Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer viele Jahre seines Lebens mit dem wechselnden Geschick der Saar verbunden war und ist und einen nicht unerheblichen Teil seiner bisherigen Lebensarbeit diesem Land und seiner Bevölkerung gewidmet hat, dem wird es sicher gestattet sein, auch eine historische Parallele zu bringen, nicht um in den Akten, Reden, Beschlüssen und Entschließungen der letzten Jahre nachzubohren, wo man einen Plus- oder Minuspunkt für den einen oder anderen anbringen könnte, sondern um die politische Bedeutung der Heimkehr der Saar in den richtigen Rahmen zu stellen.
Ich meine damit das Jahr 1935. Damals hatte es über 16 Jahre gedauert, bis die Saar politisch wieder zu Deutschland zurückkehrte. In einer Woge des Nationalismus und des Nationalsozialismus im deutschen Volk wurde diese einfache und selbstverständliche Haltung der Saarbevölkerung für politische Ziele eines totalen Staates mißbraucht. Aber immerhin hatte es 16 Jahre gedauert, und es war der Weimarer Republik nicht möglich gewesen, es war ihr nicht vergönnt gewesen, bei den Saarverhandlungen 1929/30 eine vorzeitige Rückgliederung der Saar zu erlangen.
Nun, es sind 11 Jahre vergangen seit dem Kriegsende 1945 und einem Zusammenbruch, der bis in die Existenz des deutschen Staates hinein ging. Nach diesen 11 Jahren haben wir, auch wiederum unter Mitwirkung der Saarbevölkerung und ihrer selbstverständlichen Haltung, aber auch in einem politischen Klima deutsch-französischer Beziehungen, welches 1929/30 nicht bestand, erreicht, was damals erst viele Jahre später möglich war. Ich glaube, man soll beides sehen, das Wollen der Bevölkerung und auch das politische Klima, in dem die deutsch-französischen Beziehungen • standen, diesem Wollen der Bevölkerung auch wirklich zur politischen Realisierung zu verhelfen.
Die politische Lösung ist in dem Ihnen vorliegenden Vertragswerk enthalten. Die wirtschaftliche Lösung ist angedeutet; sie ist noch nicht im einzelnen überall greifbar. Insofern ist jetzt ein Zustand da, wenn dieses Werk in Kraft tritt, der auf der wirtschaftlichen Seite etwa mit den Problemen zu vergleichen ist, die nach Abschluß des Saar-Zollabkommens 1927/28 bis 1935 bestanden. Ich meine die wirtschaftliche Seite des Problems, denn das jetzige Vertragswerk unterscheidet ganz deutlich zwischen diesen beiden Dingen. Ich darf mich besonders der wirtschaftlichen Problematik zuwenden, ,die in diesem Vertragswerk steckt.
Ich möchte zunächst auf folgendes aufmerksam machen. 1935 kehrte die Saar wirtschaftlich in einem sehr plötzlichen und abrupten Vorgang zurück. Das hat zu den Schwierigkeiten geführt, die auch in der jüngsten Diskussion immer wieder vor den Lösungsmöglichkeiten als Gespenst aufgetreten sind. Die Saar kehrte aber damals auch in ein System zentralgelenkter Verwaltungswirtschaft zurück. Es konnte durch einen Federstrich von Berlin ohne Einschaltung des Parlaments oder ohne Mitwirkung der Länder, die praktisch schon ausgehöhlt waren, das geschehen, was auf dem Verordnungswege zu dekretieren war. Heute kehrt die Saar in einen Wirtschaftsraum zurück, der von der Wettbewerbswirtschaft gekennzeichnet ist und wo alle wesentlichen Dinge auf dem Weg der Gesetzgebung unter Einschaltung des Bundestages und in den meisten Fällen auch des Bundesrates zu erfolgen haben. Das wird eine mühevollere Arbeit sein, die laufend dieses Haus zu beschäftigen hat.
Ich möchte hier schon sagen: der Eingliederungsvorgang wird eine über mehrere Jahre verteilter Vorgang sein, auch wenn der Stichtag des 1. Januar 1960 eingetreten sein wird. Wir werden ganz kontinuierlich an diesen Dingen zu arbeiten haben. So möchte ich gerade auch in der Behandlung der jetzigen Vorlagen den Unterschied zwischen der Ratifizierung der Verträge und dem machen — was wir auch nicht aus dem Auge verlieren dürfen —, was sich hinsichtlich der wirtschaftlichen, der finanziellen, der sozialpolitischen, der verkehrspolitischen und der sonstigen Maßnahmen alles noch in einem Vorgang von mehreren Jahren anschließen wird.
