Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der ChristlichDemokratischen Union begrüßt diesen Tag, an dem wir mit der ersten Lesung des uns vorliegenden Vertragswerkes über die Angliederung des Saargebiets an die Bundesrepublik bereits den Augenblick vorwegnehmen dürfen, in dem das Saarland am 1. Januar des kommenden Jahres ein Teil dieser Bundesrepublik sein wird, mit tiefster innerster Freude.
Daß dabei, obwohl es nicht allen gefallen mag, auch ein tiefes Gefühl der Genugtuung mitschwingt, daß die Rückkehr des Saarlandes
gewiß der Treue der Saarbevölkerung, aber auch der Richtigkeit der von der Bundesregierung vertretenen Politik zu verdanken ist,
das wird man uns auf den Bänken —
— das wird man uns auf den Bänken der Opposition verargen, weil es nun einmal auf unser HabenKonto kommt.
Aber Sie zerstören die geschichtliche Wahrheit trotzdem nicht.
Wie oft, meine Damen und Herren, habe ich in diesem Hause das „Lachen links" gehört
bei Plänen und Konzeptionen unserer Politik, die hier entwickelt worden sind, und wie oft hat sich trotz dieses Lachens die Richtigkeit unserer Konzeption erwiesen.
Der Herr Kollege Wehner hat von Legendenbildung gesprochen,
die verhindert werden müßte. Auch wir sind der Meinung, daß eine falsche Legendenbildung verhindert werden muß. Deswegen lassen Sie uns einmal, meine Damen und Herren, den Verlauf der Dinge bis zum heutigen Tage überprüfen. Dabei will ich keineswegs, wie es Herr Wehner ausgedrückt hat, für die Arbeit der Opposition auf die-
sem Gebiete mit einem Fußtritt danken. Was immer die Opposition mit dazu beigetragen hat, daß es zu diesem Tag gekommen ist, soll ihr gedankt sein. Es ist aber wichtig, die Wahrheit festzustellen
— ich tue es —, und zwar schon deswegen, weil das Saarproblem nicht für sich allein betrachtet werden darf,
sondern weil es, wie gesagt wurde, der Testfall des viel größeren und umfassenderen Problems gesamten deutschen Außenpolitik und innerhalb dieser des Problems der deutschen Wiedervereinigung ist.
Hätten wir — und ich spreche für die Regierung und die sie hauptsächlich tragende Partei — an diesem Problem versagt, hätte man uns allenfalls den Vorwurf machen können, daß es uns wohl auch nicht gelingen werde, das schwierigere Problem der Wiedervereinigung zu lösen.
Da wir aber — und das können Sie nun beim besten Willen nicht wegleugnen — unter dieser Regierung und mit dieser Regierung
— ich habe verstanden — die Rückkehr des Saarlandes erleben werden, können wir das Vertrauen des Volkes auch für den anderen Teil unserer Wiedervereinigungspolitik fordern.
Was erreicht worden ist, das haben wir erreicht durch Nüchternheit, Geduld, Festigkeit in der Behauptung des wirklich Unverzichtbaren, Verständnis für die Situation des Verhandlungspartners und eine sich daraus ergebende Bereitschaft zu Opfern und Zugeständnissen, auch schwerer Art; durch einen unbeugsamen Willen, nicht nur dieses eine Problem zu lösen, sondern mit diesem Problem auch eine Gesamtbereinigung der Beziehungen der beiden Länder herbeizuführen, und durch eine in jedem Augenblick der langen und zähen Verhandlungen unerschütterliche und unbezweifelbare Loyalität, die erst jene Atmosphäre geschaffen hat, in der schließlich das Problem gelöst werden konnte.
Wie war denn der Verlauf der Dinge? Unser Kollege Mommer hat jüngst in einem beachtenswerten Artikel in der Zeitschrift „Außenpolitik" folgendes geschrieben:
Wie in dem Quellenband des Hamburger Völkerrechtlichen Instituts in den Ausführungen von Ministerpräsident Faure bestätigt wird, entriß der Bundeskanzler im Oktober 1954 das zweite Plebiszit als Zugeständnis.
— Das ist der Passus. Ich kann beim besten Willen,
Herr Mommer, Ihren Artikel nicht ganz vorlesen.
Herr Mommer hat in diesem Artikel selbst zugestanden, daß hier ein ganz entscheidender Erfolg
der deutschen Bemühungen um die Lösung des Saarproblems errungen wurde. Hier lag der entscheidende Wendepunkt. In jenem Abkommen ist es uns gelungen, die Franzosen zum erstenmal dazu zu bewegen, ihr Einverständnis zu erteilen, daß über das endgültige Schicksal des Saargebiets allein und ausschließlich die Saarbevölkerung zu entscheiden hat.