Rede von
Dr.
Paul
Bleiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation in der deutschen Kohlenwirtschaft, wie sie sich uns heute darstellt, ist im wesentlichen von drei Problemkreisen gekennzeichnet, einmal von den Preisauftriebstendenzen, die mit der Erhöhung des deutsehen Kohlenpreises zusammenhängen, zum andern von den Versorgungsschwierigkeiten, die sich aus der mehrfachen Spaltung des Kohlenpreises ergeben, und schließlich von den Überlegungen, die wir anstellen müssen, um die deutsche Förderung zu steigern und damit Voraussetzungen für eine bessere Versorgung der deutschen Wirtschaft zu schaffen.
Alle drei Problemkreise sind nicht neu. Sie beschäftigen uns seit vielen Monaten. Sie waren für die Sozialdemokratische Partei der Anlaß, schon zu Beginn dieses Jahres eine Große Anfrage im Bundestag einzubringen und damit eine Aussprache über die Kohleversorgungs- und über die Kohlepreissituation zu erzwingen. Diese unsere Absicht konnte zu Beginn des Jahres nicht realisiert werden. Die Mehrheit des Hauses ließ damals nur eine Schrumpfdebatte zu.
Noch beklagenswerter aber ist es, daß die am 10. Februar abgebrochene Kohlendebatte um mehr als neun Monate verschleppt und verzögert worden ist. Damals standen wir am Ende des Kohlenwirtschaftsjahres 1955/56. Eine ordnungsgemäß abgewickelte Debatte hätte vielleicht für das neue Kohlenwirtschaftsjahr Mißstände in der Versorgung beheben und die Gefahr der Kohlenpreisfreigabe noch deutlicher machen können.
Wir müssen gegen die Regierungsparteien den Vorwurf erheben, daß sie diese Möglichkeiten verhindert haben, dies um so mehr, als sich in den vergangenen neun Monaten die Situation in der Verteilung und in der Preisentwicklung weiter verschärft hat.
Heute bleibt nur noch festzustellen, daß Gewinner und Nutznießer aus der Verzögerung zweifellos die deutschen Bergbauunternehmungen geworden sind. Sie haben in der Zwischenzeit einige
Schäfchen ins Trockene bringen können, bevor die Parteien im Bundestag Gelegenheit hatten, sich zu der gegebenen Situation ausführlich und abschließend zu äußern. Denn, meine Damen und Herren — und damit komme ich zum ersten Problemkreis —, dem Bergbau sind in den letzten dreiviertel Jahren eine ganze Reihe von Vergünstigungen zugeflossen. Ich spreche hier nicht von der Bergarbeiterprämie. Diese Maßnahme halten wir für vernünftig und richtig. Der Erfolg ist in einer erheblichen Fördersteigerung deutlich geworden.
Ich spreche aber von jenen Vergünstigungen, die Herr Staatssekretär Westrick am 10. Februar vor dem Hohen Hause ausführlich erläutert hat und die dem Bergbau eine Mehreinnahme von rund 2,80 DM je Tonne abgesetzter Kohle verschafften, ein Betrag — und das verdient ja noch einmal ausdrücklich festgestellt zu werden —, der die Mehrkosten der Lohnerhöhung ab 15. Februar nicht nur ausglich, sondern erheblich überkompensierte.
Trotz dieses von der Bundesregierung angebotenen und inzwischen auch realisierten Ausgleichs der Lohnmehrkosten hat der Unternehmensverband Bergbau den Kohlepreis zweimal, insgesamt um 6,10 DM je Tonne im Schnitt, heraufgesetzt.
Bei allen Mitgliedern dieses Hauses darf man wohl die Absicht unterstellen, den Bergbau gesund und leistungsfähig zu erhalten. Alle Parteien dieses Hauses sollten sich aber auch darüber im klaren sein, daß der Kohlenpreis wegen seiner Bedeutung für das gesamte Preisniveau einer besonders sorgfältigen Prüfung und Überwachung bedarf und daß eine Anhebung in Zeiten konjunktureller Anspannung das grüne Licht für eine Kette von Preiserhöhungen bedeutet.