Ich muß aber auch noch kurz die wirtschaftliche Situation kennzeichnen, die sich von der Lage von 1935 wesentlich unterscheidet. Damals war die Weltwirtschaft, von der Krise gepeitscht, beunruhigt. Der Welthandel schrumpfte von Jahr zu Jahr. Die Saar, die in ihrer Zwischenlage an einem Funktionieren des freien Warenaustausches nach allen Seiten ein lebenswichtiges Interesse hat, kehrte in die deutsche Wirtschaft mit schrumpfendem Außenhandel zurück. Das hat ihre Aussichten und Entwicklungsmöglichkeiten ganz erheblich beeinträchtigt. Die Reaktion Frankreichs 1935, als nämlich die Empfehlungen des Völkerbundrates, in einem zweiseitigen deutsch-französischen Abkommen der Saar den Austausch mit Frankreich weiter zu ermöglichen. nicht realisiert wurden, war doch nur durch die Weltwirtschaftskrise mit ihrer Schrumpfung des internationalen wirtschaftlichen Austausches bedingt.
Heute sind die Chancen wesentlich andere, weil nicht nur eine laufende wirtschaftliche Expansion, sondern auch eine Expansion des wirtschaftlichen Austausches, der internationalen Arbeitsteilung. der Freizügigkeit von Waren, von Kapital und von Arbeitskräften das Kennzeichen der gegenwärtigen Laie ist. Hier möchte ich den Kollegen Wehner mit voller Zustimmung zitieren. Herr Kollege Wehner
hat nämlich an einer Stelle, die vielleicht der Aufmerksamkeit des Hauses etwas entgangen ist, davon gesprochen, daß die wirkliche wirtschaftliche Lösung dieses Problems — Zugehörigkeit und Verbindung mit zwei Wirtschaftsgebieten — eben nur im gemeinsamen Markt erfolgen kann und daß alle anderen Techniken mit Sonderabkommen, gleichgültig, ob vor oder nach 1960, eben immer wieder die Gefahr der Labilität, der Kurzfristigkeit, also der unübersehbaren politischen Veränderungen in sich bergen. Ich begrüße, daß hier gesagt worden ist, im gemeinsamen Markt — der uns ja noch als weitere Aufgabe beschäftigt — werde die eigentliche Lösung der Saarfrage nach der wirtschaftlichen Seite zu finden sein. Wenn man aber dies feststellt, Herr Kollege Wehner, dann ist !damit auch gleichzeitig ausgesprochen, daß der Entschluß der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses, nämlich zunächst den gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl zu schaffen, die europäische Montanunion, seine historische Rechtfertigung aus der Blickrichtung der Saarfrage gefunden hat.
Die Saar, wenn wir sie hier einmal als einen geschlosenen Ausfuhrraum behandeln wollen, setzt mehr als die Hälfte ihrer Ausfuhr nur auf dem Sektor der Montanwirtschaft, Kohle, Eisen und Stahl, ab. Und gerade das war 1935 das Problem, das nicht gelöst werden konnte, nämlich einerseits den Saarkohlenabsatz nach Frankreich zu sichern und andererseits den Saareisenabsatz, der auch in einer breiteren Streuung gesichert werden mußte, weiterzuführen, so daß alles einseitig auf das damalige Reichsgebiet zukam und zu den entsprechenden Konsequenzen führte, insbesondere zu der ablehnenden Haltung, die Frankreich hinsichtlich der Hereinnahme von Kohle und Stahl, aber auch von anderen Industrieerzeugnissen der Saar damals einnahm.
