind, den wir der französischen Öffentlichkeit und der französischen Regierung schulden.


(Euler)

Es ist unvermeidlich, in diesem Zusammenhang auch auszusprechen, daß diese Entwicklung der öffentlichen Meinung in Frankreich und die Haltung der französischen Regierung unmöglich gewesen wären, wenn dem nicht eine jahrelange Politik der europäischen Konzentration, wie sie von der Bundesregierung und der Koalition die ganzen Jahre hindurch geradlinig vertreten worden ist, vorausgegangen wäre.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn eine deutsche Bundesregierung der Jahre seit 1949 das Petersberg-Abkommen abgelehnt hätte, weil es nicht genügend zugestand, und den Eintritt in den Europarat abgelehnt hätte, weil zunächst nicht auch die Mitgliedschaft im Ministerrat sichergestellt war und überhaupt die politischen Gesamtzusammenhänge keine völlige Gleichberechtigung Deutschlands gewährleisteten, wenn es weiter eine Bundesregierung gegeben hätte, die aus allen möglichen Erwägungen das Projekt der Montanunion abgelehnt hätte und die sich überhaupt in allen europäischen Fragen immer wieder unter dem Gesichtspunkt: Die Fortschritte, die man uns zur Gleichberechtigung hin gewährt, sind nicht groß genug, ablehnend verhalten hätte, dann wäre der psychologische Boden für eine solche Entwicklung der öffentlichen Meinung in Frankreich, wie wir sie erlebt haben, überhaupt nicht zu schaffen gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es w i' e auch nicht möglich gewesen, jene tiefe Wandlung in der öffentlichen Meinung in Frankreich zu erreichen, wenn wir nicht bewiesen hätten, daß wir den gleichen Blick für die Existenznöte aller demokratischen Völker außerhalb des sowjetischen Machtbereichs in Europa hatten wie Frankreich, die Niederlande, Belgien, England und Italien, und wenn wir nicht aus dem Bewußtsein der tiefen Gemeinschaft aller europäischen Völker vor dem drohenden Schicksal aus dem Osten auch bereit gewesen wären, Verteidigungsanstrengungen mit dem Ziele zu machen, die gesamte Abwehrkraft der westlichen Welt zu steigern. Wenn man auf diese Zusammenhänge als die unerläßlichen Voraussetzungen dafür abhebt, daß die französische öffentliche Meinung und die französische Regierung nach der Volksbefragung die Entscheidung trafen, die zu den heutigen Verträgen geführt hat, muß man sagen: es war allein das Verdienst der Haltung der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Koalitionsparteien in all den Jahren seit 1949, daß der heutige Tag erreicht werden konnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Vertrag ist auch deshalb beispielhaft, weil das Kompromiß auf der Grundlage der Anerkennung des freien Volkswillens, aus dem alle Konsequenzen gezogen werden, die Opfer auf beide Seiten verteilt. Es handelt sich um einen echten, auf demokratischem Wege errungenen Kompromiß. Wir waren uns ja wohl alle von vornherein bewußt, daß die von uns angestrebte politische Lösung: Saargebiet ein Teil der Bundesrepublik überhaupt nicht erreicht werden kann, wenn wir nicht zu weitgehenden wirtschaftlichen Zugeständnissen an Frankreich bereit sind. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Bundesminister Dr. Blücher und Dr. Preusker in ihrem Gutachten an den Bundeskanzler vom November 1954 bereits darauf abhoben, daß wir die politische Lösung, welche wir im deutschen und europäischen Interesse allein anstreben konnten, nur erreichen, wenn wir der französischen Regierung weittragende wirtschaftliche Konzessionen machen und die Bereitschaft, große wirtschaftliche Opfer auf uns zu nehmen, ganz unzweideutig erklären.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die politische Lösung der Rückkehr der Saar, der Eingliederung in die Bundesrepublik zum 1. Januar mit der Hypothek belastet, daß die französisch-saarländische Zoll- und Währungsunion noch drei Jahre fortbesteht, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, daß eine frühere Beendigung der Übergangszeit im Einverständnis aller Beteiligten möglich ist.
Wenn wir nun die Kompliziertheit der Übergangsregelungen ins Auge fassen, möchten wir uns wünschen, daß die Endlösung schon zu einem früheren als zu dem nach dem Vertrag spätest möglichen Zeitpunkt, dem 31. Dezember 1959, sichergestellt wird. Aber gerade, wenn man ins Auge faßt, daß es unser Bemühen sein müßte, die Übergangszeit von drei Jahren abzukürzen, was vertraglich zulässig ist, haben wir als Gesetzgeber und hat die Regierung der Bundesrepublik um so mehr die Verpflichtung, die Zeit des Übergangs zu benutzen, um die Saar im Rahmen der Verträge wirtschaftlich in jeder Weise zu kräftigen. Denn es ist ja mit der Sinn der Übergangszeit, daß die Saar die Umstellung auf die deutsche Wirtschaft soll vollziehen können. Um so mehr liegt es in unserem Interesse und im Interesse der Saar, daß wir keine engherzige Betrachtungsweise walten lassen, wenn es gilt, möglichst schnell umfassende Investitionen an der Saar vorzusehen, insbesondere für die neuen Gruben im Warndt und für den gesamten Bereich der eisenschaffenden Industrie. Auch die großzügigste Einstellung gegenüber der Saar kann nur ein kleiner, bescheidener Dank für die Opfer sein, die die Saarbevölkerung nach 1945, ehe es zu diesem Tage kommen konnte, nun einmal auf sich nehmen mußte. Die Gewährung aller großzügigen Erleichterungen, die wir bieten können, müssen wir, ich möchte sagen, als Gesetz unserer Einstellung zu allen Saarfragen in den kommenden Zeiten zugrunde legen.
Das Vertragswerk hat, wenn man auf die Fragen der deutschen Wiedervereinigung im übrigen blickt, eine, ich möchte sagen, dynamische Bedeutung, einmal durch die Anerkennung des Prinzips der Selbstbestimmung der Völker, zum andern in der kompromißfreudigen Haltung, die alle Beteiligten an den Tag gelegt haben, damit es zu diesem Vertragswerk kommen konnte. Möge sich durch das Beispiel dieses Vertragswerks die Sowjetunion und mögen sich ihre Machthaber zu der Erkenntnis angespornt fühlen, daß sie dem Sicherheitsinteresse der Sowjetunion und des russischen Volkes den besten Dienst leisten, wenn sie den 13 Millionen Menschen in Mitteldeutschland, die sie heute noch knechten, möglichst schnell die Freiheit auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung geben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217402600
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich dem Hause folgendes bekanntgeben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Saardebatte auch in der Zeit zwischen 13 und 15 Uhr weiter- und möglichst zu Ende geführt werden.

(Abg. Dr. Gülich: Vor leerem Hause?!)



(Vizepräsident Dr. Schneider)

Sollte die Zeit bis 15 Uhr mit der Saardebatte ausgefüllt sein, wird um 15 Uhr folgendermaßen verfahren. Es kommt dann die Kohledebatte mit allem, was dazugehört, und erst nach der Kohledebatte der Punkt 2 der heutigen Tagesordnung — Steuergesetz — mit der Maßgabe, daß dieser Punkt möglichst heute noch erledigt werden soll. Wenn er aber erst nach 20 Uhr zur Behandlung kommt, soll heute nur debattiert und morgen früh abgestimmt werden.
Im übrigen ist man sich darüber einig, daß dann logischerweise das Steuergesetz morgen früh als Punkt 1, das Wirtschaftsstrafgesetz als Punkt 2 und das Gesetz über die Bundesnotenbank als Punkt 3 der Tagesordnung behandelt werden. — Das Haus ist damit einverstanden.
Sollte die Saardebatte die Zeit zwischen 13 und 15 Uhr nicht ganz ausfüllen, dann werden wir noch die Punkte erledigen, über die wir im Ältestenrat vereinbart hatten, daß sie in dieser Zeit sowieso erledigt werden sollten.
Ich erteile nunmehr das Wort dem Abgeordneten Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0217402700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir raucht noch ein wenig der Kopf von asiatischen Problemen und von den Wirkungen asiatischen Klimas, und ich hatte nicht die Absicht, an dem ersten Tage, an dem ich wieder hier bin, in die Debatte einzusteigen. Aber die Ausführungen unseres Kollegen Kiesinger haben mich gezwungen, mich doch zu Wort zu melden.
Zunächst einmal muß ich wieder Verwahrung gegen diese Art des Zitierens einlegen, die hier im Bundestag von mancher Seite immer wieder geübt wird. Man pickt aus einem Text einen Satz oder den Teil eines Satzes heraus und läßt das, was diesem Satz seine wahre Bedeutung gibt, einfach weg.
Herr Kiesinger hat aus einem Artikel zitiert, den ich in der Zeitschrift „Außenpolitik" geschrieben habe. Er hat einen Satz richtig zitiert:
Wie in dem Quellenband des Hamburger Völkerrechtlichen Instituts in den Ausführungen von Ministerpräsident Faure bestätigt wird, entriß der Bundeskanzler im Oktober 1954 das zweite Plebiszit den Franzosen als Zugeständnis.
So weit richtig zitiert: das zweite Plebiszit. Aber wenn man diesen Satz zitiert, muß man den unmittelbar folgenden mit zitieren:
Das erste erschien nicht den Franzosen, sondern uns Deutschen gefährlich. Was in der französischen Absicht und derjenigen der frankophilen Parteigänger an der Saar eine Plebiszitierung der Abtrennung von Deutschland werden sollte, verwandelte sich vor den erstaunten Augen der ganzen Welt in ein Plebiszit für die Wiedervereinigung.
Der Herr Bundeskanzler hat, als er den damaligen Saarvertrag unterschrieb, genauso das erste Plebiszit gesehen, wie wir alle es gesehen haben, und er hat keineswegs gewußt, daß sich aus diesem ersten Plebiszit heraus die Wende für das Schicksal der Saar ergeben werde. Wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß niemand von uns das gewußt hat. Wir alle waren uns im unklaren darüber, wie diese kurze Frist der Freiheit, die man für drei Monate und nicht länger zugestehen wollte, auf eine bis dahin einseitig informierte, unterdrückte, gegängelte Bevölkerung wirken würde. Das wußten wir alle nicht. Wenn jemandem ein besonderes Verdienst zukommt, daß diese Gelegenheit so ergriffen wurde, daß sie zum Gegenteil dessen führte, was diejenigen wollten, die das Plebiszit veranstalteten und dem Bundeskanzler als Zugeständnis entrissen — anläßlich der Verhandlungen über die Pariser Verträge —, wenn jemandem ein Verdienst daran zukommt, dann der saarländischen Bevölkerung,

(Sehr richtig! bei der SPD)

die trotz der energischen und immer wiederholten Einflußnahme von der Bundesregierung her sich nicht unterwarf, die ganze Argumentation des Herrn Bundeskanzlers als falsch erkannte — so, wie wir sie als falsch dargestellt haben —

(erneute Zustimmung bei der SPD)

und die trotz der massiven Drohungen und des massiven politischen Druckes das Saarstatut ablehnte.
Lassen Sie mich auch einmal zitieren, den Herrn Bundeskanzler nämlich, und ich picke nicht einen Satz heraus, sondern zitiere alles, was in diesen Zusammenhang gehört. Bei der CDU-Kundgebung in Bochum hat der Herr Bundeskanzler im September 1955 — es war am 2. September —, nachdem der Abstimmungskampf begonnen hatte, folgendes gesagt:
Nun, da ich von Europa spreche,
— ich zitiere nach dem „Bulletin" der Bundesregierung vom 6. September 1955 —
lassen Sie mich hier in aller Offenheit und mit allem Freimut etwas sagen. Ich bin in großer Sorge wegen der Vorgänge an der Saar.
Ich lasse einige unwesentliche Sätze aus, und dann kommt's:
An die Bevölkerung an der Saar habe ich die herzliche Bitte zu richten: Ich verstehe, daß sie die Regierung Hoffmann nicht mehr will, und ich bin der Auffassung, die Regierung Hoffmann hat im Saargebiet keinen Boden mehr bei der Bevölkerung. Aber der Weg, zu einer anderen Regierung zu kommen, ist gerade, dieses Statut anzunehmen

(Hört! Hört! bei der SPD)

und dann in der darauf stattfindenden Landtagswahl einen Landtag zu wählen, der in seiner Mehrheit gegen die Regierung Hoffmann gerichtet ist. Wenn man das tut, dann wahrt man gleichzeitig auch die europäischen Interessen, die es nicht vertragen,
usw.

(Abg. Metzger: Sehr interessant!)

Es gibt noch eine andere Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers kurz vor dem Saarstatut anläßlich der Konferenz in Luxemburg mit dem Chef der französischen Regierung. Ich habe hier die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Oktober 1955 vor mir und zitiere aus dem, was ein Sprecher der Bundesregierung damals gesagt hat:
Der Sprecher gab bekannt, daß der Kanzler dem Kabinett am Donnerstag morgen über Luxemburg berichtet hat, und hob nochmals die Bedeutsamkeit der gemeinsamen Feststellung hervor, daß die politischen Freiheiten gemäß Art. 6 des Statuts auch nach der Annahme des Status weiterhin voll aufrechterhalten blei-


(Dr. Mommer)

ben. Auf Fragen, ob diese Freiheiten auch bestehen bleiben, wenn das Statut abgelehnt werde, wies der Sprecher darauf hin, daß es sich bei diesen Freiheiten um Elemente des Statuts handele, die entfielen, wenn das Statut nicht Wirklichkeit würde.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Die Bundesregierung hat damals indirekt gedroht; sie hat der Bevölkerung an der Saar gesagt: Wenn ihr Freiheit wollt, müßt ihr das Statut annehmen. Wenn ihr es ablehnt, bedeutet das Rückkehr zum Status quo.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das hat die Bundesregierung nicht einmal in gutem Glauben getan;

(Abg. Kiesinger: Wie können Sie das sagen!?)

sie wußte, — — Ich bedaure, das sagen zu müssen, Herr Kiesinger, Sie wissen, ich wäge meine Worte. Sie hat es nicht einmal in gutem Glauben getan, denn sie wußte, daß in jenem Statut die politischen Freiheiten nach dem Text, so wie er stand, und nach den Absichten der Vertragspartner nach diesen drei Monaten wieder aufhören sollten; sonst hätte man sie ja auch nicht auf drei Monate zu begrenzen brauchen. Und sie wußte ebenfalls, daß gerade die Ablehnung des Statuts eine politische Lage schaffen würde, der die französische Regierung nicht anders Rechnung tragen konnte als dadurch, daß sie wieder Verhandlungen, diesmal auf veränderter Grundlage, aufnehmen mußte.
Sie sagen, Herr Kiesinger: nun, was konnte der Herr Bundeskanzler anders tun, als die Saarbevölkerung auffordern, dem Statut, das er unterschrieben hatte, zuzustimmen. Ich würde mit Ihnen übereinstimmen, wenn Sie es negativ ausdrückten und sagten: Konnte der Herr Bundeskanzler die Saarbevölkerung auffordern, das Statut abzulehnen? Nein, er konnte es nicht, und wenn er sich mit Schweigen begnügt hätte, dann unterläge er heute nicht unserer Kritik. Er hat aber nicht geschwiegen, und wenn er nicht geschwiegen und Einfluß auf einen anderen Ausgang des Plebiszits genommen hat als den, der uns heute in die glückliche Lage versetzt, über die Heimkehr des Saargebiets zu verhandeln, wenn er Einfluß im entgegengesetzten Sinne genommen hat, so ist das nicht zuletzt auch von Ihnen kritisiert worden. Ich weiß doch, wie es in Ihrer Partei zu jener Zeit hergegangen ist und welch schwerer Kritik sich Ihr Parteichef bei Ihnen selbst ausgesetzt hat, als er sich während dieses Kampfes entgegen dem deutschen Interesse und entgegen einem gesunden und elementaren patriotischen Gefühl der Saarbevölkerung entgegenstellte. Das Statut hatte die Abtrennung zum Ziel, nicht strikt notwendigerweise zum Erfolg. Die Saarbevölkerung nutzte in einem großen Elan die Freiheit, um den Weg der Wiedervereinigung zu bereiten. Es ist nötig, diese Dinge klarzustellen, um der Legendenbildung entgegenzuwirken.
Nein, es ist nicht so, daß die Politik des Herrn Bundeskanzlers die Lage herbeigeführt hat, in der die heutigen Verträge möglich geworden sind. Die Politik des Herrn Bundeskanzlers war richtig unter der Voraussetzung und der Bedingung, daß die Saarbevölkerung nicht auf den Herrn Bundeskanzler hörte und ihm die schneidende Absage des 23. Oktober 1955 erteilte. Unter der Bedingung war sie richtig. Mir fiel da Goethe ein. Da war der Herr
Bundeskanzler, wie es im Faust heißt, ein Teil der Kraft, die das Böse will und das Gute schafft.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Sie haben wenigstens das „stets" weggelassen!)

Ich habe auch an Hegel denken müssen, da wir nunmehr in Philosophie und Literatur sind, der bekanntlich die Geschichte als Entwicklung zur Freiheit darstellt und sagt: Der Weltgeist, der diese Entwicklung leitet. bedient sich manchmal sonderbarer Mittel, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er bedient sich auch der List. Und wenn Hegel das erlebt hätte, — —

(Abg. Kiesinger: Der List der Idee! — Abg. Kunze [Bethel] : Sie zitieren dauernd falsch!)

— Ja, die List der Idee, richtig! Und das war eine List der Idee, nicht eine List des Herrn Bundeskanzlers, und ich möchte jedem abraten, es so darzustellen; dann wäre nämlich der Herr Bundeskanzler schlechtgläubig gewesen, als er seine Unterschrift unter jenen Vertrag setzte. Es war die List der Idee.

(Abg. Kiesinger: Welcher Idee?)

— Der Idee der Freiheit, Herr Kiesinger!

(Abg. Kiesinger: Und der Selbstbestimmung!)

So ist das zustande gekommen, was heute vor uns liegt. Eine Bedingung, und zwar die wesentlichste Bedingung dafür war aber, daß die Saarbevölkerung ihren Freiheitskampf nicht in der Vereinsamung führen mußte, sondern daß sie das Gefühl hatte, daß wenigstens die Opposition auf ihrer Seite stand, wenn sie sich von der Regierung verlassen fühlte. Und Sie wissen es sehr genau, wie oft sie sich verlassen gefühlt hat.
Wenn ich heute in den Zeitungen lese, daß der Herr Bundeskanzler demnächst einen Besuch im Saargebiet machen will, darf ich hier bescheiden meinen Rat unterbreiten, doch damit noch etwas zu warten, bis ein wenig Gras über diese vergangene Saarpolitik des Herrn Bundeskanzlers gewachsen ist.

(Zuruf von der Mitte: Das können Sie Ihren Landsleuten selbst überlassen!)

— Ja gewiß, das überlasse ich gern den Landsleuten an der Saar.

(Abg. Kiesinger: Warten Sie ab! Wieder mal eine falsche Prophetie!)

— Einigen wir uns so, Herr Kiesinger: Machen Sie vorher sorgfältig nach Gallup-Methoden eine Umfrage in der Saarbevölkerung!

(Abg. Kunze [Bethel]: Nicht nötig! Brauchen wir nicht!)

Es ist Ihnen sicher bekannt, daß der Herr Bundeskanzler im Saargebiet keine sehr populäre Person ist. Das werden Sie nicht bestreiten.

(Abg. Kunze [Bethel]: Warten Sie doch ab! — Abg. Kiesinger: Bei Herrn Schneider nicht!)

Meine Damen und Herren, Herr Kiesinger hat gemeint, wir Sozialdemokraten hätten in der Isolierung gekämpft, und mit unserer Art, die Dinge anzupacken, wäre nie das Resultat zustande gekommen, vor dem wir heute stehen. Er hat bei dieser Gelegenheit vor allem vom Straßburger


(Dr. Mommer)

Europarat gesprochen. Herr Kiesinger, ich glaube nicht, daß es ein Ruhmesblatt für Ihre Partei ist, wie Sie sich da manchmal in Straßburg verhalten haben.

(Abg. Kiesinger: Ich bin ganz vom Gegenteil überzeugt!)

Ich bin davon überzeugt, daß es für Sie nicht von Vorteil ist, diese Geschehnisse in Straßburg im einzelnen zu durchleuchten. Als Herr Naters jenen Plan vorlegte, in dem die endgültige Abtrennung des Saargebietes vorgesehen war, und dieser Plan im Ausschuß zur Abstimmung kam — im Plenum ist bekanntlich nie darüber abgestimmt worden —, da gab es nur eine Stimme gegen diesen Plan der dauernden Abtrennung; das war eine sozialdemokratische;

(Hört! Hört! bei der SPD)

und es gab eine deutsche Ja-Stimme zu diesem Plan,

(Hört! Hört! bei der SPD)

und das war die Stimme des CDU-Vertreters in diesem Ausschuß.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Verschweigen Sie nicht, daß das zur Zeit der Konzeption der Europäischen Politischen Gemeinschaft war!)

— Richtig, will ich Ihnen gern konzedieren, Herr Kiesinger, das war zu der Zeit der Pläne mit der politischen Gemeinschaft. Aber auch da haben Sie ja selbst mit diesen Dingen die größten Kopfschmerzen gehabt. Sie wissen wohl, daß Sie sich damals in Wirklichkeit gegen bessere Überzeugung der Macht der anderen Seite und dem massiven Streben, in diesem Fall der Siegermächte und ihrer Verbündeten, unterworfen

(Hört! Hört! bei der SPD)

und einer Politik zugestimmt haben, die recht uneuropäisch konzipiert war, sowohl was die Staatenordnung, was die Selbstbestimmung als auch was die demokratischen Freiheitsrechte angeht.

(Beifall bei der SPD.)

Sehen Sie, wir Sozialdemokraten sind zu unserem Schmerz, muß ich sagen, manchmal in der Lage gewesen, isoliert zu sein. Ja, wir waren isoliert auf den guten Grundsätzen, die uns eigentlich allen gemeinsam sind, auf den guten Grundsätzen, nach denen man europäische Politik nicht mit JaltaKonzeption machen kann. Wir haben uns nicht gescheut und haben es auf uns genommen — glauben Sie, daß es uns nicht angenehm war im Europarat und auch sonst in der Welt, auch in der Sozialistischen Internationale gegenüber unseren eigenen politischen Freunden —, diesen Kampf um die besseren Grundsätze, die uns allen gemeinsam sind, zu führen, auch dann, wenn wir damit alleine blieben.

(Beifall bei der SPD.)

Und, Herr Kiesinger, was wir da getan haben, das werden wir in jedem ähnlichen Fall wieder tun. Wir werden zu diesen Grundsätzen, die eine bessere Zukunft für Europa garantieren, immer stehen, auch dann, wenn Sie mit den anderen stimmen.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn wir damals den Kampf führten und dabei vielleicht manchmal auch ein wenig erbittert und verbittert waren, dann haben wir niemals vergessen, daß man in der harten politischen Wirklichkeit diese Prinzipien nicht durchsetzen kann, indem man auf den Tisch klopft und sagt: „Unser Recht! Ihr müßt herausgeben, was Ihr zu Unrecht genommen habt, und damit Schluß!", wie der Herr Bundeskanzler es hier einmal gegenüber den Russen in bezug auf die Wiedervereinigung getan hat.
Wir haben immer gesagt: mit einem Nachbarn, mit dem wir in Frieden und Freundschaft leben wollen, muß man anders reden. Auch dann, wenn man fühlt, daß man in der Sache, die man vertritt, ganz und gar recht hat, muß man den Realitäten Rechnung tragen und zu erkennen geben, daß man nicht nur fordert, sondern daß man auch zu geben bereit ist und daß man die Lösung politischer Probleme im Ausgleich sieht und nicht allein im Kampf, — auch im Kampf, aber nicht allein im Kampf!
Deshalb sind wir die ersten gewesen, die von diesem Ausgleich, von diesen Konzessionen politischer und vor allem wirtschaftlicher Art an Frankreich gesprochen haben. Deshalb hat es auf unserer Seite die wenigsten Schwierigkeiten gegeben, als bei diesen Verhandlungen die schweren Opfer gefordert wurden, denen wir hier zustimmen werden: Moselkanal, Warndt und manches andere. Wir sind auch dann wieder zu unseren Grundsätzen gestanden, als es zum Pfeifen kam, als es nicht genügte, den Mund zu spitzen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht und diese Konzessionen abgelehnt im Hinblick darauf, daß sich die Saarbevölkerung so klar zu Deutschland bekannt hat. Wir sind vielmehr der Meinung — und nicht nur in diesem Falle, Herr Kiesinger —, daß es anderen Staaten gegenüber, die Großmächte sind, nicht genügt, zu fordern und recht zu haben, sondern mit Großmächten ist nur zu verhandeln, wenn man zum Ausgleich bereit ist, es sei denn, man hat eine Verteidigungsv ehr, die man einsetzen wollte und die in der Lage wäre, das, was man zu Recht zu fordern hat, auch mit Gewalt zu holen. Aber ich weiß, daß Sie das ja nicht wollen.

(Abg. Kiesinger: Woher wissen Sie das?)

— Ich unterstelle es zu Ihren Gunsten, Herr Kiesinger. Sie haben häufig gesagt, daß kein Ziel unserer Politik mit Waffengewalt zu verwirklichen sei.

(Abg. Metzger zum Abg. Kiesinger: Oder sind Sie anderen Sinnes geworden? — Abg. Kiesinger: Nein, das meine ich ja!)

— Was, Sie sind anderen Sinnes geworden? Das glaube ich nicht.

(Abg. Kiesinger: Habe ich Sie mißverstanden?)

— Sie haben mich mißverstanden.
Wenn das nicht geht, muß man sehen, wo der Ausgleich liegt. An dem Saarvertrag könnte man für die Wiedervereinigungspolitik auch in östlicher Richtung so manches deduzieren.
Sie haben es für nötig gehalten, Herr Kiesinger, hier wieder von der Verteidigungswehr zu sprechen und davon, wie nötig und nützlich sie für die Wiedervereinigung usw. wäre.

(Abg. Kiesinger: Ja, bitter nötig!)

Wir können die Debatte darüber hier nicht ausdehnen. Aber eine Frage, Herr Kiesinger: glauben Sie, daß die Saar jetzt zu uns zurückkäme, wenn wir Frankreich gegenüber eine Politik gemacht hätten, wie Sie sie für die Wiedervereinigung dem Osten gegenüber machen?

(Sehr gut! bei der SPD.)



(Dr. Mommer)

Ist es nicht richtig, was Ihre Redner hier gesagt haben: daß man, wenn man so etwas will, mit dem Staat, der das geben soll, was man will, in freundschaftlicher Beziehung leben muß? Ist das nicht eine Voraussetzung? Ist nicht die Politik, die Sie nach Osten hin geführt haben, das genaue Gegenteil von dem, was nötig ist, um eine Situation herbeizuführen, in der solch ein Saarvertrag möglich wird?
Wir können heute keine allgemeine außenpolitische Debatte machen. Wir bedauern, daß es in dieser Debatte so gelaufen ist, daß möglichst alle Probleme, die heute vor uns stehen, zur Erörterung kommen.
Sie haben auch wieder über Ungarn gesprochen.

(Abg. Kiesinger: Zum erstenmal!)

Wir glauben, daß man darüber besser in einer besonderen Debatte sprechen sollte. In diesem so erstaunlich heroischen Kampf der Ungarn, in seinem Verlauf und in seinem tragischen Ausgang stecken so viele Lehren für unsere Politik, daß es sich lohnt, einmal im einzelnen darüber zu sprechen.

(Abg. Kiesinger: Sehr richtig!)

In bezug auf diesen Saarvertrag lassen Sie mich eins sagen, was mir als Gedanke kommt, wenn Sie über Ungarn sprechen: Unsere Saarbevölkerung hat nicht nur gekämpft, sondern sie hat auch weise und mit Beschränkung, mit Selbstzucht und Selbstbeschränkung gekämpft. Als am 23. Oktober 1955 abgestimmt wurde und die Welt schon erwartete, daß es schlecht für die Veranstalter der Abstimmung ausgehen würde, standen französische Truppen und französische Gendarmerie ringsum an der Saargrenze bereit, einzumarschieren, wenn auch nur das geringste passierte und es ist der Weisheit der Saarbevölkerung und auch, glaube ich, soweit sie erbeten wurden, den ruhigen guten Ratschlägen, die von uns gegeben wurden, zu verdanken, wenn niemandem nach diesem gewaltigen Sieg an der Saar ein Haar gekrümmt worden ist und wenn jeder Anlaß zur Anwendung von Gewalt vermieden worden ist. Ich glaube, das muß man auch sehen, wenn man über die Gründe und Ursachen philosophiert, die zu dem heutigen Resultat geführt haben, daß man hier in jeder Hinsicht respektiert hat, daß auf der anderen Seite eine empfindliche Großmacht steht, mit deren Interessen nicht nur, sondern auch mit deren Gefühlen man rechnen muß, die man in seine Gesamtplanung einsetzen muß, wenn man eine Aktion zum guten Ende führen will. Der Kampf allein genügt nicht; man bedarf auch der sicheren politischen Zielsetzung und Führung.
Es wäre besser gewesen, wenn wir uns heute, statt uns in der Polemik entgegenzutreten, in der gemeinsamen Freude darüber gefunden hätten,

(Sehr richtig! bei der SPD)

daß hier eine Million Deutscher zu uns heimkehrt und in Frieden und Freiheit in Zukunft in dem gemeinsamen Vaterland leben wird,

(Beifall bei der SPD)

und auch in der Freude darüber, daß wir es in
Zukunft leichter haben werden, mit unseren französischen Nachbarn in besten Beziehungen zu leben.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein: Sehr gut!)

Das wünschen wir alle, Herr Kiesinger. Sie haben
geglaubt, da die SPD als eine Partei apostrophieren zu müssen, die sich mit Frankreich in der Vergangenheit sehr verzankt habe.

(Abg. Kiesinger: Hat sie auch!)

— Ja, das haben wir, Herr Kiesinger. Wir haben uns auch mit einer deutschen Regierung verzankt, wenn da das Recht mit Füßen getreten wird,

(Beifall bei der SPD)

und das werden wir immer wieder tun, gegenüber einer deutschen, einer französischen und einer russischen Regierung.

(Abg. Kiesinger: Das letztere höre ich gern!)

— Ja, Herr Kiesinger, und da liegt auch in diesem Falle die Grenze des Entgegenkommens und des Ausgleichens. In diesem Punkte der Freiheit und der Unabhängigkeit gibt es kein Entgegenkommen,

(Beifall bei der SPD)

auch dann nicht, wenn das Behaupten dieser Prinzipien im Augenblick bedeutet, daß ein Ziel nicht erreicht werden kann.
Vergessen Sie aber nicht die andere Seite: daß neben dem Kampf für diese Prinzipien auch der Wille zum Ausgleich und zur Verständigung stehen muß! Heute sind wir in der glücklichen Lage, das Frankreich gegenüber erreicht zu haben, und das Verhältnis der Sozialdemokratie zu Frankreich im allgemeinen und der französischen Partei im besonderen hatte sich ungeheuer gebessert. Leider sind neue Ereignisse eingetreten, wo wir wieder mit dem Kopf schütteln und leider wieder Auseinandersetzungen auf uns nehmen müssen.
Aber, meine Damen und Herren, Politik ist keine Beschäftigung mit dem Erreichten, sondern vor allem immer wieder eine Aufgabe: was ist jetzt zu tun? In Ihren Erklärungen (zum Abg. Kiesinger) haben wir das vermißt. Es war dem Sprecher unserer Fraktion, meinem Freunde Wehner, vorbehalten, da ein Programm zu entwickeln.

(Abg. Kiesinger: Kommt noch!)

— Freut mich, wenn es noch kommt, und noch mehr würde es mich freuen, wenn wir uns dann in diesem Punkte einig sind.
Wir müssen klarstellen, daß durch diesen Vertrag an der Saar selbst niemand einer Gefahr und niemand einer Verfolgung, auch nicht der geringsten Verfolgung und Schädigung ausgesetzt werden wird. Je großzügiger man gegenüber besiegten politischen Gegnern ist, um so besser ist es für das Resultat, das man erreichen will. Wir werden sicherstellen müssen — das ist schon wiederholt worden, aber es muß jetzt auch durch Taten verwirklicht werden —, daß keiner über sozialen Rückschritt anläßlich der Wiedervereinigung wird klagen können. Wir müssen sicherstellen — und die nötigen Opfer zu bringen bereit sein! —, daß dieser wirtschaftliche Aufstieg kommt und aus allem sich dann ergibt, daß die Wiedervereinigung für diese Million nur Gutes mit sich bringt und daß in dem Echo, das sie im deutschen Volke und in der Welt findet, ein großer Anreiz und Antrieb für die 17 Millionen gegeben ist, die auf den Tag warten, an dem die Wiedervereinigung dort zustande kommen wird. Man unterschätze die Bedeutung des Präzedenzfalles nicht! Hier können wir der deutschen Bevölkerung und auch der anderen beteiligten Großmacht gegenüber den guten Präzedenzfall schaffen, der allen Beteiligten sagt, daß in einem solchen Arrangement niemand ver-


(Dr. Mommer)

liert, sondern daß wir alle die Gewinner sein werden.
Es gibt viele Voraussetzungen für die Wiedervereinigung. Es gab sie hier an der Saar, und es gibt sie auch für den größeren Teil der Aufgabe der Wiedervereinigung. Sehr wichtig, entscheidend wichtig wird immer wieder das Verhältnis zu der Macht sein, die es in der Hand hat, ja zu sagen zu dieser Wiedervereinigung oder nein zu sagen. Aber, wie wir gerade in diesem Fall der Saar ge- sehen haben, die deutsche Bevölkerung selbst ist der entscheidendste Faktor. Wir müssen uns immer so verhalten, daß die Sehnsucht nach Frieden und Einheit in Freiheit nie enttäuscht wird und nie erstirbt. Wir müssen uns so verhalten, daß jede Großmacht auf Sand baut, die ihre Zukunft auf der Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands aufbaut, und wir müssen durch unsere Taten zeigen, daß alle, auch diese bisher die Teilung aufrechterhaltende Großmacht, mit der Zustimmung zu der Einheit in Freiheit nur zu gewinnen haben.

(Beifall bei der SPD, der FDP und der DP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217402800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217402900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer viele Jahre seines Lebens mit dem wechselnden Geschick der Saar verbunden war und ist und einen nicht unerheblichen Teil seiner bisherigen Lebensarbeit diesem Land und seiner Bevölkerung gewidmet hat, dem wird es sicher gestattet sein, auch eine historische Parallele zu bringen, nicht um in den Akten, Reden, Beschlüssen und Entschließungen der letzten Jahre nachzubohren, wo man einen Plus- oder Minuspunkt für den einen oder anderen anbringen könnte, sondern um die politische Bedeutung der Heimkehr der Saar in den richtigen Rahmen zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine damit das Jahr 1935. Damals hatte es über 16 Jahre gedauert, bis die Saar politisch wieder zu Deutschland zurückkehrte. In einer Woge des Nationalismus und des Nationalsozialismus im deutschen Volk wurde diese einfache und selbstverständliche Haltung der Saarbevölkerung für politische Ziele eines totalen Staates mißbraucht. Aber immerhin hatte es 16 Jahre gedauert, und es war der Weimarer Republik nicht möglich gewesen, es war ihr nicht vergönnt gewesen, bei den Saarverhandlungen 1929/30 eine vorzeitige Rückgliederung der Saar zu erlangen.
Nun, es sind 11 Jahre vergangen seit dem Kriegsende 1945 und einem Zusammenbruch, der bis in die Existenz des deutschen Staates hinein ging. Nach diesen 11 Jahren haben wir, auch wiederum unter Mitwirkung der Saarbevölkerung und ihrer selbstverständlichen Haltung, aber auch in einem politischen Klima deutsch-französischer Beziehungen, welches 1929/30 nicht bestand, erreicht, was damals erst viele Jahre später möglich war. Ich glaube, man soll beides sehen, das Wollen der Bevölkerung und auch das politische Klima, in dem die deutsch-französischen Beziehungen • standen, diesem Wollen der Bevölkerung auch wirklich zur politischen Realisierung zu verhelfen.
Die politische Lösung ist in dem Ihnen vorliegenden Vertragswerk enthalten. Die wirtschaftliche Lösung ist angedeutet; sie ist noch nicht im einzelnen überall greifbar. Insofern ist jetzt ein Zustand da, wenn dieses Werk in Kraft tritt, der auf der wirtschaftlichen Seite etwa mit den Problemen zu vergleichen ist, die nach Abschluß des Saar-Zollabkommens 1927/28 bis 1935 bestanden. Ich meine die wirtschaftliche Seite des Problems, denn das jetzige Vertragswerk unterscheidet ganz deutlich zwischen diesen beiden Dingen. Ich darf mich besonders der wirtschaftlichen Problematik zuwenden, ,die in diesem Vertragswerk steckt.
Ich möchte zunächst auf folgendes aufmerksam machen. 1935 kehrte die Saar wirtschaftlich in einem sehr plötzlichen und abrupten Vorgang zurück. Das hat zu den Schwierigkeiten geführt, die auch in der jüngsten Diskussion immer wieder vor den Lösungsmöglichkeiten als Gespenst aufgetreten sind. Die Saar kehrte aber damals auch in ein System zentralgelenkter Verwaltungswirtschaft zurück. Es konnte durch einen Federstrich von Berlin ohne Einschaltung des Parlaments oder ohne Mitwirkung der Länder, die praktisch schon ausgehöhlt waren, das geschehen, was auf dem Verordnungswege zu dekretieren war. Heute kehrt die Saar in einen Wirtschaftsraum zurück, der von der Wettbewerbswirtschaft gekennzeichnet ist und wo alle wesentlichen Dinge auf dem Weg der Gesetzgebung unter Einschaltung des Bundestages und in den meisten Fällen auch des Bundesrates zu erfolgen haben. Das wird eine mühevollere Arbeit sein, die laufend dieses Haus zu beschäftigen hat.
Ich möchte hier schon sagen: der Eingliederungsvorgang wird eine über mehrere Jahre verteilter Vorgang sein, auch wenn der Stichtag des 1. Januar 1960 eingetreten sein wird. Wir werden ganz kontinuierlich an diesen Dingen zu arbeiten haben. So möchte ich gerade auch in der Behandlung der jetzigen Vorlagen den Unterschied zwischen der Ratifizierung der Verträge und dem machen — was wir auch nicht aus dem Auge verlieren dürfen —, was sich hinsichtlich der wirtschaftlichen, der finanziellen, der sozialpolitischen, der verkehrspolitischen und der sonstigen Maßnahmen alles noch in einem Vorgang von mehreren Jahren anschließen wird.
Ich muß aber auch noch kurz die wirtschaftliche Situation kennzeichnen, die sich von der Lage von 1935 wesentlich unterscheidet. Damals war die Weltwirtschaft, von der Krise gepeitscht, beunruhigt. Der Welthandel schrumpfte von Jahr zu Jahr. Die Saar, die in ihrer Zwischenlage an einem Funktionieren des freien Warenaustausches nach allen Seiten ein lebenswichtiges Interesse hat, kehrte in die deutsche Wirtschaft mit schrumpfendem Außenhandel zurück. Das hat ihre Aussichten und Entwicklungsmöglichkeiten ganz erheblich beeinträchtigt. Die Reaktion Frankreichs 1935, als nämlich die Empfehlungen des Völkerbundrates, in einem zweiseitigen deutsch-französischen Abkommen der Saar den Austausch mit Frankreich weiter zu ermöglichen. nicht realisiert wurden, war doch nur durch die Weltwirtschaftskrise mit ihrer Schrumpfung des internationalen wirtschaftlichen Austausches bedingt.
Heute sind die Chancen wesentlich andere, weil nicht nur eine laufende wirtschaftliche Expansion, sondern auch eine Expansion des wirtschaftlichen Austausches, der internationalen Arbeitsteilung. der Freizügigkeit von Waren, von Kapital und von Arbeitskräften das Kennzeichen der gegenwärtigen Laie ist. Hier möchte ich den Kollegen Wehner mit voller Zustimmung zitieren. Herr Kollege Wehner


(Dr. Hellwig)

hat nämlich an einer Stelle, die vielleicht der Aufmerksamkeit des Hauses etwas entgangen ist, davon gesprochen, daß die wirkliche wirtschaftliche Lösung dieses Problems — Zugehörigkeit und Verbindung mit zwei Wirtschaftsgebieten — eben nur im gemeinsamen Markt erfolgen kann und daß alle anderen Techniken mit Sonderabkommen, gleichgültig, ob vor oder nach 1960, eben immer wieder die Gefahr der Labilität, der Kurzfristigkeit, also der unübersehbaren politischen Veränderungen in sich bergen. Ich begrüße, daß hier gesagt worden ist, im gemeinsamen Markt — der uns ja noch als weitere Aufgabe beschäftigt — werde die eigentliche Lösung der Saarfrage nach der wirtschaftlichen Seite zu finden sein. Wenn man aber dies feststellt, Herr Kollege Wehner, dann ist !damit auch gleichzeitig ausgesprochen, daß der Entschluß der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses, nämlich zunächst den gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl zu schaffen, die europäische Montanunion, seine historische Rechtfertigung aus der Blickrichtung der Saarfrage gefunden hat.

(Zustimmung in der Mitte.)

Die Saar, wenn wir sie hier einmal als einen geschlosenen Ausfuhrraum behandeln wollen, setzt mehr als die Hälfte ihrer Ausfuhr nur auf dem Sektor der Montanwirtschaft, Kohle, Eisen und Stahl, ab. Und gerade das war 1935 das Problem, das nicht gelöst werden konnte, nämlich einerseits den Saarkohlenabsatz nach Frankreich zu sichern und andererseits den Saareisenabsatz, der auch in einer breiteren Streuung gesichert werden mußte, weiterzuführen, so daß alles einseitig auf das damalige Reichsgebiet zukam und zu den entsprechenden Konsequenzen führte, insbesondere zu der ablehnenden Haltung, die Frankreich hinsichtlich der Hereinnahme von Kohle und Stahl, aber auch von anderen Industrieerzeugnissen der Saar damals einnahm.
Lassen Sie mich nun kurz folgendes zur Kennzeichnung der Warenverkehrsregelungen im Abkommen sagen. Ich bedaure, daß in diesem Abkommen bisher im Grunde genommen nur der Zustand bis zur endgültigen wirtschaftlichen Rückgliederung behandelt ist. Wie eigentlich nach diesem Umstellungstag der Warenverkehr aussehen wird, ist noch nicht ganz zu übersehen. Es handelt sich um das Problem: Wie wird die französische Einfuhr in die Saar nach dem zweiten Übergangsstichtag unbeschränkt zugelassen, ohne daß diese französische Einfuhr dann das Saargebiet weiter verläßt und in das Bundesgebiet hineingeht? Das gleiche Problem besteht vorher in der Zulassung der deutschen Einfuhr in die Saar und ihrer etwaigen Weiterverbringung nach Frankreich. Die Technik, mit Ursprungszeugnissen zu arbeiten, die gerade in der Saarvergangenheit eine ganz bestimmte Rolle gespielt hat, könnte hier unter Umständen nicht ausreichen. Man wird wirklich nur die echte Lösung im gemeinsamen Markt finden können.
Auch für die Phase bis 1960 ist es ein Mangel der jetzigen Konstruktion, daß gerade das Problem der deutschen Einfuhr in die Saar auch dort, wo berechtigte und wirtschaftlich vernünftige Wünsche der Saar vorliegen — und das ist auf zahlreichen Gebieten der Fall —, nicht befriedigend geregelt werden konnte. Das ist einmal der Sektor der Konsumgüterversorgung der Saar. Waren deutschen
Geschmacks und deutscher Herkunft möchte die Bevölkerung haben, aber ihre Kontingente auf diesem Gebiet sind in diesem Abkommen außerordentlich bescheiden weggekommen. Anders die Frage der Investitionsgüter für die Investitionen, die die Saarwirtschaft selbst, aber auch die die gesamte öffentliche Hand vorzunehmen hat. Hier sind zwar wesentlich bessere Bezugsmöglichkeiten vorhanden, aber daß nur der Einfuhrzoll in Fortfall kommt, nicht dagegen die Einfuhrausgleichsabgabe, ist mit Sicherheit eine Belastung, die die Saar beim Bezug deutscher Investitionsgüter in dieser Zeit noch verspüren wird.
Ich möchte also zu der Frage des Warenverkehrs sagen: wir hoffen, daß sich aus der praktischen Entwicklung bis 1960, aber vor allem auch aus der Entwicklung der Arbeiten für den gemeinsamen Markt eine wesentlich großzügigere Lösung erarbeiten läßt, die der beiderseitigen wirtschaftlichen Verflechtung — nicht nur der Saar mit dem Bundesgebiet, sondern auch Frankreichs und der Bundesrepublik — entspricht.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort über die Währungsumstellung. Eine ganz große Unbekannte und voraussichtlich auch eine Quelle weiterer Schwierigkeiten ist die Tatsache, daß für die Währungsumstellung von Bargeld und Bankguthaben der amtliche Wechselkurs des französischen Franken zugrunde gelegt ist. Wir alle wissen, daß der amtliche Wechselkurs nicht der tatsächlichen Kaufkraft im Vergleich D-Mark/Franken entspricht, so daß sich aus dem amtlichen Wechselkurs bei der Umstellung ganz erhebliche Konsequenzen, sei es nach der Richtung von Währungsgewinnen, sei es nach der Richtung höherer Belastungen in Preisen usw., ergeben könnten. Das' Problem, wie diese unechten Wechselkursrelationen aufgefangen werden können, wird uns noch sehr lange zu beschäftigen haben, zumal sich auch die Bundesregierung in dem Abkommen vorsorglich vorbehalten hat, unter Umständen eigene Regelungen zur Ausschaltung ungerechtfertigter Währungsgewinne und zur Ausschaltung von spekulativem Mißbrauch dieses Mißverhältnisses der Wechselkurse vorzunehmen. Das gleiche gilt für die Umstellung von Forderungen und Schulden, die auch unter Umständen noch Gegenstand einer zusätzlichen innerdeutschen Regelung sein muß.
Ein weiteres Wort zu den Aufgaben in dieser Zwischenzeit! Ich möchte einmal recht deutlich sagen, daß mir persönlich in dem Augenblick, in dem die politische Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik vollzogen wird, die Frage nach der Dauer der Übergangszeit sekundär geworden ist — unter der einen Voraussetzung, daß nach dieser Übergangszeit eine vernünftige Dauerregelung vorhanden sein wird, die der beiderseitigen wirtschaftlichen Verflechtung der Saar entspricht. Wenn nicht im Stichjahr 1960 — oder mag es früher sein — eine vernünftige dauerhafte Regelung für den Warenverkehr, für den Wirtschaftsverkehr der Saar, auch mit Frankreich, geschaffen sein wird, dann ist auch eine noch so gut gemeinte Übergangszeit in ihrer Wirkung sehr begrenzt, weil einfach die psychologischen Voraussetzungen fehlen, den Stand zu erhalten, der für die beiderseitige wirtschaftliche Verflechtung, für die Beziehungen nach Frankreich, für die Stellung auf dem französischen Markt, aber auch für das Interesse Frankreichs am Saarmarkt bestimmend ist. Gerade wenn solche psychologischen Voraus-


(Dr. Hellwig)

Setzungen fehlen, können in der Übergangszeit erhebliche Verschlechterungen eintreten. Ich meine damit etwa den Abzug von Kapital durch die französische Seite. Wenn also nicht rechtzeitig eine Dauerlösung vorliegt, kann es zu einer Entblößung der Saar, zu einer Stagnation, zu einer Abwanderung von Betrieben und Arbeitskräften kommen. Das sind alles Erscheinungen, die wir 1934 ja schon einmal erlebt haben.
Ich persönlich habe gewisse Zweifel, ob die jetzigen Schätzungen über den Frankenumlauf im Saargebiet, der ja bei der Währungsumstellung Frankreich durch die Bundesrepublik zur Verfügung gestellt werden soll, nach den Erfahrungen, die hinsichtlich des Abzugs des französischen Geldes und Kapitals vor dem Rückgliederungstag 1935 gemacht worden sind, richtig sind. Also auch hier zeigt sich, daß für das Gelingen dieser Konstruktion das Klima der allgemeinen deutschfranzösischen Beziehungen, besonders im wirtschaftlichen Bereich, entscheidend sein wird.
Nun einiges zu den Aufgaben in der Übergangszeit, die die Kraft der Saar angehen. Ich meine damit den Nachholbedarf, den die Saar an zahlreichen Stellen nicht nur hinsichtlich der öffentlichen und privaten Investitionen, sondern auch hinsichtlich des gesamten Steuersystems, des Sozialsystems usw. hat. Daß hier ein Besitzstand sozialer Leistungen gewahrt werden soll, ist selbstverständlich. Daß andererseits eine Bereinigung des derzeitigen Verwaltungsapparats, der ja im Augenblick die Funktionen von Bund und Land zu tragen hat, vorbereitet werden muß, versteht sich ebenso. Ich glaube, daß gerade die Abstimmung der haushaltswirtschaftlichen Konsequenzen bei der Übernahme von Bundesaufgaben durch das Land Saar Gelegenheit gibt, dièse Probleme rechtzeitig in engster Zusammenarbeit zu analysieren.
In diesem Zusammenhang ein Wort über die Stellung der Saar zu den anderen deutschen Bundesländern. Hier ist schon von mehreren Sprechern das Bedauern dieses Hohen Hauses zum Ausdruck gebracht worden, daß der Bundesrat die Mitverpflichtung der Länder in bezug auf Bundesfinanzhilfen an die Saar, wie sie in § 10 des Eingliederungsgesetzes vorgesehen sind, gestrichen hat. Ich vermag die rechtliche Argumentierung nicht ganz einzusehen; denn daß die Saar als Bundesland zu einem bestimmten Zeitpunkt in das System des Länderfinanzausgleichs einmal eintreten wird — im Augenblick ist das wegen der ganz anderen Bemessungsgrundlagen nicht möglich —, das ist doch wohl selbstverständlich. Man sollte hier nicht von vornherein eine Deklaration abgeben, daß die Länder aus dieser Hilfe für die Saar zunächst überhaupt ausgeklammert werden.
Ich darf hieran einige Bemerkungen über die verschiedenartigen finanziellen Probleme anknüpfen, ohne jedoch in Einzelheiten einzutreten. Ich glaube, man sollte unterscheiden zwischen dem, was der öffentliche Haushalt der Saar einschließlich der Gemeinden braucht, wobei ich nicht nur den Verwaltungs- und Sozialaufwand, sondern vor allen Dingen den Investitionsbedarf meine, und dem, was in öffentlichen Unternehmungen, nämlich Eisenbahn, Post, Saargruben usw., benötigt wird, und schließlich dem, was an Investitionsbedarf, d. h. praktisch an Kredit- und Kapitalbedarf, bei der gesamten Wirtschaft besteht. Denn je nachdem, wo die Mittel einzusetzen sind, sind auf unserer Seite auch verschiedene Finanzierungsfragen zu behandeln.
Dabei darf ich, gerade was den Investitionsbedarf der gesamten Wirtschaft angeht, einmal auf einen Rückstand aufmerksam machen, der bisher nur wenig beachtet worden ist. Die Saar hat bei der Umstellung von der alten Reichsmarkbilanz zur Frankenbilanz 1948 eine Bilanzumstellung auferlegt bekommen, die zu einer erheblichen Unterbewertung ihres Anlagevermögens geführt hat. Diese Unterbewertung hat es ihr verboten, steuerlich, d. h. auf dem Wege über Abschreibungen, die laufende Substanzerhaltung und -erneuerung zu finanzieren. Hier wäre also eine Nachholung notwendig, indem die Grundsätze des D-Mark-Eröffnungsbilanz-Gesetzes der Bundesrepublik zu gegebener Zeit auch für die Saar Anwendung finden, wenn die Bilanzumstellung zu erfolgen hat. Die Bilanzumstellung ist ja einstweilen nicht möglich, weil sie zu dem zweiten Akt der Rückgliederung gehört. In der Zwischenzeit muß aber darauf geachtet werden — und wir begrüßen die Initiative der Saarregierung auf diesem Gebiete —, daß durch entsprechende steuerliche Möglichkeiten bestimmte Reserven gebildet werden können, um einmal dem jetzigen Investitionsbedarf schon zu entsprechen, vor allem aber die Reserve zu schaffen, die eingesetzt werden muß, wenn die Wettbewerbsfähigkeit auf ihre eigentliche Bewährungsprobe gestellt wird. Das ist voraussichtlich 1960 der Fall.
Hinsichtlich des Bildes von 1960 darf ich nochmals bemerken: Die Saar kehrt in eine Wettbewerbswirtschaft zurück. In den Bereichen, die ihre Wirtschaft kennzeichnen — Kohle und Eisen —, unterliegt sie ebenso den Bestimmungen über den gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, die wettbewerbsverfälschende Sonderaktionen untersagen, wie alle anderen Mitgliedsländer. Das aber bedeutet, daß ein Hilfsmittel, welches nach 1935 jahrelang mit Erfolg angesetzt worden ist, um der Saar den Zugang zu und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem reichsdeutschen Markt zu ermöglichen, nicht eingesetzt werden kann. Für den Sektor Kohle und Stahl kann nicht mehr wie damals mit Sondertarifen auf der Eisenbahn gearbeitet werden. Das bedeutet also, daß die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen, d. h. mit marktkonformeren Mitteln gestärkt und gerade in diesem Sektor auf das Hilfsmittel der Sondertarife verzichtet werden muß.
Ich darf bei der Frage der Verkehrspolitik noch kurz ein Wort zur Moselkanalisierung sagen. Sie ist sicher eine deutsche Gegenleistung, die für die deutsche Wirtschaft im Bundesgebiet Konsequenzen haben kann, die noch nicht zu übersehen sind. Aber mit einem müssen wir jetzt schon rechnen: daß die Konsequenzen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Saar im Zugang zum deutschen Markt und zu den Seehäfen, auch im Bezug von Ruhrkohle — auch die Saar muß ständig gewisse Mengen Ruhrkohle beziehen —, sehr erheblich sein werden. Denn für die Saar ergibt sich nach menschlichem Ermessen nicht die Möglichkeit, eine entsprechende Wasserstraße zu ihren Absatzgebieten in Süddeutschland zu haben. Ich glaube, daß das Programm des Saarpfalz-Rheinkanals, welches 1935 eine sehr große Rolle spielte, kaum Aussicht auf eine Realisierung in einer übersehbaren Zeit hat.

