Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kohlendebatte am 10. Februar 1956 hat Herr Staatssekretär Dr. Westrick in Beantwortung der Großen Anfrage der SPD bereits ausgeführt, wie die Bundesregierung die Entwicklung auf dem Kohlegebiet ansieht, und hat in diesem Zusammenhang eine Reihe von Maßnahmen dargelegt, die damals bereits eingeleitet oder aber beabsichtigt waren. Inzwischen haben die Dinge eine weitere Entwicklung erfahren, und ich möchte
Ihnen dazu einen möglichst geschlossenen Überblick geben.
Ich darf hinzufügen, daß die Bundesregierung die Fortführung der im Februar unterbrochenen Debatte nicht zu scheuen gehabt hätte; aber ich kann auch, Herr Kollege Bleiß, Ihr Gewissen beruhigen: es ist durch diese Unterbrechung keine schädliche Wirkung für den Verbraucher eingetreten.
Die Gestaltung der Kohleversorgung zeigt etwa seit dem Jahre 1954 — nicht nur bei uns, sondern auch in anderen westeuropäischen Ländern — immer deutlicher, daß die Aufgaben auf dem Kohlesektor in enger Verbindung mit der Energieentwicklung insgesamt gesehen werden müssen. Eine Reihe von Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Energiegebiet, die im Verlaufe des Jahres 1956 getroffen worden sind, haben daher auch keineswegs einen punktuellen Charakter, sind vielmehr zusammenhängend auf das Ziel gerichtet, eine grundsätzliche Lösung des Problems der künftigen Energiebedarfsdeckung durch eine Förderung wettbewerblicher Kräfte auf dem Energiesektor vorzubereiten.
Ich darf zunächst diese Maßnahmen aufzählen und dann im einzelnen auf sie eingehen. Mitte Februar dieses Jahres wurde für Untertagebergleute die Bergmannsprämie eingeführt. Zum 1. April dieses Jahres erfolgte die Freigabe der Steinkohlenpreise durch die Hohe Behörde, nachdem ihr die Bundesregierung zugestimmt hatte. Zum 1. Juli dieses Jahres wurde der Heizölzoll von bisher 15 DM/t abgeschafft. Die zulässige Kontraktfrist für die Einfuhr von US-Kohle wurde von 18 Monaten auf drei Jahre ausgedehnt. Die gleiche Maßnahme wurde für die Einfuhr von Heizöl durchgeführt.
Wir waren und sind der Auffassung, daß wir mit der Freigabe der Kohlenpreise, die seit Jahrzehnten mehr oder weniger starken Bindungen unterlagen, einen entscheidenden und notwendigen Schritt zur Einordnung des Steinkohlenbergbaus in das marktwirtschaftliche Geschehen getan haben. Es ging uns vor allem auch darum, dem Steinkohlenbergbau die Verantwortung für die Gestaltung der Kohlenpreise ebenso wie die der Investitionen in öffentlicher Sicht zu übertragen.
Wir sind im übrigen selbstverständlich davon ausgegangen, daß der Steinkohlenbergbau in seinem eigenen Interesse in der Gestaltung seiner Kohlenpreise maßhält, indem er eine Linie der Stabilität verfolgt und vor allem auch die Tatsache berücksichtigt, daß die Kohle — zwar nicht gerade unter den gegenwärtigen Umständen, aber doch wohl im Zuge der künftigen Entwicklung — stärker als in der Vergangenheit mit dem Vorhandensein und dem Aufkommen anderer Energiearten und der US-Kohle zu rechnen haben wird. Gerade auch aus dieser Sicht ergibt sich für den Bergbau die Notwendigkeit, alles zu tun, um Kostensenkungen zu ermöglichen oder wenigstens Kostensteigerungen zu verhindern.
