Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man nach unerfindlichem Ratschluß als fünfter Redner hier zu einem Thema zu sprechen hat, bleibt einem meistens nicht mehr viel Neues zu sagen übrig. Man kann höchstens noch einmal versuchen, dem Thema da oder dort eine andere Seite abzugewinnen.
Aber ein Gutes hat es, wenn man als einer der späteren Redner zu Worte kommt: man kann nämlich aus dem, was vorher schon sehr ausführlich dargelegt worden ist, ein gewisses Fazit ziehen. Wenn ich das als Leitartikler einer Tageszeitung zu tun und eine Überschrift für dieses Fazit zu suchen hätte, dann würde ich darüberschreiben: „Der Wahlkampf ist eröffnet!" Ich würde weiter dazu bemerken, daß diese Eröffnung des Wahlkampfes ein ziemlich makabres Schauspiel war, weil einige der Akteure Geist und Charakter des Stücks völlig verkannt haben. Ich würde ferner schreiben, daß die Leere des Hauses, die seit einiger Zeit festzustellen ist, in einem gewissen Mißverhältnis zur Bedeutung des Themas steht und daß diese Leere darauf zurückzuführen ist, daß es nicht allen zugemutet werden kann, sich einige doch oft bis an die Grenze der Geschmacklosigkeit gehende Wahlreden anzuhören.
Aber de gustibus non est disputandum, und auch ich will es nicht tun.
Der heutige Tag, an dem die fünf Gesetzentwürfe über die Wiedereingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik zur ersten Lesung stehen, hätte uns eigentlich in einer etwas feierlichen Stimmung vereinen sollen.
Es ist das erste Mal seit dem Erlaß ,des Grundgesetzes, daß von der in Art. 23 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, es für einen Teil Deutschlands in Kraft zu setzen, der bisher nicht zu seinem Geltungsbereich gehörte.
Vor allen anderen Überlegungen, die wir als Gesetzgeber mit den uns vorgelegten Regelungen zu verbinden haben, muß daher den Gefühlen Ausdruck gegeben werden, die uns bei diesem Anlaß bewegen: zunächst dem Gefühl der tiefen Dankbarkeit, die auch wir gegenüber den Brüdern und Schwestern an der Saar empfinden, die durch ihr am 23. Oktober 1955 abgegebenes Bekenntnis zu Deutschland diese Rückkehr ihrer Heimat in den deutschen Staatsverband ermöglicht haben; zum zweiten dem hoffnungsfrohen Gefühl. daß dieser Vorgang eine Wende in unserer Geschichte bedeutet, eine Wende insofern, als nach dem Zusammenbruch von 1945 und der Zerreißung unseres Vaterlandes nun die Zusammenfassung der auseinandergerissenen Teile auf friedlichem Wege ihren Anfang nimmt. Wir wollen hoffen. daß dieser Entwicklung in naher Zukunft auch weitere Schritte zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands folgen werden.
Die Freude und die eigentlich von uns erwartete Feierlichkeit dieses Tages sind sehr dadurch getrübt worden, daß einige Redner ausgerechnet diese Gelegenheit dazu benutzen, hier in eine
agitatorische Auseinandersetzung darüber einzutreten, welche Haltung in außenpolitischen Fragen in der Vergangenheit die richtigere gewesen sei. Denn die von uns allen freudig begrüßte Lösung der Saafrage bildet dafür wahrhaftig keinen Prüfstein, es sei denn, daß man ihn als Beweis dafür anzieht, daß nur der frei bekannte Wille zur Zusammengehörigkeit aller Deutschen auch ihre Wiedervereinigung in Freiheit erbringen kann. Es sind doch sehr unterschiedlich gelagerte Verhältnisse, die hier miteinander in Beziehung und Vergleich gesetzt werden, wenn man aus den Voraussetzungen, die zu einer so raschen und begrüßenswerten Verständigung mit Frankreich in der Saarfrage geführt haben, nun glaubt irgendwelche Schlüsse für eine mögliche Lösung der deutschen Frage im Osten ziehen zu können.