(Abg. Wehner: Dafür haben sie den Westwall gekriegt!)



(Dr. Hellwig)

— Der Westwall war, Herr Kollege Wehner, für die Saar eine erhebliche Belastung.

(Abg. Wehner: Das wissen wir ja! Ich meine: statt des Kanals!)

Der Moselkanal wird, wenn er fertiggestellt ist, mit Sicherheit ein Zuschußbetrieb sein, weil die auf ihm hereinzuholenden Schiffsfrachten nicht ausreichen, um die Herstellungskosten und den Betrieb zu finanzieren. Es wird dann also zur Verbesserung der Wirtschafts- und Wettbewerbslage der Nutznießer dieses Kanals, nämlich der Eisenhüttenindustrie in Lothringen, eine zusätzliche Leistung erbracht werden. Es wird zu erwarten sein, daß die davon benachteiligten anderen Reviere, womit ich nicht nur die Ruhr, sondern gerade die Saar meine, eine bestimmte Ausgleichsleistung zur Wiederherstellung gleicher Frachtverhältnisse verlangen werden. Das Problem wird sich im Laufe des Baues des Moselkanals ja immer deutlicher herausstellen.
Eine kurze Bemerkung zur Frage der Saarbergwerke. Sie werden als ein weiteres Unternehmen in den Kreis der bundeseigenen Unternehmungen treten. Ich bin der Meinung, daß es völlig richtig ist, daß der Bund nicht nur die größte Beteiligung, sondern damit auch die größte finanzielle Last übernimmt. Alle Planungen, die von gewissen Gegnern der deutschen Saarpolitik immer wieder hervorgebracht worden sind, nämlich die Saargruben dem Saarland selbst zu eigen zu geben, gehen an der Realität vorbei, daß die Finanzkraft des Landes überhaupt nicht der Verpflichtung entsprechen dürfte, die aus dem Eigentum an den Saargruben erwachsen wird.
Die weitere Zukunft der Saar wird wesentlich von der Stärkung der Kapazität der Saargruben abhängen. Aber ich möchte hier eine Warnung aussprechen. Die Saar hat in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder darunter gelitten, daß sie allzu einseitig schwerindustriell von Kohle und Eisen bestimmt war. Damit ist sie wesentlich krisenanfälliger gewesen als andere Wirtschaftsgebiete, die eine ausgewogene industrielle Struktur haben. Wir bejahen und begrüßen die Ansätze, die gerade in der Verbreiterung der mittel- und kleinindustriellen Betriebe, insbesondere im Verarbeitungssektor, in den letzten Jahren möglich waren, nicht zuletzt deshalb möglich waren, weil hier eine Chance bestand, auf den französischen Markt zu gehen. Ich möchte schon hier sagen: es wird unsere besondere Aufgabe sein, diese strukturelle Ergänzung der Saar auch lebensfähig zu erhalten. Denn gerade diese Mittel- und Kleinbetriebe repräsentieren eine bodenständige Wirtschaft, während in den großen montanindustriellen Unternehmungen das bodenständige Unternehmertum, von der Familie Röchling einmal abgesehen, doch weitgehend ein Opfer der politischen Verwicklungen der letzten dreißig Jahre geworden und der Saar verlorengegangen ist. Es besteht also auch hier ein echtes politisches Problem, welches man nicht daran messen soll, ob dem einen oder anderen zuviel an Vorteilen zukommt. Die Ergänzung der wirtschaftlichen Struktur der Saar mit Mittel- und Kleinbetrieben, insbesondere in den Verarbeitungszweigen, wird ein weiteres Aufgabengebiet für uns bleiben.
Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch einmal auf das Grundanliegen zurückkommen. Die Saarregierung hat mit erfreulicher Deutlichkeit in ihrem Memorandum die vor uns stehenden Aufgaben vorwiegend auf dem Gebiete des Haushaltes, der Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik aufgezeigt. Ich glaube, daß es not tut, daß durch diese Schleuse des legitimierten Sprechers — nämlich der Saarregierung -- alles, was an Forderungen, Planungen, Wünschen und Projekten auftritt, zu uns kommt. Man soll sich hier nicht in einen Wettlauf nach Bonn begeben. Das möchte ich gerade denjenigen sagen, von deren Aktivität in Paris — als dort die Hilfe für die Saar zu holen war -- wir relativ wenig verspürt haben.
Ich glaube aber, daß es uns gelingen wird — insbesondere dann, wenn der Gemeinsame Markt, diese weitergehende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich, zustande kommt und realisiert wird —, der Saar die Stellung zu geben, die sie haben will, nämlich nicht von Subventionen und Zuschüssen abhängig zu sein, nicht für eine unübersehbare Zukunft unter dem Schutz bestimmter Vorbehalte stehen zu müssen, sondern in einem großen westeuropäischen gemeinsamen Wirtschaftsraum lebensfähig aus eigener Kraft zu sein und damit zu zeigen, daß die Lage an der Grenze nicht wie bisher in der Vergangenheit ein Fluch, sondern ein Segen für alle Seiten sein kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217403000
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobs.

Peter Jacobs (SPD):
Rede ID: ID0217403100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionskollege Wehner hat in seiner ebenso umfassenden wie sachlichen Darlegung zu den Vertragswerken u. a. auch jenen Teilaspekt erwähnt, den kurz im besonderen zu erörtern mir notwendig erscheint. Sein Hinweis, die Beurteilung der Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die das Eingliederungsgesetz bietet, dürfe nicht seine Begrenzung in dem finden, was wir bis zum gegenwärtigen Augenblick noch als das eigentliche Anliegen dieses Gesetzes bezeichnen, scheint mir in der Tat wichtig genug zu sein, um auch im Drang der Eile, in der wir uns nun einmal befinden, noch einmal darauf einzugehen.
Ich glaube, daß auch den Interessen der Saarbevölkerung nicht damit gedient wäre, wenn jetzt als unmittelbare Folge der Eingliederungspolitik und in unmittelbarer Nachbarschaft des Saargebiets ein soziales und wirtschaftliches Vakuum entstünde oder beibehalten bliebe, wie es dann der Fall wäre, wenn im Zuge der neuen Maßnahmen, wie Schiffbarmachung der Mosel, entscheidende — auch wirtschaftliche — Veränderungen in diesem Bereich, also außerhalb des sogenannten Saargebietes, eintreten.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Schiffbarmachung der Mosel für das unmittelbar betroffene Gebiet zunächst nur potentielle Möglichkeiten bietet. Darüber hinaus muß auch einschränkend gesagt werden, daß, wenn diese potentiellen Möglichkeiten einmal zu realen Möglichkeiten werden, diese Realisierung dann auch nur in einem partiellen Bereich möglich ist. Es wird also durchaus nicht so sein, daß mit der Schiffbarmachung der Mosel nun im ganzen Verlauf dieses Flußlaufs Handel und Wandel und die Wirtschaft selber erblühen können.
Wir wissen, daß die Saar u. a. auch einen Anspruch darauf hat, im Rahmen der Rückgliederung jene Verwaltungsinstitutionen wieder zurückzubekommen, die infolge der auch politischen Abtren-


(Jacobs)

nung jetzt nicht auf ihrem Gebiet sein können. Ich denke dabei an die Eisenbahndirektion, die sich zur Zeit in Trier befindet. Ich bin nicht optimistisch genug, anzunehmen — obwohl ich aus dieser Stadt komme —, daß es überhaupt einen Sinn hätte, beispielsweise für das Verbleiben dieser Institution in Trier einzutreten. Die Verlegung dieser Institution ist ein selbstverständlicher Anspruch, den die Saar hat.
Darüber hinaus ist damit zu rechnen, daß im Zuge der Verwirklichung der notwendigen Eingliederung weitere wirtschaftliche Unternehmungen, auch soweit sie sich in öffentlicher Hand befinden, nicht mehr gehalten werden können. Deshalb geht erneut meine Bitte dahin - ich hatte schon vor einiger Zeit Gelegenheit, eine solche Bitte an die Bundesregierung zu richten —, sich nun endlich ihrer Aufgabe zu erinnern, daß sie eine Grenzlandpolitik zu treiben hat, die ihren Namen auch verdient, und daß sie nicht wie in der Vergangenheit diese Aufgabe denjenigen überläßt, die dazu nicht verpflichtet sind und die auch ganz deutlich die Absicht haben erkennen lassen, daß sie nicht mehr an Stelle der Bundesregierung diese Aufgabe übernehmen wollen. Wenn die Zeitungsnotizen stimmen, dann hat ja der Herr Vizekanzler bei Gelegenheit seines Besuchs in Saarbrücken erklärt, daß auch nach seiner Auffassung ein Investitionsprogramm notwendig sei, das sich nicht streng auf das Gebiet beschränken darf und kann, das jetzt im Zuge der Eingliederung zurückkehrt, sondern dieses Programm muß darüber hinaus auf die benachbarten Kreise und Bezirke eine entsprechende Auswirkung haben. Ich hoffe, daß der Herr Vizekanzler in diesem speziellen Fall unbestritten in der Lage ist, die Meinung des Kabinetts zu vertreten, und ich hätte in diesem Fall eine Garantie dafür, daß das, was ich zu sagen mich bemühe, nicht von vornherein auf taube Ohren trifft.
Wie ist es denn im Hinblick auf die Verhältnisse in der Vergangenheit, auch im Hinblick auf die Tatsache, daß Grenzgebiete von jeher ein besonderes Schicksal haben? Gewiß, der Bundesregierung und den sie tragenden Kräften kann nicht der Vorwurf gemacht werden, hier gewissermaßen als Novum und einmalig eine Politik der historischen Versäumnisse betrieben zu haben. Aber was nützt es uns in der aktuellen Situation, beispielsweise darum zu wissen, daß in meiner Gegend, insbesondere in der Eifel, nach dem einzigen gewonnenen Krieg unserer jüngsten Geschichte nach 1871, als 4 Milliarden Goldfranken in die deutsche Wirtschaft strömten, eine echte Hungersnot geherrscht hat? Es ist von jeher so gewesen, daß im Verfolg der Regelung der Verhältnisse, sei es nach einem gewonnenen oder nach einem verlorenen Krieg, Grenzgebiete nicht immer jene Berücksichtigung gefunden haben, die im Interesse des Ganzen notwendig wäre.
Was würde es uns nützen, wenn beispielsweise das zwischen der Ruhr und der Saar liegende Gebiet ein soziales Wellental würde, das auf die Dauer sicherlich nicht geeignet wäre, eine Politik der Vollbeschäftigung oder eine Politik der relativ guten sozialen Verhältnisse in einigen Teilen auf die Dauer aufrechtzuerhalten? Denn die Gefahr, daß diese Teile eines Tages ein Opfer auch dieses Wellentals würden, ist ohne Zweifel gegeben.
Aber interessant war in dem Zusammenhang die von allen Rednern anerkannte Notwendigkeit, den sozialen Besitzstand an der Saar zu halten, zunächst einmal für die Übergangszeit und, wie man aus den Reden zu einem Teil auch entnehmen konnte, die Erkenntnis der Notwendigkeit, darüber hinaus keine Verschlechterungen eintreten zu lassen. Auch der Aspekt scheint mir interessant zu sein, wie es überhaupt dazu kommen konnte, von einem sozialen Besitzstand an der Saar, den es im Interesse der Bevölkerung zu halten gilt, zu sprechen. Das zeigt doch zum mindesten, daß auf diesem Gebiet unsere sogenannte soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik uns einiges schuldig geblieben ist.

(Abg. Dr. Hellwig: An der Saar ging es auf Kosten der Substanz!)

Denn sonst könnten wir ja nicht von der Notwendigkeit der Erhaltung eines sozialen Besitzstandes sprechen. Mir scheint, die beste Politik und damit die beste Garantie, die man den Menschen an der Saar im Hinblick auf einen Teil ihrer besseren sozialen Versorgung geben kann, ist die, bereits heute zu beginnen, auch in der Bundesrepublik jene sozialen Einrichtungen Tatsache werden zu lassen, die in anderen Gebieten des westlichen Europas und nicht nur in unseren von der „sozialen Marktwirtschaft" gesegneten Verhältnissen schon lange Tatsache geworden sind.
Ich habe also das dringende Anliegen, die Bundesregierung und vor allen Dingen die damit beauftragte Verwaltung wissen zu lassen, daß es kein guter Plan wäre, wenn man jetzt die Gelegenheit verabsäumte, eine umfassende Vorsorge für diejenigen Gebiete mit in Erwägung zu ziehen und mit zur Grundlage der notwendigen Konsolidierung zu machen, um die es entscheidend geht. Hier ist eben mit Recht das Stichwort vom Westwall gefallen. Von diesen Segnungen der Vergangenheit haben wir genug, weil wir heute noch darunter leiden. Wir möchten, daß die Grenzaufgabe in Zukunft auch darin gesehen wird, diese Gebiete in jenen wirtschaftlichen Kreislauf einzuschalten und hineinzunehmen, der es ihnen gestattet, einmal von der speziellen. Funktion, die eine Grenzlandbevölkerung nach dieser Richtung hat, absehen zu können. Es wäre sicherlich ein Werk, das sowohl dem zurückgegliederten Saargebiet als allen übrigen Teilen unserer Volkswirtschaft zugute käme, wenn man auch jenen Teil des Memorandums der Saarregierung berücksichtigte, der einen entsprechenden Hinweis auf diese Notwendigkeiten gibt. Ich will gar nicht davon sprechen, welche Verschiebungen und welche naturnotwendigen, auch strukturellen Veränderungen nach einem solchen Eingliederungsakt eintreten, diesmal zufällig an der Saar; morgen kann es irgendwo anders sein.
Ich erinnere daran, daß zur Zeit gewisse Spezialbranchen wie die Textil- und die Schuhindustrie zu einem nicht unerheblichen Teil des Umsatzes im angrenzenden Gebiet ausgesprochene Profiteure der jetzigen Situation sind, ein Zustand, von dem wir hoffen, daß er morgengegenstandslos sein wird. Er unterstreicht aber die Notwendigkeit, wie ich geglaubt habe, sie darstellen zu sollen, noch besonders, das Eingliederungsgesetz in Verbindung mit dem Gesetz über die Schiffbarmachung der Mosel als eine Maßnahme anzusehen, die sich nicht eng auf das begrenzt und eng an das hält, was im Text steht, sondern darüber hinaus auch noch jenen Anteil an Kosten von vornherein vorsieht, der notwendig ist, um nicht immer wieder auch hier in der Politik zu dem Ergebnis zu kommen: Was dein einen sin Ul', is dem andern sin Nachtigall. Wir müssen endlich zu einer Regelung kommen — der


(Jacobs)

Herr Bundesaußenminister hat heute morgen gesagt, daß eine solche Regelung erstrebt werden müsse —, die nicht des einen Vorteil und des anderen Nachteil ist. Ich bitte das aber nicht nur auf das zwischenstaatliche Verhältnis und das Verhältnis zu Europa zu beziehen. Es muß eine Politik betrieben werden, die durchaus zum Vorteil beider gereichen kann und dabei auch die innenpolitischen Notwendigkeiten in Erwägung zieht.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217403200
Das Wort hat der Abgeordnete Walz.

Karl Walz (CDU):
Rede ID: ID0217403300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich als der saarländische Bundestagsabgeordnete, der vieles von dem selbst erlebt hat, was heute auch in der Aussprache erwähnt worden ist, trotz der vorgeschrittenen Zeit einige Ausführungen machen möchte.
Bevor ich zu dem Stellung nehme, was mich persönlich sehr berührt und was mich vor allen Dingen heute im Laufe des Tages während der Erklärung der Regierung und der Aussprache berührt hat, möchte ich auf den Anwurf — ich glaube, es ist der Kollege Dr. Mommer gewesen — eingehen, es seien eigentlich von unserer Seite keinerlei programmatische Ausführungen gemacht worden.
Herr Dr. Hellwig, der vor mir für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprach, hat ja die wirtschaftspolitischen Aspekte erörtert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte mich gebeten, zu den sozialpolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Ich hätte das auch eingehender getan, wenn nicht schon eine ganze Reihe meiner Vorredner dazu gesprochen und zum Ausdruck gebracht hätten, daß keinerlei soziale Nachteile eintreten dürften. Ich kann das nur bekräftigen und darf Ihnen sagen, daß von seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion alles geschehen wird, um die Heimkehr der Saar zu uns zu erleichtern und niemandem irgendwelche sozialen Nachteile entstehen zu lassen.
Selbstverständlich ist im Saargebiet infolge der Industrialisierung und der Bevölkerungsdichte sozusagen jeder einzelne Einwohner durch die Familienausgleichszulage, durch die Rentenversicherung, durch die Kriegsopferversorgung sozialpolitisch angesprochen. Gerade dieser sozialpolitische Sektor ist auch für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion von der größten Bedeutung, und wir werden bestimmt alles daransetzen, um auch im Sinne des Memorandums der saarländischen Regierung die Heimkehr unserer Menschen an der Saar nicht zu erschweren, sondern zu erleichtern und ihnen gegenüber auf jeden Fall nicht undankbar zu sein.
Allerdings haben die Presse und die Partei des früheren Regimes an der Saar es sich jetzt zum Teil erlaubt — und dadurch ist an der Saar eine gewisse Beunruhigung eingetreten —, derartig maßlose Forderungen zu erheben, wie man sie unter dem Grandval-System dem Herrn Gouverneur oder dem Herrn Hohen Kommissar Grandval niemals zu unterbreiten gewagt hätte. Die Erfüllung solcher Anforderungen an die saarländische Regierung und an uns ist natürlich nicht zu erwarten. Das ist für diese Regimepresse jetzt ja sehr leicht. In der Vergangenheit hat man es sich ja auch nicht gar zu schwer gemacht. Man hatte jedes Jahr im Staatshaushalt durchschnittlich 17 bis 18 Milliarden
Franken Defizit und hat es verabsäumt, der dortigen Wirtschaft zu helfen, damit sie modernisiert, rationalisiert und so konkurrenzfähig gemacht werden konnte, daß gewisse Schwierigkeiten, die heute bestehen, vermieden worden wären.
Um so mehr ist es uns ein Anliegen, und um so mehr sind wir verpflichtet, uns hinter das Memorandum der saarländischen Regierung vom 20. November zu stellen, da sich dieses Memorandum von diesen Maßlosigkeiten, die wir heute noch von der Partei des früheren Regimes hören und gerade in den letzten Wochen in deren Presse Tag für Tag lesen müssen, distanziert. Diese maßlosen Forderungen sind lebhaft zu bedauern. Sie sind nicht geeignet, die so notwendige Ruhe unter der Bevölkerung an der Saar herzustellen. Das ist es, was mich an der vom Herrn von Brentano vorgetragenen Regierungserklärung besonders berührt hat: daß die jetzige Saarregelung dazu beitrage, Ruhe unter der Saarbevölkerung herzustellen. Weil ich zu denjenigen gehöre, die stets die Politik des vergangenen Regimes an der Saar bekämpft haben, möchte ich hier sagen: von unserer Seite aus geschieht alles, um einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen. Aber auch diejenigen, die die Träger der früheren Saarpolitik gewesen sind, müssen nun einmal einen Strich unter die Vergangenheit machen und müssen sich einfügen in unseren Weg, in den deutschen Weg, in den europäischen Weg. Ich hoffe und glaube, daß der heutige Tag dazu beitragen wird, diese Beruhigung an der Saar herzustellen.
Ich will jetzt noch auf das eingehen, was auch Herr von Brentano in der Regierungserklärung hervorgehoben hat, nämlich daß diese Saarregelung ein überzeugender Erfolg der deutschen Bundespolitik sei. Ich gehe deshalb besonders darauf ein, weil in der Aussprache eine gewisse Kritik dazu zum Ausdruck gekommen ist. Ich habe damals bei einer der Saardebatten in diesem Hause erklärt, daß sich nach meiner Auffassung sämtliche Parteien dieses Hauses immer bemüht hätten, die Saar für Deutschland zurückzugewinnen, daß aber die Methoden und die Wege verschiedener Natur seien. Mir scheint auch durchaus richtig zu sein, was in diesem Zusammenhang in der Regierungserklärung gesagt worden ist: daß diese ganzen Bemühungen stets Ausdruck gemeinsamer Sorgen und Aufgaben gewesen seien. Das sollten wir am heutigen Tage anerkennen, und wir sollten auch für uns einen Strich darunter ziehen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie weit wären wir heute, wenn dieser Saarvertrag nicht zustande gekommen wäre? Wäre es uns dann wirklich gelungen, die Saar jetzt schon zurückzuführen? War es die ganzen Jahre hindurch nicht immer unser gemeinsames Anliegen — sowohl an der Saar als auch hier im Bundesgebiet —, die politischen und demokratischen Freiheiten herzustellen? Wir sind sogar bereit gewesen, auf alle anderen Forderungen zu verzichten, wenn nur die politischen und demokratischen Freiheiten an der Saar hergestellt würden, weil wir Saarländer dann schon gewußt hätten, was wir damit anzufangen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Haben wir es nicht durch die deutsche Bundespolitik — ich habe ein Recht, sogar die Pflicht dazu, es zu sagen, denn ich war damals auch einer von den Neinsagern — erreicht, daß diese demokratischen und politischen Freiheiten an der Saar hergestellt wurden? Wir haben es erreicht!

(Beifall bei der CDU/CSU.)



(Walz)

Hat die Saarbevölkerung nicht das getan, was wir von ihr erwartet haben, nämlich sich bedingungslos und vorbehaltlos zu Deutschland bekannt?
Also sollten wir uns auch in diesem Hause darüber einig sein — dieses Wort richte ich auch an die oppositionellen Parteien —

(Abg. Wehner: Damals haben wir gesehen, daß Sie so klein waren!)

— Herr Kollege Wehner, das können Sie von mir kaum sagen — und sollten gemeinsam mit der Saarbevölkerung und der saarländischen Regierung die jetzt an uns herantretenden Fragen behandeln. Damit dienen wir uns am allermeisten, und wir erreichen, was uns allen von jeher vorgeschwebt hat: daß wir uns in gemeinsamem Dienst am Vaterlande finden und gemeinsam weiterhin europäische Politik betreiben und dadurch zum Frieden unter uns und zum Frieden in der Welt beitragen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217403400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung dieses Punktes.
Es ist beantragt Überweisung der Drucksache 2901, das ist der eigentliche Vertrag, an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — mitberatend —. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Dann ist beantragt Überweisung der Drucksache 2902, das ist das Eingliederungsgesetz, an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht
— federführend — und den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — mitberatend —. Ich habe heute morgen selbst mit angehört, wie der Herr Innenminister gewünscht hat, daß wir umgekehrt verfahren sollten. Der Herr Innenminister kann aber keinen Antrag stellen. Wird der Antrag aufgenommen? — Bitte!

Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217403500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, in Abänderung der Stellungnahme des Ältestenrates den Entwurf eines Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes, Drucksache 2902, an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Wir entsprechen damit dem Wunsche, den der Herr Minister des Innern heute früh ausgesprochen hat, und befinden uns dann auch in Übereinstimmung mit einer Abrede im Saar-Ausschuß, der alle Fraktionen zugestimmt haben.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217403600
Wir haben es im Ältestenrat, wie ich schon sagte, anders vereinbart. Was jetzt hier vorgetragen und begründet wurde, ist also ein Änderungsantrag. Ich lasse über ihn abstimmen. Wer der Meinung ist, daß die Drucksache 2902 an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht nur als mitberatenden Ausschuß überwiesen werden soll, der gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Die Drucksache 2903 soll an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und den Ausschuß für Verkehrswesen — mitberatend — überwiesen werden, desgleichen die Drucksache 2904 an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und den Ausschuß für Verkehrswesen — mitberatend —. ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Die Drucksache 2905 soll allein dem Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Damit sind wir am Ende des Punktes 1 der Tagesordnung.
Da es noch nicht 15 Uhr ist, verfahre ich jetzt so wie vereinbart und rufe als nächsten Punkt den Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftpflicht des Bundes für Personen- und Sachschäden, die von der Bundeswehr verursacht werden (Bundeswehr-Haftpflichtgesetz) (Drucksache 2800).
Wer begründet? — Herr Abgeordneter Bazille!

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0217403700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Ihnen diesen Gesetzentwurf (Drucksache 2800) vor, weil wir der Meinung sind, daß zur Beseitigung von Beeinträchtigungen der Rechte des Bürgers, wie sie sich zwangsläufig aus dem Vorhandensein der Deutschen Bundeswehr ergeben, die gewohnheitsrechtliche Anwendung des Preußischen Allgemeinen Landrechtes nicht ausreicht. Zwar bieten auf dem Gebiet des Straßenverkehrs und des Verkehrs in der Luft die bestehenden Vorschriften über die Haftung aus dem Gesichtspunkt der Gefährdung einen ausreichenden Schutz. Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Rechte des Bürgers ergibt sich jedoch nicht allein aus der Teilnahme der Bundeswehr am öffentlichen Straßenverkehr oder aus dem Luftraum, sondern es gibt darüber hinaus eine Reihe besonderer Gefahrenbereiche, die durch die militärische Rüstung zwangsläufig entstehen. Um hier jede Rechtsunsicherheit von vornherein auszuschließen und auch um die Angehörigen der Bundeswehr nicht ständig der Bedrängnis auszusetzen, daß ein Verschulden zu konstruieren versucht wird in allen Fällen, in denen ein Bürger in seinen Rechten beeinträchtigt wurde, schlagen wir ein Bundeswehr-Haftpflichtgesetz vor, das auch für die Bundeswehr den Rechtsgedanken der Gefährdungshaftung in das deutsche Recht einführt. Wir glauben, daß sowohl einem allgemeinen staatsbürgerlichen Interesse einerseits als auch einem besonderen Interesse der Angehörigen der Bundeswehr andererseits entsprochen ist, wenn auf diese Weise die Haftung innerhalb jener Gefahrenbereiche, die sich aus dem Aufbau der Bundeswehr ergeben, einer eindeutigen rechtlichen Klärung zugeführt wird.
Ich bitte, die Vorlage dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217403800
Ich eröffne die Aussnrache. Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister Dr. von Merkatz.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0217403900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der


(Bundesjustizminister Dr. von Merkatz)

Gesetzentwurf soll eine Haftung des Bundes für die Bundeswehr schaffen, die ohne Rücksicht auf Verschulden eintreten soll und weit über die Haftung nach dem geltenden Recht hinausgeht. Es erscheint fraglich, ob er berücksichtigt, daß weite Gebiete der Haftung ohne Verschulden, insbesondere die Haftung für Schäden durch Tiere, Kraftfahrzeuge, Eisenbahnen und Luftfahrzeuge und für Manöverschäden an unbeweglichen Sachen usw., bereits abschließend und ausreichend geregelt sind. Dazu kommt, daß auch unter dem Gesichtspunkt des Aufopferungsanspruchs und der Entschädigung bei enteignungsgleichen Eingriffen Geschädigte bereits nach dem geltenden Recht in vielen Fällen eine angemessene Entschädigung erhalten können. Insoweit ist kein Bedürfnis für eine weitergehende Regelung erkennbar.
Im übrigen wird es noch näherer Prüfung bedürfen, ob das geltende Haftungsrecht Lücken aufweist, die geschlossen werden müssen, um unzumutbare Belastungen der Staatsbürger zu vermeiden. Zuzugeben ist, daß es z. B. Lagen von besonderer Gefährlichkeit gibt, für die im geltenden Recht keine Gefährdungshaftung besteht. Dies gilt etwa für die durch Munitions- und Treibstofflager geschaffenen Gefahren.
Die Prüfung wird sich auch darauf zu erstrecken haben, ob eine Haftung für solche Gefahrenlagen nur dann vorgesehen werden sollte, wenn die Gefahren im Bereich der Bundeswehr entstehen, oder ob nicht, wenn man eine Regelung für erforderlich hält, auch gleichartige Gefährdungstatbestände aus dem sonstigen hoheitlichen oder aus dem privaten Bereich einbezogen werden müßten.
) Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur ersten Beratung liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Es ist Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragt. Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so b e-schlossen.
Ich rufe Punkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksache 85);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) (Drucksache 2834).

(Erste Beratung: 8. Sitzung.)

Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Dr. Wahl.

Dr. Eduard Wahl (CDU):
Rede ID: ID0217404000
Ich verzichte mit Rücksicht auf den Schriftlichen Bericht*).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217404100
Das Haus hat die Erklärung des Herrn Berichterstatters gehört. Ist es damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Art. IV entfällt, — die Einleitung und die Überschrift. Ich frage, ob das Wort in der Einzelberatung zur zweiten Beratung des Gesetzes gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Beratung.
*) Siehe Anlage 2.
Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.

(Abg. Metzger: Ich erbitte das Wort zur Abstimmung!)

Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Ich gebe das Wort dem Herrn Abgeordneten Metzger vor der Abstimmung zu einer Erklärung zur Abstimmung.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0217404200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat gewissenhaft geprüft, ob sie etwa verpflichtet sei, zu dieser Konvention einen Vorbehalt zu beantragen, und zwar mit Rücksicht darauf, daß von hoher kirchlicher Stelle die Behauptung aufgestellt worden ist, aus dem Art. 2 der Konvention ergebe sich die Verpflichtung zur Errichtung von Konfessionsschulen. Diese Frage ist im Rechtsausschuß eingehend behandelt worden. Sie hat auch ihren Niederschlag in der Entschließung gefunden, die in der ,dritten Lesung sicher angenommen wird. Aus ihr ergibt sich eindeutig, daß nach den Beratungen des Rechtsausschusses, aber auch nach den Beratungen des Europarates feststeht, daß sich aus dem Art. 2 dieser Konvention keine Verpflichtung zur Errichtung von Konfessionsschulen ergeben kann. Abgesehen davon würde eine solche Verpflichtung auch eindeutig unserem Grundgesetz widersprechen. Mit Rücksicht darauf haben wir davon abgesehen, einen Vorbehalt zu beantragen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217404300
Da Änderungsanträge zur dritten Lesung nicht vorliegen, kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte.
— Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Dann kommen wir zur Ziffer 2 des Ausschußantrags, der in diesem Falle, wie der Abgeordnete Metzger vorgetragen hat, wirklich wichtig ist. Die Damen und Herren finden diese Entschließung unter Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Seite 2 der Drucksache 2834 formuliert. Wer dieser Entschließung unter Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Drucksache 2834 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 7 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Einheitliche Prozeßordnung (Drucksachen 2795, 2435).
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Bauer (Würzburg).

Hannsheinz Bauer (SPD):
Rede ID: ID0217404400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der FDP auf Drucksache 2435 vorgelegte Antrag auf Schaffung einer einheitlichen Prozeßordnung, der


(Bauer [Würzburg])

auf der Linie der Äußerungen so kompetenter Juristengremien wie des Deutschen Anwalts- und Richtertages liegt, wurde im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht in seiner Zielsetzung einhellig begrüßt. Zwei Probleme entfachten eine lebhafte Diskussion: In welchem Umfang soll der Antrag Verwirklichung finden, und zu welchem Zeitpunkt ist an eine Realisierung zu denken? Das weitestgehende Anliegen im Sinne einer großen Lösung war der Wunsch, mit Hilfe einer einheitlichen Prozeßordnung zu einer einheitlichen Gerichtsbarkeit und damit zu einem Abbau der bisherigen Verwaltungs- und Finanzgerichte zu gelangen. Das Grundgesetz habe, so wurde geäußert, zwar leider die obere Bundesgerichtsbarkeit getrennt, doch stehe dies einer Vereinheitlichung der Landesgerichtsbarkeit nicht entgegen.
Gegenüber dem Vorschlag der „kleinen Lösung", nämlich einstweilen für Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit eine einheitliche Verfahrensordnung zu schaffen, wurde eingewandt, daß dies die Trennung der verschiedenen Gerichtsbarkeiten verfestigen würde. Deshalb solle man lieber provisorisch die Verwaltungsgerichtsordnung und, wenn es gar nicht anders gehe, auch die Finanzgerichtsordnung erlassen und dann später mit Sorgfalt und Zeit an die skizzierte „große Lösung" herangehen. Bei der großen Lösung werde man allerdings die Arbeitsgerichte von der Vereinheitlichung der Gerichtsbarkeit ausnehmen müssen, da man dort auf zu großen subjektiv oder geschichtlich bedingten Widerstand stoßen würde.
Seitens des Bundesinnenministeriums wurden demgegenüber Zweifel geäußert, ob man ohne Änderung des Art. 96 des Grundgesetzes zu einheitlichen Gerichten in den Ländern kommen könne; denn Art. 96 Abs. 1 des Grundgesetzes gehe doch von dem verfassungsrechtlichen Bild des Bestehens der Sondergerichtsbarkeiten aus. Es habe dem Grundgesetzgeber bei der Konstruktion des Art. 96 gewiß nicht vorgeschwebt, daß die Gerichtsbarkeiten nun etwa in den Ländern vereinheitlicht werden könnten, während an der Spitze fünf Sondergerichte ständen.
In der Aussprache wurde der Gruppe der finanz-, sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf der einen Seite das zivilprozessuale und arbeitsgerichtliche Verfahren auf der andern Seite gegenübergestellt. Dem Notlösungsvorschlag, zunächst für die erstgenannte Gruppe eine einheitliche Verfahrensordnung zu erarbeiten, wurde entgegengehalten, daß auch dies in dieser Legislaturperiode nicht zu schaffen sei, weil neben Gesprächen zwischen Justiz- und Arbeitsministerium in Richtung auf eine Angleichung der Verfahrensbestimmungen noch keine Vorarbeiten zu diesem Komplex erfolgt seien. Die für eine derartige Vereinheitlichung im Sinne der Schaffung eines verfahrensrechtlichen Grundgesetzes erforderlichen Vorarbeiten seien derart umfangreich, daß sie in dieser Legislaturperiode schon gar nicht und in der nächsten nicht sehr bald geleistet werden könnten.
Bundesinnen- wie Bundesfinanzministerium vertraten nachdrücklich die Bitte, unter dem größeren Fernziel die Verabschiedung der so dringend nötigen Gesetzentwürfe der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsordnung nicht leiden zu lassen. Seitens des Bundesjustizministeriums wurde vorgetragen, daß Vorarbeiten in Richtung des vorgelegten Antrags noch nicht hätten erfolgen können, weil diese Dinge erst in den letzten Jahren in Fluß gekommen seien, nachdem man die Verwaltungs-und die Finanzgerichtsordnung fertiggestellt hatte. Nachdem sich zwei Wünsche gegenüberständen, nämlich Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen und Verabschiedung der Verwaltungs- und Finanzgerichtsordnung, und es rein zeitlich nicht möglich sei, auch nur zunächst, — d. h. für diese Legislaturperiode — die kleine Lösung zu realisieren, solle die Arbeit an den beiden genannten Entwürfen keine Beeinträchtigung erfahren. Diese Auffassung wurde vom Ausschuß einhellig akzeptiert.
Im Verlauf der Aussprache wurde weiter im Zusammenhang mit der Einheitlichkeit der Verfahrensordnungen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Problem der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit angesprochen, die durch die Praxis der Versetzung von Verwaltungsbeamten zur richterlichen Tätigkeit und umgekehrt innerhalb desselben Ministeriums berührt werde und durch die ressortmäßige Unterordnung als „Hausgerichtsbarkeit" unter das jeweilige Fachministerium nicht im erforderlichen Ausmaß gewährleistet sei. Dabei wurde vornehmlich der Komplex des Wechsels und das Zahlenverhältnis von Verwaltungsbeamten in der Verwaltungsjustiz in Vergangenheit und Gegenwart untersucht.
Schließlich wurde auf die Bedeutung einer einheitlichen Prozeßordnung — neben der Errichtung eines obersten Bundesgerichts — für das hohe Gut der Einheit der Rechtsprechung hingewiesen; wenn nämlich jeder Zweig der Gerichtsbarkeit sein eigenes Gesetz habe, könne es auch zu einer unterschiedlichen Auslegung verschiedener Begriffe kommen, die untunlich sei.
Als Endergebnis der Beratung wurde festgehalten, daß die Zustimmung zu dem Antrag keinen Einfluß auf die laufenden Gesetzgebungsarbeiten haben solle. Der Ausschuß werde sich im Rahmen des Menschenmöglichen bemühen, sowohl die Verwaltungs- wie die Finanzgerichtsordnung zu verabschieden. Die Annahme des Antrags bedeute vielmehr einen Auftrag an die Bundesregierung. bereits jetzt mit den Vorarbeiten für eine Vereinheitlichung des Prozeßrechts auf längere Sicht zu beginnen, wobei sie auch die Frage prüfen solle, inwieweit daraus eine Vereinheitlichung der Gerichtsbarkeit werden könne.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217404500
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag auf Drucksache 2795 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Oberstes Bundesgericht (Drucksachen 2796, 2436).
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. von Buchka.


Dr. Karl von Buchka (CDU):
Rede ID: ID0217404600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um den Antrag der Fraktion der FDP vom 6. Juni 1956, Drucksache 2436. Die Genehmigung des Herrn Präsidenten vorausgesetzt, darf ich ihn im Wortlaut in Erinnerung bringen. Er lautete:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert,
dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Obersten Bundesgerichts gemäß Artikel 95 des Grundgesetzes vorzulegen.
Die Beratung über diesen Antrag hat in der 162. Sitzung des Bundestages am 3. Oktober 1956 stattgefunden. Der Antrag wurde dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Der Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht liegt dem Hohen Hause auf Drucksache 2796, mit dem Datum vom 24. Oktober 1956, vor. Auch hier wieder die Genehmigung des Herrn Präsidenten vorausgesetzt, darf ich ihn im Wortlaut bekanntgeben:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert,
dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Artikel 95 des Grundgesetzes) vorzulegen.
Aus der Beratun a des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht darf ich Ihnen folgendes berichten. Schon in der Plenarsitzung am 3. Oktober 1956 wurde darauf hingewiesen, daß der Art. 95 des Grundgesetzes sehr schwer praktikabel ist. Im Ausschuß bestand Einigkeit darüber, daß nach wie vor eine Änderung des Grundgesetzes nur dann vorgeschlagen und durchgeführt werden darf, wenn ein besonders dringlicher Fall gegeben ist.
Im Ausschuß ist geprüft worden, ob ein unmittelbares Bedürfnis für die Schaffung eines Obersten Bundesgerichts besteht. Auch ist eingehend erörtert worden, ob eine Änderung des Grundgesetzes notwendig sei. Bei beiden Fragen sind einige Zweifel laut geworden; der Ausschuß war aber der einhelligen Überzeugung, es sei zu bedenken, daß es sich vorwiegend um eine Verfassungsvorschrift handele und daß die Achtung vor dem Grundgesetz verlange, dem Art. 95 des Grundgesetzes Genüge zu tun. Sollte sich, so war die weitere Auffassung des Ausschusses, herausstellen, daß diese Vorschrift offenbar undurchführbar sein sollte, dann müßte man allerdings einer Änderung des Grundgesetzes nähertreten. Das Ziel darf nur sein, den Art. 95 des Grundgesetzes praktikabel zu machen.
Der Ausschuß war zu einem solchen Vorgehen einstimmig bereit. Der Antrag, den der Ausschuß dem Hohen Hause vorgelegt hat, ist so gefaßt, daß der Bundesregierung der Entwurf auch eines verfassungsändernden Gesetzes erleichtert wird. Es bleibt weiter zu prüfen, ob ein Oberstes Bundesgericht mit diesem Namen geschaffen werden soll. Die Frage führt auch zu Zweifeln, da bekanntlich schon bei dem gegenwärtigen Zustand: Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof usw. häufig heillose Verwechslungen auftreten.
Sodann ist die Frage zu prüfen — auch vom Ausschuß ist sie erörtert worden —: soll ein großer oder vereinigter Senat gebildet werden? Auch diese Frage blieb offen. Entscheidend ist nach Auffassung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, daß die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewahrt wird. Ob eine Erledigung noch in der laufenden Legislaturperiode angängig ist, bleibe dahingestellt. Ich darf als bekannt voraussetzen, wie stark die Belastung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist.
Der Ausschuß hat sich einstimmig mit der von mir vorgetragenen Fassung des Antrags einverstanden erklärt. Insbesondere haben sich die Vertreter der antragstellenden Fraktion mit dieser Fassung, wie sie aus der Drucksache 2796 ersichtlich ist, einverstanden erklärt. Sie ersehen, meine Damen und Herren, daß es eine außerordentlich elastische Fassung ist, die Ihnen hier vorgelegt wird.
Namens des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht bitte ich, gemäß dem Antrag des Ausschusses zu beschließen. Es wäre sehr erfreulich, wenn es gelingen sollte, noch in dieser Legislaturperiode das Ziel zu erreichen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217404700
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Aussprache und komme zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag Drucksache 2796 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes (Drucksache 2835).
Es ist hierzu vereinbart, in der ersten Beratung weder zu begründen noch zu debattieren. Ich schlage dem Haus Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung vor. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Lage von Militärflugplätzen und anderen militärischen Einrichtungen (Drucksache 2767).
Auch hier soll verfahren werden wie vorhin. Ich schlage dem Haus Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Verteidigung vor. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Ersten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 (Erstes Nachtragshaushaltsgesetz 1956) (Drucksache 2874).
Hier schlage ich dem Hause Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. — Das Haus ist damit einverstanden.


(Vizepräsident Dr. Schneider) Punkt 13:

Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der ehemaligen Kiautschou-Kaserne Cuxhaven; Verkauf an die Stadt Cuxhaven (Drucksachen 2837, 2581).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Wacker (Buchen).

(Zuruf: Es wird verzichtet!)

— Verzichtet das Haus auf Berichterstattung? — Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Aussprache und komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses Drucksache 2837 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 14 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung des ehemaligen Heeresverpflegungsamtes in Ulm, Wörthstraße (Drucksachen 2838, 2594).
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker (Buchen).
Auch hier verzichtet das Haus auf mündlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag Drucksache 2838 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 15 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Veräußerung einer Teilfläche von rund 50 000 qm des reichseigenen Kasernengrundstücks an der Invaliden-, Lehrter-
und Seydlitzstraße in Berlin an die Gebietskörperschaft Berlin im Wege des Tausches (Drucksachen 2839, 2661).
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker (Buchen).
Ich unterstelle, daß das Haus auch hier auf mündliche Berichterstattung verzichtet. — Das ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 2839 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 16 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung des ehemaligen Flakbeständelagers Rahling an die Melitta-Werke
Bentz u. Sohn, Minden (Westfalen) (Drucksacken 2840, 2668).
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker (Buchen).
Das Haus verzichtet auf mündliche Berichterstattung? — Das ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 2840 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 17 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung des Bundestages zum Verkauf des landwirtschaftlich zu besiedelnden ehemaligen Flugplatzes Wyk/Föhr (Drucksachen 2841, 2683).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Gülich.

