Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir raucht noch ein wenig der Kopf von asiatischen Problemen und von den Wirkungen asiatischen Klimas, und ich hatte nicht die Absicht, an dem ersten Tage, an dem ich wieder hier bin, in die Debatte einzusteigen. Aber die Ausführungen unseres Kollegen Kiesinger haben mich gezwungen, mich doch zu Wort zu melden.
Zunächst einmal muß ich wieder Verwahrung gegen diese Art des Zitierens einlegen, die hier im Bundestag von mancher Seite immer wieder geübt wird. Man pickt aus einem Text einen Satz oder den Teil eines Satzes heraus und läßt das, was diesem Satz seine wahre Bedeutung gibt, einfach weg.
Herr Kiesinger hat aus einem Artikel zitiert, den ich in der Zeitschrift „Außenpolitik" geschrieben habe. Er hat einen Satz richtig zitiert:
Wie in dem Quellenband des Hamburger Völkerrechtlichen Instituts in den Ausführungen von Ministerpräsident Faure bestätigt wird, entriß der Bundeskanzler im Oktober 1954 das zweite Plebiszit den Franzosen als Zugeständnis.
So weit richtig zitiert: das zweite Plebiszit. Aber wenn man diesen Satz zitiert, muß man den unmittelbar folgenden mit zitieren:
Das erste erschien nicht den Franzosen, sondern uns Deutschen gefährlich. Was in der französischen Absicht und derjenigen der frankophilen Parteigänger an der Saar eine Plebiszitierung der Abtrennung von Deutschland werden sollte, verwandelte sich vor den erstaunten Augen der ganzen Welt in ein Plebiszit für die Wiedervereinigung.
Der Herr Bundeskanzler hat, als er den damaligen Saarvertrag unterschrieb, genauso das erste Plebiszit gesehen, wie wir alle es gesehen haben, und er hat keineswegs gewußt, daß sich aus diesem ersten Plebiszit heraus die Wende für das Schicksal der Saar ergeben werde. Wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß niemand von uns das gewußt hat. Wir alle waren uns im unklaren darüber, wie diese kurze Frist der Freiheit, die man für drei Monate und nicht länger zugestehen wollte, auf eine bis dahin einseitig informierte, unterdrückte, gegängelte Bevölkerung wirken würde. Das wußten wir alle nicht. Wenn jemandem ein besonderes Verdienst zukommt, daß diese Gelegenheit so ergriffen wurde, daß sie zum Gegenteil dessen führte, was diejenigen wollten, die das Plebiszit veranstalteten und dem Bundeskanzler als Zugeständnis entrissen — anläßlich der Verhandlungen über die Pariser Verträge —, wenn jemandem ein Verdienst daran zukommt, dann der saarländischen Bevölkerung,
die trotz der energischen und immer wiederholten Einflußnahme von der Bundesregierung her sich nicht unterwarf, die ganze Argumentation des Herrn Bundeskanzlers als falsch erkannte — so, wie wir sie als falsch dargestellt haben —
und die trotz der massiven Drohungen und des massiven politischen Druckes das Saarstatut ablehnte.
Lassen Sie mich auch einmal zitieren, den Herrn Bundeskanzler nämlich, und ich picke nicht einen Satz heraus, sondern zitiere alles, was in diesen Zusammenhang gehört. Bei der CDU-Kundgebung in Bochum hat der Herr Bundeskanzler im September 1955 — es war am 2. September —, nachdem der Abstimmungskampf begonnen hatte, folgendes gesagt:
Nun, da ich von Europa spreche,
— ich zitiere nach dem „Bulletin" der Bundesregierung vom 6. September 1955 —
lassen Sie mich hier in aller Offenheit und mit allem Freimut etwas sagen. Ich bin in großer Sorge wegen der Vorgänge an der Saar.