Wir befinden uns in dieser Hinsicht in völliger Übereinstimmung mit dem, was Herr Staatssekretär Westrick — wenn ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf — im Februar wörtlich sagte:
Wir glauben, daß der Kohlenpreis eine ungeheure Rückwirkung auf das gesamte Preisgefüge hat.
Es ist nicht zu leugnen, daß mancherorts, im besonderen in letzter Zeit, Preisauftriebstendenzen fühlbar und sichtbar werden, an deren Dämpfung wir alle miteinander interessiert sind. Infolgedessen ist es unsere Aufgabe, zwischen diesen Dingen hindurchzufinden.
Nun, meine Damen und Herren, so weit sind wir mit Herrn Westrick einig. Es ist uns aber völlig unverständlich, wie man aus solchen Feststellungen die Konsequenz einer Freigabe des Kohlenpreises ziehen konnte. Die Aufgabe, die sich Herr Staatssekretär Westrick in seiner Rede am 10. Februar gestellt hat, nämlich „zwischen den Dingen hindurchzufinden", wie er sich ausdrückte, ist vom Bundeswirtschaftsministerium nicht gelöst worden. Der Unternehrnensverband Bergbau war konsequenter. Er hat die Gelegenheit zu kräftigen Preiserhöhungen benutzt.
Wenn wir über den Kohlenpreis reden, sollten wir auch eine weitere These des Bundeswirtschaftsministeriums endgültig ad acta legen, nämlich die, daß Kohlenpreiserhöhungen von vielen Branchen aufgefangen werden, weil sie kostenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Das Gegenteil ist richtig. Jede Koh-
lenpreiserhöhung setzt sich nach dem Schneeballsystem bis zum letzten Verbraucher fort. Symptomatisch dafür scheint mir zu sein, daß am 25. Oktober dieses Jahres, also am Tage der letzten Preiserhöhung, schlagartig auch die Preise für Bergbaumaschinen und Bergbaugeräte um 6 bis 10 °/o heraufgesetzt wurden, obwohl der Kohlenanteil in dieser Branche nach der Tabelle des Bundeswirtschaftsministeriums wahrscheinlich nur wenige Prozente ausmacht.
Wir haben eine solche Kettenreaktion befürchtet und deshalb vor der Freigabe des Kohlenpreises gewarnt. Wir haben uns in der Februardebatte bemüht, den Beweis dafür zu erbringen, daß die Kosten- und Ertragslage im Bergbau bei den angebotenen Ausgleichsbeträgen eine Heraufsetzung des Kohlenpreises nicht erforderlich macht. Wir sind in unserer Argumentation bis heute nicht widerlegt worden, weder vom Bundeswirtschaftsministerium noch vom Unternehmensverband Bergbau.
Uns überzeugt auch nicht die Begründung der letzten Preiserhöhung, wenn z. B. gesagt wird, die Erhöhung sei notwendig, um die Mehrkosten der inzwischen in Kraft getretenen Arbeitszeitverkürzung zu decken oder um auf diese Weise Mittel für die Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues zu beschaffen. Beide Tatbestände rechtfertigen die vorgenommene Preiserhöhung nicht.
Soweit es zunächst die Arbeitszeitverkürzung angeht, so haben wir bisher stets die erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß mit jeder Arbeitszeitverkürzung eine Steigerung der Produktivität verbunden war, wahrscheinlich aus physischen oder aus psychologischen Gründen, verbunden mit der fortschreitenden Technisierung unserer Wirtschaft. Ob und inwieweit sich aus der letzten Arbeitszeitverkürzung Ertragsminderungen ergeben, wird sich erst nach einer längeren Karenzzeit feststellen lassen. Es erscheint uns iaber eine unmögliche Verfahrensweise zu sein, theoretisch errechnete Ausfälle kurzerhand, ohne die Ertragsentwicklung abzuwarten, in voller Höhe im Preis auszugleichen.
