Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, Herr Kollege Deist, daß ich mich mit Ihnen gerne unterhalte. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wer geben will, auch zu nehmen bereit sein soll. Aber ich finde, Sie haben es sich wesentlich leichter gemacht als ich. Denn schon Ihr Beginn mit den Einzelhändlern, die da und dort gesündigt haben sollen, hat nun wirklich keine Beweiskraft für die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.
Ich verwahre mich mit aller Entschiedenheit, wenn Sie gar sagen, wir hätten die Dinge bagatellisiert und ich hätte mich der Schönfärberei schuldig gemacht. Wenn Sie mir eine der von mir genannten Zahlen als falsch oder auch nur als schillernd darstellen können, dann bin ich bereit, zu revozieren. Ich trete aber den Wahrheitsbeweis an, daß jede hier vorgelegte Zahl richtig, geprüft und kontrolliert ist.
Im übrigen empfinde ich es auch nicht gerade als eine besonders honorige Kampfesweise, wenn Sie hier durchklingen ließen, daß wir nicht gewillt seien oder daß es uns doch an dem guten Willen fehle, den Hausbrand so bald und so gut wie möglich zu versorgen. obwohl ich die Zahlen hier auf den Tisch gelegt habe. Vom April bis September 1956 sind 106,8 °/o der Menge des Vorjahres ausgeliefert worden, und zwar ziemlich gleichmäßig für die einzelnen deutschen Länder.
Ich komme wohl nicht in den Verdacht, ein Rundschreiben bestellt zu haben, das der Bundesverband des deutschen Kohleneinzelhandels e. V., Bad Godesberg, an seine Mitglieder verschickt hat. Darin heißt es:
Auf dem Sektor der Versorgung der Haushaltungen und Kleinverbraucher steht seit Jahren die Beschaffung der notwendigen Mengen im Vordergrund. Alle Überlegungen haben zunächst dazu geführt, daß den Hausbrand- und Kleinverbrauchern unbedingte Priorität zugesichert wurde. Das Interesse an der reibungslosen Versorgung der Hausbrand- und Kleinverbraucher ist deshalb besonders groß, weil die kritische Situation des Winterhalbjahres 1955/56 mit dem Kälteeinbruch im Februar noch in frischer Erinnerung ist. Die Verknappung des vorigen Winters hat dazu geführt, daß sich die Kundschaft des Kohleneinzelhandels und hier vor allem die Hausbrandverbraucher in den Sommermonaten mit verhältnismäßig großen Mengen eingedeckt haben. Während sich sonst die Kunden des Kohleneinzelhandels im Sommer hinsichtlich ihrer Bestellungen zurückhielten, hatte in diesem Jahr das Sommergeschäft regelrechten Wintercharakter. Im Kohlenwirtschaftsjahr 1955/56 wurden z. B. von Haushrandverbrauchern 45 % der .Jahresmengen in Ruhrkohle abgenommen, während die restlichen 55 % auf das Winterhalbjahr entfielen. Im Sommerhalbiahr 1956 dagegen hat sich der Prozentsatz der Abnahme von festen Brennstoffen auf 53 % erhöht. Die Ruhr — das muß gesagt werden —
hat dieser Nachfrageentwicklung nach besten Kräften entsprochen. Sie hat in den ersten sechs Monaten des Kohlenwirtschaftsjahres 1956/57 dem Kleinverbraucher und dem Hausbrand 1,2 Millionen t mehr als in den vorjährigen Sommermonaten geliefert.
Es würde zu weit führen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Aber Sie haben auch unrecht, wenn Sie die Leistungen an die Militärbehörden anführen. Hier ist nicht der Vergleich zum Vorjahr maßgebend, sondern das, was uns im Truppenvertrag als absolute Verpflichtung zu liefern aufgegeben ist. Von dieser Menge werden effektiv 80 % geliefert, bzw. sie stehen in der Verhandlung. Jedenfalls ist bisher nicht mehr geliefert worden, und wir haben bisher auch nicht die Absicht, das zu tun. Wir können annehmen, daß der amerikanische und der französische Partner bereit sind, unserem Vorschlag zu entsprechen; mit den englischen Behörden sind wir noch in Verbindung.
Weil Sie im übrigen von dem Verbund und dem hohen Kohlenverbrauch der eisenschaffenden Industrie gesprochen haben: es war ja ein Mitglied Ihrer Fraktion, nämlich Herr Professor Baade, der bei der seinerzeitigen Beratung den Verbund, und das heißt indirekt auch den Werkselbstverbrauch, angeregt und gefordert hat. Das eine ist mit dem andern verbunden, und die starke Steigerung der Stahlindustrie als ein Zeichen unseres wirtschaftlichen Aufschwungs ist ja schließlich auch dem ganzen deutschen Volke, und nicht zuletzt auch dem deutschen Arbeiter, zugute gekommen.
Es geht aber schon über die Hutschnur, wenn Sie meine Bitte an die Kohle, sie möchte 8 Millionen DM bereitstellen, um den Ärmsten die Verteuerung nicht spürbar werden zu lassen, hier so deuten, als ob ich mich damit zum Kostgänger der Kohle gemacht hätte. Die Verantwortung nehme ich auf mich, daß ich diese Bitte an die Kohle gerichtet habe, und ich glaube, die Kohle ihrerseits braucht sich nicht zu schämen, wenn sie dieser Bitte entsprochen hat.