Ich lasse einige unwesentliche Sätze aus, und dann kommt's:
An die Bevölkerung an der Saar habe ich die herzliche Bitte zu richten: Ich verstehe, daß sie die Regierung Hoffmann nicht mehr will, und ich bin der Auffassung, die Regierung Hoffmann hat im Saargebiet keinen Boden mehr bei der Bevölkerung. Aber der Weg, zu einer anderen Regierung zu kommen, ist gerade, dieses Statut anzunehmen
und dann in der darauf stattfindenden Landtagswahl einen Landtag zu wählen, der in seiner Mehrheit gegen die Regierung Hoffmann gerichtet ist. Wenn man das tut, dann wahrt man gleichzeitig auch die europäischen Interessen, die es nicht vertragen,
usw.
Es gibt noch eine andere Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers kurz vor dem Saarstatut anläßlich der Konferenz in Luxemburg mit dem Chef der französischen Regierung. Ich habe hier die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Oktober 1955 vor mir und zitiere aus dem, was ein Sprecher der Bundesregierung damals gesagt hat:
Der Sprecher gab bekannt, daß der Kanzler dem Kabinett am Donnerstag morgen über Luxemburg berichtet hat, und hob nochmals die Bedeutsamkeit der gemeinsamen Feststellung hervor, daß die politischen Freiheiten gemäß Art. 6 des Statuts auch nach der Annahme des Status weiterhin voll aufrechterhalten blei-
ben. Auf Fragen, ob diese Freiheiten auch bestehen bleiben, wenn das Statut abgelehnt werde, wies der Sprecher darauf hin, daß es sich bei diesen Freiheiten um Elemente des Statuts handele, die entfielen, wenn das Statut nicht Wirklichkeit würde.
Die Bundesregierung hat damals indirekt gedroht; sie hat der Bevölkerung an der Saar gesagt: Wenn ihr Freiheit wollt, müßt ihr das Statut annehmen. Wenn ihr es ablehnt, bedeutet das Rückkehr zum Status quo.
Das hat die Bundesregierung nicht einmal in gutem Glauben getan;
sie wußte, — — Ich bedaure, das sagen zu müssen, Herr Kiesinger, Sie wissen, ich wäge meine Worte. Sie hat es nicht einmal in gutem Glauben getan, denn sie wußte, daß in jenem Statut die politischen Freiheiten nach dem Text, so wie er stand, und nach den Absichten der Vertragspartner nach diesen drei Monaten wieder aufhören sollten; sonst hätte man sie ja auch nicht auf drei Monate zu begrenzen brauchen. Und sie wußte ebenfalls, daß gerade die Ablehnung des Statuts eine politische Lage schaffen würde, der die französische Regierung nicht anders Rechnung tragen konnte als dadurch, daß sie wieder Verhandlungen, diesmal auf veränderter Grundlage, aufnehmen mußte.
Sie sagen, Herr Kiesinger: nun, was konnte der Herr Bundeskanzler anders tun, als die Saarbevölkerung auffordern, dem Statut, das er unterschrieben hatte, zuzustimmen. Ich würde mit Ihnen übereinstimmen, wenn Sie es negativ ausdrückten und sagten: Konnte der Herr Bundeskanzler die Saarbevölkerung auffordern, das Statut abzulehnen? Nein, er konnte es nicht, und wenn er sich mit Schweigen begnügt hätte, dann unterläge er heute nicht unserer Kritik. Er hat aber nicht geschwiegen, und wenn er nicht geschwiegen und Einfluß auf einen anderen Ausgang des Plebiszits genommen hat als den, der uns heute in die glückliche Lage versetzt, über die Heimkehr des Saargebiets zu verhandeln, wenn er Einfluß im entgegengesetzten Sinne genommen hat, so ist das nicht zuletzt auch von Ihnen kritisiert worden. Ich weiß doch, wie es in Ihrer Partei zu jener Zeit hergegangen ist und welch schwerer Kritik sich Ihr Parteichef bei Ihnen selbst ausgesetzt hat, als er sich während dieses Kampfes entgegen dem deutschen Interesse und entgegen einem gesunden und elementaren patriotischen Gefühl der Saarbevölkerung entgegenstellte. Das Statut hatte die Abtrennung zum Ziel, nicht strikt notwendigerweise zum Erfolg. Die Saarbevölkerung nutzte in einem großen Elan die Freiheit, um den Weg der Wiedervereinigung zu bereiten. Es ist nötig, diese Dinge klarzustellen, um der Legendenbildung entgegenzuwirken.