Wir waren uns im Zeitpunkt der Freigabe der Kohlenpreise klar darüber, daß nur im Falle wesentlicher Kostensteigerungen im Bergbau eine entsprechende Preiserhöhung hinzunehmen sei. Mit der im Oktober dieses Jahres zwischen den Tarifpartnern im Steinkohlebergbau vereinbarten Arbeitszeitverkürzung war unvermeidlich eine wesentliche Kostenerhöhung und damit eine begründete Preiserhöhung verbunden.
Die Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau muß aber wiederum als eine zwangsläufige Folge des im August dieses Jahres geschlossenen sogenannten Bremer Abkommens über die Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie hingenommen werden, da die Spitzenstellung des Bergarbeiters unter Tage nach allgemeiner Überzeugung nicht angetastet werden soll.
Das im Oktober zwischen den Tarifpartnern geschlossene Abkommen über die Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau sieht vor, daß im vierten Quartal 1956 zwei bezahlte Ruhetage, für die Jahre 1957 und 1958 je zwölf bezahlte Ruhetage gewährt werden. Diese Regelung bedeutet — wenn man von den tatsächlich verfahrenen Schichten, etwa 260 pro Jahr, ausgeht — eine durchschnittliche Verringerung der Wochenarbeitszeit um rund zwei Stunden, d. h. von bisher 45 auf 43 Stunden. Das wird auf jeden Fall zu einer fühlbaren Minderung des Förderungsergebnisses führen. Rechnerisch läßt sich der Förderausfall für 1957 auf etwa 5 Millionen t Steinkohle beziffern.
Auch bei einer weiteren günstigen Entwicklung der Schichtleistungen und einer zunehmenden Zahl von Bergleuten unter Tage wird im Jahre 1957 die Aufwärtsentwicklung unserer Steinkohlenförderung zunächst eine deutliche Unterbrechung erfahren müssen.
Immerhin möchte ich sagen, daß diese jetzige Regelung der Arbeitszeitverkürzung im Steinkohlenbergbau vergleichsweise noch maßvoll erscheint, zumal die Tarifpartner übereingekommen sind, den Ausfall der Förderung durch Ruhetage im vierten Quartal dieses Jahres und im ersten Quartal des nächsten Jahres durch Überschichten teilweise zu vermindern.
Der Bergbau hat als Folge der Arbeitszeitverkürzung eine Kostensteigerung von 2,50 DM pro Tonne Absatz im Durchschnitt für Steinkohle und Koks errechnet. Daß aber der Bergbau über die durch die Arbeitszeitverkürzung bedingte Kostenerhöhung hinaus seine Preise noch um weitere 2 Mark pro Tonne Steinkohle und um 2,60 Mark pro Tonne Koks zur Finanzierung des Bergarbeiterwohnungsbaus erhöhte, habe ich mißbilligt.
Ich teile die Auffassung des Herrn Bundesministers für Wohnungsbau, daß eine zufriedenstellende Lösung der Frage des Bergarbeiterwohnungsbaus durchgreifender und nachhaltiger durch Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung einer Wohnungsbauabgabe außerhalb des Kohlenpreises erreicht werden soll.
Die Auffassung der Bundesregierung hierzu haben Sie im übrigen den Ausführungen des Herrn Ministers Dr. Preuskers entnehmen können.
Ich komme nun zur Bergmannsprämie. Sie wird seit Februar in Höhe von durchschnittlich 2 Mark je verfahrener Schicht für die Unter-Tage-Bergleute im Steinkohlenbergbau gezahlt. Nach dem Gesetzentwurf über die Bergmannsprämie sollen auch die unter Tage beschäftigten Bergleute des Nichtsteinkohlenbergbaus die Bergmannsprämie erhalten. Ich darf hier dem Bundestag meinen besonderen Dank für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf aussprechen. Der Entwurf wurde gestern im Vermittlungsausschuß bestätigt.