Dr. Wilhelm Gülich (SPD):
Rede ID: ID0217404800
Begründung ist nicht notwendig. Ich bitte um Zustimmung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217404900
Das Haus hat die Erklärung des Herrn Berichterstatters gehört und ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Drucksache 2841 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Punkt 18:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung des Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teilgrundstück der ehemaligen Westwerft in Wilhelmshaven (Drucksachen 2842, 2624).
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker (Buchen).
Ich unterstelle, daß das Haus auch hier auf mündliche Berichterstattung verzichtet. — Das ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Drucksache 2842 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.

(Vizepräsident D r. Beck e r übernimmt den Vorsitz.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217405000
Meine Damen und Herren, auf Grund der Vereinbarungen, die im Altestenrat getroffen worden sind, gehen wir jetzt — um 15 Uhr — zur sogenannten Kohledebatte über; das ist Punkt 2 der revidierten Tagesordnung. Ich rufe ihn auf:
a) Fortsetzung der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlenwirtschaft (Drucksache 2019);


(Vizepräsident Dr. Becker) damit verbunden:

b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Sofortprogramm für den Kohlenbergbau (Drucksache 2021);
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs-
und Absatzbedingungen der deutschen Kohlenwirtschaft (Drucksache 2246);
d) Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau (Drucksache 2356);
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bergarbeiterwohnungsb au (Drucksache 2858).
Die Verhandlung soll sich so vollziehen, daß zunächst zu b) und c) die Begründung seitens der antragstellenden Fraktion vorgenommen wird. Dem Sprecher der Fraktion ist anheimgegeben, in einer kurzen Einleitung den Anschluß an die Debatte des vergangenen Frühjahres herzustellen.
Zum Wort hat sich Herr Abgeordneter Bleiß gemeldet. Ich erteile ihm hiermit das Wort.

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0217405100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation in der deutschen Kohlenwirtschaft, wie sie sich uns heute darstellt, ist im wesentlichen von drei Problemkreisen gekennzeichnet, einmal von den Preisauftriebstendenzen, die mit der Erhöhung des deutsehen Kohlenpreises zusammenhängen, zum andern von den Versorgungsschwierigkeiten, die sich aus der mehrfachen Spaltung des Kohlenpreises ergeben, und schließlich von den Überlegungen, die wir anstellen müssen, um die deutsche Förderung zu steigern und damit Voraussetzungen für eine bessere Versorgung der deutschen Wirtschaft zu schaffen.
Alle drei Problemkreise sind nicht neu. Sie beschäftigen uns seit vielen Monaten. Sie waren für die Sozialdemokratische Partei der Anlaß, schon zu Beginn dieses Jahres eine Große Anfrage im Bundestag einzubringen und damit eine Aussprache über die Kohleversorgungs- und über die Kohlepreissituation zu erzwingen. Diese unsere Absicht konnte zu Beginn des Jahres nicht realisiert werden. Die Mehrheit des Hauses ließ damals nur eine Schrumpfdebatte zu.
Noch beklagenswerter aber ist es, daß die am 10. Februar abgebrochene Kohlendebatte um mehr als neun Monate verschleppt und verzögert worden ist. Damals standen wir am Ende des Kohlenwirtschaftsjahres 1955/56. Eine ordnungsgemäß abgewickelte Debatte hätte vielleicht für das neue Kohlenwirtschaftsjahr Mißstände in der Versorgung beheben und die Gefahr der Kohlenpreisfreigabe noch deutlicher machen können.
Wir müssen gegen die Regierungsparteien den Vorwurf erheben, daß sie diese Möglichkeiten verhindert haben, dies um so mehr, als sich in den vergangenen neun Monaten die Situation in der Verteilung und in der Preisentwicklung weiter verschärft hat.
Heute bleibt nur noch festzustellen, daß Gewinner und Nutznießer aus der Verzögerung zweifellos die deutschen Bergbauunternehmungen geworden sind. Sie haben in der Zwischenzeit einige
Schäfchen ins Trockene bringen können, bevor die Parteien im Bundestag Gelegenheit hatten, sich zu der gegebenen Situation ausführlich und abschließend zu äußern. Denn, meine Damen und Herren — und damit komme ich zum ersten Problemkreis —, dem Bergbau sind in den letzten dreiviertel Jahren eine ganze Reihe von Vergünstigungen zugeflossen. Ich spreche hier nicht von der Bergarbeiterprämie. Diese Maßnahme halten wir für vernünftig und richtig. Der Erfolg ist in einer erheblichen Fördersteigerung deutlich geworden.
Ich spreche aber von jenen Vergünstigungen, die Herr Staatssekretär Westrick am 10. Februar vor dem Hohen Hause ausführlich erläutert hat und die dem Bergbau eine Mehreinnahme von rund 2,80 DM je Tonne abgesetzter Kohle verschafften, ein Betrag — und das verdient ja noch einmal ausdrücklich festgestellt zu werden —, der die Mehrkosten der Lohnerhöhung ab 15. Februar nicht nur ausglich, sondern erheblich überkompensierte.
Trotz dieses von der Bundesregierung angebotenen und inzwischen auch realisierten Ausgleichs der Lohnmehrkosten hat der Unternehmensverband Bergbau den Kohlepreis zweimal, insgesamt um 6,10 DM je Tonne im Schnitt, heraufgesetzt.
Bei allen Mitgliedern dieses Hauses darf man wohl die Absicht unterstellen, den Bergbau gesund und leistungsfähig zu erhalten. Alle Parteien dieses Hauses sollten sich aber auch darüber im klaren sein, daß der Kohlenpreis wegen seiner Bedeutung für das gesamte Preisniveau einer besonders sorgfältigen Prüfung und Überwachung bedarf und daß eine Anhebung in Zeiten konjunktureller Anspannung das grüne Licht für eine Kette von Preiserhöhungen bedeutet.
Wir befinden uns in dieser Hinsicht in völliger Übereinstimmung mit dem, was Herr Staatssekretär Westrick — wenn ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf — im Februar wörtlich sagte:
Wir glauben, daß der Kohlenpreis eine ungeheure Rückwirkung auf das gesamte Preisgefüge hat.
Es ist nicht zu leugnen, daß mancherorts, im besonderen in letzter Zeit, Preisauftriebstendenzen fühlbar und sichtbar werden, an deren Dämpfung wir alle miteinander interessiert sind. Infolgedessen ist es unsere Aufgabe, zwischen diesen Dingen hindurchzufinden.
Nun, meine Damen und Herren, so weit sind wir mit Herrn Westrick einig. Es ist uns aber völlig unverständlich, wie man aus solchen Feststellungen die Konsequenz einer Freigabe des Kohlenpreises ziehen konnte. Die Aufgabe, die sich Herr Staatssekretär Westrick in seiner Rede am 10. Februar gestellt hat, nämlich „zwischen den Dingen hindurchzufinden", wie er sich ausdrückte, ist vom Bundeswirtschaftsministerium nicht gelöst worden. Der Unternehrnensverband Bergbau war konsequenter. Er hat die Gelegenheit zu kräftigen Preiserhöhungen benutzt.
Wenn wir über den Kohlenpreis reden, sollten wir auch eine weitere These des Bundeswirtschaftsministeriums endgültig ad acta legen, nämlich die, daß Kohlenpreiserhöhungen von vielen Branchen aufgefangen werden, weil sie kostenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Das Gegenteil ist richtig. Jede Koh-


(Dr. Bleiß)

lenpreiserhöhung setzt sich nach dem Schneeballsystem bis zum letzten Verbraucher fort. Symptomatisch dafür scheint mir zu sein, daß am 25. Oktober dieses Jahres, also am Tage der letzten Preiserhöhung, schlagartig auch die Preise für Bergbaumaschinen und Bergbaugeräte um 6 bis 10 °/o heraufgesetzt wurden, obwohl der Kohlenanteil in dieser Branche nach der Tabelle des Bundeswirtschaftsministeriums wahrscheinlich nur wenige Prozente ausmacht.
Wir haben eine solche Kettenreaktion befürchtet und deshalb vor der Freigabe des Kohlenpreises gewarnt. Wir haben uns in der Februardebatte bemüht, den Beweis dafür zu erbringen, daß die Kosten- und Ertragslage im Bergbau bei den angebotenen Ausgleichsbeträgen eine Heraufsetzung des Kohlenpreises nicht erforderlich macht. Wir sind in unserer Argumentation bis heute nicht widerlegt worden, weder vom Bundeswirtschaftsministerium noch vom Unternehmensverband Bergbau.
Uns überzeugt auch nicht die Begründung der letzten Preiserhöhung, wenn z. B. gesagt wird, die Erhöhung sei notwendig, um die Mehrkosten der inzwischen in Kraft getretenen Arbeitszeitverkürzung zu decken oder um auf diese Weise Mittel für die Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues zu beschaffen. Beide Tatbestände rechtfertigen die vorgenommene Preiserhöhung nicht.
Soweit es zunächst die Arbeitszeitverkürzung angeht, so haben wir bisher stets die erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß mit jeder Arbeitszeitverkürzung eine Steigerung der Produktivität verbunden war, wahrscheinlich aus physischen oder aus psychologischen Gründen, verbunden mit der fortschreitenden Technisierung unserer Wirtschaft. Ob und inwieweit sich aus der letzten Arbeitszeitverkürzung Ertragsminderungen ergeben, wird sich erst nach einer längeren Karenzzeit feststellen lassen. Es erscheint uns iaber eine unmögliche Verfahrensweise zu sein, theoretisch errechnete Ausfälle kurzerhand, ohne die Ertragsentwicklung abzuwarten, in voller Höhe im Preis auszugleichen.
Auch das zweite Argument, die Einrechnung der Wohnungsbauabgabe in den Kohlenpreis, ist nicht stichhaltig. Unbestritten ist die Tatsache, daß der zunehmende Bedarf an deutscher Kohle die Anlegung neuer Bergleute erforderlich macht. Zusätzliche Arbeitskräfte sind nur zu gewinnen, wenn die Zeche dem neu angelegten Bergmann eine Wohnung zur Verfügung stellen kann. Soweit sind wir uns einig, auch mit dem Unternehmensverband Bergbau. Wir unterscheiden uns allerdings erheblich in der Verfahrensweise. Wir sind der Auffassung, daß der Bau von Bergarbeiterwohnungen eine öffentliche Aufgabe ist; sie gehört zum Gesamtkomplex des sozialen Wohnungsbaues und sollte aus öffentlichen Mitteln und darf nicht über den Preis finanziert werden.
Der Fehlbedarf an Wohnungen im Bergbau wird in den vorliegenden Schätzungen auf über 60 000 Einheiten angegeben. Er kann nach unserer Auffassung nur durch eine gezielte Investition beseitigt werden. Deswegen beantragen wir mit der Drucksache 2858, die zu begründen ich die Ehre habe, schon im Haushalt 1957/58 einen Betrag von 150 Millionen DM als erste Rate eines großzügigen Bergarbeiterwohnungsbauprogramms einzustellen. Die Notwendigkeit einer solchen gezielten Investition ist besonders dringend geworden angesichts der denkbar schlechten Erfahrungen, die wir mit der bisher von der Bundesregierung geübten Praxis der Wohnungsbauabgabe gemacht haben.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, meine Damen und Herren, daß sich die Abgabe ursprünglich auf 2 DM je Tonne abgesetzter Förderung belief; dann waren es 1 DM, dann 10 Pf. Jetzt schlägt der Bergbau 2 DM vor. Die Bundesregierung will 1 DM erheben. Bei vorzeitiger Ablösung soll die Hälfte der alten Verpflichtungen gestrichen werden, und das alles bei wechselnden Zeitläuften.
Ein größeres Durcheinander ist nur schwer vorstellbar. Es ist zweifellos kein Beweis für eine geradlinige und konsequente Wohnungsbaupolitik, sondern eher das Gegenteil. Das Durcheinander im Bergarbeiterwohnungsbau, in der Wohnungsbauabgabe soll nach unserem Antrag durch ein festes Programm ersetzt werden, und wenn — was wir hoffen — der Antrag eine Mehrheit findet, dann entfällt damit das zweite Argument für die Preiserhöhung vom 25. Oktober.
Die jüngste Preiserhöhung läßt den Gedanken aufkommen, daß bei der Preisfestsetzung möglicherweise Kartellgesichtspunkte eine Rolle gespielt haben, d. h. die Preise so festgesetzt worden sind, daß auch die Randzechen, also die Zechen mit ungünstigster Lagerung, noch rentabel arbeiten können. Wenn diese Überlegungen maßgebend gewesen sein sollten, möchte ich unseren schärfsten Protest anmelden. Entscheidend für die Preisbildung dürfen nicht Randzechen, sondern müssen die mittleren Zechenbetriebe sein.
Um die unterschiedliche Intelligenz der Flöze auszugleichen, d. h. einen Ausgleich zwischen den Unternehmen mit günstigen und ungünstigen bergbaulichen Verhältnissen herbeizuführen, haben wir dem Hohen Hause unseren Antrag Drucksache 2021 vorgelegt, der die Errichtung einer Ausgleichskasse vorsieht.
Herr Kollege Friedensburg hat uns kürzlich entgegengehalten, daß der von uns erstrebte Ausgleich den Tüchtigen praktisch bestrafen und den Untüchtigen begünstigen würde. Das, meine Damen und Herren, ist zweifellos nicht der Sinn unseres Antrags. Wir bezwecken mit unserem Antrag den Ausgleich im unterschiedlichen geologischen Vorkommen, in der Mächtigkeit der Flöze, und wir wollen gerade verhindern, daß die Unternehmung, die zufällig über mächtige Flöze verfügt, große Gewinne einkassiert, während andere Unternehmungen mit schlechter Lagerung trotz aller Tüchtigkeit von Verwaltung und Belegschaft mit sehr bescheidenen Betriebsergebnissen arbeiten müssen.
Die Summe der Argumente gegen die Preisanhebung, die ich Ihnen vortragen durfte, stellt einen schlüssigen Beweis dafür dar, daß die Erhöhung des Kohlenpreises nicht gerechtfertigt war. Wir machen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister den Vorwurf, den Kohlenpreis ohne zwingende Notwendigkeit freigegeben und damit vermeidbare Preisauftriebstendenzen verschuldet zu haben.
Ich komme nun zum zweiten Anliegen, das wir zur Sprache bringen wollen, zu dem Problem der Kohleverteilung. Die Materie ist von uns bereits bei der Begründung unserer Großen Anfrage angesprochen worden. Merkwürdigerweise ist Herr Staatssekretär Westrick in seiner Antwort auf den Verteilungsmechanismus mit keinem Wort eingegangen. Meine Damen und Herren, man löst Probleme nicht dadurch, daß man sie einfach bei-


(Dr. Bleiß)

seite schiebt oder vertagt. Man kann die Kohleversorgung auch nicht mit dem Hinweis abtun, daß mengenmäßig zur Zeit keine akuten Versorgungsschwierigkeiten bestehen. Ich bin der Meinung, daß es in der Versorgungsfrage nicht allein auf das Ob, sondern vielmehr auch auf das Wie ankommt. Bei dieser Betrachtungsweise haben wir eine Reihe von Bedenken anzumelden.
Die Schwierigkeiten zeigen sich zunächst im Sortenproblem. In verschiedenen Ländern der Bundesrepublik wurde zu Beginn des Winters über Engpässe berichtet. In Hamburg und Bremen beispielsweise ist die Koksversorgung ungenügend, in Niedersachsen und in Rheinland-Pfalz fehlt es an Fettkohle und Koks. In verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik sind die Briketts verknappt. Das sind nur wenige Beispiele; sie lassen sich beliebig vermehren.
Im allgemeinen läßt sich feststellen, daß die Industrie relativ gut versorgt ist, während die Läger der Kohleneinzelhändler teilweise geräumt sind und der Bedarf bis zu 50 % durch die teure Importkohle gedeckt werden muß.
Wir erwarten von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eine Aufklärung darüber, ob er und welche Maßnahmen er getroffen hat, um die Versorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch allerorts aus deutscher Förderung sicherzustellen.
Das eigentliche Kernproblem in der Kohlenversorgung ist aber zweifellos der erhebliche Preisunterschied zwischen deutscher und importierter Kohle. Im Schatten dieser Preisdifferenz haben sich bei uns Praktiken entwickelt, die zu einem mindestens 5fach gespaltenen Kohlenpreis geführt haben. Am begehrtesten ist die deutsche Kohle, weil sie am billigsten ist. Sie reicht aber zur Deckung des Inlandsbedarfs bei weitem nicht aus. Die immer größer werdende Versorgungslücke muß durch US-Importe geschlossen werden.
Wenn auf Jahre hinaus eine echte Unterversorgung erkennbar wird, dann sollte man die vorhandene Menge ohne Rücksicht auf bestehende kapitalmäßige Bindungen wenigstens einigermaßen gerecht verteilen. Das ist nach unseren Feststellungen nicht der Fall. Die Festsetzung der Kontingente erfolgt nach dem Verbrauch in einer bestimmten Referenzperiode. Damit werden Verhältnisse einer früheren Wirtschaftsepoche zementiert, ohne auf die Weiterentwicklung der Wirtschaft, ohne auf frühere Besonderheiten in der Versorgung Rücksicht zu nehmen. So kann es vorkommen, daß Firmen, die nach der Referenzperiode gegründet wurden, überhaupt keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Inlandskohle haben. In einem Wirtschaftszweig, der sich mit neuzeitlicher Wärmetechnik befaßt, erhalten 10 Werke entweder überhaupt keine oder im Höchstfall bis zu 25 % Inlandskohle, während andererseits eine Reihe von Industriebetrieben da ist, die durch Verbesserung ihrer Wärmetechnik die ihnen zugewiesenen Kontingente nicht voll benötigen und die Restquote zu Schwarzhandelspreisen verkaufen.
Es gibt ganze Industriezweige, die privilegiert, und andere, die systematisch benachteiligt werden. Die eisenschaffende Industrie genießt bei Verbund zwischen Zeche und Hütte das Privileg des Werkselbstverbrauchs, obwohl gerade in diesem Industriezweig in Ausnutzung der Konjunktur teilweise mehr als gut verdient wird und der Betriebsegoismus oftmals den Vorrang vor gesamtwirtschaftlichen Überlegungen erhält. Auf der anderen Seite wird die öffentliche Energiewirtschaft drastisch benachteiligt, nur weil sie sich in der Referenzperiode aus Frachtersparnisgründen mit Auslandskohle versorgt hat. Das scheint mir die Methode der Rache des kleinen Mannes zu sein. Sie sollte im Interesse der Preisstabilität in der Kontingentfestsetzung verschwinden.
Meine Damen und Herren, noch eine andere Polarität: die Gas- und Wasserwerke beispielsweise müssen 30 % ihrer Brennstoffe im Ausland decken; die militärischen Dienststellen dagegen werden zu 98 % aus der deutschen Förderung versorgt. Auch hier scheint mir ein vernünftiger Ausgleich dringend erforderlich zu sein.
Durch die starre Bindung an eine frühere Referenzperiode sind die öffentlichen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, die sich — das sollten wir besonders festhalten, meine Damen und Herren — auch heute noch bemühen, ihre gebundenen Preise aufrechtzuerhalten, in eine schwere wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Die Bundesregierung sollte hier Abhilfe schaffen und die Kontingente den wirtschaftlichen Erfordernissen anpassen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, daß das gesamte heute noch stehende System der Verkehrs- und Versorgungstarife in Bewegung gerät.
Etwas eigenartige Vorgänge scheinen sich beim Landabsatz der Ruhrzechen abzuspielen. Die Zechenhandelsgesellschaften gehen in letzter Zeit dazu über, die mittleren Handelsstufen, die sogenannte zweite Hand, mehr und mehr auszuschalten und die Belieferung des Platzhandels und der Kleinverbraucher für sich selbst zu beanspruchen. Die Kürzung der Kohleneinzelhandelskontingente macht beispielsweise für den Kohlenhandel in Ostwestfalen-Lippe etwa 35 % aus.
Man könnte nun meinen, daß, falls das Sortenproblem vernünftig gelöst werden kann, die Verringerung der Handelsstufen begrüßenswert sei. Das Erstaunliche ist aber, daß die bei der zweiten Hand eingesparten Kontingente entweder überhaupt nicht oder nur teilweise zu den Platzhändlern gelangen und im übrigen in unkontrollierte Kanäle fließen. Wenn die mir vorliegenden Zahlen richtig sind, dann handelt es sich hierbei um die beachtliche Menge von jährlich 4 Millionen t, die auf diese oder ähnliche Weise der Kontingentierung entzogen werden, um eines Tages vielleicht als Heimkehrer- oder Auslandskohle auf dem Markt wiederzuerscheinen. Leidtragende dieser Manipulationen sind Hausbrand und Kleinverbrauch, die auf dem Papier zwar einigermaßen versorgt erscheinen, in Wirklichkeit aber die zugeteilten Mengen nicht erhalten und auf teure US-Kahle verwiesen werden.
Wir haben im Februar dieses Jahres einige Vorschläge gemacht, um die Verhältnisse in der Verteilung zu ordnen. Wir haben damals vorgeschlagen zu prüfen, ob es nicht möglich wäre, für längere Zeit einen Kohlenmischpreis zu bestimmen.
Wir haben die Errichtung einer zentralen Importstelle bzw. die Festsetzung von Importquoten für wirtschaftliche Verbrauchergruppen vorgeschlagen. Wir nehmen diese Vorschläge heute wieder auf. Vielleicht bieten sich noch andere Alternativen an. Entscheidend aber ist, daß etwas getan wird und daß die Entwicklung nicht sich selbst überlassen bleibt. Denn mit dem wachsenden Anteil der Importkohle, mit den rapid ansteigenden Frachtraten werden die Verhältnisse nicht einfacher, sondern immer komplizierter.


(Dr. Bleiß)

Herr Staatssekretär Dr. Westrick hat uns im Februar versichert, daß die großen und ständigen Sorgen, die mit dem wirtschaftlichen Alltagsgeschehen verbunden sind, das Wirtschaftsministerium daran hindern, in Lethargie zu versinken. Nun, meine Damen und Herren, in der Zwischenzeit sind neun Monate vergangen. Wir haben leider bisher nichts gehört, was uns ermutigen könnte, unsere Skepsis zu revidieren.
Wir erheben gegen das Bundeswirtschaftsministerium den Vorwurf, ,daß die Kontingentierung der Inlandskohle nach zu starren Gesichtspunkten gehandhabt und die Weiterentwicklung der Wirtschaft nicht genügend berücksichtigt wird. Wir erheben den Vorwurf, durch Idle Anerkennung des Werkselbstverbrauches die Stahlindustrie eindeutig bevorzugt und die öffentliche Wirtschaft eindeutig benachteiligt zu haben. Wir machen dem Bundeswirtschaftsministerium den Vorwurf, daß es bisher keine konstruktiven Vorschläge vorgelegt hat, um für alle Zweige der Wirtschaft zu einem angemessenen Verhältnis von in- und ausländischen Kohlenquoten zu kommen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einige Sätze zur Begründung unseres Antrags auf Drucksache 2246! Er geht von den Überlegungen aus, daß mit der fortschreitenden Technisierung unserer Wirtschaft der Energiebedarf stark steigen wird und wir uns eine Übersicht über das Investitionserfordernis verschaffen müssen. Wenn die vorliegenden Berechnungen über den wachsenden Energiebedarf in den nächsten 10 oder 20 Jahren richtig sind, dann wird der Engpaß in der deutschen Kohle nicht aufhören, sondern immer größer werden. Die sich hieraus für uns ergebende Konsequenz zwingt uns, zu einer großzügigen Ausweitung der Produktionsgrundlagen durch das Abteufen neuer Schächte und zu einer Steigerung der Produktivität der Zechen durch Modernisierung unter und über Tage zu kommen. Das bedeutet, daß künftig neben den Investitionsplänen für den Straßenbau und der Sanierung der Bundesbahn ein neues Milliardenprojekt, das Projekt zum Ausbau der Energiewirtschaft, stehen wird. Der auf uns zukommende Investitionsbedarf ist von so erheblichen Ausmaßen, daß nicht nur die interessierte Wirtschaft, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit ein großes Interesse daran hat, daß eine generelle Untersuchung der Erzengungs- und Absatzbedingungen durchgeführt wird. Die Öffentlichkeit hat großes Interesse daran, über die vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten in der deutschen Kohlenwirtschaft orientiert zu werden. Diesem Zweck soll der von uns vorgelegte Entwurf eines Enquetegesetzes dienen. Wir haben die Interessenbereiche in der Weise abgegrenzt, daß zunächst die Entwicklungstendenzen der Kohlenwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Veredelungswirtschaft und ,der Verbundwirtschaft sowie der Entwicklung anderer Energieträger untersucht werden sollen.
Wir wünschen weiterhin eine Untersuchung der Investitions- und Finanzierungsprobleme, insbesondere zur Erhaltung einer ausreichenden Förderkapazitt. Wir wünschen eine Untersuchung der Produktivitätssteigerung und schließlich — das scheint uns besonders wichtig zu sein — eine Untersuchung der Lohn-, der sozialen und auch der Arbeitsmarktverhältnisse. Es kommt uns besonders bei dem letzten Punkt darauf an, zu untersuchen, welche Möglichkeiten sich für die soziale Besserstellung des Bergmanns, für die Verbesserung des
Gesundheitsdienstes, für eine verbesserte Silikosebekämpfung und damit für die Erhaltung der Arbeitskraft des Kumpels ergeben, denn Kapitalinvestitionen haben im Bergbau mehr als in allen anderen Industriezweigen nur dann einen Sinn, wenn sich genügend Menschen finden, die bereit sind, den schweren und gefährlichen Beruf des Bergmanns zu ergreifen. Daß zu einer solchen allgemeinen Enquete die Prüfung der Kosten- und Ertragslage gehört, liegt in der Natur der Sache und scheint mir in diesem Zusammenhang auch wichtig für die Investitionsfinanzierung zu sein.
Ich kann es mir ersparen, die Einzelheiten 'des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs zu erläutern. Das würde hier zu weit führen und ist Sache des Fachausschusses.
Eines aber scheint mir wichtig zu sein: der Hinweis darauf, daß die Untersuchungen nicht von einem Ausschuß des Bundestages, sondern von einem unabhängigen Gremium durchgeführt werden und daß diesem Gremium unabhängige Persönlichkeiten der Wissenschaft und der Praxis mit besonderen Fachkenntnissen angehören sollen.
Meine Damen und Herren, gegen unseren Gesetzentwurf ist eingewandt worden, daß er eigentlich überflüssig sei, da der Bergbau laufenden Untersuchungen durch übergeordnete Behörden unterliege, daß die Enquete praktisch keine neuen Ergebnisse zeitigen werde und daß es darüber 'hinaus sehr lange dauern werde, bis sie Untersuchungsergebnisse vorlegen könne. Ich bin der Meinung, daß man mit solchen Argumenten nicht operieren sollte. Wenn es richtig ist, daß das Durchschnittsalter der Zechen bei 77 Jahren liegt, daß die Mehrzahl der Schächte vor dem ersten Weltkrieg abgeteuft worden ist, daß die Untertageanlagen teilweise veraltet sind, daß der heutige Zustand der Schächte die Kohlenversorgung gefährdet, dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, gründlich über die Zusammenhänge informiert zu werden, zumal da das Abteufen eines neuen Schachtes mit einem Kostenaufwand von 400 bis 450 Millionen verbunden ist, der über die finanzielle Leistungsfähigkeit der einzelnen Bergbaugesellschaften weit hinausgeht.
Auch der Einwand, daß die Untersuchungen zu lange dauern könnten, ist meines Erachtens nicht stichhaltig. Unser Antrag datiert vom 22. März. Wenn man ihn rechtzeitig verabschiedet hätte, dann hätte in der Zwischenzeit schon eine wertvolle Arbeit geleistet werden können. Ich glaube, daß der deutschen Kohlenwirtschaft ein guter Dienst erwiesen würde, wenn sich alle einschlägigen Organisationen zu einer positiven Mitarbeit an der Enquete bereit finden würden.
Lassen Sie mich zum Schluß kurz zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten wünschen einen leistungsfähigen Bergbau. Wir halten die Erweiterung der Produktionsbasis und die Steigerung der Produktivität für notwendig und vordringlich. Nur sind wir der Meinung, daß die Finanzierung des Investitionsprogramms wegen der gefährlichen Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge nicht über den Kohlepreis erfolgen darf, sondern daß sie durch eine weitestgehende Bereitstellung öffentlicher Mittel erfolgen muß. Wir halten die soziale Besserstellung des Bergmanns für erforderlich, um den schweren Beruf der Kohlegewinnung attraktiver zu gestalten. Die deutsche Kohleversorgung ist durch den wachsenden Energiebedarf, besonders aber durch die schwer auf uns lastenden Verpflich-


(Dr. Bleiß)

tungen aus dem Montanunionsvertrag unzureichend geworden.
Die divergierenden Preise von deutscher und ausländischer Kohle haben zu argen Mißständen in der Kohlenversorgung geführt, die von der Bundesregierung nicht mit der erforderlichen Energie bekämpft und beseitigt worden sind. Das Verteilungschema muß den Entwicklungstendenzen der Wirtschaft angepaßt werden. Die bevorzugte Bedienung im Wege des Werkselbstverbrauchs und die Benachteiligung der öffentlichen Wirtschaft bedürfen dringend einer Korrektur. Durch die Errichtung einer zentralen Kohlenimportstelle unter frachtgünstiger Verwendung der importierten Menge muß versucht werden, den Wirrwarr des 5-oder 6fach gespaltenen Kohlenpreises zu beseitigen.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat zur Ordnung der Kohlenwirtschaft, zum Bau von Bergarbeiterwohnungen und zur Gewinnung von Unterlagen für die notwendige Steigerung der Kohlenförderung Ihnen eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet. Ich bitte Sie darum, diese Vorschläge einer ernsten Prüfung zu unterziehen.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217405200
Damit sind die Punkte b und c begründet. Die Begründung zu Punkt e wird, wie mir mitgeteilt worden ist, im Laufe der Debatte erfolgen.
Ehe ich dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau das Wort zur Begründung der Vorlage unter d) — Drucksache 2356 — gebe, mache ich darauf aufmerksam, daß noch weitere Anträge vorliegen, und zwar der Antrag der Abgeordneten Kroll, Wolf (Stuttgart) usw. auf Umdruck 841*) und der Antrag der gleichen Herren auf Umdruck 842**) sowie ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP auf Umdruck 846***). Ich darf bitten, falls diese Anträge im Laufe der Debatte begründet werden sollen, die Redner, die begründen sollen, schon bald hier zu nennen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für den Wohnungsbau.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0217405300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bergarbeiterwohnungsbaugesetzes — Drucksache 2356 — zu begründen, über den — das darf ich wohl einmal in aller Offenheit hier sagen — seit der Zeit, zu der er von der Bundesregierung beim Bundesrat und Bundestag eingebracht worden ist, die Entwicklung hinweggegangen ist. Ich habe also nicht die Absicht, diesen Entwurf als noch in allen Einzelheiten der gegenwärtigen Situation Rechnung tragend zu begründen, sondern möchte von vornherein bitten, ihn in der Weise abzuändern, wie er auf Grund der gegebenen Verhältnisse zweckmäßigerweise realisiert werden kann.
Ich muß einige kurze Bemerkungen über die historische Entwicklung dieses Antrags machen. Ab 1. Juli 1955 wurde für den Bereich des Steinkohlenbergbaus die bisherige Bergarbeiterwohnungsbauabgabe im Ausmaß von 9/10, d. h. mit 90 Pf je Tonne, gestundet

(Abg. Jacobi: Leider!)

*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 4. ***) Siehe Anlage 5. — leider —, weil die Bundesregierung damals mit dieser Stundung einen wesentlichen Beitrag zur Stabilhaltung des Kohlepreises zu leisten gewillt war. Sie wissen, daß damals die Löhne der Bergarbeiter um 91/2 % erhöht wurden, um sie wieder an die Spitze der Lohnpyramide zu bringen, den Beruf des Bergarbeiters wieder attraktiv zu machen und auf diese Weise der Kohlenförderung neue Impulse zu geben. Die Stundung der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe im Steinkohlenbergbau hat praktisch dazu geführt, daß ein Drittel dieser Lohnerhöhungen sich nicht auf den Kohlepreis für die Wirtschaft und für den Verbraucher auszuwirken brauchten.
Was nach dem ursprünglichen Zweiten Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus auch im Steinkohlenbergbau in der Durchführung der Programme durch Zurverfügungstellung von insgesamt 100 Millionen DM Vorschüssen plus 8 Millionen DM noch aus dem Überhang an Rückflüssen von seiten des Bundes geschehen konnte, ist in der Zwischenzeit geschehen. Bis zur Vorlage des Entwurfs, also bis zum Inkrafttreten der Stundung und der Erhöhung der Bergarbeiterlöhne, sind im Rahmen der Geltung des Zweiten Gesetzes 10 000 Wohnungen programmiert gewesen. Es wurden dann über 11 000 fertig, und es sind auch im Laufe des Jahres 1956 die Mittel für weitere 10 000 Wohnungen vom Bund im Wege der Vorschußgewährung zur Verfügung gestellt worden, darüber hinaus noch einiges aus den aufgekommenen Rückflüssen.
Der Plan dieses Gesetzentwurfs war es, dafür zu sorgen, daß die fehlenden Mittel nicht aus Vorschüssen des Bundes, sondern im Wege der Anleiheaufnahme am Kapitalmarkt aufgebracht werden. Nun wissen Sie alle, daß aus Gründen der notwendig gewordenen allgemeinen Restriktionsmaßnahmen der Bundesnotenbank, der leider schwächer gewordenen Sparneigung und der Zurückhaltung der Sozialversicherungsträger im Hinblick auf die noch nicht gegebene Klarheit über die Rentenreform der Kapitalmarkt im ganzen Jahr 1956 weit weniger ergiebig gewesen ist, als damals, als diese Entscheidung der Bundesregierung getroffen wurde, im Interesse der Stabilhaltung der Kohlenpreise erhofft werden durfte. Insofern ist also nunmehr eine andere Lage gegeben.
Ich darf nun auf einiges zurückkommen, was der Kollege Bleiß hier schon ausgeführt hat und was mir in einigen Punkten die Sache wesentlich erleichtert. Offensichtlich ist es gemeinsame Auffassung des ganzen Hauses, daß der Bergarbeiterwohnungsbau als eine ganz besonders wichtige Aufgabe unserer Volkswirtschaft fortgeführt werden muß. Hierüber gibt es, glaube ich, keine Zweifel. Wir brauchen es also nicht weiter zu vertiefen.
Zum zweiten hat sich nun allerdings etwas erwiesen, was bei dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes noch nicht zu übersehen war. Wir sind damals auf Grund der gemeinsamen Schätzungen sowohl der Unternehmensverbände wie auch der Arbeitnehmerseite von einem noch erforderlichen Bedarf von 40 000 Wohnungen ausgegangen. Heute wird dieser Bedarf — und das hat der Kollege Bleiß auch ausgeführt — auf 60- bis 70 000 geschätzt. Nach unserer Überprüfung liegt der ungedeckte Bedarf tatsächlich in der Größenordnung von 60 000 Wohnungen. Dieses Wiederanwachsen des Bedarfes ist nicht etwa auf Grund einer nichtplanmäßigen Entwicklung des Bergarbeiterwohnungsbaus, sondern einmal auf Grund des wesentlich stärker angewachsenen Kohlebedarfs


(Bundesminister Dr. Preusker)

der deutschen Volkswirtschaft zustande gekommen; zweitens hat sich auf Grund der jetzt erfolgten Arbeitszeitverkürzung ein einmaliger Zuwachsbedarf in der Größenordnung von fast 10 000 Bergarbeiterwohnungen ergeben. So entstand aus einem inzwischen auf etwa 25 600 Wohnungen als Restfehlbestand zurückgeführten Defizit durch diesen Zuwachs an Arbeitskräften infolge der Steigerung der Produktion, infolge der Arbeitszeitverkürzung und infolge der im ganzen leider im Laufe des letzten Jahres wesentlich höheren Fluktuation bei den Arbeitskräften doch wieder eine ganz erhebliche Aufstockung.
Nun kommt die Frage: wie soll der neue Bedarf gedeckt werden? Die Opposition schlägt mit ihrem Antrag vor, in den Bundeshaushalt einen Betrag von 150 Millionen DM — als eine erste Maßnahme — einzustellen. Ich darf dazu, abgesehen von den haushaltsrechtlichen Fragen. die hinsichtlich der Deckung dieses Betrages für das Jahr 1957 aufgeworfen werden. zwei grundsätzliche Anmerkungen für die weitere Diskussion in den Ausschüssen machen.
Erstens: das Bergarbeiter-Wohnungsbaugesetz in seiner zweiten Fassung vom Oktober 1954 besteht noch in vollem Umfange für den gesamten Braunkohlenbergbau. Dort ist es bisher überhaupt nicht durch Stundung oder auf andere Weise tangiert worden, sondern läuft wie vorgesehen bis zu seinem Ausgang fort. Zweitens: der Braunkohlenbergbau ist in der Frage der Versorgung der breiten Bevölkerungsschichten mit Hausbrand viel stärker im Empfinden der Verbraucher, als es weite Bereiche des Steinkohlenbergbaues sind. Es erhebt sich also die Frage: ist es zweckmäßig, Braunkohlenbergbau und Steinkohlenbergbau hier in unterschiedlicher Weise zu behandeln? Das ist das eine.
Eine weitere Frage darf ich hier ebenfalls einmal zur Diskussion stellen. Wenn wir die Lasten zugunsten des Bergarbeiterwohnungsbaus im Steinkohlenbergbau ausschließlich auf den Bundeshaushalt übernehmen, entfällt die bisher doch ohne weiteres auch im Rahmen des Montanunion-Vertrages zugestandene Möglichkeit, den Verbrauch innerhalb der Bundesrenublik einschließlich des Exports mit der Kohlenabgabe zu belasten. Damit würde ein Aufkommen von etwa 25 Millionen t. das bisher unbestritten unter der bisherigen
tigkeit des Bergarbeiter-Wohnungsbauabgabengesetzesbelastungsfähig war. aus dieser Belastung entlassen werden. Dieser Ausfall würde ausschließlich auf den Haushalt zukommen.
Die Bundesregierung ist daher aus allen Überlegungen heraus zu der Auffassung gekommen daß zwar der Anleiheplan im Augenblick für den Steinkohlenbergbau nicht mehr weiter zu verfolgen ist, daß auch der Weg der Vorschüsse aus dem Bundeshaushalt auf die Dauer nicht weitergegangen werden kann. daß infolge der Erhöhung des Bedarfs auf rund 60 000 Wohnungen, der nicht bestreitbar ist, das Volumen der im Rahmen des Zweiten Gesetzes vorgesehenen Mittel auch nicht ausreichen würde, daß es aber richtig wäre, das Bergarbeiter-Wohnungsbaugesetz auch für den Steinkohlensektor wieder in Kraft treten zu lassen.
Dazu kommt noch als weitere Überlegung, daß im Rahmen des Montanunion-Vertrages die Preisfestsetzung oder die Preisbildung nach dem Vertrag weiter in weitem Maße auch den Bergbauunternehmen überlassen ist und daß nun einmal eine Preiserhöhung seit dem 20. Oktober als ein Faktum vorliegt. Wir sind aber der Auffassung gewesen, daß es schon prizipiell nicht so sein kann, daß die Unternehmen etwa für sich allein beschließen, einen bestimmten Teil des Preises für einen bestimmten Zweck, in diesem Fall den Wohnungsbau, zu separieren, zumal das ja auch sehr schwierige Probleme in steuerlicher Hinsicht aufwerfen würde. Die Vorstellung, die der Kohlenbergbau dabei hatte, war doch die Freistellung dieses Teils des Preises von den steuerlichen Belastungen. Das läßt sich schon aus präjudiziellen Gründen nicht verwirklichen.
Es bleibt folglich die Wiederherstellung der Abgabe als einer öffentlichen Abgabe, die es über das Treuhandvermögen, wie es bisher geschehen und wie es auch beim Braunkohlenbergbau weiter geschehen ist, gleichzeitig auch gestattet, die Maßnahmen wieder unter den Gesichtspunkten der allgemeinen Bedarfsdeckung — und nicht der vom Unternehmen aus individuell gesteuerten Bedarfsdeckung — an Wohnungen durchzuführen.
Die Bundesregierung hatte daher, unmittelbar nachdem aus den Verhandlungen klargeworden war, wie die Vorstellungen des Bergbaus liefen, und nachdem die neuen Preislisten eingereicht waren, den Beschluß gefaßt, die Stundung als solche wiederaufzuheben. Sie ist allerdings der Überzeugung, daß es im Bundestagsausschuß angesichts der veränderten Bedarfsziffern noch eingehender Beratungen darüber bedarf, in welcher Höhe und bis zu welchem endgültigen Termin diese für den Steinkohlenbergbau wiederherzustellende Abgabe bestehen soll.
Sie wissen, daß es hier zwei Möglichkeiten gibt. Man kann entweder von den 2 DM, die im Rahmen der Unternehmensplanungen für den Bergarbeiterwohnungsbau vorgesehen sind, für die Steinkohle und von 2,60 DM für den Koks ausgehen. Man würde dann zur Abdeckung des fehlenden Bestandes einschließlich der Verpflichtung zur Rückzahlung der 100 Millionen DM mit einer Laufzeit vom 20. Oktober 1956 bis Ende 1958 auskommen. Oder man kann bei der Steinkohle auf 1 DM gehen und beim Koks bei 2,60 DM bleiben. Dann würde man, wenn man das gleiche Gesamtergebnis erreichen will, die Laufzeit allerdings bis 1959 erstrecken müssen.
Im Aufkommen würde sich die Differenz etwa so auswirken. Die Verwirklichung der ersten Möglichkeit würde ein Aufkommen von 333 Millionen DM in der Zeit vom Oktober 1956 bis 31. März 1958 ergeben, während sich im zweiten Fall in der vergleichbaren Zeit 242 Millionen DM ergeben würden. Sie sehen auch daraus, daß die Summen ohnehin höher liegen, als sie in dem von Ihnen begründeten, allerdings auch nur als erste Maßnahme bezeichneten Antrag vorgesehen sind.
Wie die Dinge entschieden werden, mag den Beratungen im Ausschuß vorbehalten bleiben.

(Abg. Lücke: Die werden nicht leicht sein!)

— Sie werden sicher nicht leicht sein. Ich gebe mich darüber nach allen bisherigen Erfahrungen auf Grund der Differenzen, die wir zwischen kohleverbrauchenden und kohleproduzierenden Ländern und ihren Interessen erlebt haben, auch keinen übermäßigen Illusionen hin. Ich darf aber darauf hinweisen, daß der Kohlenbergbau schon von sich aus, d. h. freiwillig eine erste Teilzahlung etwa auf der Basis der bisherigen Überlegungen auf die zwi-


(Bundeswohnungsbauminister Dr. Preusker)

schenzeitlich fälligen Wohnungsbauabgaben geleistet hat, so daß die Zeit vom 20. Oktober bis zum Inkrafttreten eines solchen Gesetzes überbrückt werden kann. Ich glaube, daß das bei den Überlegungen nicht ganz unwesentlich ist. Darüber hinaus werden uns die Überlegungen insgesamt vielleicht dadurch erleichtert, daß die Wiederherstellung dieser Abgabe der sicherste, sozial gerechteste und volkswirtschaftlich wirksamste Weg sein wird, um das gemeinsame Anliegen des Bergarbeiterwohnungsbaus als einer der entscheidenden Voraussetzungen — so ist es ja auch eben vom Herrn Kollegen Dr. Bleiß begründet worden — für die Steigerung der Kohlenförderung und damit für die Verringerung des Bedarfs an den sehr viel teureren Importkohlen zu erfüllen. Wenn man die Frage unter dem Gesichtspunkt des volkswirtschaftlichen Nutzens und gleichzeitig der größten sozialen und steuerrechtlichen Transparenz betrachtet, erscheint der Weg der Wiederherstellung der Abgabe ohne Zweifel als der bei weitem beste. Die Aufnahme des Antrags der Bundesregierung in dieser Form hat sich ohne Zweifel auch aus der weiteren zwischenzeitlichen Entwicklung des Bedarfs und der insgesamt eingetretenen Lohnentwicklung ergeben, bei der die erneute Gefahr auftauchte, daß der Bergarbeiter von der Spitze der Lohnskala verdrängt würde. Käme er von dieser Spitze weg, dann würde sich bei diesem durch so viele Gefahren bedrohten Beruf nur ein noch viel schwerwiegenderes Problem, ein viel größeres Loch für unsere Kohleversorgung ergeben. Wir können uns alle miteinander diesen Überlegungen nicht entziehen. Diesen Appell richte ich insbesondere an die Kollegen aus den Ländern, die nun einmal in erster Linie nur Verbraucher sind. Sie haben aus der Begründung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion vorhin schon gehört, um wieviel teurer die Versorgung mit Importkohle für unsere Wirtschaft wäre. Die Versorgung der Bergarbeiter mit Wohnungen als einer der neben dem Spitzenlohn liegenden unabdingbaren Voraussetzungen für die Steigerung der heimischen Produktion ist bei weitem der billigste volkswirtschaftliche Weg. Ich glaube, der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau wird doch in der Form, wie ich sie Ihnen eben vorgetragen habe, später von diesem Haus akzeptiert werden können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217405400
Damit sind die Begründungen erfolgt, soweit sie nicht im Laufe der Debatte gegeben werden sollen. Ich eröffne die Aussprache, die über alle Punkte gemeinschaftlich stattfindet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0217405500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kohlendebatte am 10. Februar 1956 hat Herr Staatssekretär Dr. Westrick in Beantwortung der Großen Anfrage der SPD bereits ausgeführt, wie die Bundesregierung die Entwicklung auf dem Kohlegebiet ansieht, und hat in diesem Zusammenhang eine Reihe von Maßnahmen dargelegt, die damals bereits eingeleitet oder aber beabsichtigt waren. Inzwischen haben die Dinge eine weitere Entwicklung erfahren, und ich möchte
Ihnen dazu einen möglichst geschlossenen Überblick geben.
Ich darf hinzufügen, daß die Bundesregierung die Fortführung der im Februar unterbrochenen Debatte nicht zu scheuen gehabt hätte; aber ich kann auch, Herr Kollege Bleiß, Ihr Gewissen beruhigen: es ist durch diese Unterbrechung keine schädliche Wirkung für den Verbraucher eingetreten.
Die Gestaltung der Kohleversorgung zeigt etwa seit dem Jahre 1954 — nicht nur bei uns, sondern auch in anderen westeuropäischen Ländern — immer deutlicher, daß die Aufgaben auf dem Kohlesektor in enger Verbindung mit der Energieentwicklung insgesamt gesehen werden müssen. Eine Reihe von Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Energiegebiet, die im Verlaufe des Jahres 1956 getroffen worden sind, haben daher auch keineswegs einen punktuellen Charakter, sind vielmehr zusammenhängend auf das Ziel gerichtet, eine grundsätzliche Lösung des Problems der künftigen Energiebedarfsdeckung durch eine Förderung wettbewerblicher Kräfte auf dem Energiesektor vorzubereiten.
Ich darf zunächst diese Maßnahmen aufzählen und dann im einzelnen auf sie eingehen. Mitte Februar dieses Jahres wurde für Untertagebergleute die Bergmannsprämie eingeführt. Zum 1. April dieses Jahres erfolgte die Freigabe der Steinkohlenpreise durch die Hohe Behörde, nachdem ihr die Bundesregierung zugestimmt hatte. Zum 1. Juli dieses Jahres wurde der Heizölzoll von bisher 15 DM/t abgeschafft. Die zulässige Kontraktfrist für die Einfuhr von US-Kohle wurde von 18 Monaten auf drei Jahre ausgedehnt. Die gleiche Maßnahme wurde für die Einfuhr von Heizöl durchgeführt.
Wir waren und sind der Auffassung, daß wir mit der Freigabe der Kohlenpreise, die seit Jahrzehnten mehr oder weniger starken Bindungen unterlagen, einen entscheidenden und notwendigen Schritt zur Einordnung des Steinkohlenbergbaus in das marktwirtschaftliche Geschehen getan haben. Es ging uns vor allem auch darum, dem Steinkohlenbergbau die Verantwortung für die Gestaltung der Kohlenpreise ebenso wie die der Investitionen in öffentlicher Sicht zu übertragen.
Wir sind im übrigen selbstverständlich davon ausgegangen, daß der Steinkohlenbergbau in seinem eigenen Interesse in der Gestaltung seiner Kohlenpreise maßhält, indem er eine Linie der Stabilität verfolgt und vor allem auch die Tatsache berücksichtigt, daß die Kohle — zwar nicht gerade unter den gegenwärtigen Umständen, aber doch wohl im Zuge der künftigen Entwicklung — stärker als in der Vergangenheit mit dem Vorhandensein und dem Aufkommen anderer Energiearten und der US-Kohle zu rechnen haben wird. Gerade auch aus dieser Sicht ergibt sich für den Bergbau die Notwendigkeit, alles zu tun, um Kostensenkungen zu ermöglichen oder wenigstens Kostensteigerungen zu verhindern.
Wir waren uns im Zeitpunkt der Freigabe der Kohlenpreise klar darüber, daß nur im Falle wesentlicher Kostensteigerungen im Bergbau eine entsprechende Preiserhöhung hinzunehmen sei. Mit der im Oktober dieses Jahres zwischen den Tarifpartnern im Steinkohlebergbau vereinbarten Arbeitszeitverkürzung war unvermeidlich eine wesentliche Kostenerhöhung und damit eine begründete Preiserhöhung verbunden.

