Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir doch mit solchen Behauptungen vorsichtig sein sollten. Wir stehen am Ende der Bilanzperiode, und es wird sich dann empfehlen — was man am Ende der Periode tut —, einen Rechnungsabgrenzungsposten einzusetzen mit der Bezeichnung „Meinung des Wählers zur Saarpolitik der Bundesregierung".
Es sind doch in dem, was hier gesagt wurde, so viele Widersprüche. Einerseits sagt man, dieses Saarstatut mit der Möglichkeit der Abstimmung sei damals vorgeschlagen worden, weil sich die Bundesregierung mehr oder weniger darüber im klaren gewesen sei, daß es werde abgelehnt werden und daß dann also der Weg zu der jetzigen Entwicklung frei sei; und andererseits hat Herr Kollege Kiesinger vorher gesagt, es habe die Gefahr bestanden, daß im Falle der Ablehnung des Saar-
statuts ein rechtliches Vakuum entstehe. Also was hat nun die Bundesregierung gedacht? Hat sie gehofft, daß das Saarstatut abgelehnt werde, oder hat sie es gefürchtet?
Weiter wurde auf die Frage meines Freundes Becker — die berechtigte Frage —: „Wann findet die zweite Abstimmung statt?", geantwortet, darin drücke sich eine hektische Eile aus und eine Ungeduld. Aber diese Frage war durchaus berechtigt, denn die zweite Abstimmung war ja nach unserer Auffassung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, nämlich auf den Zeitpunkt des Friedensvertrags. Wenn man uns gleichzeitig vorwirft, es sei hektisch, wenn wir auf den Friedensvertrag drängten — der hängt ja mit der Wiedervereinigung zusammen —, dann kann man wohl nicht sagen, diese zweite Abstimmung sei nun in greifbarer Nähe gestanden.
Daß der Herr Bundeskanzler in Bochum nicht gegen das von ihm abgeschlossene Saarstatut sprechen konnte, sehe ich ein. Aber er konnte schweigen, und er mußte schweigen,
und er durfte nicht die zur Abstimmung gerufene Saarbevölkerung beeinflussen.
Gerade wenn man sich diese Bochumer Äußerung, die am Tage vor der Abstimmung wiederholt wurde, vergegenwärtigt, dann muß man doch sagen: es ist eine geradezu, verzeihen Sie das Wort, mephistophelische Dialektik, wenn nun die damaligen
Befürworter des Saarstatuts heute sagen: „Wir haben euch Saarländer in die Versuchung geführt" — wahrlich in die Versuchung geführt, nicht nur vor die Wahl gestellt —, „und ihr habt der Versuchung widerstanden, ihr habt anders entschieden, und das ist unser Verdienst, die wir euch in die Versuchung geführt haben!"
Aber ich möchte nun damit schließen. Ich möchte darauf verzichten, das Verdienst unserer Fraktion an dem Lauf der Saarpolitik zu unterstreichen. Ich möchte nur eines sagen: das Verdienst an dem Lauf, an der Entwicklung der Saarpolitik und das Verdienst daran, daß wir voraussichtlich am 1. Januar 1957 das Saarland im Bereich der Bundesrepublik haben werden, gebührt in allererster Linie der Saarbevölkerung. Darüber sollten wir uns nicht streiten!
Nun zur Sache selber! Der politische Fortschritt, der mit dem Saarvertrag verbunden ist, ist gegenüber dem bisherigen Zustand und auch gegenüber dem, was im Saarstatut vorgesehen war, ein ganz bedeutender und wesentlicher. Er besteht — in einem Satz gesagt — darin: das Saargebiet kehrt politisch und nach einer bestimmten Zeit auch wirtschaftlich in den deutschen Staatsverband zurück. Es kehrt zurück und genießt sofort die vollen demokratischen Freiheiten. Der politische Fortschritt ist wirklich ein sehr bedeutender und wesentlicher, und die wirtschaftlichen Opfer, die wir nach der Lage der Sache dafür bringen müssen,
müssen in Kauf genommen werden. Diese wirtschaftlichen Opfer sollten allerdings von uns keineswegs bagatellisiert werden. Schon wenn wir bedenken, daß die ganzen unterbliebenen Investitionen des Saargebiets noch auf uns harren, daß wir diese Investitionen also nachholen müssen, wird es uns klar, was diese Opfer bedeuten. Die WarndtKohle wurde bereits erwähnt. Der vorgesehene Modus des Zahlungsmittelumtausches belastet uns ebenfalls ganz erheblich. Selbstverständlich haben wir die von den Franzosen seinerzeit gegebene Erstausstattung zu ersetzen. Aber daß wir nicht nur für diese Summe die Haftung übernehmen, sondern darüber hinaus einen Betrag von 40 Milliarden Franken als Umtauschsumme garantieren, bedeutet doch praktisch, daß die Früchte der saarländischen Arbeit Frankreich auf unsere Kosten zugute kommen. Das muß in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Über den Moselkanal sind die Ansichten in Deutschland geteilt. Im Bundesrat ist sehr vorsichtig ausgesprochen worden, die wirtschaftlichen Nachteile, die man von ihm befürchte, seien jedenfalls doch nicht so groß, wie zunächst angenommen worden sei. Ich glaube, daß man sich bei dieser Formel wird beruhigen können. Ich persönlich habe zwar immer noch den Eindruck, daß es sich bei diesem Unternehmen um eine Fehlinvestition handelt. Vor allem glaube ich, daß dieser Kanal sehr stark als Einbahnstraße wirken wird, weil er eben nur der lothringischen Wirtschaft zugute kommt, aber nicht uns.