Auch das zweite Argument, die Einrechnung der Wohnungsbauabgabe in den Kohlenpreis, ist nicht stichhaltig. Unbestritten ist die Tatsache, daß der zunehmende Bedarf an deutscher Kohle die Anlegung neuer Bergleute erforderlich macht. Zusätzliche Arbeitskräfte sind nur zu gewinnen, wenn die Zeche dem neu angelegten Bergmann eine Wohnung zur Verfügung stellen kann. Soweit sind wir uns einig, auch mit dem Unternehmensverband Bergbau. Wir unterscheiden uns allerdings erheblich in der Verfahrensweise. Wir sind der Auffassung, daß der Bau von Bergarbeiterwohnungen eine öffentliche Aufgabe ist; sie gehört zum Gesamtkomplex des sozialen Wohnungsbaues und sollte aus öffentlichen Mitteln und darf nicht über den Preis finanziert werden.
Der Fehlbedarf an Wohnungen im Bergbau wird in den vorliegenden Schätzungen auf über 60 000 Einheiten angegeben. Er kann nach unserer Auffassung nur durch eine gezielte Investition beseitigt werden. Deswegen beantragen wir mit der Drucksache 2858, die zu begründen ich die Ehre habe, schon im Haushalt 1957/58 einen Betrag von 150 Millionen DM als erste Rate eines großzügigen Bergarbeiterwohnungsbauprogramms einzustellen. Die Notwendigkeit einer solchen gezielten Investition ist besonders dringend geworden angesichts der denkbar schlechten Erfahrungen, die wir mit der bisher von der Bundesregierung geübten Praxis der Wohnungsbauabgabe gemacht haben.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, meine Damen und Herren, daß sich die Abgabe ursprünglich auf 2 DM je Tonne abgesetzter Förderung belief; dann waren es 1 DM, dann 10 Pf. Jetzt schlägt der Bergbau 2 DM vor. Die Bundesregierung will 1 DM erheben. Bei vorzeitiger Ablösung soll die Hälfte der alten Verpflichtungen gestrichen werden, und das alles bei wechselnden Zeitläuften.
Ein größeres Durcheinander ist nur schwer vorstellbar. Es ist zweifellos kein Beweis für eine geradlinige und konsequente Wohnungsbaupolitik, sondern eher das Gegenteil. Das Durcheinander im Bergarbeiterwohnungsbau, in der Wohnungsbauabgabe soll nach unserem Antrag durch ein festes Programm ersetzt werden, und wenn — was wir hoffen — der Antrag eine Mehrheit findet, dann entfällt damit das zweite Argument für die Preiserhöhung vom 25. Oktober.
Die jüngste Preiserhöhung läßt den Gedanken aufkommen, daß bei der Preisfestsetzung möglicherweise Kartellgesichtspunkte eine Rolle gespielt haben, d. h. die Preise so festgesetzt worden sind, daß auch die Randzechen, also die Zechen mit ungünstigster Lagerung, noch rentabel arbeiten können. Wenn diese Überlegungen maßgebend gewesen sein sollten, möchte ich unseren schärfsten Protest anmelden. Entscheidend für die Preisbildung dürfen nicht Randzechen, sondern müssen die mittleren Zechenbetriebe sein.
Um die unterschiedliche Intelligenz der Flöze auszugleichen, d. h. einen Ausgleich zwischen den Unternehmen mit günstigen und ungünstigen bergbaulichen Verhältnissen herbeizuführen, haben wir dem Hohen Hause unseren Antrag Drucksache 2021 vorgelegt, der die Errichtung einer Ausgleichskasse vorsieht.
Herr Kollege Friedensburg hat uns kürzlich entgegengehalten, daß der von uns erstrebte Ausgleich den Tüchtigen praktisch bestrafen und den Untüchtigen begünstigen würde. Das, meine Damen und Herren, ist zweifellos nicht der Sinn unseres Antrags. Wir bezwecken mit unserem Antrag den Ausgleich im unterschiedlichen geologischen Vorkommen, in der Mächtigkeit der Flöze, und wir wollen gerade verhindern, daß die Unternehmung, die zufällig über mächtige Flöze verfügt, große Gewinne einkassiert, während andere Unternehmungen mit schlechter Lagerung trotz aller Tüchtigkeit von Verwaltung und Belegschaft mit sehr bescheidenen Betriebsergebnissen arbeiten müssen.