Denn die Ordnung der freien Welt, Herr Kollege Rasner, und ihre friedliche Erhaltung beruht doch auf der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, die auch bei der Regelung der Saarfrage eine erfreuliche Bestätigung gefunden hat. Aber so selbstverständlich idies im demokratischen Westen eigentlich sein müßte, so wenig hat sich doch der totalitäre Osten bisher dazu bereit gefunden, wie gerade die Ereignisse in Ungarn erneut bewiesen haben. Eine deutsche Ostpolitik muß daher von anderen Voraussetzungen ausgehen und andere Wege beschreiten, um auch dort zu einer Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts zu gelangen.
Darüber zu diskutieren, meine Damen und Herren, ist aber heute nicht der Ort. Die Gelegenheit dazu war am 8. November gegeben, und ich muß mich eigentlich darüber wundern, daß die CDU, die damals nicht geneigt war, von dieser Gelegenheit ausgiebigen Gebrauch zu machen, heute versucht, diese Debatte, die doch einen ganz anderen Sinn hat, auf das Gebiet der Außenpolitik im allgemeinen auszudehnen. Oder hat vielleicht der Herr Kollege Kiesinger — er ist leider nicht da — das Bedürfnis gehabt, die Rede, die er eigentlich am 8. November hat halten wollen und die er infolge Abwesenheit nicht halten konnte, heute hier nachzuholen?
Dann sei ihm aber noch eins gesagt: Ich hoffe, daß er die Aussichtslosigkeit des Beginnens erkannt hat, gerade um die Saarverträge und um den Abschluß der Saarfrage so viel Nebel abzublasen oder Schaum zu schlagen, daß daraus ,die Seifenblase emporsteigt, daß der Herr Bundeskanzler das Hauptverdienst an der Heimkehr der Saar habe. Diese Seifenblase ist schon in Bochum geplatzt.
Noch ein Wort zur Zerstörung der Legende vom Saar-Vater Adenauer! Herr Kollege Dr. Bucher hat, glaube ich, schon darauf hingewiesen. Es war nicht so, wie Herr Kiesinger hier sagte, daß Bochum nichts anderes gewesen sei als ein Beweis der Loyalität der Bundesregierung gegenüber dem damals abgeschlossenen Saarabkommen und dem Statut, sondern was damals geschehen ist, war ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Statuts.
Aber die erste Lesung von Gesetzen dient ja nach den herkömmlichen Gepflogenheiten dieses Hauses den Fraktionen dazu, ihre allgemeine Stellungnahme dazu vorzutragen
— ja, richtig, und das haben alle getan außer den Vertretern Ihrer Fraktion, Herr Kollege —
und den Grad ihres Einverständnisses mit ihrem Inhalt zu erkennen zu geben. Daran möchte ich mich auch halten. Ich gebe aber zu, daß es etwas schwierig ist, zu internationalen Verträgen mit allgemeinen Ausführungen so Stellung zu nehmen, daß man den Inhalt in vollem Umfange erschöpft; denn sie können ja nur als Ganzes betrachtet und als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. Das verleitet vielleicht dazu, die Gelegenheit zu Ausflügen in allgemeine außenpolitische Betrachtungen zu benützen.
Wenn hier eine außenpolitische Frage zur Diskussion steht, dann ist es einzig und allein die unseres Verhältnisses zu Frankreich. Es hat durch die Lösung der Saarfrage, d. h. durch die Rückkehr der Saar zu Deutschland eine Befriedung und Festigung gefunden, die es durch keine andere Regelung dieser Frage hätte finden können. Es gibt zwischen uns und Frankreich danach keine territorialen Streitfragen mehr; lassen Sie auch mich das unterstreichen, denn ich bin genau wie der Kollege Schneider in einem Land geboren und aufgewachsen, das jahrhundertelang Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich war. Gerade deshalb ist mir ein von allen Belastungen freies Verhältnis zu Frankreich stets ein Herzensanliegen gewesen.