(Hört! Hört! rechts.)



(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

Die Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau muß aber wiederum als eine zwangsläufige Folge des im August dieses Jahres geschlossenen sogenannten Bremer Abkommens über die Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie hingenommen werden, da die Spitzenstellung des Bergarbeiters unter Tage nach allgemeiner Überzeugung nicht angetastet werden soll.
Das im Oktober zwischen den Tarifpartnern geschlossene Abkommen über die Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau sieht vor, daß im vierten Quartal 1956 zwei bezahlte Ruhetage, für die Jahre 1957 und 1958 je zwölf bezahlte Ruhetage gewährt werden. Diese Regelung bedeutet — wenn man von den tatsächlich verfahrenen Schichten, etwa 260 pro Jahr, ausgeht — eine durchschnittliche Verringerung der Wochenarbeitszeit um rund zwei Stunden, d. h. von bisher 45 auf 43 Stunden. Das wird auf jeden Fall zu einer fühlbaren Minderung des Förderungsergebnisses führen. Rechnerisch läßt sich der Förderausfall für 1957 auf etwa 5 Millionen t Steinkohle beziffern.
Auch bei einer weiteren günstigen Entwicklung der Schichtleistungen und einer zunehmenden Zahl von Bergleuten unter Tage wird im Jahre 1957 die Aufwärtsentwicklung unserer Steinkohlenförderung zunächst eine deutliche Unterbrechung erfahren müssen.
Immerhin möchte ich sagen, daß diese jetzige Regelung der Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau vergleichsweise noch maßvoll erscheint, zumal die Tarifpartner übereingekommen sind, den Ausfall der Förderung durch Ruhetage im vierten Quartal dieses Jahres und im ersten Quartal des nächsten Jahres durch Überschichten teilweise zu vermindern.
Der Bergbau hat als Folge der Arbeitszeitverkürzung eine Kostensteigerung von 2,50 DM pro Tonne Absatz im Durchschnitt für Steinkohle und Koks errechnet. Daß aber der Bergbau über die durch die Arbeitszeitverkürzung bedingte Kostenerhöhung hinaus seine Preise noch um weitere 2 Mark pro Tonne Steinkohle und um 2,60 Mark pro Tonne Koks zur Finanzierung des Bergarbeiterwohnungsbaus erhöhte, habe ich mißbilligt.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich teile die Auffassung des Herrn Bundesministers für Wohnungsbau, daß eine zufriedenstellende Lösung der Frage des Bergarbeiterwohnungsbaus durchgreifender und nachhaltiger durch Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung einer Wohnungsbauabgabe außerhalb des Kohlenpreises erreicht werden soll.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Die Auffassung der Bundesregierung hierzu haben Sie im übrigen den Ausführungen des Herrn Ministers Dr. Preuskers entnehmen können.
Ich komme nun zur Bergmannsprämie. Sie wird seit Februar in Höhe von durchschnittlich 2 Mark je verfahrener Schicht für die Unter-Tage-Bergleute im Steinkohlenbergbau gezahlt. Nach dem Gesetzentwurf über die Bergmannsprämie sollen auch die unter Tage beschäftigten Bergleute des Nichtsteinkohlenbergbaus die Bergmannsprämie erhalten. Ich darf hier dem Bundestag meinen besonderen Dank für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf aussprechen. Der Entwurf wurde gestern im Vermittlungsausschuß bestätigt.
Zu der Einführung der Bergmannsprämie sind zunächst manche zweifelnden und ablehnenden Auffassungen laut geworden. Wir können aber heute wohl feststellen, daß die Bergmannsprämie sich inzwischen als ein beachtlicher Erfolg herausgestellt hat. Wenn sich die Steinkohlenförderung des Bundesgebietes in diesem Jahre günstig entwickelt hat, so danken wir das selbstverständlich in erster Linie unseren Bergleuten. Aber die Bergmannsprämie hat dazu geführt, daß wir von Monat zu Monat einen neuen Zuwachs von Arbeitskräften zum Bergbau sahen. Gegenwärtig sind fast 10 000 Bergleute mehr unter Tage im Steinkohlenbergbau beschäftigt als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Unsere Steinkohlenförderung ist in diesem Jahre bis Oktober um 3,7 Millionen t höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Das scheinen mir klare und nicht wegzuleugnende Tatsachen zu sein, mit denen der Erfolg der Bergmannsprämie allein gemessen werden kann.
Wir können uns überall in Europa umsehen und werden nirgends eine auch nur annähernd so günstige Entwicklung feststellen können. Im Gegenteil, in den übrigen kohlefördernden Ländern der Montanunion fehlten Anfang Oktober dieses Jahres insgesamt 11 400 Bergleute unter Tage gegenüber Oktober des vergangenen Jahres. Die Steinkohlenförderung dieser Länder weist bisher auch keine Steigerung gegenüber dem Vorjahre auf.
Die Hohe Behörde hat in einem Schreiben .vom 2. Mai dieses Jahres der Bundesregierung mitgeteilt, daß nach ihrer Ansicht die Bergmannsprämie mit dem Montanvertrag nicht vereinbar sei, weil die Prämie mit öffentlichen Mitteln finanziert werde. Innerhalb der am 24. Oktober abgelaufenen Frist hat sich die Bundesregierung zu der Stellungnahme der Hohen Behörde geäußert. Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß die Bergmannsprämie nicht gegen den Montanvertrag verstößt. Angesichts des Erfolges der Bergmannsprämie, der gestern auch von der Gemeinsamen Versammlung in Straßburg anerkannt worden ist, würden wir es sehr begrüßen, wenn sich die Hohe Behörde unseren Argumenten nicht verschlösse.
Die Abschaffung des Heizölzolls — wenn ich davon jetzt sprechen darf — befreite das Heizöl von einer besonderen Belastung und ebnete damit den Weg für seine Entwicklung als ein beachtlicher Ergänzungsfaktor für die künftige Deckung unseres Energiebedarfs. Daran wird sich langfristig nichts ändern, auch wenn wir uns gegenwärtig den bekannten Schwierigkeiten durch die Blockierung des Suezkanals und die Zerstörung von Rohrleitungen ausgesetzt sehen.
Die Ausdehnung der Kontraktfrist für die Einfuhr von US-Kohle und von Heizöl auf drei Jahre hat nach unseren Feststellungen bereits wesentlich günstigere Einkaufsdispositionen für Importeure und Verbraucher zu niedrigeren Frachtsätzen mit sich gebracht. Insbesondere dürfte die US-Kohleneinfuhr des Bundesgebiets infolge rechtzeitig vorgenommener langfristiger Eindeckungen auch mit Schiffsraum von dem heutigen scharfen Frachtenanstieg infolge der Ereignisse im Nahen Osten zum weitaus größten Teil nicht betroffen werden.
Alle unsere Maßnahmen dienen letztlich dem Zweck, die bestmögliche Versorgung aller Verbraucher mit Kohle sicherzustellen. Wie ich bereits in meiner Antwort zur Kleinen Anfrage 276 im einzelnen dargelegt habe, hat sich die Kohienver-


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard) sorgungslage seit dem letzten Jahre im allgemeinen ganz erheblich verbessert. In den vergangenen Jahren hat der Kohlebedarf der Wirtschaft laufend und erheblich zugenommen. Dabei fällt die Entwicklung bei der Stahlindustrie besonders ins Gewicht, die ihren Koksverbrauch von etwa 10 Millionen t im Jahre 1950 auf 18 Millionen t im Jahre 1956 steigerte. Trotz des weiterhin allgemein ansteigenden Kohlebedarfs haben sich heute in der Wirtschaft ganz erhebliche Kohlenvorräte gebildet. So betrugen die Bestände der Hauptverbrauchergruppen der Industrie, der Versorgungsbetriebe und des Verkehrs zu Beginn dieses Winterhalbjahres 9,4 Millionen t. Sie liegen damit um 2,4 Millionen t oder rund ein Drittel höher als die an sich schon günstigen Bestände zur gleichen Zeit des Vorjahres. Diese Kohlenvorräte reichen — bezogen auf den Winterspitzenverbrauch — bei der Elektrizitätswirtschaft für 63, bei den Gaswerken für 33 und bei der Industrie für 34 Tage, während zu Beginn des vorigen Winterhalbjahres nur Bestände für 40, 21 und 28 Tage vorhanden waren.

Von Kohlenversorgungsschwierigkeiten kann also bei den Industrie- und Versorgungsbetrieben keine Rede sein. Allerdings konnte dieses Ergebnis nur durch eine Erhöhung der Einfuhren erzielt werden, da die Förderung trotz günstiger Entwicklung mit dem schnellen Anstieg des Kohlenbedarfs nicht Schritt halten konnte.
In der Öffentlichkeit wird nun vielfach nichtverstanden, daß wir teure Kohle in großen Mengen einführen und billige eigene Kohle exportieren. Tatsächlich ist die Kohlenausfuhr im vorigen Jahr um 2,4 Millionen t oder 8,5 % vermindert worden. Mit einem gleichen Rückgang dürfte auch im Jahre 1956 zu rechnen sein. Eine noch stärkere Einschränkung ist aber nicht möglich, da angesichts der im Montanvertrag vereinbarten Freizügigkeit im gemeinsamen Markt für rund 75 % der Ausfuhren keine Steuerungsmöglichkeiten mehr bestehen. Auf Lieferungen in die sogenannten dritten Länder wie Schweden, Dänemark, die Schweiz, Österreich usw. kann aus handelspolitischen Gründen — beispielsweise wegen der Einfuhr von Erz aus Schweden oder von Holz aus Österreich — nicht verzichtet werden. Auch kohlenwirtschaftlich wäre eine stärkere Kürzung der Ausfuhr im Interesse der Sicherung der Märkte und der Arbeitsplätze von mehr als 500 000 Bergleuten kaum vertretbar.
Bevor ich nun auf die Kohlenversorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch zu sprechen komme, möchte ich eine Bemerkung vorausschikken. Beinahe in jedem Herbst erleben wir das gleiche Spiel: Immer wieder wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, daß die Hausbrandversorgungslage des jeweils bevorstehenden Winters besonders besorgniserregend, wenn nicht gar katastrophal sei. Solche Prophezeiungen sind es aber, die zu einer unnötigen und teilweise übersteigerten Nachfrage in dieser Haupteinkaufszeit für den Hausbrand führen und dadurch Spannungen schaffen. Trotzdem haben diese Propheten in den letzten Jahren nie recht behalten. Am Schluß des Kohlenwirtschaftsjahres stellt sich regelmäßig heraus, daß — wenn ich von örtlich bedingten vorübergehenden Schwierigkeiten absehe — im ganzen wirkliche Notstände nirgends eingetreten sind.
Die Kohlenversorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch ist in jedem Jahr erheblich verbessert worden. Während im Kohlenwirtschaftsjahr 1953/54, dem letzten Jahr der Kohlenlenkung, 24,3 Millionen t geliefert wurden, waren es im folgenden Jahre 27,4 Millionen t und im vorigen Kohlenwirtschaftsjahr 30,4 Millionen t. Die Steigerung von 1953/54 bis 1955/56 betrug also 25 %. Dagegen nahm die Bevölkerung in der gleichen Zeit nur um 2 % und die Zahl der Wohnungen um knapp 10 % zu.
Auch im Kohlenwirtschaftsjahr 1956/57 hat die Bundesregierung ihre ganz besondere Sorge darauf gerichtet, daß dem Hausbrand erhöhte Mengen zur Verfügung gestellt werden. Gegenüber den Vorjahresmengen konnten folgende Verbesserungen erreicht werden:
1. Durch Zurückführung der Absatzmengen des Zechenhandels und Beschränkung des Werkselbstverbrauchs der eisenschaffenden Industrie können rund 1 Million t Kohle und Koks mehr zur Verfügung gestellt werden.
2. Durch zusätzliche Belieferung der Gaswerke mit 900 000 t inländischer Kohle können die Hausbrand- und Kleinverbraucher mindestens im gleichen Umfang wie im Vorjahre mit preisgünstigem Gaskoks versorgt werden.
3. Durch Steigerung unserer Braunkohlenbriketterzeugung werden voraussichtlich 500 000 t Braunkohlenbriketts mehr geliefert.
In ,diesem Zusammenhang möchte ich folgendes erwähnen. Wir konnten bisher davon ausgehen, daß die diesjährigen Braunkohlenbrikettlieferungen aus der sowjetisch besetzten Zone trotz vorauszusehender erheblicher Ausfälle gegenüber den vertraglichen Abschlüssen nicht wesentlich unter denjenigen des Vorjahrs liegen würden. In den letzten Tagen allerdings ist leider in diesen Lieferungen eine fühlbare Stockung aufgetreten, von der wir hoffen, daß sie nur vorübergehend sein wird.
Obwohl die von uns durchgesetzten Maßnahmen erst im Oktober voll anlaufen konnten, wurden in der ersten Hälfte des Kohlenwirtschaftsjahrs von April bis September an den Hausbrand bereits 1,1 Millionen t oder 8,1 % mehr Kohlen aus inländischem Aufkommen geliefert als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Für Oktober liegen erst Zahlen der Ruhr und der Braunkohlenreviere vor. Danach ist die Lieferung von Ruhrerzeugnissen und Braunkohlenbriketts in der Zeit von April bis Oktober sogar um 1,9 Millionen t oder 13,5 % höher als in der entsprechenden Zeit des Vorjahrs. Für November haben die Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften noch größere Lieferungen als im Oktober durchgeführt. Wir haben die Zechen außerdem gebeten, die vorliegenden Hausbrandaufträge mit absolutem Vorrang zu erledigen, damit zu Beginn der kälteren Jahreszeit größere Vorräte beim Kohlenhandel vorhanden sind.
Bei dieser von Jahr zu Jahr gesteigerten Menge für den Hausbrand und den Kleinverbrauch halte ich es für meine Pflicht, diejenigen, die fast jedes Jahr den „völligen Zusammenbruch der Hausbrandversorgung" voraussagen, auf ihre Verantwortung vor der Öffentlichkeit hinzuweisen, weil sie es letzten Endes selbst sind, die unnötige Spannungen in der Kohlenversorgung heraufbeschwören.

(Sehr richtig! in der Mitte.)



(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

Ich darf im übrigen weiter betonen, daß die militärischen Dienststellen nicht mit 98 %, sondern nur mit 80 °/o ihres Bedarfs versorgt wurden.
Meine Damen und Herren, zu dieser ruhigen Beurteilung unserer Hausbrandversorgungslage muß ich kommen, wenn ich von den für den Hausbrand in diesem Jahr bereits gelieferten und weiterhin zur Lieferung vorgesehenen Mengen insgesamt ausgehe. Dies ist für mich eine sichere Grundlage. Trotzdem muß ich aus mancherlei Einzelklagen, die auf meinen Tisch kommen, den Schluß ziehen, daß die Verteilung ides Hausbrands bis zum Einzelhändler und weiter bis zum letzten Verbraucher offenbar nicht immer in befriedigender Weise gelingt.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Es ist mir klar, daß der Kohleneinzelhandel bei seiner Verteilungsaufgabe nicht immer einen leichten Stand hat. Da sind alte und neue Kunden, die berücksichtigt werden müssen, solche, die sich gleich den ganzen Wintervorrat hinlegen, und andere, die das nicht können. Dadurch entstehen zwangsläufig immer wieder Ungleichheiten in der Versorgung, und der davon betroffene einzelne meint dann, es stimme nicht, was die Regierung über die ausreichende Hausbrandversorgung sage. Aber man kann sicher nicht einzelne Fälle einer unzureichenden Versorgung verallgemeinern. Ich möchte hier auch feststellen, daß der Kohleneinzelhandel seine schwierige Aufgabe mit einem hohen Maß von Verantwortung erfüllt. Ich möchte aber hier auch einen eindringlichen Appell an alle Stellen richten, die mit der Verteilung von Hausbrandkohle zu tun haben, an die Absatzorganisationen, an den Großhandel und an den Einzelhandel, um eine gute und gerechte Verteilung besorgt zu sein, die den Schwächeren nicht übersieht, sondern ihn eher besonders beachtet.
Gewisse Sorge bereitet mir jedoch der Umstand, daß die Reviere Saar und Lothringen mit ihren Auslieferungen um rund 20 % im Rückstand sind. Die Bundesregierung hat die Hohe Behörde in Luxemburg wiederholt und nachdrücklich ersucht, unverzüglich auf eine Verstärkung der Lieferungen hinzuwirken. Die Hohe Behörde hat daraufhin Vorstellungen zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten erhoben.
Schließlich darf ich noch auf folgendes verweisen. Es ist vorgesehen, daß zur Entlastung der sozial schwachen Bevölkerungskreise in diesem Winter Mittel zur Verbilligung von Hausbrandkohle bereitgestellt werden. Diese Hilfe soll neben der durch die Sozialministerien der Länder laufend gezahlten Weihnachtsbeihilfen sowie den Feuerungszuschüssen gewährt werden. Der Steinkohlenbergbau und der Braunkohlenbergbau haben sich auf meinen Wunsch bereit erklärt, für die Verbilligungsaktion einen Betrag von etwa 8 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Dies dürfte ausreichen, um die durch die letzte Kohlenpreiserhöhung eingetretene zusätzliche Belastung dieser Bevölkerungskreise auszugleichen.
Bei völlig objektiver Würdigung all dieser Tatbestände sehe ich in diesem Jahr weniger denn je Anlaß, die Bevölkerung durch Schwarzmalerei in Unruhe zu versetzen. Es stehen für die Gesamtversorgung der Hausbrand- und Kleinverbraucher ausreichende Mengen zur Verfügung, mit denen auch der durch Bevölkerungszunahme und Neubautätigkeit entstandene Zusatzbedarf gedeckt werden kann.
Nachdem ich Ihnen einen eingehenden Überblick über die Kohlenversorgung gegeben habe, möchte ich mich jetzt einigen grundsätzlichen Überlegungen und Maßnahmen der Bundesregierung zur Energie- und Kohlenwirtschaftspolitik zuwenden. Auf Grund der Beobachtungen, die wir in den letzten Jahren über den Ablauf der Energieversorgung insgesamt machen konnten, erschien es uns besonders notwendig, die längerfristigen quantitativen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen heimischen Energiequellen und auch der Energieeinfuhren im Verhältnis zum Energiebedarf der Zukunft zu überblicken.
Zur Beratung der damit zusammenhängenden Grundfragen hatte das Bundesministerium für Wirtschaft einen kleinen Kreis von maßgebenden Persönlichkeiten aus den einzelnen Zweigen der Energiewirtschaft und der IG Bergbau zusammengerufen.
Wenn in diesem Kreis zunächst nicht alle wesentlichen Fragen des Energieproblems behandelt oder zu Ende geführt werden konnten, so gelang es doch vor allem, eine gemeinschaftliche Vorstellung über die Größenordnung des Bedarfs an Primärenergie — also Steinkohle, Braunkohle, Wasserkraft, Erdöl, Erdgas — bis 1965 zu erreichen und in diesem Rahmen dann die quantitativen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen heimischen Energiequellen, vor allem natürlich der Steinkohle und der Braunkohle, zu würdigen. Diese vielschichtigen Untersuchungen werden weitergeführt. Wir sind aber zu einem gewissen Zwischenabschluß gelangt, und ich möchte Ihnen hier das bisherige Ergebnis in seinen Grundzügen kurz darstellen.
Wir glauben annehmen zu können, daß der Bedarf an Primärenergie von 188 Millionen t Steinkohleneinheiten im Jahre 1954/55 auf 245 Millionen t Steinkohleneinheiten im Jahre 1965/66 steigen wird. Das ist eine Zunahme von 30 % oder von etwa 2,5 % im Jahresdurchschnitt. — Diese Steigerung ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Anstieg des Bedarfs an Sekundärenergie, etwa Elektrizität oder Gas, bei denen für Elektrizität mit einem jährlichen Anstieg von etwa 7 % gerechnet wird. — Der Bedarf an Primärenergie des Jahres 1965 wird bei weitem nicht aus heimischen Energiequellen gedeckt werden können. Voraussichtlich sind 1965 aus diesen heimischen Quellen, nämlich Steinkohle, Braunkohle, Wasserkraft, Erdöl und Erdgas, etwa 200 Millionen t Steinkohleneinheiten zu erwarten, während der Rest von 45 Millionen t vor allem durch Einfuhren von Öl und US-Kohle zu decken wäre. Das bedeutet mehr als eine Verdoppelung der Energieeinfuhren des Jahres 1954 und etwa das Eineinhalbfache unserer heutigen schon sehr hohen Energieeinfuhren. Ich sagte, daß wir 1965 aus heimischen Quellen etwa 200 Millionen t Steinkohleneinheiten erwarten; wir hoffen, daß davon mindestens Dreiviertel, d. h. 150 Millionen t, im deutschen Steinkohlenbergbau ,gefördert werden können, während im Kalenderjahr 1955 130,7 Millionen t gefördert sind. Wir setzen im übrigen auch große Hoffnungen auf ,die Fördersteigerung der deutschen Braunkohle.
Die Atomenergie wurde in die Untersuchungen noch nicht einbezogen, weil keinerlei Zuverlässigkeit gegeben war, daß aus dieser Quelle ein nennenswerter Beitrag zur Energiebedarfsdeckung schon innerhalb der nächsten Jahre erwartet werden könnte.


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

Aus unseren Untersuchungen wurde in jedem Falle ersichtlich, wie sehr es darauf ankommen wird, unsere heimischen Energiequellen unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit so zu fördern, daß der Einfuhrbedarf möglichst in Schranken gehalten wird, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit unserer Energieversorgung.
Ich darf zusammenfassen, welches Ziel wir mit diesen Untersuchungen verfolgen. Wir wollen damit weder eine staatliche Energieplanung oder eine Energielenkung noch wollen wir ein Begehren nach staatlicher Investitionshilfe wecken. Unsere Absicht ist vielmehr, der Energiewirtschaft mit ihren einzelnen Zweigen einen festen Punkt zur Ausrichtung der Vorstellungen über die künftige Entwicklung zu geben.
Ich komme damit zu der wichtigen Frage der Investitionen. Hier möchte ich zunächst hervorheben, daß für die steuerliche Behandlung der Abschreibungen bei neuen Schachtanlagen in den bisher vorliegenden vier konkreten Fällen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen und dem Herrn Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen eine auch den Bergbau zufriedenstellende Lösung gefunden werden konnte. Durch die im Billigkeitswege zugelassenen Abschreibungen in Höhe von 75 % der Investitionen für neue Schachtanlagen für einen Zeitraum von 10 Jahren wird die Finanzierung dieser großen Objekte erheblich erleichtert. Auch in anderen Fällen dieser Art dürften künftig befriedigende Lösungen gefunden werden können.
Ich möchte auch noch einmal an die Maßnahmen erinnern, die auf Grund eines Vorschlages des Herrn Finanzministers von Nordrhein-Westfalen für eine günstigere Bewertung des Bergbauvermögens untertage inzwischen praktisch geworden sind. Sie werden für die nächsten Jahre eine zusätzliche Abschreibungsmöglichkeit im Umfange von mehr als 300 Millionen DM gestatten. Darüber hinaus aber bedarf der gesamte Komplex der steuerlichen Behandlung von Investitionen des Steinkohlenbergbaus untertage noch einer eingehenden Prüfung. Es scheint mir ganz allgemein darauf anzukommen, Wege zu finden, um eine stärkere Hinlenkung der Investitionen zu den Schwerpunkten der Untertageanlagen zu erreichen.
Neben den steuerlichen Maßnahmen wird die Ebnung des Kreditwegs für die Investitionen des Steinkohlenbergbaus auch in Zukunft von Bedeutung sein. Hier suchen wir ein möglichst umfassendes Finanzierungsprogramm zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren sicherzustellen. Zwischen dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und mir besteht grundsätzliche Übereinstimmung darüber, daß der Steinkohlenbergbau aus dem Zins- und Tilgungsaufkommen des ERP-Sondervermögens bevorzugt bedacht werden muß.
Ich hoffe, Ihnen ein umfassendes Bild von den großen uns bewegenden Fragen auf dem Kohlengebiet und ihrer Einordnung in den größeren Rahmen der energiewirtschaftlichen Entwicklung gegeben zu haben. Ich habe Ihnen ausführlich über das berichtet, was im Laufe dieses Jahres von der Bundesregierung durch eine Vielzahl von Maßnahmen auf dem Kohlengebiet getan worden ist; die Maßnahmen haben sich großenteils bereits sehr günstig ausgewirkt. Ich habe Ihnen schließlich dargetan, was wir noch weiterhin zu tun beabsichtigen.
Wenn ich ein Fazit ziehen darf, so ist es das folgende: Die Probleme, die uns der Kohlenbergbau und die Kohlenwirtschaft aufgeben, sind vielfältig und von großem Gewicht. Ich bin sicher, daß wir auch in Zukunft unaufhörlich vor alten wie neuen schwierigen Fragen stehen werden, für die Lösungen gesucht werden müssen. Aber ich glaube, daß die Bundesregierung ohne Scheu über die ermutigende Entwicklung dieses Jahres auf dem Kohlengebiet Rechenschaft geben konnte.
Ich darf dazu noch einmal folgende Tatsache hervorheben: Die Steinkohlenförderung des Bundesgebiets hat sich — entgegen der Kritik der SPD — in diesem Jahr hervorragend entwickelt. Soviel ich sehe, hat kein europäisches kohlenförderndes Land einen solchen Erfolg aufzuweisen. Ich wiederhole noch einmal, daß wir das unseren schwer arbeitenden Bergleuten zu danken wissen. Die Bundesregierung wird fortfahren, die Voraussetzungen für eine weitere günstige Entwicklung des Kohlenbergbaues ständig zu verbessern. Ich bin im übrigen aber auch gewiß, daß der deutsche Verbraucher der Regierung und den Erklärungen des Wirtschaftsministers nach einer sich seit acht Jahren immer wiederholenden Erfahrung mehr vertraut als den sich nie erfüllenden düsteren Voraussagen der Opposition.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217405600
Das Wort hat der Abgeordnete Sabaß.

Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217405700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Bergbau auf Steinkohle und Braunkohle und die damit zusammenhängende Kohlenwirtschaft gehören nach dem Montan-Vertrag vom 18. April 1951 in den Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Das hat der Herr Vertreter der Opposition, der verehrte Kollege Dr. Bleiß, in seinen Ausführungen in keiner Weise berücksichtigt. Ich glaube, mich zu erinnern, daß er nur mit einem Nebensatz negativ auf diese Zugehörigkeit hingewiesen hat. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinem Bericht in seiner unbegrenzten Verantwortungsfreudigkeit auf diesen Einbau des deutschen Bergbaus in die Montan-Wirtschaft meines Erachtens auch nicht ausreichend hingewiesen; denn er hat Verantwortungen übernommen, die für ihn nicht bestehen, sondern die nach dem Vertrage eindeutig bei der Hohen Behörde bzw. der Gemeinschaft liegen. Ich betrachte es daher als meine Aufgabe, im Namen meiner Fraktion in diesem Rahmen zu den Problemen der Kohlenwirtschaft und den hier vorliegenden Anträgen der einzelnen Fraktionen Stellung zu nehmen, und will versuchen, in dieser Linie Ihnen die Probleme aufzuzeigen. Zuvor aber lassen Sie mich einige Bemerkungen machen, zu denen ich gezwungen bin.
Zunächst muß ich als deutscher Delegierter, der von diesem Hohen Hause in das Montanparlament gewählt worden ist, mein Bedauern darüber aussprechen, daß nach der Entscheidung des Altestenrats und der Fraktionen zum gleichen Zeitpunkt im Deutschen Bundestag eine Kohlendebatte stattfindet, in dem auch im Montanparlament, das jetzt vom 27. bis zum 30. November eine außerordentliche Sitzungsperiode durchführt, auf einen Antrag unseres Kollegen Dr. Schöne vom Juni dieses Jahres über die Kohlenprobleme gesprochen wird. Wir haben gestern mit dieser Debatte in Straßburg begonnen und sind leider verhindert, heute an der


(Sabaß)

Fortsetzung teilzunehmen. Ich unterlasse es auch nicht, darauf hinzuweisen, daß unsere Kollegen von den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft über diese nicht vorhandene Abstimmung der Tagesordnung nicht erfreut waren und das deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Ich wäre dankbar, wenn ein solcher Fall, da das Montanparlament im Laufe eines Jahres immer nur einige Wochen tagt, nicht wiederholt würde.
Als zweite Vorbemerkung darf ich den Hinweis machen, daß der Redner, der jetzt die Ehre hat, zu Ihnen zu sprechen, in keinem irgendwie gearteten Dienstverhältnis zu den Unternehmensverbänden des Bergbaus steht. Er war lediglich nach dem Kriege in den Diensten der deutschen Kohlenbergbauleitung; die Zeiten sind vorbei. Er kann daher, so wie das Grundgesetz es befiehlt, als Vertreter des ganzen deutschen Volkes zu den Problemen der Kohlenwirtschaft Stellung nehmen und wird als oberschlesischer Bergmann hierbei hoffentlich einen bescheidenen Beitrag für den Bergbau der Bundesrepublik leisten.
Drittens weise ich vorweg darauf hin, daß sich in den letzten Jahren — und der Herr Bundeswirtschaftsminister hat das bei den Regierungsmaßnahmen zur Mineralölsteuer schon angedeutet — in der Hausbrandversorgung der Bundesrepublik in zunehmendem Maße der Verbrauch von Heizöl eingebürgert hat. Es ist Ihnen noch aus den Beratungen dieses Hohen Hauses zu Beginn der Legislaturperiode bekannt, daß sich damals der Bergbau gegen alle Erleichterungsmaßnahmen wehrte, die die Einfuhr von Rohölen förderten. Diese Zeiten sind ebenfalls vorbei. Wir können feststellen, daß der Heizölverbrauch in der Bundesrepublik von 1954 mit 1,5 Millionen t bis zu diesem Jahre auf 5,5 Millionen t gestiegen ist. Diese Heizöle werden zu etwa 80 % in deutschen Raffinerien aus Rohölimporten der Nahostländer gewonnen, die entweder in Tankern aus dem Persischen Golf durch den Suezkanal zu uns kamen oder durch die vier Pipelines über die arabischen Länder in östliche Mittelmeerhäfen gelangten, um dort in Tanker umgeschlagen zu werden. Diese Nahostimporte, von denen der deutsche Heizölverbrauch zu fast 90 % abhängt, verteilten sich auf den Weg durch den Suezkanal zu 55 % und auf den gebrochenen Weg über die Pipelines zu 45 % . Beide Wege sind im Augenblick aus bekannten Gründen unterbrochen, so daß die Tankschiffe aus dem Persischen Golf die Umfahrt um Afrika machen müssen, wobei sich die Anfahrtzeit zu den deutschen Häfen um 9 bis 15 Tage verlängert und sich dadurch die Frachtkosten z. B. für ein 10 000-t-Tankschiff bis zu 180 000 DM erhöhen. Wir haben auch bei uns deshalb schon Preiserhöhungen erlebt. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß in den anderen europäischen Ländern die Auswirkungen dieser unterbrochenen Zufuhr viel krasser sind und z. B. in Frankreich, England und Dänemark in diesem Monat Rationierungen eingeführt wurden. Wir haben gestern in Straßburg gesehen, wie lange Schlangen anstanden, um je Kraftwagen nur 12,5 Liter Brennstoff zu empfangen. Die Befriedigung eines Mehrbedarfs, der durch einen Ausfall von Heizöl in Deutschland eintreten würde, könnte der Bergbau in der gegenwärtigen Situation nicht schlagartig übernehmen, so daß wir auch aus diesem Grunde bestrebt sein müssen, alles zu tun, die Förderkapazität des deutschen Steinkohlenbergbaus laufend zu erhöhen.
Ich komme jetzt zu den Einzelheiten, nämlich dem Preis, der Versorgung und der Frage des
Bergarbeiterwohnungsbaus. Man muß sich zunächst grundsätzlich darüber klar werden, wie man die Finanzierung im Bergbau künftig vornehmen will und welche Tendenzen im Augenblick vorliegen. Dabei unterscheiden wir uns, glaube ich, von den Kollegen der Opposition grundlegend. Wir sind einig mit dem, was Herr Dr. Bleiß am Schluß seines Vortrags gesagt hat, als er einen leistungsfähigen Bergbau auf lange Sicht, eine laufende Steigerung der Förderung, eine soziale Besserstellung des Bergmanns und eine ausreichende Versorgung des deutschen Verbrauchers forderte. Wir sind aber mit ihm nicht einig in der Frage, wie die Finanzierung all dieser notwendigen Maßnahmen erfolgen soll. Nach dem Wirtschaftsprogramm der Opposition wird gewünscht, alle diese Maßnahmen weitgehend im Wege von Subventionen, Beihilfen, also aus öffentlichen Geldern, durchzuführen. Die Damen und Herren der Opposition werden es verstehen, wenn ich diesen Standpunkt nicht einnehme. Es gibt dann eben nur den anderen Weg, alle diese Maßnahmen über den Preis zu finanzieren, einen Marktpreis, der in maßvoller Weise von den Bergbauunternehmungen erhoben werden kann. Ich gebe dabei aber auch offen zu, daß es sehr schwer ist, in der gegenwärtigen Situation diese Linie einzuhalten.
Bei den verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung in den letzten Monaten konnte man nicht immer die Einhaltung dieser Linie feststellen, und — das sage ich ebenso offen — von seiten der Unternehmensverbände — nicht der einzelnen Bergbaugesellschaften — wurden Maßnahmen durchgeführt, die diesem Grundsatz widersprechen. Wenn man also auf dem Standpunkt steht, daß diese Investitionen nur über den Preis vorzunehmen sind, soll man in diesem Lichte zunächst einmal die Maßnahmen der Bundesregierung beleuchten, die Herr Staatssekretär Westrick in der Regierungserklärung vom 10. Februar hier vorgetragen hat und die auf einem Beschluß des Kabinetts vom 8. Febuar dieses Jahres beruhten. Er hat damals seine Ausführungen, auf die ich jetzt zurückkomme, folgendermaßen geschlossen — ich lese mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Protokoll über die damalige Sitzung vor —:
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die vorgesehenen Maßnahmen zur Beruhigung des Lohn- und Preisgefüges einen wirksamen Beitrag auslösen werden.
Dieses Ziel ist zweifelsohne nicht erreicht worden, wobei, wie ich hinzusetzen darf, von dem Standpunkt, den ich eben vertreten habe, diese Entwicklung vorausgesehen werden konnte.
Die Bundesregierung hat durch Beschluß vom 8. Februar 1956, als die Gefahr bestand, daß der Bergmann unter Tage seine Spitzenstellung in der deutschen Lohnskala verlieren würde, in eine Tarifverhandlung zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau und den Unternehmensverbänden eingegriffen und teilweise, allerdings nach vorhergehenden, von diesem Ereignis unabhängigen Beratungen, Hilfen für den Bergbau beschlossen, die in einer Höhe von rund 400 Millionen DM pro anno aus Steuergeldern gegeben worden sind. Damals wurde damit eine Kohlenpreiserhöhung ausgeschlossen, wie sie eingetreten wäre, wenn den Lohnwünschen der Gewerkschaften in vollem Umfang von der Unternehmerseite entsprochen worden wäre. Zu den damals von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen gehörten neben den klei-


(Sabaß)

nen Maßnahmen, worunter ich die Ermäßung der Montanumlage und die Abschreibungsvergünstigungen für Anlagen unter Tage verstehe, vor allen Dingen die Übernahme des Arbeitgebermehrbetrags zur knappschaftlichen Rentenversicherung von 6,5 % aus Haushaltsmitteln und weiter die hier schon wiederholt angeführte Bergarbeiterprämie und deren Finanzierung aus Steuermitteln.
Bei der Übernahme des Arbeitgeberanteils, soweit es sich um den Mehrbetrag von 6,5 % zur knappschaftlichen Rentenversicherung handelte, geht es um folgendes: Wegen der starken Gefährdung der bergmännischen Arbeit unter Tage sind die Sätze zur knappschaftlichen Rentenversicherung außerordentlich hoch. Sie betragen zusammen 22,5 % der Lohnsumme, wovon 14,5 % vom Arbeitgeber und 8 % vom Arbeitnehmer monatlich an die Rentenversicherung abzuführen sind. Die Bundesregierung hat dieses Mißverhältnis ausgeglichen und zugunsten der bergbaulichen Unternehmer den Mehrbetrag von 6,5 % übernommen. Wir haben am 28. Juni dieses Jahres im Haushaltsgesetz 1956/57 diese Ausgabe gebilligt, und ich gebe aus der grundsätzlichen Einstellung, die ich vorhin bekanntgab, der Erwartung Ausdruck, daß diese Leistungen mir vorübergehender Natur sind, bis wir entweder im Rahmen der Montanunion eine Harmonisierung dieser Soziallasten herbeigeführt haben oder durch eine Novelle zum Knappschaftsgesetz neue gesetzliche Grundlagen finden.
Nach dem Montanvertrag ist die Hohe Behörde bzw. sind ihre zuständigen Organe verpflichtet, die Sozialleistungen der Gemeinschaft, d. h. innerhalb der sechs Mitgliedstaaten, aufeinander abzustimmen und Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Man nennt das die Harmonisierung der Sozialleistungen, über die wir im Ausschuß für Sozialpolitik der Montanversammlung laufend beraten und die in einzelnen Ländern auch schon zum Erfolg geführt hat. Soweit ich unterrichtet bin, wird die Bundesregierung nach Abschluß der Rentenreform eine Novelle zum Knappschaftsgesetz vorlegen, durch die dann in einem Fachgesetz einheitliche Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur knappschaftlichen Rentenversicherung festgesetzt werden. Dann ist diese Sache meines Erachtens so weit in Ordnung.
Ich komme nun zu der anderen großen Hilfsmaßnahme, die die Bundesregierung im Februar getroffen hat, und zwar der Einführung der Bergmannsprämie. Um jedes Mißverständnis auszuschließen, möchte ich vorausschicken, daß meine Fraktion im Grunde die Bergmannsprämie als solche bejaht. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß der Bergmann bei seiner schwierigen und gefahrvollen Arbeit unter Tage die, wie ich vorhin schon sagte, Spitzenstellung in der deutschen Lohnskala halten muß und wir jedes Mittel begrüßen sollten, das ihm dieses Einkommen erhält.
Eine andere Frage — die Frage, die die Hohe Behörde beschäftigt hat und die sie in dem Schreiben vom 2. Mai an die Bundesregierung behandelte — ist die, ob die Bergmannsprämie aus öffentlichen Mitteln, also wieder aus Steuergeldern gezahlt werden soll. Sie werden es bei der grundsätzlichen Einstellung, die ich vorhin bekanntgab, verstehen, daß wir es auch da begrüßen würden, wenn auf lange Sicht ein anderer Weg gefunden würde: daß diese Prämie — über den Preis — vorn Unternehmer gezahlt werden könnte. Dabei wollen wir natürlich, das kann schon heute gesagt werden, die Steuerfreiheit, die Versicherungsfreiheit und die Pfändungsfreiheit erhalten. Ich sage das hier so betont, weil wir uns gestern im Montanparlament auch über diese Frage unterhalten haben und gerade an dieser Stelle Herr Kollege Deist den Standpunkt vertrat — ich darf das wohl sagen —, daß die ganze Bergmannsprämie zu Fall komme, wenn die Hohe Behörde ihren Standpunkt aufrechterhalte, daß die Bergmannsprämie aus öffentlichen Mitteln mit dem Montan-Vertrag unvereinbar sei. Das werden wir nicht anerkennen, und wir werden, falls die Hohe Behörde ihren Standpunkt wider Erwarten aufrechterhält, alles tun, um auf anderem Wege das gleiche Ziel zu erreichen.
Ich will jetzt nicht im einzelnen ausführen, wie die Bundesregierung im Februar in die Zwangslage gekommen ist, diese beiden Maßnahmen zugunsten des Verbrauchers zu treffen und die Mittel zur Entlastung der bergbaulichen Unternehmer aus Steuergeldern zur Verfügung zu stellen. Hierzu genügt eine Feststellung. Da im Februar die Gefahr bestand, daß der Bergmann unter Tage seine Spitzenstellung in der Lohnskala verlor, haben sich damals — und das war zu begrüßen — Unternehmer und Gewerkschaften im Bergbau zusammengetan und Lohnerhöhungen vereinbart, die zwangsläufig bei dem hohen Anteil der Lohnkosten an den Selbstkosten des Bergbaus Preiserhöhungen zur Folge gehabt hätten. Diese Preiserhöhungen in dem vollen Ausmaß wollte die Bundesregierung vermeiden und hat daher zu diesen Maßnahmen gegriffen.
Es hat sich also schon damals — es ist wichtig, das festzuhalten — eine Front, ein Kollektiv von Unternehmern und Gewerkschaften gebildet, die ihre gemeinsamen Interessen gegen den Staat bzw. gegen den Verbraucher vertraten. Dabei wurde — das ist auch eine gefährliche Entwicklung — die Tarifhoheit der beiden Partner durch die soeben geschilderten staatlichen Maßnahmen verletzt. Denn ebenso wie es der Staat bei Tarifverhandlungen vermeiden muß, einen Tarifpartner zum Schaden des anderen zu begünstigen, ebensowenig darf er beiden Tarifpartnern den echten Abschluß von Tarifverträgen bzw. die Festlegung von Tariflöhnen durch Versprechungen an beide Teile zu Lasten des Verbrauchers eines Produkts abnehmen. Mehr will ich zu diesen Dingen, die man arbeitsrechtlich noch weiter behandeln könnte, nicht sagen. Es genügt festzustellen, daß sich dieses gute Einvernehmen zwischen Unternehmensverbänden und IG Bergbau bis auf den heutigen Tag erhalten hat, was meine folgenden Ausführungen beweisen werden, ohne daß ich darauf näher eingehe.
Ich habe einleitend gesagt, daß die Bundesregierung beim Abschluß des Montan-Vertrags ihre Souveränität über Kohle und Stahl an die Organe der Gemeinschaft abgegeben hat und daß wir seit 10. Februar 1953 für Kohle und Stahl einen gemeinsamen Markt haben, in dem die Preisregelungen der Gemeinschaft gelten. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister ist nach dem Vertrag hierfür also nicht mehr zuständig. Die Preisentwicklungen werden von der Hohen Behörde in Luxemburg nach den Vertragsbestimmungen überwacht. Dabei hat die Hohe Behörde nach Art. 3 Buchstabe c des Montanvertrags — ich lese aus dem Vertrag mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vor —
auf die Bildung niedrigster Preise dergestalt
zu achten, daß diese Preise nicht eine Erhö-


(Sabaß)

hung der von denselben Unternehmen bei anderen Geschäften angewandten Preise oder der Gesamtheit der Preise während eines anderen Zeitabschnitts zur Folge haben; hierbei sind die erforderlichen Abschreibungen zu ermöglichen und den hereingenommenen Kapitalien normale Verzinsungsmöglichkeiten zu bieten;
Die Erfüllung dieser Vorschrift ist nur möglich, wenn auf dem gemeinsamen Markt freie Preise herrschen und sich die Hohe Behörde lediglich darauf beschränkt, die Beachtung der eben verlesenen Preisvorschrift zu überwachen.
Da bei der Eröffnung des gemeinsamen Marktes die deutschen Kohlenpreise — und das ist eine Besonderheit der deutschen Kohlenwirtschaft — 30 bis 35 % unter dem Niveau des Preisstandes aller Mitgliedstaaten für die entsprechenden Kohlensorten lagen, war eine plötzliche Anhebung des deutschen Kohlenpreises auf dieses Niveau natürlich nicht möglich. Ähnliche Verhältnisse lagen auch in Belgien vor. Die Hohe Behörde wandte für die Preisfestsetzung bei deutscher Kohle daher den Art. 61 Buchstabe a des Montanvertrages an, der das sogenannte Höchstpreissystem vorschreibt. Nach diesem Höchstpreissystem wurden praktisch von der Hohen Behörde die deutschen Kohlenpreise festgesetzt. Wir hatten also von 1893, der Schaffung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats an bis zum Eintritt in die Montanunion am 10. Februar 1953 im Bergbau den politischen Preis, weder Kosten- noch Marktpreis, und seitdem zunächst einen Höchstpreis nach den Bestimmungen des Montanvertrags.
Es war nun klar, daß sowohl der deutsche Bergbau wie auch die Hohe Behörde das Ziel haben mußten, dieses Höchstpreissystem als eine Ausnahmeregelung für Deutschland in gewisser Zeit aufzuheben. Im Zuge anderer Verhandlungen des deutschen Bergbaus mit der Hohen Behörde wurde dann am 31. März dieses Jahres das Höchstpreissystem aufgehoben, so daß wir seit 1. April in der Lage sind, unsere Preise im Bergbau unter Beachtung der grundsätzlichen Preisbestimmung des Art. 3 Buchstabe c des Montanvertrages selbst festzusetzen. Theoretisch könnte der deutsche Bergbau heute also nach den Wettbewerbsregeln in der freien Marktwirtschaft den höchsten Preis fordern, der zu erzielen ist. Die Preisanhebung, die damit verbunden wäre, würde nun in einem solchen Ausmaß erfolgen, daß man sie dem deutschen Verbraucher innerhalb weniger Monate nicht zumuten kann.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217405800
Herr Kollege, Sie haben mich gelegentlich gefragt, ob ich Verlesungen gestatte. Zitate gestatte ich recht gern. Auch bei außenpolitischen Debatten können hier und da Passagen verlesen werden; sie müssen formuliert sein. Auch wenn Zahlen vorgetragen werden, können sie abgelesen werden. Im übrigen schreibt die Geschäftsordnung vor, daß in freier Rede gesprochen wird. Ich möchte diesen Modus auch deswegen empfehlen, weil eine freie Rede die Aufmerksamkeit des Hauses für den Redner sehr viel mehr erreicht als eine vorgelesene Schreibe.

(Beifall.)


Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217405900
Ich danke dem Herrn Präsidenten. Ich will in diesem Sinne fortfahren.

(Abg. Lücke: Das gilt allgemein!)

