Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich, fast könnte ich es namentlichtun; das Plenum wird sich hoffentlich während des ers-ten Tagesordnungspunktes etwas auffüllen.Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung nichts zuverkünden, sodass wir uns gleich der vereinbarten Ta-gesordnung widmen können.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 d auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionender CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Ge-
– Drucksache 17/11316 –– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Entbürokratisierung des Gemeinnützig-
– Drucksachen 17/11632, 17/12037 –Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 17/12123 –Berichterstattung:Abgeordnete Christian Freiherr von StettenPetra Hinz Dr. Birgit ReinemundDr. Barbara HöllBritta Haßelmann– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 17/12124 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur För-derung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein– Drucksache 17/5713 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 17/12125 –Berichterstattung:Abgeordnete Detlef SeifMarianne Schieder Marco BuschmannRaju SharmaIngrid Hönlingerc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten KatrinKunert, Katja Kipping, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEAufwandsentschädigungen für kommunaleMandatsträgerinnen und Mandatsträger so-wie Amtsträgerinnen und Amtsträger nichtauf Leistungen nach dem Zweiten undZwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen– zu dem Antrag der Abgeordneten KatjaKipping, Katrin Kunert, Diana Golze, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEKeine Anrechnung von Aufwandsentschädi-gungen für bürgerschaftliches Engagementauf Leistungen nach dem Zweiten undZwölften Buch Sozialgesetzbuch– Drucksachen 17/7646, 17/7653, 17/11253Buchstabe a und b –Berichterstattung:Abgeordneter Markus Kurth
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27338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungErster Engagementbericht – Für eine Kulturder MitverantwortungBericht der SachverständigenkommissionundStellungnahme der Bundesregierung– Drucksache 17/10580 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend SportausschussAusschuss für Kultur und MedienZu dem Entwurf eines Gemeinnützigkeitsentbürokra-tisierungsgesetzes,
bei dem sich in der Tat der Eindruck aufdrängt, dass dieEntbürokratisierung mit der Bezeichnung beginnensollte,
liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen derSPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es offen-sichtlich Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Christian von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Das könnte heute ein wirk-lich guter Tag für das Ehrenamt werden. Ein guter Tagwird es auf jeden Fall; denn – das darf ich vorwegneh-men – die Abgeordneten der Regierungskoalition wer-den dem Gesetzentwurf heute zustimmen. Ein wirklichguter Tag und ein Tag mit Symbolkraft könnte es wer-den, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Op-positionsparteien, diesem Gesetzentwurf heute ebenfallszustimmen.
Um diese Zustimmung möchte ich gerne heute Mor-gen am Anfang dieser Debatte bei Ihnen werben. Sie ha-ben allen Grund, dem Gesetzentwurf zuzustimmen; dennwir haben viele Punkte von Ihnen mit in den Gesetzent-wurf aufgenommen. Wir haben viele Punkte des Bun-desrates mit aufgenommen, und wir haben selbstver-ständlich zahlreiche Gespräche und auch eine Anhörungmit den betroffenen Verbänden und Organisationen ge-führt bzw. durchgeführt und auch deren Anliegen aufge-nommen und eingearbeitet. Wir haben – das ist beson-ders wichtig – mit zahlreichen ehrenamtlich engagiertenBürgerinnen und Bürgern in unseren Wahlkreisen überdiesen Gesetzentwurf diskutiert und auch deren Vor-schläge einfließen lassen. Bei diesem Gesetzentwurf hatalso eine Art Bürgerbeteiligung stattgefunden.
Zum Abschluss haben wir sogar, sehr geehrter HerrPräsident, den etwas umständlichen Arbeitstitel „Ge-meinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz“ in „Gesetzzur Stärkung des Ehrenamtes“ geändert. Ich glaube, da-rüber freuen sich alle Kolleginnen und Kollegen desHauses. Bei der Bürgerbeteiligung ist deutlich gewor-den, dass die Bürger Klarheit darüber wollen, was dasfür ein Gesetz ist. Durch dieses Gesetz wird das Ehren-amt gestärkt. Deswegen soll es auch so heißen.Da das bürgerschaftliche Engagement in großen Tei-len in Vereinen, ehrenamtlichen Organisationen und Stif-tungen seinen Platz hat, bekommen diese heute einenbesseren und verlässlicheren rechtlichen Rahmen fürihre Tätigkeiten. Wir reden heute nicht nur über das Eh-renamt, sondern wir werden heute im Parlament eineEntscheidung treffen und dadurch entbürokratisierenund flexibilisieren. Auch wenn es nicht jedem gefällt,werden wir dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Januar2013 in Kraft treten lassen, damit die Betroffenen schonin diesem Jahr und nicht erst im nächsten Jahr von denÄnderungen profitieren.
Diese Vorteile schaffen wir unter anderem durch die Er-höhung der sogenannten Übungsleiterpauschale. Wir erhö-hen diese um 300 Euro von 2 100 Euro auf 2 400 Euro.Wir erhöhen auch den Ehrenamtsfreibetrag für Vor-standsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und anderebesonders engagierte Helfer in den Vereinen um satte44 Prozent von 500 Euro auf 720 Euro.Wir geben den Vereinen mehr Rechtssicherheit; zahl-reiche Punkte, die bisher durch Ministeriumserlasse ge-regelt worden sind, befinden sich nun im Gesetzblatt.Auch neu gegründete Vereine erhalten jetzt den An-spruch auf eine rechtsverbindliche Bescheinigung, in derfestgestellt wird, ob ihre Satzung den Vorschriften derAbgabenordnung entspricht. Bisher waren diese Be-scheinigungen der Finanzämter ja nur vorläufig, und dieVereinsverantwortlichen wussten nicht genau, ob siesich darauf verlassen können.Wir ändern aber auch die Abgabenordnung und ver-längern die Frist zur Mittelverwendung um ein weiteresJahr. Außerdem erhöhen wir die steuerfreie Umsatz-grenze für sportliche Veranstaltungen in Vereinen von35 000 auf 45 000 Euro.Wir bedanken uns bei Minister Dr. Schäuble, der sichpersönlich für diesen Gesetzentwurf eingesetzt hat. HerrStaatssekretär, wir verbinden diesen Dank mit der Er-
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Christian Freiherr von Stetten
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wartung, dass die Erhöhung der Übungsleiterpauschaledurch eine Initiative des Ministeriums in Zukunft auchden zahlreichen Mitgliedern der freiwilligen Feuerweh-ren zugutekommt.
Das alles sind wichtige Investitionen in unsere Ge-sellschaft. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Ver-eine ist in den letzten Jahren nämlich noch einmal starkgestiegen. Wer sich in funktionierenden Vereinen auf-hält, wer die Wärme, die fast schon familiäre Atmo-sphäre spürt, der weiß, dass Vereine in verschiedenenBereichen für zahlreiche Kinder zu einer Art Familiener-satz geworden sind. Wir im Deutschen Bundestag begrü-ßen und honorieren besonders die Integrationsleistung,die die Vereine im Hinblick auf ausländische Jugendli-che erbringen. Hier leisten die Vereine einen wesentli-chen Beitrag.Man muss auch betonen, dass Übungsleiter inzwi-schen mehr sind als nur durchtrainierte Vorturner. Siekümmern sich immer mehr auch um die persönlichenProbleme der ihnen anvertrauten Jugendlichen. Viele Ju-gendliche lernen im Verein zum ersten Mal die Wichtig-keit von Pünktlichkeit, Fairness und kameradschaftli-chem Miteinander.Wir haben uns entschieden, auch die Haftungsrisikenehrenamtlich tätiger Vorstandsmitglieder zu verringern,um dafür zu sorgen, dass den Bürgerinnen und Bürgernder Schritt hin zur Übernahme von mehr Verantwortungin Vereinen leichter fällt. Natürlich wird auch weiterhingelten: Wer grobe Fehler macht oder wer strafrechtlichrelevantes Verhalten an den Tag legt, wird zur Verant-wortung gezogen werden. Aber derjenige, der sich enga-gieren will, der bereit ist, ein Vorstandsamt anzunehmen,darf in Zukunft nicht mehr das Gefühl haben, dass er fürsich persönlich oder in finanzieller Hinsicht ein unkalku-lierbares Risiko eingeht. Diese Angst darf kein Grundmehr sein, ein Vorstandsamt nicht anzunehmen. Dafürwerden wir heute sorgen. Wir begrenzen die Haftung einweiteres Mal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird im Laufeder heutigen Debatte noch öfter der Fall sein, dass wiruns klar zum Ehrenamt bekennen und feststellen, dassDeutschland mittlerweile zum Land der Ehrenamtlichengeworden ist; denn Millionen von Bürgern engagierensich in gemeinnützigen Vereinen. Deutschland ist auf ei-nem guten Weg, auch zum Land der Stiftungen und Stif-ter zu werden. Diesen Weg wollen wir gemeinsam mitden Stifterinnen und Stiftern weitergehen. Um dies zuerreichen, beschließen wir auch zahlreiche Verbesserun-gen im Rahmen des Stiftungsrechts.Wenn wir das alles zusammenfassen, dann müssenwir doch sagen: Das sind gute Nachrichten für das Eh-renamt und für die entsprechenden Organisationen. Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,können dazu beitragen, dass heute auch ein symbolischwichtiger Tag wird. Zeigen Sie der Bevölkerung durchIhre Zustimmung, dass wir hier im Deutschen Bundestagtrotz aller unterschiedlicher parteipolitischer Auffassun-gen ein gemeinsames Ziel haben: dass wir das Ehrenamtstärken wollen, weil die Ehrenamtlichen in der Gesell-schaft einen besonderen Beitrag für uns leisten. StimmenSie heute gemeinsam mit uns für den vorliegenden Ge-setzentwurf! Zeigen Sie, dass der gesamte DeutscheBundestag hinter den Ehrenamtlichen steht!Herzlichen Dank.
Petra Hinz ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-
tion.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bei fast jedem Tagesordnungspunkt hö-ren wir, welch historische Stunde wir gerade erlebendürfen. Die Schritte, die tatsächlich historisch und wich-tig waren und zu Recht auf den Weg gebracht wurden,liegen aber schon etwas länger zurück, und zwar bis zudem Zeitpunkt, als die Kolleginnen und Kollegen in der14. Wahlperiode gemeinsam den Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engage-ments“ fertiggestellt haben. Dort ist all das eingeflossen,was für diejenigen Vereine, Verbände, Organisationen,die ehrenamtlich gemeinnützig tätig sind, wichtig war.Das war wirklich eine historische Stunde.Das andere wichtige Datum, mein lieber Herr KollegeFreiherr von Stetten, war in der letzten Wahlperiode, undzwar das Jahr 2007. Damals hatten wir in der GroßenKoalition in dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bür-gerschaftlichen Engagements die richtigen Schritte unddie richtigen Maßnahmen beschlossen. Dann ist es in derTat nicht gerade sehr schwer, aufbauend auf einer gutenGrundlage, auf einem guten Fundament, doch zumindesteinige Erfahrungen in Form von Ergänzungen umzuset-zen.Ich möchte das, was Sie hier einbringen, nicht schmä-lern. Aber ich habe schon eine andere Wahrnehmung so-wohl in Bezug auf die Beratung als auch auf den Um-gang mit unseren Anträgen. Dass Sie den Anregungenaus der Anhörung nun tatsächlich nicht in allen Punktengefolgt sind, ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie uns nunaber suggerieren wollen, Sie seien kooperativ, und wennSie jetzt auch vor der Öffentlichkeit darstellen wollen,Sie seien offen und hätten alle Anregungen aufgenom-men, dann weiß ich nicht, auf welcher Veranstaltung Siewaren.
Aber in der letzten Finanzausschusssitzung, in der wirüber diesen Gesetzentwurf abschließend beraten haben,in der wir neun Anträge eingebracht haben und ich nochmit Ihnen darüber gesprochen habe, ob es Gemeinsam-keiten gibt, haben Sie ohne mit der Wimper zu zuckenjeden Antrag abgelehnt.
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Petra Hinz
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Hier, Herr Präsident, greife ich gerne Ihre Worte auf,dass nämlich das sogenannte Gemeinnützigkeitsentbüro-kratisierungsgesetz gar nichts mit dem zu tun hat, waswir seinerzeit in der letzten Wahlperiode auf den Weggebracht haben. Wir haben Ihnen einen Vorschlag ge-macht, wie wir dieses Gesetz nennen könnten, und denAntrag eingebracht, dieses Gesetz „Gesetz zur Stärkungdes Bürgerschaftlichen Engagements“ zu nennen. Genaudarum geht es nämlich. Dabei ging es nicht nur um eineÜberschrift. Aber selbst in dieser Frage waren Sie nichtkompromissbereit.Wenn Sie heute über das Ehrenamt sprechen – vieleLaien gebrauchen oft verschiedene Begriffe –, dann sa-gen Sie damit etwas ganz anderes aus. Sie wollen eineganz andere Richtung einschlagen. Ich finde, das ist fürSie sehr beschämend. Es ist aber Ihre Sache, wie Sie dasIhren Vereinsvertretern, Ihren Organisationen erklären.Alle Anträge, die wir eingebracht haben, sind ge-meinsam mit den Verbänden, Organisationen und Verei-nen auf den Weg gebracht worden. Wir haben hier die23 Millionen Menschen, die 600 000 Vereine, Initiati-ven, Organisationen und Stiftungen hinter uns, weildiese die Anträge gemeinsam mit uns formuliert haben.Ja, in Ihrem Gesetzentwurf geht es um die Entbüro-kratisierung in der Abgabenordnung. Dagegen gibt esnichts zu sagen. Aber damit greifen Sie nur einigePunkte heraus, sind aber vielen Anregungen, die ganzeinfach aufgrund der veränderten Situation gerade imSozial- und im Gesundheitsbereich wichtig sind, über-haupt nicht gefolgt.
Das ist nicht in Ordnung. Darüber sind Sie ganz eiskalthinweggegangen.Ich komme nun zur Anhebung der Übungsleiterpau-schale von 2 100 auf 2 400 Euro. Johannes Rau hat ein-mal gesagt:Das ehrenamtliche Engagement ist die Seele derDemokratie.Ja, er hat recht. So weit reichen nämlich das Engagementund die Unterstützung der Ehrenamtlichen. JohannesRau, Willy Brandt und in der Nachfolge Peer Steinbrückhaben sich sehr stark für diesen Bereich eingesetzt undhaben die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg ge-bracht.
– Bei so vielen Beifallsbekundungen kann meine Zeitangehalten werden, da dürfen Sie auch die Hände benut-zen und klatschen.
Ich habe mit Vereinen und Organisationen in meinemWahlkreis gesprochen. Ich möchte hier den Präsidentenmeines Vereins TUSEM Essen herausgreifen, der ganzklar sagt: Natürlich freuen wir uns über die Anhebungder Übungsleiterpauschale. Aber ist es tatsächlich das,was die ehrenamtlich Tätigen, diejenigen, die gemein-nützig tätig sind, brauchen und wollen?
– Auch! Lieber Kollege, Sie rufen dazwischen: „Auch!“Aber wir haben in der Anhörung erfahren, dass viele dasgar nicht mehr in Anspruch nehmen können: sicherlicheinige wenige in großen Vereinen, aber viele anderenicht. Darüber müssen wir reden.
Hier stellt sich die Frage, ob wir nur die Großen fördernoder auch die Kleinen.
– Gut. – Hierzu schreibt mir mein Präsident, Herr UlrichGaißmayer: Es sind die kleinen Dinge, die Auszeichnun-gen, die unkomplizierten Dinge. Denn beim Ehrenamtgeht es nicht in erster Linie um die finanzielle Ausstat-tung, sondern um die Anerkennung.
Ich habe mit einer Kollegin aus der Ehrenamt Agen-tur Essen gesprochen, die genau dies auch noch einmalbeschreibt: Es kann nicht immer alles nur über Steuerngeregelt werden, sondern wir müssen das Ehrenamt imSinne der Enquete-Kommission nach vorne bringen. Wirsagen: Hier haben Sie nichts auf den Weg gebracht.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf und damit der An-hebung der Ehrenamtspauschale von jährlich 500 Euroauf 720 Euro zu. Dennoch ist das nicht das Mittel, dasvor Ort letzten Endes gebraucht wird.Zum Zivilrecht haben Sie auch etwas gesagt, meinlieber Kollege. Ja, das stimmte, suggerieren Sie den Kol-leginnen und Kollegen, den Vertretern in den Vereinenund Organisationen, aber bitte nicht, dass sie jetzt kom-plette Rechtssicherheit im Bereich der Haftung haben.Das Strafrecht gilt nach wie vor. Es ist ein richtigerSchritt, kein Thema, aber Sie springen im Bereich desSports, wenn ich das einmal so sagen darf, ein wenig zukurz.Sie halten fest an einem verengten Begriff der Ge-meinnützigkeit; das gilt auch in Bezug auf den neuen Ti-tel. Ich sage Ihnen: Sie gehen in eine andere Richtung alswir.Die Kolleginnen und Kollegen, die den Bericht derEnquete-Kommission mitgestaltet haben – ich schauejetzt auch einmal in die Reihen der CDU –, werden si-cherlich nicht alles gutheißen, was Sie hier heute auf denWeg bringen, wobei ich sagen muss: Für mich ist eswichtig und gut, dass wir heute einmal in der Kernzeit
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Petra Hinz
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über 23 Millionen Menschen und ihr ehrenamtliches En-gagement debattieren,
über das, was diese Menschen für unsere Gesellschaftleisten.
Die Begründung Ihres Gesetzentwurfes ist aber verrä-terisch; denn darin bringen Sie ganz klar Ihr Verständnisvon bürgerschaftlichem Engagement der ehrenamtlichTätigen, der Engagierten, der Vertreterinnen und Vertre-ter der Vereine zum Beispiel in den Bereichen Kulturund Sport usw. in unserer Gesellschaft zum Ausdruck.Ich zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache:In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt dieFörderung und Stärkung der Zivilgesellschaft anBedeutung,
– bis dahin ist das wunderbar, aber es geht weiter –denn die öffentliche Hand wird sich wegen der un-umgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre un-abweisbar notwendigen Aufgaben konzentrierenmüssen.Nein, nein, wir können unsere ehrenamtlich Enga-gierten, die bürgerschaftliches Engagement zeigen, nichtmissbrauchen, indem sie die Folgen Ihrer bis in dieKommunen hinein verfehlten Haushaltspolitik tragensollen.
Hier werden wir nicht mitmachen; denn wir werden die-jenigen, die ehrenamtliches Engagement zeigen, nichtmissbrauchen, sondern ganz im Gegenteil stärken undhonorieren. Das, was die Menschen hier leisten, ist tat-sächlich ein ganz wichtiger Beitrag zum Gelingen unse-rer Gesellschaft.Da uns Ihr Gesetzentwurf nicht weit genug bzw. stel-lenweise in eine falsche Richtung geht, haben wir einenEntschließungsantrag eingebracht, in dem wir in fünfPunkten noch einmal sehr deutlich darauf eingehen, wo-hin wir im Bereich des bürgerschaftlichen Engagementsletzten Endes gehen wollen.Ich würde mich freuen – dadurch würden Sie heute inder Tat ein Zeichen setzen –, wenn wir den Gesetzent-wurf gemeinsam annehmen und beschließen würden undSie gleichzeitig unserem Entschließungsantrag in derkompletten Stärke Ihrer Koalition auch zustimmenkönnten; denn dann wäre es heute in der Tat nicht nureine Kernzeitdebatte für das Ehrenamt, sondern tatsäch-lich eine gute Stunde, weil wir dann nämlich das errei-chen würden, was die bürgerschaftlich engagierten Men-schen in unserer Gesellschaft wirklich brauchen.Ich möchte mich bei allen, die für uns und unsere Ge-sellschaft zum Gelingen des Miteinanders beitragen,ganz herzlich bedanken, und ich kann nur dazu auffor-dern, genau hinzuschauen, was hier teilweise beschlos-sen wird. Nicht überall da, wo Ehrenamt draufsteht, wirddas Ehrenamt auch gefördert. Wir sind die tatsächlichenGaranten dafür, dass bürgerschaftliches Engagement ge-fördert wird.Vielen Dank.
Birgit Reinemund von der FDP-Fraktion ist die
nächste Rednerin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hinz,ich finde es schade, dass Sie einen so rundum guten Ge-setzentwurf so niederreden können und gleichzeitig zu-stimmen werden.
Das ist für mich unverständlich.Im Zusammenhang mit dem Ehrenamt von „eiskalt“zu sprechen, ist eine Dreistigkeit ohnegleichen.
Das ist eine Selbstdarstellung und hat mit dem Inhaltund der konstruktiven Diskussion im Ausschuss und dengemeinsamen Berichterstattergesprächen überhauptnichts mehr zu tun.
Ja, bürgerschaftliches Engagement ist ohne Zweifelmehr als das klassische Ehrenamt. Doch Ziel dieses Ge-setzentwurfes war ganz konkret, Verbesserungen fürEhrenamtliche in Vereinen und Stiftungen zu erreichen.Es war nicht das Ziel, den Gemeinnützigkeitsbegriff all-gemein zu erweitern, was finanziell nicht darstellbar warund was auch Ihre Länder nicht mitgemacht hätten.
Im Bund fordern, in den Ländern blockieren, auf dieseArt können wir hier nicht zusammenarbeiten.
Deswegen ist der neue Titel „Gesetz zur Stärkung desEhrenamtes“ genau richtig. Genau das beinhaltet diesesPaket. Alles andere wäre Etikettenschwindel. Wir stehenhier für eine ehrliche Politik.
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Dr. Birgit Reinemund
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Deutschland ist das Land des Ehrenamts. Rund23 Millionen Menschen, mehr als ein Viertel unsererMitbürgerinnen und Mitbürger, engagieren sich ehren-amtlich in über 600 000 Vereinen und Stiftungen.
Sie trainieren Jugendmannschaften in Sportvereinen, lei-ten Chöre, sie betreuen Senioren oder schwer erkrankteKinder, geben Nachhilfe für Lernschwache, oder sie en-gagieren sich politisch für unsere Demokratie.
Diese Beispiele ließen sich unendlich weiter auflisten.Ohne solche Menschen wäre das bunte, vielfältige ge-sellschaftliche Leben unseres Landes schlicht nichtdenkbar. Diese Menschen organisieren sich selbstverant-wortlich und übernehmen Verantwortung für ihre Mit-menschen. Sie leisten damit einen unschätzbaren Beitragzum Zusammenhalt unserer Gesellschaft: Engagementin bestem liberalen Sinne!Wir zollen Ihnen, liebe Ehrenamtliche, größten Res-pekt, Dank und Anerkennung, und zwar nicht nur verbal.Wir erleichtern Ihnen das Ehrenamt ganz konkret. Büro-kratische Hürden abbauen, die Sorgen vor Haftungsrisi-ken mildern, mit flexibleren Regeln das Gemeinnützig-keitsrecht modernisieren, das wird uns mit diesemGesetz gelingen, damit das Ehrenamt auch in Zukunfteine starke Säule unserer Gesellschaft bleibt.Was tun wir konkret? Wir entlasten unsere Ehrenamt-lichen steuerlich und bauen für sie vor allem überbor-dende Bürokratie ab, indem wir die Belegesammeleidurch die Erhöhung der Pauschalen drastisch reduzieren:die Übungsleiterpauschale auf 2 400 Euro, die Ehren-amtspauschale auf 720 Euro. Davon profitieren all dieMenschen, die häufig im Hintergrund agieren, ohne dieaber unser Vereinsleben nicht funktioniert: Trainer undÜbungsleiter genauso wie Eltern, die ihre Kinder zuAuftritten oder zu Auswärtsspielen fahren. Sie investie-ren viel Zeit, Herzblut und oft genug auch eigenes Geld.Sie stehen für uns im Mittelpunkt. Nicht umsonst habenwir die Ehrenamtspauschale deutlich stärker erhöht alsdie Übungsleiterpauschale, und zwar um fast 50 Prozent.Wir schaffen mehr Rechtssicherheit für Vereinsmit-glieder, indem sie künftig nur noch bei grober Fahrläs-sigkeit und bei Vorsatz gegenüber dem Verein und ge-genüber Dritten haften. Niemand soll unwissentlich undunversehens in Haftung geraten, wo er nur in seiner Frei-zeit Gutes für die Gesellschaft leisten wollte.Wir schaffen mehr Rechtssicherheit bei der Gründunggemeinnütziger Vereine und Stiftungen, die jetzt einenrechtsverbindlichen Bescheid darüber erhalten, ob ihreSatzung die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit er-füllt. Bisher erhielten sie nur eine unverbindliche Zusageund liefen Gefahr, Jahre später bei der Steuerprüfungrückwirkend doch anders beurteilt zu werden: mit unkal-kulierbaren wirtschaftlichen Folgen für den Verein undfür die Verantwortlichen im Vorstand.Wir ermöglichen eine zeitlich flexiblere Verwendungder Gelder durch verlängerte Mittelverwendungsfristen,durch bessere Rücklagenbildung, sodass größere An-schaffungen und Investitionen in Zukunft leichter mög-lich sind.Für uns Liberale und natürlich auch für unseren lie-ben Koalitionspartner ist Bildung der wichtigste Roh-stoff und die Zukunft unseres Landes. Wir tragen demRechnung, indem jetzt Stiftungen leichter Geld zweck-bezogen an andere Stiftungen weitergeben können, wasbesonders für die Finanzierung von Stiftungslehrstühleneine große Rolle spielt.
Wir verabschieden hier ein richtig gutes Maßnahmen-paket. Selten hat ein Gesetzesvorhaben so einhellige Zu-stimmung der Sachverständigen erhalten. Einige Vor-schläge der Experten und des Bundesrates, wieverlängerte Übergangsfristen, haben wir gerne aufge-nommen. Selbst die SPD konnte im Ausschuss letztend-lich zustimmen. Grüne und Linke haben sich leider ent-halten, für mich unverständlich. Ich habe im Ausschusskeinerlei konstruktive Änderungsanträge gesehen.Zusätzliche Wünsche gibt es natürlich immer. Dochwir sind sehr glücklich, dass wir bei diesem Gesetzes-vorhaben zu einem frühen Zeitpunkt die Länder mit ein-beziehen konnten und so einen engen Rahmen hatten,sodass wir zuversichtlich sind, dass der Bundesrat zu-stimmen wird, statt wieder einen Rückzieher zu machen,wie wir das in vielen anderen Fällen erlebt haben.Fest steht: Ich habe noch nie für ein Gesetz so durch-weg positive Rückmeldungen erhalten wie für dieses,aus den unterschiedlichsten Bereichen: aus Sport, Kul-tur, Sozialbereich und vielen anderen. Das zeigt klar:Unsere Verbesserungen kommen an. Sie kommen an beiden Menschen, die unsere Gesellschaft aktiv gestalten.Danke an alle, die dies in ihrer Freizeit unentgeltlich tun.
Das Wort hat nun die Kollegin Barbara Höll, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bürgerschaftliches Engagement ist unverzichtbar für un-sere Gesellschaft. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel.Was viele Menschen leisten, indem sie die Kinder zumTraining oder zu Turnieren fahren, was freiwillige Feu-erwehren – Menschen, die Tag und Nacht in Bereitschaftsind – im Einsatz leisten, was Selbsthilfegruppen für Er-krankte leisten – es gibt eine Vielzahl von Tätigkeiten,
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Dr. Barbara Höll
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die in unserer Gesellschaft von Bürgerinnen und Bür-gern freiwillig übernommen werden –, ist nicht hoch ge-nug zu schätzen. Aber Ihr Gesetz hätte einen völligenUmschwung in eine Richtung zur Folge, die wir nichtgutheißen können.
Meine Kollegin Frau Hinz hat darauf schon hingewie-sen. Aber man kann es in dieser Debatte nicht oft genugwiederholen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfsheißt es:In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt dieFörderung und Stärkung der Zivilgesellschaft anBedeutung, denn die öffentliche Hand wird sichwegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidie-rung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgabenkonzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, An-reize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichenEngagement zu stärken …Das ist ein grundfalscher Ansatz. Ehrenamtliches Enga-gement als Lückenbüßer bei der Erfüllung gesellschaft-lich notwendiger Aufgaben, also staatlicher Aufgaben,zu verstehen, ist grundfalsch. Das ist nichts anderes alsdas Ausnutzen der Bereitwilligkeit von Menschen.
Eine fiskalische Entlastung des Staates als Zielstel-lung eines Gesetzesvorhabens bedeutet natürlich auch –das wird bewusst in Kauf genommen –: Der Staat wirdzurückgedrängt. Sie wollen, dass der Staat immer weni-ger Aufgaben erfüllt.
– So steht es im Gesetzentwurf. – Das heißt, dass Sie dieErfüllung einer Reihe von Aufgaben, über die eigentlichgesellschaftlich in breitem Konsens entschieden werdenmüsste, durch Verlagerungen zunehmend von einemquasi privaten Bereich abhängig machen.
Ich nenne als Beispiel die Museen. Sie haben immerweniger Geld, um Kunstwerke zu erwerben. Daherspringen zunehmend Stifter oder Stifterinnen ein.
Das ist eigentlich etwas Gutes,
wenn die Schere zwischen Arm und Reich nicht immerweiter auseinanderginge und wenn die Kommunen nichtimmer weniger Geld zur Verfügung hätten.
Diese Entwicklung hat zur Folge, dass über den Erwerbvon Kunstwerken nicht mehr die Museumsleitung ent-scheidet. Welche Kunstwerke erworben werden, hängtdann vom Geschmack des Stifters oder der Stifterin ab.Das Mäzenatentum hat hier deutlich feudale Züge. Dasist die Grundlage Ihres Gesetzentwurfs. In diese Rich-tung können wir nicht mitgehen.
Es gibt viele freiwillige Tätigkeiten im sozialen Be-reich. Indem Sie hier vieles in den Bereich des Ehren-amts verlagern, selbst dort, wo Menschen einen Rechts-anspruch auf Unterstützung und Hilfe haben, mutiertauch das zu einem Gnadenakt. Das widerspricht derWürde des Menschen.
Wer einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat, muss nicht umHilfe betteln. Bürgerschaftliches Engagement darf nurein Plus sein. Dann funktioniert es auch. Das wäre dierichtige Richtung. Ihnen wurde das auch in der Anhö-rung gesagt, auch wenn Sie nun so tun, als hätten alleFachleute Ihren Gesetzentwurf bejubelt. Nein, ich zitiereOlaf Zimmermann vom Bündnis für Gemeinnützigkeit/Deutscher Kulturrat e. V.:Man versucht wirklich, mit diesem Gesetz bürger-schaftliches Engagement zu instrumentalisieren, esin der Zukunft quasi in bestimmte Lücken, diedurch Finanzprobleme entstehen, hineinzustoßen.Diese Lücken quasi im Staatsauftrag zu erfüllen, istnicht Aufgabe des bürgerschaftlichen Engage-ments.