Lassen Sie mich nun kurz folgendes zur Kennzeichnung der Warenverkehrsregelungen im Abkommen sagen. Ich bedaure, daß in diesem Abkommen bisher im Grunde genommen nur der Zustand bis zur endgültigen wirtschaftlichen Rückgliederung behandelt ist. Wie eigentlich nach diesem Umstellungstag der Warenverkehr aussehen wird, ist noch nicht ganz zu übersehen. Es handelt sich um das Problem: Wie wird die französische Einfuhr in die Saar nach dem zweiten Übergangsstichtag unbeschränkt zugelassen, ohne daß diese französische Einfuhr dann das Saargebiet weiter verläßt und in das Bundesgebiet hineingeht? Das gleiche Problem besteht vorher in der Zulassung der deutschen Einfuhr in die Saar und ihrer etwaigen Weiterverbringung nach Frankreich. Die Technik, mit Ursprungszeugnissen zu arbeiten, die gerade in der Saarvergangenheit eine ganz bestimmte Rolle gespielt hat, könnte hier unter Umständen nicht ausreichen. Man wird wirklich nur die echte Lösung im gemeinsamen Markt finden können.
Auch für die Phase bis 1960 ist es ein Mangel der jetzigen Konstruktion, daß gerade das Problem der deutschen Einfuhr in die Saar auch dort, wo berechtigte und wirtschaftlich vernünftige Wünsche der Saar vorliegen — und das ist auf zahlreichen Gebieten der Fall —, nicht befriedigend geregelt werden konnte. Das ist einmal der Sektor der Konsumgüterversorgung der Saar. Waren deutschen
Geschmacks und deutscher Herkunft möchte die Bevölkerung haben, aber ihre Kontingente auf diesem Gebiet sind in diesem Abkommen außerordentlich bescheiden weggekommen. Anders die Frage der Investitionsgüter für die Investitionen, die die Saarwirtschaft selbst, aber auch die die gesamte öffentliche Hand vorzunehmen hat. Hier sind zwar wesentlich bessere Bezugsmöglichkeiten vorhanden, aber daß nur der Einfuhrzoll in Fortfall kommt, nicht dagegen die Einfuhrausgleichsabgabe, ist mit Sicherheit eine Belastung, die die Saar beim Bezug deutscher Investitionsgüter in dieser Zeit noch verspüren wird.
Ich möchte also zu der Frage des Warenverkehrs sagen: wir hoffen, daß sich aus der praktischen Entwicklung bis 1960, aber vor allem auch aus der Entwicklung der Arbeiten für den gemeinsamen Markt eine wesentlich großzügigere Lösung erarbeiten läßt, die der beiderseitigen wirtschaftlichen Verflechtung — nicht nur der Saar mit dem Bundesgebiet, sondern auch Frankreichs und der Bundesrepublik — entspricht.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort über die Währungsumstellung. Eine ganz große Unbekannte und voraussichtlich auch eine Quelle weiterer Schwierigkeiten ist die Tatsache, daß für die Währungsumstellung von Bargeld und Bankguthaben der amtliche Wechselkurs des französischen Franken zugrunde gelegt ist. Wir alle wissen, daß der amtliche Wechselkurs nicht der tatsächlichen Kaufkraft im Vergleich D-Mark/Franken entspricht, so daß sich aus dem amtlichen Wechselkurs bei der Umstellung ganz erhebliche Konsequenzen, sei es nach der Richtung von Währungsgewinnen, sei es nach der Richtung höherer Belastungen in Preisen usw., ergeben könnten. Das' Problem, wie diese unechten Wechselkursrelationen aufgefangen werden können, wird uns noch sehr lange zu beschäftigen haben, zumal sich auch die Bundesregierung in dem Abkommen vorsorglich vorbehalten hat, unter Umständen eigene Regelungen zur Ausschaltung ungerechtfertigter Währungsgewinne und zur Ausschaltung von spekulativem Mißbrauch dieses Mißverhältnisses der Wechselkurse vorzunehmen. Das gleiche gilt für die Umstellung von Forderungen und Schulden, die auch unter Umständen noch Gegenstand einer zusätzlichen innerdeutschen Regelung sein muß.