Die Summe der Argumente gegen die Preisanhebung, die ich Ihnen vortragen durfte, stellt einen schlüssigen Beweis dafür dar, daß die Erhöhung des Kohlenpreises nicht gerechtfertigt war. Wir machen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister den Vorwurf, den Kohlenpreis ohne zwingende Notwendigkeit freigegeben und damit vermeidbare Preisauftriebstendenzen verschuldet zu haben.
Ich komme nun zum zweiten Anliegen, das wir zur Sprache bringen wollen, zu dem Problem der Kohleverteilung. Die Materie ist von uns bereits bei der Begründung unserer Großen Anfrage angesprochen worden. Merkwürdigerweise ist Herr Staatssekretär Westrick in seiner Antwort auf den Verteilungsmechanismus mit keinem Wort eingegangen. Meine Damen und Herren, man löst Probleme nicht dadurch, daß man sie einfach bei-
seite schiebt oder vertagt. Man kann die Kohleversorgung auch nicht mit dem Hinweis abtun, daß mengenmäßig zur Zeit keine akuten Versorgungsschwierigkeiten bestehen. Ich bin der Meinung, daß es in der Versorgungsfrage nicht allein auf das Ob, sondern vielmehr auch auf das Wie ankommt. Bei dieser Betrachtungsweise haben wir eine Reihe von Bedenken anzumelden.
Die Schwierigkeiten zeigen sich zunächst im Sortenproblem. In verschiedenen Ländern der Bundesrepublik wurde zu Beginn des Winters über Engpässe berichtet. In Hamburg und Bremen beispielsweise ist die Koksversorgung ungenügend, in Niedersachsen und in Rheinland-Pfalz fehlt es an Fettkohle und Koks. In verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik sind die Briketts verknappt. Das sind nur wenige Beispiele; sie lassen sich beliebig vermehren.
Im allgemeinen läßt sich feststellen, daß die Industrie relativ gut versorgt ist, während die Läger der Kohleneinzelhändler teilweise geräumt sind und der Bedarf bis zu 50 % durch die teure Importkohle gedeckt werden muß.
Wir erwarten von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eine Aufklärung darüber, ob er und welche Maßnahmen er getroffen hat, um die Versorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch allerorts aus deutscher Förderung sicherzustellen.
Das eigentliche Kernproblem in der Kohlenversorgung ist aber zweifellos der erhebliche Preisunterschied zwischen deutscher und importierter Kohle. Im Schatten dieser Preisdifferenz haben sich bei uns Praktiken entwickelt, die zu einem mindestens 5fach gespaltenen Kohlenpreis geführt haben. Am begehrtesten ist die deutsche Kohle, weil sie am billigsten ist. Sie reicht aber zur Deckung des Inlandsbedarfs bei weitem nicht aus. Die immer größer werdende Versorgungslücke muß durch US-Importe geschlossen werden.
Wenn auf Jahre hinaus eine echte Unterversorgung erkennbar wird, dann sollte man die vorhandene Menge ohne Rücksicht auf bestehende kapitalmäßige Bindungen wenigstens einigermaßen gerecht verteilen. Das ist nach unseren Feststellungen nicht der Fall. Die Festsetzung der Kontingente erfolgt nach dem Verbrauch in einer bestimmten Referenzperiode. Damit werden Verhältnisse einer früheren Wirtschaftsepoche zementiert, ohne auf die Weiterentwicklung der Wirtschaft, ohne auf frühere Besonderheiten in der Versorgung Rücksicht zu nehmen. So kann es vorkommen, daß Firmen, die nach der Referenzperiode gegründet wurden, überhaupt keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Inlandskohle haben. In einem Wirtschaftszweig, der sich mit neuzeitlicher Wärmetechnik befaßt, erhalten 10 Werke entweder überhaupt keine oder im Höchstfall bis zu 25 % Inlandskohle, während andererseits eine Reihe von Industriebetrieben da ist, die durch Verbesserung ihrer Wärmetechnik die ihnen zugewiesenen Kontingente nicht voll benötigen und die Restquote zu Schwarzhandelspreisen verkaufen.
