Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst erlauben Sie mir ein persönliches Wort. Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen, daß das Präsidium und der Ältestenrat meine Bitte erfüllt und die Sitzung auf heute morgen 9 Uhr verlegt haben. Ich muß um die Mittagszeit nach Berlin, und ich bin dafür dankbar, daß mir dadurch Gelegenheit gegeben wird, die Verträge hier persönlich einzubringen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung legt dem Deutschen Bundestag heute ein umfangreiches Vertragswerk vor und erbittet dafür die Zustimmung des Hohen Hauses. Der Zweck dieses Vertragswerks kann mit einem Satz umrissen werden: Es soll dazu dienen, daß das Saarland am 1. Januar 1957 als jüngster Bundesstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert wird und damit eine Million Deutsche in ihre deutsche Heimat zurückkehren werden.
Sie werden verstehen, daß die Bundesregierung diese Vorlage zum Anlaß nimmt, um ihrer tiefen Befriedigung und ihrer aufrichtigen Freude Ausdruck zu geben. Seit der Errichtung der Bundesrepublik haben hier in diesem Hause zahlreiche außenpolitische Debatten stattgefunden, die das Saarproblem zum Gegenstand hatten. Die Bundesrepublik sah sich einem Tatbestand gegenüber, der in den Wirren des totalen Zusammenbruchs geschaffen worden war, eines totalen Zusammenbruchs, der am Ende eines von einer unseligen deutschen Regierung proklamierten totalen Krieges stand. Die Einheit des Deutschen Reichs und die Einheit des deutschen Volkes schienen in diesen chaotischen Tagen untergegangen zu sein. Jede politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung war zerstört. Niemand war da, der für das deutsche Volk sprechen konnte, um die Welt zu beschwören, begangenes Unrecht nicht mit neuem Unrecht zu vergelten. Niemand war da, der dem heißen Wunsch des ganzen deutschen Volkes Ausdruck
verleihen konnte, sich eine neue staatliche Ordnung zu geben und dieses neue Deutschland in die freie Welt einzugliedern, um gemeinsam mit den Kräften dieser Welt die höchsten politischen Ziele zu verfolgen: den Frieden und ,die Freiheit für die kommenden Generationen zu sichern.
Diese Debatten, die hier in diesem Hause stattfanden, waren zuweilen leidenschaftlich und bewegt. Sie schienen oft von unüberbrückbaren Gegensätzen erfüllt zu sein, und doch waren sie stets der Ausdruck gemeinsamer Sorge und gemeinsamen Bemühens. Wir alle wußten, daß die Menschen an der Saar unter einer Entwicklung litten, die sie ihrer deutschen Heimat entfremdete, und wir wußten auch, daß das Bekenntnis zur Zugehörigkeit zum deutschen Volke in der Welt häufig mißverstanden und als der Ausdruck eines falschen Nationalismus angesehen und verurteilt wurde.
Auf der andern Seite spürten wir die politischen und psychologischen Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung unseres Wunsches entgegenstellten. Wir wußten, daß Erinnerungen an begangenes Unrecht wach wurden, wenn wir uns auf das Recht der Selbstbestimmung beriefen. Und wir wußten wohl auch um die normative Kraft des Faktischen, die auch dann wirkt, wenn das Faktische mit dem Richtigen, mit dem Rechten nicht übereinstimmt.
Im Namen der Bundesregierung möchte ich dem Volke an der Saar für die Beharrlichkeit und die Treue danken, mit der es an seiner deutschen Heimat hing.
Den brennenden Wunsch nach Wiedervereinigung haben die Menschen an der Saar damit in überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht, und sie haben damit, wie ich hoffe, der ganzen Welt die Erkenntnis vermittelt, daß die Teilung eines Volkes und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes gegen die Rechtsgrundsätze verstoßen, die auch dann gültig wären, wenn sie nicht Gemeingut aller freien Völker der Welt wären und als solche in der Charta der Vereinten Nationen ihre Bestätigunggefunden hätten.
Wir haben der Bevölkerung an der Saar auch dafür zu danken, daß sie in der Not wie im Erfolg Würde und Maß gezeigt hat. Nicht lärmende Proteste, sondern Geduld und Unbeirrbarkeit haben ihr den ersehnten Erfolg gebracht. Sie hat ihn nicht mit lautem Triumph, sondern mit stiller Freude gefeiert, und sie hat damit vielleicht unbewußt einen Beitrag zur Politik der Bundesregierung geleistet und diese Politik, die, ich sagte es schon, auf Verständigung von Freundschaft ausgerichtet war und ist, entscheidend unterstützt.
Die Bundesregierung glaubt, daß das Abkommen dem Saarland die Wiedervereinigung in einer Form bringt, die seinen Wünschen im wesentlichen Rechnung trägt. Die Wiedervereinigung oder, um es rechtlich zutreffend mit den Worten des Vertrages auszudrücken, die Ausdehnung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes auf das Saarland erfolgt zu dem frühest möglichen Termin, dem Zeitpunkt, den wir bei Eintritt in die Verhandlungen gemeinsam mit der Saarregierung ins Auge gefaßt hatten. Daß der Eingliederungsvorgang dieses Tages durch eine Übergangsregelung beschränkt wird, die spätestens am 31. Dezember 1959 ablaufen wird, wertet meine Feststellung nicht ab. Wir haben mit der Vereinbarung der Übergangsregelung nicht nur einem französischen Wunsch Rechnung getragen, sondern zugleich auch eine saarländische Forderung erfüllt und unserer eigenen Überzeugung von der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer solchen Regelung entsprechend gehandelt. Die Dauer der Übergangsregelung entspricht den Vorstellungen, die sich vor Eintritt in die Verhandlungen im Gespräch mit der Saarregierung als gemeinsame Auffassung herausgestellt hatten.