Die Bundesregierung hat sich daher schon vor dem 31. März 1953 eingeschaltet, und die Unternehmervertreter des Bergbaus haben aus der gleichen Erkenntnis die Zusage abgegeben, daß sie sich vor weiteren Preiserhöhungen ab 1. April mit der Bundesregierung ins Einvernehmen setzen würden, weil die Bundesregierung im Interesse der gesamten Wirtschaft selbstverständlich daran interessiert war, über die Preisentwicklung bei der Kohle laufend unterrichtet zu sein bzw. darauf Einfluß zu nehmen. In Verbindung mit der Freigabe der Höchstpreise und der Einführung freier Preise ab April hat die Hohe Behörde dem deutschen Bergbau eine Preiserhöhung von im Durchschnitt 2 DM je Tonne gestattet, womit eine Unterkostendeckung ausgeglichen war, die von der Hohen Behörde selbst festgestellt wurde und die sie durch elf Wirtschaftsprüfer hat nachprüfen lassen, davon zwei holländische, die unabhängig voneinander etwa zum gleichen Ergebnis kamen; danach betrug die Unterkostendeckung im Bergbau damals 2,15 DM/t absatzfähiger Produktion.
Am 10. Juli dieses Jahres hat dann der Ruhrkohlenbergbau — auch wieder im Einvernehmen mit der Bundesregierung — eine kleine Preisanhebung für Steinkohlenbriketts und Brechkoks von 5 Pf/t vorgenommen. So hat sich das im Schnitt über alle 75 Sorten der drei Ruhrkohleverkaufsgesellschaften ausgewirkt.
Die entscheidende Preiserhöhung, über die sowohl der Herr Bundeswirtschaftsminister als auch der Herr Wohnungsbauminister sprachen, erfolgte am 20. Oktober dieses Jahres. Dabei wurden die Preise für die Steinkohle um 4,10 DM/t angehoben, der Preis für Brechkoks um 5,90 DM/t und der Preis für Hochofenkoks um 6,60 DM/t.
Wie ist es nun zu dieser erheblichen Preiserhöhung gekommen, und wie haben sich dabei Bundesregierung und die Unternehmensverbände verhalten? Der Grund, weshalb diese Preiserhöhung durchgeführt wurde, ist in der verkürzten Arbeitszeit im Bergbau zu suchen, die ab 1. Oktober dieses Jahres eingeführt wurde. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat schon auf das Arbeitszeitabkommen vom 4. Mai dieses Jahres in Bremen hingewiesen, wo zunächst zwischen der eisenverarbeitenden Industrie und der Industriegewerkschaft Metall eine Arbeitszeitverkürzung vereinbart wurde, die die Industriegewerkschaft Bergbau veranlaßte, eine ähnliche Regelung für den Bergbau unter Tage zu verlangen.
Es war klar, daß bei den besonderen Verhältnissen unter Tage die Schichtzeit nicht weiter verkürzt werden konnte, und so haben sich die beiden Tarifpartner in einem sogenannten Dreistufenplan, dessen Durchführung auf mehrere Jahre verteilt sein soll, darauf geeinigt, eine Arbeitszeitverkürzung derart vorzunehmen, daß am Ende der dritten Stufe der Bergmann unter Tage eine Wochenschicht von 35 Wochenstunden verfährt. In der ersten Stufe, die am 1. Oktober dieses Jahres begann und bis zum 31. Dezember 1958 Gültigkeit haben soll, sind dem Bergmann unter Tage zusätzlich zu seinen tariflichen Urlaubstagen 12 Arbeitstage pro Jahr als bezahlter Urlaub zu gewähren; in dem letzten Vierteljahr 1957 sollen 2 bezahlte Urlaubstage gewährt werden, wobei. der Förderausfall des einen Urlaubstags durch eine Nachholschicht an einem Feiertag, die mit 150 % Lohnaufschlag bezahlt wird, wieder ausgeglichen werden soll.


(Sabaß)

Durch diese Arbeitszeitverkürzung ist wirklich nachweisbar eine Erhöhung der Lohnkosten im Bergbau eingetreten, die zwangsläufig zu einer Preiserhöhung führen mußte. Insoweit kann man also die am 20. Oktober dieses Jahres erfolgte Preiserhöhung anerkennen.
Anders liegt es aber bezüglich der von den Unternehmern erhobenen Bergarbeiterwohnungsbauabgabe. Ich komme jetzt zu diesem Kapitel und darf zunächst auf die Ausführungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers verweisen, wobei ich allerdings bemerke, daß wir mit den Maßnahmen der Regierung nicht in allen Punkten einverstanden sein können.
Der Bergbau hat Jahrzehnte hindurch bis zum Jahre 1951 die notwendigen Bergarbeiterwohnungen aus eigenem gebaut. Er hat dabei Hervorragen-. des geleistet. Ich erinnere an die großen Siedlungen von Krupp und anderen großen Gesellschaften, die im Ruhrgebiet bekannt und mustergültig sind. Im Jahre 1951 hat man auf einmal den Standpunkt vertreten, daß man dem Unternehmer diese selbstverständliche Aufgabe nicht mehr anvertrauen könne und aus Sondermitteln bzw. öffentlichen Mitteln den Bergarbeiterwohnungsbau zu finanzieren habe. So kam es zunächst zum Bergarbeiterwohnungsbaugesetz vom 23. Oktober 1951 mit der ersten Novelle, die eine Halbierung der Abgaben brachte. Dann hat die Bundesregierung am 1. Juli 1955 durch Anordnung des Bundesfinanzministers die Bergarbeiterwohnungsbauabgabe um 90 % für den Verbraucher gestundet, d. h. der Verbraucher brauchte diesen Teil der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe im sogenannten Anhängeverfahren nicht mehr abzuführen, sondern die 90 Pf gingen zugunsten der Unternehmer in den Preis. Hierzu liegt Ihnen die 2. Novelle vor, über die vorhin der Herr Bundeswohnungsbauminister gesprochen hat.
Es muß klar gesagt werden, daß diese Methode, einen wesentlichen Bestandteil eines Gesetzes durch Verwaltungsanordnung außer Kraft zu setzen, nicht die Billigung des Parlaments finden kann. Es war ursprünglich die Absicht der Bundesregierung, durch die Vorlage der zweiten Novelle diese Maßnahme vom 1. Juli 1955 zu sanktionieren. Das ist nun nicht mehr notwendig, weil wir auf Grund der selbständigen Maßnahme der Unternehmer, in den erhöhten Preis 2 Mark Bergarbeiterwohnungsbauabgabe einzubeziehen, vor veränderten Tatsachen stehen.
Es ist heute so — damit komme ich auf einen hier vorliegenden Antrag zurück —, daß wir den Bergarbeiterwohnungsbau aus vier Quellen finanzieren:
Die Hohe Behörde in Luxemburg hat eine Untersuchung über den Bedarf an Bergarbeiterwohnungen in der Gemeinschaft durchgeführt. Dabei ist von den Bergbauunternehmen ein Bedarf von 10 000 Wohnungen angegeben worden, und in dem ersten Versuchsprogramm, das von der Hohen Behörde durchgeführt wird, sind von ihr 50 Millionen DM für die Durchführung dieses Programms zur Verfügung gestellt worden.
Die zweite Methode ist das Bergarbeiterwohnungsbaugesetz.
Die dritte Möglichkeit der Finanzierung von Bergarbeiterwohnungen besteht jetzt — ab 20. Oktober dieses Jahres — über den Preis.
Schließlich hat die sozialdemokratische Fraktion jetzt dem Hohen Hause noch die Drucksache 2858 vorgelegt, nach der 150 Millionen aus Haushaltmitteln zur Finanzierung des Bergarbeiterwohnungsbaues zur Verfügung gestellt werden sollen.
Diese vier Möglichkeiten der Finanzierung machen es notwendig, daß sich der Ausschuß für Wohnungsbau mit dieser Frage erschöpfend beschäftigt und wieder gesetzliche Grundlagen schafft, die von Bundesregierung und Unternehmern im Bergbau anerkannt werden, damit dann wieder eine einheitliche Linie zur Deckung des Bedarfs an Bergarbeiterwohnungen vorhanden ist.
Ich darf hier einschalten, daß ich aus diesem Grunde den Herrn Präsidenten bitte, diesen Antrag an den Ausschuß für Wohnungsbau überweisen zu lassen.
Nun eine abschließende Bemerkung zur Frage der Preise. Ich muß darauf hinweisen, daß alle Preise, über die wir sprechen, Preise ab Zeche sind, Preise der Erzeuger, und daß sich der Preis für den Verbraucher — und das ist ja die Hauptsache — natürlich ganz anders ausnimmt, weil in ihm zusätzlich die Handelsspannen aus dem Handel erster und zweiter Hand, aus dem Kohleneinzelhandel, die Saison-Ab- und Zuschläge und vor allen Dingen die Frachten in Erscheinung treten. So ist es auch zu erklären, daß der Verbraucher frei Keller einen erheblich höheren Preis bezahlt; denn er muß beispielsweise bei der letzten Erhöhung von 4,10 DM pro Tonne Steinkohle einen Mehrpreis frei Keller von etwa 35 bis 40 Pf pro Zentner zahlen.
Nun ist es klar — und die bisherigen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers und auch des Kollegen Bleiß haben das bestätigt —, daß wir im Augenblick mit unserer heimischen Förderung den Verbrauch in Deutschland nicht decken können und gezwungen sind — da wir die vorhandenen wirtschaftlichen Verflechtungen, Ein-und Ausfuhr von Kohle im Raum der Gemeinschaft und von dritten Ländern, weiterführen müssen —, laufend zusätzliche Mengen an Steinkohle nach Deutschland einzuführen. Wir führen einen Teil — aber nur einen geringen Teil — dieser Steinkohlenmengen aus Polen, der Tschechoslowakei und der Zone ein, worauf vorhin schon kurz verwiesen wurde. Die Hauptmenge kommt aber aus Amerika, und diese Einfuhr hat sich — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen — von 1951 bis 1955 wie folgt entwickelt: Von 5,8 Millionen t ist sie auf 7,3 Millionen t gestiegen, 1953 auf 3,4 Millionen t gefallen, im Jahre 1954 brauchten wir nur 1,8 Millionen t und 1955 7 Millionen t. In diesem Jahre werden wir voraussichtlich 12 Millionen t aus den USA einführen, und die Menge wird im nächsten Jahr vermutlich 20 Millionen t betragen.
Nun sind die Preise für amerikanische Kohle — und das ist eine entscheidende Frage für den Verbraucher — weit höher als die Preise für die Kohle aus unserer Förderung; sie liegen im Durchschnitt um 35 bis 40 DM die Tonne höher als für Kohle entsprechender Sorten in Deutschland. Beim Koks beträgt der Mehrpreis bis zu 70 DM die Tonne. Diese zwei unterschiedlichen Preise sind wohl die wichtigsten. Es ist nun klar, daß wir mit allen Mitteln versuchen müssen, eine so breite Preisspanne zu verringern, da wir ja die Gewißheit haben, in den nächsten Jahren laufend amerikanische Kohle einführen zu müssen. Wie die Verringerung geschehen soll, weiß im Augenblick —


(Sabaß)

das bekenne ich offen — keiner. Die Hohe Behörde behandelt dieses Problem seit Wochen. Den Ausschuß für Fragen des Gemeinsamen Marktes in Luxemburg hat das Problem auch beschäftigt, und wir haben sowohl die Ausgleichskasse wie einen gelenkten Import an bestimmte Verbraucher neben der Versorgung bestimmter Gebiete behandelt. Aber in der gestrigen Debatte des Montanparlaments, wo dieses Mißverhältnis behandelt wurde, das in allen Ländern der Gemeinschaft besteht, konnte sowohl von den Mitgliedern wie auch von den Vertretern der Hohen Behörde kein eindeutiger Vorschlag gemacht werden. Wir begrüßen und unterstützen aber jede Maßnahme, die die große Preisspanne, von der ich eben sprach, beseitigt und den Preis von Importkohle dem Preis der deutschen Kohle annähert.
Auf die Bedarfsdeckung, d. h. die Versorgung des deutschen Verbrauchers, brauche ich im einzelnen nicht einzugehen, da der Herr Bundeswirtschaftsminister eingehende Zahlen gegeben hat. Ich verweise in diesem Zusammenhang aber auch auf die Drucksache 2824, die der Bundeswirtschaftsminister am 30. Oktober dieses Jahres vorgelegt hat, worin er erschöpfende Angaben über die Entwicklung der deutschen Förderung, die allgemeine Kohlenversorgung und die Kohleneinfuhren machte. Ich möchte nur zu den schon gegebenen Zahlen über die Bestände bei den deutschen Verbrauchern besonders 'darauf hinweisen, daß der deutsche Hausbrandverbraucher fast überhaupt keine amerikanische Kohle bezieht oder erhält. Wir haben tatsächlich die erfreuliche Erscheinung, daß bis Ende Oktober dieses Jahres die Lieferungen an den Hausbrand 1,9 Millionen t mehr betrugen als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Wo diese Mengen stecken, kann man mit Eindeutigkeit nicht sagen. Man kann nur feststellen, daß die Lager der Händler und Einzelhändler diese Bestände nicht aufweisen, sondern überwiegend leer sind, und muß daraus folgern, daß sich die Verbraucher aus den Erfahrungen des vergangenen harten Februar und auch wegen der kalten Witterung im vergangenen Sommer mit diesen Mehrmengen eingedeckt haben. Dabei ergibt sich die weitere Frage, ob diese Mengen für einen zusätzlichen Verbrauch im kommenden Winter noch zur Verfügung stehen oder schon in den kalten Sommermonaten verbraucht worden sind. Hierüber haben wir keine Unterlagen; auch die Gemeinschaft und die Bundesregierung können diese Feststellungen nicht treffen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus meinen Ausführungen über die Preisentwicklung für deutsche Kohle und die wachsenden Kohlenimporte mit höheren Preisen sehen Sie, daß wir bei einer weitsichtigen Kohlenwirtschaftspolitik, die sich streng an die Bestimmungen des Montanvertrages hält, automatisch dazu kommen können — —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217406000
Herr Kollege, ich muß doch noch einmal bitten, dem Gebot der Geschäftsordnung, in freiem Vortrag zu sprechen, möglichst nachzukommen. Gleichzeitig darf ich bitten, zu erklären, auf welche Umdrucke sich Ihr Antrag auf 'Überweisung an den Ausschuß für Wohnungsbau bezieht, ob auf Umdruck 841, 842, 846 oder auf die Drucksachen, die auf der Tagesordnung stehen. Es könnte nämlich sein, daß ein Mißverständnis vorliegt.

Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217406100
Herr Präsident, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Mein Antrag auf Überweisung der Vorlagen an den Ausschuß für Wohnungsbau bezieht sich auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau Drucksache 2356 und auf den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bergarbeiterwohnungsbau Drucksache 2858.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217406200
Danke schön! Dann ist die Sache geklärt.

Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217406300
Wenn wir in dieser Richtung Kohlenwirtschaftspolitik auf weite Sicht treiben, dann können wir folgende Ziele erreichen, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus meiner Vorlage kurz vortragen darf.

(Heiterkeit.)

Wir würden eine Kohlenwirtschaftspolitik treiben können, die, genau nach den Bestimmungen des Montanvertrages, entscheidend dazu beiträgt, daß das Ziel des gemeinsamen Marktes auch durch deutschen Beitrag erreicht wird. Damit würde die Hohe Behörde in die Lage versetzt sein, ihre Mitarbeit bei der Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Europa eher zu verwirklichen, und wir würden dem Ziele eines vereinigten Europa näherkommen.
Nach Erzielung eines wirklichen Marktpreises für deutsche Kohle würde die Lieferung der wertvollen deutschen Kokskohle zu Unterpreisen in andere Länder von selbst aufhören, der Sog auf unsere Kohle von außen würde nachlassen, und größere Brennstoffmengen aus deutscher Förderung würden dem deutschen Verbraucher zur Verfügung stehen.
Diese Maßnahmen hätten notwendigerweise ein Nachlassen der teuren Importe für deutsche Verbraucher zur Folge.
Ein Marktpreis würde es den Bergbauunternehmen ermöglichen, auf Subventionen aus Steuermitteln zu verzichten und alle Aufgaben über den Preis zu erfüllen. Damit würden wir in einer freien Marktwirtschaft auch wieder echte Unternehmer haben, die ihre Unternehmeraufgaben in voller eigener Verantwortung erfüllen können und nicht neue Unternehmeraufgaben aus öffentlichen Mitteln finanzieren lassen müssen.
Herr Präsident, ich bin auf Grund Ihrer Einreden am Schluß und darf jetzt für die vorliegenden Anträge folgende Überweisungsanträge vortragen. Ich bitte, den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sofortprogramm für den Kohlenbergbau auf Drucksache 2021 an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — federführend — und an die Ausschüsse für Finanz- und Steuerfragen und für Wohnungsbau — mitberatend — zu überweisen.
Die Anträge für die Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 2356 und 2858 habe ich bereits gestellt.
Dann liegt dem Hohen Hause ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP auf Umdruck 846 vor. Ich bitte, diesen Antrag an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als mitberatenden Ausschuß zu überweisen.
Ferner liegen zwei Anträge auf den Umdrucken 841 und 842 vor, deren Begründung im einzelnen


(Sabaß)

ich mir ersparen will. Ich weise nur darauf hin, daß durch beide Anträge erreicht werden soll, den hohen Preis für Importkohle in Teilgebieten zu ermäßigen. Der Antrag auf Umdruck 841 bezieht sich auf das Gebiet der Frachten. Diesen Antrag bitte ich an den Ausschuß für Verkehrswesen — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — mitberatend — zu überweisen. Den Antrag auf Umdruck 842, der eine Steuerfrage betrifft und praktisch das Ziel hat, die Importkohle von der Umsatzausgleichsteuer zu befreien, bitte ich an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitberatenden Ausschuß zu überweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217406400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0217406500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich zu meinem Bedauern aus faktischen und rechtlichen Gründen gezwungen, hinsichtlich der Erklärungen des Herrn Kollegen Sabaß eine Richtigstellung vorzunehmen. Er charakterisierte die Bergmannsprämie als eine Lohnsubvention, während sich die Bundesregierung und, ich glaube, das ganze Hohe Haus darüber einig sind, daß es sich hier nicht um eine Lohnsubvention, sondern um ein echtes Privileg des Untertagebergarbeiters handelt. Dieses Privileg wird nicht nur dem Steinkohlenbergarbeiter, sondern auch allen übrigen Untertagearbeitern zuteil. Die Bergmannsprämie wird ohne Rücksicht auf Alter und Familienstand pro Schicht in gleicher Weise gezahlt. Eine Auslegung. wie sie hier von Herrn Abgeordneten Sabaß vorgenommen worden ist, wäre geeignet, die Bergmannsprämie als mit dem Montanvertrag nicht im Einklang befindlich zu erklären.

(Beifall in der Mitte und rechts.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217406600
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217406700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß ich mich nachher kritisch mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auseinanderzusetzen habe, kann mich nicht der Pflicht entheben, nach den Darlegungen des Kollegen S a b aß ebenfalls ein Wort zur Bergarbeiterprämie zu sagen, weil es mir wichtig erscheint, daß über die Meinung dieses Hauses, jedenfalls soweit meine Fraktion in Frage kommt, keinerlei Zweifel bestehen kann. Wir wissen, daß dem Bergarbeiter unter Tage eine harte Arbeit unter Verhältnissen zugedacht wird, die keinem anderen arbeitenden Menschen zugemutet werden. Wir waren der Auffassung, daß dafür etwas Besonderes getan werden müsse. Wir waren ebenso überzeugt, daß die Privilegierung des Bergarbeiters, die Sondervergütung für seine exzeptionelle Lage nicht über die Lohngestaltung und über die üblichen Formen herbeigeführt werden konnte. Darum haben wir — soweit ich weiß, einstimmig -- der Bergarbeiterprämie zugestimmt. Wir waren der Auffassung, das sei eine Art Ehrensold oder, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben erklärt hat, ein Bergarbeiterprivileg, und wir möchten, daß darüber kein Zweifel bestehen kann.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

Ich bedauere es außerordentlich, daß durch den Redner der größten Fraktion — —

(Abg. Sabaß meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217406800
Herr Kollege Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217406900
Darf ich den Satz zu Ende sprechen. — Ich bedauere es außerordentlich, daß durch den Redner der größten Fraktion dieses Hauses hier zumindest eine Zweideutigkeit entstehen konnte, die beim augenblicklichen Stand der Verhandlungen und des Verfahrens im Rahmen der Montanunion höchst unerwünscht ist.
Bitte sehr!

Wilmar Sabaß (CDU):
Rede ID: ID0217407000
Herr Deist, haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe: wir bejahen die Bergarbeiterprämie, und daß ich mich nur darüber ausgelassen habe, wie die Mittel dazu aufkommen? Ist Ihnen außerdem, Herr Deist, nicht in Erinnerung, daß wir beide in der gestrigen Debatte im Montanparlament Herrn Etzel gebeten haben, die Bergarbeiterprämie jetzt mit dem Montanvertrag als für vereinbar zu erklären? Das kam aus Ihrem Munde und aus meinem Munde und soll deshalb auch hier festgestellt werden.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217407100
Darum erscheint es mir so merkwürdig, Herr Sabaß, daß Sie vorhin eine derartige Begründung gegeben haben. Jetzt darf ich Sie an die gestrige Debatte in Straßburg erinnern und an das, was ich dort ausgeführt habe. Die Hohe Behörde machte sich dieselbe Argumentation zu eigen. Sie sagte: Gegen die Bergarbeiterprämie sind wir nicht, wir halten sie für richtig, aber die Art der Finanzierung wünschen wir nicht. — Dabei ist das Kriterium der Bergarbeiterprämie die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, und wer gegen diese Art der Finanzierung ist, torpediert praktisch die Bergarbeiterprämie

(Beifall bei der SPD.)

Um diesen Eindruck zu vermeiden, fühlte ich mich am Beginn meiner Ausführungen zu dieser Erklärung verpflichtet. Damit möchte ich das Kapitel Bergarbeiterprämie abschließen.
Herr Sabaß gibt mir Anlaß, zu einer zweiten Frage Stellung zu nehmen. Er hat auf die Zuständigkeit der Montanunion hingewiesen und hat zum Ausdruck gebracht, daß der Montanunions-Vertrag gewisse Grenzen stecke und daß wir hier eigentlich nicht so ganz zuständig seien für gewisse Dinge der Kohlenversorgung, die sich in Deutschland tun.
Ich möchte zunächst zu meiner Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung diese Argumentation nicht angewandt hat. Ich möchte aber dem Kollegen Sabaß folgendes sagen. Ihm kann nicht unbekannt sein, daß der Abschluß des Montanunions-Vertrags auf die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses zurückzuführen ist. Man war also bereit, die Konsequenzen einer solchen Zusammenarbeit in Kauf zu nehmen, und hat nunmehr auch für sie einzustehen und darf sich nicht auf Zuständigkeitsfragen zurückziehen.
Außerdem gibt es bei der Montanunion einen Ministerrat, in dem die deutsche Regierung durch einen Minister vertreten ist. Der Minister ist uns


(Dr. Deist)

dafür verantwortlich, daß der Ministerrat für eine zweckmäßige Regelung der Dinge innerhalb der Montanunion Sorge trägt. Auch aus diesem Grunde gehört also die Frage hierher.
Noch eine dritte Bemerkung hierzu! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 276 meines Erachtens zu Recht darauf hingewiesen, daß sie die faktische Verantwortung für die Kohlenversorgung trägt. Das möchte ich hier unterstreichen. Wenn die Montanunion und ihre Organe nicht in der Lage sind, die Kohlenversorgung in Ordnung zu bringen, kann sich keine Regierung darauf berufen, daß das die Verantwortung der Montanunion sei und die Regierung des Landes damit nichts zu tun habe. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß ich sehr froh bin, daß diese Argumentation von der Bundesregierung nicht aufgenommen worden ist, sondern daß sie sich hier gestellt hat und daß wir mit ihr über die Kohlenversorgung diskutieren können.
Damit möchte ich meine Vorbemerkungen abschließen. Ich komme nunmehr zum Herrn Bundeswirtschaftsminister.

(Heiterkeit.)

Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben das Lied „Alle Jahre wieder" gesungen —

(Heiterkeit)

beinahe jedes Jahr im Herbst dasselbe Spiel: düstere Voraussagen über die schlechte Kohlenversorgungslage, die da kommen würde. Ich hatte den Eindruck, daß Sie ein Konzept vor sich hatten, das zum mindesten einige Jahre überaltert ist, und daß Sie Ihre Konzepte daraufhin überprüfen sollten.

(Heiterkeit.)

Ich habe auch die Frage, wer eigentlich im vergangenen Jahr düstere Prophezeiungen und düstere Voraussagen gemacht hat. Wir haben im vergangenen Herbst nicht einmal eine Kohlendebatte in diesem Hause gehabt. Und wenn Sie gehört haben, was mein Kollege Bleiß heute und, wenn ich nicht irre, vor neun Monaten hier ausgeführt hat, dann haben wir da wohl eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Situation auf dem Kohlengebiet gehabt, aber ich glaube, nicht etwas, das Sie berechtigt, von düsteren Voraussagen zu sprechen, die sich wieder einmal nicht eingestellt hätten.

(Abg. Jacobi: Das kam von dem Referenten und war im Manuskript stehengeblieben!)

Ich meine, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn wir uns auf eine sachliche Auseinandersetzung einigen wollen, dann sollte man derartige Bemerkungen doch nach Möglichkeit unterlassen, zumal sie der Sache nicht dienen und außerdem, wie mir scheint, den Tatsachen nicht ganz entsprechen.
Die Bundesregierung hat auch heute wieder dargelegt, was alles geschehen sei, daß sich die Hausbrandversorgung im Grunde genommen wesentlich gebessert habe und daß eigentlich alles großartig sei. Jetzt werde ich Ihnen nicht den Gefallen tun, zu sagen, was im Februar nächsten Jahres geschehen wird, etwa Prophezeiungen zu machen, sondern ich werde mich mit Ihnen über das unterhalten, was heute auf dem Tisch des Hauses liegt.
Um der Sache einige Würze zu geben: Die Methode, die hier angewandt wird, scheint international zu sein. Ich habe hier nämlich eine Nummer des „Le Monde" vom 1. 11. 1956 vorliegen, und ich darf den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis bitten, da ich im übrigen frei spreche, diese Bemerkungen aus dem Manuskript zu nehmen. Dort steht:
Während offizielle Stellen weiterhin das Bestehen eines Kohlenmangels dementieren, ist der Verbrauch wachsenden Versorgungsschwierigkeiten ausgesetzt. In Paris ist es ebenso wie in der Provinz unmöglich geworden, die Kohlenkeller in Erwartung der kalten Jahreszeit vorsorglich zu füllen. Wie erklärt sich dieser Widerspruch zwischen dem offiziellen Optimismus und den Schwierigkeiten der Konsumenten?
Das ist in Paris. Die Regierungen scheinen sich unter dem Gesichtspunkt der Einheit in der Montanunion abgesprochen zu haben,

(Heiterkeit bei der SPD)

daß man diese Beschönigungsmethode einheitlich anwendet, damit die Unterschiede nicht so stark in Erscheinung treten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, in Ihrer Erklärung auf die Kleine Anfrage Nr. 276 sagen Sie ganz in derselben Methode, auch im kalten Februar 1956 habe es keine ernsten Versorgungsstörungen gegeben. Nun, es kommt darauf an, was man „ernst" nennt. Sie wissen, in der Montanunion streitet man sich darüber, ob ernste Mangellage oder nur eine normale Mangellage vorliege, und hier kann man natürlich auch verschiedener Meinung sein. Ich konzediere Ihnen: Große Betriebsstillegungen, Stillegungen von Krankenhäusern, und was weiß ich, hat es nicht gegeben. Aber es hat die Notwendigkeit dauernder kümmerlicher Aushilfsmaßnahmen gegeben, um Schwierigkeiten zu beseitigen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich persönlich kenne eine größere Anzahl von Menschen — Rentner und andere kleine Einkommensbezieher —, die in jener Zeit tagsüber im Bett liegen mußten, weil sie nicht in der Lage waren, ihre Kohlen zu normalen Preisen einzukaufen, und sonst hätten frieren müssen. Ich könnte Ihnen Namen und Adressen solcher Leute angeben.
Und, Herr Bundeswirtschaftsminister, nur um Ihre Beschönigungsaktion etwas zu korrigieren, darf ich Ihnen sagen: Ich habe hier einen Laufzettel des Bayerischen Kohlenhandelsverbandes in München vom Oktober 1956 vorliegen. Ich nehme an, daß er Ihnen nicht ganz unbekannt geblieben ist. Darin heißt es „zur Aufklärung der Brennstoffverbraucher":
Wie aus wiederholten Pressenotizen bekannt ist, reichen die zur Verfügung stehenden Koksmengen aus inländischer Kohle nicht aus, den Bedarf für Hausbrand, Gewerbe, Anstalten und Behörden voll zu decken. Der Kohlenhandel ist deshalb gezwungen, grundsätzlich auch Koks aus teurer Importkohle zu beziehen. Aus dem gleichen Grunde muß sich der Kohlenhandel auch mit Kohle aus dem Ausland eindecken.
Und dann heißt es:
Ich bitte um Verständnis, daß Sie eine anteilige Abnahme der teuren Brennstoffe in Rechnung ziehen müssen.
Es liegt gleich eine Rechnung dabei. Da wird nämlich dieses Koppelgeschäft gemacht: Wer 20 t Brechkoks aus dem Ruhrgebiet haben will, muß zugleich


(Dr. Deist)

20 t Brechkoks aus den USA nehmen. Ob sich das noch mit der beschönigenden Methode verträgt, zu behaupten, daß alles in Ordnung sei, ist mir sehr zweifelhaft.
Sehen Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, darum glaube ich, daß man auf die Versorgungslage wohl doch etwas näher eingehen muß, als das durch Sie und den Kollegen Sabaß geschehen ist. Denn die Tatsache, daß, seit wir die Anfrage ein-. gebracht haben — das sind elf Monate her — und seitdem wir sie zuerst besprochen haben — das sind zehn Monate her —, eine so lange Zeit vergangen ist, enthebt Sie ja nicht der Verpflichtung, zur augenblicklichen Versorgungslage, die urbi et orbi in Deutschland behandelt wird, konkret etwas zu sagen. Da das, Herr Bundeswirtschaftsminister, durch Sie nicht geschehen ist, darf ich um die Erlaubnis bitten, da einiges nachzuholen.
Zu der Methode der Bagatellisierung darf ich folgendes sagen. Außerordentlich instruktiv ist in dieser Hinsicht Ihre Antwort auf die Kleine Anfrage 276. Die Bundesregierung beantwortet Kleine Anfragen sehr häufig mit 8 bis 10 Seiten; der Sinn eines solchen Verfahrens ist nicht ganz verständlich. Diese hat 71/2 Seiten. In diesen 71/2 Seiten finden sich vier bemerkenswerte Punkte.
Da steht erstens einmal, die Industriebevorratung sei in Ordnung, das Versorgungsproblem betreffe allein Hausbrand und Kleinverbrauch. Ich weiß nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob es eine sehr beruhigende Feststellung ist, daß die Hausbrandversorgung letzten Endes nicht ausreichend sei, während die Industrie glücklicherweise ausreichend bevorratet sei.
Eine zweite Bemerkung findet sich in einer Fußnote; sie ist nicht als würdig nachtet worden, in den Haupttext aufgenommen zu werden. Da steht, das Aufkommen an Inlandskohle für den Absatz sei allerdings geringer als die Fördersteigerung, weil nämlich die Werkselbstverbraucher einen erhöhten Anspruch auf Kokskohle auf Grund ihres Eigentums geltend machen könnten. Das heißt, zugunsten der Eigentümer dieser Kohle, der Bergbaugesellschaften, muß der Hausbrand benachteiligt werden, weil nun einmal aus dem Eigentum der Anspruch auf erhöhte Lieferung besteht. Ich weiß nicht, ob das eine gerechte Verteilung ist.
Dann steht in dieser Antwort, Herr Bundeswirtschaftsminister, die dritte Bemerkung, daß aus technischen Gründen beim Hausbrand gewisse örtliche Schwierigkeiten entstehen könnten. Das ist die Versorgung der revierfernen Gebiete. Wenn es nur technische Gründe sind, dann frage ich mich: Kann eine vorsorgende Wirtschaftspolitik nicht dahin wirken, daß diese „technischen Gründe" überwunden werden und in den revierfernen Gebieten eine ordnungsgemäße Bevorratung zur rechten Zeit erfolgt?

(Beifall bei der SPD.)

Eine vierte Bemerkung findet sich auch an so einer kleinen verlegenen Stelle: gewisse Mengen verteuerter Auslandskohle seien im vergangenen Jahr in den Hausbrand geflossen. „Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß sich diese Entwicklung im laufenden Kohlenwirtschaftsjahr wiederholt."
Wir brauchen also gar nicht sehr viel zu prophezeien. Wir brauchen nur den Text der Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers genau und kritisch zu lesen, um zu sehen, was unter dem rosaroten Gesamtoptimismus, der sowohl diese Antwort wie auch die heutige Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers kennzeichnet, in Wirklichkeit an kritischen Erscheinungen in der Kohlenversorgung herausgestellt wird. Das Ergebnis ist genau dasselbe wie im Vorjahr: daß für die Hausbrandversorgung ungenügend vorgesorgt ist, daß wir, da Auslandskohle wiederum in den Hausbrandsektor kommt, mit einem Preiswirrwarr zu rechnen haben, wobei kein Mensch weiß, ob die Kohle, die er zu höheren Preisen bezieht, nun wirklich Auslandskohle ist oder nicht ganz gute Inlandskohle, und daß wir in den revierfernen Gebieten genau dieselben Schwierigkeiten haben werden.
Ich halte es auch für bei dieser Sachlage nicht angebracht, daß immer davon gesprochen wird, mengenmäßig sei die Kohlenversorgung gesichert, und dann darauf hingewiesen wird, es handle sich ja nur um ein Sortenproblem und ein Preisproblem. Man soll diese Dinge nicht verkennen. Für den Mann auf der Straße, der einen Dauerbrenner für Braunkohlenbriketts hat, ist es keine Entschuldigung, daß es sich nur um ein Mengenproblem handle, wenn er teuere Auslandskohle beziehen muß, die er in seinem Dauerbrenner nicht einmal verbrennen kann. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß wir nach den eigenen Feststellungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht sagen können, das Versorgungsproblem sei gelöst.
Wie hat nun die Bundesregierung das Versorgungsproblem gelöst? Wir haben an der Ruhr drei Verkaufsgesellschaften. Ich will das gar nicht lange aufzählen; das ist eine handfeste Verkaufsorganisation, die da in Wirksamkeit ist, mit der die Hohe Behörde und die Bundesregierung in einem dauernden Ringkampf stehen, um eine einigermaßen vernünftige Versorgung herbeizuführen. Und was ist der Effekt? Die Werkselbstverbraucher bekommen 88 °/o der Zuteilungen der Jahre 1953 bis 1955. Wer die Ruhr kennt, weiß, daß das Theorie ist; sie werden nicht unwesentlich besser beliefert als nach dieser Kontigentierung. Die übrige Industrie bekommt 90 % dieser Zuteilungen, der Hausbrand und Kleinverbrauch bekommt 103 %.
Zunächst einmal zu dem Verfahren! Ist das nicht eine ganz primitive Bewirtschaftungsform im Wege der Kontingentierung nach überholten Referenzperioden?

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich glaube, das muß man bei dieser Gelegenheit doch feststellen.
Und dann noch ein Zweites. Die Bundesregierung weiß genau, daß diese Zuteilung in keiner Weise gesichert ist. Sie hat vielleicht die Kontrolle über die Verteilung von dem Kohlenkartell an der Ruhr auf den Großhandel erster Hand. Aber die Verteilung vom Großhandel erster Hand auf den Großhandel zweiter Hand, die Verteilung vom Großhandel zweiter Hand auf den Kleinhandel, die Verteilung vom Kleinhandel auf den Verbraucher ist eine Sache, die keiner Kontrolle unterliegt. Daher besteht durchaus die Möglichkeit, daß nicht alles, was oben zugeteilt wird, unten bei denen, für die es bestimmt ist, ankommt. Wenn die Bundesregierung das weiß, dann sollte sie sich hier nicht hinstellen und so tun, als ob die Kohlenversorgung geregelt wäre. Ich meine, eine Bundesregierung täte gut daran, die Tatsachen und die Schwierigkeiten offen und klar auszusprechen. Dann kann über ihre Beseitigung gesprochen werden, auch


(Dr. Deist)

wenn wir verschiedener Meinung über den Weg zur Beseitigung sind. Aber die Bagatellisierung und Schönfärberei ist einer solchen Sache nicht angemessen.

(Beifall bei der SPD.)

Lassen Sie mich zu den revierfernen Gebieten noch einiges sagen. Ich habe mit einiger Erschütterung das gelesen, was der Bundeswirtschaftsminister glaubte, auf die Anfrage 276 antworten zu dürfen. Er sagt nämlich, bei den revierfernen Gebieten handle es sich um das Problem der Bevorratung für den Winter. Soweit richtig. Und er sagt weiter, dafür müsse gesorgt werden. Aber da gibt es das System der Sommerrabatte und der Winterrabatte. Und wenn jetzt die revierfernen Gebiete im Süden bevorratet werden, dann bekommen sie die Kohle zu dem billigen Preis mit Sommerrabatt; die an der Ruhr bekommen es nachher mit Winteraufschlag. Da das offenbar zum Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft gehört, müssen die im Süden mit der Bevorratung eben warten. Bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich werde es Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen:
Die nichtrevierfernen Gebiete würden nicht unerheblich benachteiligt, wenn sie den größeren Teil ihres Hausbrandes in den Wintermonaten zu 4,50 bis 5 DM je t höheren Winterpreisen geliefert erhielten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, vielleicht sollte man sich die Antworten, die man unterschreibt, doch etwas genauer ansehen. Es ist kein Trost für die Hausbrandverbraucher in den revierfernen Gebieten, zu wissen, daß der Bundeswirtschaftsminister gemeinsam mit dem Kartell an der Ruhr in seiner höheren Weisheit sehr wohl bedacht hat, daß es leider nicht möglich sei, ihnen im Sommer die Kohlen zuzuführen, und daß sie sich im Winter, wenn Kohlenzüge und Kähne nicht mehr fahren können, mit der Tatsache begnügen müssen, daß immerhin idort oben ihr Anteil liegt, der nun leider wegen der höheren Gewalt nicht herunterkommen kann. Ich finde, das ist eine der verantwortlichen Regierung nicht gemäße Weise 'der Behandlung des Kohlenproblems in revierfernen Gebieten.

(Beifall bei 'der SPD.)

Meine Schlußfolgerung, Herr Bundeswirtschaftsminister — ich sage das betont an Ihre Adresse —: bei dieser Art ist von freier Wirtschaft nicht mehr die Rede. Sie haben ein Bewirtschaftungssystem, zwar nicht unter öffentlicher Verantwortung, sondern unter der Verantwortung privater Kartelle herbeigeführt, das einen primitiven, nicht einmal gekonnten, und unmöglichen Dirigismus darstellt. Warum unmöglich? Sie haben den Hausbrand mit 100 % seiner Zuteilung des vergangenen Jahres gedeckt. Sie wissen, daß die Zahl der bezugsfertigen Wohnungen um etwa 5 % zugenommen hat. Sie wissen, daß im vergangenen Winter der Bedarfszugang gegenüber dem Vorjahr etwa 10 % betragen hat. Ich konzediere, daß nach der Entwicklung in diesem ersten Halbjahr der Bedarfszugang nicht 10 %, sondern vielleicht 7 bis 8 % beträgt. Aber wir müssen statt 103 % mindestens 107 bis 108 % haben, um die Hausbrandversorgung genauso vorzunehmen wie im vergangenen Jahre; also 4 bis 5 % mehr.
Dann hat der Bundeswirtschaftsminister in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage festgestellt, daß der Hausbrand zu 7 % mit USA-Kohle beliefert worden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn für den Hausbrandverbraucher außer den 7 %, die im Vorjahr an USA-Kohle geliefert worden sein sollen, noch eine zusätzliche Lücke von 4 % hinzukommt, dann bedeutet das, daß in diesem Jahr im Hausbrand mehr Einfuhrkohle zu hohen Preisen verheizt werden muß als im vergangenen Jahr, daß also die Schwierigkeiten in diesem Jahr größer sein werden als im vergangenen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte mich nicht auf diese Kritik beschränken, sondern ich möchte die Auffassung vertreten, daß das Problem der Hausbrandversorgung bei einem klein wenig mehr Mut zur Aktivität durchaus lösbar ist. Gestatten Sie mir folgende Rechnung. Wir haben im vorigen Wirtschaftsjahr den Hausbrand mit 33 Millionen t beliefert. Das Mehr von 7 bis 8 %, das wir brauchen werden, macht etwa 2,5 Millionen t. Wir haben im vergangenen Jahr etwa 2 bis 2,5 Millionen t Einfuhrkohle im Hausbrand gehabt. Wenn wir diese Einfuhrkohle durch Gemeinschaftskohle ersetzen wollen und den zusätzlichen Bedarf von 2,5 Millionen hinzurechnen, dann brauchen wir insgesamt 5 Millionen über die Vorjahrsmenge hinaus. 1 Million ist bereits durch die Verhandlungen als zusätzliche Zuweisung an den Hausbrand locker gemacht worden. Das heißt, wir brauchen, um die Schwierigkeiten im Hausbrand zu beseitigen, präter propter 4 Millionen t Kohle zusätzlich. Dann könnten wir jedem Hausbrandverbraucher sagen: Der Einzelhändler, der dir sagt, er habe nicht genügend Inlandskohle, sagt die Unwahrheit; denn der Inlandsbedarf kann nach unseren Dispositionen voll gedeckt werden. Und diese Deckung ist möglich, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wenn ich rechnen kann, sind Sie vorhin einer Fehlrechnung zum Opfer gefallen. Ich weiß nicht, ob Ihr Elektronengehirn so 'schnell rechnet, aber an die Militärdienststellen — ich bitte mich nicht auf jede Stelle hinter dem Komma festzulegen; ich habe schnell gerechnet, aber im Komma habe ich mich nicht vertan, das möchte ich gleich vorweg sagen — sind im Jahre 1955 1,6 % Auslandskohle geliefert worden.
Nach den Kohlewirtschaftszahlen des Unternehmensverbandes Bergbau sind in den Monaten Januar bis Mai 1956 bei insgesamt 1 Million t Kohle an diese Militärdienststellen 24 000 t, das sind 2,4 %, gelaufen, also im Durchschnitt 2 %, so daß die Rechnung meines Freundes Bleiß mit 98 % Inlandsversorgung wohl stimmen dürfte. Wenn Sie das Komma zurücksetzen und statt 20 zwei sagen, dann ist die Rechnung wieder in Ordnung.

(Heiterkeit.)

Es stehen also aus den Lieferungen an Militärdienststellen, deren Steuerung die Bundesregierung ja in der Hand hat, etwa 3 Millionen zur Verfügung.
Nun kommt ein zweites Problem, das auch einmal angesprochen werden muß, das Problem des Werkselbstverbrauchs. Ich stelle die Frage — ich möchte sie hier heute gar nicht beantwortet haben —, ob es wirklich bei einem so wichtigen Grundstoff wie der Kohle richtig ist, daß einige Unternehmen der deutschen Wirtschaft, die aus alter Tradition heraus über Kohlevorkommen verfügen oder deren Gewinnlage durch hohe Preisgestaltung so gut ist, daß sie sich heute das Eigentum an Kohlevorkommen zusätzlich sichern können, ein Vorzugsrecht auf die Belieferung mit Kohle haben,


(Dr. Deist)

während für den Rest allmählich nicht mehr sehr viel übrigbleibt.

(Abg. Spies [Emmenhausen] : So schlimm ist es aber doch nicht!)

— Lassen Sie mich einiges dazu sagen. Vielleicht verständigen wir uns dann besser. Vor etwa einem Jahr hat die SIDECHAR, eine Zusammenfassung der europäischen Eisen- und Stahlindustrie, sich das Werkselbstverbrauchsrecht auf die Kohle der Harpener Bergbaugesellschaft gesichert. In dieser SIDECHAR sind 80 % der französischen Eisen- und Stahlerzeugung zusammengefaßt; d. h. 80 % haben sich auf diese Weise das Werkselbstverbrauchsrecht — sicherlich nur bis zur Lieferungsmöglichkeit von Harpen — gesichert. Und jetzt geht das so weiter. Wem kann man es verdenken, wenn z. B. das Verbundkraftwerk in Nürnberg sagt: Wenn die anderen sich ihre Kohle sichern, dann schließe ich mit Flick einen Vertrag ab und sichere mir durch Beteiligung an einer Bergbaugesellschaft für mein Großkraftwerk Kohle, die an der Ruhr gefördert wird. Und wer wird es der Bundesbahn verübeln, wenn sie Bemühungen anstellt, über den Bundesbesitz an der Hibernia ihrerseits ein Selbstverbrauchsrecht zu bekommen? Ich weiß nicht, wieweit die Bundesregierung über das, was an der Ruhr wirklich vorgeht, unterrichtet ist. Aber immerhin könnte sie erfahren, daß da Tendenzen zu neuen Zusammenlegungen und Konzentrationen im Gange sind, die das Werkselbstverbrauchsrecht noch weiter ausdehnen werden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das ist ein Problem, das doch unter dem Gesichtspunkt einer verantwortlichen Kohlepolitik der Bundesregierung untersucht und geprüft werden müßte.
Wenn ich dann sehe, daß im laufenden Jahre 37 Millionen t Kohle und Koks — das ist ein Drittel der gesamten Förderung — allein an die Werkselbstverbraucher auf Grund des Werkselbstverbrauchsrechts bzw. auf Grund damit gekoppelter Zukaufsverträge laufen. dann bin ich schon der Auffassung, daß es keine Schwierigkeiten macht, daraus weitere 1 bis 2 Millionen abzuzweigen. Und dann ist es möglich, den gesamten Hausbrand in Deutschland mit Gemeinschaftskohle zu versorgen.
Meine Damen und Herren, ich halte es für eine grobe Unterlassungssünde der Bundesregierung, daß sie solche Erwägungen nicht angestellt hat. Vielleicht darf ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister darauf hinweisen, daß ein liberaler Kollege von ihm, der Herr Wirtschaftsminister in Belgien, haargenau diese Methode exerziert, nämlich dafür sorgt, daß der Hausbrandbedarf mit Inlandkohle, mit Gemeinschaftskohle gedeckt wird und daß innerhalb der Industrie ein Preisausgleich herbeigeführt wird. um den unseligen Wirrwarr mehrerer Preise zu beseitigen. Die deutsche Regierung sollte sich überlegen, ob nicht doch, wenigstens für das nächste Jahr — für dieses ist es, wie in so vielen Dingen. zu spät —, solche Überlegungen angestellt werden sollten. Mir scheint richtig zu sein, daß hiernach das Problem einer angemessenen Versorgung des Hausbrandes zu angemessenen Preisen ohne Dirigismus, ohne Bezugscheinsvstem durch volle Belieferung des Hausbrands gelöst werden kann.
Allerdings muß man das wollen. Die Bundesregierung muß das wollen, bzw. sie muß das im
Hinblick auf die ihr gegenüberstehenden Kräfte in der Wirtschaft wollen können. Wenn sie das wollen könnte, dann müßte sie die soziale Verpflichtung empfinden, in dieser Zeit den Hausbrand ordnungsgemäß zu Inlandspreisen zu versorgen und die Dinge nicht so laufen zu lassen.

(Beifall bei der SPD.)

Die Hausbrandpolitik der Bundesregierung ist eine höchst zeitgemäße Illustration der Verbraucherpolitik des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Damit komme ich zu einem zweiten Problem, das ist das Problem des Bergarbeiterwohnungsbaus. Herr Bundeswohnungsbauminister — ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel —, Sie kamen mir in einer etwas merkwürdigen Lage vor, daß Sie eine Vorlage begründen mußten, von der Sie selber sagten, daß die Entwicklung bereits längst über sie hinweggegangen sei. Es scheint also nicht nur das Schicksal des Bundeswirtschaftsministers zu sein, daß er gelegentlich zu spät kommt, sondern auch das Schicksal anderer Herren der Bundesregierung.

(Abg. Dr. Hellwig: Es ist das Recht der Opposition, immer früher da zu sein!)