Es gibt ganze Industriezweige, die privilegiert, und andere, die systematisch benachteiligt werden. Die eisenschaffende Industrie genießt bei Verbund zwischen Zeche und Hütte das Privileg des Werkselbstverbrauchs, obwohl gerade in diesem Industriezweig in Ausnutzung der Konjunktur teilweise mehr als gut verdient wird und der Betriebsegoismus oftmals den Vorrang vor gesamtwirtschaftlichen Überlegungen erhält. Auf der anderen Seite wird die öffentliche Energiewirtschaft drastisch benachteiligt, nur weil sie sich in der Referenzperiode aus Frachtersparnisgründen mit Auslandskohle versorgt hat. Das scheint mir die Methode der Rache des kleinen Mannes zu sein. Sie sollte im Interesse der Preisstabilität in der Kontingentfestsetzung verschwinden.
Meine Damen und Herren, noch eine andere Polarität: die Gas- und Wasserwerke beispielsweise müssen 30 % ihrer Brennstoffe im Ausland decken; die militärischen Dienststellen dagegen werden zu 98 % aus der deutschen Förderung versorgt. Auch hier scheint mir ein vernünftiger Ausgleich dringend erforderlich zu sein.
Durch die starre Bindung an eine frühere Referenzperiode sind die öffentlichen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, die sich — das sollten wir besonders festhalten, meine Damen und Herren — auch heute noch bemühen, ihre gebundenen Preise aufrechtzuerhalten, in eine schwere wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Die Bundesregierung sollte hier Abhilfe schaffen und die Kontingente den wirtschaftlichen Erfordernissen anpassen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, daß das gesamte heute noch stehende System der Verkehrs- und Versorgungstarife in Bewegung gerät.
Etwas eigenartige Vorgänge scheinen sich beim Landabsatz der Ruhrzechen abzuspielen. Die Zechenhandelsgesellschaften gehen in letzter Zeit dazu über, die mittleren Handelsstufen, die sogenannte zweite Hand, mehr und mehr auszuschalten und die Belieferung des Platzhandels und der Kleinverbraucher für sich selbst zu beanspruchen. Die Kürzung der Kohleneinzelhandelskontingente macht beispielsweise für den Kohlenhandel in Ostwestfalen-Lippe etwa 35 % aus.
Man könnte nun meinen, daß, falls das Sortenproblem vernünftig gelöst werden kann, die Verringerung der Handelsstufen begrüßenswert sei. Das Erstaunliche ist aber, daß die bei der zweiten Hand eingesparten Kontingente entweder überhaupt nicht oder nur teilweise zu den Platzhändlern gelangen und im übrigen in unkontrollierte Kanäle fließen. Wenn die mir vorliegenden Zahlen richtig sind, dann handelt es sich hierbei um die beachtliche Menge von jährlich 4 Millionen t, die auf diese oder ähnliche Weise der Kontingentierung entzogen werden, um eines Tages vielleicht als Heimkehrer- oder Auslandskohle auf dem Markt wiederzuerscheinen. Leidtragende dieser Manipulationen sind Hausbrand und Kleinverbrauch, die auf dem Papier zwar einigermaßen versorgt erscheinen, in Wirklichkeit aber die zugeteilten Mengen nicht erhalten und auf teure US-Kahle verwiesen werden.
Wir haben im Februar dieses Jahres einige Vorschläge gemacht, um die Verhältnisse in der Verteilung zu ordnen. Wir haben damals vorgeschlagen zu prüfen, ob es nicht möglich wäre, für längere Zeit einen Kohlenmischpreis zu bestimmen.
Wir haben die Errichtung einer zentralen Importstelle bzw. die Festsetzung von Importquoten für wirtschaftliche Verbrauchergruppen vorgeschlagen. Wir nehmen diese Vorschläge heute wieder auf. Vielleicht bieten sich noch andere Alternativen an. Entscheidend aber ist, daß etwas getan wird und daß die Entwicklung nicht sich selbst überlassen bleibt. Denn mit dem wachsenden Anteil der Importkohle, mit den rapid ansteigenden Frachtraten werden die Verhältnisse nicht einfacher, sondern immer komplizierter.