Wir haben für die sogenannte Endregelung, d. h. die Zeit nach Ablauf der Übergangsregelung, Vereinbarungen getroffen, die auf die besondere Lage des Saarlandes als eines Grenzlandes abgestellt sind. Um die Fehler von 1935 und die anderer in bezug auf das Saarland getroffener Regelungen zu vermeiden, ist seiner Wirtschaft nicht eine rein einseitige Orientierung, sondern die Möglichkeit gegeben worden, weiterhin enge wirtschaftliche Beziehungen zu Frankreich zu pflegen. Das gilt sowohl für den Austausch von Waren und Dienstleistungen als für die Verkehrsbeziehungen, das Niederlassungsrecht und speziell für die Ausbeute der Saarkohle, für die gegenseitige Liefer- und Abnahmeverpflichtungen geschaffen wurden.
Wenn dieser Vertrag Opfer kostete und Wünsche unerfüllt gelassen hat — ich werde darauf noch eingehen —, so hat sich die Bundesregierung bemüht, solche Opfer nach Möglichkeit auf den Bund als Gesamtheit zu übernehmen. Wir wollen nicht, daß ein Teil Deutschlands nur deshalb, weil seine geographische Lage dazu verleiten könnte, stärker als andere Gebietsteile mit Opfern belastet wird, die sich letztlich aus einem gemeinsam verlorenen Krieg erklären.
Der Vertrag zielt ferner auf eine politische Befriedung im Saarland ab. Wir haben — auch hier sowohl einem französischen Wunsche als einem saarländischen Anliegen und unserer eigenen Auffassung Rechnung tragend — Vereinbarungen getroffen, die unter die politischen Auseinandersetzungen des Saarlandes in der Vergangenheit den Schlußstrich ziehen und für alle Saarländer ein Willkommen im politischen Verbande der Bundesrepublik bedeuten.
Ich glaube, daß das Saarland seiner Zukunft jetzt hoffnungsfroh entgegensehen darf. Politisch befriedet und endgültig einbezogen in den Verband der Bundesrepublik, wird es in das in erfreulicher Entwicklung begriffene deutsche Wirtschaftsgebiet eingegliedert, und zugleich stehen ihm wirtschaftlich die Tore zu Frankreich und dessen überseeischen Besitzungen offen. Bis die Saar die Möglichkeiten, die ihr dieser Vertrag eröffnet, voll nützen kann, bleibt allerdings noch ein für sie nicht einfaches Stück Weg zurückzulegen, der Weg der Anpassung an das übrige deutsche Wirtschaftsgebiet. Ihr auf diesem Wege jede nur mögliche Hilfe zu leisten, muß für uns eine Ehrenpflicht sein.
Der Vertrag läßt hierfür bereits in der Übergangszeit weiten Raum und gestattet in der darauf folgenden Zeit die Maßnahmen, die darauf abzielen, die Eingliederung in möglichst reibungsloser und gerechter Weise durchzuführen. Auch hierbei wird die Bundesregierung in engster Fühlung mit der Saarregierung handeln.
An die außenpolitische Behandlung der Saarfrage schließt sich somit jetzt ein innerdeutsches Gespräch. Wir wollen hierbei darauf achten, daß es keine Benachteiligung und keine unberechtigten Vorteile gibt, und wollen besonders an die sozial Schwächeren denken.
Das Saarland zieht in ein, ich glaube sagen zu dürfen, ansprechenderes Haus ein als im Jahre 1935. Es soll in diesem Hause seinen angemessenen Platz erhalten und darf nicht darunter leiden, daß es später einzieht als die anderen. Die Bundesregierung hat den lebhaften Wunsch, daß das Saarland, wenn der Prozeß der Eingliederung einmal abgeschlossen ist, das Gefühl hat, hierbei alles erhalten zu haben, was es mit Fug und Recht erwarten durfte.
Die Regierung des Saarlandes hat in diesen Tagen hier in Bonn ein Memorandum übergeben. Diese sorgfältige Darstellung besonderer Anliegen des Saarlandes konnte naturgemäß noch nicht Gegenstand einer Beratung der Bundesregierung sein. Ich glaube aber, im Namen der Bundesregierung ausdrücklich erklären zu können, daß sie dieses Memorandum mit größter Sorgfalt prüfen wird, das, wie ich hoffe, eine gute Grundlage für die Hilfe des Bundes sein wird, die wir dem Saarland gewähren wollen.
Lassen Sie mich hier einen Satz zitieren aus der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler am 27. Oktober über den Rundfunk abgegeben hat, wenige Stunden, nachdem ich zusammen mit meinem französischen Kollegen, Herrn Außenminister Pineau, in Luxemburg das Vertragswerk unterzeichnet hatte. Er sagte:
Wir werden für die Rückkehr der Saar wirtschaftliche Opfer bringen müssen, denen alle Parteien im Grundsatz schon ihre Zustimmung gegeben haben. ... Wir werden aber diese Opfer, die der Bund für die Saar übernimmt, nicht der Saarbevölkerung anrechnen. Sie wird während der wirtschaftlichen Übergangszeit und nach der völligen Rückkehr der Hilfe von Bund und Ländern, aber auch der Hilfe der deutschen Wirtschaft bedürfen, um — einge-
bettet in die Bundesrepublik — eine besondere Brücke für die wirtschaftlichen Probleme beider Staaten zu werden.