— Ich mache davon Gebrauch! — Ich möchte es Ihnen auch nicht so glatt durchgehen lassen, daß Sie gesagt haben: Als wir damals die Anleihe von 240 Millionen vorschlugen, lagen die Dinge noch ganz anders. Die Vorlage, mit der uns der Gesetzentwurf vorgelegt wurde, trägt ein Datum aus dem Mai 1956. Wer da noch nicht gewußt hat, daß diese 240 Millionen auf dem Anleihewege nicht zu beschaffen sind, der tut mir leid.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich bin sicher, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister das damals gewußt hat, und darum sollte er nicht in dieser Weise reagieren.
Dann habe ich noch etwas zu dem Bergarbeiterwohnungsbau selbst zu sagen. Ich möchte einmal das Kaleidoskop etwas abrollen lassen. Im Jahre 1951 wurde mit dem damaligen Bergarbeiterwohnungsbaugesetz eine Bergarbeiterwohnungsbauabgabe von 2 DM verfügt. Im Jahre 1954 ging sie auf 1 DM herunter. Am 1. Juli 1955 wurde dann die Stundung auf 10 Pf ausgesprochen. Wir bekamen die Gesetzesvorlage zur Sanktionierung dieses Vorgangs am 4. Mai 1956. Im Oktober 1956 ging es dann wieder anders herum. Wir bekamen 2 DM Bergarbeiterprämie in Gestalt einer Preiserhöhung. Dann kam der Versuch des Herrn Bundeswohnungsbauministers, diese Erhöhung doch möglichst auf 1 DM zu senken und dafür eine Preissenkung in entsprechendem Umfang herbeizuführen. Der Versuch ist, wie nicht anders zu erwarten, am Widerstand der Ruhr gescheitert. Die Antwort: Es bleibt bei den 2 DM. Und jetzt kommt etwas ganz Interessantes. Der Bergbau hat sich nämlich großzügigerweise bereit erklärt, aus den Beträgen, die er durch diese 2 DM zusätzlicher Preiserhöhung bekommt, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister 8 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, damit er die minderbemittelten Kreise vor dieser Preiserhöhung bewahren kann.
Zu diesem Verfahren ist einiges zu sagen.
Erstens. Ich will dem Bundeswohnungsbauminister nicht bestreiten, daß er in einer schwierigen Situation die Stundung einer gesetzlich vorgeschriebenen Abgabe vornehmen kann, wenn er überzeugt ist, daß der Bundestag diese genehmigt, und


(Dr. Deist)

`) dem Bundestag a tempo eine entsprechende Gesetzesvorlage macht.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wenn er aber diese mit den Gesetzen nicht in Übereinstimmung zu bringende Stundung zehn Monate laufen läßt, ohne daß er an das Parlament herantritt, dann ist das eine Mißachtung des Parlaments, die wir alle nicht hinnehmen sollten.

(Beifall bei der SPD.)

Zweitens. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat sich darauf berufen, daß 108 Millionen DM vorschußweise — bei uns wird qua „Juliusturm" dauernd mit Vorschüssen gearbeitet — dem Wohnungsbau hätten zur Verfügung gestellt werden können. Ich möchte immerhin die Zahlen feststellen. In der ganzen Zeit waren 150 Millionen DM durch die Senkung auf 10 Pf verlorengegangen, und diese 108 Millionen DM bedürfen irgendwie noch der gesetzlichen Regelung. Im übrigen erscheint es mir sehr unzweckmäßig, auf dem so wichtigen Gebiet des Bergarbeiterwohnungsbaus dauernd mit Vorschußzahlungen zu arbeiten.
Drittens. Die Bundesregierung ist nicht davon freizusprechen, daß sie durch ihre Unterlassungssünden, eine vernünftige, schnelle Regelung auf dem Gebiet des Bergarbeiterwohnungsbaus herbeizuführen, dem Bergbau einen billigen Vorwand für eine solche Preiserhöhung um 2 DM a conto Bergarbeiterwohnungsbaugegeben hat. Dabei ist mir eines aufgefallen. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat mit sehr gesuchten Wendungen darzulegen versucht, warum er der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe auch eine gute Seite abgewinnen könne, weil es durch sie möglich sei, die Lasten breit zu verteilen, also über Deutschland hinaus in der gesamten Montanunion. Er soll es ruhig offen sagen, daß er hier eine Möglichkeit sieht, eine Preiserhöhung durchzuführen, die nicht nur Deutschland trifft, sondern auch die anderen Staaten.

(Bundesminister Dr. Preusker: Nur den deutschen Verbraucher!)

— Nein, Sie wollen doch, daß sich die Bergarbeiterwohnungsbauabgabe, da sie auf der Produktion liegt, auf dem gesamten Gebiet auswirkt. Auf gut deutsch: Sie begrüßen die Sache bzw. können ihr jedenfalls eine gute Seite abgewinnen, da damit die Möglichkeit gegeben ist, eine Preiserhöhung um 2 DM vorzunehmen.
Ich verstehe nicht ganz, wie sich der Herr Bundeswirtschaftsminister mit seinen Kollegen im Kabinett auseinandersetzt. Denn er hat ja, soweit das bei ihm möglich ist, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er diese Belastung mißbilligt habe.
Meine Damen und Herren, wir halten diese Preiserhöhung — ich werde darauf noch ganz kurz zurückkommen — für eine durchaus unangemessene und falsche Maßnahme. Und dann diese 8 Millionen! Es läuft doch darauf hinaus, daß sich die Bundesregierung für Zwecke, die in ihrem eigenen Aufgabenbereich liegen — denn wohin soll es führen, wenn die Fürsorge für kleinere Einkommensempfänger und ihre Stützung von der Gutwilligkeit von Industriegruppen abhängt! —, 8 Millionen von der Kohlenwirtschaft geben läßt und damit jedenfalls insoweit zum Kostgänger der Ruhrkohle wird. Das ist überhaupt ein merkwürdiges Verfahren. Als die Preisbildung im April des vergangenen Jahres freigegeben wurde, wurde uns mitgeteilt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mit der Ruhr ein privates Konsultationskartell geschlossen habe. Er habe mit ihr vereinbart, daß sie Preiserhöhungen nicht vornehmen würde, ehe sie nicht mit ihm darüber gesprochen habe. Nun, wie wirksam dieses private Konsultationskartell gewesen ist, haben wir in der Zwischenzeit erf ah-ren können. Jetzt hat Herr Preusker mit der Kohle einen privaten accord geschlossen oder ist. dabei, ihn zu schließen, daß es bei diesen 2 DM Wohnungsbauabgabe verbleibt und daß diese dann an die gemeinnützigen Stellen abgeführt werden. Vorläufig beruht das alles nicht auf einer gesetzlichen Regelung, sondern auf privaten accords zwischen Bundesregierung und großen Gesellschaftsgruppen. Und dann stellt der Bundeswirtschaftsminister noch stolz fest, daß er auch einen privaten accord fertiggebracht habe, daß nämlich die Ruhrkohle die 8 Millionen DM zur Verfügung stellt, um die Minderbemittelten vor der Preiserhöhung zu schützen. Meine Damen und Herren, das ist nach unserer Auffassung kein angemessenes Verhalten von der Bundesregierung. Hier steht zweifellos ihre eigene wirtschaftspolitische Verantwortung zur Debatte.
Nun zum Problem selber. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat bereits darauf hingewiesen, daß uns in den nächsten beiden Jahren 60 000 bis 65 000 Wohnungen fehlen werden. Meine Damen und Herren, es wird allmählich Zeit, von Ubergangsregelungen abzukommen. Ich bin der Auffassung, daß die Gestaltung der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe im Jahre 1951 eine durchaus zweckmäßige und sinnvolle Maßnahme gewesen ist. Wir haben damals — ich glaube, jener Beschluß war eine einstimmige Sache des ganzen Bundestages — einen großen Teil des Defizits an Wohnungen decken können. Aber diese Zeiten sind doch vorbei. Zur Zeit haben wir, soweit ich das bisher habe hören können, eine gute, vielleicht sogar eine zu gute Wirtschaftslage. So schlecht geht es uns in Deutschland also eigentlich nicht. Sollen wir da nicht zu dem Grundsatz zurückkehren, daß die Aufgabe des Bergbaus ist, Kohle zu fördern, und nicht, Wohnungen zu bauen, daß es ebenso die Aufgabe der Stahlindustrie ist, Stahl zu erzeugen, und nicht, Wohnungen zu bauen? Und wenn der private Wohnungsbau nicht funktioniert, dann ist es eine öffentliche Aufgabe, für die erforderlichen Wohnungen in Deutschland zu sorgen.

(Beifall bei der SPD.)

Es ist bei dieser Situation völlig unmöglich, sich damit einverstanden zu erklären, daß der Kohlenbergbau einfach mit 2 DM belastet wird und daß dieser Betrag von dem Kohleverbraucher über den Preis hereingeholt wird, nur um der Bundesregierung die Sorge zu nehmen, für den Bergarbeiterwohnungsbau das zu tun, was sie zu tun verpflichtet wäre.
Liegt nicht ein gewisser Widersinn in folgendem? Wir geben eine Bergarbeiterprämie; wir haben vorhin davon gesprochen. Der Bundesfinanzminister erläßt dem Bergbau 6,5 % der Beiträge an die Knappschaft, um ihn zu entlasten. Im selben Augenblick sagen wir: 2 DM Bergarbeiterwohnungsbau müssen aber auf den Preis drauf! Das ist doch das Gegenteil einer klaren Wohnungspolitik.
Wir bitten daher, unserem Antrage stattzugeben, die 150 Millionen DM für die Lösung dieses zentralen Problems des Bergarbeiterwohnungsbaus in


(Dr. Deist)

den Haushalt einzustellen, und zwar zusätzlich und nicht etwa im Rahmen der Mittel für den normalen sozialen Wohnungsbau. Wenn das vier Jahre hindurch geschieht, kann iin dieser Zeit das Defizit von etwa 60 000 bis 65 000 Wohnungen beseitigt sein.
Wir sind allerdings der Meinung, daß man dem Ruhrbergbau die Pflicht zum Zurückmarschieren auferlegen, also diese Preiserhöhung rückgängig machen muß. Wir möchten es nicht bei diesem Zustand belassen: die einzelnen Wirtschaftsgruppen pauken eine Preiserhöhung durch, und dann ist sie auf einmal tabu, dann darf nicht mehr darüber geredet werden. Es ist ja sowieso schwierig, nachher den Preis zurückzuholen, wenn er einmal davongelaufen ist. Wir möchten, ganz gleich, wie hoch die Preiserhöhung ist, ein Exempel dafür statuieren, daß es auch einmal möglich ist, Preise herabzusetzen. Und mir scheint, das müßte eigentlich in der Richtung der Bestrebungen der Bundesregierung liegen, zu einer Preisstabilisierung zu gelangen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zur Frage der Preisbildung für Kohle überhaupt. Seit dem 10. Februar 1956 sind mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesregierung die Preise für Kohle ab 1. April 1956 freigegeben worden. Bei uns wird gern von freier Preisbildung gesprochen. Unter freier Preisbildung stellt sich der Mann auf der Straße folgendes vor. Er hat ja etwas über freien Markt und über Preisbildung auf dem freien Markt gehört. Er stellt sich also vor, daß die Unternehmungen in einem heftigen Wettbewerb den Preis am Markt bilden. Mir scheint, man sollte dieser Legende doch auch einmal von dieser Stelle aus entgegentreten. Wir haben seit dem Jahre 1893 — das sind jetzt ungefähr 65 Jahre — auf dem Gebiet der Kohle eine freie Preisbildung niemals gehabt. Seit dem Jahre 1893 besteht das RheinischWestfälische Kohlensyndikat, ein handfestes Kartell, das zunächst in eigener Verantwortung die Preise festgesetzt hat. Seit dem Jahre 1919 stand diese z. T. umgestaltete Organisation unter straffer öffentlicher Kontrolle, bei der die Preisbildung in der öffentlichen Hand lag. Und was wir heute machen, ist nicht etwa ein Schritt vorwärts in den sagenhaften freien Markt auf dem Gebiet der Kohle, sondern ein Rückschritt um 35 Jahre zu der Preisfestsetzung durch private Kartellorganisationen, die keiner effektiven öffentlichen Kontrolle unterliegen. Das sollte man sich bei dieser Gelegenheit doch vor Augen führen, um zu erkennen, was hier geschehen ist.
Der Effekt ist folgender. Wir wissen, daß die Freigabe der Preise im April 1956, also in einer Zeit geschah, in der sich die steigende Mangellage bereits deutlich zeigte, so daß man wissen mußte, welche Preistendenzen mit einer Preisfreigabe eingeleitet wurden. Ich will jetzt nur Zahlen sprechen lassen: im Frühjahr 1955 hatten wir noch eine Preiserhöhung um 1,10 DM, am 1. April 1956 — ein Jahr später — im Zeichen der Preisfreigabe 2 Mark, und dann hat es noch gar nicht sechs Monate gedauert, bis im Oktober 1956 eine weitere Freigabe von 4,50 DM erfolgte. Diese Zahlen möchte ich ganz klar hinstellen. Man kann zu den Zahlen vieles sagen; daß aber in ihnen dieser steigende Preistrend nach der Preisfreigabe zum Ausdruck kommt, daran kann für mich kein Zweifel bestehen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Nun hat Kollege Bleiß bereits in seinen Ausführungen den Herrn Staatssekretär Westrick zitiert, der richtig am 10. Februar ausgeführt hat, daß der Kohlepreis eine ungeheure Rückwirkung auf das Preisniveau habe. Wir haben dann erfahren müssen, daß damals trotz dieser ungeheuren Rückwirkung und trotz großer Subventionsmaßnahmen zugunsten der Kohle noch eine Preiserhöhung um 2 DM stattfand. Heute nun wird die Preiserhöhung um weitere 4,50 DM in Höhe von 2,50 DM mit der Arbeitszeitverkürzung und in Höhe von 2 Mark mit der Notwendigkeit, den Kohlebergbau zu finanzieren, begründet.
Die Arbeitszeitverkürzung ist seit dem September das große Thema des Herrn Bundeswirtschaftsministers und bildet den Kernpunkt der wirtschaftlichen Lageberichte und insbesondere der für die Öffentlichkeit verfaßten Kurzfassungen, offenbar um davon abzulenken, daß es eine ganze Menge anderer Tatsachen gibt, die für die Preisentwicklung und Preisgestaltung in Deutschland viel, viel verantwortlicher sind als Lohnentwicklung und Arbeitszeitverkürzung.

(Beifall bei der SPD.)

Aber, meine Damen und Herren, was ist geschehen? Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich nicht gescheut, die einseitigen Zahlen des interessierten Kohlebergbaus anzugeben und zu sagen: Danach sei — er hat in Klammern eingefügt: rechnerisch — mit einem Ausfall von 5 Millionen t zu rechnen.
Was heißt das? In Wirklichkeit ist es — wenn schematisch gerechnet wird — so, daß, wenn 16 Tage im Jahr wegfallen und sonst nichts auf der Welt passiert, am Schluß des Jahres 5 Millionen t fehlen. Wenn aber in der Zwischenzeit, wie das auch zur Zeit der Fall ist, die Produktion steigt und auch die Leistung gesteigert wird und wenn Investitionen zu Rationalisierungszwecken— die ebenfalls laufend gemacht werden — erfolgen, dann wird zumindest ein Teil dieses Ausfalls wieder wettgemacht. Was berechtigt den Kohlenbergbau heute, in solch schwieriger Situtation, eine solche Preiserhöhung an Hand einer solchen schematischen Rechnung vorzunehmen?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, auch meine Freunde wissen, daß das Kohlepreisproblem ein sehr schwieriges Problem ist. Auch meine Freunde wissen, daß bei einem 50- bis 60 %igen Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten Probleme auftauchen, die wir in der übrigen Wirtschaft nicht kennen. Aber eines scheint mir doch wichtig zu sein: Zunächst einmal besteht im ganzen Kohlebergbau bei niemandem, der offen und ehrlich darüber spricht, ein Streit darüber, daß durch die Preiserhöhung vom 1. April dieses Jahres eine, wie man sagt, wesentliche Entlastung und Erleichterung eingetreten ist. Das heißt also, daß die Ertragslage nicht mehr so schlecht ist, wie sie früher nicht ganz in Übereinstimmung mit den Tatsachen vom Kohlebergbau gelegentlich dargestellt wurde. Wir wissen heute — und der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesfinanzminister mögen das Gegenteil behaupten —, daß es kaum eine einzige Bergbaugesellschaft gibt, die heute noch mit roten Ziffern abschließt — auch nicht die ungünstig liegenden Bergbaugesellschaften —, daß aber andere einen Gewinn von 15 bis 20 Mark je Tonne, d. h. von 30 bis 35 % des Umsatzes haben.

(Hört! Hört! bei der SPD.)



(Dr. Deist)

Wenn man das weiß, dann muß man zunächst einmal die eine Konsequenz ziehen, daß die Ertragslage des Kohlebergbaus jedenfalls nicht so ist, daß sie unbedingt in diesem Augenblick eine Erhöhung des Preises gerechtfertigt hätte. Und ein Zweites, und das hat ja auch die Bundesregierung in günstigen Augenblicken gewußt: Die Erhöhung des Kohlepreises ist bei der augenblicklichen Preisstruktur und der konjunkturpolitischen Lage außerordentlich gefährlich. Wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht dieser Auffassung gewesen wäre, dann hätte er kaum soviel mit dem Bergbau und der Eisen- und Stahlindustrie verhandelt und sogar den Bundeskanzler bemüht, an diese beiden Wirtschaftszweige heranzutreten, um die Kohle-und Stahlpreiserhöhung zu vermeiden.
Unter diesen Umständen erscheint es mir allerdings höchst bemerkenswert, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, von dem jeder weiß, daß er damals jedenfalls — wenn auch mit der bei ihm üblichen mehr oder minder großen Standfestigkeit — gegen diese Preiserhöhung gewesen ist, heute praktisch die Argumentation des Bergbaues übernommen hat, daß diese Preiserhöhung gerechtfertigt sei. Mir scheint das kein Zeichen einer sehr geradlinigen Kohlepreispolitik zu sein, Herr Bundeswirtschaftsminister! Und ich möchte hier eines sagen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinen eigenen Lageberichten festgestellt, daß durch diese Preiserhöhungen für Kohle und Stahl eine neue Preiswelle ausgelöst wird. — Es ist nicht meine Formulierung, es ist Ihre Formulierung, Herr Bundeswirtschaftsminister. — Die Behauptung, entscheidend wäre dafür die Arbeitszeitverkürzung — wenn nötig, können wir uns darüber an anderer Stelle noch einmal unterhalten —, ist hiernach unzutreffend.
Ich muß noch ein Wort zur Preiserhöhung für Stahl sagen. Da kann ja wohl nun kein Zweifel bestehen, Herr Bundeswirtschaftsminister — ich habe so den Eindruck, wir sind uns einig darüber —, daß die Ertragslage der Eisen- und Stahlindustrie die vorgenommene Preiserhöhung jedenfalls nicht gerechtfertigt hat. Der Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung hat sich auch nicht mehr große Mühe gegeben, die Preiserhöhung mit Kostensteigerungen zu begründen, sondern er hat von einem marktgerechten Preis gesprochen. Was das bei der augenblicklichen Marktsituation bedeutet, wissen wir. Und wenn die Dinge so liegen, Herr Bundeswirtschaftsminister, muß ich sagen: Es hat noch keine Preiserhöhung gegeben, die im Hinblick auf die konjunkturpolitische Situation so leichtfertig war wie diese, und es hat sich selten so klar erwiesen, wie schwach die Bundesregierung ist, wenn es sich darum handelt, ihre wirtschaftspolitischen Ansichten gegenüber den starken Interessengruppen in der Wirtschaft durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit möchte ich den aktuellen Teil meiner Ausführungen beenden und möchte nun doch, weil das so im Laufe der Debatte fast völlig untergegangen ist, zu unserem Antrag auf Durchführung einer Kohlenenquete noch einiges sagen. Ich sehe, Herr Kollege Hellwig, Sie werden dazu etwas sagen. Es freut mich. Vielleicht darf ich einleitend einiges dazu bemerken, worauf Sie eingehen können. Wir messen dieser Enquete — unabhängig von der augenblicklichen Kohlensituation, möchte ich ausdrücklich betonen — eine entscheidende Bedeutung bei.
Wir wissen genau, daß es sich bei der Kohle um eine volkswirtschaftlich wichtige Substanz handelt, die wir erhalten müssen, zumal wir sehen, welche Einflüsse unorganischer Art von der Ölversorgung und von der Versorgung mit Auslandskohle herrühren. Bei dieser Frage der Erhaltung der Kohlensubstanz handelt es sich also nicht mehr um ein rein privatwirtschaftliches, sondern um ein wichtiges volkswirtschaftliches Problem, dem sich die Bundesregierung und der Bundestag nicht entziehen können.
Ein Zweites. Wir wissen, daß der Kohlenbergbau langfristig geplant werden muß. Ehe ein neu abgeteufter Schacht zur Förderung kommt, dauert es 15 bis 20 Jahre. Hier werden also Risiken eingegangen, die, wie die Erfahrung gezeigt hat, von Privaten nur sehr schwer übernommen werden. Und hier muß eine öffentliche Planung eintreten, damit langfristig eine ausreichende Kohleförderung gesichert werden kann. Auch das ist ein volkswirtschaftliches Problem.
Ein Drittes. Ich habe bereits ausgeführt, daß die Arbeit des Mannes unter Tage hart ist, daß er ohne Tageslicht und ohne viele andere Dinge, die der sonstige Arbeiter als selbstverständlich voraussetzt, arbeiten muß, so daß es im öffentlichen Interesse liegt, diesen Männern unter Tage ein besonderes Privileg im Rahmen der Bergarbeiterprämie zu geben. Das zeigt vielleicht auch mit an, daß es sich hier um ein volkswirtschaftliches Problem handelt, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Viertens. Über das Preisproblem habe ich bereits gesprochen. Ich darf, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich es, dem Redner der CDU-Fraktion vom 10. Februar zustimmen, der meines Erachtens mit Recht ausgeführt hat:
Der Bergbau kann nicht wie jeder andere Wirtschaftszweig auf die beiden sonst gegebenen Möglichkeiten ausweichen, nämlich die Steigerung der Produktivität oder die Steigerung des Preises.
Das heißt, Herr Sabaß kann so viel reden von Marktpreis, wie er will. Der Kohlenpreis ist irgendwie immer durch die Gesamtwirtschaft und die gesamtpolitische Situation bestimmt, und damit müssen wir auch diesem Problem der Preisbildung unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Das fünfte wichtige Problem sind die Investitionen. Ich will nicht groß darauf eingehen. Wir haben das gestern in Straßburg tun können. Aber auch hier kann ich den Kollegen Friedensburg zitieren, der darauf hingewiesen hat, daß Aufwendungen erforderlich sind, die ein ungeheures Maß von Kapital benötigen. Die Hohe Behörde hat ausgerechnet, daß bei einem normalen jährlichen Kapitalbedarf für Investitionen von 700 Millionen DM jedenfalls in den nächsten Jahren mindestens jährlich 600 Millionen zusätzlich erforderlich sind, um eine angemessene Höhe der Kohlenförderung auf lange Sicht zu gewährleisten.
Wir sind in den ganzen Investitionen gegenüber den anderen Ländern weit, weit zurück. Frankreich hat bereits im Jahre 1952 das Doppelte bis Dreifache je Tonne Kohle in jedem Jahr investiert als wir in Deutschland. Es ist dabei zu bemerken:


(Dr. Deist)

Frankreich hat in dieser Zeit sein Modernisierungsprogramm durchgeführt, während wir jedenfalls noch vor dem Programm, neue Schächte abzuteufen, stehen. Also hier handelt es sich wiederum um sehr wichtige wirtschaftspolitische Fragen, die entscheidend auf uns zukommen und die von uns gelöst werden müssen.
Eine weitere Angelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, weil über sie gern der Mantel des Schweigens gedeckt wird. Wir haben im Bergbau an der Ruhr eine ungeheure Zersplitterung einheitlicher Vorkommen unter zahlreiche verschiedene Gesellschaften. Im Rahmen der Kohlenneuordnung war einmal daran gedacht, sie zu beseitigen, indem zehn bis zwölf große Gesellschaften gebildet wurden, in denen ein angemessener Ausgleich möglich war. Heute haben wir wieder 50 Gesellschaften an der Ruhr mit mehr als 150 Anlagen; d. h. auf jede Gesellschaft kommen im Schnitt nur drei Anlagen. Wir wissen, daß in vielen Fällen bei dieser Zersplitterung aus demselben Grubenfeld mehrere Schachtanlagen fördern, während es zweckmäßig wäre, die Förderung auf einer Schachtanlage zu konzentrieren. Das ist auch ein Problem, das einmal unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden müßte; denn das kostet uns einiges. Diese Zersplitterung auf mehrere Schachtanlagen, die eine vernünftige Rationalisierung nicht zuläßt, wirkt sich naturgemäß in den Kosten aus.
Den Bergarbeiter habe ich bereits erwähnt. Ich möchte hinzufügen: wir sollten uns nicht damit trösten, daß dieses Problem durch die Bergarbeiterabgabe gelöst sei. Die Frage, welchen sozialen Stand der Bergarbeiter im Rahmen der Gesamtarbeiterschaft haben muß, damit wir genügend Bergarbeiter bekommen, ist damit zweifellos nicht gelöst. Ich meine, es wäre Anlaß, einmal in einer gründlichen, sorgsamen Untersuchung zu klären, welche Möglichkeiten hier bestehen, um auf lange Sicht einen genügenden Stamm von Bergarbeitern für den Bergbau zu sichern.
Ich habe mich über die Ausführungen des Kollegen Dr. Friedensburg gefreut und darf ihn nochmals zitieren. Er stellte da am 10. Februar fest, daß auf dem strahlenden Glanz des Wirtschaftswunders merkwürdigerweise doch so eine dunkle Stelle sei, und das sei die Kohle. Dabei hat er offenbar nicht nur an die schwarze Farbe der Kohle gedacht, sondern auch an einiges andere. Und er fuhr fort:
Da ist etwas nicht in Ordnung. Da müssen sich
Regierung und Volksvertretung zusammenfinden, um an diesem Zustand etwas zu ändern.
Und dann sagte er:
Ich bin sehr im Zweifel, ob der Bergbau mit seiner geringen Elastizität, mit der Langfristigkeit aller seiner Maßnahmen nicht überhaupt aus den Gesetzen der sozialen Marktwirtschaft herausgenommen werden sollte.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Damals konnte er sich noch auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister berufen; denn der Herr Bundeswirtschaftsminister hatte am 7. Januar 1954 vor der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Essen gesagt, nachdem ihm die Verhältnisse im Kohlenbergbau, wo es eben doch keinen freien Wettbewerb gebe, sehr eindringlich klargelegt worden waren:
Ich bin durchaus bereit einzusehen, daß hier organisatorische Maßnahmen
— und nun „horribile dictu" —
auf kollektiver Grundlage
— man höre das! —

(Hört! Hört! bei der SPD) erforderlich sein werden.


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. hc. Erhard: In den Kohleverkaufsgesellschaften!)

- Auf d i e Antwort habe ich gewartet, Herr Bundeswirtschaftsminister. Daß die Eingliederung in die Marktwirtschaft, die Sie heute hier für den Kohlenbergbau verlangt haben, darin besteht, daß die Verfügung über die Kohle in die Hand der privaten Kartelle an der Ruhr gelegt werden muß, — das ist mir eine schöne Art von Marktwirtschaft!
In derselben Art steht es dann in dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FVP und DP vom heutigen Tage, der also offenbar auf diese Sprachregelung abgestimmt ist und besagt, daß eine volle Eingliederung des Kohlenbergbaues in die soziale Marktwirtschaft angestrebt werde.
Wenn ich dann an das erinnere, was ich über das Bewirtschaftungssystem der Bundesregierung innerhalb der Kohlenversorgung gesagt habe, dann muß ich feststellen, daß das doch ein Anachronismus ist, den sich eine Partei, die ernst genommen werden möchte, nicht leisten sollte.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Aber vielleicht überlegt der Herr Bundeswirtschaftsminister, daß in vielen anderen Ländern — ich spreche jetzt nicht von England und Frankreich — Überlegungen darüber angestellt werden, ob man den Kohlenbergbau nicht anders ordnen müsse. Da hat z. B. der belgische Wirtschaftsminister vorgeschlagen, dem Nationalen Rat für Bergbau besondere Befugnisse zu übertragen, und zwar zwangsweisen Zusammenschluß von Gesellschaften, wo das notwendig ist, Schließung unrentabler Zechen, Anordnung notwendiger Investitionen. Meine Damen und Herren. ich will damit nur sagen: das sind doch offenbar Probleme, die irgendwie einmal der Untersuchung bedürften. Denn so leichtfertig sind ja wohl doch andere Länder nicht. daß sie bei der Kohle aus lauter Jux und Tollerei solche Dinge machen, sondern hier scheinen doch wichtige Tatsachen vorzuliegen. die solche Erörterungen und solche Pläne zur Folge haben. Und darum. meine Damen und Herren, legen wir Wert auf die Enquete.
Es ist nicht so, daß die Dinge im Kohlenbergbau iedem, der damit zu tun hat, völlig geläufig sein könnten. Dazu sind die Verhältnisse zu schwierig. Ich möchte eine rhetorische Frage, d. h. also eine Frage, die keiner Beantwortung bedarf, an die Herren richten, die an dem letzten Abend des Unternehmensverbandes Bergbau teilgenommen haben; nämlich die Frage, ob sie aus den Darlegungen des Unternehmensverbandes wirklich den Eindruck gewonnen haben, daß alle diese Dinge völlig klar auf dem Tisch des Hauses lägen.
Meine Damen und Herren! Die Enquete ist aus folgenden Gründen — wenn ich das kurz zusammenfassen darf — wichtig. Der Kohlenbergbau muß — und wir konzedieren ihm das — aus seiner besonderen Situation heraus Ansprüche an den Staat stellen, zu denen kein anderer Wirtschaftszweig ge-


(Dr. Deist)

zwungen ist. Er verlangt steuerliches Entgegenkommen, er verlangt die Sonderbehandlung der Bergarbeiter, er verlangt zahlreiche andere soziale Sondermaßnahmen, er verlangt Investitionserleichterungen. Der Antrag der CDU/CSU unterstreicht das. Das sind hohe Ansprüche, die an den Staat gestellt werden, und das Parlament kann solchen Ansprüchen nur entsprechen, wenn es über die Verhältnisse im Bergbau restlos Klarheit erhält.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Und ein Zweites. Aus meinen Äußerungen über die Bedeutung der Kohlensubstanz und über die Preisgestaltung ergibt sich eindeutig, daß es sich hier um Dinge handelt, die unter die Verantwortung der Wirtschaftspolitik der zuständigen staatlichen Instanzen fallen, und darum verlangen wir, daß die Karten auf den Tisch gelegt werden.
Meine Damen und Herren, Sie sollten vielleicht auch eines überlegen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß der Bergbau sehr stark im Streit der Meinungen begriffen ist. Ist es da nicht gut, daß wir nach dem System der englischen Royal Commissions einmal versuchen, hier eine gründliche Untersuchung durch Sachverständige vorzunehmen? Vielleicht gelingt es dann auch, dieses Problem aus dem dogmatischen Streit hier und da etwas herauszulösen und jedenfalls die Fakten zu klären, ohne die man überhaupt nicht zu einer gesunden und vernünftigen Konzeption der Kohlenpolitik kommen kann.
Meinen Sie nicht doch, daß das Durcheinander in der Kohlenversorgung — man kann es für so groß oder für so klein halten, aber daß es da ist, läßt sich nicht bestreiten —, daß die Kalamität der Preisspaltung, die Unklarheit über den sozialen Stand des Bergmannes und wie man ihn sichern kann, die Konzeptionslosigkeit unserer Wohnungsbaupolitik, der Streit um Kartelle und Verkaufsorganisationen und nicht zuletzt die Sorge um eine ausreichende Energieversorgung in der Zukunft Anlaß geben sollten, zu sagen: hier stehen so viele Probleme langfristiger Art auf der Tagesordnung, daß wir sie einer gründlichen Untersuchung, die nicht heute und nicht morgen beendet sein muß und darf, unterziehen sollten?
Mir scheint, daß diese Einsicht auch bei der größten Regierungspartei vorhanden ist. Ich darf darauf verweisen, daß Herr Professor Friedensburg sich am 10. Februar jedenfalls nicht grundsätzlich ablehnend verhalten hat. Denselben Eindruck habe ich, wenn ich mir den neuen CDU-Antrag ansehe, der verlangt, daß von der Bundesregierung nun endlich eine weitsichtige Kohlenpolitik betrieben werde. Wenn die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, dann scheint das bisher nicht der Fall gewesen zu sein.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich habe den Antrag gelesen; so steht es drin.
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich überlegen, ob eine solche Enquete nicht ein brauchbares Mittel ist, eine sachliche Grundlage für die zukünftige Gestaltung der Kohlenpolitik zu schaffen, zu der wir uns nun einmal durchringen müssen. Für uns ist die Entscheidung über die Kohlenenquete ein Testfall. An ihm wird sich zeigen, ob Sie bereit sind, für einen Wirtschaftszweig, der hohe Ansprüche an den Staat stellt, die Karten offenzulegen, oder ob Sie der Meinung sind, daß hier Dinge vorliegen, die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0217407200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0217407300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, Herr Kollege Deist, daß ich mich mit Ihnen gerne unterhalte. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wer geben will, auch zu nehmen bereit sein soll. Aber ich finde, Sie haben es sich wesentlich leichter gemacht als ich. Denn schon Ihr Beginn mit den Einzelhändlern, die da und dort gesündigt haben sollen, hat nun wirklich keine Beweiskraft für die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich verwahre mich mit aller Entschiedenheit, wenn Sie gar sagen, wir hätten die Dinge bagatellisiert und ich hätte mich der Schönfärberei schuldig gemacht. Wenn Sie mir eine der von mir genannten Zahlen als falsch oder auch nur als schillernd darstellen können, dann bin ich bereit, zu revozieren. Ich trete aber den Wahrheitsbeweis an, daß jede hier vorgelegte Zahl richtig, geprüft und kontrolliert ist.

(Abg. Dr. Deist: Das trifft zu, aber es fehlen einige!)

Im übrigen empfinde ich es auch nicht gerade als eine besonders honorige Kampfesweise, wenn Sie hier durchklingen ließen, daß wir nicht gewillt seien oder daß es uns doch an dem guten Willen fehle, den Hausbrand so bald und so gut wie möglich zu versorgen. obwohl ich die Zahlen hier auf den Tisch gelegt habe. Vom April bis September 1956 sind 106,8 °/o der Menge des Vorjahres ausgeliefert worden, und zwar ziemlich gleichmäßig für die einzelnen deutschen Länder.
Ich komme wohl nicht in den Verdacht, ein Rundschreiben bestellt zu haben, das der Bundesverband des deutschen Kohleneinzelhandels e. V., Bad Godesberg, an seine Mitglieder verschickt hat. Darin heißt es:
Auf dem Sektor der Versorgung der Haushaltungen und Kleinverbraucher steht seit Jahren die Beschaffung der notwendigen Mengen im Vordergrund. Alle Überlegungen haben zunächst dazu geführt, daß den Hausbrand- und Kleinverbrauchern unbedingte Priorität zugesichert wurde. Das Interesse an der reibungslosen Versorgung der Hausbrand- und Kleinverbraucher ist deshalb besonders groß, weil die kritische Situation des Winterhalbjahres 1955/56 mit dem Kälteeinbruch im Februar noch in frischer Erinnerung ist. Die Verknappung des vorigen Winters hat dazu geführt, daß sich die Kundschaft des Kohleneinzelhandels und hier vor allem die Hausbrandverbraucher in den Sommermonaten mit verhältnismäßig großen Mengen eingedeckt haben. Während sich sonst die Kunden des Kohleneinzelhandels im Sommer hinsichtlich ihrer Bestellungen zurückhielten, hatte in diesem Jahr das Sommergeschäft regelrechten Wintercharakter. Im Kohlenwirtschaftsjahr 1955/56 wurden z. B. von Haushrandverbrauchern 45 % der .Jahresmengen in Ruhrkohle abgenommen, während die restlichen 55 % auf das Winterhalbjahr entfielen. Im Sommerhalbiahr 1956 dagegen hat sich der Prozentsatz der Abnahme von festen Brennstoffen auf 53 % erhöht. Die Ruhr — das muß gesagt werden —


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

hat dieser Nachfrageentwicklung nach besten Kräften entsprochen. Sie hat in den ersten sechs Monaten des Kohlenwirtschaftsjahres 1956/57 dem Kleinverbraucher und dem Hausbrand 1,2 Millionen t mehr als in den vorjährigen Sommermonaten geliefert.
Es würde zu weit führen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Aber Sie haben auch unrecht, wenn Sie die Leistungen an die Militärbehörden anführen. Hier ist nicht der Vergleich zum Vorjahr maßgebend, sondern das, was uns im Truppenvertrag als absolute Verpflichtung zu liefern aufgegeben ist. Von dieser Menge werden effektiv 80 % geliefert, bzw. sie stehen in der Verhandlung. Jedenfalls ist bisher nicht mehr geliefert worden, und wir haben bisher auch nicht die Absicht, das zu tun. Wir können annehmen, daß der amerikanische und der französische Partner bereit sind, unserem Vorschlag zu entsprechen; mit den englischen Behörden sind wir noch in Verbindung.
Weil Sie im übrigen von dem Verbund und dem hohen Kohlenverbrauch der eisenschaffenden Industrie gesprochen haben: es war ja ein Mitglied Ihrer Fraktion, nämlich Herr Professor Baade, der bei der seinerzeitigen Beratung den Verbund, und das heißt indirekt auch den Werkselbstverbrauch, angeregt und gefordert hat. Das eine ist mit dem andern verbunden, und die starke Steigerung der Stahlindustrie als ein Zeichen unseres wirtschaftlichen Aufschwungs ist ja schließlich auch dem ganzen deutschen Volke, und nicht zuletzt auch dem deutschen Arbeiter, zugute gekommen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Es geht aber schon über die Hutschnur, wenn Sie meine Bitte an die Kohle, sie möchte 8 Millionen DM bereitstellen, um den Ärmsten die Verteuerung nicht spürbar werden zu lassen, hier so deuten, als ob ich mich damit zum Kostgänger der Kohle gemacht hätte. Die Verantwortung nehme ich auf mich, daß ich diese Bitte an die Kohle gerichtet habe, und ich glaube, die Kohle ihrerseits braucht sich nicht zu schämen, wenn sie dieser Bitte entsprochen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie brauchen auch gar nicht so in Rage zu geraten wegen der 2 DM, die die Kohle für den Bergarbeiterwohnungsbau in den Preis einbezogen hat. Was gibt es da für Differenzen? Wir sind ja gleicher Meinung. Ich war auch von Anfang an dagegen, ja in dieser Frage scheint sogar völlige Übereinstimmung hier im Hause zu herrschen.
Was nun aber den Preis anbelangt: Bei der Kohle wurden. im Verlaufe von 8 Monaten die Löhne um 10 °/o erhöht, entweder in absoluten Beträgen erhöht oder indirekt durch Arbeitszeitverkürzungen herbeigeführt. und Sie selbst haben ja anerkannt, daß das bei einem Gewicht von 60 % Arbeitskosten selbstverständlich im Preis durchschlagen muß. Trotzdem aber, Herr Kollege Deist, hat doch die Bundesrepublik mit Abstand das niedrigste Preisniveau in der Montanunion, und das nicht nur bei Eisen und Stahl, sondern auch bei der Kohle. Bei Kohle — um es genau zu sagen —liegt der Preis um etwas mehr als 20 % unter dem französischen. Ich führe das nicht als Kritik gegenüber der französischen Kohlenwirtschaft an, sondern weil Sie ausdrücklich vermerkt haben, daß Frankreich so sehr viel mehr investieren und rationalisieren konnte. Ich frage mich dann nur, wie es bei einer nationalisierten Industrie doch dahin kommt, daß wir trotz der sozialen Marktwirtschaft, wie Sie so kritisch anmerken, offenbar doch ein besseres Ergebnis erzielt haben, als es in Frankreich zustande kam.
Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen! Es ist immerhin eine bemerkenswerte Einsicht, daß auch Sie von einer Kettenreaktion sprechen. Die Kettenreaktion wirkt aber nicht nur von dem einen Preis auf den anderen, sondern die Kettenreaktion geht auch von Löhnen über die Arbeitszeitverkürzung auf Preise und wieder auf Löhne zurück.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Das ist die eigentliche Kettenreaktion, mit der wir zu tun haben. Wir wollen auch diese Dinge einmal auf den Tisch legen. Ich bin willens, mit Ihnen dieses Problem in aller Form zu diskutieren. Wir werden für das Jahr 1956 feststellen können, daß die durchschnittlichen Arbeitseinkommen — Löhne und Gehälter — um ungefähr 81/2% gestiegen sind, während wir glücklich sein können, wenn die Produktivitätssteigerung im gleichen Zeitraum 41/2 bis 5 % ausmacht.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

Dieses Mehr an Arbeitseinkommen über den Grad der Produktivitätssteigerung hinaus macht, auf die gesamte Lohnsumme bezogen, ungefähr den Betrag von 21/2 bis 3 Milliarden DM aus, einen Betrag, der güterwirtschaftlich nicht gedeckt werden kann. Auch das gehört zu der Kettenreaktion.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Mit den kritischen Anmerkungen zur sozialen Marktwirtschaft sollten Sie etwas vorsichtiger sein. Ich habe hier eine Statistik über die Preisentwicklung in den einzelnen Ländern vor mir. Wenn wir die Lebenshaltungskosten auf der Basis 1950 gleich 100 betrachten, so verzeichnen wir in der Bundesrepublik im August 1956 — neuere Zahlen habe ich noch nicht — einen Stand von 113. Das bagatellisiere ich nicht. Für die Vereinigten Staaten von Amerika lautet die Zahl 114, für die Schweiz 110. Ersparen Sie es mir, jetzt die Länder namentlich zu nennen — ich sage Ihnen aber: es sind sozialistisch geleitete Länder oder solche, in denen allein die Sozialisten die Verantwortung tragen —, deren Preisindizes bei 132, bei 128, bei 142 und bei 138 liegen.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

Die soziale Marktwirtschaft scheint also hinsichtlich der Preisstabilität doch nicht so schlecht zu sein, wie Sie das hier glauben anmerken zu müssen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Weiter hat Herr Kollege Deist bemängelt, daß der Bundeswirtschaftsminister zu wenig Aktivität entwickle. Mir liegt ein Bericht aus der gestrigen Versammlung in Straßburg vor. Dort heißt es:
Abgeordneter Deist hat bemängelt, daß auf allen Gebieten --- der Kohlenversorgung, der Preise, Vertriebsorganisation, Einfuhren, Arbeitskräfte und Investitionen — die nationalen Regierungen zunehmend die Initiative ergriffen haben, so daß auf allen Gebieten statt allgemeiner, überregionaler Regelungen unterschiedliche nationale Regelungen bestehen; dadurch bestehe die Gefahr der Desintegration. Es ergeht die Aufforderung an die Hohe Behörde, die Initiative zu ergreifen.

(Lachen bei den Regierungsparteien.)



(Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

Jetzt frage ich mich: Habe ich zuwenig Initiative oder zuviel Initiative entwickelt?
Ich bin auf alle Fälle der Meinung, daß wir aus ehrlichstem Wollen und aus rechter Gesinnung das Beste getan haben, um gerade den deutschen Verbraucher in diesem Winter nicht frieren zu lassen, sondern ausreichend mit Kohle zu versorgen, und zwar zu einem Preis, der niedriger ist als in allen anderen Ländern der Montanunion.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217407400
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Preusker.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0217407500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Deist sprach vorhin ein sehr ernstes Wort aus. Er sprach davon, daß die Bundesregierung eine sehr lange Zeit gebraucht habe, um den Entwurf, von dem ich zum Eingang sagte, daß er inzwischen durch die Verhältnisse überholt sei, dem Parlament vorzulegen. Er sprach von 10 Monaten und sagte, das sei eine Mißachtung des Parlaments. Ich glaube, es ist notwendig, daß ich das Wort von den Dingen, die „durch die Verhältnisse überholt" seien, das ich vorhin sprach, nun etwas spezifiziere. Wenn Sie die Drucksache 2356 aufschlagen, dann stellen Sie fest, daß der Präsident des Bundesrates auf Seite 9, Anlage 2, schreibt: „Auf das Schreiben vom 15. Februar 1956 ...". Man kann also nur feststellen, daß es zehn Monate von der Beratung des Bundesrates ab gebraucht hat, bis heute — Ende November — diese Vorlage in erster Lesung auf der Tagesordnug des Bundestages steht. Ich bedauere das außerordentlich. Aber ich muß doch großen Wert darauf legen, festzustellen, daß für die Verzögerung die Bundesregierung sicherlich nicht verantwortlich gemacht werden kann.

(Abg. Dr. Deist: Wir haben Sie nur für Ihre Verzögerung verantwortlich gemacht!)

— Für diese Verzögerung von zehn Monaten kann ich beim besten Willen nichts. Mir hat daran gelegen, schon viel eher im Parlament über diese Dinge sprechen zu können.
Herr Kollege Deist, ich darf weiter darauf hinweisen, daß die entscheidenden Restriktionsmaßnahmen der Notenbank, die die Situation verändert haben, die beiden Diskonterhöhungen von Ende Februar und Ende Mai 1956 gewesen sind, daß bis dahin nur die eine Diskonterhöhung vom September 1955 von 3 auf 31/2 % vorgelegen hat und daß erst danach, nachdem diese Vorlage längst dem Bundesrat zugegangen war und ihn passiert hatte, die Diskontänderung um zweimal ein Prozent vorgenommen worden ist. Das waren die Gründe, die zu der Feststellung geführt haben, die Verhältnisse seien inzwischen leider über die Vorlage hinweggegangen. Als die Vorlage der Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet wurde, entsprach sie — das muß ich noch einmal ausdrücklich feststellen — noch in vollem Umfange den Verhältnissen.
Herr Kollege Deist, ich darf weiter darauf aufmerksam machen, daß die Vorlage des Zweiten Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus wegen der zur Zeit reduzierten Angaben des Wohnungsbedarfs auf nur noch 40 000 eine Halbierung der Abgabe des ersten Bergarbeiterwohnungsbaugesetzes vorsah. Dementsprechend war die Finanzierung im Steinkohlensektor auf einen Gesamtbetrag von 240 Millionen DM abgestellt.
Mir als dem für die Durchführung des Wohnungsbaus Verantwortlichen blieb doch gar nichts anderes übrig, wenn schon die gesetzgeberischen Maßnahmen nicht weiter beraten werden konnten, als nach Mitteln und Wegen zu sinnen, damit keine Einbußen im Wohnungsbau stattfinden würden. Es sind dementsprechend auch die 108 Millionen als Jahresrate, die nach dem Gesetz sonst im Anleihewege, d. h. vom Kapitalmarkt her, hätten aufgebracht werden müssen, im Vorfinanzierungswege von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt worden. Es ist also zumindest dafür Sorge getragen worden, daß der durch das Gesetz im anderen Falle beabsichtigte Zweck in vollem Umfang erreicht worden ist und daß die entsprechenden Wohnungen auch tatsächlich finanziert und gebaut worden sind. Ich glaube, daß das eines der wesentlichsten Anliegen überhaupt gewesen ist, die den Bundestag bewegt haben und die gleichzeitig auch den Bundeswohnungsbauminister haben leiten müssen.
Sie haben zum Schluß selber noch einmal darauf hingewiesen, daß es ursprünglich ein einstimmiges Anliegen gewesen ist, zur Finanzierung des Bergarbeiterwohnungsbaus in der Form der Kohlenabgabe beizutragen. Sie haben gleichzeitig darauf hingewiesen — Herr Professor Erhard hat es Ihnen schon entgegengehalten —, daß Sie mit der Bundesregierung der Meinung sind, eine Finanzierung über den Preis sei nicht erwünscht. Sie haben aber nun den Vorschlag wieder aufgenommen, 150 Millionen DM aus Mitteln des Bundeshaushalts zur Verfügung zu stellen, um dieser Finanzierung eine andere Basis zu geben als bisher. Herr Kollege Deist, Sie stammen ebenso wie der Kollege Bleiß aus dem hauptsächlich Kohlebergbau treibenden Land Nordrhein-Westfalen, und es ist vielleicht kein Zufall, wenn Sie von vornherein unterstellen, alle übrigen Länder, insbesondere die nur Kohle verbrauchenden Länder, würden sofort bereit sein, einer Verwendung von zusätzlichen 150 Millionen DM aus Haushaltsmitteln ausschließlich zugunsten des Bergarbeiterwohnungsbaus zuzustimmen. Leider ist das nicht so. Bereits bei der Diskussion der letzten Novelle hat sich eindeutig erwiesen, wie schwer es ist, die Interessen der verschiedenen Länder auf einen Nenner zu bringen. Es war keineswegs gewiß, daß der Bundesrat schon dem damaligen novellierten Gesetz zustimmen würde. Um wieviel schwieriger ist dann noch Ihr Vorschlag! Denken Sie daran, daß es eine große Zahl von Bedarfsträgern aus anderen Wirtschaftsgruppen, auch im Sektor des Wohnungsbaus, gibt, die mindestens für sich in Anspruch nehmen, in gleicher Weise ein Anrecht auf besondere Förderung zu haben.
Seit ich im Amt bin, führe ich zusammen mit dem Fachausschuß einen verzweifelten Kampf gegen das, was man „Kästchenwirtschaft" nennt. Ich bitte Sie, einmal zu mir herauszukommen und sich die Anträge anzusehen, die ständig von den Gruppen, z. B. Krankenschwestern, von den innerhalb der Länder Evakuierten und Zurückzuführenden, von den Aus- und Einpendlern — ich habe jetzt gar nicht einmal von Wirtschaftsgruppen, sondern nur von Bevölkerungsgruppen gesprochen —vorgelegt werden, um eine besondere Förderung durch Haushaltsmittel zu erreichen. Schaffen Sie dann obendrein noch das Präjudiz, daß eine Wirt-


(Bundesminister Dr. Preusker)

schaftsgruppe eine solche haushaltsmäßige Berücksichtigung findet, dann, Herr Kollege Deist, möchte ich dafür garantieren, daß daraus entweder ein solcher Rattenschwanz von Berufungsfällen entsteht, daß sich das überhaupt nicht machen läßt, oder aber wahrscheinlich für niemanden auch nur ein einziger roter Heller herausschaut.
Gerade deshalb glauben wir eben, daß es gut wäre, den unzweifelhaft aus den gleichen Gründen von der Bundesregierung bejahten besonderen Bedarf an Bergarbeiterwohnungen, die eine der Voraussetzungen für die Beseitigung der Lücke in der Kohlenversorgung darstellen, in der bisherigen Weise der Sonderabgabe über den Verbraucher zu decken.
Sie spielten darauf an, daß jetzt bereits eine zwischenzeitliche Leistung des Kohlenbergbaus im Hinblick auf die zu erwartende gesetzliche Fixierung der Abgabe erfolgt sei. Auch das hat nichts mit einem Privatakkord zu tun, sondern ist ausschließlich darauf zurückzuführen, daß in dem jetzt nun einmal notwendigen vertraglichen Ablauf der Einreichung von Preislisten bei der Montanunion mit der Zurückführung dann wieder um 2 DM je Tonne oder 2,60 DM beim Koks ein Zeitintervall überbrückt werden muß, da es ja unmöglich ist, daß im Wege des Aufschlags auf den gegenwärtigen Preis die grundsätzlich von der Bundesregierung bereits beschlossene Wiederaufhebung der Stundung und die volle Wiederinkraftsetzung ab 20. Oktober praktiziert wird. Ich glaube, daß wir auch hier nur wiederum im Interesse des Verbrauchers gehandelt haben. Der hätte nämlich im andern Fall noch zusätzlich zu den zur Zeit 2 DM so lange, bis die gesetzliche Klärung erfolgt ist, 1 DM oder, genau genommen, 0,90 DM zu tragen.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Berner-kung. Ich bin ansonsten wirklich bemüht gewesen, Ihre Argumente sehr ernst zu prüfen und auch ernst zu nehmen. Aber, Herr Kollege Deist, wenn einwandfrei feststeht, daß in der Bundesrepublik — unter sämtlichen bergbautreibenden Ländern in Europa — bei weitern das meiste geschehen ist, um die Bergarbeiter mit Wohnungen zu versorgen, wenn wir da bei weitem an der Spitze stehen und wenn wir obendrein auch im allgemeinen Wohnungsbau und im sozialen Wohnungsbau bei weitem an der Spitze aller Länder stehen, Gott sei Dank stehen, dann, glaube ich, ist wohl der Vorwurf der Konzeptionslosigkeit einer solchen Wohnungsbaupolitik nicht berechtigt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Im Gegenteil, ich darf Ihnen versichern, wir werden in derselben Weise fortfahren, damit wir nach unserer Konzeption weiterhin an der Spitze der Leistungen bleiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217407600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank (Oberhausen).