Nein, es ist nicht so, daß die Politik des Herrn Bundeskanzlers die Lage herbeigeführt hat, in der die heutigen Verträge möglich geworden sind. Die Politik des Herrn Bundeskanzlers war richtig unter der Voraussetzung und der Bedingung, daß die Saarbevölkerung nicht auf den Herrn Bundeskanzler hörte und ihm die schneidende Absage des 23. Oktober 1955 erteilte. Unter der Bedingung war sie richtig. Mir fiel da Goethe ein. Da war der Herr
Bundeskanzler, wie es im Faust heißt, ein Teil der Kraft, die das Böse will und das Gute schafft.
Ich habe auch an Hegel denken müssen, da wir nunmehr in Philosophie und Literatur sind, der bekanntlich die Geschichte als Entwicklung zur Freiheit darstellt und sagt: Der Weltgeist, der diese Entwicklung leitet. bedient sich manchmal sonderbarer Mittel, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er bedient sich auch der List. Und wenn Hegel das erlebt hätte, — —
— Ja, die List der Idee, richtig! Und das war eine List der Idee, nicht eine List des Herrn Bundeskanzlers, und ich möchte jedem abraten, es so darzustellen; dann wäre nämlich der Herr Bundeskanzler schlechtgläubig gewesen, als er seine Unterschrift unter jenen Vertrag setzte. Es war die List der Idee.
— Der Idee der Freiheit, Herr Kiesinger!
So ist das zustande gekommen, was heute vor uns liegt. Eine Bedingung, und zwar die wesentlichste Bedingung dafür war aber, daß die Saarbevölkerung ihren Freiheitskampf nicht in der Vereinsamung führen mußte, sondern daß sie das Gefühl hatte, daß wenigstens die Opposition auf ihrer Seite stand, wenn sie sich von der Regierung verlassen fühlte. Und Sie wissen es sehr genau, wie oft sie sich verlassen gefühlt hat.
Wenn ich heute in den Zeitungen lese, daß der Herr Bundeskanzler demnächst einen Besuch im Saargebiet machen will, darf ich hier bescheiden meinen Rat unterbreiten, doch damit noch etwas zu warten, bis ein wenig Gras über diese vergangene Saarpolitik des Herrn Bundeskanzlers gewachsen ist.
— Ja gewiß, das überlasse ich gern den Landsleuten an der Saar.
— Einigen wir uns so, Herr Kiesinger: Machen Sie vorher sorgfältig nach Gallup-Methoden eine Umfrage in der Saarbevölkerung!
Es ist Ihnen sicher bekannt, daß der Herr Bundeskanzler im Saargebiet keine sehr populäre Person ist. Das werden Sie nicht bestreiten.
Meine Damen und Herren, Herr Kiesinger hat gemeint, wir Sozialdemokraten hätten in der Isolierung gekämpft, und mit unserer Art, die Dinge anzupacken, wäre nie das Resultat zustande gekommen, vor dem wir heute stehen. Er hat bei dieser Gelegenheit vor allem vom Straßburger
Europarat gesprochen. Herr Kiesinger, ich glaube nicht, daß es ein Ruhmesblatt für Ihre Partei ist, wie Sie sich da manchmal in Straßburg verhalten haben.
Ich bin davon überzeugt, daß es für Sie nicht von Vorteil ist, diese Geschehnisse in Straßburg im einzelnen zu durchleuchten. Als Herr Naters jenen Plan vorlegte, in dem die endgültige Abtrennung des Saargebietes vorgesehen war, und dieser Plan im Ausschuß zur Abstimmung kam — im Plenum ist bekanntlich nie darüber abgestimmt worden —, da gab es nur eine Stimme gegen diesen Plan der dauernden Abtrennung; das war eine sozialdemokratische;
und es gab eine deutsche Ja-Stimme zu diesem Plan,
und das war die Stimme des CDU-Vertreters in diesem Ausschuß.