Aus diesem Grundansatz ergeben sich natürlich eineReihe von Problemen, die Sie eben nicht gelöst, die Siegar nicht angepackt haben. Gemeinnützige Tätigkeitensollten nicht in Konkurrenz zu regulärer Beschäftigungstehen. Ich glaube, das ist ein richtiger und guter Ansatz,sie sollten eben nur das Plus sein. Aber Sie haben in Ih-rem Gesetzentwurf keine Vorsorge getroffen, dass nichtauf dem Weg, auf dem wir uns in vielen Bereichen schonbefinden, weitergegangen wird. Sie haben keine Maß-nahmen vorgesehen, damit gemeinnützige Tätigkeitennicht zum weiteren Ausbau des Niedriglohnsektorsmissbraucht werden.Schauen Sie sich doch die Situation an. Viele Vereinemüssen doch folgendermaßen arbeiten: Sie zahlen erstden Menschen für bestimmte Tätigkeiten Pauschalen,bis der Jahreshöchstbetrag erreicht ist, und dann wird dieTätigkeit in einen Minijob umgewandelt. Viele ehren-amtlich Engagierte haben die Erfahrung gemacht, dass
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Dr. Barbara Höll
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sie für Tätigkeiten, die sie übernehmen, noch vor kurzemim Rahmen einer regulären Beschäftigung bezahlt wur-den.Nehmen wir doch das Beispiel der Betreuung vonSporthallen. Schauen Sie sich an, wie viele Kommunensich heute noch Hallenwarte leisten. Oftmals wird dieseTätigkeit den Vereinen übertragen, die sie auf ehrenamt-licher Basis wahrnehmen, anstatt dass die Kommuneneinen richtigen Hallenwart einstellen, der acht Stundenam Tag für die Betreuung der Halle verantwortlich ist.Schauen Sie sich das Bibliothekswesen an. In vielenkleinen Orten oder in Schulen, die über Bibliothekenverfügen, gab es früher Bibliothekarinnen – meistenssind es Frauen – oder Bibliothekare. Heute wird dieseTätigkeit ehrenamtlich ausgefüllt. Es ist offenbar keineAufgabe, die wirklich wichtig ist. Also lassen wir dasvon einem Ehrenamtlichen machen.
Daraus spricht eine Missachtung gegenüber den Men-schen, die ehrenamtlich tätig sind.Zudem geht der Gesetzentwurf an den Bedürfnissenvieler ehrenamtlich Engagierter vorbei. Sie haben sicheben so ein bisschen gefeiert: Toll, wir haben die Pau-schalen erhöht, und das kommt nun wirklich allen zu-gute. – Schauen wir uns die Realität an. Wie viele Ver-eine sind denn überhaupt in der Lage, die Pauschalen zuzahlen? Nach Angaben des letzten Freiwilligensurveyswaren es gerade einmal 23 Prozent der Freiwilligen, dieüberhaupt bezahlt wurden. Über die Hälfte der ehren-amtlich Engagierten, die etwas bekommen haben, beka-men unter 50 Euro pro Monat. Da ist also die Frage, wiehoch die Pauschale ist, für sie völlig irrelevant. Viele Ar-beitslose oder Rentnerinnen und Rentner engagierensich, die in der Regel sowieso keine oder ganz wenigSteuern zahlen. Auch sie profitieren also nicht davon.Deswegen ist die ausschließliche Konzentration auf diesteuerliche Förderung nicht richtig; denn sie wird nichtzur Erleichterung der Situation vieler beitragen.
Wir brauchen andere Überlegungen. Wir müssen zumBeispiel darüber nachdenken, wie ehrenamtlich Enga-gierte ihr Ehrenamt zeitlich mit ihrer Erwerbstätigkeitbesser vereinbaren können. Wir brauchen Überlegungen,ob jahrelanges Engagement, beispielsweise in der frei-willigen Feuerwehr, sich nicht vielleicht auch im Erwerbvon Rentenpunkten niederschlagen könnte. Lassen Sieuns doch mal Maßnahmen überlegen, die nicht auf dieSteuern konzentriert sind, sondern auf die wirklichenBedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind.
Sie haben mit Ihrer Politik der individuellen steuerli-chen Anreize einen falschen Weg eingeschlagen. Zudembeachten Sie eine Entwicklung in unserer Gesellschaftüberhaupt nicht: Es gibt viele ehrenamtlich Engagierte inVereinen, ja, es gibt aber auch viele ehrenamtlich Enga-gierte, die in Netzwerken und Selbsthilfegruppen tätigsind und aus verschiedenen Gründen nicht den Vereins-status anstreben. Denen helfen wir mit diesem Gesetz-entwurf überhaupt nicht. In der Praxis sieht es dochoftmals so aus, dass die ehrenamtlich EngagiertenSchwierigkeiten haben, weil keine Infrastruktur vorhan-den ist. Es ist doch so, dass man auch für das Ehrenamt,für das sich 10, 15 oder 30 Leute engagieren wollen, ei-nen Anknüpfungspunkt braucht. Es ist gut, wenn we-nigstens eine Person angestellt werden könnte, die dieKasse führt, die Koordination übernimmt usw. usf. Hil-fen zum Ausbau der Infrastruktur bleiben Sie auch mitdiesem Gesetzentwurf schuldig. Sie beachten das bür-gerschaftliche Engagement außerhalb der Vereinsstruk-turen viel zu wenig.
Was mich besonders ärgert – das muss ich deutlich sa-gen –, ist die Behandlung der Menschen, die sich inKommunalparlamenten engagieren. Menschen, die sichdort engagieren, bekommen für ihren Aufwand eineAufwandspauschale.
Es geht um den Aufwand. Aber er wird über eine be-stimmte Höchstgrenze hinaus mit ihren Bezügen ausHartz IV, also nach dem Sozialgesetzbuch, gegengerech-net. Das ist ein Unding; denn Aufwand ist Aufwand.Dies ist für sie kein Einkommen. Hier wäre es notwen-dig gewesen, Klarheit zu schaffen und tatsächlich zu sa-gen: Das, was eine kommunale Mandatsträgerin bzw. einkommunaler Mandatsträger erhält, bleibt anrechnungs-frei. Das wäre eine klare Aussage.
Ich möchte Ihnen auch sagen, dass das, was Sie hin-sichtlich der Stiftungsproblematik großartig verkündethaben, sehr zwiespältig zu sehen ist; denn gemeinnüt-zige Stiftungen – so gut sie oftmals tätig sind – sind an-dererseits auch ein beliebtes Steuersparmodell. Dazu zi-tiere ich Ihnen einfach einmal aus der Homepage derDeutschen Gesellschaft für Stiftungsförderung, da heißtes:Ihr Engagement für den „guten Zweck“ kann miterheblichen steuerlichen Vorteilen verbunden sein…
Wir erstellen Ihnen gerne Ihre ganz persönlicheSteuerexpertise, um Ihnen aufzuzeigen, wie vieleSteuern Sie tatsächlich mit der Gründung Ihrer ge-meinnützigen Stiftung sparen können. Sie werdenüberrascht sein!Wenn wir Zahlen dazu hätten, wie sich das eigentlichauswirkt, dann, so glaube ich, gäbe es schon ein großesErschrecken, auch in der Öffentlichkeit.Die Linke hat Ihnen ihre Vorschläge vorgelegt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27345
Dr. Barbara Höll
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Wir denken, wir brauchen einen anderen Ansatz, um so-ziales Engagement der Bürgerinnen und Bürger tatsäch-lich zu befördern. Ihr Weg ist nicht richtig. Da Sie abermit dem Gesetzentwurf im Konkreten einige Verbesse-rungen vornehmen, werden wir ihn nicht ablehnen, son-dern uns enthalten.Danke.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe mich vorhin zu Beginn der Debattegewundert, woher zum Teil die Schärfe in der Debattekommt. Ich kann es mir nur so erklären, dass Ihre Ner-ven wegen vieler anderer Fragen blank liegen, zum Bei-spiel wegen des Koalitionsausschusses und der Ergeb-nisse von gestern Abend.
– Ich fühle mich bestätigt.
Es kann eigentlich nicht mit dem Thema selbst zu tunhaben; denn dieses Thema hat hier im Haus eine ziem-lich lange Tradition. Ich selbst bin seit der letzten Legis-laturperiode Mitglied des Deutschen Bundestags. In dervorletzten Legislaturperiode gab es eine Enquete-Kom-mission zum Thema bürgerschaftliches Engagement. Indieser Enquete-Kommission ist zwischen allen Fraktio-nen dieses Hauses lange, sehr intensiv und sehr einver-nehmlich diskutiert worden, und es sind ganz wichtigeEckpunkte in Bezug auf die Frage der Förderung desbürgerschaftlichen Engagements zusammengetragenworden. Das alles war sehr konsensual. Von daher: Blei-ben Sie alle am besten ganz ruhig!
Ich glaube, das ist ein sehr verbindendes Thema, dassehr viele Bürgerinnen und Bürger interessiert. Sehrviele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich davon betrof-fen, weil sie selbst sich für ihr Gemeinwesen engagieren.
Ich finde es aber problematisch, dass Sie, obwohl Sievier Jahre lang in der Enquete-Kommission darüber ge-redet haben – Herr Grübel, ich glaube, auch Sie warenim Gegensatz zu mir dabei wie auch noch viele andere,die hier sitzen –, offensichtlich vergessen haben, dassbürgerschaftliches Engagement für die Gemeinschaftnicht nur Ehrenamt bedeutet nach dem Motto: „Ich enga-giere mich für jemanden und tue Gutes für andere“, son-dern dass es auch heißt: Ich engagiere mich, weil ichmich mit dem Gemeinwesen verbinde, identifiziere, weilich selbst etwas davon habe, weil ich selbst mich da-durch stärke und davon profitiere. Deshalb ist man dazuübergegangen, in dieser Gesellschaft über bürgerschaft-liches Engagement zu reden und nicht mehr den Kern,also das Ehrenamt in der alten traditionellen Form, nachvorne zu stellen.Deshalb ist es keine Banalität, dass Sie den Titel jetztändern und dahin zurückkehren.
Das ist ein Signal – das will ich Ihnen damit sagen – andie vielen, die sich bürgerschaftlich engagieren, undzwar nicht in einem Verein, sondern vielleicht nur in ei-ner Initiative, vielleicht auch ganz ungebunden für einProjekt. Sie alle haben eine Idee davon, was es bedeutet,sich in einer lebendigen Gesellschaft einzusetzen fürsich, für die Gemeinschaft oder für ein bestimmtes Ziel,ob im Umweltschutz, im Zusammenleben, im Gesund-heitsbereich, in der Hospizarbeit. Es gibt noch viele an-dere Beispiele dafür, wo sich Menschen engagieren.Deshalb ist es im Kern keine Lappalie, wenn Sie dasnicht mehr „Gemeinnützigkeitsrecht“, sondern „Ehren-amt“ nennen.Da frage ich mich schon: Warum tun Sie das, vor al-lem Sie von der FDP mit Ihrem libertären Ansatz und Ih-rem Anspruch als sogenannte Bürgerrechtspartei? Wirgemeinsam haben diese Debatte sowohl in der Enquete-Kommission als auch in der letzten Legislaturperiode imUnterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ sehrintensiv geführt. Deshalb kann ich nicht verstehen, dassSie zu dieser Titeländerung kommen. Das ist nicht nureine Banalität; dahinter steckt auch eine inhaltliche Aus-richtung, und die bedaure ich sehr, weil wir gesellschaft-lich eigentlich viel weiter sind.
– Herr Döring, davon haben Sie keine Ahnung, weil Sienie dabei waren.
Es gibt eine ganze Reihe von kleinen Verbesserungen.Wir haben im Berichterstattergespräch über viele Dingegeredet, die im Kleinen sehr wichtig und richtig sind.
– Ja, das kann ich ruhig betonen, weil wir darüber disku-tiert haben, und zwar sehr ausführlich und sachlich. – Esgeht um Entbürokratisierungsmaßnahmen, zum Beispielfür Vereine, was etwa Tätigkeitsberichte und viele Fra-gen angeht, die den Menschen, die sich in kleinen ge-
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Britta Haßelmann
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meinnützigen Vereinen engagieren, ihr Engagement imAlltag erleichtern. Das finde ich gut. Das finde ich rich-tig. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf
auch nicht ablehnen.Ich finde aber, bei dem Gesetzentwurf versäumen Sieein paar Dinge. Deshalb kommt es bei uns am Ende nurzu einer Enthaltung. Sie klären zum Beispiel nicht dieRolle des Verfassungsschutzes in der Abgabenordnung.
Sie wissen, dass Sie da einen Fehler gemacht haben, denSie beim Jahressteuergesetz nicht korrigiert haben, wasSie eigentlich hätten machen können. Es geht um dieÜberprüfbarkeit der Gemeinnützigkeit einer Organisa-tion. Da richten Sie sich sozusagen nach den 17 Verfas-sungsschutzberichten. Wir haben das total kritisch mitei-nander diskutiert. Sie wissen, dass das hochumstrittenist. Da frage ich mich, warum Sie so etwas mitmachen.Ein weiterer Punkt: die Förderung des bürgerschaftli-chen Engagements als eigenständiges Kriterium. Das istBeschlusslage. Das ist geltendes Gesetz. Seit 2007 darfman als gemeinnützig anerkannt werden, wenn man sichbürgerschaftlich engagiert. Das ist 2007 in einem Gesetzder Großen Koalition so beschlossen worden.Das Finanzministerium fand das falsch. Deshalb hatman das Gesetz durch einen Anwendungserlass uminter-pretiert. Das heißt, wir als Gesetzgeberinnen und Gesetz-geber haben etwas beschlossen, was nie angewendetwurde, weil das Finanzministerium das falsch fand unddas per Anwendungserlass ausgehebelt hat.
– Nein, durch einen Anwendungserlass. – Ich finde, dasist nicht in Ordnung, weil damit ignoriert worden ist,was geltendes Gesetz ist. Deshalb hätte das hier geregeltwerden müssen. Damit zeigt man überhaupt keinen Res-pekt vor dem Parlament und vor einem beschlossenenGesetz.
Ich finde es falsch, dass Sie durch die Erhöhung derÜbungsleiterpauschale und die Anhebung der Ehren-amtspauschale – die Übungsleiterpauschale erhöhen Sievon 2 100 Euro auf 2 400 Euro, die Ehrenamtspauschalevon 500 Euro auf 720 Euro – die Diskrepanz zwischendiesen beiden Pauschalen nicht verkleinern,
was eigentlich notwendig wäre. Sie müssen stärker inRichtung Gleichbehandlung gehen, Herr Grindel.
– Doch, weil im Ehrenamt, im bürgerschaftlichen Enga-gement in vielen Bereichen, in denen Menschen aktivsind, mittlerweile ein Bildungsauftrag damit verbundenist. Warum grenzen Sie das so voneinander ab?
Der Übungsleiter im Fußballverein, der eine super Ar-beit macht, hoch anerkannt ist, Jungen und Mädchen imFußball trainiert und dadurch für diese Gesellschaft auchviel soziale Arbeit leistet,
erhält für seine Tätigkeit 2 400 Euro Übungsleiter-pauschale. Die Frauen oder Männer, die in der Hospiz-arbeit – –
– Ich habe gesagt: Frauen oder Männer. Ich weiß garnicht, warum Sie so empfindlich sind.Die Frauen oder Männer, die im Hospizbereich arbei-ten,
erhalten nicht unbedingt die Übungsleiterpauschale– das wissen Sie ganz genau –, weil ihre Gewährung da-von abhängt, ob es einen Bildungsauftrag gibt odernicht.
– Es ist keine direkte Pflege. Darin besteht das Problem,und es gibt ein Abgrenzungsproblem. Sie haben es dochgerade selber angesprochen. Das finde ich falsch, weil esam Ende zwei verschiedene Arten von Pauschalen gibt,die sehr weit auseinanderliegen
und deshalb zu einer unterschiedlichen Bewertung desEngagements führen.
Das ist im Kern falsch.
Ich glaube, dass Sie an dieser Stelle versäumt haben– der gesellschaftliche Diskurs dazu ist schon viel wei-ter –, das Thema Transparenz anzusprechen. MeineFraktion hätte es gut gefunden, wenn wir dem Anspruchund der öffentlichen Debatte, die insbesondere durch
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Britta Haßelmann
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Fehlverwendungen von Mitteln, von Spenden und einigewenige Skandale ziemlich hochkocht, stärker entgegen-gekommen wären. Heute lassen sich viele Vereinefreiwillig im Rahmen der Verleihung des deutschenSpendensiegels beurteilen. Dann können Menschen, dieVereinen etwas spenden wollen, für ein Anliegen eintre-ten wollen, im Netz nachschauen, wie der Verein arbei-tet, welche Satzung er sich gegeben hat, wie transparenter agiert und mit seinen Mitteln umgeht.Wir hatten in der Debatte angeregt, dass wir uns imSinne von Transparenz stärker darauf konzentrieren soll-ten, über die Frage eines Gemeinnützigkeitsregisters ein-mal nachzudenken.
Wir wollen diese Idee weiter verfolgen. Es wäre gut,wenn gemeinnützige Vereine darlegten, welche Arbeitsie tun und welche Spenden sie erhalten.
Diese Chance ist einfach mit dem Gesetzentwurf vertanworden, weil Sie diese Diskussion nicht führen wollten.Das finde ich schade. Das sind die Gründe, weshalb wiruns an dieser Stelle enthalten werden.
Ich will mich noch einmal ganz herzlich für das Enga-gement so vieler Menschen, die Lust haben, sich einzu-mischen und einzubringen, für ihr Gemeinwesen, für un-sere Gesellschaft bedanken. Ich glaube, dass wir das allesehr wertschätzen.
Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir freuenuns natürlich nicht nur über einen gelungenen und übri-gens mit den wesentlichen Vertretern aller ehrenamtli-chen Organisationen und Hilfsorganisationen abge-stimmten Gesetzentwurf, den wir heute hier beschließenwollen, sondern wir freuen uns auch darüber, dass hiersehr intensiv einmal über viele Menschen – 23 Millionenin Deutschland – gesprochen wird, die sich dankenswer-terweise ehrenamtlich engagieren.Allerdings bin ich über die Tonlage, insbesondere beiden Sozialdemokraten und bei den Linken, etwas über-rascht. Dass Sie einen Gegensatz zwischen staatlicherArbeit, Vereinsarbeit und ehrenamtlicher Arbeit auf-bauen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ichweiß nicht, wo der Dissens bei einem Schullehrer, derSportunterricht anbietet und gleichzeitig immer mehrKooperation mit den regionalen Sportvereinen sucht,liegt. Ich weiß nicht, wo der Gegensatz ist zwischen ei-ner Berufsfeuerwehr, die wichtig ist, und freiwilligenFeuerwehren, die ergänzen und dann helfen, wenn dieBerufsfeuerwehr überlastet ist.
Ich weiß auch nicht, worin der Gegensatz zwischenHauptamt und Ehrenamt bestehen soll.
Im Übrigen ist das gelebte Praxis in fast allen Vereinenund Hilfsorganisationen. Es gibt Hauptamtliche, und esgibt Ehrenamtliche, die übrigens die Mehrheit in denVereinen darstellen. Ich weiß auch nicht, was die sozialeFrage damit zu tun haben soll. Denn für viele Rentnerin-nen und Rentner, gerade für diejenigen mit kleinenRenten, die nicht so viel Geld haben, sind Übungsleiter-pauschale und Ehrenamtaufwandsentschädigung einStückchen Zuverdiensts für ehrenamtliches Engagement.
Im Übrigen darf ich, weil es falsch dargestellt wurde,auf Folgendes hinweisen: Für Hartz-IV-Bezieher gibt esso gut wie keine Möglichkeiten, etwas hinzuzuverdie-nen, aufgrund des Lohnabstandsgebots und vieler ande-rer Aspekte. Beim Ehrenamt gilt das aber gerade nicht.Wer ehrenamtlich tätig ist, kann auch als Hartz-IV-Be-zieher Geld hinzuverdienen, wird also zusätzlich dafürbelohnt, dass er sich als Hartz-IV-Bezieher ehrenamtlichengagiert.
Also geht auch diese Debatte in die falsche Richtung.
Frau Hinz, ich will übrigens ausdrücklich sagen, dassich Ihren Redebeitrag unglücklich fand.
Ich bedanke mich aber bei den Sozialdemokraten sehr,dass sie auch in einem Wahlkampfjahr vernünftig sindund diesem Ehrenamtspaket heute ihre Zustimmung ge-ben. Es ist ein gutes Zeichen für die Demokratie, dassdie großen, vernünftigen Parteien CDU/CSU, FDP undSPD in dieser Frage zusammenarbeiten.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen – ich sage das alsjemand, der selber in vielfältigen Positionen und Funk-tionen seit 30 Jahren ehrenamtlich tätig ist –, um michbeim Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu be-danken, der bereit ist, in schwierigen Zeiten 110 Millio-nen Euro pro Jahr in das Ehrenamt zu investieren. Es istkeine Selbstverständlichkeit, dass Kolleginnen und Kol-
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Dr. Frank Steffel
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legen, die in ihren Fachgebieten viele Wünsche habenund sich mit sinnvollen Vorschlägen nicht durchsetzenkönnen, bereit sind, einer Zahlung an 23 MillionenEhrenamtliche in Deutschland in einer Größenordnungvon 110 Millionen Euro zuzustimmen. Dafür herzlichenDank an den Finanzminister und an die Kollegen undKolleginnen aus den anderen Bereichen.Meine Damen und Herren, zu Grünen und Linkenfällt mir nur eines ein. Erich Kästner hat gesagt:Es gibt nichts Gutesaußer: Man tut es.Sie können im Detail nörgeln, Sie können hier Redenhalten, die mit dem Thema nicht viel zu tun haben; amEnde des Tages ist entscheidend, wie Sie abstimmen. Sieführen mit Ihrem Abstimmungsverhalten heute vor, dassIhnen die Menschen im Ehrenamt nicht so am Herzenliegen, dass Sie kleinteilig nörgeln, absurde Begründun-gen finden: Frauen, Steuerhinterziehung – was weiß ich,was Sie uns alles vorgetragen haben, was die Vereine al-les Böses tun.
Hier führt eine Verlagerung vom Staat zum Ehrenamt zuIhren Bedenken. Trotzdem sollten Sie heute über IhrenSchatten springen und zustimmen; denn wenn Sie dasnicht tun, wird deutlich, worum es Ihnen geht: um dieProfilierung der Parteien, aber nicht um die Wertschät-zung des Ehrenamts.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließendsehr herzlich den Ehrenamtlichen danken, insbesonderederen Angehörigen, die aus meiner Sicht einen wirklichunverzichtbaren Beitrag leisten: Wenn sich ein Vater amWochenende um anderer Leute Kinder kümmert, dannist das für die eigene Familie, für die eigenen Kinder einVerzicht – das gilt für Mütter selbstverständlich genauso –,den viele andere in unserer Gesellschaft nicht leisten.Meine Damen und Herren, während viele weg-schauen, wenn etwas passiert, ob in U-Bahn, S-Bahnoder im öffentlichen Raum, sind unsere Hilfsorganisatio-nen bereit, ehrenamtlich anzupacken, mitzumachen. Da-mit sind sie weit über das ehrenamtliche Engagement hi-naus ein Vorbild für unsere Gesellschaft. Gerade wennman sieht, was Schiedsrichterinnen und Schiedsrichterauf deutschen Sportplätzen und in deutschen Sporthallenin den letzten Monaten und Jahren ertragen haben, dannerkennt man, dass es an der Zeit ist, jenen zu danken,ohne die Sport nicht stattfinden könnte, nämlich Zehn-tausenden und Hunderttausenden von Schiedsrichterin-nen und Schiedsrichtern, die bereit sind, sich jedesWochenende auspfeifen und vielfach beschimpfen zulassen.
Herr Kollege Steffel, darf die Kollegin Höll Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Nein. – Im Hinblick auf die Angehörigen der Ehren-
amtlichen möchte ich als jemand, der – wie viele von Ih-
nen sicherlich auch – viel mit Ehrenamtlichen zu tun hat
und sich dort selbst seit langen Jahren engagiert, einmal
betonen: Es ist für viele Familien mittlerweile die Regel,
dass die Ehepartner und die Familienangehörigen Mehr-
aufgaben übernehmen und Leistungen erbringen, weil
sich ein Familienmitglied oder die ganze Familie in ihrer
Freizeit sehr engagiert ins Ehrenamt einbringt. Ich halte
auch das für keine Selbstverständlichkeit.
Ich schaue zur Tribüne und sehe dort sehr viele junge
Gesichter, worüber ich mich sehr freue. Gerade junge
Menschen wissen, was es bedeutet, dass sich Eltern eh-
renamtlich für unsere Gesellschaft engagieren, als Trai-
ner und Übungsleiter in den Sportvereinen, übrigens
auch in den Musikschulen, als Elternvertreter, als Ge-
meindekirchenräte, als Kommunalpolitiker und in vielen
anderen Bereichen. Deswegen – Christian von Stetten
hat die Details dargelegt – ist heute ein guter Tag für das
Ehrenamt. Es ist in juristischer, gesetzlicher Hinsicht ein
guter Tag, aber vor allen Dingen ist es ein Tag der Aner-
kennung, ein Tag des Dankes. Wir als CDU/CSU-Frak-
tion danken allen Ehrenamtlichen und insbesondere den
Angehörigen für ihren unverzichtbaren Beitrag in unse-
rer Gesellschaft.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Kumpf für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, hier im Saal sind wir uns alle darin einig, dassunsere Demokratie erst durch das Engagement der Bür-gerinnen und Bürger lebt
und dass wir alle eine vitale Bürgergesellschaft wollen,eine starke, lebendige Bürgergesellschaft, in der Men-schen füreinander einstehen und die Freiheit nutzen, ihreMeinung zu äußern und sich in Vereinen und Verbändenzu organisieren. Sie arbeiten mit ihrem Engagement ge-gen die Fliehkräfte der Gesellschaft. – Ich glaube, bishierhin wird jeder sagen: Das stimmt.Jetzt gehen wir weiter. Wir sind davon überzeugt,dass eine lebendige Bürgergesellschaft staatliches Han-deln kontrollieren, korrigieren, anspornen und ergänzen,aber nicht ersetzen soll. Ich glaube, das ist der erste Un-terschied; diesen sollten wir auch einmal deutlich ma-chen.
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Ute Kumpf
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Wir alle wissen auch: Nur wo der Sozialstaat seinerPflicht nachkommt, kann auch eine vitale Bürgergesell-schaft entstehen. Das wissen wir durch Untersuchungen.Sonst entsteht nichts, sonst blüht nichts. Wir wissenauch, dass Ehrenamtlichkeit Hauptamtlichkeit braucht,damit es wachsen kann.In der Enquete-Kommission haben wir uns bereits aufeinen Begriff verständigt. Deshalb ist Ihre Begrifflich-keit ein bisschen altbacken und zurückgedreht. Wir ha-ben uns von dem engen Begriff des Ehrenamtes verab-schiedet und darauf verständigt, vom bürgerschaftlichenEngagement zu reden, das freiwillig, gemeinwohlorien-tiert und selbstlos ist und das sowohl das klassische Eh-renamt umfasst als auch die Selbsthilfe, Freiwilligen-dienste und sonstige Organisationen, die sich im Laufeder Jahre entwickelt haben.Ich merke, es ist nur der Kollege Lothar Binding da.Er, der Kollege Riegert und ich waren es, die in der En-quete-Kommission mitgearbeitet haben. Kollege Grübelwar damals noch nicht im Deutschen Bundestag. All-mählich geht wohl auch dieses Wissen verloren, wassehr schade ist. Trotzdem haben wir uns im Unteraus-schuss auf diesen Begriff verständigt. Übrigens heißt derUnterausschuss nicht Unterausschuss für das Ehrenamt,sondern Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage-ment“.Alle sagen, es ist toll, dass sich 23 Millionen Men-schen engagieren. Es sind 500 000 Vereine, es sind in-zwischen fast 20 000 Stiftungen, die diese Gesellschaftausmachen. Es geht nicht nur um den Sport, das betoneich, weil Sie so sehr auf den Sport abheben, als wäre die-ser das zentrale Element. Er macht gerade 10 Prozentaus. Der Sport ist sicherlich wichtig, aber genauso vieleMenschen sind engagiert im sozialen Bereich, im kultu-rellen Bereich, sie sind engagiert in der Freizeit und Ge-selligkeit, sie sind engagiert als Elterninitiativen im Kin-der- und Jugendbereich. Also, auch darauf genau zuschauen und nicht nur die männlich bestimmte DomäneSport im Blick zu haben, glaube ich, tut uns allen gut.
Wir wissen auch, dass alle Engagierten Anerkennungwünschen – wir müssen das einfach einmal im Berichtder Enquete-Kommission nachlesen – und dass sie ebennicht als Ausfallbürge benutzt werden wollen.Wir hatten in dieser Woche eine wunderbare Anhö-rung im Unterausschuss. Der Kollege Bernschneider warmit dabei. Ihm verdanken wir, dass wir eine wunderbareInitiative kennengelernt haben: „AntiRost“ aus Braun-schweig. Deren Vertreter haben betont, dass sie für sichentscheiden wollen, was sie tun. Sie wollen Unterstüt-zung, sie wollen aber nicht missbraucht werden.Dieses Verzwecken, das ein Stück weit in Ihrem Ge-setz steckt, tut den Menschen nicht gut. Das wollen sienicht. Sie verweigern sich dann auch. Das sollten wir zurKenntnis nehmen.
Darüber hinaus finde ich, dass es kein guter Stil war.Herr Kollege von Stetten, Sie haben bei der ersten Le-sung vollmundig gesagt: Machen Sie mit, bringen Siesich ein, bringen Sie Änderungsanträge ein! – Keiner un-serer Änderungsanträge wurde berücksichtigt.
Das ist schlechter politischer Stil; denn es war immerKonsens im Haus, dass wir Initiativen zum Thema „bür-gerschaftliches Engagement“ über die Parteigrenzen hin-weg ergriffen, mitgetragen und gemeinsam entschiedenhaben.Wir werden uns heute diesem Gesetzentwurf nichtverweigern. Wir finden, er fällt hinter die Erwartungender Menschen in der Bürgergesellschaft zurück. Wir ha-ben noch viel zu tun, um die Rahmenbedingungen unddie Voraussetzungen für bürgerschaftliches Engagementzu stärken.
Ein paar weitere Stichworte: Weil Sie so sehr auf dieÜbungsleiterpauschale abheben und weil der KollegeGrübel vorhin so gelacht hat, biete ich einen kleinen Ge-schichtskurs an. Es war Willy Brandt, der die steuerfreieÜbungsleiterpauschale in Höhe von 100 DM eingeführthat, um die Arbeit der sportlichen Übungsleiter zu wür-digen und wertzuschätzen. Das hat damals zu heftigenDebatten geführt, weil es nur um Sport ging.
