Rede von
Peter
Jacobs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionskollege Wehner hat in seiner ebenso umfassenden wie sachlichen Darlegung zu den Vertragswerken u. a. auch jenen Teilaspekt erwähnt, den kurz im besonderen zu erörtern mir notwendig erscheint. Sein Hinweis, die Beurteilung der Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die das Eingliederungsgesetz bietet, dürfe nicht seine Begrenzung in dem finden, was wir bis zum gegenwärtigen Augenblick noch als das eigentliche Anliegen dieses Gesetzes bezeichnen, scheint mir in der Tat wichtig genug zu sein, um auch im Drang der Eile, in der wir uns nun einmal befinden, noch einmal darauf einzugehen.
Ich glaube, daß auch den Interessen der Saarbevölkerung nicht damit gedient wäre, wenn jetzt als unmittelbare Folge der Eingliederungspolitik und in unmittelbarer Nachbarschaft des Saargebiets ein soziales und wirtschaftliches Vakuum entstünde oder beibehalten bliebe, wie es dann der Fall wäre, wenn im Zuge der neuen Maßnahmen, wie Schiffbarmachung der Mosel, entscheidende — auch wirtschaftliche — Veränderungen in diesem Bereich, also außerhalb des sogenannten Saargebietes, eintreten.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Schiffbarmachung der Mosel für das unmittelbar betroffene Gebiet zunächst nur potentielle Möglichkeiten bietet. Darüber hinaus muß auch einschränkend gesagt werden, daß, wenn diese potentiellen Möglichkeiten einmal zu realen Möglichkeiten werden, diese Realisierung dann auch nur in einem partiellen Bereich möglich ist. Es wird also durchaus nicht so sein, daß mit der Schiffbarmachung der Mosel nun im ganzen Verlauf dieses Flußlaufs Handel und Wandel und die Wirtschaft selber erblühen können.
Wir wissen, daß die Saar u. a. auch einen Anspruch darauf hat, im Rahmen der Rückgliederung jene Verwaltungsinstitutionen wieder zurückzubekommen, die infolge der auch politischen Abtren-
nung jetzt nicht auf ihrem Gebiet sein können. Ich denke dabei an die Eisenbahndirektion, die sich zur Zeit in Trier befindet. Ich bin nicht optimistisch genug, anzunehmen — obwohl ich aus dieser Stadt komme —, daß es überhaupt einen Sinn hätte, beispielsweise für das Verbleiben dieser Institution in Trier einzutreten. Die Verlegung dieser Institution ist ein selbstverständlicher Anspruch, den die Saar hat.
Darüber hinaus ist damit zu rechnen, daß im Zuge der Verwirklichung der notwendigen Eingliederung weitere wirtschaftliche Unternehmungen, auch soweit sie sich in öffentlicher Hand befinden, nicht mehr gehalten werden können. Deshalb geht erneut meine Bitte dahin - ich hatte schon vor einiger Zeit Gelegenheit, eine solche Bitte an die Bundesregierung zu richten —, sich nun endlich ihrer Aufgabe zu erinnern, daß sie eine Grenzlandpolitik zu treiben hat, die ihren Namen auch verdient, und daß sie nicht wie in der Vergangenheit diese Aufgabe denjenigen überläßt, die dazu nicht verpflichtet sind und die auch ganz deutlich die Absicht haben erkennen lassen, daß sie nicht mehr an Stelle der Bundesregierung diese Aufgabe übernehmen wollen. Wenn die Zeitungsnotizen stimmen, dann hat ja der Herr Vizekanzler bei Gelegenheit seines Besuchs in Saarbrücken erklärt, daß auch nach seiner Auffassung ein Investitionsprogramm notwendig sei, das sich nicht streng auf das Gebiet beschränken darf und kann, das jetzt im Zuge der Eingliederung zurückkehrt, sondern dieses Programm muß darüber hinaus auf die benachbarten Kreise und Bezirke eine entsprechende Auswirkung haben. Ich hoffe, daß der Herr Vizekanzler in diesem speziellen Fall unbestritten in der Lage ist, die Meinung des Kabinetts zu vertreten, und ich hätte in diesem Fall eine Garantie dafür, daß das, was ich zu sagen mich bemühe, nicht von vornherein auf taube Ohren trifft.
Wie ist es denn im Hinblick auf die Verhältnisse in der Vergangenheit, auch im Hinblick auf die Tatsache, daß Grenzgebiete von jeher ein besonderes Schicksal haben? Gewiß, der Bundesregierung und den sie tragenden Kräften kann nicht der Vorwurf gemacht werden, hier gewissermaßen als Novum und einmalig eine Politik der historischen Versäumnisse betrieben zu haben. Aber was nützt es uns in der aktuellen Situation, beispielsweise darum zu wissen, daß in meiner Gegend, insbesondere in der Eifel, nach dem einzigen gewonnenen Krieg unserer jüngsten Geschichte nach 1871, als 4 Milliarden Goldfranken in die deutsche Wirtschaft strömten, eine echte Hungersnot geherrscht hat? Es ist von jeher so gewesen, daß im Verfolg der Regelung der Verhältnisse, sei es nach einem gewonnenen oder nach einem verlorenen Krieg, Grenzgebiete nicht immer jene Berücksichtigung gefunden haben, die im Interesse des Ganzen notwendig wäre.