Ein weiteres Wort zu den Aufgaben in dieser Zwischenzeit! Ich möchte einmal recht deutlich sagen, daß mir persönlich in dem Augenblick, in dem die politische Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik vollzogen wird, die Frage nach der Dauer der Übergangszeit sekundär geworden ist — unter der einen Voraussetzung, daß nach dieser Übergangszeit eine vernünftige Dauerregelung vorhanden sein wird, die der beiderseitigen wirtschaftlichen Verflechtung der Saar entspricht. Wenn nicht im Stichjahr 1960 — oder mag es früher sein — eine vernünftige dauerhafte Regelung für den Warenverkehr, für den Wirtschaftsverkehr der Saar, auch mit Frankreich, geschaffen sein wird, dann ist auch eine noch so gut gemeinte Übergangszeit in ihrer Wirkung sehr begrenzt, weil einfach die psychologischen Voraussetzungen fehlen, den Stand zu erhalten, der für die beiderseitige wirtschaftliche Verflechtung, für die Beziehungen nach Frankreich, für die Stellung auf dem französischen Markt, aber auch für das Interesse Frankreichs am Saarmarkt bestimmend ist. Gerade wenn solche psychologischen Voraus-
Setzungen fehlen, können in der Übergangszeit erhebliche Verschlechterungen eintreten. Ich meine damit etwa den Abzug von Kapital durch die französische Seite. Wenn also nicht rechtzeitig eine Dauerlösung vorliegt, kann es zu einer Entblößung der Saar, zu einer Stagnation, zu einer Abwanderung von Betrieben und Arbeitskräften kommen. Das sind alles Erscheinungen, die wir 1934 ja schon einmal erlebt haben.
Ich persönlich habe gewisse Zweifel, ob die jetzigen Schätzungen über den Frankenumlauf im Saargebiet, der ja bei der Währungsumstellung Frankreich durch die Bundesrepublik zur Verfügung gestellt werden soll, nach den Erfahrungen, die hinsichtlich des Abzugs des französischen Geldes und Kapitals vor dem Rückgliederungstag 1935 gemacht worden sind, richtig sind. Also auch hier zeigt sich, daß für das Gelingen dieser Konstruktion das Klima der allgemeinen deutschfranzösischen Beziehungen, besonders im wirtschaftlichen Bereich, entscheidend sein wird.
Nun einiges zu den Aufgaben in der Übergangszeit, die die Kraft der Saar angehen. Ich meine damit den Nachholbedarf, den die Saar an zahlreichen Stellen nicht nur hinsichtlich der öffentlichen und privaten Investitionen, sondern auch hinsichtlich des gesamten Steuersystems, des Sozialsystems usw. hat. Daß hier ein Besitzstand sozialer Leistungen gewahrt werden soll, ist selbstverständlich. Daß andererseits eine Bereinigung des derzeitigen Verwaltungsapparats, der ja im Augenblick die Funktionen von Bund und Land zu tragen hat, vorbereitet werden muß, versteht sich ebenso. Ich glaube, daß gerade die Abstimmung der haushaltswirtschaftlichen Konsequenzen bei der Übernahme von Bundesaufgaben durch das Land Saar Gelegenheit gibt, dièse Probleme rechtzeitig in engster Zusammenarbeit zu analysieren.
In diesem Zusammenhang ein Wort über die Stellung der Saar zu den anderen deutschen Bundesländern. Hier ist schon von mehreren Sprechern das Bedauern dieses Hohen Hauses zum Ausdruck gebracht worden, daß der Bundesrat die Mitverpflichtung der Länder in bezug auf Bundesfinanzhilfen an die Saar, wie sie in § 10 des Eingliederungsgesetzes vorgesehen sind, gestrichen hat. Ich vermag die rechtliche Argumentierung nicht ganz einzusehen; denn daß die Saar als Bundesland zu einem bestimmten Zeitpunkt in das System des Länderfinanzausgleichs einmal eintreten wird — im Augenblick ist das wegen der ganz anderen Bemessungsgrundlagen nicht möglich —, das ist doch wohl selbstverständlich. Man sollte hier nicht von vornherein eine Deklaration abgeben, daß die Länder aus dieser Hilfe für die Saar zunächst überhaupt ausgeklammert werden.
Ich darf hieran einige Bemerkungen über die verschiedenartigen finanziellen Probleme anknüpfen, ohne jedoch in Einzelheiten einzutreten. Ich glaube, man sollte unterscheiden zwischen dem, was der öffentliche Haushalt der Saar einschließlich der Gemeinden braucht, wobei ich nicht nur den Verwaltungs- und Sozialaufwand, sondern vor allen Dingen den Investitionsbedarf meine, und dem, was in öffentlichen Unternehmungen, nämlich Eisenbahn, Post, Saargruben usw., benötigt wird, und schließlich dem, was an Investitionsbedarf, d. h. praktisch an Kredit- und Kapitalbedarf, bei der gesamten Wirtschaft besteht. Denn je nachdem, wo die Mittel einzusetzen sind, sind auf unserer Seite auch verschiedene Finanzierungsfragen zu behandeln.