Sie brauchen auch gar nicht so in Rage zu geraten wegen der 2 DM, die die Kohle für den Bergarbeiterwohnungsbau in den Preis einbezogen hat. Was gibt es da für Differenzen? Wir sind ja gleicher Meinung. Ich war auch von Anfang an dagegen, ja in dieser Frage scheint sogar völlige Übereinstimmung hier im Hause zu herrschen.
Was nun aber den Preis anbelangt: Bei der Kohle wurden. im Verlaufe von 8 Monaten die Löhne um 10 °/o erhöht, entweder in absoluten Beträgen erhöht oder indirekt durch Arbeitszeitverkürzungen herbeigeführt. und Sie selbst haben ja anerkannt, daß das bei einem Gewicht von 60 % Arbeitskosten selbstverständlich im Preis durchschlagen muß. Trotzdem aber, Herr Kollege Deist, hat doch die Bundesrepublik mit Abstand das niedrigste Preisniveau in der Montanunion, und das nicht nur bei Eisen und Stahl, sondern auch bei der Kohle. Bei Kohle — um es genau zu sagen —liegt der Preis um etwas mehr als 20 % unter dem französischen. Ich führe das nicht als Kritik gegenüber der französischen Kohlenwirtschaft an, sondern weil Sie ausdrücklich vermerkt haben, daß Frankreich so sehr viel mehr investieren und rationalisieren konnte. Ich frage mich dann nur, wie es bei einer nationalisierten Industrie doch dahin kommt, daß wir trotz der sozialen Marktwirtschaft, wie Sie so kritisch anmerken, offenbar doch ein besseres Ergebnis erzielt haben, als es in Frankreich zustande kam.
Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen! Es ist immerhin eine bemerkenswerte Einsicht, daß auch Sie von einer Kettenreaktion sprechen. Die Kettenreaktion wirkt aber nicht nur von dem einen Preis auf den anderen, sondern die Kettenreaktion geht auch von Löhnen über die Arbeitszeitverkürzung auf Preise und wieder auf Löhne zurück.
Das ist die eigentliche Kettenreaktion, mit der wir zu tun haben. Wir wollen auch diese Dinge einmal auf den Tisch legen. Ich bin willens, mit Ihnen dieses Problem in aller Form zu diskutieren. Wir werden für das Jahr 1956 feststellen können, daß die durchschnittlichen Arbeitseinkommen — Löhne und Gehälter — um ungefähr 81/2% gestiegen sind, während wir glücklich sein können, wenn die Produktivitätssteigerung im gleichen Zeitraum 41/2 bis 5 % ausmacht.
Dieses Mehr an Arbeitseinkommen über den Grad der Produktivitätssteigerung hinaus macht, auf die gesamte Lohnsumme bezogen, ungefähr den Betrag von 21/2 bis 3 Milliarden DM aus, einen Betrag, der güterwirtschaftlich nicht gedeckt werden kann. Auch das gehört zu der Kettenreaktion.
Mit den kritischen Anmerkungen zur sozialen Marktwirtschaft sollten Sie etwas vorsichtiger sein. Ich habe hier eine Statistik über die Preisentwicklung in den einzelnen Ländern vor mir. Wenn wir die Lebenshaltungskosten auf der Basis 1950 gleich 100 betrachten, so verzeichnen wir in der Bundesrepublik im August 1956 — neuere Zahlen habe ich noch nicht — einen Stand von 113. Das bagatellisiere ich nicht. Für die Vereinigten Staaten von Amerika lautet die Zahl 114, für die Schweiz 110. Ersparen Sie es mir, jetzt die Länder namentlich zu nennen — ich sage Ihnen aber: es sind sozialistisch geleitete Länder oder solche, in denen allein die Sozialisten die Verantwortung tragen —, deren Preisindizes bei 132, bei 128, bei 142 und bei 138 liegen.
Die soziale Marktwirtschaft scheint also hinsichtlich der Preisstabilität doch nicht so schlecht zu sein, wie Sie das hier glauben anmerken zu müssen.
Weiter hat Herr Kollege Deist bemängelt, daß der Bundeswirtschaftsminister zu wenig Aktivität entwickle. Mir liegt ein Bericht aus der gestrigen Versammlung in Straßburg vor. Dort heißt es:
Abgeordneter Deist hat bemängelt, daß auf allen Gebieten --- der Kohlenversorgung, der Preise, Vertriebsorganisation, Einfuhren, Arbeitskräfte und Investitionen — die nationalen Regierungen zunehmend die Initiative ergriffen haben, so daß auf allen Gebieten statt allgemeiner, überregionaler Regelungen unterschiedliche nationale Regelungen bestehen; dadurch bestehe die Gefahr der Desintegration. Es ergeht die Aufforderung an die Hohe Behörde, die Initiative zu ergreifen.
Jetzt frage ich mich: Habe ich zuwenig Initiative oder zuviel Initiative entwickelt?
Ich bin auf alle Fälle der Meinung, daß wir aus ehrlichstem Wollen und aus rechter Gesinnung das Beste getan haben, um gerade den deutschen Verbraucher in diesem Winter nicht frieren zu lassen, sondern ausreichend mit Kohle zu versorgen, und zwar zu einem Preis, der niedriger ist als in allen anderen Ländern der Montanunion.