Herr Staatssekretär Dr. Westrick hat uns im Februar versichert, daß die großen und ständigen Sorgen, die mit dem wirtschaftlichen Alltagsgeschehen verbunden sind, das Wirtschaftsministerium daran hindern, in Lethargie zu versinken. Nun, meine Damen und Herren, in der Zwischenzeit sind neun Monate vergangen. Wir haben leider bisher nichts gehört, was uns ermutigen könnte, unsere Skepsis zu revidieren.
Wir erheben gegen das Bundeswirtschaftsministerium den Vorwurf, ,daß die Kontingentierung der Inlandskohle nach zu starren Gesichtspunkten gehandhabt und die Weiterentwicklung der Wirtschaft nicht genügend berücksichtigt wird. Wir erheben den Vorwurf, durch Idle Anerkennung des Werkselbstverbrauches die Stahlindustrie eindeutig bevorzugt und die öffentliche Wirtschaft eindeutig benachteiligt zu haben. Wir machen dem Bundeswirtschaftsministerium den Vorwurf, daß es bisher keine konstruktiven Vorschläge vorgelegt hat, um für alle Zweige der Wirtschaft zu einem angemessenen Verhältnis von in- und ausländischen Kohlenquoten zu kommen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einige Sätze zur Begründung unseres Antrags auf Drucksache 2246! Er geht von den Überlegungen aus, daß mit der fortschreitenden Technisierung unserer Wirtschaft der Energiebedarf stark steigen wird und wir uns eine Übersicht über das Investitionserfordernis verschaffen müssen. Wenn die vorliegenden Berechnungen über den wachsenden Energiebedarf in den nächsten 10 oder 20 Jahren richtig sind, dann wird der Engpaß in der deutschen Kohle nicht aufhören, sondern immer größer werden. Die sich hieraus für uns ergebende Konsequenz zwingt uns, zu einer großzügigen Ausweitung der Produktionsgrundlagen durch das Abteufen neuer Schächte und zu einer Steigerung der Produktivität der Zechen durch Modernisierung unter und über Tage zu kommen. Das bedeutet, daß künftig neben den Investitionsplänen für den Straßenbau und der Sanierung der Bundesbahn ein neues Milliardenprojekt, das Projekt zum Ausbau der Energiewirtschaft, stehen wird. Der auf uns zukommende Investitionsbedarf ist von so erheblichen Ausmaßen, daß nicht nur die interessierte Wirtschaft, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit ein großes Interesse daran hat, daß eine generelle Untersuchung der Erzengungs- und Absatzbedingungen durchgeführt wird. Die Öffentlichkeit hat großes Interesse daran, über die vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten in der deutschen Kohlenwirtschaft orientiert zu werden. Diesem Zweck soll der von uns vorgelegte Entwurf eines Enquetegesetzes dienen. Wir haben die Interessenbereiche in der Weise abgegrenzt, daß zunächst die Entwicklungstendenzen der Kohlenwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Veredelungswirtschaft und ,der Verbundwirtschaft sowie der Entwicklung anderer Energieträger untersucht werden sollen.
Wir wünschen weiterhin eine Untersuchung der Investitions- und Finanzierungsprobleme, insbesondere zur Erhaltung einer ausreichenden Förderkapazitt. Wir wünschen eine Untersuchung der Produktivitätssteigerung und schließlich — das scheint uns besonders wichtig zu sein — eine Untersuchung der Lohn-, der sozialen und auch der Arbeitsmarktverhältnisse. Es kommt uns besonders bei dem letzten Punkt darauf an, zu untersuchen, welche Möglichkeiten sich für die soziale Besserstellung des Bergmanns, für die Verbesserung des
Gesundheitsdienstes, für eine verbesserte Silikosebekämpfung und damit für die Erhaltung der Arbeitskraft des Kumpels ergeben, denn Kapitalinvestitionen haben im Bergbau mehr als in allen anderen Industriezweigen nur dann einen Sinn, wenn sich genügend Menschen finden, die bereit sind, den schweren und gefährlichen Beruf des Bergmanns zu ergreifen. Daß zu einer solchen allgemeinen Enquete die Prüfung der Kosten- und Ertragslage gehört, liegt in der Natur der Sache und scheint mir in diesem Zusammenhang auch wichtig für die Investitionsfinanzierung zu sein.