Regierung und Bevölkerung an der Saar können also überzeugt sein, daß Bundestag und Bundesregierung alles tun werden, was in ihrer Kraft liegt, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Saarlandes zu erhöhen. Das Saarland darf und wird kein Stiefkind der Bundesrepublik sein. Wir werden keine Anstrengung scheuen, um so rasch, wie es die Verhältnisse nur gestatten, dem Saarland alle Möglichkeiten zu geben, die es instand setzen werden, an der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik gleichberechtigt teilzunehmen und damit auch für die gesamte Bundesrepublik einen wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt des ganzen deutschen Volkes zu leisten.
Meine Damen und Herren! Die volle Bedeutung dessen, was ich über das Saarland sagte, wird erst deutlich, wenn wir die Rückkehr der Saar im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung sehen, deren ersten Abschnitt sie darstellt. Die Tatsache, daß dieser erste Schritt gelungen ist, soll und wird die Deutschen in allen den Teilen Deutschlands, die der Wiedervereinigung noch harren, aufhorchen lassen und ihre Hoffnungen neu beleben. Der 1. Januar 1957, an dem das Saarland zu uns zurückkehrt, wird ein Tag der Freude und Genugtuung für alle Deutschen, und er soll ein Meilenstein auf dem Weg zu Gesamtdeutschland sein.
Die Bundesregierung hat den Zusammenhang zwischen Saarfrage und Wiedervereinigung in den deutsch-französischen Verhandlungen nie außer acht gelassen. Obwohl sie von Anfang an entschlossen war, die Verhandlungen mit dem französischen Partner großzügig zu führen, hat sie da zäh verhandeln zu müssen geglaubt, wo sie befürchtete, daß der Gedanke der Wiedervereinigung, d. h. die werbende Kraft der jetzt gefundenen ersten Teillösung gegenüber dem Gesamtproblem, Schaden erleiden könnte. Auch dies ist ein Grund dafür gewesen, daß wir uns für eine möglichst kurze Obergangszeit eingesetzt haben und daß wir uns bemüht haben, materielle Nachteile vom Saarland möglichst fernzuhalten und diese, soweit unvermeidbar, lieber dem Bund aufzuerlegen. Dies muß für uns ein doppelter Anlaß sein, dem Saarland in der nun folgenden Phase der innerdeutschen Maßnahmen den Weg zu uns in jeder Hinsicht zu ebnen. Das ist ein wichtiges Stück praktischer Wiedervereinigungspolitik.
Zeitungsmeldungen ist zu entnehmen gewesen, daß sich die Regierung der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik" mit dem deutschfranzösischen Saarvertrag befaßt habe. Ich kann nur wünschen, daß sie es auf das gründlichste getan hat.
Dieser Vertrag enthält außerordentlich wertvolle Fingerzeige für die Lösung des gesamtdeutschen Problems. Seine Vorgeschichte zeigt, daß es nur der Herstellung des Rechts der freien Meinungsäußerung bedarf, um auf das eindeutigste darzutun, wohin die Wünsche aller Deutschen gehen.
Der Vertrag zeigt, wie man zusammen mit einem ehemaligen Kriegsgegner in einer anständigen Form und in gerecht ausgewogener Weise die Frage
der Wiedervereinigung regeln kann. Er zeigt ferner, daß es der Bundesregierung eine selbstverständliche Pflicht ist, mit der frei gewählten Regierung eines anderen deutschen Landesteils bei der Durchführung der Wiedervereinigung auf das engste zusammenzuarbeiten, daß die Bundesregierung Verständnis für die besondere Lage der einzelnen Teile des deutschen Staatsgebietes hat und daß sie bereit ist, für die Wiedervereinigung Opfer zu bringen. Wir haben den sehnlichsten Wunsch, daß dieser Vertrag in Zukunft Beispiel sein möge.
Eine ganz hervorragende Bedeutung kommt dem Vertragswerk zu, wenn wir an das deutsch-französische Verhältnis denken. Ich möchte nicht eine historische Darstellung geben und damit schmerzliche Tatbestände in die Erinnerung zurückrufen, die vielmehr der Vergangenheit angehören sollen. Aber die Bundesregierung hält es für ihre besondere Pflicht, heute und von dieser Stelle aus der französischen Regierung und dem französischen Volke gegenüber ihrer tiefen Befriedigung und ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen dafür, daß Frankreich der deutsch-französischen Freundschaft, dem europäischen Gedanken und der Wiedervereinigung des deutschen Volkes einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat.
Der moralische und der politische Wert der Entscheidung, die Frankreich im Oktober 1955 spontan und ohne Zögern getroffen hat, muß nachdrücklich unterstrichen werden. Unsere Haltung wäre subjektiv und unredlich, wenn wir nicht anerkennen würden, daß dieser Entschluß vom Standpunkt der französischen Politik aus gesehen durchaus keine Selbstverständlichkeit war.
Wir können den Vorgang nicht mit der Volksabstimmung des Jahres 1935 vergleichen. Damals waren mehrere Alternativfragen gestellt, und man war sich darüber einig, daß man die Antwort des Volkes an der Saar auf diese Fragen anerkennen werde. Im Jahre 1955 dagegen stand Frankreich vor einer echten und folgenschweren politischen Entscheidung. Eine auf das rein Formale beschränkte Betrachtung des Abstimmungsergebnisses hätte zu der Auffassung führen können, daß die Bevölkerung an der Saar lediglich eine Regelung abgelehnt habe, die man ihr vorgeschlagen hatte. Die zwangsläufige Folge einer solchen Betrachtungsweise wäre die Feststellung gewesen, daß alles beim alten bleiben müsse. Frankreich hat aber in diesen Tagen bewiesen, daß Freiheit und Selbstbestimmungsrecht für ein freies Volk, das selbst in einer rechtsstaatlichen Ordnung lebt, keine formalen Begriffe sind.