— Richtig, will ich Ihnen gern konzedieren, Herr Kiesinger, das war zu der Zeit der Pläne mit der politischen Gemeinschaft. Aber auch da haben Sie ja selbst mit diesen Dingen die größten Kopfschmerzen gehabt. Sie wissen wohl, daß Sie sich damals in Wirklichkeit gegen bessere Überzeugung der Macht der anderen Seite und dem massiven Streben, in diesem Fall der Siegermächte und ihrer Verbündeten, unterworfen
und einer Politik zugestimmt haben, die recht uneuropäisch konzipiert war, sowohl was die Staatenordnung, was die Selbstbestimmung als auch was die demokratischen Freiheitsrechte angeht.
Sehen Sie, wir Sozialdemokraten sind zu unserem Schmerz, muß ich sagen, manchmal in der Lage gewesen, isoliert zu sein. Ja, wir waren isoliert auf den guten Grundsätzen, die uns eigentlich allen gemeinsam sind, auf den guten Grundsätzen, nach denen man europäische Politik nicht mit JaltaKonzeption machen kann. Wir haben uns nicht gescheut und haben es auf uns genommen — glauben Sie, daß es uns nicht angenehm war im Europarat und auch sonst in der Welt, auch in der Sozialistischen Internationale gegenüber unseren eigenen politischen Freunden —, diesen Kampf um die besseren Grundsätze, die uns allen gemeinsam sind, zu führen, auch dann, wenn wir damit alleine blieben.
Und, Herr Kiesinger, was wir da getan haben, das werden wir in jedem ähnlichen Fall wieder tun. Wir werden zu diesen Grundsätzen, die eine bessere Zukunft für Europa garantieren, immer stehen, auch dann, wenn Sie mit den anderen stimmen.
Wenn wir damals den Kampf führten und dabei vielleicht manchmal auch ein wenig erbittert und verbittert waren, dann haben wir niemals vergessen, daß man in der harten politischen Wirklichkeit diese Prinzipien nicht durchsetzen kann, indem man auf den Tisch klopft und sagt: „Unser Recht! Ihr müßt herausgeben, was Ihr zu Unrecht genommen habt, und damit Schluß!", wie der Herr Bundeskanzler es hier einmal gegenüber den Russen in bezug auf die Wiedervereinigung getan hat.
Wir haben immer gesagt: mit einem Nachbarn, mit dem wir in Frieden und Freundschaft leben wollen, muß man anders reden. Auch dann, wenn man fühlt, daß man in der Sache, die man vertritt, ganz und gar recht hat, muß man den Realitäten Rechnung tragen und zu erkennen geben, daß man nicht nur fordert, sondern daß man auch zu geben bereit ist und daß man die Lösung politischer Probleme im Ausgleich sieht und nicht allein im Kampf, — auch im Kampf, aber nicht allein im Kampf!
Deshalb sind wir die ersten gewesen, die von diesem Ausgleich, von diesen Konzessionen politischer und vor allem wirtschaftlicher Art an Frankreich gesprochen haben. Deshalb hat es auf unserer Seite die wenigsten Schwierigkeiten gegeben, als bei diesen Verhandlungen die schweren Opfer gefordert wurden, denen wir hier zustimmen werden: Moselkanal, Warndt und manches andere. Wir sind auch dann wieder zu unseren Grundsätzen gestanden, als es zum Pfeifen kam, als es nicht genügte, den Mund zu spitzen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht und diese Konzessionen abgelehnt im Hinblick darauf, daß sich die Saarbevölkerung so klar zu Deutschland bekannt hat. Wir sind vielmehr der Meinung — und nicht nur in diesem Falle, Herr Kiesinger —, daß es anderen Staaten gegenüber, die Großmächte sind, nicht genügt, zu fordern und recht zu haben, sondern mit Großmächten ist nur zu verhandeln, wenn man zum Ausgleich bereit ist, es sei denn, man hat eine Verteidigungsv ehr, die man einsetzen wollte und die in der Lage wäre, das, was man zu Recht zu fordern hat, auch mit Gewalt zu holen. Aber ich weiß, daß Sie das ja nicht wollen.
— Ich unterstelle es zu Ihren Gunsten, Herr Kiesinger. Sie haben häufig gesagt, daß kein Ziel unserer Politik mit Waffengewalt zu verwirklichen sei.
— Was, Sie sind anderen Sinnes geworden? Das glaube ich nicht.
— Sie haben mich mißverstanden.