Dr. Martin Blank (FDP):
Rede ID: ID0217407700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorbereitete, im Wortlaut festliegende Reden sind, das haben wir heute wieder gehört, in diesem Hause unerwünscht. Ich kann mich persönlich dem nur anschließen. Ich muß zwar gestehen, daß ich, da ja diese Kohlenreden allmählich so etwas die Form von formulierten Erklärungen anzunehmen drohen, mir auch eine vorbereitet hatte; die liegt aber auf meinem Pult.

(Bravo in der Mitte.)

Angesichts der Zeitdauer, die diese seit dem 10. Februar bis heute verschobene Debatte inzwischen schon erfordert hat, glaube ich, sollte man sich sehr kurz fassen.
Wir sind gerade eben Zeugen des Umstandes gewesen, daß unsere Mitglieder der Regierung, wenn sie nur genügend gepiekt werden, durchaus in der Lage sind, sich ihrer Haut zu wehren. Ich muß sagen, daß ich als Angehöriger der Koalition das mit größter Genugtuung begrüßt habe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir glauben wirklich, daß es sehr überlegt werden sollte, ob etwas Positives in unserem gemeinsamen Anliegen erreicht wird, wenn man als ein prominenter Angehöriger der Opposition lauter Verdächtigungen ausspricht. Ich bin der Meinnung, man sollte es nicht so machen, denn es könnte dabei das gemeinsame Anliegen zu Schaden kommen, und daran kann uns doch allen gar nicht liegen.
Meine Damen und Herren, wie ist denn die Sache'? Selbst wenn wir keine Aussicht haben, bei dem außerordentlichen Steigen des Energiebedarfs, mit dem gerechnet werden muß — die Zahlen dazu hat der Herr Bundeswirtschaftsminister gegeben —, den Energiebedarf völlig aus dem deutschen Boden und aus deutschen Primärgrundstoffen zu decken, muß es doch unser aller Anliegen sein, unsere allmählich erschreckend werdende Auslandsabhängigkeit auf dem Gebiete der Primärgrundstoffe für die Energie aus eigener Kraft so weit zu verringern, wie es überhaupt nur denkbar ist. Wir sehen gerade in diesen Tagen, was sich auf dem Gebiete der Ölversorgung aus dem Nahen Orient in Europa vollzieht. Bisher erleben wir es an unseren Tankstellen ja noch nicht so. Wenn Sie gestern oder vorgestern mit mir in Kehl gewesen wären, dann hätten Sie gesehen, wie ganz verstohlen möglichst viele französische Kraftwagen schnell mal eben über die Brücke fuhren, um sich an den wohlversorgten deutschen Tankstellen noch einmal volizusaugen. Inzwischen ist in Frankreich die Bestimmung erlassen worden, daß, wer mehr als 20 Liter hat, es melden muß. Wir wollen mal sehen, wie es wird.
Jedenfalls droht unsere Einfuhrabhängigkeit so gewaltig zu werden — ich brauche die Zahlen nicht zu wiederholen —, daß wir mit aller Macht darangehen müssen, ein Mindestmaß an Sicherheit für unsere Versorgung mit Brennstoffen insbesondere auch mit festen Brennstoffen, zu erreichen.
Es ist unsere Überzeugung — auch die Überzeugung unsrer Freunde von der Fraktion der Deutschen Partei — daß wir wirklich die Möglichkeit haben, wenn wir es richtig anfangen, einen größeren Teil unseres Verbrauchs als heute aus eigener Förderung zu decken.
Daß wir augenblicklich so weit zurückhängen, mag Ihnen vielleicht eine Überlegung klarmachen. Vom Stiefkind der Marktwirtschaft und alledem ist hier ja schon gesprochen worden. Die Schlagworte sind alle schon verwendet worden; ich möchte sie nicht wiederholen. Hätte bei der Kohle — das ist eine theoretische Überlegung — nach der Währungsumstellung dieselbe Entwicklung Platz gegriffen, wie wir sie nach einiger Zeit beim Eisen hatten, würden wir wahrscheinlich einen Ausbau


(Dr. Blank [Oberhausen])

unserer Förderkapazitäten gehabt haben, der die 15 Millionen t, die augenblicklich etwa fehlen, aus eigener Förderung erbracht hätte. Wir hängen da sehr zurück. Wir wissen, daß der Bedarf noch erheblich anwachsen wird, und müssen uns also darauf einrichten, neue Produktionsstätten zu schaffen. Denn selbst wenn sämtliche Arbeitsplätze, die in den augenblicklich bestehenden Schachtanlagen vorhanden sind, voll besetzt wären, könnte damit das Optimum, das wir erzielen müssen, nicht erreicht werden. Ich glaube, daß allerhand Wege aufgezeigt worden sind, deren Zusammenwirken tatsächlich dahin führen kann, daß der Nachholbedarf durch die Schaffung neuer Schachtanlagen in schnellerem Tempo gedeckt werden kann, als das augenblicklich der Fall ist.
Eines möchte ich aber gern zum Ausdruck bringen. Meine Freunde und ich glauben nicht, daß es des schweren Geschützes und des besonders umständlichen Geschirrs einer gesetzlich verankerten Enquete bedarf, um festzustellen, was im Steinkohlenbergbau und überhaupt im Kohlenbergbau los ist. Ich glaube, daß die Tatsachen und die Beurteilungsgrundlagen vorhanden sind. Es mag sein, daß sie nicht alle an einer Stelle liegen. Ich weiß — und Sie wissen es wahrscheinlich zum großen Teil auch —, wie außerordentlich intensiv die sehr umfassenden Arbeiten der Hohen Behörde auf diesem Gebiete sind, die sich mit Deutschland ja deshalb besonders beschäftigt, weil Deutschland das Land mit der größten Kohlenförderung im Rahmen der Montanunion ist. Es liegen aber auch, wie wir heute wieder haben feststellen können, im Bundeswirtschaftsministerium sehr viele Zahlen vor. Sie beruhen natürlich zum großen Teil auf Angaben der Unternehmungen. Wo sollen die Zahlen auch anders herkommen, meine Damen und Herren! Ich wehre mich aber dagegen, daß eine Zahl, die nicht durch den Filter der Hohen Behörde oder des Bundeswirtschaftsministeriums gegangen ist, sondern von einem Unternehmensverband des Bergbaus unmittelbar veröffentlicht wird, von vornherein als verdächtig und wahrscheinlich falsch hingestellt und unter dem Gesichtspunkt der Gewinnsucht betrachtet wird. Ich glaube, wir haben keinen Anlaß, diese Verdächtigung immer wieder auszusprechen. Sollte sich eine besondere Notwendigkeit erweisen, das vorhandene Material zusammenzustellen, dann, glaube ich, könnte man damit eine bestehende Institution oder vielleicht einen Kreis von bestehenden Institutionen oder Forschungsinstituten beauftragen, ohne daß das große Geschütz einer Enquete aufgefahren wird. Wir wissen von früheren Erfahrungen, die mit solchen Enqueten auf gesetzlicher Grundlage gemacht worden sind. Dem möchte ich widerraten auf die Gefahr hin, daß wir den von Herrn Dr. Deist aufgestellten Test in seinen Augen nicht bestehen.
In den Ausführungen vom Herrn Kollegen Bleiß sind einige Forderungen gestellt worden bzw. Kritiken geübt worden, über die sich noch einiges zu sagen verlohnte. Ich will mir das jetzt aber schenken und nur sagen: ich glaube, die von ihm behauptete schlechtere Belieferung der öffentlichen Wirtschaft und besonders der Versorgungs-und Verkehrsunternehmungen mit Kohlen ist durch die Zahlen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister bekanntgegeben hat, aufs nachdrücklichste widerlegt.

(Abg. Jacobi: Nanu, nanu!)

-- Lieber Herr Kollege Jacobi, haben Sie nicht gehört: Herr Bleiß hat gesagt, es sei schlechter geworden. Wir haben von Millionen gehört, um die sich die Versorgung gesteigert hat.

(Abg. Jacobi: Ich weiß es anders!)

— Das ist eben die Geschichte. Ich glaube nicht, daß wir es jetzt hier zu Ende erörtern können. Aber wir werden es ja in den Ausschüssen tun können; da hat ja Herr Kollege Sabaß mit außerordentlicher Akribie vorgeschlagen, in welche Ausschüsse die verschiedenen Papiere sollen.
Zu dem, was der Kollege Sabaß gesagt hat, möchte ich — auch im Namen meiner Freunde — eine Bemerkung machen. Vielleicht ist er mißverstanden worden, aber es scheint, daß ihn alle Leute gleich verstanden haben. Er hat offenbar etwas gesagt, was auch unsere Billigung nicht findet. Wir wollen und dürfen den Gedanken nicht aufkommen lassen — am allerwenigsten bei einem so diffizilen Produkt wie der Kohle —, daß sich Arbeitnehmer und Unternehmer zu Lasten des Verbrauchers einigen. So sind die Dinge nicht. Ich will hier nicht untersuchen, von welcher Seite die Initiativen ausgegangen sind, die dahin geführt haben, daß Selbstkostenverschiebungen in der Kohlenförderung auftraten. Ich möchte aber zum Ausdruck bringen, daß wir diese Außerung, wenn sie tatsächlich so gemeint war, nicht billigen.
Schließlich möchte ich an die Mitglieder des Hohen Hauses auf allen Seiten den Appell richten, sich doch nun wirklich darüber klarzuwerden, um ein wie unendlich ernstes Problem — das ist auch heute wieder sehr deutlich zum Ausdruck gekommen — es sich hier handelt und daß wir mit dem guten Willen zu helfen und das Vernünftigste und Richtigste zu machen, zusammenarbeiten müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217407800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0217407900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der begreiflichen Ungeduld des Hauses angesichts der vorrückenden Zeit bitte ich um etwas Geduld, Gehör und Verständnis für Ausführungen, die in erster Linie zur Ergänzung der Berichterstattung unseres ersten Fraktionsredners bestimmt sind.
Der Herr Kollege Deist hatte die Freundlichkeit, wiederholt meine Rede zu zitieren, die ich hier im Februar zu dem gleichen Thema gehalten habe. Ich will deshalb auf Wiederholungen meinerseits verzichten, bitte aber jedenfalls davon ausgehen zu dürfen, daß wir einer sehr ernsten Mangellage in der deutschen Kohlenversorgung entgegengehen, wenn nicht rechtzeitig großzügige und umfassende Maßnahmen getroffen werden, und zwar bald. Ich bin mit den sozialdemokratischen Kollegen insofern nicht ganz einig, als ich im Augenblick einen Grund zu besonderer Sorge nicht erkennen zu können glaube. Der Herr Wirtschaftsminister hat bereits ausgeführt, daß diese Besorgnis nicht begründet ist. Ich bin selber Normalverbraucher und würde es deshalb spüren, wenn irgendwo in der Versorgung der Bevölkerung mit Kohle ein Mangel einträte. Kollege Deist, Sie mögen meinen: vielleicht weil ich Bergassessor oder Domherr oder sonst was bin, würde ich bevorzugt beliefert. Ich habe mir aber einige Zahlen ver-


(Dr. Friedensburg)

schafft und festgestellt, daß der Kohleneinzelhandel in der Bundesrepublik während des letzten halben Jahres 1,3 Millionen t mehr erhalten hat als im gleichen Zeitraum des vorigen Jahres.

(Zurufe von der SPD.)

Wenn wir diese Zahlen hören, meine verehrten Kollegen, sind wir, glaube ich, gegen die Annahme gefeit, daß von irgendeiner ernsten Krisis in der Versorgung des Kleinhandels und der Verbraucher in den Haushalten die Rede sein könne. Dafür sollten wir aber um so mehr die weitere Entwicklung ins Auge fassen. Diese wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß unser Steinkohlenbergbau in geradezu sensationeller Weise hinter der allgemeinen industriellen Entwicklung zurückbleibt. Ichmeine die berühmten Indexzahlen von 112 % für den Steinkohlenbergbau und von 205 % für die allgemeine Industrie im Jahre 1955 verglichen mit dem Jahr 1936. Man braucht sich diesen Unterschied als Laie oder als Wissenschaftler nur einen Augenblick vorzustellen, um zu erkennen, daß hier unbedingt etwas getan werden muß. Meinen Appell an Bundesregierung und Volksvertretung, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, wiederhole ich heute in vollkommen gleicher Weise, ja vielleicht sogar mit verschärfter Dringlichkeit, weil, worauf Kollege Blank bereits hingewiesen hat, uns die neueste politische Entwicklung wohl einer gewissen Sicherheit hinsichtlich der zukünftigen Versorgung aus anderen Ländern beraubt hat. Es wäre sehr leichtfertig, es als sicher anzunehmen, daß uns die anderen Länder auf absehbare Zeit das zur Verfügung stellen werden, was wir an unentbehrlichen Rohstoffen und Energieträgern brauchen und was wir uns, wenn wir vernünftig disponieren wollten, durchaus aus eigener Kraft beschaffen könnten.
In diesem Jahre werden wir allein in der Energieträgerversorgung unseres Landes ein Defizit in Höhe von einer Milliarde DM haben, unseres Landes, das bisher immer Ausfuhrüberschüsse in den Energieträgern hat erzielen und aus diesen Ausfuhrüberschüssen einen großen Teil seines sonstigen Rohstoffbedarfs hat decken können. Der Rohstoffbedarf ist weiter angestiegen, und zur gleichen Zeit sind unsere Ausfuhrüberschüsse gesunken. Wir haben allein in der Energieversorgung für das Jahr 1956 ein Defizit von mindestens einer Milliarde DM zu erwarten, und wenn die Entwicklung so weitergeht, wie wir es mit einiger Gewißheit voraussehen können, werden wir im Jahre 1960 ein Defizit von 4 Milliarden DM haben. Es ist mir durchaus ungewiß, ob wir aus den Oberschüssen der übrigen Wirtschaft dann eine so gewaltige Lücke werden stopfen können.
Das Problem hat seine kurzfristige und seine langfristige Bedeutung. Wir wollen einen Augenblick bei der kurzfristigen Bedeutung bleiben, zumal auch hier eine Reihe von wichtigen Gesichtspunkten zur Sprache gekommen sind. Lassen Sie mich auch vor allen Dingen noch ein Wort zur Kohlenprämie sagen! Ich kenne den Kollegen Sabaß lange genug, um annehmen zu können, daß es sich bei diesem Teil seiner Ausführungen wohl um einen falschen Zungenschlag gehandelt hat. Ich kann jedenfalls feststellen, daß die Christlich-Demokratische Union völlig einig ist in der Betrachtungsweise, wie sie vom Herrn Bundeswirtschaftsminister vorgetragen worden ist, und ich halte seine Bezeichnung, daß es sich um ein Privileg handelt — vom Kollegen Deist dankenswerterweise aufgenommen —, sogar für sehr glücklich.
Meine Damen und Herren, es handelt sich um eine geradlinige Fortsetzung eines Brauchs, einer Tradition, die seit dem Mittelalter für den deutschen Bergmann gilt. Eine Bevorzugung des Bergmanns, der unter Tage, unter Ausnahmeumständen zu arbeiten hat, durch den Staat ist vom Staate immer als staatspolitische Notwendigkeit und nicht als irgendeine wirtschaftliche Maßnahme angesehen worden. Wenn früher ,der Landesherr Bergbau einrichten wollte, dann gewährte er Privilegien, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich gesagt hat, d. h. die Bergleute erhielten freien Raum für ihren Hausbau, sie bekamen freies Holz in den herrschaftlichen Forsten, sie wurden für lange Zeit von Steuern befreit, und sie genossen eine Reihe von Vorzügen, die andere Staatsbürger, andere Untertanen der betreffenden Dynastien nicht genossen. Es handelte sich aber hierbei weniger um den Wunsch, irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile zu gewähren, sondern um eine Anerkennung, idaß der Mann, der unter Tage arbeitet und sich dadurch von allen lübrigen Menschen im Lande unterscheidet, einer Hervorhebung bedurfte. Es war heute wie damals zugleich auch eine praktische Notwendigkeit; denn der Nachwuchsfür diesen schwierigen undbisweilen auch etwas gefährlichen Beruf fand sich nicht zusammen, wenn er nicht in der von mir gekennzeichneten Art privilegiert wurde. Das ganze Haus ist mit der Regierung einig gewesen, daß wir die Schichtprämien genau im Sinne der alten deutschen Überlieferung als eine staatspolitische Notwendigkeit, nicht aber als irgendeine lohnpolitische Zuwendung aufzufassen haben. Ich möchte das mit allem Nachdruck auch für meine politischen Freunde einmal zum Ausdruck gebracht haben.
Nun zum Kohlenpreis! Kollege Deist meint, er sei tabu, und man dürfe darüber nicht reden. — Wir reden eigentlich hier den ganzen Abend darüber. Ich kann nicht recht verstehen, warum er meint, daß wir hier nicht darüber reden wollen. — Natürlich ist es nicht ganz leicht, eine einmal beschlossene Preiserhöhung nachträglich wieder rückgängig zu machen, den Preis wieder herabzusetzen. Ich habe mir aber sagen lassen, daß es bei Löhnen auch nicht ganz einfach ist, sie wieder herunterzusetzen, wenn sie einmal heraufgesetzt worden sind. Umgekehrt ist es ja auch nicht ganz leicht, sie heraufzusetzen. Wir haben den begreiflichen Wunsch, daß Löhne und Preise eine gewisse Stabilität aufweisen. Das ist durchaus auch wirtschaftswissenschaftlich zu begründen, und so sind wir im allgemeinen bemüht, Preiserhöhungen, wenn mögich, zu vermeiden.
Aber bei aller Würdigung dieses Wunsches kann ich doch nur feststellen, daß die letzte Kohlenpreiserhöhung, die für die meisten — auch für mich — als Überraschung gekommen ist, erstaunlich glatt von der Wirtschaft aufgenommen worden ist, ohne jene berüchtigte Kettenreaktion auszulösen.

(Zuruf von der SPD: Nanu?)

Ich habe es damals gleich feststellen zu können geglaubt. Man hat es mir bestritten; aber ich kann nur bestätigen, was die Wirtschaftswissenschaftler vorausgesagt haben, daß nämlich die Geringfügigkeit des Lohnanteils an den Selbstkosten fast der gesamten Wirtschaft nennenswerte Preissteigerungen — sofern überhaupt Kosten eine Rolle spielen — verhindern würde. Diese Voraussage hat sich durchaus erfüllt, und heute, nachdem eine ganze Zeit vergangen ist, können wir sagen: Jene berüch-


(Dr. Friedensburg)

tigte Kettenreaktion ist einfach ausgeblieben. Es mag nicht ganz in gewisse Vorstellungen hineinpassen, aber wir können doch die Tatsachen nicht anders darstellen, als sie wirklich gewesen sind.
Wir haben gehört, daß wir ausländische Kohle um einen sehr erheblichen Preisaufschlag beziehen müssen, um 40 his 50 DM. Kollege Sabaß nannte sogar 70 DM je Tonne bei Koks. Ja, wenn ich mir als Wirtschaftler überlege, was ich im Interesse meiner Verbraucher für besser halte: den einheimischen Kohlenbergbau ein wenig besserzustellen, weil er dann mehr fördern kann, oder ob ich ihn rigoros auf Grund irgendeiner Doktrin niederhalte und dafür dann teure ausländische Kohle kaufe, so weiß ich nicht, ob ich mich nicht durchaus für eine mäßige Preiserhöhung der inländischen Kohle entscheiden würde. Ich halte das für ökonomisch auch wesentlich besser, sowohl im Interesse der Volkswirtschaft wie auch im Interesse der Privatwirtschaft.
Daß keine Krisis besteht, daß wir keine ernste Mangellage haben, verdient um so mehr hervorgehoben zu werden, als man nach Zeitungsmeldungen in der Hohen Behörde in Luxemburg erwägt, die Mangellage, wie sie im Vertrag der Montanunion vorgesehen ist, zu erklären und damit eine gewisse Lenkung der Versorgung herbeizuführen. Sicherlich werden wir uns den Konsequenzen des von uns geschlossenen und auch von der Mehrheit dieses Hohen Hauses beschlossenen Montanvertrags nicht entziehen dürfen. Wenn eine solche Mangellage ernstlich eintritt und die Schwierigkeiten der Versorgung auf anderem Wege nicht behoben werden können, dürfen wir nicht aus irgendeiner nationalen Selbstsucht versuchen, uns herauszuhalten. Aber die Voraussetzungen hierfür sind nicht gegeben, und solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, wollen wir doch sehr, sehr vorsichtig sein in der Anwendung einer so zweischneidigen, so gefährlichen Waffe, wie sie die Erklärung der Mangellage mit den dann einsetzenden Lenkungsbefugnissen der Hohen Behörde sein würde. Wir haben doch alle unsere trüben Erfahrungen mit . den Lenkungsmaßnahmen des Staates gemacht, und ich glaube nicht, daß irgend jemand sich danach sehnen könnte.
Was den Werkselbstverbrauch betrifft, Kollege Deist, so denke ich auch hier ein wenig anders als Sie. Zunächst hat der Werkselbstverbrauch zwei volkswirtschaftlich außerordentlich wichtige Funktionen, die wir keineswegs beseitigt sehen wollen. Im Werkselbstverbrauch verbraucht man vor allen Dingen die Sorten, die man auf dem freien Markt nicht so gut absetzen kann. Es werden namentlich Zwischenprodukte auf diese Weise verbraucht, nutzbringend verbraucht, die im Absatz an Dritte nicht verkauft werden können. Ferner haben die vertraglichen und organisatorischen Beziehungen zwischen den Werken den sehr großen Vorteil, die sehr große Bedeutung, daß sie den Kohlengruben auch dann, wenn es ihnen nicht gut geht, über schlechte Zeiten hinweghelfen. In der ganzen Geschichte des deutschen Kohlenbergbaus hat es sich erwiesen, daß gerade die Zechen, die durch eine organisatorische oder vertragliche Verbindung mit anderen, vieleicht besser rentierenden Industriegruppen gesichert waren, besser abgeschnitten haben. In einem Zeitpunkt, wo wir uns Sorgen um die zukünftige Entwicklung unseres Kohlenbergbaus machen, möchte ich ernstlich fragen, ob es empfehlenswert wäre, an diese Dinge zu rühren, die für die zukünftige Entwicklung doch eine sehr nützliche, vorteilhafte Bedeutung haben können.
Endlich ein Wort zum Wohnungsbau. Kollege Deist, Sie meinen, es sei nicht die Aufgabe des Bergbaues, sich um die Wohnungen zu kümmern; das sei die Aufgabe des Staates. Ich möchte einmal Ihre Entrüstung hören, wenn der Bergbau mit verschränkten Armen zusähe, wie die Belegschaften schlecht untergebracht wären.

(Sehr richtig!)

Ich könnte mir denken, daß Sie sich dann noch mit einer ganz anderen Schärfe gegen diese unsoziale Haltung des Bergbaus wenden würden, der sich nicht um eine so dringende und zwingende Notwendigkeit seiner Bergleute kümmerte.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich muß sagen, ich bin in die letzten Finessen der Wohnungsbauabgabe nicht eingedrungen; die Herren vom Wohnungsbauministerium mögen das entschuldigen. Ich habe das primitive Gefühl: die Hauptsache ist, daß Wohnungen gebaut werden. Wenn es der Bergbau macht, freue ich mich; wenn es der Staat macht, freue ich mich auch. Jedenfalls: aus Kompetenzschwierigkeiten — das kann ich als alter preußischer Beamter sagen — ist noch nie etwas Gutes herausgekommen. Wir wollen froh sein, daß beim Bergbau genug Verantwortungsgefühl für diese in er Tat auch wirtschaftlich außerordentlich dringende und brennende Frage bestanden hat. Und daß das mit einem mäßigen Preiszuschlag bezahlt werden muß, das ist nun mal so: Wenn man etwas haben will, muß man irgendwie dafür das Geld beschaffen.
Aber, meine Damen und Herren, als wichtiger noch als diese Erwägungen zur augenblicklichen Lage sind die Probleme anzusehen, die sich mit der langfristigen Kohleförderung beschäftigen. Wir müssen — und darüber besteht gewiß volle Einmütigkeit — die Kohleförderung steigern, und der Herr Bundeswirtschaftsminister, mein verehrter Herr Kollege und Freund, wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich sage: Hierzu waren die Erklärungen der Regierung ein klein wenig mager; ich hätte gern etwas mehr gehört. Wir werden darauf noch kurz zu sprechen kommen. Vielleicht werden die Vorschläge des Kollegen Blank nach dieser Richtung zu verwenden sein.
Die Investitionen sind einfach nicht ausreichend. Wir müssen jedenfalls im Laufe der nächsten fünf Jahre etwa 6 Milliarden DM zusätzlich investieren, und die kommen nicht vom Himmel herunter. Man muß sich rechtzeitig überlegen, wo dieses Geld herkommen soll. Ich würde deshalb glauben, daß wir vor allen Dingen die Investitionen steuerlich noch besser behandeln sollten als bisher. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, daß bereits für vier Schachtanlagen durch das Zusammenwirken der nordrhein-westfälischen Ressorts und der Bundesressorts eine Steuererleichterung hinsichtlich der Investitionen, also eine Abschreibungserleichterung, herbeigeführt worden sei. Ich glaube, Herr Staatssekretär Hartmann, so ganz wohl ist uns dabei nicht, wenn so grundsätzlich und praktisch wichtige Regelungen allein der Exekutive überlassen bleiben. Ich glaube, wir sollten uns überlegen, ob da nicht der Gesetzgeber rechtzeitig grundsätzliche Festlegungen treffen sollte. Es ist nicht nur nicht gut — wir sind bei uns wohl dagegen geschützt —, daß dann Entscheidungen auf


(Dr. Friedensburg)

nicht ganz objektiver Basis erfolgen — ich würde diese Sorge nicht haben —; aber ich möchte, daß der Bergbau weiß, woran er ist. Der Bergbau muß seine Pläne zur Steigerung der Förderung aus eigener Verantwortung auf einer festen, klaren, gesetzlichen Grundlage treffen können. Wenn er kalkuliert, in welcher Weise er sich künftig das Geld beschaffen kann, um eine Schachtanlage auf dem grünen Rasen zu errichten, dann soll er nicht erst mit einer Reihe von Vertretern überall in den Bundesressorts und in den Ressorts des Landes Nordrhein-Westfalen antichambrieren müssen, sondern er muß wissen, woran er ist, und der Gesetzgeber hat bei einer so dringend wichtigen Frage die Pflicht, die Regelungen grundsätzlich und auf lange Zeit hinaus zu treffen.
Also die Abschreibungsfreiheit halte ich für unbedingt notwendig, und zwar ganz umfassend, allgemein. Ich glaube, das Bundesfinanzministerium wird hierbei sehr auf seine Kosten kommen. Denn jede Tonne Kohle, die auf dem Wege einer Investitionserleichterung künftig mehr gefördert wird, bringt dem Bundesfinanzminister auf die Dauer wesentlich mehr Geld — das Vielfache an Geld — ein, als er jetzt vielleicht im Augenblick dadurch einbüßt, daß er gewisse Investitionserleichterungen gewährt.
Die Anlage neuer Schächte dauert Gott sei Dank nicht 15 bis 20 Jahre. Es ist schon, wie Kollege Deist meinte, genug, wenn wir von 10 bis 12 Jahren sprechen. Aber wir wollen die Sache nicht noch mehr erschweren und wollen uns also mit 10 bis 12 Jahren begnügen. Das ist jedenfalls eine Frist, für die der normale Privatkapitalist in der Regel nicht zur Hergabe seines Geldes bewogen werden kann.
Soweit die Investitionserleichterungen also nicht ausreichen, stimme ich dem Kollegen Deist völlig darin zu, daß hier die öffentliche Hand in großem Stile eingreifen müßte. Ich glaube nach den Erfahrungen in England und vor allen Dingen in Frankreich nicht, daß wir irgendeine Regelung treffen können, die zu einer versteckten Sozialisierung führen würde. Aber ich glaube, wenn wir vernünftig zusammenwirken, werden wir Mittel und Wege finden, bei denen die uns unentbehrlich erscheinende Initiative des Privatunternehmers verbunden wird mit einer gesunden Unterstützung durch die öffentliche Hand. Da lassen sich sicher organisatorische Wege finden, die für beide Seiten annehmbar sein werden.
Aber ich glaube — und da appelliere ich auch an den Herrn Bundeswirtschaftsminister —, wir werden um eine großzügige Investitionshilfe nicht herumkommen. Sie ist wahrscheinlich überhaupt die entscheidende Maßnahme, um die Energielücke der Zukunft in angemessener Weise zu schließen.

(Sehr richtig! links.)

Ich weise auch noch auf eine Möglichkeit hin, die bisher in der Debatte zu diesem Punkte wohl überhaupt noch nicht erörtert worden ist. Meiner Ansicht nach sollten wir auch einen gewissen Zwang auf die Erschließung der schlafenden Verleihungen ausüben. Wir haben in allen deutschen Landesteilen viele Tausende — ich habe mir schnell eine Statistik zu beschaffen versucht; wahrscheinlich über 10 000 — Grubenfelder, die zum Teil seit Jahrzehnten, zum Teil seit fast hundert Jahren verliehen sind, in denen noch niemals ein Bergmann auch nur einen Hieb mit der Hacke ausgeführt hat. Wir haben auch in Nordrhein-Westfalen und im Ruhrrevier zahlreiche Felder, deren Besitzer gar keine Beziehung mehr zum Bergbau haben, die froh sind, diese schöne Zukunftsreserve zu haben — sie leben zum Teil im Ausland —, und die nicht bereit sind, ohne einen völlig exorbitanten und jede wirtschaftliche Entwicklung ausschließenden Preis diese Felder der praktischen Erschließung durch Dritte zuzuführen. Ich könnte mir denken — das ist ein alter Lieblingsgedanke von mir, und vielleicht hellen sich dann auch die Mienen im Bundesfinanzministerium etwas auf —, daß eine progressive Feldersteuer, d. h. eine Steuer, die nach einer gewissen Karenzzeit von 10 oder 20 Jahren von Jahr zu Jahr steigt, viele Kohlenfelder gerade im Ruhrgebiet zur beschleunigten Erschließung bringt, wenn wir den Mut haben, sie wirklich in einer fühlbaren Höhe einzuführen. Das ist etwas, was bei den Verhandlungen in den Ausschüssen durchaus wird behandelt werden müssen.
Nun ein Wort zur Enquete. Auch meine Freunde — ich glaube, das brauche ich nicht zu versichern — stehen dem Gedanken einer Enquete nicht gerade von vornherein mit einer besonderen Aufgeschlossenheit gegenüber. Wenn sie notwendig wäre, Herr Kollege Deist, würden auch wir einer Enquete zustimmen müssen. Aber ich habe in der ganzen Debatte eines vermißt: wo sind die Tatsachen, die durch eine Enquete überhaupt erst der Feststellung oder Aufklärung bedürfen? Auch Herr Kollege Deist hat Tatsachen dieser Art nicht angeführt. Was uns fehlt, ist eine gute, sorgfältige Zusammenfassung der bekannten Tatsachen und eine gute volkswirtschaftliche Analyse. Ich bezweifle sehr, daß gerade eine Enquete der rechte Weg sein wird, eine solche Analyse und Beurteilung durchzuführen. Ich kann mir das jedenfalls nicht vorstellen.
Herr Kollege Bleiß hat die Enquete damit begründet, daß die Öffentlichkeit in größtem Umfang Anspruch darauf habe, gründlich informiert zu werden. — Ich glaube, ich zitiere Sie wörtlich. — Wenn das der Sinn der Enquete ist, würde ich Sie und uns auf das dringendste vor einer solchen Enquete warnen. Eine Enquete, die in unserem Sinne wirklich Wert haben soll, die uns also, was heute vielleicht noch nicht in vollem Umfang besteht, eine klare Beurteilung der Lage ermöglichen und die zu ziehenden Schlußfolgerungen herausarbeiten soll, kann meiner Ansicht nach nur im stillen geschehen, aber nicht, wenn unaufhörlich das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit auf die einzelnen Verhandlungen gerichtet ist.
Ich stelle mir die armen Leute vor — nach dem Gesetzentwurf unserer sozialdemokratischen Kollegen sollen es 29 bis 35 Leute sein —, das müssen doch alles Spitzenkräfte sein, die nun mindestens für ein, zwei Jahre praktisch immobilisiert werden und jeder anderen vernünftigen Arbeit entzogen werden. Einen solchen Überschuß an wirklich tüchtigen und schöpferischen Kräften haben wir leider nicht.
Ich wiederhole: Wenn es gar nicht anders ginge, wenn wir noch das Gefühl hätten, daß uns hier wichtiges vorenthalten wird, daß es sich um ein großes dunkles Gebiet handelt, in das wir endlich hineinleuchten müssen, Herr Kollege Deist, dann würde ich Ihnen zustimmen. Aber diese Voraussetzung ist einfach nicht gegeben.


(Dr. Friedensburg)

Der Gedanke des Herrn Kollegen B 1 a n k, daß man die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute heranziehen sollte, erscheint mir sehr nützlich und fruchtbar, und ich danke ihm für seinen sehr guten Rat. Ich sage das, auch wenn ich Leiter eines solchen Instituts und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der wirtschaftswissenschaftlichen Institute bin. Ich habe für die Institute keine Erklärung abzugeben, aber über einen solchen Plan ließe sich natürlich reden. Die Wirtschaftsforschungsinstitute wären wahrscheinlich diejenige Stelle, wo das zu geschehen hätte, was mir vorschwebt: eine Zusammenfassung und eine angemessene Durchleuchtung des vorgetragenen Tatsachenmaterials sowie das Herausarbeiten von volkswirtschaftlichen Schlußfolgerungen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ich bin nicht doktrinär genug, um zu sagen: das muß sich alles im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft oder außerhalb der sozialen Marktwirtschaft abspielen. Wir wollen, daß dem Bergbau geholfen wird nicht so sehr um des Bergbaus willen — obwohl die vielen tüchtigen Menschen, die darin tätig sind, das verdienen —, sondern weil wir der Überzeugung sind, daß die deutsche Volkswirtschaft eine Lösung dieses Problems braucht. Wir werden zu dieser Lösung um so eher kommen, je besser wir zusammenarbeiten und je mehr wir auf doktrinäre Zuspitzungen und irgendwelche prinzipiellen Forderungen verzichten, die letzten Endes in der Sache nicht weiterführen. Meine politischen Freunde sind jedenfalls entschlossen, in den Ausschüssen, an die die Vorlagen überwiesen werden sollen, herzhaft und nachdrücklich zusammenzuarbeiten, und ich bin gewiß, daß etwas Gutes dabei herauskommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217408000
Das Wort hat der Abgeordnete Schloß.

Hanns Schloß (FDP):
Rede ID: ID0217408100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist auf den Tag genau zehn Jahre her, daß ich die Ehre hatte, in dem damaligen württembergisch-badischen Landtag auch zu einer Kohlendebatte für meine Fraktion reden zu dürfen. Ich habe heute bei dieser Diskussion im wohlgeheizten Plenarsaal des Deutschen Bundestages lebhaft an diesen Tag denken müssen. Damals saßen wir in Mäntel gehüllt im kalten Saal eines Krankenhauses in Stuttgart, um die Dinge zu beraten. In der dortigen Regierung saßen Kommunisten, CDU und Sozialdemokraten mit uns zusammen, und wir haben unter dem Druck der Not, die wir alle spürten und die uns von der Straße aus anstarrte, sehr vernünftige Maßnahmen gefunden und haben den damaligen Notstand gerecht zu verteilen gesucht. Meine Damen und Herren, nehmen Sie es mir nicht übel: bei der heutigen Debatte hat man streckenweise das Gefühl, daß man, je geringer die Not einen eigentlich drückt, um so leidenschaftlicher und heftiger um die letzten Mängel und um die letzte Perfektion kämpft.
Die Anklagen, die hier stellenweise gegen die Regierung, stellenweise gegen die Kohlenwirtschaft erhoben wurden, sind teilweise an ganz falsche Stellen gerichtet worden. Ich muß nachdrücklich sagen, daß ich vielfach den Kohlenhandel und die Kohlenwirtschaft gern dort angesprochen gesehen hätte, wo man praktisch die Regierung zitiert hat, und auch umgekehrt. Meine Damen und Herren, Sie sind mit einer Masse von Zahlen gefüttert worden, Sie haben ein Kolloquium über die Kohlenwirtschaft gehört, wie man es in besserer Vollendung nicht hören konnte. Ich will Sie nicht mit Zahlen behelligen; aber um die Debatte wieder einmal auf die volkswirtschaftliche und nicht die parteipolitische Ebene zu heben, möchte ich sagen: die erschütterndste Zahl, die uns Abgeordneten dieses Hauses am meisten zu denken geben sollte, ist doch die, daß die Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1955 ein Energieeinfuhrland geworden ist, während sie in ihrer ganzen Geschichte ein Energieausfuhrland war. Im Jahre 1954 hatten wir beispielsweise noch eine Ausfuhr an Energie von etwa 9,5 Millionen t Steinkohleneinheiten, während wir im Jahre 1955 mit 4 Millionen t Steinkohleneinheiten passiv geworden sind, und das, obwohl in unserem Boden Kohlenvorräte für etwa 400 Jahre lagern. D a s ist doch das Problem, vor das wir gestellt sind und mit dem wir uns auf volkswirtschaftlicher Ebene befassen müssen. Dabei ist ganz gleichgültig, ob die Witwe Bolte in München, weil sie nur ein Zimmer hat und im Sommer ihre Union-Briketts nicht einlagern konnte, als ihr Kohlenhändler sie ihr anbot, jetzt sagt: ich stehe vor dem Nichts, ich habe keine Kohlen. Meine Damen und Herren, überschätzen Sie die Einzelsymptome der Unzufriedenheit in der Verteilung da und dort nicht! Der Kohlenhandel ist nicht vollkommen und nicht vollendet. Viele Dinge gehen nicht den geraden Weg. Das gibt es in anderen Branchen auch. Aber es sind auch so viele menschliche Unvollkommenheiten zu überwinden, die gar nichts mit dem bösen Willen der Kohlenhändler oder der Kohlenwirtschaft zu tun haben und die auch durchaus nichts mit einem Versagen der Regierungsstellen zu tun haben.
Wenn beispielsweise Herr Kollege Deist, dessen Ausführungen auf so beachtlicher Höhe standen, davon sprach, daß eine Frau irgendwo einen Brenner habe, mit dem sie eben nur Union-Briketts brennen könne, und sie könne diese Briketts nicht bekommen, dann muß ich Ihnen allerdings sagen: hier hat der Kohlenhandel seit Jahr und Tag die jeweilige Situation in Rundschreiben an seine Kunden, bis zum kleinsten Händler herunter, geschildert, und jedem war die Möglichkeit gegeben, sich an die Brennstoffsituation anzupassen. Es lag nicht in unserem Belieben, die Herstellung von Union-Briketts an den jederzeitigen Bedarf anzupassen.
Was ist eigentlich aus der heutigen Debatte herausgekommen? Wir sind uns über eine ganze Reihe von Maßnahmen auf allen Seiten des Hauses einig. Herr Deist hat selbst ausgesprochen, daß er der Überzeugung ist, daß die Kohlenwirtschaft zur Durchführung ihrer großen Aufgaben, die die zukünftige Sicherung des wachsenden Energiebedarfes betreffen, starker Kredite bedürfe. Er sprach sogar davon, daß öffentliche Kredite in Frage kämen. Wir sind uns darüber einig, daß dem Bergarbeiter als dem wichtigsten Produktionsfaktor an der Ruhr eine ganz bedeutende Sonderstellung eingeräumt werden muß. Hier sind Maßnahmen, wie der Bergarbeiterwohnungsbau sie bringen soll und wie das Prämiengesetz sie gebracht hat, gute Anfänge. Wir sind uns darüber einig, daß diese Maßnahmen rasch getroffen werden müssen, um einen künftig viel größer werdenden Engpaß in der Energieversorgung zu vermeiden. Meine Damen und Herren, warum streiten wir uns dann eigentlich noch? Wir streiten uns im wesentlichen darum, daß das Mißtrauen zwischen gewissen Gruppen nicht aus der Welt zu schaffen ist. Es spukt noch so etwas wie


(Schloß)

das Gespenst des alten Kohlen- oder Schlotbarons unter uns, das in Wirklichkeit gar nicht mehr existiert.
Wenn beispielsweise gesagt wird, die Zechen an der Ruhr seien zersplittert, es gebe jetzt 150 bis 160 kleinere Zechen, und das sei doch kein Zustand, dann muß ich Ihnen allerdings sagen: Sie hätten ehrlich sagen müssen, Herr Kollege, daß dieser Zustand ja durch die Dekartellisierung der Alliierten künstlich gefördert worden ist. Er ist durchaus nicht das Ideal der Kohlenwirtschaft an der Ruhr. Wenn die Dinge umgekehrt wären, Herr Kollege Deist, wenn all diese kleinen Gesellschaften bei den großen unterkröchen oder von den großen aufgenommen würden, kämen dann nicht aus Ihrem Lager die Kassandrarufe: Hier bildet sich wieder eine monopolistische Macht, der wir mit allen Mitteln widerstreben müssen!? Wie man es auch macht, ist es also verkehrt. Es gäbe nur eine Möglichkeit für uns: uns auf die sachlich erkennbaren Tatsachen zurückzuziehen und gemeinsam zu sehen, was sich auf der politischen Ebene tun läßt.
Sie kommen nun zunächst mit einem Enquetegesetz und sagen: Mit den Ermittlungen, die wir da anstellen wollen, können wir uns Unterlagen schaffen für ein künftiges planmäßiges politisches Handeln. Zugegeben: wenn dieser Gedanke der einzige Leitgedanke ist, den Sie bei dem Enquetegesetz haben — ich fürchte, Sie haben noch andere Gedanken dabei —, dann ist dagegen nicht viel zu sagen. Sie haben aber wohlweislich von vornherein unsere Hauptargumente zurückzuweisen versucht, indem Sie sagten: Sie werden sagen, sechs Enqueten sind bereits gewesen, der Kohlenbergbau ist durchleuchtet wie kein Wirtschaftszweig; aber wir haben noch ganz spezielle Anliegen; wie wollen ganz bestimmte Dinge wissen, weil ja auch der Kohlenbergbau Forderungen an den Staat stellt. Ich bin mit allen Rednern der Überzeugung, daß jeder, der Forderungen an den Staat stellt, auch die Verpflichtung hat, nachzuweisen, ob diese Forderungen berechtigt sind. Der Kohlenbergbau und die Wirtschaftsverbände, die mit ihm zusammenarbeiten, sind verpflichtet, den Nachweis zu führen, welche Investitionsbedürfnisse bestehen und welche gesetzlichen Maßnahmen den Kohlenbergbau in den Stand setzen sollen, seine volkswirtschaftlichen Verpflichtungen für die nächsten Jahrzehnte zu erfüllen. Herr Kollege Friedensburg sagte vorhin, es sei möglich, der Einsetzung einer solchen Enquetekommission zuzustimmen. Das mag für die CDU zutreffen. Meine Freunde sind jedenfalls der Meinung, daß eine solche Kommission nicht notwendig ist. Sie ist kostspielig, sie ist erfahrungsgemäß handlungsunfähig, ihre Zusammensetzung wird ausgeknobelt. Es ist ein Spiel, das, ich möchte fast sagen, Wochen verschlingt, bis jedermann ausgeknobelt ist, der zu jeder Interessengruppe paßt. Wir versprechen uns davon nichts.
Hingegen ist der andere Vorschlag des gleichen Kollegen, die bestehenden Verbände heranzuziehen, durchaus richtig, wobei ich unter den bestehenden Verbänden auch die Ihnen nahestehenden Gewerkschaften verstehen möchte. Sie haben dann die Möglichkeit, Ihre infolge des Mitbestimmungsrechts in der Montanindustrie ausgezeichnet informierten Vertreter in den Aufsichtsräten für Ihre Informationen heranzuziehen. Ich sehe nicht ein, daß hier ganz neue Schnüffelkommissionen und neue Positionen geschaffen werden müssen, um den Dingen den gewünschten Dreh zu geben.
Ich habe aber das Gefühl, daß Ihnen der ganze Wirbel, den Sie heute um die Kohlenpreisgestaltung gemacht haben, der ganze Wirbel, den Sie um die angebliche Mangellage angestellt haben, in Wirklichkeit nur dazu dienen soll — es ist ein politischer Stil, der von allen Parteien geübt wird; ich nehme meine davon nicht aus —, Ihr echtes Ziel zu verschleiern. Sie haben sich in Ihrem Parteiprogramm vorgenommen, die Grundstoffindustrien zu verstaatlichen. Auf diesem Wege wollen Sie mit dem Enquetegesetz und mit der Behandlung, die die ganze Kohlenfrage heute im Hause durch Sie erfahren hat, einen Schritt weitergehen. Ich darf dazu nur sagen: Ohne uns!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217408200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217408300
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte zunächst den einleitenden Worten des Herrn Bundeswirtschaftsministers Dr. Er har d zustimmen. Er sagte: Wer hart im Geben ist, sollte auch hart im Nehmen sein. Ich finde nur, das müßte auf Gegenseitigkeit beruhen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Es ist nun einmal mit den Zeitläuften so, daß der eine zu bestimmten Zeiten mehr am Nehmen und der andere am Geben ist, und zu anderen Zeiten ist es umgekehrt. Ich glaube, man sollte dann nicht so reagieren, Herr Bundeswirtschaftsminister, wie Sie das getan haben.