Frankreich hat darum nicht gezögert, den wahren inneren Gehalt dieser Entscheidung anzuerkennen, die in den folgenden Wahlen zum Saarländischen Landtag ihren sinnfälligen Ausdruck und ihre Bestätigung fand. Eine formalrechtliche Behandlung des Abstimmungsergebnisses wäre für das Saarland selbst, für den Gedanken der Wiedervereinigung und für das deutsch-französische Verhältnis ein nie wiedergutzumachendes Unglück gewesen. Das französische Volk und seine Regierung haben das erkannt und haben damit die Bahn frei gemacht für eine glückhafte Entwicklung der Beziehungen zwischen unseren beiden Nationen.
Zeitweise hat man der Bundesregierung einen Vorwurf daraus gemacht, daß sie sich zu den Vereinbarungen bekannte, die der saarländischen Bevölkerung im Wege der Volksabstimmung zur Entscheidung vorgelegt wurden. Die Bundesregierung sieht heute rückblickend keinen Anlaß, diese Haltung zu erklären oder gar zu verteidigen. Im Gegenteil, sie glaubt sagen zu dürfen, daß dieses loyale Bekenntnis zur Vertragstreue die psychologischen und politischen Voraussetzungen dafür schuf, daß Frankreich den mutigen Entschluß faßte, von dem ich soeben sprach.
Ich glaube darum, daß der französische Außenminister Pineau und ich nach der Unterzeichnung des Vertragswerks mit Recht sagen durften:
Die Opfer, die gegenseitig gebracht wurden, zeugen von dem Willen der beiden Regierungen, einen neuen Abschnitt der deutsch-französischen Beziehungen zu beginnen, in dem die beiden Völker gemeinsam einer besseren Zukunft entgegenschreiten sollen. Es soll in Zukunft zwischen beiden Ländern nur noch solche Fragen geben, wie sie sich zwischen guten Nachbarn stellen.
Der mutige und weitblickende Entschluß Frankreichs wurde damals von dem französischen Kabinett getroffen, dem Ministerpräsident Edgar Faure und Außenminister Pinay angehörten. Die Durchführung lag bei der heutigen französischen Regierung des Ministerpräsidenten Mollet und seiner Mitarbeiter Außenminister Pineau und Staatssekretär Maurice Faure, die die Verhandlungen auf französischer Seite mit unbeirrbarer i Sachlichkeit und in voller Loyalität geführt haben.
Die Lösung des ganzen Fragenkreises, wie sie sich nun in dem Vertragswerk darstellt, wird auf das deutsch-französische Verhältnis glückliche Auswirkungen haben. Dafür bürgen drei Eigenschaften des Vertrags, einmal, daß es sich um eine frei vereinbarte Regelung handelt, wie sie zwischen freien Völkern angemessen ist, zum anderen, daß diese Regelung endgültig ist, und zuletzt, daß in ihr beide Teile auch ihren Vorteil finden werden.
Es hat für die Bundesregierung nie ein Schwanken in der Erkenntnis gegeben, daß eine befriedigende Regelung der Saarfrage nur auf der Grundlage einer deutschfranzösischen Vereinbarung gefunden werden konnte. An der Saar sind während der Verhandlungen gelegentlich Stimmen laut geworden, daß es eines Saarvertrages, d. h. eines Vertrags, der unvermeidlicherweise Opfer einschloß, nicht zwingend bedürfe. Das mag annehmen, wer die Saarfrage nicht eingebettet sieht in die überaus komplexe politische Problematik, wie sie der Lage Deutschlands gegenüber seiner Umwelt eigen ist. Mit einem solchen Gedanken zu spielen verbot sich aus den gleichen Gründen, die Frankreich davon abgehalten haben, der Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik zu widersprechen, und verbot sich insbesondere deshalb, weil eine positive französische Entscheidung vorangegangen war.
Der Saarvertrag löst die Saarfrage endgültig. Sie ersehen dies aus der Präambel, die von der Entschlossenheit beider Staaten spricht, die Saarfrage als Gegenstand zukünftiger Meinungsverschiedenheiten auszuschließen und mit dem Vertrag zu einer allgemeinen und endgültigen Befriedung beizutragen. Die Endgültigkeit ergibt sich ferner aus wiederholten Erklärungen französischer Staatsmänner und entspricht dem Geiste, in dem die Vertragsverhandlungen geführt wurden. Es ist somit auch, im Gegensatz zu früher geplanten Lösungen, davon abgesehen worden, in dem Vertrag den Vorbehalt des Friedensvertrags aufzunehmen. Eine territoriale Streitfrage, die nahezu 300 Jahre zurückreicht, hat ihren endgültigen Abschluß gefunden.
Die beiden Regierungen haben sich bemüht, diesen Streit nicht nur im Grundsätzlichen zu beenden, sondern die vereinbarte Lösung auch im einzelnen so auszugestalten, daß sie weitere Auseinandersetzungen ausschließt. Sie standen z. B. in der Warndt-Frage vor der Alternative, die mit ihr verbundenen schwierigen finanziellen Fragen entweder Schiedsgerichten zu überweisen, wozu mindestens vier Schiedsverfahren erforderlich gewesen wären, oder alle gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten in einem großzügigen Akte gegeneinander aufzuheben. Sie haben sich für die letzte Alternative entschieden.