Inzwischen ist diese Übungsleiterpauschale ausgebautworden.
Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf den Sport; auchin anderen Bereichen gibt es Nutznießer dieser steuer-freien Pauschale. Der Witz ist aber, dass man nur danndavon profitieren kann, wenn die Vereine überhaupt inder Lage sind, diese Pauschale zu zahlen,
und wenn man steuerlich so veranlagt wird, dass diesauch wirkt. Hier gibt es noch ganz viel nachzuarbeiten;denn 80 Prozent der Menschen, die sich bürgerschaftlichengagieren, haben von dieser Pauschale gar nichts. Soviel an dieser Stelle.Darüber hinaus haben die Wohlfahrtsverbände in derAnhörung kritisch angemerkt – insgesamt freuen sie sichnatürlich, auch die Sportvereine –, dass ein größerer Druckentsteht, mehr zahlen zu müssen, um den Aufwand abzu-gelten. Zudem besteht die Gefahr, dass durch eine sehrkreative Gestaltung der ehrenamtlichen Tätigkeit Mini-jobs mit der Übungsleiterpauschale verbunden werdenund durch diesen Missbrauch schlecht entlohnte Tätig-keiten finanziert werden. Da liegt die Krux. Wir müssenalso genau schauen, wo die Schnittstelle zwischen Eh-renamt und geringfügiger Beschäftigung verlassen wird.
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27350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Ute Kumpf
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Auch bei der kleinen Ehrenamtspauschale gibt esSchwierigkeiten. Wir hätten uns gewünscht, dass diekleine Ehrenamtspauschale, die 2007 anstelle einer Zeit-spende eingeführt wurde, die damals nicht mitgetragenwurde, ausgeweitet wird und mehr Menschen zugute-kommt.
Auch hier gilt der Grundsatz, dass wir uns andere For-men überlegen müssen, wie zum Beispiel die Zeit-spende. Diese Pauschale zeigt nämlich nur dann Wir-kung, wenn tatsächlich Gelder fließen und einesteuerliche Veranlagung vorliegt. Viele, die ein kleinesEinkommen haben, haben von dieser Entlastung nichts.Deswegen sollte man hier keine Augenwischerei betrei-ben.
Ich finde das ehrlich. Wir sollten nichts vorgeben, wasder Sache nicht entspricht. Das ist eine Frage von sozia-ler Gerechtigkeit.
Der Kollege möchte eine Frage stellen.
Dann wollen wir das auch ermöglichen. – Bitte schön,
Herr Kollege von Stetten.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kumpf, Sie ha-
ben gerade ausgeführt, dass sich die SPD gewünscht hat,
wir hätten die sogenannte kleine Ehrenamtspauschale,
die wir von 500 auf 720 Euro erhöhen, also um immer-
hin 44 Prozent, stärker ausgebaut. Ist Ihnen bekannt,
dass im Finanzausschuss des Bundesrates, der diesen
Gesetzentwurf vorab diskutiert hat, die Vertreter der
SPD-geführten Länder eine Erhöhung auf 720 Euro kon-
sequent abgelehnt haben?
Wie bringen Sie das zusammen? Das ist doch die Wahr-
heit, und die sollte hier ausgesprochen werden.
Das ist mir sehr wohl bekannt. Der Finanzausschussdes Bundesrates hat sich auch zu dem Thema Übungslei-terpauschale kritisch geäußert und die Erhöhung abge-lehnt.
Er hat dies abgelehnt, weil befürchtet wird, dass mit dergroßen Übungsleiterpauschale Missbrauch betriebenwird.
Er hat sich dafür ausgesprochen, dass die Trennung zwi-schen ehrenamtlichem sowie freiwilligem Engagementund geringfügiger Beschäftigung aufrechterhalten wird.Mit der kleinen Ehrenamtspauschale – das wissen Siesehr wohl – wollten wir 2007 etwas Gutes tun. Der Kol-lege Riegert, glaube ich, hat auch darauf gedrängt, dassdie Vereine diese Pauschale einführen. Die Zeitspendewurde damals abgelehnt, obwohl alle, die im Bereich„bürgerschaftliches Engagement“ arbeiten, sich für dieZeitspende ausgesprochen haben, weil dies auch denVereinen geholfen hätte, bei denen kein Geld an die eh-renamtlich Tätigen fließt.
Aber jetzt zurück zu Ihrer kleinen Ehrenamtspau-schale. Es gab Ärger in den Vereinen, weil die Satzungengeändert werden mussten.
– Langsam, ich will mein Argument gerade entwickeln. –
Die Satzungen mussten geändert werden, damit die Vor-stände ihren Aufwand bezahlt bekommen. Ich erinneremich ganz genau – das kennen Sie auch; ich war bei Ih-nen in Ihrem Gäu –, dass viele gesagt haben: Wir könnendas nicht bezahlen. Aber warum bekommt sie auf einmalder Vereinsvorstand? Ich bekomme sie nicht, wenn icheine bestimmte Tätigkeit mache. – Das hat damals zugroßen Verwerfungen geführt.
Das war der Hintergrund für die Vorgänge im Finanzaus-schuss des Bundesrates.Im Bundesrat wurde die Sache, nachdem wir debat-tiert hatten, geheilt. Er hat sich dem Finanzausschussnicht angeschlossen, weil sich die anderen Ausschüssedafür ausgesprochen haben. Was aber hier nicht vomBundesrat übernommen wurde, ist die Klarstellung zu§ 52 Abgabenordnung, der unter anderem die Förderungdes bürgerschaftlichen Engagements beinhaltet. DieKollegin Britta Haßelmann hat schon erläutert, dass wirdies 2007 eingeführt haben. Die Finanzämter haben dasschlichtweg missachtet; dadurch konnten Neuformennicht gefördert werden. Sie hatten damit keinen Zugangzur Gemeinnützigkeit. Wir wollten das klarstellen; aberSie haben das rigoros abgelehnt.Noch ein Wort zu den Stiftungen. Sie selbst haben einHerz für Stiftungen; das wird durch Lobpreisungen hierauch wertgeschätzt.
Wir haben in unseren Debatten deutlich gemacht, dasswir den Weg der Verbrauchsstiftungen nicht mitgehen
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Ute Kumpf
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wollen. Leider konnten wir unsere Position nicht durch-setzen. Wir sehen darin ein neues Steuersparmodell, dasdem eigentlichen Stiftungsgedanken entgegensteht. Wirhaben 2007 mit dem Gesetz „Hilfen für Helfer“ einenguten Weg eingeschlagen. Damals gab es 16 000 Stiftun-gen, jetzt gibt es knapp 20 000 Stiftungen. Ihren Wegwollen wir nicht mitgehen.Zum Schluss. Es gibt noch ganz viele Baustellen,wenn es darum geht, das bürgerschaftliche Engagementzu fördern. Es geht nicht nur um den Sport, der eine sehrmännlich geprägte Domäne ist; das wissen wir.
– Das können Sie nicht leugnen. Alle Untersuchungenbelegen das.
Frau Kollegin Kumpf!
Wir wissen ganz genau, dass wir uns neben der Aus-
stattung und dem steuerlichen Anreizsystem noch wei-
tere Formen überlegen müssen, um Menschen für das
bürgerschaftliche Engagement, für die klassische Ver-
einsarbeit zu gewinnen. Wir müssen mehr tun. Wir müs-
sen bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dafür setzen
wir uns ein. Wir haben gute Bündnispartner: die Wohl-
fahrtsverbände und 23 Millionen engagierte Menschen
in unserer Republik.
Danke.
Marco Buschmann ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir diskutieren heute in der Kernzeit in zweiter unddritter Lesung über das vorliegende Gesetzespaket, weilwir das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engagementnicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit konkre-ten Taten würdigen wollen. Ich finde es sehr bedauer-lich, dass Sie dieses wichtige, fraktionsübergreifendeAnliegen für die kleine parteipolitische Münze miss-brauchen. Sie suchen nach Haaren in der Suppe, und dasbei einem Paket, das objektiv so gut ist, dass kein einzi-ger Abgeordneter in diesem Parlament mit Nein stim-men will. Warum man versucht, ein solches Anliegenangesichts der großen gesellschaftspolitischen Relevanzzu zerreden, das werde ich nicht verstehen und dasmöchte ich auch nicht verstehen.
Ich bleibe dabei: Heute ist ein guter Tag. Es ist ein gu-ter Tag für das Ehrenamt, weil wir unsere Wertschätzungdurch die Einführung weiterer Maßnahmen zum Aus-druck bringen. Wir werden mit vielen kleinen und gro-ßen konkreten Maßnahmen etwas für die 23 MillionenMenschen in Deutschland tun, die sich täglich in den fast600 000 Vereinen und in rund 19 000 Stiftungen enga-gieren. Mit Leidenschaft, Tatkraft und häufig mit ihremprivaten Geld tragen sie zu einer lebendigen Bürgerge-sellschaft der Vielfalt bei.Hier wird der Unterschied im Denken deutlich. Es istwichtig, dass Engagement unabhängig von staatlicherTätigkeit erfolgt, dass wir private Initiativen haben. Dielebendige Bürgergesellschaft soll den Staat herausfor-dern; sie soll Initiativlücken schließen. Deshalb ist essehr wichtig, dass wir eben nicht dem Weltbild der Lin-ken folgen und alles in die Obhut des Staates geben;vielmehr müssen wir die Unabhängigkeit, die Lebendig-keit, die Vielfalt und den Pluralismus im Bereich derKultur, des Sports und der Medien erhalten. Alles anderewäre die Verstaatlichung des Denkens, die Verstaatli-chung der Kunst, die Verstaatlichung der Mildtätigkeit.Eine solche Gesellschaft möchte ich nicht. Ich möchtefreie, engagierte Bürger, die ihren eigenen Weg gehenkönnen, gerade dann, wenn sie der Meinung sind, dassdie Mehrheit vielleicht Lücken übersieht, die zu schlie-ßen die Gesellschaft berufen ist.
Für diese tatkräftigen Menschen gestalten wir das Ge-meinnützigkeitsrecht jetzt bürgerfreundlicher. Wir ge-stalten die Haftungsverhältnisse überschaubarer. Hierhaben wir im Rahmen der Beratungen noch Verbesse-rungen vorgenommen. Die Frage der Beweislast ist jetztbei weitem besser, transparenter und auch vorteilhafterfür die ehrenamtlich Tätigen geregelt worden. Das zeigt,dass wir keinesfalls mit Betonkopfmentalität in die Bera-tungen gegangen sind. Vielmehr haben wir einen gutenGesetzentwurf an wesentlichen Stellen noch besser ge-macht.Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt erwähnen.Dies ist nicht nur ein guter Tag für das Ehrenamt. Ichfinde, dies ist auch ein guter Tag für das Parlament, weildie Idee zu diesem Paket nicht von der Bundesregierungkam. Ich schaue den Kollegen Grindel an. Ich kann michnoch gut daran erinnern, wie wir uns nach einer Sitzungdes Untersuchungsausschusses zusammengesetzt haben– ich glaube, es war eine Sitzung des Gorleben-Untersu-chungsausschusses – und gesagt haben: Mensch, lassuns doch einmal die Ideen, die es zum Thema Ehrenamtgibt, sammeln, um für die 23 Millionen ehrenamtlich tä-tigen Menschen etwas Gutes auf den Weg zu bringen. –Ganz schnell waren die Kollegen von Stetten undRiegert von der Unionsfraktion und die KolleginReinemund und der Kollege Bernschneider aus meinerFraktion dabei. Wir haben diese Sache vorangetrieben.Dabei haben wir den Sachverstand aus den Häusern nut-zen können; herzlichen Dank dafür. Der technische
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27352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Marco Buschmann
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Sachverstand der Ministerien ist also voll und ganz inden Dienst des Parlaments gestellt worden, um unsereInitiative zu unterstützen. Ich glaube, so sollte es sein.Deshalb ist dies auch für den Parlamentarismus ein schö-ner, ein guter Tag. Die Zusammenarbeit war vorbildlich.Dafür möchte ich mich bedanken.Meine Damen und Herren, die Sie draußen an denBildschirmen diese Debatte verfolgen, lassen Sie sichnicht verunsichern. So schlecht kann dieser Gesetzent-wurf nicht sein, wenn kein einziger Abgeordneter hiermit Nein stimmt. Das ist ein gutes Gesetz, und das ist einguter Tag für das Ehrenamt. Dabei bleibe ich. Ich lassemir nichts anderes einreden. Sie sollten das auch nichttun.Herzlichen Dank.
Nun erhält der Kollege Karl Holmeier das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Auch wenn es schon mehrfach gesagt wurde: Heute istein besonderer Tag für das Ehrenamt in Deutschland.Wieder einmal hält die christlich-liberale KoalitionWort. Sie setzt Stück für Stück das um, was wir im Ko-alitionsvertrag vereinbart haben – heute im Interesse al-ler ehrenamtlich tätigen Menschen in ganz Deutschland.
Bei diesem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung desEhrenamtes ist der Name Programm. Wir sorgen dafür,dass ehrenamtliches Engagement stärker als bisher ge-würdigt wird. Wir sorgen dafür, dass ehrenamtliches En-gagement attraktiver wird. Und wir sorgen dafür, dassder bürokratische Aufwand für ehrenamtliches Engage-ment verringert wird. Ehrenamtliches Engagement ist ei-ner der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Dies gilt vorallem für den ländlichen Raum. Millionen Deutsche set-zen sich jede Woche in Kirchen, in Sportvereinen, in so-zialen Einrichtungen, in Hilfsorganisationen, in Parteienoder anderen Initiativen ehrenamtlich ein. Viele Berei-che des öffentlichen und sozialen Lebens wären ohne eh-renamtliches Engagement nicht denkbar. Mit dem heutezu verabschiedenden Entwurf eines Gesetzes zur Stär-kung des Ehrenamtes ist es der christlich-liberalen Ko-alition gelungen, ein attraktives Gesetzespaket zu schnü-ren.Dieser Gesetzentwurf hat auf alle Fragen, die ehren-amtlich tätige Bürger berühren, die passende Antwortparat. Dementsprechend war das Echo in der öffentli-chen Anhörung am 10. Dezember 2012 sehr positiv. Mitden in den Ausschüssen beschlossenen Änderungen ha-ben wir zudem die wichtigsten Verbesserungsvorschlägeder Sachverständigen aufgegriffen und den Einwänden,die während der parlamentarischen Beratungen vorge-bracht wurden, Rechnung getragen.Ich möchte an dieser Stelle auf drei Punkte eingehen,für die ich auch in meinem Wahlkreis positive Rückmel-dungen sowie entsprechende Anfragen zum Inkrafttretender Regelung erhalten habe:Erstens. Ein wichtiger Punkt ist die Anhebung dersteuerlichen Pauschalen. Hiermit geben wir den Verei-nen die Chance, auf bürokratisch aufwendige Einzelab-rechnungen zu verzichten. Zugleich schaffen wir dieMöglichkeit, ehrenamtliche Arbeit stärker zu honorie-ren. Zum einen erhöhen wir die Übungsleiterpauschalevon 2 100 auf 2 400 Euro. Zum anderen erhöhen wir dieEhrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro. Davon pro-fitieren auch alle anderen Ehrenamtlichen, zum BeispielKirchenpfleger, Feuerwehrleute, Schiedsrichter undviele mehr.Ein zweiter Punkt und ein großer Schritt zum Abbauder Bürokratie ist die Anhebung der Umsatzgrenze beisportlichen Veranstaltungen. Gerade bei kleineren Ver-anstaltungen entfällt damit die Pflicht, die Ausgaben de-tailliert aufzuschlüsseln. Das hilft unseren Sportvereinensehr.Drittens bewegt viele Ehrenamtliche auch die Frage,inwieweit sie für Fehler und Schäden, die immer wiederpassieren können, persönlich einstehen müssen. Mit demGesetz zur Stärkung des Ehrenamts geben wir den Eh-renamtlichen das eindeutige Signal: Ihr haftet nur beiVorsatz und bei grober Fahrlässigkeit. Wir sagen außer-dem: Ob Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im konkretenFall vorgelegen hat, muss positiv nachgewiesen werden.Es ist also nicht mehr so, dass der Ehrenamtliche seineUnschuld nachweisen muss.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich, dassdie parlamentarischen Beratungen in vielen Punkten ein-vernehmlich verliefen. Insofern danke ich allen für diekonstruktive Zusammenarbeit bei einem Gesetzentwurf,der letztlich den vielen Ehrenamtlichen in unserem Landdie Arbeit erleichtern und sie vor allem stärker wert-schätzen soll. Mit Blick auf die Zustimmungspflicht desBundesrates bei diesem Gesetz bleibt mir daher nur zuhoffen, dass die Opposition Wort hält und im Bundesrattatsächlich verantwortungsvoll zustimmt.Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass dies eingroßer Tag für das Ehrenamt in Deutschland ist. Geradeweil es so ein besonderer Tag ist, möchte ich die Gele-genheit nutzen und alle in diesem Hause darauf hinwei-sen und darum bitten, dass wir nach Beschluss diesesGesetzentwurfs auf gar keinen Fall in unserem Engage-ment lockerlassen dürfen, sondern auch in Zukunft daranarbeiten müssen, das Ehrenamt weiter zu stärken.In unserem Koalitionsantrag zur Zukunft der ländli-chen Räume vom November letzten Jahres ist die Steige-rung der Attraktivität ehrenamtlicher Betätigung ganzklar als Zukunftsaufgabe beschrieben. Hieran müssenwir festhalten und auch weiterhin intensiv arbeiten, da-mit dies nicht der letzte große Tag für das Ehrenamt ist,sondern in unserem Land noch viele weitere große Tagefür das Ehrenamt folgen.Vielen Dank.
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Das Wort erhält nun der Kollege Siegmund Ehrmann
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es eine tolle Sa-
che, dass in unserem Land so viele Menschen ehrenamt-
lich engagiert sind und sich einbringen. Deshalb ist es
auch die Pflicht des Parlamentes, sich sehr intensiv mit
diesem hohen Gut der eingebrachten Zeit, des Engage-
ments, der Umsicht und der Gaben auseinanderzusetzen.
Dies ist mehrfach geschehen. Ich erinnere an die
Enquete-Kommissionen zu diesem Thema, und zwar
nicht nur an die grundlegende Enquete-Kommission
„Bürgerschaftliches Engagement“, sondern auch an die
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“.
Dort gibt es ein großes Kapitel, das sich sehr umfassend
mit Fragen des ehrenamtlichen Engagements und der
Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements
beschäftigt.
Aufgegriffen wurden wesentliche Impulse aus diesen
Enquete-Berichten in der Initiative „Hilfen für Helfer“,
damals unter Finanzminister Peer Steinbrück. Wir haben
das Spendenrecht modernisiert und den Bereich der
Übungsleiterpauschalen und Aufwandsentschädigungen
weiterentwickelt. Wir haben das Stiftungsrecht eleganter
gestaltet. Alles das ist geschehen.
In den Segmenten des Steuerrechts, des Stiftungs-
rechts und des Haftungsrechts bringt dieser Gesetzent-
wurf Weiterentwicklungen.
Auch wenn wir einige Punkte kritisieren: Hier wird eine
Linie, die gezogen wurde, weitergeführt. Dennoch wer-
den wesentliche Impulse insbesondere der Enquete-
Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ und
auch der Debatten im Unterausschuss nicht aufgegriffen.
Ich verweise auf etwas, das heute auch auf der Tages-
ordnung steht, aber in dieser Debatte noch keine Würdi-
gung erfahren hat, nämlich den Ersten Engagementbe-
richt. Das ist ein Fundus von Herausforderungen, denen
wir uns stellen müssen. Wenn man diesen Strang, die Er-
gebnisse dieses Engagementberichts bzw. der Debatte
des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“,
aufnimmt, dann werden die kritischen Einlassungen
meiner Fraktion nicht als Mäkelei zu würdigen sein, son-
dern als Ermahnung: Lasst uns doch diese Debatte, die
einen Fortschritt bedeutet – weg vom eng gefassten Be-
griff des Ehrenamtes hin zu einem weiter gefassten Be-
griff des bürgerschaftlichen Engagements –, führen! Ge-
nau das ist die große Herausforderung, um die es geht.
An der Stelle geht es nicht um parteipolitische Spitzen,
sondern um Respekt gegenüber den Vorarbeiten, die wir
interfraktionell in den vorherigen Legislaturperioden ge-
leistet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Regierungskoalition, Sie bleiben hinter Ihren Möglich-
keiten, auch den intellektuellen Möglichkeiten, die
durchaus in Ihren Reihen vorhanden sind, zurück. Dies
bedaure ich sehr.
Ich will auf einen Schüsselsatz hinweisen, der sich
mit dem Grundanspruch, der dahinter steht, beschäftigt.
Sie sehen, dass die Drucksachen zu diesem Thema um-
fangreich sind. Die Experten, die wir eingesetzt und um
Rat gebeten hatten, haben Empfehlungen ausgespro-
chen. Das ist also kein unerwünschter Rat, sondern ein
erbetener Rat. Die Experten sagen: Es geht um das
„Austarieren einer neuen Verantwortungsbalance“. Es
geht um ein ausgewogenes Miteinander von Staat, Wirt-
schaft und Zivilgesellschaft. Das ist die Grundaussage.
Die Bundesregierung stimmt dem in ihrer Stellung-
nahme zu diesem Bericht zu. Das heißt im Ergebnis, ei-
nen Diskurs, eine Debatte zu führen und ernsthaft auf
Argumente, die von unseren Partnern aus der Zivilge-
sellschaft vorgetragen werden, einzugehen. Aber das ist
unterblieben. Da haben Sie sich verweigert. Daher ist
unser zweiter wesentlicher Kritikpunkt, dass Sie die De-
batte verengen und einen grundlegenden Diskursauftrag
ignorieren. Das ist im Grunde genommen der Kern unse-
rer Anmerkungen.
Nun komme ich auf die Begründung des Gesetzent-
wurfs und die Einlassungen der Bundesregierung in der
Stellungnahme zu sprechen. Wenn das, was dort steht,
ernst gemeint ist – es deutet darauf hin, dass es um das
Ersetzen staatlicher Aufgaben durch Ehrenamt geht –,
dann müssen wir das kritisieren.
Mit diesem Punkt müssen wir uns ernsthaft auseinander-
setzen.
Dies war sozusagen eine Einordnung unserer Kritik.
Die Linie im Steuerrecht wird fortgeführt; da machen
wir in weiten Teilen mit. Aber den Grundanspruch, den
wir gemeinsam vereinbart haben, ignorieren Sie. Das ist
der Hauptgrund für unsere kritischen Anmerkungen. Wir
stimmen im Ergebnis zu, fordern aber eine weiter ge-
hende Debatte ein.
Danke schön.
Markus Grübel erhält jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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27354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Engagementpolitik ist ein wichtiges und eigenständigesPolitikfeld in Deutschland geworden. Es gibt in diesemBereich in den letzten Jahren eine sehr gute Entwick-lung. Ich erinnere an die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsereGesellschaft“ aus dem Jahr 1995; Klaus Riegert war da-mals federführend. 1999 wurde die Enquete-Kommis-sion „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ein-gesetzt. In der 15., 16. und 17. Wahlperiode gab bzw.gibt es den Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage-ment“. Wenn es nach mir ginge, würden wir in dernächsten Wahlperiode einen ordentlichen Ausschuss da-raus machen.Im Oktober 2010 gab es erstmals eine nationale Enga-gementstrategie und im August 2012 erstmals einen En-gagementbericht der Bundesregierung. Heute geht es umden Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts.Wir hatten bei diesem Thema in den letzten zehn Jah-ren eine breite wissenschaftliche Begleitung. Ich nennezum Beispiel die drei Freiwilligensurveys 1999, 2004und 2009, durch die wir die Entwicklungen im Bereich„bürgerschaftliches Engagement“ gut sehen konnten.Stiftungen und Unternehmen nehmen sich des Themasan. Der Generali Zukunftsfonds hat jüngst die GeneraliAltersstudie veröffentlicht, in der es darum geht, wie äl-tere Menschen leben, denken und sich engagieren. Ne-ben der Shell-Studie gibt es also eine weitere Studie, indem Fall eine, die sich mit den Älteren beschäftigt.Zum Gesetzentwurf wurde heute schon viel gesagt.Ich möchte mich daher dem Ersten Engagementbericht2012 „Für eine Kultur der Mitverantwortung“ zuwen-den. Sie haben ja sozusagen den Aufschlag dazu gege-ben, Kollege Ehrmann. Im März 2009 hatten wir dieBundesregierung aufgefordert, einen Engagementberichtvorzulegen. Dem ist die Bundesregierung im August2012 nachgekommen; sie hat ein sehr umfangreichesWerk herausgegeben.Unmittelbar danach hat in der Wissenschaft, aberauch in der Engagementszene eine leidenschaftliche Dis-kussion eingesetzt. Dies ist aber auch Sinn und Zweckeines solchen Berichts. Er ist ja nicht zur ewigen Vereh-rung da, sondern es soll intensiv darüber diskutiert wer-den. Insbesondere ist über die Neudefinition des bürger-schaftlichen Engagements diskutiert worden. Es geht umdie Feststellung, dass bürgerschaftliches Engagement zuden Bürgerpflichten gegenüber dem Gemeinwesen ge-hört. Am Begriff „Bürgerpflicht“ hat sich Kritik entzün-det. Nach meiner Meinung gibt es Missverständnisse imHinblick auf diese Begrifflichkeit. „Bürgerpflicht“ istvon der Kommission nicht im Sinne einer rechtlichenVerpflichtung gemeint. Gemeint ist vielmehr die morali-sche Pflicht, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leis-ten. Ich glaube, dahinter können wir alle stehen.Das ist zum Beispiel vergleichbar mit dem Wahlrecht;für mich ist auch das Wahlrecht eine Bürgerpflicht, abereine, die nicht eingeklagt werden kann. Das ist auch ver-gleichbar mit Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigen-tum verpflichtet“. So verpflichten auch Begabungen undFähigkeiten, nämlich dazu, sie der Gemeinschaft zurVerfügung zu stellen. Wir kennen das ja aus der Bibel.Da werden wir aufgefordert, unsere Talente nicht zu ver-graben, sondern mit ihnen zu wuchern.
Diese Diskussion war hilfreich, weil dadurch das Anlie-gen und das Thema transportiert wurden.Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engage-ment rede ich allerdings nur sehr ungern von Pflichten.Wir wissen doch alle: Geben gibt. Wer sich engagiert,wird reich beschenkt. Er ist zufriedener, fitter und gesün-der als Menschen, die sich nicht engagieren. Bürger-schaftliches Engagement ist besser als Pillen. Darumgehören Opa und Oma im Ruhestand nicht aufs Kreuz-fahrtschiff, sondern zu ihren Enkeln, in einen Vereinoder in eine Bürgerinitiative, wenn sie fit bleiben wollen.
– Ich gönne natürlich jedem auch eine Kreuzfahrt; auchdas darf sein.Der Erste Engagementbericht gibt einen umfangrei-chen Überblick über den Stand des bürgerschaftlichenEngagements in Deutschland. Eine derart breite Darstel-lung hat es in Deutschland seit dem Bericht der Enquete-Kommission nicht mehr gegeben. Behandelt werdenverschiedene Themen: die Probleme der örtlichen Ver-eine im gesellschaftlichen Wandel, bürgerschaftlichesEngagement im schulischen Bildungsmix, bessere Ein-bindung von bildungsfernen Schichten im Bereich desbürgerschaftlichen Engagements, bürgerschaftlichesEngagement von und für Personen mit Zuwanderungs-geschichte und die neueren Entwicklungen im Bereichder Freiwilligendienste.Man kann wirklich sagen: Die Freiwilligendienste ha-ben sich toll entwickelt. Nach der Aussetzung der Wehr-pflicht und dem Wegfall des Zivildienstes wurden imRahmen des Bundesfreiwilligendienstes 35 000 Stellenneu geschaffen. Die Zahl der Stellen im Bereich desFreiwilligen Sozialen Jahres bzw. des Freiwilligen Öko-logischen Jahres wurde um weitere 10 000 aufgestockt;derzeit sind 50 000 Stellen besetzt. In internationalenFreiwilligendiensten sind 5 000 junge Menschen tätig.10 000 junge Menschen leisten freiwilligen Wehrdienst.Insgesamt engagieren sich also 100 000 überwiegendjunge Menschen für unsere Gemeinschaft. Das ist einganz tolles Zeichen für unsere Gesellschaft.Ein Schwerpunkt des Ersten Engagementberichts istdas Unternehmensengagement. Der Bericht enthält neueErkenntnisse zum Umfang, zur Motivation und zu denZielen des bürgerschaftlichen Engagements von Unter-nehmen, aber auch zu den Hemmnissen. Er ist sehr le-senswert.Nun zurück zum Gesetzentwurf. Der heute vorlie-gende Gesetzentwurf baut auf früheren Gesetzen zurStärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf; FrauHinz, das haben Sie zu Recht gesagt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27355
Markus Grübel
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Ich komme zum Schluss. Sehr geehrte Damen undHerren, ich habe den Bogen von den Anfängen des bür-gerschaftlichen Engagements als eigenständigem Poli-tikfeld bis hin zum heute vorliegenden Gesetzentwurfgeschlagen. Wir haben eine sehr gute Entwicklung zuverzeichnen. Mein Dank richtet sich an alle, die sich eh-renamtlich und freiwillig engagieren. Dieser Gesetzent-wurf ist auch eine Anerkennung der Arbeit der mehr als23 Millionen Menschen in unserem Land, die dies tun.Vielen Dank.
Florian Bernschneider spricht nun für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich knüpfe gerne an Markus Grübel an. Ich finde es
ebenfalls gut, dass wir heute nicht nur über das vorlie-
gende Gesetzespaket sprechen, sondern auch die Gele-
genheit haben, es im Kontext des Engagementberichts
zu beraten. Denn erst in diesem Kontext wird klar: Wir
sprechen heute nicht über ein alleinstehendes Gesetzes-
paket, sondern über einen Gesetzentwurf, der sich als ein
wichtiger Baustein in eine lange Tradition der Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements einreiht.
Der Engagementbericht nimmt uns praktisch mit auf
eine Zeitreise – Markus Grübel hat das zu Recht gesagt
–: von der Einsetzung der Enquete-Kommission über
viele auch fraktionsübergreifende Initiativen zur Stär-
kung des bürgerschaftlichen Engagements bis hin zu die-
sem heute vorliegenden Gesetzespaket. Wenn man eine
solche Zeitreise unternimmt – das will ich stolz sagen –,
dann muss man feststellen, dass die christlich-liberale
Koalition auf diesem Themenfeld in den vergangenen
dreieinhalb Jahren den Turbogang eingelegt hat.