Die Furcht vor einer solchen Belastung hat mich auch entscheidend dazu bestimmt, das seinerzeitige Saarstatut mit der letzten Konsequenz abzulehnen und zu bekämpfen. Denn niemand konnte mit Sicherheit voraussehen, wozu es führen würde. Wenn Herr Kollege Kiesinger von sich behauptet hat, daß er das genau habe sich entwickeln sehen, dann sind wir so frei und offen, zuzugestehen, daß wir uns damals nicht darüber im klaren waren, wie das erste Referendum ausgehen würde. Das konnte auch niemand. Wenn wir geglaubt haben, daß es möglich sein würde, daß sich die Saarbevölkerung unter den gegebenen Umständen und angesicht der Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersah, bei diesem ersten Referendum nicht in der Mehrzahl für eine Ablehnung des Statuts entscheiden würde, dann haben wir ihr sicherlich Unrecht getan, und wir sind auch so frei, das heute ausdrücklich zu gestehen. Aber Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie damals für das Saarstatut eingetreten sind, haben wir nicht Unrecht getan, wenn wir Ihnen unterstellt haben, daß Sie nicht dieses Ergebnis, sondern ein anderes wollten.
Wenn es eines Beweises dafür bedarf, daß diese unsere Haltung durchaus richtig war oder daß sie zumindest richtig sein konnte, dann ist es das Verhalten einiger Ihrer Freunde, die ich jetzt nicht beim Namen nennen möchte — Sie kennen sie alle —, die unsere Auffassung damals geteilt haben. Weil wir eine solche Entwicklung, eine Entwicklung der dauernden Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses durch einen ungelösten Zustand an der Saar verhindern wollten, sind wir heute froh und der Saarbevölkerung dankbar, daß diese Entwicklung nicht eingetreten ist. Aber wir
denken gar nicht daran, diesen Umstand etwa auf unser eigenes Verdienstkonto zu buchen. Wir sind auch bereit, gerade dafür einen Kaufpreis zu zahlen. Ich sage: gerade dafür, weil das der eigentliche Gegenwert ist, der den Kaufpreis in seiner vollen Höhe rechtfertigt. Denn für die Rückkehr der Saar selbst sollte bei voller Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der in seiner Gesamthöhe noch gar nicht abzuschätzende, aber sicher nicht unbeträchtliche Preis kaum gefordert werden dürfen.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß viele Gegner des Saarabkommens seinerzeit erklärt haben, man sollte die Saar mit finanziellen und wirtschaftlichen Konzessionen loskaufen. Auch ich habe das damals in diesem Hause gesagt. Ich habe aber hinzugefügt, der politische und der wirtschaftliche Preis, den uns Frankreich an der Saar bezahlen lassen wolle, sei zusammengerechnet zu hoch. Nun, meine Damen und Herren, politisch haben uns die Saarländer losgekauft. Der wirtschaftliche und finanzielle Preis ist aber keineswegs niedriger, sondern eher noch höher geworden. Trotzdem werden wir ihn bezahlen müssen, eben um das deutsch-französische Verhältnis von allen Belastungen zu befreien. Diese grundsätzliche Bereitschaft braucht uns auch nicht daran zu hindern, an die Regierung im Laufe der Beratungen noch einige Fragen zu stellen, ob diese oder jene Leistung oder Verpflichtung unumgänglich war. Aber das wird Aufgabe der Beratungen und der zweiten Lesung sein. Auch dabei wird sicherlich vieles nicht im vollen Umfang zu klären sein. Den endgültigen Preis werden wir erst im Laufe der Entwicklung erfahren, aus der sich die finanziellen und wirtschaftlichen Lasten ergeben werden.
Wir werden aber auch dann nicht von unserer heutigen Bereitschaft abgehen, die Tragung der Kosten zu bejahen, soweit dies in der Kraft des Bundes liegt. Aber wir wollen dabei auch nicht dahin mißverstanden werden, daß wir etwa der Meinung wären, alle wirtschaftlichen Nachteile, die in der Folge dieser Verträge eintreten oder irgend jemandem entstehen können, müßten vom Bund getragen, müßten dem Bund aufgelastet werden.