In der Frage des Rheinseitenkanals war zu wählen zwischen einem sich unvermeidlicherweise über mehrere Jahre hinziehenden Schiedsverfahren, das die mit der Umgestaltung des Ausbauplanes verbundenen Mehrkosten zum Gegenstand gehabt hätte, sowie einem gleich schwierigen Schiedsverfahren zur Auslegung des Art. 358 des Versailler Vertrags auf der einen Seite und einer gleichen Aufrechnung wie der oben erwähnten auf der anderen Seite. Auch hier haben wir uns für den letzten Weg entschieden und haben alle diese Verfahren ausgeschlossen.
Auch über das Schicksal der Röchling-Werke wurde außerhalb des Vertrages eine endgültige Vereinbarung erzielt, die die Bundesregierung aufrichtig begrüßt. Ich kann dem Hohen Hause mitteilen — und die Presse hat es heute morgen schon veröffentlicht —, daß die Sequesterverwaltung über die Werke in Völklingen gestern aufgehoben wurde und die Firma Röchling am gleichen Tage die Verwaltung des Werks wieder übernommen hat.
Gewisse Prozesse, die mit der Rheinschiffahrt zusammenhängen, haben ihr Ende gefunden. Wir haben überall reinen Tisch gemacht.
Der Vertrag dürfte schließlich auch eine gut ausgewogene Lösung darstellen. Frankreich und Deutschland werden sich in den Erfolg teilen. Die Übergangsregelung sichert Frankreich noch für einige Zeit die Vorteile der Zoll- und Währungsunion und gibt seiner Wirtschaft die Möglichkeit, sich auf die Veränderung des wirtschaftlichen Status der Saar vorzubereiten.
Im Rahmen der sogenannten Endregelung ist ein System von Zollkontingenten geschaffen worden, das die administrativen Voraussetzungen dafür schafft, daß Frankreich seinen umfangreichen Warenverkehr mit dem Saarland aufrechterhalten kann. Die an der Saar tätigen französischen Unternehmungen, Banken und Versicherungen werden in ihrer weiteren Tätigkeit in keiner Weise behindert werden. Auf dem Verkehrsgebiet werden weiterhin Erleichterungen bestehen.
Die Regelung der Warndtfrage gestattet Frankreich den Abbau von 66 Millionen t Kohle und bringt ihm den Bezug von 24 Millionen t verbil-
ligter Kohle ein. Die Vereinbarung eines Systems von Liefer- und Abnahmeverpflichtungen für die übrige Saarkohle habe ich bereits erwähnt. Der Absatz saarländischer und lothringischer Kohle auf anderen Märkten wird gemeinschaftlich erfolgen.
Eine zwischen der französischen und der saarländischen Regierung getroffene Kulturvereinbarung wird es ermöglichen, daß der geistige und kulturelle Austausch zwischen Frankreich und Deutschland sich auch im Saarland nutzbringend für unsere beiden Völker entwickeln wird.
Die vereinbarte politische Befriedung dient auch dem Interesse Frankreichs. Alles in allem behält Frankreich im Verhältnis zur Saar weitgehend das, was sich als gesunder Kern der französischsaarländischen Beziehungen herausgebildet hat, und nicht zuletzt verdankt Frankreich dem Saarvertrag die Erfüllung seines Wunsches nach Schiffbarmachung der Mosel.
Diese Vorteile Frankreichs stellen zum Teil deutsche Opfer dar, ebenso wie auch Frankreich Opfer gebracht hat, außer seinem politischen Opfer wirtschaftliche Opfer insofern, als durchaus nicht alle seine Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Ein großer Teil der soeben aufgezählten Vorteile Frankreichs sind aber zugleich Vorteile des Saarlandes oder allgemein deutsche Vorteile.
Das zeigt, daß dieser Vertrag eine gute Lösung darstellt, und beweist im übrigen einmal mehr, daß im heutigen Europa der Vorteil des einen nicht mehr der Nachteil des anderen sein muß, sondern daß unsere Schicksale schon so eng verbunden sind, daß ein Gewinn des einen auch der des anderen ist.
Deutschland und Frankreich werden sich weiterhin an der Saar begegnen, aber nicht mehr in gegensätzlichem Geiste, sondern im Handeln zum gemeinsamen Interesse. Schon die Übergangsregelung erfordert eine sehr enge Zusammenarbeit. Daß eine Regelung so ungewöhnlicher Art überhaupt vereinbart werden konnte, setzt eine weitgehende Bereitschaft zur Kooperation voraus.
Ich glaube, daß die Öffentlichkeit beider Länder die Vorteile, die die Verträge beiden Seiten gewähren, klar erkannt hat. Von wenigen Außenseitern abgesehen, die nie zufriedenzustellen sind, hat das Vertragswerk in beiden Ländern ein durchaus positives Echo gefunden und eine Reaktion sowohl der Erleichterung als der Genugtuung ausgelöst.
Die Verträge stellen den Schlußstein in der Durchführung des Programms dar, das im Oktober 1954 von dem Herrn Bundeskanzler und dem damaligen französischen Ministerpräsidenten, Herrn Mendès-France, anläßlich des Abschlusses der Pariser Verträge mit dem Ziel einer deutsch-französischen Zusammenarbeit auf allen Gebieten vereinbart wurde. Ich darf die Gelegenheit benutzen, Ihnen einen kurzen Überblick über das Ergebnis dieses Programms zu geben.
