Rede von
Hanns
Schloß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist auf den Tag genau zehn Jahre her, daß ich die Ehre hatte, in dem damaligen württembergisch-badischen Landtag auch zu einer Kohlendebatte für meine Fraktion reden zu dürfen. Ich habe heute bei dieser Diskussion im wohlgeheizten Plenarsaal des Deutschen Bundestages lebhaft an diesen Tag denken müssen. Damals saßen wir in Mäntel gehüllt im kalten Saal eines Krankenhauses in Stuttgart, um die Dinge zu beraten. In der dortigen Regierung saßen Kommunisten, CDU und Sozialdemokraten mit uns zusammen, und wir haben unter dem Druck der Not, die wir alle spürten und die uns von der Straße aus anstarrte, sehr vernünftige Maßnahmen gefunden und haben den damaligen Notstand gerecht zu verteilen gesucht. Meine Damen und Herren, nehmen Sie es mir nicht übel: bei der heutigen Debatte hat man streckenweise das Gefühl, daß man, je geringer die Not einen eigentlich drückt, um so leidenschaftlicher und heftiger um die letzten Mängel und um die letzte Perfektion kämpft.
Die Anklagen, die hier stellenweise gegen die Regierung, stellenweise gegen die Kohlenwirtschaft erhoben wurden, sind teilweise an ganz falsche Stellen gerichtet worden. Ich muß nachdrücklich sagen, daß ich vielfach den Kohlenhandel und die Kohlenwirtschaft gern dort angesprochen gesehen hätte, wo man praktisch die Regierung zitiert hat, und auch umgekehrt. Meine Damen und Herren, Sie sind mit einer Masse von Zahlen gefüttert worden, Sie haben ein Kolloquium über die Kohlenwirtschaft gehört, wie man es in besserer Vollendung nicht hören konnte. Ich will Sie nicht mit Zahlen behelligen; aber um die Debatte wieder einmal auf die volkswirtschaftliche und nicht die parteipolitische Ebene zu heben, möchte ich sagen: die erschütterndste Zahl, die uns Abgeordneten dieses Hauses am meisten zu denken geben sollte, ist doch die, daß die Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1955 ein Energieeinfuhrland geworden ist, während sie in ihrer ganzen Geschichte ein Energieausfuhrland war. Im Jahre 1954 hatten wir beispielsweise noch eine Ausfuhr an Energie von etwa 9,5 Millionen t Steinkohleneinheiten, während wir im Jahre 1955 mit 4 Millionen t Steinkohleneinheiten passiv geworden sind, und das, obwohl in unserem Boden Kohlenvorräte für etwa 400 Jahre lagern. D a s ist doch das Problem, vor das wir gestellt sind und mit dem wir uns auf volkswirtschaftlicher Ebene befassen müssen. Dabei ist ganz gleichgültig, ob die Witwe Bolte in München, weil sie nur ein Zimmer hat und im Sommer ihre Union-Briketts nicht einlagern konnte, als ihr Kohlenhändler sie ihr anbot, jetzt sagt: ich stehe vor dem Nichts, ich habe keine Kohlen. Meine Damen und Herren, überschätzen Sie die Einzelsymptome der Unzufriedenheit in der Verteilung da und dort nicht! Der Kohlenhandel ist nicht vollkommen und nicht vollendet. Viele Dinge gehen nicht den geraden Weg. Das gibt es in anderen Branchen auch. Aber es sind auch so viele menschliche Unvollkommenheiten zu überwinden, die gar nichts mit dem bösen Willen der Kohlenhändler oder der Kohlenwirtschaft zu tun haben und die auch durchaus nichts mit einem Versagen der Regierungsstellen zu tun haben.
Wenn beispielsweise Herr Kollege Deist, dessen Ausführungen auf so beachtlicher Höhe standen, davon sprach, daß eine Frau irgendwo einen Brenner habe, mit dem sie eben nur Union-Briketts brennen könne, und sie könne diese Briketts nicht bekommen, dann muß ich Ihnen allerdings sagen: hier hat der Kohlenhandel seit Jahr und Tag die jeweilige Situation in Rundschreiben an seine Kunden, bis zum kleinsten Händler herunter, geschildert, und jedem war die Möglichkeit gegeben, sich an die Brennstoffsituation anzupassen. Es lag nicht in unserem Belieben, die Herstellung von Union-Briketts an den jederzeitigen Bedarf anzupassen.
Was ist eigentlich aus der heutigen Debatte herausgekommen? Wir sind uns über eine ganze Reihe von Maßnahmen auf allen Seiten des Hauses einig. Herr Deist hat selbst ausgesprochen, daß er der Überzeugung ist, daß die Kohlenwirtschaft zur Durchführung ihrer großen Aufgaben, die die zukünftige Sicherung des wachsenden Energiebedarfes betreffen, starker Kredite bedürfe. Er sprach sogar davon, daß öffentliche Kredite in Frage kämen. Wir sind uns darüber einig, daß dem Bergarbeiter als dem wichtigsten Produktionsfaktor an der Ruhr eine ganz bedeutende Sonderstellung eingeräumt werden muß. Hier sind Maßnahmen, wie der Bergarbeiterwohnungsbau sie bringen soll und wie das Prämiengesetz sie gebracht hat, gute Anfänge. Wir sind uns darüber einig, daß diese Maßnahmen rasch getroffen werden müssen, um einen künftig viel größer werdenden Engpaß in der Energieversorgung zu vermeiden. Meine Damen und Herren, warum streiten wir uns dann eigentlich noch? Wir streiten uns im wesentlichen darum, daß das Mißtrauen zwischen gewissen Gruppen nicht aus der Welt zu schaffen ist. Es spukt noch so etwas wie
das Gespenst des alten Kohlen- oder Schlotbarons unter uns, das in Wirklichkeit gar nicht mehr existiert.