Herr Kollege Schneider hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, daß es angesichts des gesamtdeutschen, des nationalpolitischen Erfolges der Rückkehr der Saar sich nicht sehr schön ausnimmt, wenn die Länder versuchen, sich aus ihrer Mitverpflichtung durch Hinweis auf den Art. 109 des Grundgesetzes herauszumogeln. Dasselbe gilt aber auch für die Wirtschaft. Wenn die deutsche Wirtschaft gewisse Nachteile, insbesondere solche, die aus der Schiffbarmachung der Mosel erwachsen werden, zu tragen haben wird, dann scheint uns dies im Interesse der Allgemeinheit und im Hinblick auf den auch wirtschaftlichen Erfolg, den die Wiedereingliederung der Saar bringen wird, wohl zumutbar. Denn auf folgendes darf in diesem Zusammenhang einmal hingewiesen werden. Wir haben politische Geschehnisse hinter uns — in anderen Teilen Deutschlands sehen wir solche sich noch laufend vollziehen —, die Teilen der deutschen Wirtschaft Opfer bis zum letzten abverlangt haben, ohne daß ihnen dafür ein voller Ausgleich oder die volle, uneingeschränkte Möglichkeit gegeben worden wäre, an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der Bundesrepublik teilzunehmen.
Überhaupt wird die Art, wie wir die mit der Annahme und Durchführung dieser Verträge verbundenen Opfer zu bringen verstehen, entscheidende Bedeutung dafür haben, welche Opferbereitschaft wir uns selber und andere uns zutrauen werden, wenn es einmal um die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands geht.
Wenn wir daran denken, müßten uns eigentlich die jetzt geforderten Opfer leicht fallen.
Hier liegt aber auch das politisch-moralische Motiv für die Forderung, daß die Bevölkerung des Saarlandes weder in der Übergangszeit einer deutsch-französischen Zoll- und Währungsunion noch nach dieser Übergangszeit irgendwelche Nachteile erleidet und damit für ihr Bekenntnis zu Deutschland noch bestraft wird. Gewiß, es ist schon in den Verträgen eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, um den Eintritt solcher Folgen zu verhindern. Die Bundesregierung wird auch die Übergangszeit dazu zu benützen haben, um die Vorkehrungen für eine möglichst reibungslose Eingliederung des Saarlandes in das deutsche Wirtschaftsgebiet zu treffen. Aber es handelt sich nicht nur um die Erhaltung des Absatzmarktes für die Saarwirtschaft und die Herstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch um die grundsätzliche Regelung einer Reihe von vor allem sozialpolitischen Fragen, die dem Bund und uns als Bundesgesetzgeber als Aufgabe gestellt sein werden. Es sind vor allem Befürchtungen von Verschlechterungen in dieser Richtung, etwa hinsichtlich der Beamtengehälter und der Löhne, der Kindergeldzahlungen oder der Renten, insbesondere der Kriegsopferrenten, die in der öffentlichen Meinung der Saar die nach dem Ergebnis der Abstimmung eigentlich grotesk anmutende Ansicht haben laut werden lassen, man könnte sich mit der politischen Rückgliederung jetzt ruhig noch etwas mehr Zeit lassen. Wir meinen, man sollte die Entstehung und Ausbreitung solcher Stimmungen durch entsprechende Maßnahmen möglichst rasch verhindern. Man sollte auf Vorschläge Rücksicht nehmen, wie sie uns von der Berufsorganisation des öffentlichen Dienstes an der Saar in diesen Tagen zugegangen sind, und den § 13 des Eingliederungsgesetzes — er ist, glaube ich, schon von einem der Vorredner erwähnt worden — entsprechend ändern, vielleicht auch den § 16, denn hier hat auch der Bundesrat eine Einwendung gemacht. Im Zusammenhang damit kann vielleicht auch den Wünschen, die von der Saar her laut geworden sind, Rechnung getragen werden.
Wir sollten solche Maßnahmen aber nicht nur aus wahltaktischen Überlegungen ergreifen, die anzustellen mir in diesem Zusammenhang verwerflich erscheint, sondern in erster Linie im Hinblick auf den Modellwert, den die Wiedervereinigung mit der Saar für die große Wiedervereinigung haben kann. Wenn wir in diesem Geiste an die Beratungen der Verträge herangehen, wird uns die Zustimmung trotz der Opfer, die sie uns allen auferlegen wird, nicht schwerfallen; denn dann werden wir sie vielleicht in späterer Zeit nicht als einen zu hoch bezahlten Preis werten, sondern als eine Investition, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Früchte getragen hat.