Auf wirtschaftlichem Gebiet haben wir im vorigen Jahre ein langfristiges Handelsabkommen geschlossen. Gleichzeitig mit den jetzt abgeschlossenen Verträgen ist ein Niederlassungsabkommen vereinbart worden. Aus der Kriegszeit herrührende Fragen auf dem Gebiete der Warenzeichen sind durch ein besonderes Abkommen geregelt. Wir haben eine deutsch-französische Handelskammer, einen ständigen deutsch-französischen Land-wirtschaftsausschuß und ein aus Regierungsvertretern bestehendes deutsch-französisches Wirtschaftskomitee gegründet. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Erschließung Französisch-Afrikas ist aufgenommen worden.
Als sichtbarste Folge dieser Maßnahmen zeichnen sich die glänzenden Ergebnisse des deutschfranzösischen Warenverkehrs ab, der in diesem Jahr mit einem Gesamtumsatz von voraussichtlich knapp 5 Milliarden DM eine neue Rekordhöhe erreicht und alles in den Schatten stellt, was es je zuvor in der Geschichte der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen gegeben hat und was noch vor wenigen Jahren erhofft werden konnte. Unsere Stellung als erster Außenhandelspartner Frankreichs hat sich konsolidiert, und ebenso befindet sich Frankreich in der Spitzengruppe unserer Außenhandelspartner. Hinzu kommen jetzt die Abreden über die Saar, die sowohl in der Übergangszeit wie in der Endregelung zu einer Erhöhung der Gesamtumsätze des deutschfranzösischen Handels führen werden.
Auf kulturellem Gebiet haben sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern außerordentlich verdichtet. Es gibt hier keine so sinnfälligen Tatsachen wie auf wirtschaftlichem Gebiet, aber ich glaube, der interessierte Beobachter kann eine Vielfalt und Intensität des kulturellen Austausches feststellen, die ebenfalls über das frühere Maß hinausgehen. Als erfreuliche Einzelheiten darf ich erwähnen, daß ich gerade in diesen Tagen an der Eröffnung eines Deutschen Hauses in der Cité Universitaire in Paris teilnehmen konnte, die der Präsident der Republik, Herr Coty, durch seine Anwesenheit auszeichnete, und daß ,die Besetzung des schon früher vereinbarten deutschfranzösischen Kulturkomitees jetzt abgeschlossen ist, das nunmehr seine Tätigkeit aufnehmen wird.
Die Hauptbedeutung des Programms von La Celle—St.-Cloud, insbesondere des jetzt vorliegenden Vertragswerkes, liegt zweifellos auf politischem Gebiet. Letzteres hat nicht nur die Saarfrage bereinigt, es hat mit der gleichzeitigen Regelung der Fragen der Schiffbarmachung der Mosel und des Rheinseitenkanals überhaupt die letzten größeren Meinungsverschiedenheiten bilateraler Art, die zwischen beiden Ländern noch bestanden, ausgeräumt.
So stellt der Abschluß dieser Verträge wahrhaftig ein historisches Ereignis dar. Wie weit muß man in die Vergangenheit zurückgreifen, um die Feststellung treffen zu können, daß es keine deutsch-französischen Streitfragen gegeben habe!
Der Weg ist nun frei für ein nachbarliches Verhältnis im besten Sinne, für die gemeinsame Behandlung der großen Fragen, die sich aus der Stellung beider Länder im Lager der freien Welt ergeben, und insbesondere für die gemeinsame Arbeit an der Schaffung eines neuen geeinten Europas. Ich glaube in der Tat, daß beide Regierungen mit diesem Vertragswerk auch etwas für Europa getan haben. Allein die Tatsache, daß damit eine lange Periode deutsch-französischer Gegensätzlichkeit ihr Ende gefunden hat, ist für Europa von unschätzbarem Wert. Die Saarregelung im Speziellen bedeutet zusammen mit dem kürzlich abgeschlossenen deutsch-belgischen Grenzabkommen, zu dem hoffentlich noch eine deutsch-niederländische Vereinbarung gleichen Inhalts hinzukommen wird, daß es innerhalb des freien Europa keine territorialen Probleme mehr gibt.
Ich glaube auch, daß die beiden Regierungen hinsichtlich der Methode, mit der sie ihre Meinungsverschiedenheiten ausgetragen haben, nämlich den Weg der freien Vereinbarung zu gehen und sich hierbei von der festen Entschlossenheit leiten zu lassen, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, ihren Interessen gegenseitig großzügig Rechnung zu tragen und Opfer nicht zu scheuen, in europäischem Geist gehandelt haben.
Einige Bestimmungen der jetzt getroffenen Regelung erscheinen mir vom europäischen Standpunkt aus besonders wertvoll. Ich denke an die schon erwähnte Maßnahme zur politischen Befriedung, an die französisch-saarländischen Vereinbarungen auf kulturellem Gebiet und an die handelspolitischen Bestimmungen der Endregelung. Mit den letzteren wird der Versuch gemacht, auf einem beschränkten Territorium zwei Länder unter gleichen handelspolitischen Voraussetzungen, d. h. unbehindert durch Zölle und mengenmäßige Beschränkungen zum Zuge kommen zu lassen, also eine Art gemeinsamen Marktes zu schaffen. Gelingt dieser Versuch, so stellt er ein gutes Argument für den größeren gemeinsamen Markt dar, den wir und die anderen europäischen Länder anstreben. Daß ein solcher Versuch gerade im deutsch-französischen Verhältnis gemacht wird, d. h. im Verhältnis der beiden Länder, auf die es bei der Schaffung eines solchen gemeinsamen Marktes entscheidend ankommen wird, gibt diesem seine besondere Bedeutung.