(Zuruf von der Mitte: Warum nicht?)

— Ich fand, um es ganz offen zu sagen, die Argumentation nicht ganz sachlich.
Aber bitte, ich möchte mich auf einer vernünftigen Basis mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister unterhalten und in diesem Sinne einige seiner Bemerkungen etwas eingehender behandeln. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich erregt, daß ich von Schönfärberei gesprochen habe. Da seien so einzelne Einzelhändler, die sich of fen-bar nicht ganz marktwirtschaftlich verhielten. Ich hätte nicht eine einzige seiner Zahlenangaben als falsch kritisiert; die seien sämtlich richtig. — Nun, bis auf eine Zahl — und die war falsch — habe ich die Zahlen des Herrn Bundeswirtschaftsministers wirklich nicht kritisiert, weil sie richtig waren. Nur war ich der Auffassung, daß zur Beleuchtung der Situation einige weitere Zahlen hinzugefügt werden müßten, um das Bild vollständig zu machen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Darum habe ich keine Zahl bestritten, aber einiges dazu getan, um eine richtige Beleuchtung der augenblicklichen Situation zu geben. Ich glaube, das war nur in der Ordnung.
Es trifft auch zu, daß im ersten Halbjahr des Jahres 1956 an Hausbrand bereits 53 % — statt 45 % im vergangenen Jahr — ausgeliefert worden sind. Nur muß ich leider gestehen, daß das die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert. Denn was über die Hälfte hinaus geliefert wurde, ist doch a conto der Gesamtmenge des Jahres geliefert worden. Und es ist leider zu einem erheblichen Teil nicht mehr vorhanden, weil es in diesem kühlen Sommer verbraucht wurde.

(Sehr richtig! bei der SPD.)



(Dr. Deist)

Ich habe gar nicht prophezeit und wer weiß wie schwarz gemalt, sondern ich habe einige Tatsachen festgestellt, die sich im übrigen aus dem eigenen Material und den Unterlagen des Herrn Bundeswirtschaftsministers ergeben.
Im übrigen zu dem letzten Diskussionsredner nur ein Wort. Er sprach von dem Wirbel über die Preissituation und von dem Wirbel über die Versorgung, den wir hier verursachten. Herr Kollege, soviel es mir scheint, sind wir nur ein deutlicher und genauer Interpret dessen, was man draußen in der Bevölkerung empfindet.

(Beifall bei der SPD.)

Mir scheint, das Parlament hat die Aufgabe, sich mit diesen Dingen zu befassen. Ich hoffe, daß es nicht ironisch von Ihnen gemeint war, als Sie sagten, ich hätte mir Mühe gegeben, die Dinge sachlich und gründlich darzustellen. — Ich sehe, daß Sie es nicht ironisch gemeint haben. Darum meine ich: eine solche Debatte sollte nun nicht so bagatellisiert werden, daß man sagt: draußen ist alles prima in Ordnung, wir haben hier einen geheizten Saal, aber man macht hier einen Wirbel um die Versorgung. Ganz so sollte man die Dinge nicht darstellen.
Es ist mir gerade von einem Kollegen aus Schleswig-Holstein gesagt worden: es ist nicht so einfach zu sagen: ich schmeiße meinen Brenner raus und verheize keine Braunkohlenbriketts mehr, sondern eine andere, sehr teure Kohle. In Schleswig-Holstein sind alle Flüchtlingslager mit solchen Dauerbrennern ausgerüstet und auf Braunkohlenbriketts angewiesen. Wir sollten also die Dinge auch so sehen und nicht so tun, als ob es ein parlamentarischer Wirbel wäre, der hier veranstaltet wird.
Eine Zahl, Herr Bundeswirtschaftsminister, habe ich allerdings bestritten. Ich glaube, ich habe das in einer sehr netten und höflichen Form gemacht. Das war die Zahl über das, was an die Militärdienststellen geliefert worden ist. Bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich will mich mit Ihnen nicht darüber streiten, was im Truppenvertrag steht, sondern ich halte mich an die von der Statistik der Kohlewirtschaft e. V. in Essen veröffentlichten Zahlen zur Kohlenwirtschaft. In der letzten Ausgabe vom August 1956 finde ich folgende Zahlen. Für das ganze Jahr 1955 haben die Militärdienststellen 2,7 Millionen t erhalten, davon 43 600 aus der Einfuhr, macht 1,6 % — daran ist nun nicht mehr zu deuteln —, und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres erhielten diese Stellen nach derselben Angabe insgesamt 241 000 t, von denen rund 5800 aus der Einfuhr stammen; das sind gut 2 %. Auch das scheint mir eine einwandfreie Rechnung zu sein. Bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum das Herumhandeln mit dem Truppenvertrag oder dergleichen mehr? Sagen Sie, daß die Zahlen der Kohlewirtschaft e. V. falsch sind und daß Sie die richtigen Zahlen haben! Dann bin ich bereit, mich zu korrigieren. Aber solange das nicht der Fall ist, muß ich unterstellen, daß diese statistischen Angaben zutreffen.
Dann darf ich eines zu der Frage der Enquete sagen. Ich finde es etwas merkwürdig, daß jeder meint: Nun ja, an der Enquete ist schon etwas dran. Herr Kollege Friedensburg hat dankenswerterweise in seinen Ausführungen einige Probleme berührt. Er hat sogar dem Bundeswirtschaftsminister einige Ratschläge bezüglich der langfristigen Investitionslenkung gegeben. Hier lohnt es sich durchaus, einmal gründliche Untersuchungen anzustellen. Herr Kollege Friedensburg, wir haben doch vorgesehen, daß dieser EnqueteAusschuß nicht ständig mit 29 bis 35 Mann als Plenum arbeitet, sondern Arbeitsausschüsse für die vielfältigen Probleme bildet. Wir haben natürlich weiterhin vorgesehen, daß er sich das Material, das bei den Wirtschaftsforschungsinstituten, aber auch bei sehr vielen technischen und sonstigen Stellen liegt, zunutze macht und nicht etwa meint, er müsse jede Angelegenheit, über die eine sachliche Klärung vorliegt, noch einmal persönlich von unten untersuchen. So haben wir uns natürlich eine Enquete vernünftigerweise nicht vorgestellt.
Aber wenn dem so ist, dann verstehe ich eigentlich nicht: warum immer diese Reserven? Der Kollege von der FVP ist ganz offen gewesen. Er sagt: ich fürchte, daß bei dieser Untersuchung herauskommt: der Kohlenbergbau muß sozialisiert werden; darum darf die Enquete nicht gemacht werden. Ja, dann läßt sich natürlich nicht diskutieren. Von uns können Sie doch eigentlich nur folgendes erwarten, und das haben wir getan. Wir haben gesagt: die Bundesregierung — bitte, die Bundesregierung! — bestellt eine Sachverständigenkommission. Es tut mir leid: weder die Industrieverbände noch die Gewerkschaften als Verbände scheinen mir eine zuständige Instanz für die Untersuchung solcher Dinge als Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen zu sein.

(Zustimmung bei der SPD.)

Darum möchten wir eine solche unabhängige Sachverständigenkonferenz. Wir sind bereit, dieses Material dann als Grundlage für Entscheidungen zu akzeptieren. Dann wollen wir uns darüber unterhalten. Dieser Enquete-Ausschuß hat ja keine wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu treffen, sondern er soll das Material sichten, sammeln und übersichtlich darstellen, so daß uns und der Bundesregierung, und wer sonst zuständig ist, die Möglichkeit einer sachverständigen Beurteilung und die Möglichkeit, daraufhin wirtschaftspolitische Entscheidungen zu fällen, gegeben wird.
Meine Damen und Herren, ich bitte dringend: mißverstehen Sie dieses Anliegen nicht. Es liegt im Interesse des Kohlenbergbaus, und deswegen bringen wir es vor. Ich sehe auch nicht ein, warum bei uns so gefährlich sein soll, was in vielen anderen Ländern durchgeführt wind, wo man solche Sachverständigenuntersuchungen mit sehr viel Nutzen anstellt. — Das wollte ich zur Enquete noch abschließend sagen.
Dann hat der Herr Bundeswirtschaftsminister etwas zum Selbstverbrauchsrecht gesagt. Ich muß auch dazu einiges korrigierend bemerken. Ich habe vor einer Entwicklung des Werkselbstverbrauchs gewarnt, die dazu führt, daß praktisch für die Kohleverteilung an den simplen Hausbrandverbraucher nicht mehr sehr viel übrigbleibt. Es ist keineswegs so, daß über den Werkselbstverbrauch nur Sorten verbraucht werden, die nicht für den Hausbrandverbraucher geeignet sind. Ich konzediere gern: die Ballastkohle, die in die Kraftwerke geht, ist natürlich eine Kohle, die sich für den Hausbrand sehr schlecht eignet. Es geht aber ganz ausgezeichnete Fett-, Ess- und Gasflammkohle an die Hüttenwerke, die sehr gut für den Hausbrand verwendet werden kann. Und darum liegt in dieser Entwicklung eine Gefahr.


(Dr. Deist)

Ich glaube, es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der meinte, mein Kollege Baade habe sich immer so stark für die Verbundwirtschaft eingesetzt und damit selbstverständlich auch den Werkselbstverbrauch mit bejaht. Zunächst einmal ist diese Kombination nicht so selbstverständlich. Meine Fraktion und die Kollegen, die mit diesen Dingen seinerzeit befaßt worden sind, als die Dekartellierungsabsichten schwebten, sind sämtlich für die Aufrechterhaltung einer gesunden technischen Verbundwirtschaft zwischen Kohle und Eisen eingetreten. Das ist nicht nur das Verdienst des Kollegen Baade, sondern diese Auffassung haben wir alle vertreten, auch meine Fraktion, soweit sie daran beteiligt war; ich erinnere an Kurt Schumacher, ich erinnere an Nölting und andere, die diese Auffassung bei jenen schweren Verhandlungen immer vertreten haben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie dürfen nun nicht den Sprung machen und sagen: Damit haben Sie diese Entwicklung — und die habe ich kritisiert — des Werkselbstverbrauchs bejaht. Zunächst einmal dient nur ein Teil dieses Werkselbstverbrauchs der gesunden technischen Verbundwirtschaft. Im übrigen dient er dazu, die Kohlenquelle ohne Rücksicht darauf zu sichern, ob echter technischer Verbund mit den entsprechenden wirtschaftlichen Effekten vorhanden ist oder nicht. Ich deutete an, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Tendenz zur Erlangung von Werkselbstverbrauchsrechten in allen Kreisen besteht. Ich nannte die Bundesbahn — da müssen Sie es selbst wissen —, ich nannte das Großkraftwerk in Nürnberg, ich deutete einige Entwicklungen an der Ruhr an, mehr Kohle für den Werkselbstverbrauch zu sichern. Wenn das so weitergeht, ist eine vernünftige Ordnung auf dem Kohlemarkt nicht mehr möglich. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich finde, Sie sollten nicht undankbar dafür sein, daß diese Dinge hier so offen auf den Tisch des Hauses gelegt werden; denn Sie werden, solange Sie Bundeswirtschaftsminister sind, den Kummer mit den Werkselbstverbrauchern haben und nicht wir.
Dann einige Bemerkungen über das, was ich in Straßburg gesagt habe, Herr Bundeswirtschaftsminister. Nun bin ich ja besser unterrichtet über das, was ich gesagt habe, als — wie ich feststellen muß — Sie. Ich habe dort gesagt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß ich bedaure, daß die Tendenz in der Montanunion dahin führt, daß praktisch wesentliche Entscheidungen der Kohlepolitik in die nationale Sphäre abrutschen, obwohl es eigentlich Aufgabe dieser Institution ist, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Stahl und Kohle zu fördern. Ich habe dann gesagt: es ist sehr bemerkenswert, welche Initiative auf der einen Seite die Regierungen der Mitgliedstaaten, in einigen Fällen aber auch handfeste private Kartelle an Stelle der Regierungen zu entfalten pflegen, und damit habe ich Deutschland gemeint.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie hätten sich das ersparen können, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie zutreffend über das unterrichtet worden wären, was drüben in Straßburg gesagt worden ist. Aber bitte, das ist auch nur im Sinne einer Richtigstellung; ich habe nicht die Absicht, Sie damit persönlich zu treffen. Denn ich finde, daß die Art der Reaktion, zu der Sie sich vorhin veranlaßt gesehen haben, der Sache nicht dient.
Dann zur Frage des Wohnungsbaus! Herr Wohnungsbauminister, man soll, wenn man über die kritische Lage des Bergarbeiterwohnungsbaus und vielleicht daneben — daran sind Sie schuld, nicht ich; ich habe das nicht angebracht — über die kritische Lage des sozialen Wohnungsbaus von heute und morgen spricht, es sich nicht so leicht machen, daß man sagt: Was haben wir doch für große Lorbeeren auf dem Gebiete des Wohnungsbaus in den vergangenen Jahren sammeln können. Auf dem Gebiete des Wohnungsbaus ist in den letzten Jahren — seit Kriegsende — Großes bei uns in Deutschland geschehen. Ich unterstreiche das besonders gern, weil es eine gemeinsame Aufgabe sämtlicher Fraktionen dieses Hauses war und weil ich für meine Fraktion in Anspruch nehme, daß sie sehr ernsthaft und sehr erfolgreich dabei mitgewirkt hat.

(Beifall bei der SPD.)

Ich freue mich, daß Sie mir dabei zustimmen, Herr Bundeswohnungsbauminister, und daß also über diesen Punkt jedenfalls Einmütigkeit besteht.
Ich brauche dann nur daran zu erinnern — ich will darüber hinaus nicht auf den allgemeinen Wohnungsbau übergehen —, was Sie, Herr Bundeswohnungsbauminister, vor 14 Tagen — an Stelle der Kohlendebatte — in der Debatte über die steuerliche Begünstigung des Sparens usw. über den Stand des Wohnungsbaues heute und morgen gesagt haben. Dem brauche ich nichts hinzuzufügen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Darin waren genügend Sorge und Kritik enthalten, die alles das unterstreichen, was ich hier gesagt habe.
Aber, Herr Bundeswohnungsbauminister, wenn wir nun schon der Auffassung sind, daß der Bergbau besonders zu betrachten ist, daß er eine volkswirtschaftliche Bedeutung hat, die über den Rahmen anderer Industriezweige hinausgeht, daß wir den Bergbau in gewissem Umfang privilegieren müssen —, warum dann die Überlegung, daß andere Wirtschaftszweige schließlich auch verlangen könnten, daß der Staat bei ihnen Wohnungsbau für die Angehörigen ihres Wirtschaftszweiges betreibe? Ja, Herr Bundeswohnungsbauminister, das kann nur jemand machen, der sich gegenüber diesen Interessengruppen so schwer durchsetzt. — Sie meinen nicht? Doch, doch! Wenn die Bundesregierung wirklich der Auffassung ist: hier liegt ein entscheidendes volkswirtschaftliches Problem, dann treten Sie einmal an den Bundestag heran. Ich kann Ihnen versprechen: bei meiner Fraktion wird ein solches Vorgehen jedenfalls Unterstützung finden.

(Beifall bei der SPD.)

Eine Bemerkung zu der Zersplitterung an der Ruhr. Herr Kollege — Ihren Namen habe ich vergessen —, das war ein böses Wort, als Sie sagten, die Zersplitterung an der Ruhr sei auf die unselige Dekartellisierung zurückzuführen, womit Sie vielleicht andeuten wollten, daß die Leute, die auf deutscher Seite an der Neuordnung mitgewirkt haben, daran etwa mit Schuld trügen. — Schön, ich nehme zur Kenntnis und möchte das hier feststellen, daß dieser Anwurf in Ihren Außerungen nicht enthalten ist.
Zur Sache möchte ich folgendes sagen. Sie wissen genau, daß damals von deutscher Seite ver-


(Dr. Deist)

langt worden war, höchstens etwa 20 bis 25 Gesellschaften zu bilden, und daß Aussicht bestand, wenn man auf deutscher Seite energisch darauf bestanden hätte, daß wir eine solche vernünftige Regelung im Kohlenbergbau durchgesetzt hätten. Denn damals waren sich Unternehmensverband und Gewerkschaften im Rahmen der Deutschen Kohlenbergbauleitung einig. Dann kam das Problem der sogenannten C-Gesellschaften, das sind die kleinen Splittergesellschaften — ich glaube, es gibt darunter auch ein paar große —, die auf ihre Selbständigkeit pochen. Es wäre schon gut gewesen, wenn man aus den Trümmern dieses Krieges und aus der Dekartellisierung wenigstens das Beste gemacht hätte, was möglich war, und eine vernünftige Organisation des Kohlenbergbaus auf die Beine gestellt hätte. Und was ist geschehen? Die Alliierte Hohe Kommission hat die Bundesregierung gefragt, ob sie damit einverstanden sei, daß eine solche Ordnung geschaffen werde, wobei man natürlich über die Eigentumsrechte dieser kleinen Splittergruppen hätte hinweggehen müssen. Die Bundesregierung hat gesagt: Komme, was da will, das Eigentumsrecht dieser Gesellschaften darf nicht angetastet werden. Die Folge davon ist diese Zersplitterung.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Was meine Fraktion und ich jetzt möchten, ist doch, daß wir uns auch einmal in der EnqueteKommission hinsetzen und uns mit diesem Faktum — es ist ja nun einmal da — vernünftig auseinandersetzen und daß diese Enquete-Kommission auch untersucht, welche Mittel und Wege es gibt, diese Zersplitterung zu überwinden und zu einer rationellen Führung des Kohlenbergbaus zu kommen.
Damit komme ich zum letzten. Herr Bundeswirtschaftsminister, es tut mir leid, daß Sie geglaubt haben, diese Diskussion durch ein Ausweichen auf die allgemeine Preis- und Lohnsituation, Arbeitszeitverkürzung usw. zu beleben. Für mich besteht nun die Möglichkeit, daß ich auf dieses Thema in aller Breite eingehe. Wenn ich auf die Uhr sehe, scheint mir der Augenblick dafür nicht geeignet zu sein. Darum beschränke ich mich auf einige kurze Bemerkungen. Herr Bundeswirtschaftsminister, die Bundesregierung sollte sich überlegen, ob sie nicht eine unangemessene Verschärfung der sozialen Spannungen herbeiführt, wenn sie bei jeder Preisdebatte immer in dieser Einseitigkeit auf Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung hinweist.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen oder müßten wissen — jedenfalls haben wir es hier wiederholt vertreten —, daß die ersten starken Preiserhöhungen auf Gebieten eingetreten sind, die in der Zuständigkeit der Bundesregierung lagen und die mit Lohnerhöhungen nicht das mindeste zu tun hatten.

(Beifall bei der SPD.)

Und Sie sollten wissen, daß ein Teil der Kettenreaktion auch darin besteht, daß steigender Preistrend den Sparsinn beeinträchtigt, daß das Lamentieren über geringes Sparen gar nichts nützt und daß auf der anderen Seite die Tendenzen zur Lohnsteigerung verstärkt werden, weil kein Arbeitnehmer sich die Kaufkraft des errungenen Lohnes hintenherum durch Preiserhöhungen wieder zunichte machen lassen will. Das ist die eine Seite.
Und dann, Herr Bundeswirtschaftsminister, sollte man — und Sie tun das wenigstens in Parenthese in Ihren Lageberichten immer — bei solchen Diskussionen einige andere Dinge nicht vergessen. Die Lohnerhöhungen des ersten halben Jahres 1956 haben nach den statistischen Feststellungen zu einer Erhöhung der Verbrauchsquote geführt, die für das erste Halbjahr einer Summe von 500 Millionen DM, für das ganze Jahr also einem Betrag von einer Milliarde DM entspricht. Das ist also die Steigerung der Verbrauchsquote über die Steigerung des Sozialproduktes hinaus. Ich kann Ihnen die Zahlen vorlegen. Das ist eine Milliarde. Durch die Zoll-und Einfuhrpolitik der Bundesregierung gehen dieses Jahr wiederum für 3 Milliarden DM Erzeugnisse dem deutschen Markt verloren und fallen damit auf der Seite des Angebotes aus.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Durch die Haushaltspolitik der Bundesregierung, die plant, ausgerechnet in der Hochkonjunktur auf 2,2 Milliarden DM aus dem Juliusturm mit seinen Kassenreserven zurückzugreifen, um laufende Ausgaben zu decken, wird eine weitere stark inflatorische Tendenz entfacht. Ich bin der Auffassung, daß Sie diese Dinge mit erwähnen müssen, wenn Sie über die Kettenreaktion von Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung und Preiserhöhung sprechen.
Ich will im Augenblick nicht breiter auf dieses Thema eingehen, Herr Bundeswirtschaftsminister; aber wir werden Gelegenheit geben, diese Probleme hier einmal in aller Ausführlichkeit zu besprechen. Das dürfte, glaube ich, der Sache mehr angemessen sein, als wenn ich jetzt in größerem Umfang erwidere.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217408400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217408500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Schluß der Kohledebatte ist es nicht einfach, noch einmal auf bestimmte Dinge einzugehen; aber es muß geschehen, und so bitte ich um Ihre Nachsicht und Geduld.
Aus dem Antrag, eine Enquete über die Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlenwirtschaft zu machen, sowie aus der dazu gegebenen Begründung könnte man eigentlich den Eindruck gewinnen, als ob das, was im deutschen Kohlebergbau geschieht, sich seit eh und je in einer Dunkelkammer vollziehe und der Einsichtnahme durch die an der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung beteiligten Stellen nicht zugänglich sei. Verehrter Herr Kollege Dr. Deist, soll ich hier noch einmal in Stichworten den Leidensweg des deutschen Bergbaus hinsichtlich der Enqueten und amtlichen Untersuchungen seit 1918 nachzeichnen, anfangend mit der Sozialisierungskommission, mit dem Kohlenwirtschaftsgesetz, dem Kohlenrat, dem Reichskohlenkommissar — das Schmalenbach-Gutachten ist Ihnen ja sicherlich bestens bekannt —, dann dem, was sich im Dritten Reich vollzog, und schließlich, was seit 1945 alles darüber hinweggegangen ist?

(Abg. Dr. Baade meldet sich zum Wort zu einer Frage.)

— Bitte schön, Herr Professor Baade.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217408600
Herr Abgeordneter Dr. Baade zu einer Zwischenfrage.


Dr. Fritz Baade (SPD):
Rede ID: ID0217408700
Sie haben diese Enqueten erwähnt. Stimmen Sie mir in dem Urteil zu, daß die Leistungen der Sozialisierungskommission und der anderen Enqueten für die sehr produktive Gestaltung sowohl der deutschen Kohlewirtschaft als auch der deutschen Kaliwirtschaft von entscheidendem, positivem Wert gewesen sind?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217408800
Herr Professor Baade, ich bestreite gar nicht die Beiträge der einzelnen Enqueten, auch der ganz großen Enquete von 1929 zur Behandlung dieser Fragen. Aber Sie stellten die Frage zu früh. Das entscheidende Problem, vor dem wir stehen, nämlich die deutsche Förderkapazität zu erhalten und weiter zu entwickeln, ist bisher von allen Enqueten und Kommissionen nicht gelöst worden.

(Abg. Jacobi: Weil die Ruhr nicht will!)

— Verzeihen Sie, Herr Jacobi, das ist ein Vorwurf, für dessen Berechtigung Sie zuerst den Beweis antreten müssen.
Ich darf aber dem Kollegen Deist — er kennt ja die Dinge alle — folgendes in die Erinnerung zurückrufen. Das Durchschnittsalter der deutschen Bergwerke im Steinkohlenbergbau beträgt zur Zeit etwa 77 Jahre. Von allen vorhandenen Schächten
— es sind rund 150; auf einen mehr oder weniger kommt es bei dieser Zahl nicht an — sind in den letzten 30 Jahren nur 3 % niedergebracht worden. Die vielgeschmähte Zeit, in der der staatliche Kohlenpreis noch nicht vorhanden war, hat zumindest eine erhebliche Mehrleistung im Niederbringen von Schächten aufzuweisen. Und hier scheint mir die eigentliche Fragestellung zu liegen
Ich habe aus Ihren Ausführungen, Herr Dr. Deist, keine Antwort darauf erhalten, wie das Problem gelöst werden soll, dem Bergbau die Finanzkraft zu geben, die notwendig ist, um die neuen Schächte niederzubringen, die er in den nächsten Jahren dringend niederbringen muß, wenn andererseits der Kohlepreis als tabu bezeichnet wird, wie es ja von Ihnen in der Polemik gegen Preisveränderungen offenbar geschehen ist. Ich kann nur sagen: wer den politischen Kohlepreis unter dem für den Finanzierungsbedarf des Bergbaus notwendigen Maß hält, subventioniert alle Kohlenverbraucher ohne Unterschied, auch die, die nach ihrer wirtschaftlichen Lage eine Subvention gar nicht brauchen; er subventioniert die anderen volkswirtschaftlichen Bereiche auf Kosten der Substanz im Bergbau. Ich hätte gerade in Ihren Ausführungen zur Preis- und Investitionsfrage sehr gern eine Antwort auf dieses Problem gehört, habe sie aber leider nicht finden können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217408900
Herr Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217409000
Herr Abgeordneter Hellwig, ich kann ja nur eine Frage stellen und keine Erläuterung geben. Ich möchte Sie fragen: Halten Sie es wirklich für gut und zweckmäßig, daß die gesamte Finanzierung des Bergbaus, die so enorme Beträge verschlingt, über den Preis vorgenommen wird?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217409100
Herr Dr. Deist, das wissen Sie selbst, daß ich eine solche Behauptung niemals aufstellen und durchsetzen würde.

(Zurufe von der SPD: Na also!)

Ich bin auch der Meinung, daß sich der Bergbau auf den Wegen, die die üblichen sind, mit finanzieren muß, nämlich über den Kapitalmarkt. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Rendite, die im Bergbau für Kapitalmarktmittel erwirtschaftet werden kann, mit anderen Augen gesehen werden muß, weil eine sehr lange Zeit keine Rendite gegeben ist, so daß also hier ein ganz bestimmter Umfang von Eigenfinanzierung allein für die Substanzerhaltung notwendig ist.
Ich kann mich nur den Gesichtspunkten anschließen, die vorhin schon von mehreren Rednern vorgebracht worden sind: daß die steuerliche Behandlung der Investitionen mehr auf das Niveau anderer Bergbauländer gebracht werden muß, und zwar auf gesetzlicher Grundlage und nicht nur durch Einzelregelungen, die in unmittelbaren Verhandlungen mit der Finanzverwaltung gewissermaßen im Gnadenwege geschaffen werden. Das ist keine stabile Grundlage für eine langfristige Bergbaufinanzierung, wie wir sie doch offenbar übereinstimmend wünschen.
Aber noch einmal zurück zu dem Thema der Enquete! Herr Dr. Deist, der Antrag, der diesen Entwurf eines Gesetzes enthält, umfaßt nach meinem Gefühl so viele Gegenstände, die untersucht werden sollen, daß ich bezweifle, ob die Kommission in der Zeit, die für die Bearbeitung gedacht ist — ein Jahr — mit diesen Dingen zuwege kommt. Denn es ist ja nicht nur eine Enquete über die Kohlewirtschaft verlangt, sondern es soll die Veredelungswirtschaft in ihrer Kosten- und Ertragsstruktur mit untersucht werden, d. h. aber Energie — in Klammern, wie es da steht —, Chemie — ebenfalls in Klammern —, und ebenso sollen die weiteren Entwicklungen der Kohlewirtschaft, der Veredelungswirtschaft und Verbundwirtschaft und 'sollen auch die weiteren Probleme von Heizöl, Atomenergie usw. mit einbezogen werden.
Ich muß ehrlich sagen: Das ist zuviel für das Aufgabengebiet, das nach meiner und der Meinung zahlreicher meiner Freunde einer besonderen Sachverständigenkommission zugewiesen werden soll. Weniger wäre mehr gewesen, und wir würden uns wahrscheinlich bei der Konzentrierung dieses Auftrags für eine solche Kommission weit eher nahekommen können, wenn wir sagten: Das zentrale Problem ist die kommende deutsche Energieentwicklung, die deutsche Energiebilanz hinsichtlich ihrer Deckungsmöglichkeiten im Inland. Im Rahmen der Untersuchung dieses Problems, das nun einmal ohnehin eine weit vorausschauende Schätzung der Entwicklung voraussetzt, findet dann auch die kohlenwirtschaftliche Entwicklung ihren besonderen Platz.
Ich bin nicht der Meinung, daß eine gesetzlich fundierte Enquete zur Durchführung dieser Arbeit notwendig ist, zumal ja das gesamte Arbeitsverfahren mit der Zivilprozeßordnung, dem Vernehmungsrecht, der Vereidigung und ähnlichen Dingen mehr doch eigentlich ein Klima schafft, das der Arbeit nicht ganz zuträglich ist. Wenn man sich nämlich die Zusammensetzung ansieht, die dieser Kommission gegeben werden soll, dann stellt man fest, daß die Kommission bestehen soll: aus Mitgliedern, die vom Bundestag, von den Spitzenverbänden der gewerblichen Wirtschaft, von den Spitzenverbänden der Gewerkschaften vorgeschlagen werden, dann aus weiteren Mitgliedern, die von der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesrat berufen werden. Ich habe — das sage ich


(Dr. Hellwig)

ganz offen — die Befürchtung, daß eine solcherart zusammengesetzte Kommission praktisch eine politische Kommission wird

(Sehr gut! in der Mitte)

und daß hier das Enqueterecht politisiert wird. Ich kann es nicht beweisen; aber nach Erfahrungen in der Vergangenheit glaube ich doch, eine solche Befürchtung äußern zu dürfen. — Herr Professor Baade?

Dr. Fritz Baade (SPD):
Rede ID: ID0217409200
Herr Dr. Hellwig, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß diese Bestimmung unseres Antrags fast wörtlich mit dem Gesetz übereinstimmt, mit dem der alte Reichstag den damaligen großen Enqueteausschuß beschlossen hat? Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß sogar die Zusammensetzung des von uns vorgeschlagenen Enqueteausschusses im wesentlichen mit der Zusammensetzung des alten Enqueteausschusses übereinstimmt? Ich glaube, ich bin das einzige Mitglied dieses Hauses, das dem alten Enqueteausschuß angehört hat, und ich würde mich dafür interessieren, ob Sie der Meinung sind, daß die praktische Arbeit des alten Enqueteausschusses. durch Politisierung behindert worden ist. Ich bin nicht dieser Meinung.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217409300
Herr Professor Baade, Sie haben völlig recht. Es war mir sogar aufgefallen, daß hier die gesetzliche Grundlage der früheren deutschen Enquete ganz erheblich in Erscheinung tritt. Ich habe mich damals noch nicht mit diesen Arbeiten beschäftigen können; ich ging noch zur Schule. Aber ich habe mich seitdem sehr energisch darum bemüht, in das Schrifttum über diese Dinge einzudringen, und ich habe doch, sehr den Eindruck gewonnen, daß gerade die technische Art der Enquete zu ganz erheblichen Hemmnissen führte. Die Enquete soll nämlich nicht nur von denen her gesehen werden, die sie durchführen, sondern auch von denen, die zum Gegenstand einer solchen Untersuchung gemacht werden.

(Zustimmung in der Mitte. — Abg. Jacobi: Ja, ja, natürlich! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Ich glaube, daß mit den Untersuchungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, doch weiß Gott genug geschehen ist, und ich kann nur wiederholen: Halten Sie den Bergbau möglichst frei von Experimenten und von zusätzlichen, seinem Ansehen irgendwie kritisch gegenüberstehenden Untersuchungen! Dann wird auch das Klima für eine ruhigere Entwicklung verbessert werden.
Aber ich muß noch auf ein anderes Phänomen aufmerksam machen. Von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ist darauf hingewiesen worden, daß die Versorgung des Kohlemarkts mit Inlandskohle in der Bundesrepublik auf einem Preisniveau erfolgt, das nicht unerheblich unter dem anderer Länder, insbesondere Mitgliedsländer in der Montanunion, liegt. Dieses Phänomen ist besonders merkwürdig erst, wenn man gleichzeitig hinzusetzt, daß sich allerdings auch die Produktivitätsentwicklung im westdeutschen Kohlenbergbau ziemlich am Ende der Produktivitätsentwicklung in anderen Ländern, namentlich in der Montanunion, befindet. Das ist vor allem dann wichtig und richtig, wenn man den Produktivitätsstand des deutschen Bergbaues in der jetzigen Zeit mit der Vorkriegszeit vergleicht. Abgesehen von den Niederlanden, wo es sich um eine relativ geringe, im Gesamtbild, nicht ausschlaggebende Menge der
Kohlenförderung handelt, ist die Bundesrepublik heute noch mit rund 18 % hinter dem Produktivitätsstand, d. h. der Schichtleistung von 1938, während Belgien, Frankreich, ja auch die Saar und Großbritannien den Produktivitätsstand von vor dem Kriege, von 1938, zum Teil ganz erheblich haben übersteigen können. Da kann ich auch wieder nur sagen: Hier steckt doch irgendwie etwas drin, was nicht in Ordnung ist, wenn trotz so vieler Organisationen, so vieler Untersuchungen, so vieler Neuordnungsversuche und was nicht alles geschehen ist, an diesem zentralen Punkt der Kohlenbergbau in der Bundesrepublik noch nicht richtig weitergekommen ist.

(Abg. Jacobi: Ich wiederhole, Herr Dr. Hellwig: weil die Ruhr nicht wollte!)

— Herr Jacobi, „weil die Ruhr nicht wollte", das kann man so schön hinsagen. In dieser späten Stunde ist es vielleicht nicht mehr zu erwarten, daß darüber noch ein umfangreicher Beweis angetreten wird; aber wir können das ja gern im Ausschuß tun.
Ich schließe mich auch der Meinung an, daß der Antrag zur Beratung dem Ausschuß überwiesen wird. Wir werden ja dann im Wirtschaftspolitischen Ausschuß Gelegenheit haben, uns darüber zu unterhalten.
Aber noch eine kurze Bemerkung, die die Braunkohlenbriketts betrifft. In Ihren letzten Ausführungen, Herr Dr. Deist, haben Sie auf die besondere Verknappungslage bei Braunkohlenbriketts und die Rückwirkungen auf den Hausbrand hingewiesen. Ich möchte darauf erwidern: Die Schuld an der Verknappung in der Versorgung mit westdeutschen Braunkohlenbriketts trifft nicht die westdeutsche Braunkohlenwirtschaft. Diese hatte eine ganz erhebliche Mehrerzeugung gegenüber dem letzten Jahre erreicht, mußte dann aber in die Lücke einspringen, die durch den Ausfall von Braunkohlenbrikettlieferungen aus der sowjetischen Besatzungszone entstanden ist. Hier kann man also der westdeutschen Braunkohlenwirtschaft sicherlich keinen Vorwurf machen.
Ein kurzes Wort nur noch zu dem Selbstverbrauchsrecht. Herr Dr. Deist, Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Mehrleistung der Eisenhüttenwerke, zu deren Speisung ja das Selbstverbauchsrecht mit Kohle eine entscheidende Voraussetzung ist, ja weit überwiegend der Inlandsversorgung zugute kommt und daß sich der Exportanteil der deutschen Eisen- und Stahlindustrie nicht in dem Ausmaß erhöht hat wie die Erzeugung selbst. Was würden Sie sagen, wenn etwa wegen mangelnder Kohlenversorgung unserer deutschen Eisenhüttenwerke eine Verknappung von Eisen und Stahl am deutschen Inlandsmarkt in diesem Zeitpunkt eingetreten wäre? Würden wir dann nicht Ihre Große Anfrage hier zur Kenntnis nehmen müssen, was die Bundesregierung zu tun gedenke, falls etwa die Versorgung des sozialen Wohnungsbaus mit Eisen irgendwie notleidend geworden wäre?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217409400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217409500
Bitte sehr!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0217409600
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, war Ihnen ganz entgangen, daß auch der Herr Bundeswirtschaftsminister der Auffassung war, daß das Versorgungsproblem kein Mengenproblem,


(Dr. Deist)

sondern nur ein Preisproblem ist, daß ausreichend Kohle zur Verfügung steht, daß also alle Argumentation, dadurch könne die Eisen- und Stahlindustrie zum Erliegen kommen oder nicht voll tätig werden, völlig daneben liegt? Es handelt sich nur darum, wer den hohen Preis der Auslandskohle zahlt, ob die Industrie oder der Hausbrandverbraucher.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0217409700
Es wäre reizvoll — ich habe die genauen Zahlen nicht zur Hand —, hier einmal über den Anteil amerikanischer Kohle im Einsatz der westdeutschen Hüttenwerke zu berichten. Ich glaube, ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit würde überrascht sein, in welchem Umfang die Eisenhüttenindustrie tatsächlich schon dieser Verpflichtung nachkommt. Auch die Abgabe von zusätzlichen Mengen für den Hausbrand aus den Selbstverbrauchsmengen ist j a doch nur gespeist worden, indem zusätzlich wiederum amerikanische Kohle hereingeholt worden ist. Ihr Argument dürfte an der tatsächlichen Haltung der besonders beteiligten Gruppen vorbeigehen. Aber ich will hier nicht polemisch werden.
Zum Abschluß möchte ich nochmals sagen: Der Antrag über die Durchführung der Enquete spricht ein Anliegen aus, woran wir, d. h. meine Freunde der CDU/CSU-Fraktion, durchaus der Sache nach sehr interessiert sind. Ob der Weg der g e s e t z -1 i c h e n Enquete allerdings diesem Ziel und dieser Sache gerecht wird, wagen wir einstweilen sehr zu bezweifeln, jedenfalls können uns alle bisherigen Erfahrungen nicht vom Gegenteil überzeugen. Wir werden uns über diese Dinge im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, an den dieser Antrag zu überweisen ist, noch ausgiebig zu unterhalten haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217409800
Meine Damen und Herren, es liegt keine Wortmeldung mehr vor. Ich schließe damit die Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung.
Wir kommen nunmehr zu den Ausschußüberweisungen. Bei Buchstabe a ist zum Antrag auf Umdruck 841*), Antrag der Abgeordneten Kroll, Wolf (Stuttgart), Stücklen, Jacobi und Genossen, Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung beantragt. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Bei Umdruck 842**), Antrag der Abgeordneten Kroll, Wolf (Stuttgart), Stücklen, Jacobi und Genossen zum gleichen Thema, ist Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — mitberatend — gestellt worden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Bei Umdruck 846***), Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP, ist beantragt: Ausschuß für Wirtschaftpolitik federführend, Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen mitberatend. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Damit ist Buchstabe a erledigt.
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 4. ***) Siehe Anlage 5.
Buchstabe b Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sofortprogramm für den Kohlenbergbau, Drucksache 2021. Hier ist vorgesehen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Buchstabe c, erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlenwirtschaft, Drucksache 2246. Hier ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Buchstabe d, erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau, Drucksache 2356. Hier ist vorgeschlagen Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen — federführend — sowie an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und Haushalt zur Mitberatung.

(Abg. Lücke: Nein, nur Wiederaufbau und Wohnungswesen war beantragt!)

— Ich habe hier die Unterlagen vom Ältestenrat.

(Abg. Lücke: In der Debatte ist beantragt: nur Wiederaufbau und Wohnungswesen! — Zurufe von der SPD.)

— Es besteht also kein Zweifel darüber, daß an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen wird. Wird auch noch gewünscht, daß an die zwei anderen Ausschüsse zur Mitberatung überwiesen wird?

(Zustimmung und Widerspruch.)

— Meine Damen und Herren, es sind verschiedene Meinungen, wie ich sehe. Es ist jedenfalls bereits überwiesen an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen. Kommen noch weitere Ausschüsse hinzu, dann ist dieser federführend.
Darf ich jetzt die Damen und Herren, die dafür sind, daß die Vorlage außerdem noch den Ausschüssen für Wirtschaftspolitik und Haushalt zur Mitberatung überwiesen wird, um das Handzeichen bitten. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt. Es bleibt also einzig beim Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen.
Bei Buchstabe e, Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bergarbeiterwohnungsbau, Drucksache 2858, ist vorgesehen Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf Punkt 19 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teilgrundstück der ehemaligen Westwerft in Wilhelmshaven (Drucksachen 2843, 2670).


(Vizepräsident Dr. Jaeger)

Berichterstatter ist der Abgeordnete Wacker (Buchen). Verzichtet das Haus auf die Berichterstattung?

(Zustimmung.)

— Dies ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 2843. Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 20 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 2329);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (34. Ausschuß) (Drucksache 2847).

(Erste Beratung: 149. Sitzung.)

Mündlicher Bericht ist nicht erforderlich, weil ein Schriftlicher Bericht*) des Abgeordneten Rehs vorliegt. Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Ausschußbericht die Ablehnung des Gesetzentwurfs vorsieht. Ich muß jedoch gemäß der Übung dieses Hauses über den Gesetzentwurf selbst abstimmen lassen.
Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — 2, —3, — Einleitung und Überschrift. — Ich wiederhole: der Ausschuß wünscht Ablehnung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —

(Unruhe.)

— Meine Damen und Herren, es ist nicht klar.

(Zuruf von der Mitte: Die Fragestellung war nicht klar!)

Ich möchte noch einmal sagen: Ich bin durch eine Übung dieses Hauses gezwungen, über die aufgerufenen Bestimmungen abstimmen zu lassen. Der Ausschuß wünscht, daß Sie mit Nein stimmen, daß Sie ablehnen. Ist es jetzt klar?

(Zustimmung.)

Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht — entgegen dem Ausschußantrag —, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer die aufgerufenen Bestimmungen abzulehnen wünscht — gemäß dem Ausschußantrag —, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer enthält sich? — Das zweite war die große Mehrheit; der Gesetzentwurf ist gemäß dem Ausschußantrag abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 21:
Beratung des
a) Berichts des Haushaltsausschusses (18. Ausschuß) gemäß § 96 (neu) der Geschäftsordnung (Drucksache 2849);
Berichterstatter: Abgeordneter Gengler;
b) Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene (34. Ausschuß) (Drucksache 2846);
Berichterstatter: Abgeordneter Kuntscher über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Maßnahmen zur Förderung der Um-
*) Siehe Anlage 6. siedlung von Heimatvertriebenen und Evakuierten sowie zur beschleunigten Auflösung der Flüchtlingslager (Drucksache 1899).
Bezüglich des Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene liegt ein Schriftlicher Bericht**) vor. Bezüglich des Berichts des Haushaltsausschusses nehme ich an, daß das Haus auf mündliche Berichterstattung verzichtet. — Das ist der Fall.
Wird zur Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksache 2849 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wer dem Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene auf Drucksache 2846 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Gemäß der Vereinbarung in der heutigen Sitzung des Ältestenrats sind wir am Ende der Tagesordnung angekommen.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0217409900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 173. Plenarsitzung am 16. November 1956 habe ich durch Ausführungen zur Geschäftsordnung das Verhalten des Herrn Vizepräsidenten Dr. Schneider am Vortage in der 172. Plenarsitzung angegriffen. Die meiner Kritik zugrunde liegenden Vorgänge sind inzwischen Gegenstand einer Erörterung im Ältestenrat gewesen. Herr Vizepräsident Dr. Schneider hat dort erklärt, er habe den vom Plenum in der 172. Plenarsitzung gefaßten Beschluß, den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner auf Rückverweisung der Steuergesetzgebungsvorlage Drucksache 2724 an den Ausschuß abzulehnen, so verstanden, daß dieser Punkt der damaligen Tagesordnung noch erledigt werden sollte. Auch habe ihm der Herr Abgeordnete Rasner mitgeteilt, daß hierüber ein Einverständnis erzielt sei. Insoweit kann es sich nur um ein Mißverständnis gehandelt haben, weil eine solche Vereinbarung zwischen Herrn Rasner und mir nicht getroffen war.
Nach wie vor kann ich von meiner Überzeugung nicht abgehen, daß Herr Vizepräsident Dr. Schneider sich in der 172. Plenarsitzung nicht richtig verhielt, als er die Sitzung entgegen den Vereinbarungen im Ältestenrat, ohne ein Einverständnis des Hauses einzuholen, über 21 Uhr hinaus fortsetzte und indem er nach Eintritt der Beschlußunfähigkeit die für die 173. Plenarsitzung im Ältestenrat vereinbarte und von dem Herrn Vizepräsident Dr. Jaeger festgesetzte und gedruckt vorliegende Tagesordnung änderte.
Meine Auslegung der Geschäftsordnung entspricht dem Beschluß, den der Ausschuß für Geschäftsordnung inzwischen in seiner 28. Sitzung am 26. November 1956 zu den §§ 25 Abs. 1 und 51 einstimmig gefaßt hat. Ich habe mich gern überzeugen lassen, daß Herr Vizepräsident Dr. Schneider aber subjektiv, insbesondere infolge mir unbekannter Mitteilungen des Herrn Abgeordneten Rasner, eine andere Vorstellung vom Sachverhalt sowie eine andere Rechtsauffassung hegte. Deshalb freue ich mich, daß der von mir erhobene Vorwurf,
**) Siehe Anlage 7.


(Dr. Arndt)

Herr Vizepräsident Dr. Schneider habe seine Befugnisse als Präsident parteilich mißbraucht, nicht zutrifft, so daß ich diesen Vorwurf auf Grund der im Ältestenrat von Herrn Vizepräsidenten Dr. Schneider abgegebenen Erklärungen nicht mehr aufrechterhalten kann und zurücknehme.
Diese Erklärung ändert weder etwas an meiner Ansicht darüber, daß in der 172. Plenarsitzung objektiv fehlerhaft verfahren wurde, noch etwas an meiner Überzeugung, daß es das Recht und in einem Notfalle wie in der 173. Sitzung sogar die Pflicht eines Abgeordneten ist, solche Fehler zur Sprache zu bringen. Die daran geknüpften Ausführungen des Herrn Abgeordneten Rasner über Fragen des Stils und der Fairneß waren daher grundlos. Unberührt bleibt auch die politische Meinung der SPD-Fraktion, daß die Bundestagsmehrheit durch ihre Zusage gehalten war, die Kohlendebatte in der 173. Sitzung als ersten und wichtigsten Punkt der Tagesordnung zu ermöglichen, weshalb es politisch ein Unrecht gegen die Minderheit war, dem Hohen Hause diese Möglichkeit zu nehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217410000
Meine Damen und Herren! Mit dieser Erklärung des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt sind die Vorwürfe, die den amtierenden Präsidenten der 172. Plenarsitzung, Herrn Dr. Schneider, in seiner Person betroffen haben, erledigt.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0217410100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. In der 173. Plenarsitzung habe ich Ausführungen zu Stilfragen der parlamentarischen Arbeit gemacht. Ich halte diese Ausführungen in ihrem sachlichen Gehalt in vollem Umfange aufrecht. Sozialdemokratische Abgeordnete und insbesondere der Herr Abgeordnete Dr. Arndt haben einzelne Bemerkungen als persönliche Bemerkungen aufgefaßt. Das sind sie, wie eine Lektüre des Protokolls zeigt, nach meiner Meinung nicht gewesen. Um Mißverständnissen vorzubeugen, erkläre ich, daß ich sie, einschließlich der Bemerkung über Fairneß, auch nicht als Bemerkungen persönlicher Art gedacht hatte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217410200
Meine Damen und Herren! Ich darf darum bitten, die Drucksachen der heute nicht erledigten Punkte zu verwahren, da sie nicht noch einmal verteilt werden können.
Wir stehen am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste, 175. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November 1956, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.