Am Ersten Engagementbericht, aber auch an der Enga-
gementstrategie der Bundesregierung sieht man, dass
wir Engagementpolitik nicht als Stückwerk betrachten,
Frau Kollegin Kumpf, sondern in einem breiten Kontext.
Man sieht es an den Beratungen zum Bundeskinder-
schutzgesetz, bei dem wir sehr genau abgewogen haben,
auf der einen Seite das berechtigte Interesse, den best-
möglichen Schutz für Kinder zu bieten, auf der anderen
Seite das Wissen, dass wir ein erweitertes Führungs-
zeugnis nur dann von Ehrenamtlichen anfragen sollen,
bei denen dies tatsächlich notwendig ist.
Wenn man sich zum Beispiel das Engagement in der
Entwicklungshilfe anguckt, dann sieht man, was wir un-
ter dem Dach von Engagement global zusammengefasst
haben. Markus Grübel hat es zu Recht gesagt: Man sieht
es natürlich auch daran, dass wir gleich zu Beginn der
Legislaturperiode die Jugendfreiwilligendienste gestärkt
haben und danach – auch das müssen Sie uns nun einmal
lassen – als erste Koalition Kraft und Mut aufgebracht
haben, endlich auf einen staatlichen Pflichtdienst zu ver-
zichten und stattdessen auf die Kraft der Freiwilligkeit,
auf das Engagement zu vertrauen. Mehr als 80 000 Frei-
willige im FSJ, FWJ und Bundesfreiwilligendienst zei-
gen: Es hat sich gelohnt, auf die Freiwilligkeit der Men-
schen zu setzen.
Wir machen aber nicht das, was längst überfällig war,
wie die Aussetzung der Wehrpflicht und den Verzicht
auf den Zivildienst, und korrigieren nicht nur Rechtsun-
sicherheiten, wie heute mit diesem Paket, sondern wir
gucken auch, wie sich die Engagementpolitik in Zukunft
entwickeln muss. Wir kümmern uns zum Beispiel um in-
novative Sozialunternehmen, neue Fördermodelle und
setzen mit diesem Engagementbericht erstmals einen
Schwerpunkt auf das bürgerschaftliche Engagement von
Unternehmen. Ich sage Ihnen: Auch insoweit tut es gut,
endlich die Scheuklappen abzunehmen; denn nicht jedes
Unternehmen, das sich bürgerschaftlich engagiert – das
zeigt der Bericht –, tut dies aus Gründen des Marketings
oder zu Werbezwecken, sondern vor allem deshalb, weil
sich diese Unternehmen mit der Gemeinschaft vor Ort
verbunden fühlen. Das ist auch gut so. Deswegen neh-
men wir diese Unternehmen auch in einem breiteren
Kontext der Engagementpolitik mit.
Ich will abschließend sagen, meine Damen und Her-
ren, dass man natürlich an jedem der einzelnen Punkte,
die ich gerade aufgezählt habe, auch an der Gewichtung,
wie die Koalition Engagementpolitik betreibt, Kritik
üben kann. Das ist das gute Recht der Opposition. Aber
es muss immer eine Kritik sein, die am Ende auch dazu
beiträgt, dass es mit dem Engagement vorangeht.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn ich die Debatte
in Gänze sehe, dann habe ich das Gefühl, das war vor al-
lem eine Kritik, um selber parteipolitische Geländege-
winne zu erzielen. Dies wird dem Thema nicht gerecht;
denn auch das zeigt der Engagementbericht: Die 23 Mil-
lionen Menschen, die sich bürgerschaftlich engagieren,
erwarten eine Anerkennungskultur auch von uns als Ver-
treter der Politik. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Ihre
Redner das heute berücksichtigt haben.
Vielen Dank.
Nun spricht der Kollege Klaus Riegert für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirkönnen uns in der Tat alle freuen; denn das Gesetz zurStärkung des Ehrenamts ist ein wirklich großes, prallesPaket an Erleichterungen, um das Engagement der Bür-gerinnen und Bürger in Deutschland zu würdigen undnachhaltig zu fördern.
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27356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Klaus Riegert
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Die Bürgerinnen und Bürger gehen im Ehrenamt ih-ren eigenen Interessen nach und bereichern gleichsamdas soziale Miteinander und stärken den Zusammenhaltin unserer Gesellschaft. Mit unserer gemeinsamen Initia-tive „für mich. für uns. für alle.“ – das sind engagierteAbgeordnete, die Sparkassen und die kommunalen Spit-zenverbände – haben wir das im größten deutschen Eh-renamtspreis, dem Deutschen Bürgerpreis, gut auf denPunkt gebracht: „für mich. für uns. für alle.“ Deshalb seian dieser Stelle allen Engagierten ausdrücklich gedankt,die sich mit viel Herzblut und Tatkraft Tag für Tag ein-setzen und einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Ge-sellschaft und in unserer Gesellschaft leisten.
Meine Fraktion hat sich bereits seit 1994 – schon da-mals haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet – für dieFörderung des Ehrenamts und des bürgerschaftlichenEngagements eingesetzt. Wir werden dies auch in Zu-kunft tun. Wir sehen das auch in einer langen Kette vonMaßnahmen, wenn ich an die Nationale Engagement-strategie oder an den Bundesfreiwilligendienst denke,der sich als Erfolgsmodell erwiesen hat; denn die Nach-frage ist ungebrochen groß.Am 5. Dezember 1997, am Tag des Ehrenamts, amTag der Freiwilligen, haben wir zum ersten Mal einegroße Parlamentsdebatte gehabt und haben uns mit die-sem Thema beschäftigt. Das ging auf eine Große An-frage der Fraktionen von CDU/CSU und FDP an die ei-gene Regierung zurück. Ich darf Ihnen verraten: DieBundesregierung war damals nicht sehr begeistert da-rüber, dass wir eine Große Anfrage unserer eigenen Re-gierung gestellt haben. Aber dies hat dazu geführt, dasswir uns am 5. Dezember 1997 mit diesem Thema befassthaben. Daraus ist logischerweise eine Enquete-Kommis-sion erwachsen, und wir zeigen mit einem Unteraus-schuss „Bürgerschaftliches Engagement“, dass man die-ses Feld ständig weiter beackern muss.Ich kann mich noch gut an die flammenden Reden derMitglieder aller Fraktionen erinnern, als wir dieseEnquete-Kommission gemeinsam eingesetzt haben. Derkürzlich verstorbene Michael Bürsch hat als Vorsitzen-der dieser Enquete-Kommission beim Einsetzungsbe-schluss gesagt – ich darf aus seiner Rede zitieren –:Jedes demokratische Gemeinwesen ist auf die Be-reitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen,auch ohne staatlichen Zwang füreinander einzuste-hen. Um Richard Sennett zu zitieren:„Ein Staatswesen, das Menschen keinen tiefenGrund gibt, sich umeinander zu kümmern, kannseine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.“Unsere Demokratie braucht einen Kernbestand angemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen.Hier kann man ihm nur recht geben.Christian Simmert von Bündnis 90/Die Grünen hatgesagt:Für uns Bündnisgrüne gilt: Wir wollen alle freiwil-ligen, am Gemeinwohl orientierten Aktivitäten un-terstützen und auch gezielt mit rechtlichen Rege-lungen fördern. …
Weiterer Regelungsbedarf besteht aus meiner Sichtund aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen …im Steuer-, Vereins-, Sozial- und Gemeinnützig-keitsrecht.Schön, dass Sie geklatscht haben, aber Ihre kraftvolleEnthaltung zum Gesetzentwurf entspricht nicht ganzdem, was Ihr Kollege damals mit eingebracht hat.
Diese Punkte lassen sich bei allen Rednern wiederfin-den, und das ist genau das, was uns auch Praktiker imUnterausschuss immer wieder berichten: Baut bürokrati-sche Hemmnisse weiter ab, um das freiwillige gemein-wohlorientierte Engagement zu fördern. – Diesen Ar-beitsauftrag haben wir angenommen, und wir könnenVollzug melden, indem wir jetzt gemeinsam ein Paketzur Entbürokratisierung vorlegen. Dadurch signalisierenwir allen über die Fraktionsgrenzen hinweg: Wir schät-zen und fördern das gemeinwohlorientierte Engagementin Deutschland.
Von den zahlreichen Details im Gesetzentwurfmöchte ich jetzt nur noch kurz die Ehrenamtspauschaleansprechen, auf die auch Frau Kumpf richtigerweise hin-gewiesen hat. So viel darf ich aus unseren damaligen Be-ratungen verraten: Herr Steinbrück hatte etwas anderesvor. Er wollte mit der Zeitspende einen kleinen Teil imsozialen Bereich sehr gut fördern und die anderen nicht.Wir konnten uns damals durchsetzen, eine Ehrenamts-pauschale für alle zu schaffen, und haben mit 500 Eurobegonnen. Damals gab es durchaus auch auf unsererSeite zunächst einmal nicht nur freudige Gesichter.Wenn wir diesen Betrag jetzt um über 40 Prozent erhö-hen, dann bin ich zufrieden.
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Gutes zu
tun, kann man aber ja beliebig wiederholen. Deswegen,
denke ich, gibt es für das Ehrenamt und das Engagement
in Deutschland in den kommenden Legislaturperioden
noch genügend zu tun.
Danke schön.
Man kann in der Tat in allen Debatten vieles beliebigwiederholen, möglichst aber in der vorgegebenen Zeit.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27357
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Nun hat der Kollege Grindel als letzter Redner zu die-sem Tagesordnungspunkt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AmEnde dieser Debatte möchte ich mich zunächst sehrherzlich bei denen bedanken, die uns auf dem Weg zudiesem Paket für das Ehrenamt mit Rat und Tat zur Seitestanden. Das waren zuallererst Frau Emser und Herr Sellaus dem Bundesministerium der Finanzen, deren Namenruhig auch einmal im Protokoll des Deutschen Bundesta-ges aufscheinen sollen.Mein Dank gilt aber natürlich auch den beiden zuständi-gen Bundesministern Frau Leutheusser-Schnarrenbergerund Wolfgang Schäuble. Insbesondere der Bundes-finanzminister hat ein Herz für das Ehrenamt gezeigtund es uns trotz einer schwierigen Haushaltslage ermög-licht,
dass wir als Politiker insgesamt mit diesem Paket für dasEhrenamt nicht immer nur Sonntagsreden halten müs-sen, sondern bei den Sportvereinen, im sozialen und imUmweltbereich und auch bei den Kirchen sagen können,dass wir mit diesem neuen Gesetz wirklich Konkretesfür das Ehrenamt beschlossen haben, wodurch die Arbeitkonkret erleichtert wird.
Ich will auf eine Kritik eingehen, die mich in einerReihe von Briefen erreicht hat. Mir schrieben Bürger,dass sie gar keine Ehrenamts- oder Übungsleiterpau-schale erhalten und dass sie sie von ihrem Verein auchgar nicht haben möchten, weil das ihrem Selbstverständ-nis als Ehrenamtler widerspreche oder – zugegebener-maßen – sich der Verein das sowieso nicht leisten könne.Diese Briefe enthielten dann meistens allgemeine Hin-weise in der Art, man solle doch generell einen steuerli-chen Freibetrag für ehrenamtliches Engagement schaf-fen, den man dann von seiner Steuerschuld abziehenkönne. Wir alle wissen, dass das nicht finanzierbar istund dass das auch zu Missbräuchen führen kann.Aber im Kern geht es mir um eine andere Debatte.Natürlich ist das ehrenamtliche Engagement auch eineLast. Dieses Engagement ist mit Aufwendungen verbun-den, um deren unbürokratischen Ausgleich es uns in die-sem Gesetz zum Ehrenamt gerade geht. Aber ich möchtedie Debatte gerne zu einer Botschaft nutzen: Ehrenamtli-ches Engagement ist auch eine große Lust. Es ist eineunglaubliche Bereicherung für das eigene Leben. Manerwirbt viele Kompetenzen, die man in seinem berufli-chen Leben gut nutzen kann: soziale Kompetenzen,technische Fertigkeiten, Teamfähigkeit, Führungserfah-rungen und vieles mehr.Ich beziehe es einmal auf den Bereich des Sports. Esist doch eine fantastische Herausforderung, dass manzum Beispiel als Fußballtrainer einer Jugendmannschaftdas Leben junger Menschen ganz maßgeblich prägt. Wirwissen aus sportwissenschaftlichen Untersuchungen,dass die Frage, ob jemand im Sport bleibt oder zumDrop-out wird, ganz maßgeblich von der Qualität undder Akzeptanz des Trainers abhängt. Es ist doch einwunderbares Gefühl eines erfüllten Lebens, wenn manam Ende eines Tages vom Sportplatz geht und sich sagenkann, dass man im positiven Sinne ein klein wenig amLebensrädchen von jungen Menschen mitgedreht hat.Unternehmen geben viel Geld für Fortbildungssemi-nare zur Persönlichkeitsentwicklung aus. Dem kann ichnur entgegenhalten: Vieles, was da für teures Geld ver-mittelt wird, vermittelt sich jeden Tag im Verein ganzautomatisch. Deshalb gehört zu dieser Debatte die Bot-schaft: Der Ehrenamtliche ist nicht der Dumme, der Eh-renamtliche ist der Schlaue!
Viele im Ehrenamt möchten nicht, dass in den Sportoder auch in andere Bereiche die Parteipolitik hinein-spielt. Ich glaube, Frau Haßelmann, es wäre besser ge-wesen, wenn Sie dieser Versuchung in Ihrem Antragnicht erlegen wären. Ich finde es bedenklich, wenn Sie inIhrem Antrag, in dem Sie eine Anhebung der Ehren-amtspauschale bei gleichzeitiger Einfrierung der seit vie-len Jahren unverändert gebliebenen Übungsleiterpau-schale fordern, zumindest in Kauf nehmen, dass dadurchin die Vereine ein Keil nach dem Motto getrieben wird:Seht her, dem Gesetzgeber ist die Arbeit der Übungslei-ter mehr wert als das, was die übrigen, im ehrenamtli-chen Bereich Tätigen bekommen.Ich finde, es muss noch einmal deutlich hervorgeho-ben werden: Es geht hier nicht um eine Steuerbegünsti-gung für einen Lohn, sondern um die steuerliche unbüro-kratische Behandlung von Aufwandsentschädigungen,damit den Menschen pauschal der geleistete Aufwandausgeglichen wird, damit sie bei ihrem ehrenamtlichenEngagement nicht noch Geld mitbringen müssen.Da gibt es natürlich – ich nehme wieder einmal denBereich des Fußballs – einen gewaltigen Unterschied inder Art des Aufwands. Dass man als Trainer einer Ju-gendmannschaft zu festgelegten Zeiten in der Wocheund am Wochenende auf dem Platz erscheint, dass manzu Trainerfortbildungen geht, dass man sich nicht nurum die sportliche Ausbildung der Kinder kümmert, son-dern sich auch gegen Extremismus, gegen Spielmanipu-lationen, gegen Drogen und gegen sexualisierte Gewaltstarkmacht, dass man im Grunde genommen auch Integ-rationsexperte ist, weil heutzutage die E-Jugend oft einekleine Weltauswahl ist, dass man am Wochenende dieKinder mit dem eigenen Auto zum Auswärtsspiel fährtund dass man dann, wenn sich ein Spieler verletzt, denrichtigen Arzt findet: Dieser Aufwand ist höher als deranderer Mitarbeiter im Verein, die vielleicht für die Post-und Telekommunikationsleistungen einen Ausgleichbrauchen. Alle sind für den Verein wichtig: der Trainerund der Schriftführer und der Platzwart, der den Platzkreidet. Aber es ist ein unterschiedlicher Aufwand. Die-ser muss unterschiedlich ausgeglichen werden. Deswe-
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Reinhard Grindel
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gen sollten Sie, Frau Haßelmann, keinen Keil in die Ver-eine treiben. Jeder in einem Verein ist wichtig.Herr Präsident, dieses Ehrenamtspaket ist ein ganzstarkes Stück Anerkennungskultur. Es ist ein Danke-schön an diejenigen, die bei einem Engagement nicht alsErstes fragen: Was habe ich davon, und was bekommeich dafür? Dieses Gesetz ist ein in Paragrafen gegosse-nes Dankeschön an all diejenigen, ohne die unsere Ge-sellschaft ärmer wäre.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über die von denFraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Bundesre-gierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes mit demvorhin vorgetragenen schlanken Titel. Der Finanzaus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 17/12123, die genannten Gesetzentwürfeder Fraktionen auf Drucksache 17/11316 sowie der Bun-desregierung auf Drucksachen 17/11632 und 17/12037zusammenzuführen und als Entwurf eines gemeinsamenGesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschuss-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-setzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit beiStimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund der Linken angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt gegen das Gesetz? – Wer enthält sich? – Da-mit ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor,also mit Zustimmung von CDU/CSU, FDP und SPD beiStimmenthaltung der beiden anderen Fraktionen, der Ge-setzentwurf mit breiter Mehrheit angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über die drei Ent-schließungsanträge. Zunächst rufe ich den Entschlie-ßungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/12189auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12190.Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auchdieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt.Schließlich kommen wir zur Abstimmung über denEntschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 17/12191. Wer stimmt für diesenEntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Auch dieser Entschließungsantrag hatkeine Mehrheit gefunden.Tagesordnungspunkt 35 b. Hier geht es um die Abstim-mung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf ei-nes Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit imVerein. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 17/12125, den Ge-setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/5713 ab-zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-wurf in zweiter Beratung abgelehnt. Die dritte Beratungentfällt damit nach unserer Geschäftsordnung.Tagesordnungspunkt 35 c. Hier geht es um die Ab-stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/11253.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 17/7646 mit dem Titel„Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträ-gerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen undAmtsträger nicht auf Leistungen nach dem Zweiten undZwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist angenommen.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 17/7653 mit dem Ti-tel „Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungenfür bürgerschaftliches Engagement auf Leistungen nachdem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist auch dieseBeschlussempfehlung angenommen.Schließlich wird unter Tagesordnungspunkt 35 d in-terfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Druck-sache 17/10580 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen. Dazu gibt es möglicherweisebreites Einvernehmen. – Das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Vielen Dank. Damit haben wir diesen Tagesordnungs-punkt abgeschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPDErkenntnisse der Verfassungsschutzbehördenvon Bund und Ländern zur Verfassungswid-rigkeit der „Nationaldemokratischen ParteiDeutschlands“– Drucksache 17/12168 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss RechtsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. –Einwände höre ich nicht. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun-desrat hat am 14. Dezember beschlossen, beim Bundes-verfassungsgericht einen Antrag auf ein Verbot der NPDzu stellen. Für uns ist klar: Jetzt müssen sich auch dieBundesregierung und der Bundestag entscheiden, ob sieeinen solchen Antrag stellen wollen.
Der Bundesrat hat sich seine Sache nicht leicht ge-macht. Die Verfassungsschutzämter haben die Verbin-dung der V-Leute zu den Führungsgremien der NPD ab-gebrochen und damit ein wichtiges Verfahrenshindernisvor dem Bundesverfassungsgericht beseitigt. Mehr alsein Jahr lang haben die Innenminister gesammelt, ge-sichtet und bewertet, was an Beweisen vorlag. DasErgebnis war eindeutig: Die NPD ist eine verfassungs-feindliche Partei, sie ist antisemitisch, sie ist ausländer-feindlich, sie ist in Teilen gewaltbereit, und sie ist anti-demokratisch.
Die NPD steht in der Kontinuität der nationalsozialis-tischen Ideologie, und sie richtet sich eindeutig gegendie freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Fazit:Noch nie waren die Aussichten auf ein Verbot der NPDso gut wie heute. Deshalb wollen wir, dass auch derDeutsche Bundestag einen Verbotsantrag in Karlsruhestellt.
Ich möchte mich ausdrücklich stellvertretend für alleLänderinnenminister bei Ralf Jäger bedanken, der mit-gearbeitet hat und der an dieser Debatte teilnimmt. Dasist, finde ich, ein gutes Zeichen. Ich glaube, dass wir hierzusammen vorgehen müssen.Rechtsgrundlage für ein Parteienverbot nach demGrundgesetz ist Art. 21 Abs. 2:Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Ver-halten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheit-liche demokratische Grundordnung zu beeinträchti-gen oder zu beseitigen oder den Bestand derBundesrepublik Deutschland zu gefährden, sindverfassungswidrig.Dass die NPD in ihrer derzeitigen Verfassung nicht inder Lage ist, den Bestand der Bundesrepublik Deutsch-land zu gefährden, liegt auf der Hand. Aber die ganzePolitik der NPD, die ganze Aktivität ihrer Mitgliederund Anhänger ist darauf ausgerichtet, in aggressiverWeise die freiheitlich-demokratische Grundordnung zubekämpfen und zu beeinträchtigen.Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nachder Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ge-hören nicht nur unsere parlamentarische Demokratie, dieGewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte,sondern dazu gehört vor allem die Geltung der Grund-und Menschenrechte. Nach dem Grundgesetz sind alleMenschen vor dem Gesetz gleich. Die Unantastbarkeitder Menschenwürde bestimmt auch, dass sie gleichvielwert sind.Aber genau das Gegenteil davon vertritt die NPD. Siebekämpft diesen Grundgedanken, diesen Kernbereichunserer Verfassung. Sie teilt die Menschen in höherwer-tige und in minderwertige Menschen ein. MinderwertigeMenschen haben nach Auffassung der NPD kein Recht,in Deutschland zu wohnen, zu leben und zu arbeiten. Ichzitiere aus einer Argumentationsbroschüre der NPD vomApril 2012, herausgegeben vom Parteivorstand. Es heißtdort:Angehörige anderer Rassen bleiben … körperlich,geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wielange sie in Deutschland leben …Das, meine Damen und Herren, ist die Sprache, das istdie Ideologie der Nazis.
Ich muss Ihnen sagen: Wir denken in diesen Tagenmit Schrecken daran, dass vor 80 Jahren Adolf Hitlerzum Reichskanzler ernannt worden ist und damit einelange Schreckensherrschaft und Gewaltherrschaft inDeutschland und in Europa begründet wurde und derZweite Weltkrieg darin auch seine Ursache hat. Aber inunserer heutigen Demokratie lassen wir es zu, dass überdie Parteienfinanzierung der NPD mithilfe von Steuer-geldern die Verbreitung der nationalsozialistischen Ras-senlehre immer noch ermöglicht wird. Das ist unerträg-lich.
Aber die NPD gibt sich nicht mit Hassparolen zufrie-den. Sie setzt auch Gewalt als Mittel im politischenKampf ein, und sie geht aggressiv gegen Menschen vor.Die Partei rühmt sich, gemeinsam mit neonazistischenKameradschaften sogenannte national befreite Zonen zuerrichten, aus denen Menschen, die die NPD als rassi-sche Fremdkörper definiert, mit Drohungen und Gewaltvertrieben werden. Mitarbeiter von NPD-Landtagsfrakti-onen organisieren Veranstaltungen neonazistischer Or-ganisationen. Zahlreiche NPD-Funktionäre sind wegenGewaltstraftaten verurteilt worden.Natürlich ist die im Grundgesetz garantierte Freiheit,Parteien zu gründen und an der politischen Willensbil-dung mitzuwirken, ein hohes Gut. Aber wer diese Frei-heit gebraucht, um aggressiv und kriminell gegenEinwanderer, Flüchtlinge oder Andersdenkende vorzu-gehen, der hat diese Freiheit verwirkt, meine Damen undHerren.
Die Demokratie in Deutschland mag stark genug sein,eine verfassungsfeindliche NPD auszuhalten. Aber die
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Thomas Oppermann
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Opfer dieser Partei sind es nicht. Es muss auch darumgehen, die Opfer der NPD vor dieser Partei zu schützen.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Beweise ausrei-chen, um die NPD vom Bundesverfassungsgericht ver-bieten lassen zu können. Die Rechtsprechung zu denParteienverboten ist 60 Jahre alt. Ich bin sicher: Das Ge-richt wird dieses Verfahren nutzen, um zeitgemäße Ver-botskriterien zu entwickeln. Ich bin im Übrigen auch ab-solut sicher, dass der Europäische Gerichtshof fürMenschenrechte in Straßburg zu keinem anderen Ergeb-nis kommt.Ich kann mir nicht vorstellen, dass von der Menschen-rechtskonvention ausgerechnet eine Partei geschütztwird, die darauf ausgerichtet ist, Menschenrechtsverlet-zungen zu begehen. Der Europäische Gerichtshof fürMenschenrechte hat auch klargestellt, dass sich niemandauf diese Konvention berufen kann, der beabsichtigt, sel-ber die Demokratie zu zerstören.Klar ist aber auch: Parteienverbote reichen nicht aus,um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Wir brau-chen genauso dringend eine wachsame und aktive Zivil-gesellschaft. Wir müssen unsere Bildungs-, Familien-und Jugendpolitik darauf ausrichten, dass die Menschenschon von klein auf gegen rechtsextremes Denken im-munisiert werden.
Aber wenn wir an die Zivilgesellschaft appellieren, dannmuss auch der Deutsche Bundestag das tun, was er kann.Wir wollen, dass der Innenausschuss das Beweismaterialsichtet und dem Bundestag einen Vorschlag macht, eineEmpfehlung gibt. Wir wollen im Ergebnis einen Ver-botsantrag stellen. Ich bin absolut sicher, dass der Bun-destag in dieser Frage eine Haltung einnehmen muss.
Herr Kollege Oppermann, Sie denken auch an die
Zeit, nicht wahr?
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Seit Monaten, Herr Friedrich, hören wir von Ihnen,
aber auch von der Bundeskanzlerin keine klare Haltung.
Man kann sich für den Verbotsantrag entscheiden; dann
gehen wir zusammen. Man kann sich auch gegen den
Verbotsantrag entscheiden; aber dann muss man es auch
sagen. Ich halte Letzteres für falsch, aber ich hätte Re-
spekt für diese Auffassung. Was aber gar nicht geht, ist,
weder für den Verbotsantrag noch gegen den Verbots-
antrag zu sein und sich einfach zu drücken, weil das eine
unangenehme Entscheidung ist. Wir können nicht von
den Menschen verlangen, dass sie mit Zivilcourage ge-
gen rechtsextreme oder rassistische Äußerungen in der
Öffentlichkeit vorgehen, aber uns selber vor der Ent-
scheidung drücken.
Deshalb, meine Damen und Herren: Nehmen Sie eine
Haltung ein, und stehen Sie zu dieser Haltung! Das muss
das Ergebnis unserer Debatte sein.
Ich danke.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Franz Josef Jung das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mittwochdieser Woche haben wir in diesem Haus, wie ich finde,in einer bewegenden Gedenkstunde der Befreiung desKonzentrationslagers Auschwitz gedacht – das Symboldes Grauens und des Verbrechens an der Menschheit.Am Mittwoch jährte sich zum 80. Mal die Machtüber-nahme durch Adolf Hitler. Das war die dunkelste Zeit inunserer Geschichte. Sie steht für Menschenverachtung,Massenvernichtung, Unfreiheit, Intoleranz, ideologi-schen Wahnsinn, Willkür statt Rechtsstaatlichkeit.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichfrage mich oft, wie angesichts dieser historischen Situa-tion sich die NPD in dieser Art und Weise die Nazidikta-tur als Vorbild nehmen kann. Ich glaube, dass derjenige,der sich in dieser Art und Weise für die NPD engagiert,nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung steht.
Wir haben ein freiheitliches Grundgesetz mit denWerten Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaat und Demokratie.Das Grundgesetz sagt uns in Art. 20 Abs. 4, dass wir ge-gen jeden, der diese Ordnung beseitigen will, ein Rechtauf Widerstand haben; es fordert uns auf, dass wir alsodem nachdrücklich widerstehen. Deshalb, denke ich, istes richtig, dass wir gemeinsam als Deutscher Bundestagalles tun, um Antisemitismus, Rassismus und Rechtsra-dikalismus in Deutschland keine Chance zu geben, dasswir all dem nachdrücklich widersprechen und all dasnachdrücklich bekämpfen.
In dieser Frage sollten sich die Demokraten einig sein.Kollege Oppermann, wir sollten uns in dieser Fragenicht unter einen unnötigen Zeitdruck setzen.
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Dr. Franz Josef Jung
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Auch die anderen Fraktionen sind offensichtlich derMeinung, dass in dieser Frage Gründlichkeit vor Schnel-ligkeit geht; denn wir haben dabei natürlich auch dieAspekte der Entscheidung des Jahres 2003 zu beachten,als alle Verfassungsinstitutionen, auch der DeutscheBundestag, einen entsprechenden Antrag gestellt hattenund dann vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitertsind.
Deshalb sollten wir alle Voraussetzungen dafür schaffen,dass ein solches Verfahren erfolgreich durchgeführt wer-den kann. Ein Misserfolg wäre das Schlimmste, was indieser Auseinandersetzung passieren kann.
Ich sehe es so, dass wir bezüglich Ihres Antrags heutedie Überweisung in den Innenausschuss beschließen, umuns dort sachlich auseinanderzusetzen, und dann eineEmpfehlung aussprechen sollten.Es kommt aber ein Punkt hinzu. Die Länder haben ei-nen entsprechenden Antrag gestellt, und Sie wissen, dassdie Länder damit die Verfassungswidrigkeit, aber auchdie Frage bejaht haben, die 2003 eine entscheidendeRolle gespielt hat, nämlich ob das Material – wenn ich essalopp formulieren darf – V-Leute-befreit ist. DieseFrage stellt sich natürlich auch für den Bund, und dieseFrage kann nur die Bundesregierung beantworten; dennfür diese Behörden ist die Bundesregierung zuständig,nicht das Parlament.
Deshalb halte ich es für richtig, dass wir zunächst einmaldie Entscheidung der Bundesregierung abwarten, um ge-nau diese Frage, ob das Material V-Leute-befreit ist, wiees das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, beantwor-tet zu bekommen,
bevor wir zu einer Entscheidung gelangen, meine Da-men und Herren.
Wir sollten – ich wiederhole das – alle Voraussetzungendafür schaffen, dass ein solches Verfahren erfolgreichdurchgeführt werden kann.Kollege Oppermann, Sie haben auch die Entscheidungdes Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ange-sprochen. Allerdings muss man hier berücksichtigen, dassder Europäische Gerichtshof für Menschenrechte formu-liert hat, dass es nachvollziehbare Hinweise für eine be-reits hinreichende Bedrohung der Demokratie gebenmuss. Er spricht von einem erforderlichen, dringendengesellschaftlichen Bedürfnis.
Natürlich haben Sie, finde ich, mit dem Hinweis aufdie Europäische Menschenrechtskonvention durchausrecht; auch diese Frage ist zu berücksichtigen. Das istübrigens ein Punkt, der auch in den Entscheidungen eineRolle spielt.