Wenn das nicht geht, muß man sehen, wo der Ausgleich liegt. An dem Saarvertrag könnte man für die Wiedervereinigungspolitik auch in östlicher Richtung so manches deduzieren.
Sie haben es für nötig gehalten, Herr Kiesinger, hier wieder von der Verteidigungswehr zu sprechen und davon, wie nötig und nützlich sie für die Wiedervereinigung usw. wäre.
Wir können die Debatte darüber hier nicht ausdehnen. Aber eine Frage, Herr Kiesinger: glauben Sie, daß die Saar jetzt zu uns zurückkäme, wenn wir Frankreich gegenüber eine Politik gemacht hätten, wie Sie sie für die Wiedervereinigung dem Osten gegenüber machen?
Ist es nicht richtig, was Ihre Redner hier gesagt haben: daß man, wenn man so etwas will, mit dem Staat, der das geben soll, was man will, in freundschaftlicher Beziehung leben muß? Ist das nicht eine Voraussetzung? Ist nicht die Politik, die Sie nach Osten hin geführt haben, das genaue Gegenteil von dem, was nötig ist, um eine Situation herbeizuführen, in der solch ein Saarvertrag möglich wird?
Wir können heute keine allgemeine außenpolitische Debatte machen. Wir bedauern, daß es in dieser Debatte so gelaufen ist, daß möglichst alle Probleme, die heute vor uns stehen, zur Erörterung kommen.
Sie haben auch wieder über Ungarn gesprochen.
Wir glauben, daß man darüber besser in einer besonderen Debatte sprechen sollte. In diesem so erstaunlich heroischen Kampf der Ungarn, in seinem Verlauf und in seinem tragischen Ausgang stecken so viele Lehren für unsere Politik, daß es sich lohnt, einmal im einzelnen darüber zu sprechen.
In bezug auf diesen Saarvertrag lassen Sie mich eins sagen, was mir als Gedanke kommt, wenn Sie über Ungarn sprechen: Unsere Saarbevölkerung hat nicht nur gekämpft, sondern sie hat auch weise und mit Beschränkung, mit Selbstzucht und Selbstbeschränkung gekämpft. Als am 23. Oktober 1955 abgestimmt wurde und die Welt schon erwartete, daß es schlecht für die Veranstalter der Abstimmung ausgehen würde, standen französische Truppen und französische Gendarmerie ringsum an der Saargrenze bereit, einzumarschieren, wenn auch nur das geringste passierte und es ist der Weisheit der Saarbevölkerung und auch, glaube ich, soweit sie erbeten wurden, den ruhigen guten Ratschlägen, die von uns gegeben wurden, zu verdanken, wenn niemandem nach diesem gewaltigen Sieg an der Saar ein Haar gekrümmt worden ist und wenn jeder Anlaß zur Anwendung von Gewalt vermieden worden ist. Ich glaube, das muß man auch sehen, wenn man über die Gründe und Ursachen philosophiert, die zu dem heutigen Resultat geführt haben, daß man hier in jeder Hinsicht respektiert hat, daß auf der anderen Seite eine empfindliche Großmacht steht, mit deren Interessen nicht nur, sondern auch mit deren Gefühlen man rechnen muß, die man in seine Gesamtplanung einsetzen muß, wenn man eine Aktion zum guten Ende führen will. Der Kampf allein genügt nicht; man bedarf auch der sicheren politischen Zielsetzung und Führung.
Es wäre besser gewesen, wenn wir uns heute, statt uns in der Polemik entgegenzutreten, in der gemeinsamen Freude darüber gefunden hätten,
daß hier eine Million Deutscher zu uns heimkehrt und in Frieden und Freiheit in Zukunft in dem gemeinsamen Vaterland leben wird,
und auch in der Freude darüber, daß wir es in
Zukunft leichter haben werden, mit unseren französischen Nachbarn in besten Beziehungen zu leben.
Das wünschen wir alle, Herr Kiesinger. Sie haben
geglaubt, da die SPD als eine Partei apostrophieren zu müssen, die sich mit Frankreich in der Vergangenheit sehr verzankt habe.