Zu der Einführung der Bergmannsprämie sind zunächst manche zweifelnden und ablehnenden Auffassungen laut geworden. Wir können aber heute wohl feststellen, daß die Bergmannsprämie sich inzwischen als ein beachtlicher Erfolg herausgestellt hat. Wenn sich die Steinkohlenförderung des Bundesgebietes in diesem Jahre günstig entwickelt hat, so danken wir das selbstverständlich in erster Linie unseren Bergleuten. Aber die Bergmannsprämie hat dazu geführt, daß wir von Monat zu Monat einen neuen Zuwachs von Arbeitskräften zum Bergbau sahen. Gegenwärtig sind fast 10 000 Bergleute mehr unter Tage im Steinkohlenbergbau beschäftigt als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Unsere Steinkohlenförderung ist in diesem Jahre bis Oktober um 3,7 Millionen t höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Das scheinen mir klare und nicht wegzuleugnende Tatsachen zu sein, mit denen der Erfolg der Bergmannsprämie allein gemessen werden kann.
Wir können uns überall in Europa umsehen und werden nirgends eine auch nur annähernd so günstige Entwicklung feststellen können. Im Gegenteil, in den übrigen kohlefördernden Ländern der Montanunion fehlten Anfang Oktober dieses Jahres insgesamt 11 400 Bergleute unter Tage gegenüber Oktober des vergangenen Jahres. Die Steinkohlenförderung dieser Länder weist bisher auch keine Steigerung gegenüber dem Vorjahre auf.
Die Hohe Behörde hat in einem Schreiben .vom 2. Mai dieses Jahres der Bundesregierung mitgeteilt, daß nach ihrer Ansicht die Bergmannsprämie mit dem Montanvertrag nicht vereinbar sei, weil die Prämie mit öffentlichen Mitteln finanziert werde. Innerhalb der am 24. Oktober abgelaufenen Frist hat sich die Bundesregierung zu der Stellungnahme der Hohen Behörde geäußert. Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß die Bergmannsprämie nicht gegen den Montanvertrag verstößt. Angesichts des Erfolges der Bergmannsprämie, der gestern auch von der Gemeinsamen Versammlung in Straßburg anerkannt worden ist, würden wir es sehr begrüßen, wenn sich die Hohe Behörde unseren Argumenten nicht verschlösse.
Die Abschaffung des Heizölzolls — wenn ich davon jetzt sprechen darf — befreite das Heizöl von einer besonderen Belastung und ebnete damit den Weg für seine Entwicklung als ein beachtlicher Ergänzungsfaktor für die künftige Deckung unseres Energiebedarfs. Daran wird sich langfristig nichts ändern, auch wenn wir uns gegenwärtig den bekannten Schwierigkeiten durch die Blockierung des Suezkanals und die Zerstörung von Rohrleitungen ausgesetzt sehen.
Die Ausdehnung der Kontraktfrist für die Einfuhr von US-Kohle und von Heizöl auf drei Jahre hat nach unseren Feststellungen bereits wesentlich günstigere Einkaufsdispositionen für Importeure und Verbraucher zu niedrigeren Frachtsätzen mit sich gebracht. Insbesondere dürfte die US-Kohleneinfuhr des Bundesgebiets infolge rechtzeitig vorgenommener langfristiger Eindeckungen auch mit Schiffsraum von dem heutigen scharfen Frachtenanstieg infolge der Ereignisse im Nahen Osten zum weitaus größten Teil nicht betroffen werden.