Insofern ist also mit zu berücksichtigen, dass die NPDimmerhin in, wenn ich es richtig sehe, 330 kommunalenParlamenten in Deutschland vertreten ist, dass sie imLandtag von Sachsen acht Abgeordnete stellt, dass sieim Landtag von Mecklenburg-Vorpommern fünf Abge-ordnete stellt und rund 6 000 Mitglieder hat. Ein beson-deres Ärgernis dabei ist, dass es noch im Jahre 2010 eineFinanzierung von 1,2 Millionen Euro gab, mit denenletztlich verfassungswidrige Aktivitäten unterstützt wur-den. Dieser Punkt sollte letztlich dazu führen, dass wiralles tun, um in Zukunft eine solche Situation zu unter-binden.
Ich möchte zusammenfassen. Wir sollten uns imKampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechts-extremismus einig sein. Wir sollten alles tun, um zu ei-nem erfolgreichen Parteiverbotsverfahren zu kommen.Deshalb sollten wir im Ausschuss die Thematik sachlichdiskutieren, das Für und Wider abwägen, alle Argumenteheranziehen und letztlich abwarten, bis die Bundesregie-rung uns bescheinigt, dass auch auf der Bundesebene dieUnterlagen V-Leute-befreit sind und damit die Grund-lage für ein Verfahren gegeben ist.
Dann können wir zu einer entsprechenden Empfehlungkommen, so wie es Ihr Antrag vorsieht. Deshalb könnenwir, wie ich finde, auch beschließen, Ihren Antrag an denInnenausschuss zu überweisen. Dort sollten wir sachlichdarüber diskutieren und nach der Entscheidung der Bun-desregierung eine Empfehlung aussprechen. In diesemSinne sollten wir verfahren. Dafür bitte ich um Ihre Un-terstützung.Besten Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin UllaJelpke das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die
SPD heute dem Bundestag rät, die Materialsammlung
des Verfassungsschutzes für ein NPD-Verbotsverfahren
zu prüfen, ist richtig. Die Linke kann diesem Antrag na-
türlich nicht widersprechen; sie wird zustimmen. Den-
noch muss man ganz deutlich sagen, dass die SPD hier
einen billigen Profilierungsversuch zu Beginn des Wahl-
jahres unternimmt.
Ich sage hier ganz klar: Was denken Sie, Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, was wir seit Dezember mit
dem vorliegenden Material gemacht haben? Lesen, prü-
fen, lesen, prüfen! Die Prüfung ist doch längst in Gang.
Ich bin froh, dass die SPD zurückgerudert ist und hier
heute keinen Verbotsantrag stellt. Das ist wirklich gut so.
Die Frage des NPD-Verbotes ist nämlich viel zu wichtig,
um ein parteipolitisches Süppchen daraus zu kochen.
Hier gilt es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Da-
mit meine ich: Alle Fraktionen in diesem Haus müssen
sich zusammensetzen und beraten.
Doch die Gemeinsamkeit, die sich im Beschluss der
Innenminister des Bundesrates für ein neues Verbotsver-
fahren zeigte, bröckelt offensichtlich schon wieder. Der
Kollege Hans-Peter Uhl von der CSU hat kürzlich ge-
sagt: Die Tatsache, dass die NPD in Niedersachsen nur
auf 0,8 Prozent der Stimmen gekommen ist, zeigt, dass
man ein Verbotsverfahren nicht brauche. Auch die Parla-
mentarischen Geschäftsführer von Grünen und FDP sa-
gen, ein Verbotsverfahren würde die NPD nur aufwerten.
Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist doch der
Fall. Bereits die Ankündigung eines NPD-Verbotsver-
fahrens hat dazu geführt, dass die NPD in Niedersachsen
nur 0,8 Prozent der Stimmen erreicht hat.
– Lachen Sie ruhig.
Die NPD kann nur mit dem Tunnelblick westdeut-
scher Politiker aus dem Raumschiff des Bundestages als
sterbende Partei gesehen werden.
Ganz anders stellt sich die Situation zum Beispiel in der
mecklenburgischen Provinz oder in sächsischen Klein-
städten dar. Dort ist die NPD in Folge in zwei Landtage
hineingewählt worden. In zahlreichen Kommunen ist sie
mit zweistelligen Prozentzahlen in die Vertretungen ge-
wählt worden.
Dort verfolgen die Neonazis gewissermaßen eine Gras-
wurzelstrategie, indem sie sich in Elternräte oder freiwil-
lige Feuerwehren einschleichen bzw. als Fußballtrainer
oder Fahrlehrer das Vertrauen der Jugend erschleichen.
Das darf nicht sein!
Wer die NPD für tot erklärt, verschließt die Augen vor
dieser Realität, meine Damen und Herren.
Weiterhin stellt die NPD eine ganz konkrete Gefahr
für Menschen dar, die als Migranten, als Juden, als Mus-
lime, als Antifaschisten, als Behinderte und Obdachlose
nicht in die von der NPD angestrebte „völkische Ge-
meinschaft“ passen. So gehen zum Beispiel die soge-
nannten „national befreiten Zonen“ auf ein NPD-Kon-
zept zurück. Das sind Angsträume in Stadtteilen und
Orten, aus denen anders denkende und anders ausse-
hende Menschen durch Drohungen und Gewalt vertrie-
ben werden. Schließlich trägt die NPD mit ihrer Hetze
zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das seit 1990
etwa 160 Menschen aufgrund der Untaten von rechts-
extremistischen Gewalttätern das Leben gekostet hat.
Das ist das ganze Ausmaß des rechten Terrors, den die
Bundesregierung bis heute leugnet.
Über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland sagen: Die NPD soll verboten werden. Ich
denke, der Bundestag sollte sich diesem Votum ver-
pflichtet fühlen und ein NPD-Verbot einleiten.
Doch um ein Verbotsverfahren wasserdicht zu machen,
muss das vorliegende Belastungsmaterial in der Tat wei-
ter ergänzt werden. Insbesondere muss die zentrale Stel-
lung der NPD innerhalb der Naziszene, ihre Verbindung
zu Gewalttätern und verbotenen Kameradschaften schär-
fer herausgearbeitet werden bzw. das entsprechende Ma-
terial ergänzt werden. Wir meinen, hier kann noch eine
ganze Menge Material hinzugefügt werden.
Wenn wir den Nazis tatsächlich das Wasser abgraben
wollen, dürfen wir über ihre Schutzherren und Förderer
nicht schweigen. Ich meine den Sumpf im Verfassungs-
schutz. Denn man muss sagen: Die V-Leute haben schon
das erste Verfahren zum Scheitern gebracht. Das darf
nicht ein zweites Mal passieren.
Die logische Konsequenz für die Linke lautet deswegen:
die NPD verbieten und den Verfassungsschutz abschaf-
fen.
Ich danke Ihnen.
Jetzt hat der Kollege Hartfrid Wolff für die Fraktionder FDP das Wort.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27363
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Hartfrid Wolff (FDP):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für dieFDP besteht kein Zweifel: Die NPD ist eine rechtsextre-mistische Partei mit menschenverachtenden und verfas-sungsfeindlichen Inhalten. Ein Parteienverbot ist abereindeutig eine andere Frage. Das lehrt allein schon dasjuristisch bereits einmal gescheiterte Verfahren gegendie NPD.Aber nicht nur juristisch gilt es, das Für und Widerabzuwägen. Wir haben vielfach die Erfahrung gemacht:Wenn eine rechtsextreme Organisation verboten wird,gründet sie sich unter anderem Namen neu. Die poten-zielle NPD-Nachfolgepartei ist offensichtlich ohnehinschon gegründet. Wie oft soll dann dieses Spiel vonvorne beginnen? Schafft jetzt ein Verbotsverfahren nichtunnötige Aufmerksamkeit für eine Partei, die in ihrerMitgliederentwicklung und ihren Finanzen ohnehin imNiedergang begriffen ist? Die 0,8 Prozent, die die NPDbei der Landtagswahl in Niedersachsen erhalten hat,zeugen davon.Die Länder schaffen mit einem Monate andauerndenVerbotsverfahren den Eindruck besonderen Engage-ments. Tatsächlich aber haben die meisten Länder überviele Jahre hinweg bei der Bekämpfung des Rechtsextre-mismus schlicht versagt.
Mit Thüringen haben wir gestern im NSU-Untersu-chungsausschuss ein wirklich auffälliges Beispiel dafürerlebt.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: DerEindruck besonderen Engagements soll offenbar auchdurch Ihren Antrag hier im Bundestag erzeugt werden.Dabei erscheint die Überschrift vielleicht ja noch inte-ressant. Wer den Antrag aber liest, wird freilich eher be-troffen den Kopf schütteln. Dass sich die zuständigenAusschüsse des Bundestages im Rahmen ihres Regie-rungskontrollauftrages mit den von der Bundesregierungzugeleiteten Dokumenten befassen, ist selbstverständ-lich.
Und zur Feststellung, dass dem Bundestag der Bericht derBund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt: Herr Oppermann,dazu brauchen wir nicht wirklich einen Parlamentsbe-schluss und eine Plenardebatte.
Wenn einzelne Fraktionen mit solch dürftigen Aktionenwie dem vorliegenden Minimalantrag versuchen, dieRechtsextremismusbekämpfung in den anstehendenWahlkampf zu ziehen, ist das der Sache nicht wirklichdienlich.
Ich würde mir wünschen, wenn wir, wie es im NSU-Un-tersuchungsausschuss durchaus gelingt, auch hier imPlenum in dem Bemühen, extremistische Bestrebungeneinzudämmen, gemeinsam agieren würden.Für die FDP hat ein wirkungsvolles Vorgehen gegenpolitischen Extremismus höchste Priorität. Zur wehrhaf-ten Demokratie gehört – das sage ich ausdrücklich – ge-gebenenfalls auch ein Parteiverbot. Aber man muss sichschon die Frage stellen, ob man mit einem Verbot nichtnur eine Hülle beseitigt, das Grundproblem aber fortbe-steht. Gesinnung, Herr Oppermann, kann ich nicht ver-bieten. Auch wenn die rechtsextreme Szene aufgrund ei-nes Verbots vorübergehend keinen Zugriff mehr auf diestaatliche Parteienfinanzierung erhalten sollte,
sind größere Anstrengungen der Länder auch und geradeim Polizeibereich notwendig, um den Druck auf dierechtsextreme Szene massiv zu erhöhen.
Die Morde der Zwickauer Terrorzelle sind die bislangschwerwiegendste Kette von rechtsextrem motiviertenGewaltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschlanderlebt hat – und die schwerwiegendste Krise unserer Si-cherheitsorgane. Nach wie vor fehlt allerdings der Nach-weis eines unmittelbaren Zusammenhangs mit der NPD.Generalbundesanwalt Range sprach – angesichts der bis-herigen Erkenntnisse ist das äußerst plausibel – davon,dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass derNSU quasi als verlängerter Arm der NPD angesehenwerden könne. Das in diesem Zusammenhang perma-nent öffentlich vorgetragene Ansinnen der SPD zumNPD-Verbotsverfahren soll aber offenbar einen gegen-teiligen Eindruck erwecken.Doch mit einem NPD-Verbot ist in Sachen NSUnichts gewonnen! Und: Die Diskussion über dringendeReformen unserer Sicherheitsarchitektur darf eben nichtdurch eine symbolhafte NPD-Verbotsdebatte verdecktwerden.
Die Neuaufstellung der Behörden ist nötig. Hier ist dasBohren dicker Bretter gefragt – und eben keine Ablen-kungsdebatte.Meine Damen und Herren, ich glaube, inzwischensind wir uns hier im Hause einig: Der Untersuchungs-ausschuss hat dabei die Aufklärungsarbeit erheblich vor-angebracht – seriös und konsequent –, und er leistet er-folgreich ein großes Arbeitspensum, gemeinsam undüber Parteigrenzen hinweg. Wöchentlich kommen neueFakten auf den Tisch, denen wir nachgehen müssen. DieKonsequenz dabei darf nicht nachlassen. Deshalb halteich es für richtig, dass wir nach der Wahl weitermachenund eine Empfehlung an den nächsten Deutschen Bun-
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27364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Hartfrid Wolff
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destag aussprechen, den Untersuchungsausschuss in derkommenden Legislaturperiode – am besten getragen vonallen Fraktionen – fortzusetzen.Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären und umfundierte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen zukönnen: zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremis-mus in Deutschland und international, für wirksameEmpfehlungen zur Stärkung unserer Sicherheitsarchitek-tur und um den Opferschutz voranbringen zu können.
Vor allem aber brauchen wir eine deutlich bessere konti-nuierliche Kontrolle. Die Dienste sollten strenger an dieLeine genommen werden.Jedenfalls sind die zutage getretenen Probleme nichteinfach mit einem Verbot der NPD gelöst.
Genau dieser Eindruck könnte aber in der Öffentlichkeitaufgrund der von Ihnen hervorgerufenen Debatte entste-hen.
Meine Damen und Herren, die FDP wird weiter auflückenloser Aufklärung bestehen.
Und die FDP wird sich weiterhin kompromisslos gegenextremistische Ideologien in unserer Gesellschaft einset-zen.
Mit einem schlichten Verbot einer Partei, so wie Siees vorschlagen, ist dem nicht gedient.
Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kol-
lege Wolfgang Wieland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ge-rade zwei Tage her, dass wir in diesem Hause des80. Jahrestages der Machtergreifung der Nationalsozia-listen gedacht haben. Wenn man über Erkenntnisse zurVerfassungswidrigkeit der NPD redet, ist es an dieserStelle sinnvoll, auch einen Blick zurückzuwerfen. Dieswill ich tun. Joseph Goebbels schrieb am 30. April 1928in der NSDAP-Zeitung Der Angriff das Folgende:Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waf-fenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waf-fen zu versorgen … Wenn die Demokratie so dummist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diä-ten zu geben, so ist das ihre eigene Sache…Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustandvon heute zu revolutionieren.Am 30. Januar 1933 war es dann so weit.In den Materialien des Bundesrates zur NPD klingt eswie folgt – original der gleiche Gedanke –:Der nationale Widerstand hat einen parlamentari-schen Arm und einen außerparlamentarischen Arm.Die Partei verfügt über wirkungsvolle Sprachrohrein den Parlamenten und kann vom Staat erheblichefinanzielle Ressourcen durch Mandate und Wahl-kampfkostenrückerstattung schöpfen. Die „Freien“hingegen verfügen über eine außerordentlich akti-vistische Szene, deren idealistische Arbeitskraft un-bezahlbar ist… Beide Lager sind Teil des nationa-len Widerstandes und ergeben zusammen eine fürdie Etablierten gefährliche Symbiose.Das sagen Sie selber: Ihre Gefährlichkeit rührt aus demZusammenwachsen mit der freien Szene, aus der Ge-walttätigkeit, aus dem arbeitsteiligen Vorgehen. Das gehtbis in den NSU hinein.Es reicht nicht, zu sagen: Herr Range hat doch gesagt,sie waren nicht der verlängerte Arm. Da gab es keinenBeschluss. – Das hat niemand erwartet, aber die drei ha-ben NPD-Materialien verteilt, Plakate geklebt. Sie warenauf den Veranstaltungen der NPD. Seit gestern wissenwir, dass neben Frau Zschäpe ein aktueller NPD-Funk-tionär und ein früherer Jungfunktionär auf der Anklage-bank sitzen werden. Das muss man auch sehen, wennman über die Gefährlichkeit dieser Bewegung redet.
Eine isolierte Betrachtung der NPD ist einfach falsch.Ich kann zwar sagen, wie es der Kollege Jung getan hat:Die Mitgliederzahl sinkt. Die Wahlergebnisse sinken.Die Finanzkraft sinkt. – Das alles ist unbestritten. Eshilft uns nicht in den „national befreiten Gebieten“, inden Dominanzgebieten, in denen sie völkisch siedeln, indenen sie richtig Terror ausüben, in den Dörfern undKleinstädten. Dort nutzen uns diese Statistiken nichts.Vielmehr ist richtig, was der Kollege Oppermann sagt:Auch die Blutspur, die wir seit Jahren durch Überfälleauf Homosexuelle, auf sogenannte Asoziale, auf andersAussehende, auf Migranten haben, ist ihnen zuzurech-nen. Es ist die gleiche Ideologie. Es ist die Ideologie dessogenannten Volkstodes. Sie propagieren nämlich, dassdas deutsche Volk gefährdet sei und dass es durch alle,die fremd sind, aussterbe. Das ist ein Aufruf zur Not-wehr. So ist es bei den Dreien aus Zwickau auch ange-kommen. Es ist letztlich das gleiche ideologische Ge-bräu, das Anders Breivik in Norwegen dazu brachte,zum Massenmörder zu werden. Das muss man zusam-mensehen. Es ist die gleiche braune Soße, gegen die manvorgehen muss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27365
Wolfgang Wieland
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Dass die NPD gar keinen Hehl daraus macht, dass siedas Dritte Reich verherrlicht, wird an folgenden Zitatendeutlich: Zitat Udo Voigt:BRD heißt das System – morgen soll es unterge-hen!Zitat Holger Apfel:Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozia-len, demokratischen und nationalen Volksstaatschaffen und stellt dieses Ideal der etablierten „De-mokratie-Karikatur“ namens BRD entgegen.Das alles ist dokumentiert. Daher ist es für meine Frak-tion gar keine Frage: Diese Partei ist verfassungsfeind-lich.
Es stellt sich jedoch eine Frage: Was folgt daraus? Ichals jemand, der wirklich leidenschaftlich für ein Verbotist, sage ehrlich: Es gibt auch respektable Argumente da-gegen. Das erkenne ich an. Ich warne davor, diese Fragezu parteitaktischem Geplänkel zu benutzen. Ich warnewirklich davor.
Wir sind durch das Vorgehen des Bundesrates ver-pflichtet, uns eine Meinung zu bilden. Enthalten geht danicht.
Wenn wir nichts tun, ist es auch eine Haltung. Diesewürde bedeuten, wir lassen die Länder in Karlsruhe al-leine. Wir müssen uns entscheiden. Mir ist es relativegal, ob vor der Bundestagswahl oder nach der Bundes-tagswahl. Ich will einen verantwortungsbewussten Um-gang damit. Ich empfehle jedem von uns die Lektüredieser Materialsammlung. Nach Austausch der Argu-mente muss am Ende eine Entscheidung stehen, undzwar bitte schön der Verantwortung unserer Geschichteund der Bedeutung dieser Frage entsprechend.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Hans-
Peter Uhl.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich zunächst mit einer, wie ichmeine, erfreulichen Gemeinsamkeit beginnen. Ich kenneniemanden in diesem Hohen Hause – von links bisrechts; das gilt für die Liberalen wie für alle Flügel –, derauch nur andeutungsweise eine Sympathie für rechts-extremes Gedankengut hegt. Diese Feststellung zu tref-fen, erscheint mir gerade angesichts des in dieser Wochebegangenen Gedenktages „80 Jahre Machtergreifung“wichtig. Diese Feststellung sollte uns stolz machen aufdie gefestigte deutsche Nachkriegsdemokratie. Es gibtkeine Rechtsextremen in diesem Hohen Haus.
Das heißt, unsere Politik der gesellschaftlichen Ächtung,die vonseiten des Bundes, aber auch der Länder undKommunen betrieben wird und die wir unterstützen, hatnachhaltig gewirkt. Die Ächtung dieses Gedankengutesist erfolgreich gewesen.Vom Kollegen Wolff wurde schon darauf hingewie-sen: Wir haben bei der Niedersachsenwahl wieder ein-mal einen gemeinsamen Erfolg erzielt. Mit den erreich-ten 0,8 Prozent bekommt die NPD in Niedersachsenkeinen einzigen Cent Parteienfinanzierung, von einemMandat gar nicht zu reden. Wir sollten die Gefahr also sobeschreiben, wie sie tatsächlich ist.Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Wieland,dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir diesesThema nicht parteitaktisch oder politisch instrumentali-sieren sollten, indem wir dem einen oder anderen denMut im Kampf gegen den Rechtsextremismus abspre-chen oder vielleicht sogar eine klammheimliche Sympa-thie unterstellen, wenn er nicht energisch genug für dasNPD-Verbot eintritt. Das muss man immer wieder beto-nen.Es handelt sich um hochrangige Juristen, die vor ei-nem Verbotsverfahren warnen. Das darf man nicht ein-fach so wegwischen. Wir haben ein intensives Gesprächmit dem früheren Verfassungsrichter Papier und demfrüheren Berichterstatter Jentsch geführt; Sie kennenvielleicht das Interview des Verfassungsrichters Grimm;Sie kennen die Stellungnahme des Präsidenten des Euro-päischen Gerichtshofes für Menschenrechte – um nur ei-nige zu nennen. Es ist die Auffassung hochrangiger Ver-fassungsjuristen, die uns nachdenklich stimmt. Da ist esauch kein Wunder, dass das quer durch die Parteien geht.Ich habe heute Morgen im Frühstücksfernsehen Kolle-gen Ströbele von den Grünen gehört, der nachdrücklichdavor warnte.
Das gibt es auch in anderen Parteien, nicht nur bei denGrünen.Das Parteienverbot ist ein ganz außergewöhnlichesRechtsinstitut, eine Ultima Ratio, das für alteingesesseneDemokratien wie die in England oder in den USA un-denkbar ist. Man hält in diesen beiden Ländern ein Par-teienverbot in weiten Teilen für geradezu undemokra-tisch, weil man sich sagt: So etwas tut man nicht.Parteien werden dem Wähler präsentiert, und nur derWähler entscheidet. Der Staat hat nichts zu entscheiden.Das heißt, es ist ja auch ein Stück Bevormundung desWählers, wenn der Staat eine Partei aus dem Parteien-spektrum heraustilgt.
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27366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Dr. Hans-Peter Uhl
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Ich habe großes Verständnis dafür, dass man 1949 beiAbfassung des Grundgesetzes und bei Gründung derBundesrepublik Deutschland angesichts der in diesemDeutschland von 1949 herrschenden Situation mit Rechtdieses Institut eingeführt hat. Wer konnte denn ahnen,dass sich Deutschland als demokratischer Staat so stabilentwickelt, dass Rechtsextreme und Linksextreme indiesem Land keine Chance haben? Wer konnte das dennahnen? Deswegen war es richtig, das ins Grundgesetz hi-neinzuschreiben. Das unterscheidet uns ja von Englandoder von den USA.
Aber wir sollten auch die Situation von heute betrachten.Noch ein Hinweis, Frau Jelpke: Sie irren sich, wennSie meinen, das allein die Ankündigung eines Parteien-verbotes schon etwas bewirken würde. Obacht, FrauJelpke! Bei der dem Parteiverbotsverfahren vorausge-gangenen Bundestagswahl hat die NPD 0,4 Prozent er-reicht, wie bei all den Wahlen zuvor: Immer stand eineNull vor dem Komma. Und nach dem gescheiterten Par-teiverbotsverfahren hatte sie 1,6 Prozent.
Also: Von 0,4 Prozent auf 1,6 Prozent nach dem Schei-tern des Parteiverbotsverfahrens.
Diese Rechtsfrage ist kompliziert. Wenn wir jetzt vorGericht gehen – der Bundesrat wird das ja tun; er hat dasschon entschieden; jetzt geht es nur um die Frage, obBundesregierung und Bundestag ihm folgen –, wissenwir nicht, wohin wir kommen. Wie man so schön sagt:Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.Ich möchte aber auf einen Hinweis des Bundesverfas-sungsgerichts aufmerksam machen. Das Bundesverfas-sungsgericht hat im letzten NPD-Verbotsverfahren ganzklar zum Ausdruck gebracht: Sollte das Gericht in einemParteiverbotsverfahren gegen die NPD in eine Sachent-scheidung eintreten, dann würden die Voraussetzungender Europäischen Menschenrechtskonvention natürlichbereits bei der Entscheidung von Karlsruhe in die Be-wertung einfließen.
Das würde geschehen, auch wenn im Grundgesetz vonVerhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der Maßnah-men nicht die Rede ist. Wie gesagt: Bereits in Karlsruhe!
Das heißt, den Showdown zwischen den beiden höchs-ten Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte und dem Bundesverfassungsgericht, wird eswahrscheinlich gar nicht geben, weil bereits die Verfas-sungsrichter in Karlsruhe die genannten Kriterien zurAnwendung bringen werden.Ist ein Parteiverbotsverfahren das richtige Instrument,um ein politisches Signal zu setzen? Ich verstehe Minis-terpräsidenten, egal welcher Couleur, egal welchen Lan-des:
In Festreden und bei Veranstaltungen aller Art werdenpolitische Signale ausgesandt. Das gehört zum politi-schen Geschäft. Aber was ist der Mechanismus beimParteiverbotsverfahren? Wir Parteipolitiker – Bundestag,Bundesrat, Bundesregierung – können ein politisches Si-gnal nur beantragen, aussenden muss es das höchstedeutsche Gericht, und zwar mit Zweidrittelmehrheit.Lassen sich diese acht Richter von uns instrumentalisie-ren, ein politisches Signal auszusenden?
Lassen sie sich von uns unter Druck setzen? Wenn wirnur alle gemeinsam kommen, dann werden die imGleichschritt mitmarschieren?
Glauben Sie das wirklich? Ich glaube nicht daran.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Mit dem Par-teiverbotsverfahren gehen wir einen riskanten Weg. Eskann sein, dass wir in jedem Fall verlieren. Wenn dasGericht in dem Parteiverbotsverfahren in der Weise ent-scheidet, dass die Partei verboten wird, wird es unver-züglich eine Nachfolgeorganisation geben. Dann habenwir es mit dem gleichen Gedankengut, das wir alle mit-einander ablehnen, erneut zu tun, nur in neuem Kleid.
Wenn die Partei nicht verboten wird, ja dann kommt derSuper-GAU. Dann gehen die NPD-Funktionäre erhobe-nen Hauptes aus dem Gerichtssaal in Karlsruhe – etwas,was keiner von uns will. Also bitte, denken Sie darübernach, ob das klug ist! Bedenken Sie den möglichen Aus-gang des Verfahrens!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27367
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Das Wort hat jetzt der Innenminister des Landes
Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag be-rät heute über ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Ichglaube, im Sinne der meisten Bürger in diesem Landsprechen zu dürfen, wenn ich sage: Das wurde aber auchZeit.
Im Bundesrat beschäftigen wir uns seit Jahren mit derMöglichkeit eines Verbotsverfahrens. Wir haben in denLändern umfangreiche Materialien zusammengetragen.Wir haben viel Mühe und viel Zeit investiert, um diesemenschenverachtende Partei davon abzuhalten, ihre ver-fassungsfeindlichen Parolen zu verbreiten. Das habenwir in den Ländern nicht getan, bloß weil wir die Gele-genheit dazu haben, sondern weil wir, wie ich glaube, alsVertreter des Volkes, als gewählte Vertreter, die Pflichthaben, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um dieWerte unserer Verfassung zu schützen:
die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Per-sönlichkeit, das Recht auf körperliche Unversehrtheitund die Freiheit der Person.Wir leben in einem demokratischen Staat. Ich glaube,Demokratie ist nicht einfach nur ein Begriff oder einWort in unserer Verfassung oder irgendeine Staatsform.Demokratie in Deutschland ist eine Errungenschaft. Sieist eine Errungenschaft, auf die wir stolz sein können.Sie ist errungen worden von vielen Frauen und Männernin diesem Land, die für diese Werte im Laufe der deut-schen Geschichte ihr eigenes Leben oder das Leben ihrerFamilie riskiert haben. Sie haben gekämpft für diese De-mokratie und für diese gerade von mir zitierten Werteunserer Verfassung. Diese Menschen haben das Funda-ment unserer Gesellschaft geschaffen.Deshalb hat es mich stolz gemacht, meine Damen undHerren, dass am 14. Dezember des letzten Jahres derBundesrat über alle Parteigrenzen hinweg beschlossenhat, diese Werte nicht herzugeben, sondern sie aktiv zuverteidigen.
Ich glaube, das ist nicht nur Zeichen und Ausdruck einerwehrhaften Demokratie. Das ist vor allem auch ein Zei-chen an diejenigen, die Opfer sind, deren Menschen-würde in diesem Land mit Füßen getreten wurde odernoch wird. Ich glaube, der Rechtsstaat, die Parteien unddie Parlamente dürfen nicht der Schuster sein, der imZuge der Parteienfinanzierung die Springerstiefel immerwieder neu besohlt.
Ich glaube, dass wir im Bundesrat ein wichtiges Zei-chen gesetzt haben über alle Parteigrenzen hinweg. Aberes bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Damit meine ichdie aktuelle Haltung der Bundesregierung. Es darf nichtsein, dass diese Debatte in den nächsten Wochen weiter-hin durch Untätigkeit und Zaudern geprägt wird. Daswäre ein verheerendes Signal im Kampf gegen Rechts-extremismus.Meine Damen und Herren, es kann mit guten Argu-menten für ein Verbot gestritten werden. Es kann auchmit guten Argumenten gegen ein Verbot gestritten wer-den. Aber man muss wenigstens darum streiten. Behar-ren und Zaudern – das ist nicht das Zeichen der Zeit.
Ich bitte, den Blick über dieses Parlament oder denBundesrat hinauszurichten – wir diskutieren dieses Par-teienverbot natürlich auch unter einem parteitaktischenKalkül –: Wie nehmen es die Menschen draußen wahr,wenn die drei Verfassungsorgane dieser Republik da-rüber streiten, wie man gegen eine Partei vorgeht, dieseit 60 Jahren existiert, in zwei Landesparlamenten ver-treten ist und objektiv menschenverachtend, ausländer-feindlich und verfassungsfeindlich ist? Welches Bild ge-ben wir als Demokraten ab, wenn wir darüber streiten,während die Feinde der Demokratie versuchen, in dieMitte dieser Gesellschaft vorzudringen? Dieses Bild dür-fen wir nicht abgeben.
Ich glaube, dass die Vertreter der Verfassungsorgane,die für ein solches Verbot eintreten, mit Recht sagenkönnen: Wir wollen nach demokratischen Werten lebenund unsere Kinder dazu erziehen: zu Nächstenliebe, To-leranz, Mitmenschlichkeit. Es wäre ein Armutszeugnisfür dieses Land, wenn wir uns in einem solchen Verbots-verfahren wegduckten, weil es bequemer wäre, undwenn es sich dabei auch nur um ein Verfassungsorganhandeln würde. Ich glaube vielmehr, es wäre ein wichti-ges Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger dieses Lan-des, dass wir als Demokraten in dieser Frage eine klareHaltung einnehmen.
„Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegtvom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeut-schen“, „Europa ist das Land der weißen Rasse und solles auch bleiben“: Das sind nur zwei Zitate aus der Mate-rialsammlung, die wir als Innenminister der Länder undMinister des Bundes in den letzten Monaten sehr sorg-fältig zusammengetragen haben.Wir haben darauf geachtet, dass diese Materialienquellenfrei sind. Sie stammen aus öffentlich zugängli-chen Materialien. Wir als Länder werden dies testieren.Wir haben auch in die Bundesbehörden und in den Bun-desinnenminister als Person großes Vertrauen, dassdieses Material quellenfrei ist – offensichtlich mehr
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27368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Minister Ralf Jäger
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Vertrauen, Herr Dr. Jung, als seine eigene Bundestags-fraktion.
Diese gerade von mir erwähnten Zitate stammen aus freizugänglichem Material. Ich glaube, in einem Rechtsstaatdarf man solche Äußerungen nicht tolerieren.Viele stellen sich im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren die Frage: Ist die Demokratie inDeutschland eigentlich nicht stark genug, um sich mitRechten und Nazis mit guten Argumenten auseinander-zusetzen? – Ja, selbstverständlich, und nicht nur ausein-anderzusetzen: Ich glaube, dass wir sehr gute Argumentehaben, um uns auf intellektueller Ebene mit braunemGedankengut auseinanderzusetzen und natürlich auchdurchzusetzen. Aber ich stelle auch die Frage: Wie hel-fen diese Argumente unseren ausländischen Mitbürge-rinnen und Mitbürgern, die in Dessau oder Schwerin aufoffener Straße diskriminiert, schikaniert oder geschlagenwerden? Wie helfen diese Argumente diesen Menschen?Gute Argumente zu haben und intellektuell über denDingen zu stehen, ist das eine; das hilft aber nur in selte-nen Fällen gegen Baseballschläger, Schlagring undSpringerstiefel. Wir müssen diejenigen, die den geisti-gen Nährboden für ein solches Verhalten liefern, davonabhalten, dies zu tun.
Mindestens genauso wichtig ist: Mit dem Verbot zer-schlagen wir die bestehenden Strukturen. Wir entziehender einzigen rechtsextremistischen Partei in Deutsch-land, die bundesweit aktionsfähig ist, ihre Basis. Aberdas darf nur ein Baustein im Kampf gegen Rechtsextre-mismus sein,
und es muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Je-der muss, so gut er kann, seinen Beitrag für diese Demo-kratie leisten, indem er Demokratie lebt und für sie ein-steht.Das haben wir im Bundesrat mit beeindruckender Ge-schlossenheit getan. Wir sind dieser Verantwortungnachgekommen. Dies erwarten wir auch von der Bun-desregierung und dem Bundestag. Wir erwarten, dassSie dieses Verfahren aktiv unterstützen – nicht, damit eserfolgreich wird, sondern weil uns das die Demokratiewert sein sollte.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Stefan Ruppert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich glaube, man muss bei dem vorliegenden Themadrei Ebenen unterscheiden. Zunächst ist da die Gemein-samkeit aller Demokraten bei der Bewertung der NPD;ich glaube, da sind wir uns in diesem Haus alle einig.
Dann kommt die juristische Ebene. Dabei geht es umdie Frage: Wie hält man es sozusagen im Handwerkli-chen mit einem Verbotsverfahren? Wir sind uns wahr-scheinlich ebenfalls einig, dass bei der letzten Entschei-dung sehr hohe Hürden für ein solches Verfahrenaufgestellt worden sind. Wir sind vielleicht unterschied-licher Meinung bei der Frage, wie schwer es ist, dieseHürden zu nehmen. Aber wir sollten uns darin einig sein,dass wir keine Politik betreiben wollen, die den Antragdes Bundesrats in irgendeiner Weise behindert. Vielmehrsollten wir schauen, wie man verhindern kann, dass einVerfahren, wie es der Bundesrat beantragt hat, in hand-werklicher Hinsicht beschädigt wird.Die dritte Ebene bezieht sich auf die politische Aus-einandersetzung um die Frage: Wählt man einen eheretatistisch-repressiven Ansatz – so möchte ich es einmalnennen – oder einen liberalen Ansatz – dies wäre ausmeiner Sicht sinnvoll –, wenn es darum geht: Auf wel-che Weise wehrt sich die Demokratie gegen ihre Feinde?Ich will zur politischen Bewertung der NPD, also zurersten Ebene, nur noch ganz kurz etwas ausführen, dahier schon vieles gesagt worden ist. Natürlich ist dieNPD eine zutiefst widerliche, verfassungswidrige Partei.Ich habe mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter imRahmen des damaligen Verbotsverfahrens drei Jahremeines Lebens mit dieser Partei beschäftigen müssen.Als ich nach Karlsruhe kam, hatte ich die Vorstellungvon einer Partei, die rechtsradikal ist, sozusagen ein et-was härterer Flügel der Republikaner. Nachdem ich da-mals die Akten und Unterlagen gesehen habe, war mirklar: Es handelt sich im Kern um eine in der Nachfolgenationalsozialistischer Ideen stehende Partei, die daraufaus ist – das sagt sie auch selbst –, das System Bundesre-publik Deutschland dauerhaft zu beschädigen. Ichglaube, man kann in der Materialsammlung auf vielePunkte verweisen, in denen dies deutlich wird. Insofernsind wir uns in dieser Beziehung einig. Ich glaube, dasollten wir uns auch nicht auseinanderdividieren lassen.
Jetzt komme ich kurz zur zweiten Ebene, der juristi-schen Ebene. Ich glaube in der Tat, dass das Bundesver-fassungsgericht damals sehr hohe Hürden aufgestellt hat.Übrigens haben gerade Ihnen nahestehende Richter da-mals die Auffassung vertreten, dass man das Verfahrennicht in der Sache prüfen sollte, sondern dass man einenformalen Abschluss finden muss. Die Initiativen meinesdamaligen Vorgesetzten, weiterhin in der Sache genauerzu schauen, waren nicht mehrheitsfähig, haben nicht dasnotwendige Quorum erreicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27369
Dr. Stefan Ruppert
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Ich will zum Hauptpunkt kommen, nämlich zur politi-schen Auseinandersetzung. Da, finde ich, haben sichHerr Jäger und Herr Oppermann ein wenig widerspro-chen. Sie fordern von uns eine Stellungnahme nach demMotto: „Seid ihr dafür, oder seid ihr dagegen?“, sindaber in der gleichen Sekunde ungeheuer stolz auf ihreparteipolitische Geschlossenheit in dieser Frage und in-sinuieren, wir müssten, wenn es darum geht, wie mit derNPD umzugehen ist, auf jeden Fall zum gleichen Ergeb-nis kommen wie sie.Da sind mir die Grünen wesentlich sympathischer;ich habe eben Herrn Wieland zugehört – ich vertretenicht seine Auffassung –, und ich weiß, dass nachherHerr Beck noch etwas zu diesem Thema sagen wird. Beiden Grünen verspüre ich, offen gesagt, mehr von einemRingen – das ich auch in der CDU/CSU und in der FDPverspüre –, die Diskussion wirklich politisch und in derSache zu führen und sich die Frage zu stellen: Ist einParteienverbot, eine institutionelle Schwächung desRechtsextremismus, mehr als nur eine symbolischeHandlung, und adressieren wir dieses Problem damit inder Sache richtig? Da bin ich sehr, sehr, sehr skeptisch.
Warum? Ein Vorteil eines NPD-Verbots besteht in derTat darin, die staatliche Parteienfinanzierung zu kappen.Aber zu glauben – wie Sie es vortragen –, dass Vorfälle,wenn in Städten im Osten wie im Westen Ausländer aufder Straße von Menschen mit rechtsradikalem Hinter-grund angegriffen werden, durch ein NPD-Verbotsver-fahren auch nur ansatzweise verhindert werden könnten,ist doch irgendwo ein bisschen naiv.
Das ist eine Aufgabe von uns allen.Vor einigen Monaten haben wir hier über den Antise-mitismusbericht diskutiert. Es wäre doch ein Leichtes,die richtigen Schritte einzuleiten, wenn man den Antise-mitismus und ausländerfeindliche Parolen allein in die-sem Milieu verorten könnte. Leider sitzt das Problemaber viel tiefer. Wir alle wissen, dass gewisse Haltungenin der gesamten Bevölkerung vorzufinden sind. Deswe-gen lautet mein Plädoyer, es nicht mit dem etatistisch-re-pressiven Ansatz zu versuchen, sondern den liberalenAnsatz zu wählen und zu sagen: Es ist eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe – eine Aufgabe der Zivilgesell-schaft, also von uns allen, auch von Vereinen und imRahmen von Demonstrationen –, sich dem entgegenzu-stellen.
Mit einem Verbot erweckt man zwar den Eindruck, alswürde das Problem dadurch gelöst. In der Sache, was dieÜberzeugungen der Menschen angeht, wird dadurchaber kein einziges Problem gelöst.
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich will das aneinem Bild deutlich machen: Wenn wir den Schmerz,den uns diese Partei regelmäßig zufügt, dauerhaft spü-ren, werden wir uns anders verhalten, als wenn wir denEindruck haben, wir hätten dieses Problem durch einVerbotsverfahren einer Teillösung zugeführt. Wir müs-sen uns vor Augen halten – Herr Uhl hat gesagt, dass dasfür alle alten Demokratien, die sehr gefestigt sind, gilt –,dass wir unsere Demokratie nur verteidigen können,wenn wir sie jeden Tag miteinander und in Gemeinsam-keit neu erringen. Das gelingt aber nicht durch symboli-sche Verbote. Das ist der Kerngedanke. Aus diesemGrund bin ich strikt gegen ein NPD-Verbotsverfahren.
– Auch in meiner Fraktion gibt es Leute, die das anderssehen. Wie gesagt, Sie feiern Ihre Geschlossenheit. Ichfinde aber, das ist bei dieser Frage keine Errungenschaft.Vielmehr lohnt es sich, unterschiedlicher Meinung zusein und sich mit anderen Auffassungen auseinanderzu-setzen.
Sie werfen uns, der CSU und der CDU vor, dass sichder eine so und der andere so äußert; das könnten Sie üb-rigens auch den Grünen vorwerfen. Das empfinde ichaber nicht als Vorwurf. Vielmehr bringt das ein ernsthaf-tes Ringen um eine Lösung zum Ausdruck. Der eine ge-wichtet die einen Argumente etwas höher, und der an-dere gewichtet die anderen Argumente etwas höher. Ichglaube, wir tun gut daran, diese Debatte nicht zu be-schleunigen. Wir müssen sie sachgerecht und intensivführen und dann zu einem Ergebnis kommen. Ich werbedafür, eher die zivilgesellschaftlichen Ansätze im Kampfgegen die NPD und den Rechtsradikalismus zu stärken,statt auf ein Verbotsverfahren zu setzen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieNPD ist eine faschistoide Partei. Mitglieder der NPD tre-
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Petra Pau
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ten Menschen und ihre Rechte im Wortsinne mit Füßen.Hass und Hetze prägen das politische Auftreten derNPD. Die Grundsätze des Grundgesetzes sind ihr zuwi-der. Dafür lässt sich die NPD vom Staat aushalten, undder Staat tut es gesetzesgemäß auch auf vielfältigeWeise. Ich als Linke finde das unerträglich.
Ich weiß, und wir haben es hier heute gehört: Es gibtin allen Bundestagsparteien Bedenken, ob Parteiverbotegrundsätzlich geboten und obendrein ein adäquates Mit-tel gegen das gesellschaftliche Problem Rechtsextremis-mus, Rassismus und Antisemitismus sind. Das versteheich und sage: Sie sind auf keinen Fall ein hinreichendesMittel. Das sollten wir bei alledem nicht vergessen.
Ich möchte wiederholen, was ich in ähnlichen Debat-ten hier schon angemahnt habe. Der Kampf gegenRechtsextremismus verträgt kein parteipolitisches Hick-hack. Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weildie NSDAP so stark war, sondern weil ihre Gegnerinnenund Gegner zerstritten waren. Auch diese historischeLehre sollten wir beherzigen.
Die Linke erwägt ernsthaft ein Verbot der NPD, unddas nicht erst seit jetzt. Meine Kollegin Ulla Jelpke undich haben 2001 bis 2003 das damalige NPD-Verbotsver-fahren begleitet. Es ist gescheitert, und die NPD feiertedas als Sieg. Das war schlecht. Noch schlechter wäre esallerdings, die Fehler von damals zu wiederholen. 2003wurde das Verfahren eingestellt, weil die Verfassungs-richter nicht mehr unterscheiden konnten, welche Be-weise gegen die NPD originär von der NPD und welchevon V-Leuten des Staates stammten. Seitdem mahnenwir: Wer an der V-Leute-Praxis festhält, garantiert derNPD das Parteienprivileg.
Diese V-Leute-Kumpanei muss endlich beendet werden.
Damit bin ich bei Punkt eins meiner Skepsis. Die In-nenminister der Länder haben über 1 000 Seiten Belas-tungsmaterial gegen die NPD zusammentragen lassen.Aber – auch das gehört zur Wahrheit – die Mehrheit die-ser Innenminister ist nicht bereit gewesen, mit ihrer Un-terschrift zu testieren, dass dieses Material entgiftet ist,also frei von V-Leute-Einflüssen. Sie trauen offenbar ih-ren eigenen Behörden nicht. Ich füge aktuell hinzu:Nach dem, was wir in jeder NSU-Untersuchungsaus-schusssitzung hören, ist Skepsis auch gegenüber eigenenBehörden angesagt.Punkt zwei meiner Skepsis. Der Europäische Ge-richtshof für Menschenrechte hat die Hürden für ein Par-teienverbot mindestens so hoch wie das deutsche Grund-gesetz gesetzt, wenn nicht noch höher.Ich war als Linke immer eine politische Gegnerin vonEx-Kanzler Helmut Kohl. Aber sein Zitat „Entscheidendist, was hinten rauskommt“ ist so weltfremd nicht.
Kurzum: Weil die Linke ein Verbot der NPD ernstnimmt, sind wir gegen fragwürdige Schnellschlüsse. Wirfordern einen radikalen Bruch mit der V-Leute-Praxisdes Staates, und wir warnen davor, das angestrebte NPD-Verbot als Scheinlösung gegen die eigentlichen Heraus-forderungen des Rechtsextremismus zu missbrauchen.Der Kern des Problems liegt ohnehin tiefer. Das ha-ben Professor Heitmeyer und sein Team uns allen insStammbuch geschrieben, jüngst auch Wissenschaftler imAuftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihr sehr ähnlichesFazit lautet: Die aktuelle Politik, bei der Reiche immerreicher und Arme immer hoffnungsloser werden, spieltNazis in die Hände.Lassen Sie mich noch eine allerletzte Bemerkung ma-chen. Immer wieder werden Bürgerinnen und Bürger,die gegen Nazis demonstrieren, kriminalisiert. Wir erle-ben das aktuell in Sachsen, aber nicht nur dort.Es war ergreifend, Inge Deutschkron am Mittwochhier im Deutschen Bundestag zuzuhören. Zugleich bleibtes mir aber unbegreiflich, dass ihre mahnende Botschaftgleichzeitig sabotiert wird. Nazis ist zu wehren – recht-zeitig, gemeinsam und tatsächlich.Danke.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege
Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangswill ich meine grundsätzliche Haltung zum NPD-Verbotdarstellen, bevor ich zu den Problemen komme.Ich denke, ein NPD-Verbot könnte zu einer vorüber-gehenden strukturellen Schwächung der rechtsextremis-tischen Szene führen. Deshalb bin ich dafür, einenVerbotsantrag zu stellen, wenn man ihn rechtlich für aus-sichtsreich hält. Daher ist für mich die Frage, ob man ei-nen NPD-Verbotsantrag guten Gewissens unterstützt,zuallererst eine rechtliche und keine politische Frage.Ich war beim ersten NPD-Verbotsverfahren dabei; ichsaß im Gerichtssaal. Dieses Verbotsverfahren wurde ge-führt, weil es einen Wettbewerb von zwei Innenminis-tern dieser Republik um den Sheriffstern gab: zwischenHerrn Beckstein und Otto Schily.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27371
Volker Beck
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Die Stümperei bei der Vorbereitung dieses Verbots-antrags habe ich damals nicht für möglich gehalten.Ich habe nicht alle Erwägungen des Bundesverfas-sungsgerichts in seinem Urteil zur V-Mann-Problematikgeteilt. Ich finde, hier kann man aus guten Gründen dergeheimdienstlichen Praxis sagen: Man muss schon zwi-schen V-Leuten, verdeckten Ermittlern und Agents Pro-vocateurs unterscheiden. – Man kann aber nicht davonabsehen, dass dieses Urteil jetzt geltendes Recht ist. Des-halb ist das auch die erste Hürde.Nach den Auskünften, die ich von der Bundesregie-rung zu dem vorliegenden Material bekommen habe, binich mir, ehrlich gesagt, noch nicht einmal sicher, ob wirdiese erste Hürde zweifelsfrei nehmen würden. Das kannhier im Hohen Hause zumindest niemand beurteilen,sondern das können nur die Damen und Herren auf denRegierungsbänken, weil wir keine Kenntnisse darüberhaben, was in der V-Mann-Praxis wirklich los ist.Die Bundesregierung sagte mir, dass aus dem ur-sprünglichen Bericht, der als geheim eingestuft wurde,viele Seiten entfernt worden sind. Dies führte zu demBericht, der uns jetzt in der Geheimschutzstelle vorliegtund mit „VS-NfD“ gestempelt wurde. Ich würde schongerne genauer wissen: Von wann sind welche Quellenherausgenommen worden? Warum waren sie zu diesemZeitpunkt eingeschaltet? Wenn man sich die Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts anschaut: Dürfenwir überhaupt Beweise über eine Zeit sammeln, in dersich in der Organisation noch eingeschaltete V-Leute be-fanden?Der zweite Punkt ist materiell-rechtlicher Natur. Neh-men wir die formalen Hürden, müssen wir uns fragen:Gilt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsbeim Verbot der Sozialistischen Reichspartei und derKPD heute noch? Wenn das so wäre, hätte ich wenigerSorge, dass man die Voraussetzungen für ein Verbotauch bei der NPD nachweisen kann.Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechtehat in ständiger Rechtsprechung verlangt, es müsse ein„pressing social need“ für ein Verbot geben, weil das In-strument des Parteienverbots in der europäischenRechtsgemeinschaft eigentlich ein Fremdkörper ist. Esdarf nur ausnahmsweise angewandt werden, nämlichdann, wenn andernfalls die Demokratie und die Rechts-staatlichkeit eines Landes tatsächlich akut gefährdet wä-ren.Das Bundesverfassungsgericht wird sich diese Fragensicher schon selber stellen – das sagen auch viele Verfas-sungsrechtler –, weil es nicht riskieren will, dass ein Ur-teil aus Karlsruhe in Straßburg am Ende aufgehobenwird.Über all das habe ich in dem Bericht der Bund-Län-der-Arbeitsgruppe, der 141 Seiten umfasst, nur relativwenig gefunden. Hierin setzt man sich eigentümlicher-weise mit der Rechtsprechung zum Vereinsverbot aus-einander, weil man weiß, dass die Rechtsprechung zumParteienverbot viel strenger ist.Bei Batasuna hat man gesagt: Verbieten, weil sie einparlamentarischer Arm einer Terrororganisation ist. Beider Refah Partisi hat man das kurz vor deren Wahlerfolgund einer möglichen verfassungsändernden Mehrheit ge-sagt, da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit akut gefähr-det waren. Das ist die ständige Rechtsprechung desEGMR in sieben Fällen zum Parteienverbot.Deshalb meine ich: Prüfaufgabe für den Innenaus-schuss ist – das wollen Sie ja prüfen –: Mit welchen Be-weisen kann man diese Hürden nehmen? – Dass mandiese Hürden herunterredet, nützt uns vielleicht, um hiereine Mehrheit für einen Antrag zu erreichen. In Karls-ruhe nützt uns das aber überhaupt nichts. Deshalb bin ichhier in großer Sorge.
Wir sollten im Innenausschuss auch die Frage erör-tern, ob vielleicht die NPD mit einer Insolvenz nicht un-serem Parteienverbotsantrag zuvorkommt. Der Parteigeht es finanziell bitterschlecht, weil ihr die Leute da-vonlaufen, weil sie den Bundestag betrogen hat und weilsie Geld zurückzahlen muss und keine solide Finanz-grundlage hat. Daher ist die Frage, ob das Verbotsverfah-ren hier nicht wie eine künstliche Blutzufuhr für diesemarode Organisation wirken würde.Aber Verbotsverfahren hin oder her: Die eigentlicheGefahr des Rechtsextremismus können wir damit nichtbeseitigen. Die Demonstrationen in Dresden sind nichtvon der NPD organisiert, sondern von der Jungen Lands-mannschaft Ostdeutschland. Ich war vor drei Wochen inMagdeburg. Dort war ein einziger NPD-Funktionär ander Vorbereitung des Aufmarsches beteiligt,
ansonsten waren das alles Mitglieder der Freien Kame-radschaften.Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat eine Karte zu die-sem realen Problem gemacht, mit dem wir es jenseits derNPD zu tun haben. Jeder rote Kreis auf dieser Kartesteht für eine Freie Kameradschaft von Rechtsextremis-ten in Deutschland. Diese Kameradschaften sind auchdann noch da, wenn die NPD verboten ist. Deshalbmeine ich – da habe ich keinen Dissens zu Ihnen als Per-son, Herr Ruppert, aber zu Ihrer Koalition –: Wir müssenuns intensiver um die Bekämpfung des Rechtsextremis-mus kümmern, egal wie wir uns in der Frage eines NPD-Verbotsverfahrens entscheiden.
Das heißt für mich: Weg mit der Extremismusklausel,mit der den demokratischen Initiativen ein Knüppel zwi-schen die Beine geworfen wird!
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27372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Volker Beck
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Weg mit dem Zwang zur hälftigen Kofinanzierung beiden Bundesprogrammen! Wir brauchen eine Versteti-gung des Programms für Demokratie, dessen Finanzie-rung dieses Jahr ausläuft. Kommen Sie endlich von derProjektförderung weg! Die Bekämpfung des Rechts-extremismus ist nicht innerhalb von drei Jahren mit ei-nem Projekt zu erledigen. Das ist eine demokratischeDaueraufgabe.
Die Frage, wie wir damit umgehen, ist der Lackmustestdafür, ob wir den Rechtsextremismus ernsthaft bekämp-fen. Die Frage des NPD-Verbots bleibt eine juristische.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer vor zwölf Jahren hier im Bundestag war, der wirdsich noch erinnern können: Die Debatte, die wir heuteführen, haben wir vor zwölf Jahren genau so geführt.Auch damals waren wir alle hin und her gerissen.Es gibt gute Argumente für ein Verbotsverfahren. Esgibt auch beachtliche rechtliche, aber auch politische Ar-gumente und Bedenken gegen ein Verbotsverfahren. Esgibt Linke, die für ein Verbot sind, und Konservative, diedagegen sind. Es gibt Konservative, die dafür sind, undLinke, die dagegen sind. Man kann die Haltung schweran Partei- oder Fraktionsgrenzen festmachen; das liegt inder Natur der Sache. Jeder hier meint, die eigene Mei-nung sei die einzig richtige. Ich gebe zu: Das ist eine Be-rufskrankheit von Politikern, von der auch ich gelegent-lich heimgesucht werde.
Aber vielleicht ist es gut, den Streit auf das zu kon-zentrieren, bei dem wir tatsächlich unterschiedlicherAuffassung sind; denn in der Bewertung der NPD sindwir uns doch alle einig. Ich könnte all das, was der Kol-lege Oppermann zum Wesen und zum Charakter derNPD gesagt hat, vorbehaltlos unterschreiben. Daran gibtes doch keinen Zweifel. Ich könnte das, was mein Innen-minister, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen,gesagt hat, ebenso unterschreiben. Auch daran gibt eskeinen Zweifel.Aber es gibt auch keinen Zweifel an dem, was wir2000/2001 erlebt haben. Am 2. August 2000 verkündeteRegierungssprecher Heye: Die rot-grüne Bundesregie-rung sieht keine Chance für ein erfolgreiches NPD-Ver-botsverfahren. – Danach gab es eine Große Koalition.An der waren unter anderem Jürgen Trittin, GerhardSchröder und Edmund Stoiber beteiligt. Sie wollten un-bedingt ein Verbotsverfahren. Alle Bedenken dagegenwurden beiseitegewischt. Am Ende hat derselbe Regie-rungssprecher erklärt, man sei voller Zuversicht, dass einNPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe erfolgreich endet.Die Argumentation war übrigens die gleiche wie bei Ih-nen, Herr Oppermann: Es gebe überhaupt keinen Zwei-fel.Das Ergebnis ist bekannt. Während des Verfahrenswar die NPD handzahm. Nach dem Verfahren ist siedreister als je zuvor aufgetreten und hatte am Ende über7 000 Mitglieder. Seitdem befindet sich die Partei imSinkflug.Es gibt gute Argumente für ein Verbot: erstens dasZerschlagen einer organisatorischen Basis, zweitens denEntzug der staatlichen Unterstützung. Natürlich stört esdie Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass sie in Formder Wahlkampfkostenerstattung – die Hürde liegt bei1 Prozent bzw. 0,5 Prozent Stimmenanteil – mit ihrenhart erarbeiteten Steuergroschen eine verfassungsfeindli-che Partei jedenfalls teilweise mitfinanzieren müssen.Ein Verbotsantrag ist natürlich auch ein Signal desStaates, dass er es mit der wehrhaften Demokratie wirk-lich ernst meint. Aber senden wir damit nicht gleichzei-tig ungewollt das Signal aus, dass wir es uns nicht zu-trauen, die NPD politisch und zivilgesellschaftlich so zubekämpfen, dass sie in unserem Land überhaupt keineChance hat? Darauf muss der Schwerpunkt liegen.Ein Verbotsantrag ist eine klassische Aufgabe der Exe-kutive. Das ist auch der Grund dafür, warum es bei denersten Parteiverboten überhaupt keinen Antrag des Par-laments gab. Es war immer die Bundesregierung, die alsAntragsteller aufgetreten ist. Nur die Regierungen desBundes und der Länder verfügen über die Informatio-nen, die man haben muss, um beantworten zu können,ob ein Verbotsantrag hinreichend Aussicht auf Erfolg hatoder nicht. Woher wollen denn die Kolleginnen und Kol-legen im Deutschen Bundestag wissen, welches Materialquellenfrei ist? Woher wollen wir wissen, welches Mate-rial von V-Leuten stammt und welches nicht? Die Zahlder V-Mann-Führer im Bundestag ist sicherlich über-schaubar. Wir können das doch gar nicht wissen. Wirmüssen uns auf das verlassen, was uns die Behörden zu-liefern. Sogar viele der zuständigen Landesinnenminis-ter sagen: Ich testiere das gar nicht. Ich selber unter-schreibe das nicht, weil ich es auch nicht weiß. – Dennauch die Innenminister sind keine V-Leute-Führer. Sielassen es ihre Abteilungsleiter oder die Präsidenten ihrerÄmter unterschreiben. Herr Jäger, dafür habe ich sogarVerständnis. Vielleicht würde ich es genauso machen.Aber machen wir uns nichts vor: Wenn ein falschesZeugnis abgegeben wird, haben Sie als Minister den Är-ger und nicht der Abteilungsleiter oder der Präsident.Wie gesagt, das ist eine klassische Aufgabe der Exeku-tive.Weil wir uns vor zwölf Jahren unsicher waren, sindwir mit drei Antragstellern in Karlsruhe angetreten. Wirhaben geglaubt: Wenn es schon ein gewisses prozessua-les Risiko gibt, dann wollen wir wenigstens mit mög-lichst vielen Antragstellern antreten. Möglicherweisewird das Karlsruhe beeindrucken. – Das Ergebnis ist be-kannt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27373
Wolfgang Bosbach
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Zu den Risiken: Dass die NPD verfassungsfeindlichist, ist sonnenklar. Um das zu erkennen, muss ichkeine 1 000 Seiten lesen und auch nicht auf Zeugnissevon V-Leuten zurückgreifen. Es gibt genügend Zitateaus der Führungsebene der NPD selber, in denen ganzklar bekannt wird, dass unsere freiheitlich-demokrati-sche Grundordnung abgelehnt wird. Aber das alleine ge-nügt für ein Verbot nicht. Wir müssen aggressiv-kämpfe-risches Verhalten nachweisen. Dafür genügen nichtEntgleisungen, Exzesse, Straftaten oder Gewalttaten ein-zelner Mitglieder. In jedem einzelnen Fall muss der Staatnachweisen, dass die Straftat oder die Gewalttat der Par-tei als Organisation zugerechnet werden kann. Der Staatmuss beweisen, dass die NPD die Grenze vom Bekennenzum Bekämpfen überschreitet, dass sie nicht nur ein Be-kenntnis gegen die freiheitliche demokratische Grund-ordnung ablegt, sondern unseren Staat auch aktiv be-kämpft.Das heißt, das Bundesverfassungsgericht wird in eineBeweisaufnahme eintreten müssen. Das Verfahren wirdsich mit Sicherheit über anderthalb Jahre hinziehen. Je-den Tag wird die NPD in den Medien sein. Jeden Vor-mittag werden sich ihre Führungsmitglieder als Bieder-männer vor Gericht gerieren. Jeden Nachmittag werdensie bestreiten, dass sie irgendetwas mit Gewalt oder Ex-zessen einzelner Mitglieder zu tun haben. Es kommt üb-rigens auch prozessual nicht darauf an, wie es vor zehnoder zwölf Jahren in der NPD zuging, sondern darauf,wie es sich heute verhält. Daher muss neben der rechtli-chen Würdigung – insofern hat Volker Beck recht – ge-fragt werden: Ist es wirklich politisch klug und imwahrsten Sinne des Wortes notwendig?Zum Abschalten der V-Leute: Frau Pau, ich bin nichtder Auffassung, dass wir generell auf V-Leute verzichtenkönnen. Wir haben, Hans-Peter, neun oder zehn rechtsra-dikale Organisationen in den letzten Jahren verboten,übrigens erfolgreich und gerichtsfest. In vielen Fällenhaben Erkenntnisse von V-Leuten dazu geführt, dass wirausreichende Beweise hatten, um die Organisation ver-bieten zu lassen. Wir sagen, dass wir zur Beobachtungder NPD dringend auf den Einsatz von V-Leuten ange-wiesen sind, haben die V-Leute aber schon seit neun Mo-naten abgeschaltet, sodass wir bei einem anderthalb oderzwei Jahre dauernden Verfahren insgesamt rund zwei-einhalb Jahre auf den Einsatz von V-Leuten verzichtenmüssten. Es ist problematisch, wenn wir einerseits sa-gen, dass wir auf den Einsatz von V-Leuten dringend an-gewiesen sind, und andererseits auf ihren Einsatz offen-bar zwei oder zweieinhalb Jahre problemlos verzichtenkönnen.Herr Jäger, ich habe für Ihre Haltung durchaus Ver-ständnis. Es gibt gute Argumente dafür. Aber selbstwenn Sie Erfolg haben: Die Baseballschläger sind im-mer noch da, die Springerstiefel sind immer noch da. Siekönnen eine Partei verbieten, eine Organisationsform,aber nicht den Rechtsextremismus und die Gewaltbereit-schaft in den Köpfen der Mitglieder.