Dabei darf ich, gerade was den Investitionsbedarf der gesamten Wirtschaft angeht, einmal auf einen Rückstand aufmerksam machen, der bisher nur wenig beachtet worden ist. Die Saar hat bei der Umstellung von der alten Reichsmarkbilanz zur Frankenbilanz 1948 eine Bilanzumstellung auferlegt bekommen, die zu einer erheblichen Unterbewertung ihres Anlagevermögens geführt hat. Diese Unterbewertung hat es ihr verboten, steuerlich, d. h. auf dem Wege über Abschreibungen, die laufende Substanzerhaltung und -erneuerung zu finanzieren. Hier wäre also eine Nachholung notwendig, indem die Grundsätze des D-Mark-Eröffnungsbilanz-Gesetzes der Bundesrepublik zu gegebener Zeit auch für die Saar Anwendung finden, wenn die Bilanzumstellung zu erfolgen hat. Die Bilanzumstellung ist ja einstweilen nicht möglich, weil sie zu dem zweiten Akt der Rückgliederung gehört. In der Zwischenzeit muß aber darauf geachtet werden — und wir begrüßen die Initiative der Saarregierung auf diesem Gebiete —, daß durch entsprechende steuerliche Möglichkeiten bestimmte Reserven gebildet werden können, um einmal dem jetzigen Investitionsbedarf schon zu entsprechen, vor allem aber die Reserve zu schaffen, die eingesetzt werden muß, wenn die Wettbewerbsfähigkeit auf ihre eigentliche Bewährungsprobe gestellt wird. Das ist voraussichtlich 1960 der Fall.
Hinsichtlich des Bildes von 1960 darf ich nochmals bemerken: Die Saar kehrt in eine Wettbewerbswirtschaft zurück. In den Bereichen, die ihre Wirtschaft kennzeichnen — Kohle und Eisen —, unterliegt sie ebenso den Bestimmungen über den gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, die wettbewerbsverfälschende Sonderaktionen untersagen, wie alle anderen Mitgliedsländer. Das aber bedeutet, daß ein Hilfsmittel, welches nach 1935 jahrelang mit Erfolg angesetzt worden ist, um der Saar den Zugang zu und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem reichsdeutschen Markt zu ermöglichen, nicht eingesetzt werden kann. Für den Sektor Kohle und Stahl kann nicht mehr wie damals mit Sondertarifen auf der Eisenbahn gearbeitet werden. Das bedeutet also, daß die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen, d. h. mit marktkonformeren Mitteln gestärkt und gerade in diesem Sektor auf das Hilfsmittel der Sondertarife verzichtet werden muß.
Ich darf bei der Frage der Verkehrspolitik noch kurz ein Wort zur Moselkanalisierung sagen. Sie ist sicher eine deutsche Gegenleistung, die für die deutsche Wirtschaft im Bundesgebiet Konsequenzen haben kann, die noch nicht zu übersehen sind. Aber mit einem müssen wir jetzt schon rechnen: daß die Konsequenzen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Saar im Zugang zum deutschen Markt und zu den Seehäfen, auch im Bezug von Ruhrkohle — auch die Saar muß ständig gewisse Mengen Ruhrkohle beziehen —, sehr erheblich sein werden. Denn für die Saar ergibt sich nach menschlichem Ermessen nicht die Möglichkeit, eine entsprechende Wasserstraße zu ihren Absatzgebieten in Süddeutschland zu haben. Ich glaube, daß das Programm des Saarpfalz-Rheinkanals, welches 1935 eine sehr große Rolle spielte, kaum Aussicht auf eine Realisierung in einer übersehbaren Zeit hat.
— Der Westwall war, Herr Kollege Wehner, für die Saar eine erhebliche Belastung.
Der Moselkanal wird, wenn er fertiggestellt ist, mit Sicherheit ein Zuschußbetrieb sein, weil die auf ihm hereinzuholenden Schiffsfrachten nicht ausreichen, um die Herstellungskosten und den Betrieb zu finanzieren. Es wird dann also zur Verbesserung der Wirtschafts- und Wettbewerbslage der Nutznießer dieses Kanals, nämlich der Eisenhüttenindustrie in Lothringen, eine zusätzliche Leistung erbracht werden. Es wird zu erwarten sein, daß die davon benachteiligten anderen Reviere, womit ich nicht nur die Ruhr, sondern gerade die Saar meine, eine bestimmte Ausgleichsleistung zur Wiederherstellung gleicher Frachtverhältnisse verlangen werden. Das Problem wird sich im Laufe des Baues des Moselkanals ja immer deutlicher herausstellen.