Zu prüfen ist auch noch, ob in den Tarifvergünstigungen, die hier vorgesehen sind, nicht ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Montanunionvertrages liegt.
Die Saarregierung selbst hat in ihrem Memorandum darauf hingewiesen, daß der Vertrag auch für die Saarwirtschaft Nachteile mit sich bringt.
Eine günstige Nebenwirkung wird zweifellos die Gewinnung elektrischer Energie für RheinlandPfalz sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch ein Problem anschneiden. Es muß geprüft werden und wir müssen darüber informiert werden, ob die wichtige Bestimmung des Art. 8 der Anlage 8 betreffend Reinhaltung der Saar und ihrer Zuflüsse durchgeführt wird, bevor mit dem Bau des Moselkanals begonnen wird. Wir halten das für sehr wichtig, damit nicht von vornherein eine Verschlammung und Verschmutzung stattfindet, die dort ja heute schon ganz bedenkliche Grade erreicht hat.
Ich verhehle nicht, daß uns aus Baden-Württemberg der Moselkanal noch dadurch besonders schmackhaft geworden ist, daß hinsichtlich des Rheinseitenkanals eine befriedigende Lösung gefunden wurde. Unsere Sorge hierbei ist nur die Abwässerklärung, wenn einmal eine stärkere Industrie am Oberrhein entsteht. Auch darauf wird man das Augenmerk noch besonders zu lenken haben.
Ich möchte noch einiges zu dem Eingliederungsgesetz sagen; denn es ist ja das einzige Gesetz, bei dem wir es in der Hand haben, einzelne Bestimmungen zu ändern. Ihm kommt eine sehr große Bedeutung bei, da von der Bundesregierung selbst darauf hingewiesen wird, daß es ein Muster für die Wiedervereinigung darstellen solle.
Herr Kollege Wehner hat bereits verfassungsrechtliche Fragen angeschnitten. Unsere Fraktion ist ebenfalls der Ansicht, daß diese Fragen geprüft werden müssen. Wir machen der Bundesregierung hier keinen Vorwurf, daß sie anderer Ansicht ist. Sonst hat die Bundesregierung meistens eine unglückliche Hand in der Behandlung des Grundgesetzes gezeigt. Das kann man in diesem Fall nicht sagen. Der Standpunkt, den sie hier vertritt, läßt sich vertreten. Aber wir glauben doch, daß es notwendig ist, sehr genau zu prüfen, ob diese verschiedenen Bestimmungen, vor allem die über die Wahl der Bundestagsabgeordneten für die Übergangszeit, die Ermächtigung, Bundesrecht zu setzen, die Einschränkung der Gewerbefreiheit, vorübergehend ohne Verfassungsänderung geschaffen werden können. Das Argument, das der Herr Bundesinnenminister anführte, daß wir in den letzten Jahren schon soviel an der Verfassung herumgeändert hätten, kann ich nicht gelten lassen. Wir haben das beileibe nicht gern getan, und ich kann dazu nur vorschlagen, z. B. den Art. 79 Abs. 1 Satz 2 und Art. 142 a baldmöglichst im Zuge der Entrümpelung aus dem Grundgesetz zu streichen. Diese Artikel sollten ja damals die Verfassungsmäßigkeit der EVG garantieren und stehen heute im Grundgesetz etwa so wie der Morgensternsche Lattenzaun. bei dem der Architekt den Zwischenraum gestohlen hat.
Auch das Problem der Finanzbeihilfe scheint uns einer genaueren Prüfung wert zu sein. Auch wir sind der Ansicht, daß es hier nicht bei einer KannBestimmung bleiben darf, sondern daß es heißen muß: „Finanzbeihilfe wird vom Bund und von den Ländern gewährt". Das kann selbstverständlich dadurch eingeschränkt werden, daß als Voraussetzung für die Finanzbeihilfe bestimmt wird, daß das Saarland seine eigenen Steuerquellen in genügendem Maße ausschöpft. Aber wenn man bedenkt, welche schweren wirtschaftlichen Aufgaben vor dem Saarland stehen — ich nenne den vorhin von mir erwähnten Investitionsnachholbedarf, Aufgaben im Verkehrswesen. die Belastungen auf dem Gebiet der Kohlewirtschaft —, dann erscheint es ganz selbstverständlich, daß hier nicht nur eine Kann-Bestimmung vorgesehen werden sollte.