„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ durch einen Antragoder ein Verbot wäre ein klassischer Kurzschluss. Vorzwölf Jahren habe ich aus Begeisterung zugestimmt,weil ich von der Richtigkeit überzeugt war; heute seheich das sehr skeptisch. Letztendlich muss sich jede ein-zelne Kollegin und jeder einzelne Kollege nach bestemWissen und Gewissen entscheiden, ob sie oder er für ei-nen Verbotsantrag ist oder dagegen. Der Antrag wirdkommen. Die Länder werden ihn auf jeden Fall stellen.Die Bundesregierung muss in eigener Verantwortungentscheiden.Scheitern dürfen wir in Karlsruhe auf keinen Fall. Daswäre ein gigantischer Propagandaerfolg für die NPD undeine riesige Blamage für den Staat. Deswegen dürfen wirden Antrag nur stellen, wenn wir uns hundertprozentigsicher sind.
Jetzt hat der Kollege Michael Hartmann von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst möchte ich mich bei allen Vorrednern für diewirklich sehr abwägende und differenzierte Debatte be-danken. Besonders der Beitrag von Wolfgang Bosbach,der mit seiner großen und langen parlamentarischen Er-fahrung noch einmal dargelegt hat, womit wir zu ringenhaben, war eindrucksvoll.Dennoch will ich feststellen: Manches ist vonseitender Koalition nicht richtig ausgeführt worden. Erstens.Wenn, lieber Wolfgang Bosbach, immer dieses Testateingefordert wird, dann stelle ich fest: Das gibt es. Denndie Innenminister haben auf ihrer Konferenz klar unddeutlich gesagt: Hiermit bescheinigen wir gemeinsam,dass dieses Material nicht kontaminiert ist. – Also, bittenicht diese Propaganda weiter verbreiten!
Zweitens. Natürlich ist es so, wie Wolfgang Bosbachausgeführt hat. Wir müssen uns in dieser Frage in vielenPunkten auf das verlassen, was die Apparate, die Sicher-heitsbehörden und die Ministerien uns sagen. Wohlwahr. Aber dafür haben wir eine parlamentarische De-mokratie und eine parlamentarische Kontrolle. In fast al-len Fragen, über die wir hier zu beraten und zu entschei-den haben, müssen wir Regierungswissen heranziehen,das wir dann aber als frei gewählte Abgeordnete zu be-werten haben. Genau das ist unsere Aufgabe, nicht al-leine eine rechtliche Bewertung.
Das Bemerkenswerte ist – ebenfalls eindrucksvollvon dem heutigen Vorsitzenden des Innenausschussesdargestellt –, dass damals, zu rot-grüner Zeit – der Ver-
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27374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Michael Hartmann
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botsantrag wurde von allen Fraktionen getragen außerder FDP –, einmal die Aussage und einmal jene Aussagegetroffen wurde, die Positionen innerhalb der Regierungunterschiedlich waren. Heute sind wir in der Situation,dass der Bundesinnenminister selbst einmal diese undeinmal jene Position vorträgt. Sie können mit einemBlick in die einschlägigen Medienerzeugnisse feststel-len, dass es soundso viele Zitate für ein NPD-Verbots-verfahren vom Bundesinnenminister gibt und soundsoviele Zitate dagegen. Er ist immer ein bisschen bedenk-lich und abwägend. Die heutige Debatte spricht Bände.Die Bundesregierung ergreift noch nicht einmal dasWort, um uns zu sagen, wo sie steht und welche Positionsie hat. Das geht nicht, meine Damen und Herren.
Deshalb ist es gut, dass wir als SPD diesen Antrageingebracht haben, und zwar alleine deshalb, weil da-durch in die gesamte Diskussion Bewegung kommt. Wielange haben sich die Bundesländer und die Innenminis-terkonferenz mit dem Abwägen von Pro und Kontra ei-nes NPD-Verbotsverfahrens befasst? Und nichts ist aufunserer Ebene geschehen. Nun liegt etwas vor. Der Bun-desinnenminister, der ständiger Gast der Innenminister-konferenz ist, hat immer, auch hinter den Kulissen, mitseinen guten Fachleuten qualifiziert das mit beraten, wasjetzt vorgelegt worden ist. Wieso kann die Bundesregie-rung vor diesem Hintergrund bis zum heutigen Tag nichthü oder hott sagen? Das ist unverständlich, nicht nach-vollziehbar und wird übrigens mit Häme von denenwahrgenommen, die wir hier gemeinsam bekämpfenwollen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf,einmal schnell zu sagen und nicht mit dem Instrumentder langen Bank zu arbeiten: Wo stehen Sie? Sind Siedafür? Sind Sie dagegen? Beides ist respektabel, aberdiese Haltungslosigkeit ist es nicht, Herr Innenminister.
Ohne Frage ist in unserer Abwägung nicht nur zu be-denken: Wie stehen wir in Karlsruhe da? Wie wird diesin der Diskussion und in der Debatte nach außen wahr-genommen? Nein, es gibt noch einen ganz anderenPunkt: Wir haben diese schreckliche, gemeine, perfideNSU-Mordserie. Wir haben jetzt einen Untersuchungs-ausschuss, der hervorragend arbeitet. Wir haben übri-gens auch eine Bund-Länder-Kommission zu diesemThema, die hervorragend arbeitet. Aber unter dem Ein-druck der Ereignisse hat der Deutsche Bundestag, dasdeutsche Parlament, dieses Hohe Haus, etwas Besonde-res hervorgebracht, nämlich eine gemeinsame Entschlie-ßung, getragen von allen Fraktionen des Hauses. Darinheißt es sehr deutlich – ich erinnere an unseren gemein-samen Beschluss –:Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindli-che Parteien haben in unserem demokratischenDeutschland keinen Platz. Deshalb fordert derDeutsche Bundestag die Bundesregierung auf, zuprüfen, ob sich aus den ErmittlungsergebnissenKonsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben.Dies wurde am 22. November 2011 beschlossen. Wirfordern die Umsetzung des damaligen Beschlusses, nichtmehr und nicht weniger.
Damit sind wir alle am Portepee, an der eigenen Ehre ge-fasst.Wir sind nicht naiv. Natürlich wissen wir um die Risi-ken. Dazu sage ich sehr deutlich: Es wäre doch schreck-lich, wenn Parteiverbote in unserer Welt leicht möglichwären. Nein, hohe Hürden müssen aufgebaut sein – inKarlsruhe und auch beim Europäischen Gerichtshof fürMenschenrechte. Wir kommen zu dem Ergebnis, dassdiese Hürden überwindbar sind, und zwar zum einendeshalb, weil das Verbotsverfahren jetzt besser undgründlicher vorbereitet ist als damals, und zum anderen,weil – es wird ja immer dieser Popanz des EuropäischenGerichtshofs für Menschenrechte angeführt – wir sehrgenau wissen, dass dort über Parteien in der Türkei undüber einen Terroristenableger in Spanien geurteiltwurde. Es wurde aber nie über eine deutsche Partei geur-teilt, die, anknüpfend an das Gedankengut der National-sozialisten, aggressiv, kämpferisch, ausländerfeindlichund demokratiefeindlich agiert. Bitte, verwechseln Siedeshalb nicht jene Urteile mit dem, was jetzt zu entschei-den ist.
Herr Kollege Hartmann, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kurth?
Aber immer.
Bitte schön, Herr Kurth.
Herr Hartmann, ich wollte mich eigentlich nicht mel-
den.
Jetzt ist es passiert.
Aber Ihren Einlassungen muss widersprochen wer-den. Die SPD tut so, als hätte sie in dieser Frage eineklare Auffassung, und greift die Bundesregierung in er-heblichem Maße an.Sie sind in Thüringen in der Landesregierung. Ich leseheute in der Thüringer Allgemeinen die Überschrift: „Initia-tive gegen rechte Gewalt: Wer gegen wen in der SPD?“ –Unterüberschrift: „Wirtschaftsminister Machnig gab För-dermittel an einen Verein, hinter dem die eigene Partei-jugend steht.“ In dem Artikel steht, dass der Wirtschafts-minister 384 000 Euro übergeben hat und dass er dazunicht die eigentlich dafür zuständige SPD-Ministerin für
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27375
Patrick Kurth
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Gesundheit und Familie oder den Kultusminister, eben-falls SPD, eingeladen hat. Aus der SPD heiße es dazu:Hier– also in diesem Verein, der unterstützt wird –werden junge Genossen mit Jobs versorgt. … Dakann man dann Gefolgschaft einfordern, wenn imkommenden Jahr über die Spitzenkandidatur für dieThüringer Landtagswahl 2014 entschieden wird.
Glauben Sie, dass Sie mit einem solchen Kasperlethe-ater wie in Thüringen tatsächlich einen Beitrag gegenRechtsextremismus in diesem Land leisten, HerrHartmann?
Herzlichen Dank für Ihr Statement. Ich möchte jetzt
in der Debatte fortfahren.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass ein Ver-
botsantrag nicht risikofrei ist. Aber wie riskant ist es ei-
gentlich, die NPD unbeschadet weiter agieren zu lassen?
Wir sagen sehr deutlich, dass die NPD ein Teil einer ins-
gesamt widerlichen Gesamtbewegung ist. Wir wollen,
dass mit den Mitteln des Rechtsstaats, mit den Mitteln
der wehrhaften Demokratie der legale Arm dieser insge-
samt widerlichen Gesamtbewegung lahmgelegt wird.
Damit ist nicht das rechte Denken weg. Damit sind die
Gesinnungen nicht verschwunden. Aber eines ist klar:
Dann ist es nicht mehr möglich, dass diese Schurken,
mit dem Parteienprivileg versehen, Bustouren durch
Deutschland machen oder in Landtagsfraktionen als so-
genannte wissenschaftliche Mitarbeiter die Bindeglieder
zu den Kameradschaften herstellen. Auch darum geht es
bei der gesamten Debatte, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
Wenn die NPD verboten wird, dann ist klar, dass da-
mit die Werte unserer Demokratie hochgehalten werden.
Wir wollen die NPD verbieten, um null Toleranz gegen
jene Denke auszusprechen, die bis weit in die Mitte der
Gesellschaft verbreitet ist. Da jetzt mehrfach gefragt
wurde, warum die SPD bei dieser Sache so notorisch ist,
will ich Ihnen das gern erklären.
Wir haben der sogenannten Machtergreifung gedacht.
Wir müssen auch des sogenannten Ermächtigungsgeset-
zes gedenken. Damals hat nach dem Brand des Reichsta-
ges der Fraktionsvorsitzende der SPD, Otto Wels, in ei-
ner mutigen Rede die Aussage getroffen, dass man
wehrlos, aber nicht ehrlos ist, dass man in der Lage ist,
diese Kämpfe zu überstehen. Meine Partei hat im Wider-
stand gegen die Nazis einen hohen Blutzoll gezahlt. Des-
halb werden wir überall zu jeder Zeit mit allen Mitteln
gegen diese braune Brut kämpfen, meine Damen und
Herren.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Patrick Sensburg
von der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Lieber Kollege Hartmann, Sie haben amAnfang Ihrer Rede die Einmütigkeit und die gute De-batte gelobt, und dann waren es gerade Sie, der polari-siert hat zwischen Bundesrat, Bundestag und Bundes-regierung.
Das war nicht nötig. Aber den Inhalt Ihrer Rede habe ichgut nachvollzogen, und er war nach meiner Meinunggrundsätzlich richtig.Mir selber fällt es aber nicht so leicht wie Ihnen, michzu entscheiden, ohne die Debatte bis zum Ende zu ver-folgen und ohne Kenntnis der Inhalte und der Informa-tionen der Landesinnenminister und des Bundesinnen-ministers.Ich persönlich habe große Sympathie für den Antragauf ein Verbot der NPD. Das hat verschiedene Gründe.Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass einStaat ein klares Zeichen setzen muss bei dieser unsägli-chen, untolerierbaren Ideologie, die aus den Zitaten un-ter anderem vom Kollegen Oppermann, aber auch vomKollegen Wieland deutlich geworden ist. Ein Staat, derdie Möglichkeit hat, die uns Art. 21 Abs. 2 Grundgesetzgibt, muss an einem Punkt, wo das Maß überschritten ist,diese Möglichkeit auch nutzen. Dafür haben wir sie imGrundgesetz. Diese Möglichkeit können wir auch nut-zen.Ich glaube, dass es nicht nur ein Zeichen für einenstarken Staat ist, für eine gefestigte Demokratie; ichglaube auch, dass es international ein Zeichen ist, dasswir mit so einem Gedankengut entschlossen umgehenkönnen, wie gesagt, wenn eine Schwelle überschrittenist.Dass es kaum erklärbar ist, sowohl den Bürgerinnenund Bürgern unseres Landes als auch den Menschen au-ßerhalb der Bundesrepublik, dass wir einer Partei mit soeinem Gedankengut auch noch mit staatlicher Parteien-finanzierung entgegenkommen, versteht sich, glaubeich, unter uns von selber. Ich habe daher größte Sympa-thie für ein Verbot dieser Partei, die aus meiner Sicht un-säglich für unser Land ist.
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27376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Dr. Patrick Sensburg
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Ich habe im Umkehrschluss nach dem Verfahren, das2001 begonnen hat und 2003 zu einem nicht günstigenAbschluss gekommen ist, aber auch Sorgen, nämlichdass wir, so wie es der Kollege Uhl sagte, der NPD einForum liefern, dass wir, so wie es der Kollege Bosbachsagte, in der Diskussion medial, im Fernsehen, im Radio,aber auch in den Printmedien, die NPD immer wieder er-leben werden, hören werden, und das in einer Zeit, in derbundesweit – Frau Jelpke, ich gebe Ihnen ausnahms-weise recht; das habe ich hier noch nie gemacht; daswird hoffentlich auch nicht mehr vorkommen; aber andem Punkt haben Sie recht; in manchen Regionen ist esanders – die NPD derzeit zum Glück nicht in den Me-dien ist. Sie ist nicht präsent. Sie liegt unter 1 Prozent.Ich würde mir wünschen, dass sie noch weiter herunter-geht, auf 0 Prozent. Ich sehe eine große Gefahr in diesemVerfahren, nämlich dass die NPD für die Menschen wie-der präsent wird.Dass die NPD so aus der demokratischen Diskussionherausgefallen ist, ist übrigens nicht allein das Verdienstder Parteien und unser Verdienst, sondern es ist nachmeiner Meinung das Verdienst der Bürgerinnen und Bür-ger,
die viele friedliche Demonstrationen – ohne Gewalt! –veranstaltet und gezeigt haben: Für so eine Partei bestehtin unserem Staat keine Grundlage. – Deswegen müssenwir ihnen danken.
Weiterhin halte ich es für unglücklich, dass wir paral-lel zum Untersuchungsausschuss NSU über dieses Ver-botsverfahren diskutieren. Das ist kein guter Zeitpunkt,außer man meint, NPD verbieten, Verfassungsschutz ab-schaffen seien eine Parallelität, die Sinn mache. Ich sehedas nicht. Gerade ein Verbot dieser Partei würde doch er-fordern, dass wir das, was dann vielleicht in den Unter-grund rutschen würde, auch weiterhin mithilfe der Ver-fassungsschutzämter überwachen und überprüfen. Vondaher: Diese Parallelität jetzt zu erzeugen, ist möglicher-weise nicht günstig.Zum Zweiten. Dieses Verfahren vor einer Bundes-tagswahl zu führen, was auch wieder dazu führen kann,dass die NPD mit medialem Rückenwind Stimmen ein-fängt, macht mir ebenfalls große Sorgen. Angesichtsdessen, dass ein Antrag möglicherweise auch an rechtli-chen Fragestellungen zu scheitern droht, muss man über-legen: Ist das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, einVerbotsverfahren einzuleiten?Wir befinden uns zum Glück noch in einer Phase derVorbereitung der Verbotsanträge. Ich kann nur raten, hiereine sehr intensive Prüfung der Voraussetzungen anzu-stellen. Voraussetzung auf der Ebene der Zulässigkeit istnämlich die Durchführung eines Vorverfahrens, in demdie Antragsgegner die Chance erhalten, sich zu den ein-zelnen Punkten zu äußern. Das wird die NPD doch in-tensiv nutzen: sich zu äußern, wie es eben gesagt wordenist, sich als saubere Partei darzustellen. Dann werden siedie Leute nach vorne schicken, die nicht das Gedanken-gut repräsentieren, sondern als Saubermänner dastehen.Dann wird die Frage aufkommen, ob kein rechtsstaatli-ches Verfahrensverbot existiert, so wie es auch 2003vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden ist. Indiesem Zusammenhang macht mir Sorge, dass die Mess-latte zu hoch gelegt wird und ob es ausreicht, mit demMaterial, das die Minister gesammelt haben, diese Hürdezu nehmen.Der Kollege Beck hat gesagt – ich möchte es nocheinmal betonen –: Wir sollten ganz intensiv darauf ach-ten, dass wir verdeckte Ermittler und V-Personen nichtdurcheinanderwerfen. Ich würde mir wünschen, dass wirhier in der Terminologie ganz klar und deutlich sind.Denn es geht nicht um verdeckte Ermittler, sondern esgeht um V-Personen, um Mitglieder, die regelmäßig In-formationen geben, und nicht um Personen, die auch nurirgendwie beim Verfassungsschutz beschäftigt sind.Dass Informationen gewonnen werden, ist richtig. Vondaher hoffe ich, dass dies auch vom Bundesverfassungs-gericht in dem Verfahren, das der Bundesrat auf jedenFall anstrengt, berücksichtigt wird und dass dort nichtein falscher Zungenschlag hineinkommt. Das könnte un-ser Verfahren gefährden.Bei der Begründetheit kommt es, wie der KollegeBosbach ausgeführt hat, darauf an, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch verfassungswidri-ges Verhalten gefährdet wird; es darf nicht nur eine Stö-rung oder etwas, was wir als unerträglich erachten, vor-liegen, sondern es muss durch aggressiv-kämpferischesVorgehen gegen diese Ordnung angekämpft werden. Dasmüssen wir in den Einzelfällen ganz klar beweisen.Dass eine Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass dieNPD verboten wird, ist richtig. Es ist gut. Es reicht aber– Herr Jäger, Sie hatten es angesprochen – fachlich nichtaus. Ich hoffe, dass wir über diesen gefühlten Wunschhinaus fachliche Expertise haben, um den Verbotsantragweiter unterfüttern zu können.Wir haben eine große Chance, wenn wir eine sorgfäl-tige Prüfung vornehmen, die NPD aus dem Parteien-spektrum herauszubekommen. Aber bevor wir dieKenntnisse, Daten und Informationen nicht hinreichendgeprüft haben und solange wir eine unklare Aktenlagehaben, sollten wir den Gang vor das Verfassungsgerichtnicht anstreben. Erst nach sorgfältiger Prüfung und beiklarer Aktenlage ist es möglich, einen Verbotsantrag zustellen. Sehr geehrter Herr Innenminister Jäger, Sie tra-gen hier eine hohe Verantwortung für ein Verfahren, dasSie anstrengen und das wir nicht verlieren dürfen.Ich frage auch die Kollegen Oppermann undHartmann: Wie können Sie als Abgeordnete so sichersein, dass uns dieses Verfahren gelingen wird? HabenSie Informationen, die den anderen Abgeordneten nichtzugänglich sind? Ich hoffe nur, dass die Informationentragfähig sind; denn auch Sie tragen, wenn Sie so argu-mentieren, eine hohe Verantwortung, dass uns das ge-lingt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27377
Dr. Patrick Sensburg
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Wenn uns – das ist mein letzter Satz, Herr Präsident –dieses Verfahren nicht gelingt, dann adeln wir dieseschreckliche Partei durch einen Ausspruch des Bundes-verfassungsgerichts. Das wäre das Schlimmste, was unspassieren könnte. Wir müssen uns dezidiert informieren,und dann muss jeder Abgeordnete überlegen, wie er mitseiner Entscheidung umgeht. Wichtig ist, dass es uns ge-lingt, in der politischen Auseinandersetzung zu errei-chen, dass die NPD keine politische Option in unseremLand ist.Danke schön.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Helmut Brandt von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen undKollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Jä-ger, zunächst ein paar Bemerkungen zu Ihrer Rede. Ichhabe es als anmaßend empfunden, dass Sie Ihre Ausfüh-rungen mit dem Hinweis begonnen haben, dass eshöchste Zeit ist, dass sich das Hohe Haus mit der NPDbeschäftigt.
Wir haben uns hier in den letzten Jahren regelmäßig undkontinuierlich mit Fragen der Bekämpfung des Rechts-extremismus beschäftigt. Ich erinnere an die Ausführun-gen von Michael Hartmann, der zu Recht darauf hinge-wiesen hat, dass wir hier erst vor kurzer Zeit eineentsprechende gemeinsame Erklärung beschlossen ha-ben.
Ich muss auch Ihren Vorwurf zurückweisen, dass sichdie Bundesregierung und auch dieses Hohe Haus bei derPrüfung, ob wir dem Antrag des Bundesrates folgen,zauderhaft verhalten. Zauderhaftes Verhalten ist hiernicht zu erkennen, vielmehr das Bemühen – darum wirdin der Debatte insgesamt gerungen –, zu prüfen und fest-zustellen, ob die vom Bundesrat beschlossene Anrufungdes Bundesverfassungsgerichtes tatsächlich trägt.Ein Drittes ist mir bei Ihren Ausführungen aufgefal-len. Sie haben zugegeben, dass bei all dem, was Sie hierinitiieren, ein parteipolitisches Kalkül im Raume steht.Ich muss sagen: Genau das Gegenteil davon ist in dieserFrage anzustreben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzterRedner hat man natürlich das Problem, dass die wesent-lichen Argumente – wie könnte es anders sein! – bereitsvorgetragen worden sind.
– Lieber Michael, auch du hattest mit deinen Äußerun-gen größtenteils recht. In den nächsten Wochen und Mo-naten wird es um die Frage gehen, ob die daraus gezoge-nen Schlussfolgerungen richtig sind. – Es ist für uns allevöllig unerträglich, dass gerade in unserem Land Men-schen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft odersonstiger, anderer Merkmale diffamiert werden. Es istunerträglich, dass die NPD als Partei über Privilegienverfügt und diese in einer Art und Weise nutzt, die imGrunde genommen von uns allen als ein Makel für die-ses Land wahrgenommen wird. Insofern hat der KollegeSensburg recht, dass die Frage, wie wir mit dieser Sacheumgehen, durchaus eine internationale Komponente hat.Natürlich ist es richtig, dass die Aufdeckung derMordserie der Zwickauer Terrorzelle, des sogenanntenNationalsozialistischen Untergrunds, erneut die Diskus-sion über die Frage befördert hat: Ist diese Partei, dieNPD, zu verbieten oder nicht? Insofern habe ich hohenRespekt davor, dass der Bundesrat mit 15 von 16 Län-dern einen solchen Verbotsantrag beschlossen hat. Aberdas sagt überhaupt nichts darüber aus, wie die Erfolgs-aussichten zu bewerten sind. In Karlsruhe zählt am Endenicht der entschlossene politische Wille, sondern aus-schließlich das verfassungsmäßige juristische Argument.Wir alle wissen – dies war zum Glück in allen Redenhier die einheitliche Meinung –, dass man nicht darüberdiskutieren muss, ob die NPD eine verfassungsfeindli-che Partei ist. Natürlich ist sie das. Ich will hier nur einZitat von Holger Apfel, dem NPD-Parteichef, bringen,der über das demokratische System gesagt hat: „DasSystem hat keine Fehler, das System ist der Fehler.“ Dasdrückt im Grunde genommen genau das aus, was dieseMenschen im Kopf haben.Trotz alledem stehe ich wie viele Juristen, darunterauch einige ehemalige Richter am Bundesverfassungs-gericht, und viele Politiker, und zwar fraktionsübergrei-fend, einem erneuten Gang nach Karlsruhe äußerst skep-tisch gegenüber. Ich will deutlich machen, worin dieProbleme liegen. Wenn der Nachweis der Verfassungs-widrigkeit und der Nachweis, dass die Partei als Ganzesauf die gewaltsame Aufhebung der freiheitlichen demo-kratischen Grundordnung gerichtet ist, gelingt, dannkönnte das Bundesverfassungsgericht die NPD verbie-ten; das Verbot müsste aber der Verhältnismäßigkeits-prüfung standhalten, die vom Europäischen Gerichtshoffür Menschenrechte gefordert wird. Selbst bei einemVerbot, selbst wenn die Entscheidung für die Antragstel-ler positiv ausfallen sollte, könnte diese Partei, die NPD,das Verfahren perpetuieren – es ist eben schon darge-stellt worden, dass wir allein vor dem Bundesverfas-sungsgericht mit einem Verfahren mit einer Dauer voneinem oder eineinhalb Jahren rechnen müssen –, indemsie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechteanruft. Angesichts dieser langen Dauer muss ich Ihnenganz ehrlich sagen: Es ekelt mich schon heute an, wennich mir vorstelle, dass diese Leute in den Medien jedenTag eine Stellung einnehmen, die sie weiß Gott nichtverdient haben. Zu Recht ist auch darauf hingewiesen
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Helmut Brandt
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worden, dass die NPD in Deutschland eigentlich garkeine Rolle mehr spielt: Nordrhein-Westfalen, HerrJäger, 0,5 Prozent, Niedersachsen 0,8 Prozent,
Mitgliederzahl abnehmend. Damit ist nach meiner Auf-fassung auch die Frage erlaubt: Kann eine solche Partei,die bei Wahlen im Wesentlichen keine Erfolge erzielt– auf die örtlichen Gegebenheiten will ich nicht nähereingehen; das ist natürlich zu sehen –, eine Gefahr fürunser demokratisches Gemeinwesen sein? Das ist dochdie essenzielle Frage, um die es tatsächlich geht.Im Übrigen hat sich die Szene auch schon gewandelt.Nicht Parteien wie die NPD, sondern straff organisierteKameradschaften wie die im vergangenen Jahr in Nord-rhein-Westfalen verbotene Kameradschaft AachenerLand und lockere, aktionsorientierte Zusammenschlüssevon häufig gewaltbereiten Neonazis gewinnen zuneh-mend an Einfluss. Das macht die Gefahr durch denRechtsextremismus doch eigentlich aus. Allein dieGründung der Partei Die Rechte, meine Damen und Her-ren von den Linken, zeigt doch, dass man sich offen-sichtlich in dieser Szene auf den Fall vorbereitet, dassdie NPD verboten werden sollte.
