Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Volkspartei möchte ich unserer tiefen Genugtuung Ausdruck geben, daß wir heute den Tag erreicht haben, an ,dem zum ersten Male ein Vertragswerk zur Debatte steht, das darin kulminiert: Die Saar wird am 1. Januar 1957 in den Bereich der Bundesrepublik eingegliedert.
Wir begrüßen dieses aus einer Reihe wichtiger Verträge bestehende Vertragswerk in seiner Gesamtheit unter fünf großen politischen Gesichtspunkten.
Zum ersten. Mit der politischen Lösung der Saarfrage in dem Sinne, daß die Saar in die Bundesrepublik eingegliedert wird — womit die einzige Lösung gefunden wurde, die auch eine gute europäische Lösung ist —, ist nicht nur das letzte territoriale Problem zwischen Deutschland und Frankreich bereinigt — das wurde schon gesagt —, sondern durch die Verträge über die Schiffbarmachung der Mosel und den Ausbau des Oberrheins tritt eine endgültige Entspannung in allen grenznachbarlichen Problemen auf der Gesamtlänge der deutsch-französischen Grenze von Basel bis an die Südspitze Luxemburgs ein. Es darf in seiner Bedeutung nicht übersehen werden, daß hinsichtlich der zukünftigen Behandlung nicht nur der territorialen Streitfrage Saar, sondern aller grenznachbarlichen Fragen entlang der gesamten Grenze durch diese Verträge das Kooperationsprinzip, das Prinzip der guten freundschaftlichen Zusammenarbeit sichergestellt und für alle Zukunft verankert ist.
Das ist der erste Gesichtspunkt, unter dem wir die Vertragswerke betrachten.
Der zweite Gesichtspunkt ergibt sich unmittelbar daraus, daß die Verträge die wichtigste Voraussetzung für die gedeihliche Weiterentwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses darstellen. Ich möchte sagen, daß mit diesen Verträgen nicht für eine kurze Zeit deutscher und französischer Politik, sondern für eine lange Epoche die ,deutschfranzösische Freundschaft sichergestellt ist, während bisher gerade die Saarfrage mit all dem, was ebenfalls nicht gelöst ,war — dem französischen Verlangen nach der Moselkanalisierung, dem deutschen Verlangen nach Unterbleiben des Seitenkanals am Oberrhein —, die Bemühungen beider Regierungen und aller besonnenen politischen Kräfte in beiden Ländern gefährdete, soweit sie sich auf eine Konsolidierung Europas richteten.
Das dritte wesentliche Moment sehen wir darin, daß die deutsch-französische Freundschaft, die wir jetzt als sichergestellt ansehen, der Eckpfeiler der Integration Europas ist und daß gerade durch diese Verträge die besten Aussichten auf den Erfolg der weiteren Bemühungen aller europäischen Staaten eröffnet werden, nun über die Ausdehnung des gemeinsamen Marktes und über die Verwirklichung von Euratom zu einer europäischen Integration im ganz umfassenden Sinne zu gelangen.
Daraus ergibt sich als viertes ausschlaggebendes politisches Moment die Verstärkung der Sicherheit im gesamteuropäischen Bereich gegenüber allen gerade in der Gegenwart so sehr in Erscheinung tretenden Gefahren aus dem Osten. Es ist wie ein symbolisches Zusammentreffen, an und für sich zwar ein zeitliches Zusammenfallen, aber ein Zusammenfallen von tieferer symbolischer Bedeutung, daß, während im Bereich der sowjetischen Herrschaft in Europa Freiheitsaufstände europäischer Völker blutig niedergeschlagen werden, hier in dem Europa außerhalb des sowjetischen Machtbereichs ein Vertragswerk wie die deutsch-französischen Verträge vom 27. Oktober zum entscheidenden Abschluß gebracht wird. Wir glauben, daß nichts Besseres geschehen konnte zur Demonstration dessen, was die europäischen Völker und ihre Regierungen außerhalb des sowjetischen Machtbereichs bewegt, als diese deutsch-französische Einigung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker und des Bemühens, alle Fragen friedlich in Kompromissen zu regeln, bei denen Opfer von beiden Seiten unvermeidbar sind und diese als unvermeidbar anerkannten Opfer auch freudig getragen werden.