Es liegt uns auch sehr daran, daß die saarländischen sozialen Errungenschaften beibehalten werden: hier dürfen wir dieses Wort ja wirklich ohne Anführungszeichen gebrauchen. zu deren Gebrauch wir ja sonst gezwungen sind. Vor allem wird die Angleichung in der Kriegsonferversorgung ein Problem darstellen, da im Saargebiet auf diesem wie auf anderen sozialen Gebieten höhere Leistungen gewährt werden. Im Zusammmenhang damit steht die Frage der Behandlung der öffentlichen Bediensteten, die zum Bund übergehen. Es wird nicht zu verantworten sein, sie schlechter zu stellen als die saarländischen Landesbeamten. Das muß im Eingliederungsgesetz zum Ausdruck kommen.
Der vom Bundesrat vorgeschlagene § 17 a Abs. 3, der sich mit der Zollbehandlung der in das Saargebiet eingeführten französischen Waren befaßt, stößt bei meiner Fraktion auf keine Gegenliebe. Maßgebend für die französischen Lieferungen nach dem Saargebiet ist ja der Umfang, den sie im Jahre 1955 hatten. Die Entwicklung wird aber dahin führen, daß gleichzeitig deutsche Waren in das Saarland strömen, die dort gekauft werden wollen und gekauft werden. Es könnte die Saarwirtschaft nun doch in ganz erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn sie die französischen Waren, die nach
diesem Paragraphen ja im Saarland verbleiben müssen, nicht mehr in genügendem Umfange abnimmt, infolgedessen auch nicht mehr entsprechend nach Frankreich ausführen kann. Wir sollten hier also eine etwas großzügigere und elastischere Regelung finden, die es nicht völlig ausschließt, daß Waren aus dem Saargebiet in das übrige Bundesgebiet fließen. Man sollte sich darauf beschränken, hierbei Mißbräuche zu verhüten.
Ein berechtigtes Anliegen des Saarlandes ist es schließlich, daß die Bestimmungen für die Übergangszeit im Eingliederungsgesetz oder in wirtschaftlichen und finanziellen Eingliederungsmaßnahmen den Bestimmungen des Vertrages angepaßt werden, denn die Übergangszeit ist keine homogene Einheit, sondern sehr wichtige Bestimmungen treten erst im dritten Jahr in Kraft, z. B. der Art. 48 Abs. 4 in Verbindung mit der Anlage 15, wonach alle dort genannten Investitionsgüter erst ab 1. Januar 1959 zollfrei eingeführt werden können. Es besteht die Gefahr, daß, wenn die Übergangszeit kürzer ist als drei Jahre, was ja möglich ist, das Saarland dann eben gerade nicht mehr in den Genuß der Übergangsvergünstigungen dieses letzten, dritten Jahres kommt.
Der Herr Bundesinnenminister hat vorgeschlagen, das Eingliederungsgesetz nicht dem Rechtsausschuß, sondern dem Ausschuß für innere Verwaltung als federführendem Ausschuß zu überweisen. Ich möchte diesem Vorschlag entgegentreten. Gerade die Verfassungsprobleme, die hier aufgetaucht sind, machen es notwendig, daß die Federführung beim Rechtsausschuß liegt.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen, daß ja nicht erst seit Bestehen der Bundesrepublik, sondern auch schon vorher immer die einhellige Meinung zum Ausdruck gebracht wurde, daß das Saargebiet deutsches Land ist. Das kam bereits am 13. September 1946 auf einer Pressekonferenz in Stuttgart zum Ausdruck, die die Ministerpräsidenten Geiler, Hoegner und Maier der damaligen amerikanischen Zone abhielten, wo sie besonderen Wert auf diese Feststellung legten. Später — das darf ich hier auch erwähnen — wurde, nicht zuletzt auf Anregung der heute unserem Hause angehörenden Abgeordneten Frau Hütter, zur Ministerpräsidentenkonferenz des Jahres 1947 die Saarregierung eingeladen.
Über das wesentliche Ziel, das Saargebiet wieder zu einem Teil Deutschlands zu machen, hat es weder in diesem Hause noch außerhalb je einen Streit gegeben. Die Abstimmung vom 23. Oktober 1955 hat für dieses unser gemeinsames Anliegen eine neue Grundlage geschaffen. Die logische Folge davon müßte eigentlich die automatische Rückkehr des Saargebiets gewesen sein. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß praktisch Opfer gebracht werden müssen, und meine Fraktion hat auch schon immer den Standpunkt vertreten, daß wir bereit sind, solche wirtschaftlichen Opfer zu bringen. Es muß auch in vollem Umfange anerkannt werden, daß Frankreich sofort nach der Abstimmung die Konsequenzen gezogen hat und nicht einmal mit dem Gedanken gespielt hat, dieses als möglich erwähnte rechtliche Vakuum eintreten zu lassen.
Wenn die Ablehnung des Saarstatuts damals die Niederlage einer Formel war, die sich mißbräuchlich als europäisch bezeichnete, so kann man sagen, daß der bevorstehende Abschluß dieser Saarverträge zur Verbesserung des durch das Saarproblem bisher belasteten deutsch-französischen Verhältnisses wesentlich beitragen wird und damit auch einen tatsächlichen, praktischen Dienst für Europa leisten wird.