Alle unsere Maßnahmen dienen letztlich dem Zweck, die bestmögliche Versorgung aller Verbraucher mit Kohle sicherzustellen. Wie ich bereits in meiner Antwort zur Kleinen Anfrage 276 im einzelnen dargelegt habe, hat sich die Kohienver-
sorgungslage seit dem letzten Jahre im allgemeinen ganz erheblich verbessert. In den vergangenen Jahren hat der Kohlebedarf der Wirtschaft laufend und erheblich zugenommen. Dabei fällt die Entwicklung bei der Stahlindustrie besonders ins Gewicht, die ihren Koksverbrauch von etwa 10 Millionen t im Jahre 1950 auf 18 Millionen t im Jahre 1956 steigerte. Trotz des weiterhin allgemein ansteigenden Kohlebedarfs haben sich heute in der Wirtschaft ganz erhebliche Kohlenvorräte gebildet. So betrugen die Bestände der Hauptverbrauchergruppen der Industrie, der Versorgungsbetriebe und des Verkehrs zu Beginn dieses Winterhalbjahres 9,4 Millionen t. Sie liegen damit um 2,4 Millionen t oder rund ein Drittel höher als die an sich schon günstigen Bestände zur gleichen Zeit des Vorjahres. Diese Kohlenvorräte reichen — bezogen auf den Winterspitzenverbrauch — bei der Elektrizitätswirtschaft für 63, bei den Gaswerken für 33 und bei der Industrie für 34 Tage, während zu Beginn des vorigen Winterhalbjahres nur Bestände für 40, 21 und 28 Tage vorhanden waren.
Von Kohlenversorgungsschwierigkeiten kann also bei den Industrie- und Versorgungsbetrieben keine Rede sein. Allerdings konnte dieses Ergebnis nur durch eine Erhöhung der Einfuhren erzielt werden, da die Förderung trotz günstiger Entwicklung mit dem schnellen Anstieg des Kohlenbedarfs nicht Schritt halten konnte.
In der Öffentlichkeit wird nun vielfach nichtverstanden, daß wir teure Kohle in großen Mengen einführen und billige eigene Kohle exportieren. Tatsächlich ist die Kohlenausfuhr im vorigen Jahr um 2,4 Millionen t oder 8,5 % vermindert worden. Mit einem gleichen Rückgang dürfte auch im Jahre 1956 zu rechnen sein. Eine noch stärkere Einschränkung ist aber nicht möglich, da angesichts der im Montanvertrag vereinbarten Freizügigkeit im gemeinsamen Markt für rund 75 % der Ausfuhren keine Steuerungsmöglichkeiten mehr bestehen. Auf Lieferungen in die sogenannten dritten Länder wie Schweden, Dänemark, die Schweiz, Österreich usw. kann aus handelspolitischen Gründen — beispielsweise wegen der Einfuhr von Erz aus Schweden oder von Holz aus Österreich — nicht verzichtet werden. Auch kohlenwirtschaftlich wäre eine stärkere Kürzung der Ausfuhr im Interesse der Sicherung der Märkte und der Arbeitsplätze von mehr als 500 000 Bergleuten kaum vertretbar.
Bevor ich nun auf die Kohlenversorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch zu sprechen komme, möchte ich eine Bemerkung vorausschikken. Beinahe in jedem Herbst erleben wir das gleiche Spiel: Immer wieder wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, daß die Hausbrandversorgungslage des jeweils bevorstehenden Winters besonders besorgniserregend, wenn nicht gar katastrophal sei. Solche Prophezeiungen sind es aber, die zu einer unnötigen und teilweise übersteigerten Nachfrage in dieser Haupteinkaufszeit für den Hausbrand führen und dadurch Spannungen schaffen. Trotzdem haben diese Propheten in den letzten Jahren nie recht behalten. Am Schluß des Kohlenwirtschaftsjahres stellt sich regelmäßig heraus, daß — wenn ich von örtlich bedingten vorübergehenden Schwierigkeiten absehe — im ganzen wirkliche Notstände nirgends eingetreten sind.
Die Kohlenversorgung von Hausbrand und Kleinverbrauch ist in jedem Jahr erheblich verbessert worden. Während im Kohlenwirtschaftsjahr 1953/54, dem letzten Jahr der Kohlenlenkung, 24,3 Millionen t geliefert wurden, waren es im folgenden Jahre 27,4 Millionen t und im vorigen Kohlenwirtschaftsjahr 30,4 Millionen t. Die Steigerung von 1953/54 bis 1955/56 betrug also 25 %. Dagegen nahm die Bevölkerung in der gleichen Zeit nur um 2 % und die Zahl der Wohnungen um knapp 10 % zu.