Fünftens. Die Rückkehr der Saar in die Bundesrepublik ist die Ausgangsbastion für den gesamtdeutschen Staat der Freiheit, dem unsere ganze Arbeit gilt, der erste Akt der Wiedervereinigung, und damit sind die deutsch-französischen Verträge ein in seiner psychologischen Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzendes Versprechen, daß uns auch die Wiedervereinigung mit der SBZ auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts für unser deutsches Volk in Mitteldeutschland gelingen wird. Es kann nur eine Grundlage einer guten Lösung in Mitteldeutschland geben, und das ist die Grundlage der freien Selbstbestimmung der Bevölkerung, auf der auch die Verträge, die jetzt zur Ratifikation vorliegen, beruhen.
Unter diesen fünf großen politischen Gesichtspunkten begrüßen wir die Verträge. Sie werden uns noch in den Ausschüssen beschäftigen. Aber wir haben wohl Anlaß, zweierlei dankbar anzuerkennen. Erstens erkennen wir dankbar an, daß die Bevölkerung an der Saar mit der Ablehnung des Statuts bei der Volksbefragung am 23. Oktober den Ausgangspunkt für die neuere Entwicklung gesetzt hat, die zu dem heutigen Vertragswerk führte und damit zu der einzigen echten Lösung des Saarproblems, auch von den europäischen Zusammenhängen her gesehen, die es geben konnte. Diesen Dank an die Saarbevölkerung sollten wir nicht abstatten mit Worten, sondern mit der Art, in der wir in Zukunft alle die Fragen lösen, in denen die Saarbevölkerung und die heutige Saarregierung auf die tätige Mitwirkung der Bundesregierung, der Bundesbehörden und auch des Bundesparlaments angewiesen sind.
Zum zweiten ist die Anerkennung des Ergebnisses der Volksbefragung durch die öffentliche Meinung Frankreichs und die französische Regierung zu erwähnen, wie sie sofort nach dem 23. Oktober in Erscheinung traten. Damals hat Frankreich unmittelbar nach der Volksbefragung zugunsten Deutschlands einen großen Akt europäischer Selbstbesinnung geübt. Das muß ausgesprochen werden, weil es nicht selbstverständlich ist, daß die politischen Prinzipien von den Regierungen immer so respektiert werden, wie es damals geschah, als die französische Regierung alle Konsequenzen aus dem Ergebnis der Volksbefragung zog. Deshalb ist es erforderlich, daß wir uns des Dankes bewußt sind, den wir der französischen Öffentlichkeit und der französischen Regierung schulden.
Es ist unvermeidlich, in diesem Zusammenhang auch auszusprechen, daß diese Entwicklung der öffentlichen Meinung in Frankreich und die Haltung der französischen Regierung unmöglich gewesen wären, wenn dem nicht eine jahrelange Politik der europäischen Konzentration, wie sie von der Bundesregierung und der Koalition die ganzen Jahre hindurch geradlinig vertreten worden ist, vorausgegangen wäre.
Wenn eine deutsche Bundesregierung der Jahre seit 1949 das Petersberg-Abkommen abgelehnt hätte, weil es nicht genügend zugestand, und den Eintritt in den Europarat abgelehnt hätte, weil zunächst nicht auch die Mitgliedschaft im Ministerrat sichergestellt war und überhaupt die politischen Gesamtzusammenhänge keine völlige Gleichberechtigung Deutschlands gewährleisteten, wenn es weiter eine Bundesregierung gegeben hätte, die aus allen möglichen Erwägungen das Projekt der Montanunion abgelehnt hätte und die sich überhaupt in allen europäischen Fragen immer wieder unter dem Gesichtspunkt: Die Fortschritte, die man uns zur Gleichberechtigung hin gewährt, sind nicht groß genug, ablehnend verhalten hätte, dann wäre der psychologische Boden für eine solche Entwicklung der öffentlichen Meinung in Frankreich, wie wir sie erlebt haben, überhaupt nicht zu schaffen gewesen.
Es w i' e auch nicht möglich gewesen, jene tiefe Wandlung in der öffentlichen Meinung in Frankreich zu erreichen, wenn wir nicht bewiesen hätten, daß wir den gleichen Blick für die Existenznöte aller demokratischen Völker außerhalb des sowjetischen Machtbereichs in Europa hatten wie Frankreich, die Niederlande, Belgien, England und Italien, und wenn wir nicht aus dem Bewußtsein der tiefen Gemeinschaft aller europäischen Völker vor dem drohenden Schicksal aus dem Osten auch bereit gewesen wären, Verteidigungsanstrengungen mit dem Ziele zu machen, die gesamte Abwehrkraft der westlichen Welt zu steigern. Wenn man auf diese Zusammenhänge als die unerläßlichen Voraussetzungen dafür abhebt, daß die französische öffentliche Meinung und die französische Regierung nach der Volksbefragung die Entscheidung trafen, die zu den heutigen Verträgen geführt hat, muß man sagen: es war allein das Verdienst der Haltung der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Koalitionsparteien in all den Jahren seit 1949, daß der heutige Tag erreicht werden konnte.