— Ja, das haben wir, Herr Kiesinger. Wir haben uns auch mit einer deutschen Regierung verzankt, wenn da das Recht mit Füßen getreten wird,
und das werden wir immer wieder tun, gegenüber einer deutschen, einer französischen und einer russischen Regierung.
— Ja, Herr Kiesinger, und da liegt auch in diesem Falle die Grenze des Entgegenkommens und des Ausgleichens. In diesem Punkte der Freiheit und der Unabhängigkeit gibt es kein Entgegenkommen,
auch dann nicht, wenn das Behaupten dieser Prinzipien im Augenblick bedeutet, daß ein Ziel nicht erreicht werden kann.
Vergessen Sie aber nicht die andere Seite: daß neben dem Kampf für diese Prinzipien auch der Wille zum Ausgleich und zur Verständigung stehen muß! Heute sind wir in der glücklichen Lage, das Frankreich gegenüber erreicht zu haben, und das Verhältnis der Sozialdemokratie zu Frankreich im allgemeinen und der französischen Partei im besonderen hatte sich ungeheuer gebessert. Leider sind neue Ereignisse eingetreten, wo wir wieder mit dem Kopf schütteln und leider wieder Auseinandersetzungen auf uns nehmen müssen.
Aber, meine Damen und Herren, Politik ist keine Beschäftigung mit dem Erreichten, sondern vor allem immer wieder eine Aufgabe: was ist jetzt zu tun? In Ihren Erklärungen haben wir das vermißt. Es war dem Sprecher unserer Fraktion, meinem Freunde Wehner, vorbehalten, da ein Programm zu entwickeln.
— Freut mich, wenn es noch kommt, und noch mehr würde es mich freuen, wenn wir uns dann in diesem Punkte einig sind.
Wir müssen klarstellen, daß durch diesen Vertrag an der Saar selbst niemand einer Gefahr und niemand einer Verfolgung, auch nicht der geringsten Verfolgung und Schädigung ausgesetzt werden wird. Je großzügiger man gegenüber besiegten politischen Gegnern ist, um so besser ist es für das Resultat, das man erreichen will. Wir werden sicherstellen müssen — das ist schon wiederholt worden, aber es muß jetzt auch durch Taten verwirklicht werden —, daß keiner über sozialen Rückschritt anläßlich der Wiedervereinigung wird klagen können. Wir müssen sicherstellen — und die nötigen Opfer zu bringen bereit sein! —, daß dieser wirtschaftliche Aufstieg kommt und aus allem sich dann ergibt, daß die Wiedervereinigung für diese Million nur Gutes mit sich bringt und daß in dem Echo, das sie im deutschen Volke und in der Welt findet, ein großer Anreiz und Antrieb für die 17 Millionen gegeben ist, die auf den Tag warten, an dem die Wiedervereinigung dort zustande kommen wird. Man unterschätze die Bedeutung des Präzedenzfalles nicht! Hier können wir der deutschen Bevölkerung und auch der anderen beteiligten Großmacht gegenüber den guten Präzedenzfall schaffen, der allen Beteiligten sagt, daß in einem solchen Arrangement niemand ver-
liert, sondern daß wir alle die Gewinner sein werden.
Es gibt viele Voraussetzungen für die Wiedervereinigung. Es gab sie hier an der Saar, und es gibt sie auch für den größeren Teil der Aufgabe der Wiedervereinigung. Sehr wichtig, entscheidend wichtig wird immer wieder das Verhältnis zu der Macht sein, die es in der Hand hat, ja zu sagen zu dieser Wiedervereinigung oder nein zu sagen. Aber, wie wir gerade in diesem Fall der Saar ge- sehen haben, die deutsche Bevölkerung selbst ist der entscheidendste Faktor. Wir müssen uns immer so verhalten, daß die Sehnsucht nach Frieden und Einheit in Freiheit nie enttäuscht wird und nie erstirbt. Wir müssen uns so verhalten, daß jede Großmacht auf Sand baut, die ihre Zukunft auf der Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands aufbaut, und wir müssen durch unsere Taten zeigen, daß alle, auch diese bisher die Teilung aufrechterhaltende Großmacht, mit der Zustimmung zu der Einheit in Freiheit nur zu gewinnen haben.