Auch im Kohlenwirtschaftsjahr 1956/57 hat die Bundesregierung ihre ganz besondere Sorge darauf gerichtet, daß dem Hausbrand erhöhte Mengen zur Verfügung gestellt werden. Gegenüber den Vorjahresmengen konnten folgende Verbesserungen erreicht werden:
1. Durch Zurückführung der Absatzmengen des Zechenhandels und Beschränkung des Werkselbstverbrauchs der eisenschaffenden Industrie können rund 1 Million t Kohle und Koks mehr zur Verfügung gestellt werden.
2. Durch zusätzliche Belieferung der Gaswerke mit 900 000 t inländischer Kohle können die Hausbrand- und Kleinverbraucher mindestens im gleichen Umfang wie im Vorjahre mit preisgünstigem Gaskoks versorgt werden.
3. Durch Steigerung unserer Braunkohlenbriketterzeugung werden voraussichtlich 500 000 t Braunkohlenbriketts mehr geliefert.
In ,diesem Zusammenhang möchte ich folgendes erwähnen. Wir konnten bisher davon ausgehen, daß die diesjährigen Braunkohlenbrikettlieferungen aus der sowjetisch besetzten Zone trotz vorauszusehender erheblicher Ausfälle gegenüber den vertraglichen Abschlüssen nicht wesentlich unter denjenigen des Vorjahrs liegen würden. In den letzten Tagen allerdings ist leider in diesen Lieferungen eine fühlbare Stockung aufgetreten, von der wir hoffen, daß sie nur vorübergehend sein wird.
Obwohl die von uns durchgesetzten Maßnahmen erst im Oktober voll anlaufen konnten, wurden in der ersten Hälfte des Kohlenwirtschaftsjahrs von April bis September an den Hausbrand bereits 1,1 Millionen t oder 8,1 % mehr Kohlen aus inländischem Aufkommen geliefert als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Für Oktober liegen erst Zahlen der Ruhr und der Braunkohlenreviere vor. Danach ist die Lieferung von Ruhrerzeugnissen und Braunkohlenbriketts in der Zeit von April bis Oktober sogar um 1,9 Millionen t oder 13,5 % höher als in der entsprechenden Zeit des Vorjahrs. Für November haben die Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften noch größere Lieferungen als im Oktober durchgeführt. Wir haben die Zechen außerdem gebeten, die vorliegenden Hausbrandaufträge mit absolutem Vorrang zu erledigen, damit zu Beginn der kälteren Jahreszeit größere Vorräte beim Kohlenhandel vorhanden sind.
Bei dieser von Jahr zu Jahr gesteigerten Menge für den Hausbrand und den Kleinverbrauch halte ich es für meine Pflicht, diejenigen, die fast jedes Jahr den „völligen Zusammenbruch der Hausbrandversorgung" voraussagen, auf ihre Verantwortung vor der Öffentlichkeit hinzuweisen, weil sie es letzten Endes selbst sind, die unnötige Spannungen in der Kohlenversorgung heraufbeschwören.
Ich darf im übrigen weiter betonen, daß die militärischen Dienststellen nicht mit 98 %, sondern nur mit 80 °/o ihres Bedarfs versorgt wurden.
Meine Damen und Herren, zu dieser ruhigen Beurteilung unserer Hausbrandversorgungslage muß ich kommen, wenn ich von den für den Hausbrand in diesem Jahr bereits gelieferten und weiterhin zur Lieferung vorgesehenen Mengen insgesamt ausgehe. Dies ist für mich eine sichere Grundlage. Trotzdem muß ich aus mancherlei Einzelklagen, die auf meinen Tisch kommen, den Schluß ziehen, daß die Verteilung ides Hausbrands bis zum Einzelhändler und weiter bis zum letzten Verbraucher offenbar nicht immer in befriedigender Weise gelingt.