Der Vertrag ist auch deshalb beispielhaft, weil das Kompromiß auf der Grundlage der Anerkennung des freien Volkswillens, aus dem alle Konsequenzen gezogen werden, die Opfer auf beide Seiten verteilt. Es handelt sich um einen echten, auf demokratischem Wege errungenen Kompromiß. Wir waren uns ja wohl alle von vornherein bewußt, daß die von uns angestrebte politische Lösung: Saargebiet ein Teil der Bundesrepublik überhaupt nicht erreicht werden kann, wenn wir nicht zu weitgehenden wirtschaftlichen Zugeständnissen an Frankreich bereit sind. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Bundesminister Dr. Blücher und Dr. Preusker in ihrem Gutachten an den Bundeskanzler vom November 1954 bereits darauf abhoben, daß wir die politische Lösung, welche wir im deutschen und europäischen Interesse allein anstreben konnten, nur erreichen, wenn wir der französischen Regierung weittragende wirtschaftliche Konzessionen machen und die Bereitschaft, große wirtschaftliche Opfer auf uns zu nehmen, ganz unzweideutig erklären.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die politische Lösung der Rückkehr der Saar, der Eingliederung in die Bundesrepublik zum 1. Januar mit der Hypothek belastet, daß die französisch-saarländische Zoll- und Währungsunion noch drei Jahre fortbesteht, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, daß eine frühere Beendigung der Übergangszeit im Einverständnis aller Beteiligten möglich ist.
Wenn wir nun die Kompliziertheit der Übergangsregelungen ins Auge fassen, möchten wir uns wünschen, daß die Endlösung schon zu einem früheren als zu dem nach dem Vertrag spätest möglichen Zeitpunkt, dem 31. Dezember 1959, sichergestellt wird. Aber gerade, wenn man ins Auge faßt, daß es unser Bemühen sein müßte, die Übergangszeit von drei Jahren abzukürzen, was vertraglich zulässig ist, haben wir als Gesetzgeber und hat die Regierung der Bundesrepublik um so mehr die Verpflichtung, die Zeit des Übergangs zu benutzen, um die Saar im Rahmen der Verträge wirtschaftlich in jeder Weise zu kräftigen. Denn es ist ja mit der Sinn der Übergangszeit, daß die Saar die Umstellung auf die deutsche Wirtschaft soll vollziehen können. Um so mehr liegt es in unserem Interesse und im Interesse der Saar, daß wir keine engherzige Betrachtungsweise walten lassen, wenn es gilt, möglichst schnell umfassende Investitionen an der Saar vorzusehen, insbesondere für die neuen Gruben im Warndt und für den gesamten Bereich der eisenschaffenden Industrie. Auch die großzügigste Einstellung gegenüber der Saar kann nur ein kleiner, bescheidener Dank für die Opfer sein, die die Saarbevölkerung nach 1945, ehe es zu diesem Tage kommen konnte, nun einmal auf sich nehmen mußte. Die Gewährung aller großzügigen Erleichterungen, die wir bieten können, müssen wir, ich möchte sagen, als Gesetz unserer Einstellung zu allen Saarfragen in den kommenden Zeiten zugrunde legen.
Das Vertragswerk hat, wenn man auf die Fragen der deutschen Wiedervereinigung im übrigen blickt, eine, ich möchte sagen, dynamische Bedeutung, einmal durch die Anerkennung des Prinzips der Selbstbestimmung der Völker, zum andern in der kompromißfreudigen Haltung, die alle Beteiligten an den Tag gelegt haben, damit es zu diesem Vertragswerk kommen konnte. Möge sich durch das Beispiel dieses Vertragswerks die Sowjetunion und mögen sich ihre Machthaber zu der Erkenntnis angespornt fühlen, daß sie dem Sicherheitsinteresse der Sowjetunion und des russischen Volkes den besten Dienst leisten, wenn sie den 13 Millionen Menschen in Mitteldeutschland, die sie heute noch knechten, möglichst schnell die Freiheit auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung geben.