Ich kann es mir ersparen, die Einzelheiten 'des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs zu erläutern. Das würde hier zu weit führen und ist Sache des Fachausschusses.
Eines aber scheint mir wichtig zu sein: der Hinweis darauf, daß die Untersuchungen nicht von einem Ausschuß des Bundestages, sondern von einem unabhängigen Gremium durchgeführt werden und daß diesem Gremium unabhängige Persönlichkeiten der Wissenschaft und der Praxis mit besonderen Fachkenntnissen angehören sollen.
Meine Damen und Herren, gegen unseren Gesetzentwurf ist eingewandt worden, daß er eigentlich überflüssig sei, da der Bergbau laufenden Untersuchungen durch übergeordnete Behörden unterliege, daß die Enquete praktisch keine neuen Ergebnisse zeitigen werde und daß es darüber 'hinaus sehr lange dauern werde, bis sie Untersuchungsergebnisse vorlegen könne. Ich bin der Meinung, daß man mit solchen Argumenten nicht operieren sollte. Wenn es richtig ist, daß das Durchschnittsalter der Zechen bei 77 Jahren liegt, daß die Mehrzahl der Schächte vor dem ersten Weltkrieg abgeteuft worden ist, daß die Untertageanlagen teilweise veraltet sind, daß der heutige Zustand der Schächte die Kohlenversorgung gefährdet, dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, gründlich über die Zusammenhänge informiert zu werden, zumal da das Abteufen eines neuen Schachtes mit einem Kostenaufwand von 400 bis 450 Millionen verbunden ist, der über die finanzielle Leistungsfähigkeit der einzelnen Bergbaugesellschaften weit hinausgeht.
Auch der Einwand, daß die Untersuchungen zu lange dauern könnten, ist meines Erachtens nicht stichhaltig. Unser Antrag datiert vom 22. März. Wenn man ihn rechtzeitig verabschiedet hätte, dann hätte in der Zwischenzeit schon eine wertvolle Arbeit geleistet werden können. Ich glaube, daß der deutschen Kohlenwirtschaft ein guter Dienst erwiesen würde, wenn sich alle einschlägigen Organisationen zu einer positiven Mitarbeit an der Enquete bereit finden würden.
Lassen Sie mich zum Schluß kurz zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten wünschen einen leistungsfähigen Bergbau. Wir halten die Erweiterung der Produktionsbasis und die Steigerung der Produktivität für notwendig und vordringlich. Nur sind wir der Meinung, daß die Finanzierung des Investitionsprogramms wegen der gefährlichen Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge nicht über den Kohlepreis erfolgen darf, sondern daß sie durch eine weitestgehende Bereitstellung öffentlicher Mittel erfolgen muß. Wir halten die soziale Besserstellung des Bergmanns für erforderlich, um den schweren Beruf der Kohlegewinnung attraktiver zu gestalten. Die deutsche Kohleversorgung ist durch den wachsenden Energiebedarf, besonders aber durch die schwer auf uns lastenden Verpflich-
tungen aus dem Montanunionsvertrag unzureichend geworden.
Die divergierenden Preise von deutscher und ausländischer Kohle haben zu argen Mißständen in der Kohlenversorgung geführt, die von der Bundesregierung nicht mit der erforderlichen Energie bekämpft und beseitigt worden sind. Das Verteilungschema muß den Entwicklungstendenzen der Wirtschaft angepaßt werden. Die bevorzugte Bedienung im Wege des Werkselbstverbrauchs und die Benachteiligung der öffentlichen Wirtschaft bedürfen dringend einer Korrektur. Durch die Errichtung einer zentralen Kohlenimportstelle unter frachtgünstiger Verwendung der importierten Menge muß versucht werden, den Wirrwarr des 5-oder 6fach gespaltenen Kohlenpreises zu beseitigen.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat zur Ordnung der Kohlenwirtschaft, zum Bau von Bergarbeiterwohnungen und zur Gewinnung von Unterlagen für die notwendige Steigerung der Kohlenförderung Ihnen eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet. Ich bitte Sie darum, diese Vorschläge einer ernsten Prüfung zu unterziehen.