Es ist mir klar, daß der Kohleneinzelhandel bei seiner Verteilungsaufgabe nicht immer einen leichten Stand hat. Da sind alte und neue Kunden, die berücksichtigt werden müssen, solche, die sich gleich den ganzen Wintervorrat hinlegen, und andere, die das nicht können. Dadurch entstehen zwangsläufig immer wieder Ungleichheiten in der Versorgung, und der davon betroffene einzelne meint dann, es stimme nicht, was die Regierung über die ausreichende Hausbrandversorgung sage. Aber man kann sicher nicht einzelne Fälle einer unzureichenden Versorgung verallgemeinern. Ich möchte hier auch feststellen, daß der Kohleneinzelhandel seine schwierige Aufgabe mit einem hohen Maß von Verantwortung erfüllt. Ich möchte aber hier auch einen eindringlichen Appell an alle Stellen richten, die mit der Verteilung von Hausbrandkohle zu tun haben, an die Absatzorganisationen, an den Großhandel und an den Einzelhandel, um eine gute und gerechte Verteilung besorgt zu sein, die den Schwächeren nicht übersieht, sondern ihn eher besonders beachtet.
Gewisse Sorge bereitet mir jedoch der Umstand, daß die Reviere Saar und Lothringen mit ihren Auslieferungen um rund 20 % im Rückstand sind. Die Bundesregierung hat die Hohe Behörde in Luxemburg wiederholt und nachdrücklich ersucht, unverzüglich auf eine Verstärkung der Lieferungen hinzuwirken. Die Hohe Behörde hat daraufhin Vorstellungen zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten erhoben.
Schließlich darf ich noch auf folgendes verweisen. Es ist vorgesehen, daß zur Entlastung der sozial schwachen Bevölkerungskreise in diesem Winter Mittel zur Verbilligung von Hausbrandkohle bereitgestellt werden. Diese Hilfe soll neben der durch die Sozialministerien der Länder laufend gezahlten Weihnachtsbeihilfen sowie den Feuerungszuschüssen gewährt werden. Der Steinkohlenbergbau und der Braunkohlenbergbau haben sich auf meinen Wunsch bereit erklärt, für die Verbilligungsaktion einen Betrag von etwa 8 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Dies dürfte ausreichen, um die durch die letzte Kohlenpreiserhöhung eingetretene zusätzliche Belastung dieser Bevölkerungskreise auszugleichen.
Bei völlig objektiver Würdigung all dieser Tatbestände sehe ich in diesem Jahr weniger denn je Anlaß, die Bevölkerung durch Schwarzmalerei in Unruhe zu versetzen. Es stehen für die Gesamtversorgung der Hausbrand- und Kleinverbraucher ausreichende Mengen zur Verfügung, mit denen auch der durch Bevölkerungszunahme und Neubautätigkeit entstandene Zusatzbedarf gedeckt werden kann.
Nachdem ich Ihnen einen eingehenden Überblick über die Kohlenversorgung gegeben habe, möchte ich mich jetzt einigen grundsätzlichen Überlegungen und Maßnahmen der Bundesregierung zur Energie- und Kohlenwirtschaftspolitik zuwenden. Auf Grund der Beobachtungen, die wir in den letzten Jahren über den Ablauf der Energieversorgung insgesamt machen konnten, erschien es uns besonders notwendig, die längerfristigen quantitativen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen heimischen Energiequellen und auch der Energieeinfuhren im Verhältnis zum Energiebedarf der Zukunft zu überblicken.
Zur Beratung der damit zusammenhängenden Grundfragen hatte das Bundesministerium für Wirtschaft einen kleinen Kreis von maßgebenden Persönlichkeiten aus den einzelnen Zweigen der Energiewirtschaft und der IG Bergbau zusammengerufen.