Nicht nur ist somit etwas für Europa getan worden, sondern Europa hat bei der Regelung der Saarfrage auch etwas für Deutschland und Frankreich getan. Das verdient heute mit Dank vermerkt zu werden. Der Europarat war es, der im Jahre 1952 erstmalig ein positives Saargespräch aufgenommen hat. In seinem Auftrag hat damals der holländische Abgeordnete Herr van der Goes van Naters wertvolle Studien über die Saarfrage angestellt und aus echter europäischer Überzeugung einen Plan ausgearbeitet, der auch bei denen Anerkennung fand, die ihm nicht zustimmen konnten.
Unser Dank gilt ferner dem belgischen Außenminister, Herrn Spaak, der sich als unermüdlicher Makler, insbesondere in den Verhandlungen vom Sommer 1954, erwiesen hat.
Er gebührt dem Rat und dem Generalsekretariat der Westeuropäischen Union und namentlich dem Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarates, dem belgischen Senator Herrn De-housse,
der im Auftrag der WEU vor und während der Abstimmung im Saarland in vorbildlicher Weise zusammen mit den anderen Mitgliedern seiner Kornmission tätig war. Dank schulden wir schließlich der luxemburgischen Regierung und Öffentlichkeit, die mit ihrer Zustimmung zur Schiffbarmachung der Mosel der europäischen Verständigung einen großen Dienst erwiesen haben.
Meine Damen und Herren! Wenn es so zu dem Abschluß der Verträge kam, die die Bundesregierung Ihnen heute vorlegt und für die sie Ihre Zustimmung erbittet, so halte ich es für meine Pflicht, in aller Offenheit auch hervorzuheben, daß die Bundesregierung bei manchen Teilen der Verträge eine andere Lösung vorgezogen hätte. Wir haben nicht alles erreicht, was uns vorschwebte, und wir haben auch erhebliche Opfer gebracht. Bei der Übergangsregelung hätte die Bundesregierung eine Vereinbarung vorgezogen, die mehr als die vorliegenden Verträge dem Gedanken Rechnung getragen hätte, daß die Übergangszeit die saarländische Wirtschaft auf den Eintritt in das deutsche Wirtschaftsgebiet vorbereiten sollte. Großzügigere Erleichterungen der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik hätten diesem Wunsche mehr entsprochen.
Die Bundesregierung glaubt weiter, daß sie bei der Festsetzung der Kohlenmenge, die im Warndt noch für Frankreich abgebaut werden soll, bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen ist, auch wenn die endgültig festgesetzte Menge nur etwa der Hälfte der ursprünglichen französischen Forderung entspricht.
Wir glauben auch in der Frage der Verwendung der französischen Zahlungsmittel, die bei der Währungsumstellung anfallen werden, eine weitgehende Konzession gemacht zu haben, indem wir uns bereit erklärt haben, einen Betrag von insgesamt 40 Milliarden französischen Franken an Frankreich unentgeltlich zurückzugeben. Es war selbstverständlich, daß wir die 9 Milliarden Franken übernehmen mußten, die der Erstausstattung des Saargebietes dienten.
Es war ebenso selbstverständlich, daß wir in die öffentlichen Verbindlichkeiten eintreten mußten, die im Verhältnis zwischen dem Saarland und Frankreich bestanden. Immerhin wird aber die Bundesrepublik in dem Jahre der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes aus diesen Gründen zusammen etwa eine Milliarde D-Mark aufzubringen haben.
Auch unsere Zustimmung zur Schiffbarmachung der Mosel betrachtet die Bundesregierung als eine echte Konzession. Niemals hat die Bundesregierung diese Frage ausschließlich vom nationalwirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. Wir wissen, daß eine solche Betrachtung zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber letztlich wohl zu einer Verneinung geführt haben würde. Die Bundesregierung hat diese Bedenken zurückgestellt, weil sie sich bewußt war, daß es letztlich eine politische Frage war, die notwendigerweise im Zusammenhang mit dem ganzen Fragenkomplex gesehen und beantwortet werden mußte.
Darum hat die Bundesregierung auch nicht gezögert, diese Opfer zu bringen, die nach ihrer Überzeugung notwendig waren, wenn man zu einer Regelung kommen wollte, die auch alle die Vorteile enthält, von denen ich schon sprach. Sollte aus dem Hohen Hause die Frage gestellt werden, ob diese Opfer tatsächlich in diesem Umfang nötig waren, so möchte ich sie schon jetzt uneingeschränkt bejahen. Auf allen den Gebieten, die ich erwähnte, ist hart gerungen worden, aber beide Partner waren dabei von dem ehrlichen Bemühen geleitet, zu einer Verständigung zu kommen.
Die Bundesregierung hat bei diesen Verhandlungen auch nicht vergessen, daß der schmerzliche Tatbestand, den es aus der Welt zu schaffen galt, seinen Ursprung letzten Endes in dem unseligen
Kriege hatte. Die Bundesregierung und das deutsche Volk mögen die Verantwortung an diesem unseligen Geschehen von sich weisen, seinen Folgen sich entziehen zu wollen, wäre unrealistisch und im letzten auch unredlich.