Eine kurze Bemerkung zur Frage der Saarbergwerke. Sie werden als ein weiteres Unternehmen in den Kreis der bundeseigenen Unternehmungen treten. Ich bin der Meinung, daß es völlig richtig ist, daß der Bund nicht nur die größte Beteiligung, sondern damit auch die größte finanzielle Last übernimmt. Alle Planungen, die von gewissen Gegnern der deutschen Saarpolitik immer wieder hervorgebracht worden sind, nämlich die Saargruben dem Saarland selbst zu eigen zu geben, gehen an der Realität vorbei, daß die Finanzkraft des Landes überhaupt nicht der Verpflichtung entsprechen dürfte, die aus dem Eigentum an den Saargruben erwachsen wird.
Die weitere Zukunft der Saar wird wesentlich von der Stärkung der Kapazität der Saargruben abhängen. Aber ich möchte hier eine Warnung aussprechen. Die Saar hat in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder darunter gelitten, daß sie allzu einseitig schwerindustriell von Kohle und Eisen bestimmt war. Damit ist sie wesentlich krisenanfälliger gewesen als andere Wirtschaftsgebiete, die eine ausgewogene industrielle Struktur haben. Wir bejahen und begrüßen die Ansätze, die gerade in der Verbreiterung der mittel- und kleinindustriellen Betriebe, insbesondere im Verarbeitungssektor, in den letzten Jahren möglich waren, nicht zuletzt deshalb möglich waren, weil hier eine Chance bestand, auf den französischen Markt zu gehen. Ich möchte schon hier sagen: es wird unsere besondere Aufgabe sein, diese strukturelle Ergänzung der Saar auch lebensfähig zu erhalten. Denn gerade diese Mittel- und Kleinbetriebe repräsentieren eine bodenständige Wirtschaft, während in den großen montanindustriellen Unternehmungen das bodenständige Unternehmertum, von der Familie Röchling einmal abgesehen, doch weitgehend ein Opfer der politischen Verwicklungen der letzten dreißig Jahre geworden und der Saar verlorengegangen ist. Es besteht also auch hier ein echtes politisches Problem, welches man nicht daran messen soll, ob dem einen oder anderen zuviel an Vorteilen zukommt. Die Ergänzung der wirtschaftlichen Struktur der Saar mit Mittel- und Kleinbetrieben, insbesondere in den Verarbeitungszweigen, wird ein weiteres Aufgabengebiet für uns bleiben.
Lassen Sie mich zum Abschluß nur noch einmal auf das Grundanliegen zurückkommen. Die Saarregierung hat mit erfreulicher Deutlichkeit in ihrem Memorandum die vor uns stehenden Aufgaben vorwiegend auf dem Gebiete des Haushaltes, der Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik aufgezeigt. Ich glaube, daß es not tut, daß durch diese Schleuse des legitimierten Sprechers — nämlich der Saarregierung -- alles, was an Forderungen, Planungen, Wünschen und Projekten auftritt, zu uns kommt. Man soll sich hier nicht in einen Wettlauf nach Bonn begeben. Das möchte ich gerade denjenigen sagen, von deren Aktivität in Paris — als dort die Hilfe für die Saar zu holen war -- wir relativ wenig verspürt haben.
Ich glaube aber, daß es uns gelingen wird — insbesondere dann, wenn der Gemeinsame Markt, diese weitergehende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich, zustande kommt und realisiert wird —, der Saar die Stellung zu geben, die sie haben will, nämlich nicht von Subventionen und Zuschüssen abhängig zu sein, nicht für eine unübersehbare Zukunft unter dem Schutz bestimmter Vorbehalte stehen zu müssen, sondern in einem großen westeuropäischen gemeinsamen Wirtschaftsraum lebensfähig aus eigener Kraft zu sein und damit zu zeigen, daß die Lage an der Grenze nicht wie bisher in der Vergangenheit ein Fluch, sondern ein Segen für alle Seiten sein kann.