Wenn in diesem Kreis zunächst nicht alle wesentlichen Fragen des Energieproblems behandelt oder zu Ende geführt werden konnten, so gelang es doch vor allem, eine gemeinschaftliche Vorstellung über die Größenordnung des Bedarfs an Primärenergie — also Steinkohle, Braunkohle, Wasserkraft, Erdöl, Erdgas — bis 1965 zu erreichen und in diesem Rahmen dann die quantitativen Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen heimischen Energiequellen, vor allem natürlich der Steinkohle und der Braunkohle, zu würdigen. Diese vielschichtigen Untersuchungen werden weitergeführt. Wir sind aber zu einem gewissen Zwischenabschluß gelangt, und ich möchte Ihnen hier das bisherige Ergebnis in seinen Grundzügen kurz darstellen.
Wir glauben annehmen zu können, daß der Bedarf an Primärenergie von 188 Millionen t Steinkohleneinheiten im Jahre 1954/55 auf 245 Millionen t Steinkohleneinheiten im Jahre 1965/66 steigen wird. Das ist eine Zunahme von 30 % oder von etwa 2,5 % im Jahresdurchschnitt. — Diese Steigerung ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Anstieg des Bedarfs an Sekundärenergie, etwa Elektrizität oder Gas, bei denen für Elektrizität mit einem jährlichen Anstieg von etwa 7 % gerechnet wird. — Der Bedarf an Primärenergie des Jahres 1965 wird bei weitem nicht aus heimischen Energiequellen gedeckt werden können. Voraussichtlich sind 1965 aus diesen heimischen Quellen, nämlich Steinkohle, Braunkohle, Wasserkraft, Erdöl und Erdgas, etwa 200 Millionen t Steinkohleneinheiten zu erwarten, während der Rest von 45 Millionen t vor allem durch Einfuhren von Öl und US-Kohle zu decken wäre. Das bedeutet mehr als eine Verdoppelung der Energieeinfuhren des Jahres 1954 und etwa das Eineinhalbfache unserer heutigen schon sehr hohen Energieeinfuhren. Ich sagte, daß wir 1965 aus heimischen Quellen etwa 200 Millionen t Steinkohleneinheiten erwarten; wir hoffen, daß davon mindestens Dreiviertel, d. h. 150 Millionen t, im deutschen Steinkohlenbergbau ,gefördert werden können, während im Kalenderjahr 1955 130,7 Millionen t gefördert sind. Wir setzen im übrigen auch große Hoffnungen auf ,die Fördersteigerung der deutschen Braunkohle.
Die Atomenergie wurde in die Untersuchungen noch nicht einbezogen, weil keinerlei Zuverlässigkeit gegeben war, daß aus dieser Quelle ein nennenswerter Beitrag zur Energiebedarfsdeckung schon innerhalb der nächsten Jahre erwartet werden könnte.
Aus unseren Untersuchungen wurde in jedem Falle ersichtlich, wie sehr es darauf ankommen wird, unsere heimischen Energiequellen unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit so zu fördern, daß der Einfuhrbedarf möglichst in Schranken gehalten wird, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit unserer Energieversorgung.
Ich darf zusammenfassen, welches Ziel wir mit diesen Untersuchungen verfolgen. Wir wollen damit weder eine staatliche Energieplanung oder eine Energielenkung noch wollen wir ein Begehren nach staatlicher Investitionshilfe wecken. Unsere Absicht ist vielmehr, der Energiewirtschaft mit ihren einzelnen Zweigen einen festen Punkt zur Ausrichtung der Vorstellungen über die künftige Entwicklung zu geben.