Wenn die Bundesregierung das Hohe Haus heute bittet, dem Vertragswerk seine Zustimmung zu geben, dann weiß sie wohl, daß diese Zustimmung selbstverständlich eine sorgfältige Prüfung voraussetzt. Die laufende Zusammenarbeit mit der Saarregierung, die ich mit besonderer Dankbarkeit erwähnen möchte, hat sichergestellt, daß man im Saarland über alle Phasen der Verhandlungen und über alle Erwägungen, die zu den einzelnen Entscheidungen führten, unterrichtet war. Und ich bin dankbar, daß der Bundestag durch den Saarunterausschuß des Auswärtigen Ausschusses meinen Mitarbeitern und mir Gelegenheit gab, das Parlament laufend zu informieren und die Einzelfragen im offenen Gespräch zu erörtern. Diese Art der Vorbereitung wird, wie ich hoffe, die Entscheidung sowohl des Deutschen Bundestages wie des Landtages in Saarbrücken erleichtern.
Bei der Prüfung sollten wir, wie ich glaube, nicht eine Rechnung von Leistungen und Gegenleistungen aufmachen und die einzelnen Entscheidungen kritisch beleuchten, die j a doch alle in einem untrennbaren inneren Zusammenhang stehen. Wir sollten uns vielmehr der außerordentlichen politischen Bedeutung klarsein, die dieses Vertragswerk für uns besitzt und auf die hinzuweisen ich für richtig hielt.
Die Bundesregierung zweifelt darum auch nicht daran, daß der Deutsche Bundestag volles Verständnis dafür haben wird, daß das große Ziel, das wir anstrebten, uns auch Opfer auferlegte. Sind doch aus seiner Mitte heraus seinerzeit die ersten Anregungen gekommen, die Lösung der Saarfrage im Wege eines solchen Ausgleichs zu suchen.
Erlauben Sie mir, zusammenfassend noch folgendes zu sagen. In dem Vertragswerk, das ich für die Bundesregierung am 27. Oktober unterzeichnen konnte, erblickt die Bundesregierung einen bedeutenden außenpolitischen Erfolg. Sie betrachtet ihn nicht zuletzt als Ergebnis der von ihr verfolgten europäischen Politik. Aus dieser Politik, die gleichzeitig diejenige der französischen Regierung war und ist, und aus der unbeirrbaren Treue der Saarländer zur deutschen Heimat ist dieser Erfolg erwachsen.
Die weltpolitische Lage ist zur Zeit düster und ernst. Nicht weit von uns kämpfen Völker um ihre Freiheit, die zum europäischen Kulturkreis gehören und die kein minderes Recht auf eine freiheitliche Entwicklung besitzen als wir selbst.
Nicht weit von uns vollzieht sich ein. tragisches Geschehen, das wir mit Bewunderung für den ungebrochenen Freiheitswillen von Millionen von Menschen und mit tiefem Abscheu gegenüber den Methoden ihrer Unterdrücker verfolgen.
Das Ordnungsprinzip, das in diesem Vertrag seinen Ausdruck findet und das künftig ausschließlich das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bestimmen wird, das Recht nämlich auf die freie Selbstbestimmung freier Menschen, wird an-
derwärts mit Füßen getreten. Um so leidenschaftlicher wollen wir uns zu diesen Grundsätzen bekennen. Nur wenn wir das tun, würdigen wir die Verträge im rechten Sinne.
Letzten Endes waren es nicht rechtliche und politische, sondern im wahrsten Sinne des Wortes moralische Verpflichtungen, die Frankreich erfüllte, weil sie seinen Grundsätzen entsprachen. Nicht rechtliche und politische, sondern moralische Vorstellungen über das Zusammenleben freier Völker waren auch bestimmend für den Inhalt der Ihnen vorgelegten Verträge und waren ausschlaggebend für die Entscheidungen der an ihrer Ausarbeitung beteiligten Regierungen. Es geht nicht darum, nunmehr einen Katalog der Rechte und Verpflichtungen aus diesen Verträgen zu erarbeiten und gegenüberzustellen. Es wäre eine fragwürdige Rechnung, aus der jeder einen anderen Saldo ziehen würde.
Darum legt die Bundesregierung diese Verträge auch ohne jeden Vorbehalt und ohne jedes Zögern vor. Sie ist der Überzeugung, daß sie der Ausdruck einer politischen Gesinnung sind, deren Gültigkeit für die Beziehungen zwischen den Völkern der Welt nur derjenige bestreiten kann, der sich zur Politik der Macht und des Unrechts bekennt. Wenn wir die Verträge ratifizieren, wollen wir dieser Politik eine endgültige Absage erteilen und damit vielleicht auch diejenigen überzeugen oder doch wenigstens ansprechen, die sich zu gleicher Erkenntnis noch nicht durchgerungen haben.
Die Bundesregierung glaubt daher aus diesem Anlaß erneut und eindringlich an die Sowjetunion appellieren zu sollen. Auch zu diesem Land wollen wir unsere Beziehungen im gleichen Sinne ordnen. Das wiedervereinigte Deutschland will dem Frieden und der Freiheit in der Welt ebenso dienen wie die Bundesrepublik. Und die 17 Millionen deutscher Menschen in der sowjetisch besetzten Zone werden, wenn sie einmal ihre Freiheit zurückgewonnen haben, dazu mit der gleichen unbedingten Entschlossenheit beitragen wie die eine Million Saarländer, die in allernächster Zeit ihre Anstrengungen mit den unsrigen vereinigen werden, um diese hohen politischen Ziele zu verwirklichen.