Wenn beispielsweise gesagt wird, die Zechen an der Ruhr seien zersplittert, es gebe jetzt 150 bis 160 kleinere Zechen, und das sei doch kein Zustand, dann muß ich Ihnen allerdings sagen: Sie hätten ehrlich sagen müssen, Herr Kollege, daß dieser Zustand ja durch die Dekartellisierung der Alliierten künstlich gefördert worden ist. Er ist durchaus nicht das Ideal der Kohlenwirtschaft an der Ruhr. Wenn die Dinge umgekehrt wären, Herr Kollege Deist, wenn all diese kleinen Gesellschaften bei den großen unterkröchen oder von den großen aufgenommen würden, kämen dann nicht aus Ihrem Lager die Kassandrarufe: Hier bildet sich wieder eine monopolistische Macht, der wir mit allen Mitteln widerstreben müssen!? Wie man es auch macht, ist es also verkehrt. Es gäbe nur eine Möglichkeit für uns: uns auf die sachlich erkennbaren Tatsachen zurückzuziehen und gemeinsam zu sehen, was sich auf der politischen Ebene tun läßt.
Sie kommen nun zunächst mit einem Enquetegesetz und sagen: Mit den Ermittlungen, die wir da anstellen wollen, können wir uns Unterlagen schaffen für ein künftiges planmäßiges politisches Handeln. Zugegeben: wenn dieser Gedanke der einzige Leitgedanke ist, den Sie bei dem Enquetegesetz haben — ich fürchte, Sie haben noch andere Gedanken dabei —, dann ist dagegen nicht viel zu sagen. Sie haben aber wohlweislich von vornherein unsere Hauptargumente zurückzuweisen versucht, indem Sie sagten: Sie werden sagen, sechs Enqueten sind bereits gewesen, der Kohlenbergbau ist durchleuchtet wie kein Wirtschaftszweig; aber wir haben noch ganz spezielle Anliegen; wie wollen ganz bestimmte Dinge wissen, weil ja auch der Kohlenbergbau Forderungen an den Staat stellt. Ich bin mit allen Rednern der Überzeugung, daß jeder, der Forderungen an den Staat stellt, auch die Verpflichtung hat, nachzuweisen, ob diese Forderungen berechtigt sind. Der Kohlenbergbau und die Wirtschaftsverbände, die mit ihm zusammenarbeiten, sind verpflichtet, den Nachweis zu führen, welche Investitionsbedürfnisse bestehen und welche gesetzlichen Maßnahmen den Kohlenbergbau in den Stand setzen sollen, seine volkswirtschaftlichen Verpflichtungen für die nächsten Jahrzehnte zu erfüllen. Herr Kollege Friedensburg sagte vorhin, es sei möglich, der Einsetzung einer solchen Enquetekommission zuzustimmen. Das mag für die CDU zutreffen. Meine Freunde sind jedenfalls der Meinung, daß eine solche Kommission nicht notwendig ist. Sie ist kostspielig, sie ist erfahrungsgemäß handlungsunfähig, ihre Zusammensetzung wird ausgeknobelt. Es ist ein Spiel, das, ich möchte fast sagen, Wochen verschlingt, bis jedermann ausgeknobelt ist, der zu jeder Interessengruppe paßt. Wir versprechen uns davon nichts.
Hingegen ist der andere Vorschlag des gleichen Kollegen, die bestehenden Verbände heranzuziehen, durchaus richtig, wobei ich unter den bestehenden Verbänden auch die Ihnen nahestehenden Gewerkschaften verstehen möchte. Sie haben dann die Möglichkeit, Ihre infolge des Mitbestimmungsrechts in der Montanindustrie ausgezeichnet informierten Vertreter in den Aufsichtsräten für Ihre Informationen heranzuziehen. Ich sehe nicht ein, daß hier ganz neue Schnüffelkommissionen und neue Positionen geschaffen werden müssen, um den Dingen den gewünschten Dreh zu geben.
Ich habe aber das Gefühl, daß Ihnen der ganze Wirbel, den Sie heute um die Kohlenpreisgestaltung gemacht haben, der ganze Wirbel, den Sie um die angebliche Mangellage angestellt haben, in Wirklichkeit nur dazu dienen soll — es ist ein politischer Stil, der von allen Parteien geübt wird; ich nehme meine davon nicht aus —, Ihr echtes Ziel zu verschleiern. Sie haben sich in Ihrem Parteiprogramm vorgenommen, die Grundstoffindustrien zu verstaatlichen. Auf diesem Wege wollen Sie mit dem Enquetegesetz und mit der Behandlung, die die ganze Kohlenfrage heute im Hause durch Sie erfahren hat, einen Schritt weitergehen. Ich darf dazu nur sagen: Ohne uns!