Was würde es uns nützen, wenn beispielsweise das zwischen der Ruhr und der Saar liegende Gebiet ein soziales Wellental würde, das auf die Dauer sicherlich nicht geeignet wäre, eine Politik der Vollbeschäftigung oder eine Politik der relativ guten sozialen Verhältnisse in einigen Teilen auf die Dauer aufrechtzuerhalten? Denn die Gefahr, daß diese Teile eines Tages ein Opfer auch dieses Wellentals würden, ist ohne Zweifel gegeben.
Aber interessant war in dem Zusammenhang die von allen Rednern anerkannte Notwendigkeit, den sozialen Besitzstand an der Saar zu halten, zunächst einmal für die Übergangszeit und, wie man aus den Reden zu einem Teil auch entnehmen konnte, die Erkenntnis der Notwendigkeit, darüber hinaus keine Verschlechterungen eintreten zu lassen. Auch der Aspekt scheint mir interessant zu sein, wie es überhaupt dazu kommen konnte, von einem sozialen Besitzstand an der Saar, den es im Interesse der Bevölkerung zu halten gilt, zu sprechen. Das zeigt doch zum mindesten, daß auf diesem Gebiet unsere sogenannte soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik uns einiges schuldig geblieben ist.
Denn sonst könnten wir ja nicht von der Notwendigkeit der Erhaltung eines sozialen Besitzstandes sprechen. Mir scheint, die beste Politik und damit die beste Garantie, die man den Menschen an der Saar im Hinblick auf einen Teil ihrer besseren sozialen Versorgung geben kann, ist die, bereits heute zu beginnen, auch in der Bundesrepublik jene sozialen Einrichtungen Tatsache werden zu lassen, die in anderen Gebieten des westlichen Europas und nicht nur in unseren von der „sozialen Marktwirtschaft" gesegneten Verhältnissen schon lange Tatsache geworden sind.
Ich habe also das dringende Anliegen, die Bundesregierung und vor allen Dingen die damit beauftragte Verwaltung wissen zu lassen, daß es kein guter Plan wäre, wenn man jetzt die Gelegenheit verabsäumte, eine umfassende Vorsorge für diejenigen Gebiete mit in Erwägung zu ziehen und mit zur Grundlage der notwendigen Konsolidierung zu machen, um die es entscheidend geht. Hier ist eben mit Recht das Stichwort vom Westwall gefallen. Von diesen Segnungen der Vergangenheit haben wir genug, weil wir heute noch darunter leiden. Wir möchten, daß die Grenzaufgabe in Zukunft auch darin gesehen wird, diese Gebiete in jenen wirtschaftlichen Kreislauf einzuschalten und hineinzunehmen, der es ihnen gestattet, einmal von der speziellen. Funktion, die eine Grenzlandbevölkerung nach dieser Richtung hat, absehen zu können. Es wäre sicherlich ein Werk, das sowohl dem zurückgegliederten Saargebiet als allen übrigen Teilen unserer Volkswirtschaft zugute käme, wenn man auch jenen Teil des Memorandums der Saarregierung berücksichtigte, der einen entsprechenden Hinweis auf diese Notwendigkeiten gibt. Ich will gar nicht davon sprechen, welche Verschiebungen und welche naturnotwendigen, auch strukturellen Veränderungen nach einem solchen Eingliederungsakt eintreten, diesmal zufällig an der Saar; morgen kann es irgendwo anders sein.
Ich erinnere daran, daß zur Zeit gewisse Spezialbranchen wie die Textil- und die Schuhindustrie zu einem nicht unerheblichen Teil des Umsatzes im angrenzenden Gebiet ausgesprochene Profiteure der jetzigen Situation sind, ein Zustand, von dem wir hoffen, daß er morgengegenstandslos sein wird. Er unterstreicht aber die Notwendigkeit, wie ich geglaubt habe, sie darstellen zu sollen, noch besonders, das Eingliederungsgesetz in Verbindung mit dem Gesetz über die Schiffbarmachung der Mosel als eine Maßnahme anzusehen, die sich nicht eng auf das begrenzt und eng an das hält, was im Text steht, sondern darüber hinaus auch noch jenen Anteil an Kosten von vornherein vorsieht, der notwendig ist, um nicht immer wieder auch hier in der Politik zu dem Ergebnis zu kommen: Was dein einen sin Ul', is dem andern sin Nachtigall. Wir müssen endlich zu einer Regelung kommen — der
Herr Bundesaußenminister hat heute morgen gesagt, daß eine solche Regelung erstrebt werden müsse —, die nicht des einen Vorteil und des anderen Nachteil ist. Ich bitte das aber nicht nur auf das zwischenstaatliche Verhältnis und das Verhältnis zu Europa zu beziehen. Es muß eine Politik betrieben werden, die durchaus zum Vorteil beider gereichen kann und dabei auch die innenpolitischen Notwendigkeiten in Erwägung zieht.