Ich komme damit zu der wichtigen Frage der Investitionen. Hier möchte ich zunächst hervorheben, daß für die steuerliche Behandlung der Abschreibungen bei neuen Schachtanlagen in den bisher vorliegenden vier konkreten Fällen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen und dem Herrn Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen eine auch den Bergbau zufriedenstellende Lösung gefunden werden konnte. Durch die im Billigkeitswege zugelassenen Abschreibungen in Höhe von 75 % der Investitionen für neue Schachtanlagen für einen Zeitraum von 10 Jahren wird die Finanzierung dieser großen Objekte erheblich erleichtert. Auch in anderen Fällen dieser Art dürften künftig befriedigende Lösungen gefunden werden können.
Ich möchte auch noch einmal an die Maßnahmen erinnern, die auf Grund eines Vorschlages des Herrn Finanzministers von Nordrhein-Westfalen für eine günstigere Bewertung des Bergbauvermögens untertage inzwischen praktisch geworden sind. Sie werden für die nächsten Jahre eine zusätzliche Abschreibungsmöglichkeit im Umfange von mehr als 300 Millionen DM gestatten. Darüber hinaus aber bedarf der gesamte Komplex der steuerlichen Behandlung von Investitionen des Steinkohlenbergbaus untertage noch einer eingehenden Prüfung. Es scheint mir ganz allgemein darauf anzukommen, Wege zu finden, um eine stärkere Hinlenkung der Investitionen zu den Schwerpunkten der Untertageanlagen zu erreichen.
Neben den steuerlichen Maßnahmen wird die Ebnung des Kreditwegs für die Investitionen des Steinkohlenbergbaus auch in Zukunft von Bedeutung sein. Hier suchen wir ein möglichst umfassendes Finanzierungsprogramm zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren sicherzustellen. Zwischen dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und mir besteht grundsätzliche Übereinstimmung darüber, daß der Steinkohlenbergbau aus dem Zins- und Tilgungsaufkommen des ERP-Sondervermögens bevorzugt bedacht werden muß.
Ich hoffe, Ihnen ein umfassendes Bild von den großen uns bewegenden Fragen auf dem Kohlengebiet und ihrer Einordnung in den größeren Rahmen der energiewirtschaftlichen Entwicklung gegeben zu haben. Ich habe Ihnen ausführlich über das berichtet, was im Laufe dieses Jahres von der Bundesregierung durch eine Vielzahl von Maßnahmen auf dem Kohlengebiet getan worden ist; die Maßnahmen haben sich großenteils bereits sehr günstig ausgewirkt. Ich habe Ihnen schließlich dargetan, was wir noch weiterhin zu tun beabsichtigen.
Wenn ich ein Fazit ziehen darf, so ist es das folgende: Die Probleme, die uns der Kohlenbergbau und die Kohlenwirtschaft aufgeben, sind vielfältig und von großem Gewicht. Ich bin sicher, daß wir auch in Zukunft unaufhörlich vor alten wie neuen schwierigen Fragen stehen werden, für die Lösungen gesucht werden müssen. Aber ich glaube, daß die Bundesregierung ohne Scheu über die ermutigende Entwicklung dieses Jahres auf dem Kohlengebiet Rechenschaft geben konnte.
Ich darf dazu noch einmal folgende Tatsache hervorheben: Die Steinkohlenförderung des Bundesgebiets hat sich — entgegen der Kritik der SPD — in diesem Jahr hervorragend entwickelt. Soviel ich sehe, hat kein europäisches kohlenförderndes Land einen solchen Erfolg aufzuweisen. Ich wiederhole noch einmal, daß wir das unseren schwer arbeitenden Bergleuten zu danken wissen. Die Bundesregierung wird fortfahren, die Voraussetzungen für eine weitere günstige Entwicklung des Kohlenbergbaues ständig zu verbessern. Ich bin im übrigen aber auch gewiß, daß der deutsche Verbraucher der Regierung und den Erklärungen des Wirtschaftsministers nach einer sich seit acht Jahren immer wiederholenden Erfahrung mehr vertraut als den sich nie erfüllenden düsteren Voraussagen der Opposition.