Eine Auseinandersetzung mit dem rechten Gedanken-gut – das ist zu Recht von fast allen Rednern gesagt wor-den – bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Dieser Aufgabemüssen wir uns alle stellen.Vor dem Hintergrund der heutigen Ausführungen, dersehr unsicheren Erfolgschancen eines Verbotsverfahrensund der Gefahr, dass die NPD die damit verbundene me-diale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für sich nut-zen wird, plädiere jedenfalls ich für einen ausschließlichsachlichen Umgang mit der Frage nach einem Verbot.Wir sollten und dürfen uns nicht allein von dem Wunschleiten lassen, diesen NPD-Verbotsantrag zu stellen. Wirsollten diese Frage im Innenausschuss nach Vorlage derStellungnahme der Bundesregierung diskutieren unddann zu einem Vorschlag kommen.Besten Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12168 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt
der Republik Kroatien zur Europäischen Union
– Drucksache 17/11872 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip
der SPD
EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg
führen
– Drucksache 17/12182 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? - Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Staatsminister Michael Link.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ende2011 haben die Vertreter der Mitgliedstaaten der EU so-wie der Republik Kroatien den Vertrag über den BeitrittKroatiens zur EU unterzeichnet. Wenn alle Mitgliedstaa-ten den Vertrag ratifiziert haben werden, wird damit zumzweiten Mal ein Staat des ehemaligen Jugoslawiens Mit-glied der Europäischen Union. Das ist eine einmalige Er-folgsgeschichte. Noch vor 22 Jahren und einige Jahredanach erlebte Europa einen blutigen Bürgerkrieg, Ver-treibungen, ethnische Säuberungen, massive Menschen-rechtsverletzungen – Bilder, die zuvor niemand mehr inEuropa für möglich gehalten hätte.Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie mir. Ich kannmich gut daran erinnern, als im April, Mai, Juni 1991 diegroßen Bürgerkriegsauseinandersetzungen in Kroatienbegannen. Die Zerstörungen in Vukovar habe ich nochvor Augen; wir haben das damals im Fernsehen verfolgt.Das waren Dinge, die uns nicht losgelassen haben unddie man sich heute auf dem europäischen Kontinentglücklicherweise nicht mehr vorstellen kann. Deshalb istes wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Ganze ge-rade einmal 22 Jahre her ist. In anderen Teilen des ehe-maligen Jugoslawiens ist der Zeitraum noch viel kürzer.Liebe Kolleginnen und Kollegen, große und ein-schneidende Umbrüche in Südosteuropa sind seither ge-folgt. Eine erhebliche wirtschaftliche, politische undsoziale Destabilisierung forderte die jungen Nachfolge-staaten Jugoslawiens heraus. Gleichzeitig war klar, dass
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Staatsminister Michael Link
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die Europäische Union mit einer Beitrittsperspektive dieStabilität dieser jungen Staaten unterstützen müsste undihnen eine Perspektive geben sollte. Als man zum erstenMal über eine Beitrittsperspektive sprach, war dies aller-dings sehr umstritten. Hans-Dietrich Genscher undHelmut Kohl haben das damals früh erkannt und ent-sprechend entschlossen gehandelt. Auch daran sei heutedeutlichst erinnert.Die Europäische Union erkannte ihre Verantwortungund ihr strategisches Gesamtinteresse, in dieser RegionSicherheit, Demokratie und wirtschaftliche Entwick-lung zu fördern und langfristig durch eine Beitrittsper-spektive zu festigen. Die Perspektive des EU-Beitritts– lassen Sie mich das deutlich sagen – wirkte und wirktnoch immer als Katalysator für Reformen in den Län-dern Südosteuropas.Viele Staaten dieser Region mögen noch weit von ei-ner Mitgliedschaft entfernt sein. Viele haben noch nichteinmal den offiziellen Kandidatenstatus oder sind nochnicht im Verhandlungsprozess. Gerade deshalb wissenwir, dass der kroatische Beitritt eine wichtige, unersetzli-che Signalwirkung für die Gesamtregion, für die Nach-folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Al-banien, hat.Deutschland hat deshalb die Annäherung der Nach-folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Al-banien an die Europäische Union von Anfang an unter-stützt und gefördert. Ich möchte deutlich sagen: DieBundesregierung steht zu dem Versprechen von Thessa-loniki im Jahr 2003, dass diese Staaten ein integraler Be-standteil des vereinten Europa werden, wenn sie ihrerpolitischen Verantwortung gerecht werden und die dazunotwendigen Reformen beschließen und umsetzen.Ich möchte hier auch daran erinnern, dass das Nobel-preiskomitee bei seiner Begründung für die Verleihungdes Friedensnobelpreises an die EU die Aufnahme Kroa-tiens und die Rolle der EU-Erweiterungspolitik für dieVersöhnung in der Westbalkanregion und die Stabilisie-rung dieser Region ausdrücklich hervorgehoben hat.Kolleginnen und Kollegen, bis zur Unterzeichnungdes Beitrittsvertrages hat Kroatien einen langen, schwie-rigen Weg zurückgelegt. 2003 stellte Kroatien denAntrag auf EU-Mitgliedschaft. Der Europäische Rat be-schloss dann im Oktober 2005 die Aufnahme von Bei-trittsverhandlungen. Diese wurden nach einem strengenKriteriensystem durchgeführt; die hinreichende Erfül-lung der Bedingungen musste vor Verhandlungsab-schluss vorliegen. Hierauf hat die Bundesregierung al-lergrößten Wert gelegt.Ich möchte hier deutlich sagen, dass es einen Wechseldabei gab, in welcher Art und Weise die Verhandlungengeführt wurden. Wir haben unsere Lektionen gelernt, ge-rade auch auf Druck und Anregung des Bundestages.Wir haben die Lektionen aus früheren Verhandlungengelernt, bei denen man punktuell einigen Dingen bzw.schwierigen Fragen vielleicht zu schnell aus dem Weggegangen war oder Wunschdenken erlegen ist, indemman zu früh gewisse Dinge abgeschlossen hat.Jetzt ist es andersherum. Seit einigen Jahren ist es so,dass wir einen Wechsel in der Verhandlungslinie haben.Jetzt ist es so – das machen wir mit Montenegro zumersten Mal –, dass wir die Verhandlungen ganz gezieltmit den schwierigen Kapiteln, bei denen es um Fragender Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfunggeht, beginnen. Sie kommen zuerst auf den Tisch. Es istvöllig unmissverständlich, dass nur derjenige, der dieKriterien erfüllt, der den Acquis nicht nur ins eigeneRechtssystem integriert, sondern ihn auch tatsächlichlebt und praktiziert, am Ende Mitglied der EuropäischenUnion werden kann. Wer also Interesse an einer Fortset-zung der Erweiterungspolitik hat – punktuell; großeWellen sind hier nicht gemeint –, der muss deutlich ma-chen: Es kann keine Aufnahmen mit Rabatt geben. Mit-gliedschaft kennt keine Rabatte.Die Verhandlungen mit Kroatien sind am 30. Juni2011 erfolgreich mit dem Schließen aller Verhandlungs-kapitel beendet worden. Zugleich wurde in der Beitritts-akte ein intensives Vorbeitrittsmonitoring vereinbart, dasdie weiteren Reformanstrengungen und deren Umset-zung durch die kroatische Regierung und durch daskroatische Parlament, den Sabor, bis zum Beitritt genaubegleitet und überprüft. Die EU-Kommission hat zuletztim Herbst 2012 einen Bericht dazu vorgelegt. Kroatienwerden darin deutliche Fortschritte bescheinigt. Im Ge-gensatz zu den im Frühjahr 2012 noch 49 angemahntenkonkreten Maßnahmen verbleiben im Herbst 2012 nurnoch zehn, die bis zum Frühjahr 2013 umzusetzen sind.Von diesen zehn wiederum sind nach Angaben der kroa-tischen Regierung inzwischen acht erledigt bzw. werdendem kroatischen Parlament in den kommenden Wochenzur Verabschiedung vorgelegt.Ich möchte an dieser Stelle deshalb Kroatien und diekroatische Regierung ausdrücklich dazu aufrufen, denletzten bilateralen Stolperstein im Verhältnis zu Slowe-nien vor dem Beitritt zügig und schnellstmöglich zu be-seitigen.Für Ende März dieses Jahres ist der Frühjahrsberichtangekündigt. Das ist wichtig; denn wir wollen die ge-samte Ratifizierung – unter Aufnahme der klaren Re-aktionen aus dem Bundestag – ganz bewusst erst dann zueinem Ende bringen, wenn der letzte Fortschrittsberichtvorgelegt worden ist. Wir sind sicher, dass die EU-Kom-mission Kroatien kein Gefälligkeitsgutachten ausstellenwird. Wir sind aber zuversichtlich, dass ihr Urteil positivausfallen wird.Inzwischen ist auch der Entwurf eines Gesetzes zurAnpassung von Rechtsvorschriften des Bundes, also dasBegleitgesetz, erarbeitet worden. Es ist am 16. Januarauf den Weg gebracht worden. Hier geht es in erster Li-nie um die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Beitrittsver-trag sieht hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs abge-stufte Übergangsbestimmungen für die Herstellung derArbeitnehmerfreizügigkeit vor. Deutschland macht voneiner Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aufzwei Jahre für Gering- bis Nichtqualifizierte Gebrauch.Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Bis zum jet-zigen Datum haben Kroatien sowie 22 EU-Mitgliedstaa-ten den Vertrag ratifiziert. Wie Deutschland haben die
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Staatsminister Michael Link
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Niederlande und Dänemark ebenfalls das Ratifikations-verfahren eingeleitet, warten aber vor der parlamentari-schen Beschlussfassung, wie erwähnt, den letzten Moni-toringbericht der Kommission ab.Die Bundesregierung legt heute dem Hohen Hauseden Beitrittsvertrag Kroatiens zur abschließenden Bera-tung vor. Wir sind zuversichtlich, dass Kroatien bis zum1. Juli 2013 alle erforderlichen Kriterien erfüllen wirdund dann 28. Mitglied der Europäischen Union werdenkann.Wir freuen uns auf Kroatien. Wir freuen uns auf denBeitrag, den Kroatien erbringen kann, um gemeinsamdafür zu sorgen, dass wir wieder einen deutlichen Schrittweiterkommen auf dem langen Weg der Wiedervereini-gung unseres Kontinents.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Heute beginnt die entscheidende Phase derguten deutsch-kroatischen Zusammenarbeit auf demWeg Kroatiens in die Europäische Union und in die de-mokratische Wertegemeinschaft.Ich bin besonders glücklich, heute hier vor Ihnen alsdeutscher Bundestagsabgeordneter kroatischer Abstam-mung – im Herzen deutscher Verfassungspatriot und imGeiste Europäer – reden zu dürfen.
Denn heute erlebe ich zum Teil auch meinen persönli-chen Triumph.Als ich vor 30 Jahren als junger Gastarbeiter in dieSPD eingetreten bin, verfolgte ich zwei Ziele. Ich wolltemich auch als Gastarbeiter an der politischen Willensbil-dung in der Gesellschaft, in der ich lebe, beteiligen. Abermein Traum war auch, meinen Beitrag dazu zu leisten,dass eines Tages auch das damalige Jugoslawien zur de-mokratischen Wertegemeinschaft dazugehört.Leider wurde mein Traum nicht einmal zehn Jahrespäter zum Alptraum. Während sich die Länder des War-schauer Paktes nach dem Prinzip „Selbstbestimmung derVölker“ in Demokratien umwandelten, marschierten dieVölker Jugoslawiens in den Nationalismus. Die Folgewaren die schlimmsten Kriege der Jahrtausendwende. Eskam zu ethnischen Verfolgungen, zu Flüchtlingsströmen,es gab mehr tote Kinder als Soldaten.Demokratische Werte und humanistische Gedankenwurden auch nach den Kriegen ignoriert, während ge-wisse politische Eliten und Nationalisten unter demDeckmantel der nationalen Befreiung Korruption,Machtwillkür und Despotismus freie Fahrt ließen.2003 kam dann die erlösende Wende, die Thessalo-niki-Erklärung. Die Staats- und Regierungschefs der EUbeschlossen, den Westbalkan in die Europäische Unionzu integrieren, und zwar nach dem Regatta-Prinzip: Ein-zelnen Ländern, die die Voraussetzungen zum Beitritt er-füllen, steht die Tür offen. Endlich sahen auch die jun-gen Menschen, die voller Neid nach Europa schauten,eine Perspektive für ihre Zukunft, und Kroatien nutzteseine Chance sehr erfolgreich.Den alten Strukturen, die auf dem Nationalismusgründeten, wurde der Nährboden entzogen. Eine neueGeneration nahm ihr Schicksal auf dem Fundament derdemokratischen Werte selbst in die Hand. Eine zentraleRolle spielte dabei die Umsetzung der Verhandlungska-pitel 23 und 24, die sich mit Justiz und Menschenrechtenbefassen. Der damals allmächtig erscheinende Minister-präsident Ivo Sanader musste aufgrund von Korruptions-vorwürfen zurücktreten, übrigens auch auf Druck seinereigenen Partei. Mittlerweile sitzt er im Gefängnis.Auch gesellschaftliche Veränderungen wurden durchdie Beitrittsverhandlungen möglich. Wer hätte denn vorzehn Jahren gedacht, dass Kroatien einen Präsidentenbekommt, der sich als Agnostiker bezeichnet, oder einenMinisterpräsidenten, der bekennender Atheist ist? Unddas in Kroatien, wo der christliche Glaube so stark ver-ankert ist wie in kaum einem anderen Land. Durch dieBeitrittsverhandlungen hat sich Kroatien zu einer moder-nen, demokratischen Gesellschaft entwickelt, in der Ar-gumente und nicht mehr Ideologien das politische Ge-schehen bestimmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige unter unsmachen sich Sorgen über die weitere Entwicklung derEuropäischen Union. Ich verstehe diese Sorgen. Dochwir dürfen nicht zu dem Fazit kommen: entweder eineEU-Vertiefung oder eine EU-Erweiterung. Wir brauchensowohl eine Vertiefung als auch eine Erweiterung.
Die Probleme, die die EU mit sich selbst hat, dürfennicht ignoriert werden, aber sie dürfen auch nicht aufKosten der kroatischen Demokraten behoben werden,auch nicht auf Kosten der demokratischen Bestrebungenin anderen Ländern des Westbalkans.Das Nobelpreiskomitee hat das erkannt. Der Frie-densnobelpreis ging an die Europäische Union, verbun-den mit der Aufforderung, den Frieden in Europa durcheine Beitrittsperspektive für den Westbalkan zu sichern.Der Beitritt Kroatiens ist ein klares Signal an die Staa-ten, die noch auf dem Weg in die EU sind. Er wird vorallem den jungen Menschen Hoffnung geben. Das kroa-tische Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, weiterhin auf dieeuropäische Perspektive zu setzen. Kroatien hat inner-halb von zehn Jahren eine enorme Entwicklung durchge-macht und ist nun zum Vorbild und Maßstab für andereStaaten geworden.Kroatien wird nicht nur ein wertvoller Partner inner-halb der EU sein, sondern es wird auch eine zentraleRolle für die Entwicklung auf dem Westbalkan einneh-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27381
Josip Juratovic
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men. Kein EU-Mitglied kennt die sechs Kleinstaaten aufdem Balkan, die noch nicht in der EU sind, so gut wieKroatien. Diese sechs Staaten bringen große Akzeptanzund Wohlwollen für eine Vermittlerrolle Kroatiens auf.Doch alleine wird Kroatien Frieden und Stabilität aufdem Westbalkan nicht garantieren können. Mit der Er-klärung von Thessaloniki hat die EU gezeigt, dass sieverstanden hat, dass nur mit einer europäischen Integra-tion des Westbalkans Frieden und Stabilität gewährleis-tet werden können. Die EU hat damit recht behalten.Deshalb darf der Beitritt Kroatiens nicht das Ende derEU-Erweiterung sein, sondern er ist der erste Schritt inRichtung Integration des gesamten Westbalkans in dieEU. Es ist wichtig, dass für alle weiteren Kandidaten dasBeitrittsdatum offen bleibt; denn entscheidend ist, ob einLand beitrittsreif ist. Aussagen, dass es in den nächstenzehn Jahren keinen weiteren Beitritt geben wird, sindzwar angesichts der derzeitigen Lage nachvollziehbar;aber wenn ein Land enorme Anstrengungen aufbringtund bereits früher alle Bedingungen erfüllt, dann dürfenwir ihm den EU-Beitritt nicht verwehren. Der Balkanbraucht die EU und vor allem Deutschland als verlässli-chen Partner. Dazu gehört, dass wir objektive Kriterienfür einen EU-Beitritt haben, die wir nicht aufweichendürfen. Die Erfüllung dieser Kriterien dürfen wir aberauch nicht durch weitere Hürden erschweren.Bei den Verhandlungen mit Kroatien haben sich dieKapitel 23 und 24 als besonders wichtig erwiesen, weildadurch die Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit undfür die Stärkung der individuellen Rechte geschaffenwerden. Deswegen ist es konsequent, dass die EU-Kom-mission diese künftig an den Beginn der Verhandlungensetzen will.In unserem SPD-Antrag gehen wir einen Schritt wei-ter: Wir wollen, dass die Kapitel 23 und 24 bereits vorder Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen in einerArt Vorverhandlung behandelt werden. Damit stärkenwir die demokratischen Kräfte in den einzelnen Ländern.Ich bitte Sie deswegen, nicht nur den Beitritt Kroatiens,sondern auch unseren Antrag wohlwollend zu begleiten.Kolleginnen und Kollegen, wir Demokraten werdenaußerhalb der EU häufig als Schwächlinge betrachtetund auch so behandelt. Doch wie man in Kroatien sagt:Die stillen Gewässer bringen die Berge zum Einstürzen.Der EU-Beitritt Kroatiens ist ein weiterer Sieg der de-mokratischen Werte wie Recht und Freiheit durch denZusammenhalt auf dem Weg zum Frieden in Europa.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich im
Herbst 1998 erstmals in den Deutschen Bundestag ge-
wählt wurde, war das Friedensabkommen von Dayton
nicht ganz drei Jahre alt, und uns trennten noch einige
Jahre von der eben erwähnten Thessaloniki-Agenda von
2003. In dieser Zeitspanne zwischen 1998 und 2003 war
ich vermutlich nicht der Einzige, der von dem Zeitraum,
in dem sich eine Integration des Westbalkans in Rich-
tung Europa und die Mitgliedschaft in der Europäischen
Union vollziehen konnte, keine richtige Vorstellung
hatte.
Deswegen ist es in der Rückschau durchaus erstaun-
lich – das sage ich heute auch speziell mit Blick auf die
Republik Kroatien –, was sich seit dem Beginn der Bei-
trittsverhandlungen getan hat. Da ist eine ganze Menge
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben unsere Lektion gelernt. Nicht nur die Bundes-regierung, auch die Fraktionen des Deutschen Bundesta-ges haben die Lektion gelernt, aus Fehlern, die in derVergangenheit in Beitrittsverhandlungen gemacht wor-den sind, Lehren zu ziehen. Auch die Europäische Kom-mission hat diese Lektion gelernt.Josip Juratovic hat zu Recht darauf hingewiesen, dassdie Systematik der einzelnen Paragrafen in den Beitritts-verhandlungen umgestellt wurde. Es zeigt sich in denjetzt zu Ende gehenden Verhandlungen mit Kroatien,dass die Umkehr in Bezug auf die Reihenfolge der Para-grafen und Abschnitte, die in den Beitrittsverhandlungenaufgerufen worden sind, richtig war und dass dieseAgenda auch für die Zukunft richtig ist.
Ich will auch ausdrücklich anerkennen, weil MichaelLink richtigerweise darauf verwiesen hat, dass das, wasseinerzeit nicht ganz unumstritten war, nämlich dassBundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Bun-deskanzler Helmut Kohl mit der Anerkennung der Unab-hängigkeit Kroatiens als eine der Ersten international„vorgeprescht“ sind, heute weitgehend unstrittig ist unddass diesen beiden für eine damals visionäre Entschei-dung nicht nur im Interesse von Kroatien durchaus zudanken ist.Herr Kollege Juratovic, nach dem, was Sie gesagt ha-ben, kann ich durchaus nachvollziehen, dass das Ganzevor dem Hintergrund Ihrer Biografie nicht nur in dieserDebatte, sondern auch in den Gesprächen im Ausschuss,die wir noch vor uns haben, einen bewegenden Momentdarstellt und dass sich die Integration nicht nur Kroa-tiens, sondern auch des Westbalkans in die EuropäischeUnion im Deutschen Bundestag auch in Ihrer Person einStück weit widerspiegelt. Das zeigt, dass die Perspektiveheute weitgehend politisch unstrittig ist.Wenn man den Monitoringbericht der Kommissionvom Oktober zur Hand nimmt und versucht, die zehnPunkte durchzudeklinieren, die die Kommission seiner-zeit als diejenigen benannt hat, an denen noch etwas zu
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27382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Thomas Dörflinger
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arbeiten ist, dann kommt man auf acht Punkte – MichaelLink hat darauf hingewiesen –, die weitgehend abgear-beitet sind. Zwei Punkte sind noch offen.Wir im Deutschen Bundestag, aber auch die Kollegin-nen und Kollegen des kroatischen Hohen Hauses stehenjetzt gemeinsam vor dieser Aufgabe. Ich will anerken-nen, dass der Botschafter und die Angehörigen der kroa-tischen Botschaft sich konstruktiv in diese Debatte ein-bringen und dass wir an der Abarbeitung der zwei nochausstehenden Probleme konstruktiv arbeiten. Ich nenneerstens die Werftenproblematik, die auf einem gutenWeg zu sein scheint, soweit ich das beurteilen kann, undzweitens die Frage der Justiz. Da sind noch ein paarDinge zu regeln. Die Durchführung regelmäßiger Ge-richtskontrollen, Sofortmaßnahmen wie die Abordnungvon Richtern und die Übertragung von Rechtssachen aufweniger überlastete Gerichte – all das ist umgesetzt. Jetztim laufenden Monat Februar und im März 2013 stehendie Änderung der Zivilprozessordnung und das neue Ge-richtsgesetz zur zweiten Lesung und zur Schlussabstim-mung im kroatischen Parlament an. Wenn das geschafftist, dann sind wir tatsächlich an dem Punkt, an dem wirVollzug melden können.Ich habe trotzdem eine gewisse Sympathie für denVorschlag, auch nach dem erfolgten Beitritt Kroatienszur Europäischen Union einen Blick darauf zu werfen,dass die Reformbestrebungen weitergehen, um auszu-schließen – Stichwort: wir haben unsere Lektion gelernt –,dass man sich nach erfolgtem Beitritt möglicherweisewieder in eine andere Richtung bewegt. Dies konntenwir leider an anderer Stelle feststellen; nicht in Kroatien,aber anderswo. Hier sollten wir aus der Vergangenheitlernen.
Ich will eine Bemerkung mit einem durchaus etwaskritischen Unterton machen. Wir haben im DeutschenBundestag weder die Gerichtsurteile des InternationalenGerichtshofs noch die unserer nationalen Gerichte zukommentieren. Ich will aber einem Eindruck entgegen-wirken, der vielleicht auch durch den einen oder anderenKommentar in der kroatischen Presse entstanden seinkönnte. Ich formuliere bewusst vorsichtig. Das Urteilvon Den Haag haben wir nicht zu kommentieren; wirnehmen es zur Kenntnis. Aber ich lege Wert auf dieFeststellung, dass die Aufarbeitung der Kriegsverbre-chervergangenheit mit dem Urteil von Den Haag nichtbeendet ist, sondern dass dieser Prozess selbstverständ-lich weitergehen muss.Ich will mit einer positiven Botschaft enden. Ich willden Kroatinnen und Kroaten auf dem Weg zur Europäi-schen Union im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion ausdrücklich alles Gute und viel Erfolg wünschensowie die Zusicherung geben, dass wir diesen Prozessweiterhin konstruktiv begleiten werden. Ich will dan-kend anerkennen, dass die Kroaten in der Schlussphase,bevor der Beitritt zum 1. Juli 2013 erfolgt, ein gutes Si-gnal in die Region gesandt haben, indem sie sich mit de-nen, die noch nicht so weit sind – ich nenne Monteneground Serbien –, in einem konstruktiven Dialog befinden,beispielsweise hinsichtlich der Übersetzung und der an-schließenden Umsetzung des Acquis communautaire.Das ist ein schönes Signal, nicht nur von einem Beitritts-kandidaten an diejenigen, die noch nicht Beitritts-kandidat sind, sondern auch ein schönes Signal für dieEndphase dieser Verhandlungen bis zum vollzogenenBeitritt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Kroatien hat einen langen Weg bis zum Beitritt zur Euro-päischen Union zurückgelegt, einen längeren als alleanderen Beitrittskandidaten bisher. Am 1. Juli diesesJahres ist es höchstwahrscheinlich endlich so weit: Wirwerden 28. Es wird 28 Mitglieder der EuropäischenUnion geben. Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiensgerne zu; denn entgegen allen Gerüchten sind wir eineproeuropäische Partei.
– Ich wusste, dass Sie diese Äußerung freut, und ich willdies deshalb kurz ausführen. Ob man für oder gegenEuropa ist, entscheidet sich nicht an der Frage, ob mandem brutalen und zugleich wirkungslosen Sparregimevon Angela Merkel für den Süden Europas zustimmt.
Die Regierungen der Länder, die sich um einen Bei-tritt zur EU bemühen, sehen dies als Chance, und eswäre antieuropäisch, ihnen gegen ihren Willen die Türvor der Nase zuzuschlagen. Nun nach Slowenien einemzweiten Staat, der aus Jugoslawien hervorging, den Bei-tritt zur EU zu ermöglichen und weiteren eine solchePerspektive zu offerieren, ist vernünftig. Herr Staats-minister Link hat ja darauf Bezug genommen. Damitwürde unter dem Dach der Europäischen Union wiederein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger derStaaten, die aus Jugoslawien hervorgingen, möglich unddamit in gewisser Weise auch ein Ende des zum Teil blu-tigen Gegeneinanders der 90er-Jahre symbolisiert.Inzwischen herrscht zwischen den einstigen Kriegsgeg-nern Kroatien und Serbien – auch Serbien ist Beitritts-kandidat der EU – wieder politisches Tauwetter. Das isteine gute Nachricht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27383
Stefan Liebich
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Kroatiens Beitrittsperspektive sollte nicht, wie in denvergangenen Monaten hier und da geschehen, infragegestellt werden. Wenn die Beitrittsreife bezweifelt wird,wenn immer wieder gesagt wird – Herr Link, auch Siehaben das eben gesagt –, dass es keinen politischen Ra-batt geben würde, wenn Kroatien zum neuen Griechen-land erklärt wird, obwohl es gar nicht Mitglied der Euro-Zone wird, und wenn auf die Auseinandersetzung überZypern hingewiesen wird, klingt das, ehrlich gesagt, wiedas Gegenteil einer Einladung.
Allerdings gibt es auch in Kroatien – das soll hiernicht verschwiegen werden – Sorgen und Bedenken, diewir ernst nehmen sollten. Das Land will nicht nur Marktund Arbeitskräftereservoir der Europäischen Union sein,sondern es will vom Beitritt natürlich auch profitieren.Die Arbeitslosigkeit in Kroatien ist hoch. Von 4,5 Mil-lionen Menschen sind 370 000 Menschen arbeitslos. SeitBeginn des Jahres kam es zu einem Anstieg um rund12 000 Personen. Herr Dörflinger, ich bin der Überzeu-gung, der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisie-rung der Werften schadet hier besonders.
Kollege Juratovic, Sie haben auf die demokratischeWertegemeinschaft und auf die Agnostiker und Atheis-ten in der Regierung Bezug genommen. Ich finde, dassdie Rolle der katholischen Kirche, die den geplanten Se-xualkundeunterricht an Kroatiens Schulen torpediert,Fragen aufwirft. Ich finde auch, dass es kritikwürdig ist,dass Lesben und Schwule nur unter Polizeischutz fürihre Rechte demonstrieren können.
Aber all das sind Punkte, über die wir gemeinsam alsMitglieder der Europäischen Union miteinander disku-tieren werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Momentüber die Europäische Union spricht, kann allerdingsnicht so tun – das wäre auch in dieser Debatte falsch –,als sei derzeit „business as usual“. Die Akzeptanz derUnion ist bei ihren Bürgerinnen und Bürgern leider sogering wie nie; daran ändert auch der Friedensnobelpreisnichts. Auf der einen Seite haben viele Menschen inDeutschland wegen der Propaganda der rechten Seitedieses Hauses das Gefühl, dass ihr hart erarbeitetes Geldin Portugal, in Spanien und in Griechenland in ein Fassohne Boden geworfen wird.
Auf der anderen Seite sind in diesen Ländern viele Tau-sende Bürger verständlicherweise empört. Sie demon-strieren auf den Straßen gegen einen Sozialkahlschlagdurch Politiker, die sie nicht gewählt haben und auchnicht wählen können. Ich muss an dieser Stelle sagen:Die Politik der Regierungen der Mitgliedstaaten derEuropäischen Union in den letzten Jahren war falsch.Das allerdings sollte jetzt nicht Kroatien ausbaden müs-sen.
Die Arbeit an einer demokratischeren, sozialeren Euro-päischen Union steht weiter auf der Tagesordnung. Wirfreuen uns, hierfür neue Mitstreiterinnen und Mitstreiterauf dem Westbalkan gewinnen zu können. Also: Kroatien,herzlich willkommen in der Europäischen Union!
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istschwierig, in vier Minuten ein Land wie Kroatien zuwürdigen, da man sich diesem Land, wie Herr Juratovic,wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte verschreiben kann.Ich möchte dennoch ein paar Sätze dazu sagen, aller-dings ohne all das zu wiederholen, was von meinen Vor-rednern zu Recht angesprochen wurde.Ich glaube, unser Bild von Kroatien ist oftmals sehrstark geprägt von den schönen Stränden, der schönenLandschaft und der tollen Kultur. Ich glaube aber – ohnedas in Abrede stellen zu wollen –, wir müssen uns auchvor Augen halten, dass Kroatien eine sehr alte Demokratiehat, darauf zu Recht stolz ist und wir ein ganz besonderesLand in die Europäische Union aufnehmen werden.Hier im Bundestag haben wir uns diesem Land frak-tionsübergreifend sehr intensiv gewidmet: als einzelneAbgeordnete, als Delegation und als Ausschuss. Ichglaube, das zeigt, dass die neuen Rechte des DeutschenBundestages im Rahmen des Erweiterungsverfahrens fürbeide Seiten gut sind: für uns, weil wir wissen, warumwir vor die deutsche Bevölkerung treten und sagen kön-nen: „Es ist richtig, dass Kroatien der EuropäischenUnion beitreten wird“, und für Kroatien, weil man dortmerkt, dass wir uns für das Land interessieren und einekonstruktive Debatte über eine gemeinsame Zukunft inder EU führen wollen.
Meiner Meinung nach ist der Beitritt Kroatiens einBeitritt des Verstandes. Manchmal handelt man ja inwild entflammter Liebe, und manchmal hat man Glück.Dieser Beitritt ist aus meiner Sicht, wie gesagt, ein Bei-tritt des Verstandes. Das Land hat sich gewandelt. DasVerfahren, das in Kroatien angewendet wurde, hat zu an-deren Ergebnissen als bei allen anderen Beitritten zuvorgeführt. Im Justizwesen, bei der Bekämpfung der Kor-ruption und in allen anderen Bereichen hat sich viel ge-tan. Kroatien hat geliefert. Wir wissen, was wir tun undworüber wir abstimmen. Es ist ein verdienter Erfolg,dass wir jetzt an diesem Punkt der Debatte angekommensind.Eines ist besonders wichtig und sollte hervorgehobenwerden: Wie Josip Juratovic erwähnt hat, war bei denReformbemühungen auch über politische Wechsel hi-naus Kontinuität festzustellen. Das zeigt die Reife derkroatischen Politik.
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Manuel Sarrazin
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Diese Erweiterung muss der Maßstab für die weiterenVerhandlungsrunden sein, und es müssen Lehren aus ihrgezogen werden. Für uns Grüne gehört dazu, dass dieKopenhagener Kriterien einzuhalten sind. Wir wollendurch die Erweiterungsprozesse erreichen, dass einepolitische und gesellschaftliche Transformation der Kan-didatenstaaten stattfindet. Deswegen engagieren wir unsfür diese Länder. Deswegen engagieren wir uns aberauch für die Erweiterung. Sie ist nicht einfach Mittelzum Zweck oder Selbstzweck.
Darüber hinaus müssen wir uns dessen bewusst sein,dass in Kroatien viel zu tun bleibt, so wie wir auch hierin Deutschland immer viel zu tun haben, um Änderun-gen für unser Land vorzunehmen. Wir kennen die The-men. Sie reichen vom Justizwesen über die weitere Be-kämpfung der Korruption bis hin zu der Erkenntnis, dassUmwelt und Naturschutz und die Bekämpfung von Kor-ruption ganz eng miteinander verwoben sind. Hieranmüssen wir arbeiten, wenn wir gerade dieses schöneLand bewahren und genießen wollen.Ich glaube, ganz entscheidend wird sein, ob in Kroa-tien auch nach dem Beitritt die zivilgesellschaftlichenKräfte, die unglaublich viel dazu beigetragen haben, denTransformationsprozess des Landes zu ermöglichen,eine solche politische Funktion innehaben werden, die esihnen auch weiterhin erlaubt, in den innenpolitischenDebatten auf Missstände hinweisen zu können, auchwenn Brüssel dem Land dann nicht mehr auf die Fingerschaut.Wir als Deutscher Bundestag werden engagiert blei-ben. Ich kann für meine Fraktion ganz ausdrücklich sa-gen: Die Thessaloniki-Agenda bleibt für die ganze Re-gion Ziel unseres Handelns. Wir werden sie nicht infragestellen. Dabei ist auch wichtig zu sagen, dass das für dieRegion in ihren jetzt existenten Grenzen gilt und fürkeine anderen Optionen.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns darauf,dass Kroatien in die EU kommt. Dieser Beitritt ist ver-dient und hart erarbeitet. Die Ratifikation ist aber aucheine Aufforderung an die Europäische Union, anDeutschland und an Kroatien, nach dem Beitritt nichtnachzulassen bei der Umsetzung der Reformen. Es gehtdarum, den Transformationsprozess weiter voranzutrei-ben, die Zusammenarbeit mit Kroatien, aber auch in derRegion zu stärken und zu unterstützen.Ich bin mir sicher, dass wir diesen Beitritt zu einemErfolg machen werden, der nicht nur heute gilt, sondernder auch in den nächsten Jahren seine Früchte abwerfenwird. Dafür werden wir gemeinsam mit den kroatischenPartnern in den nun anstehenden Beratungen und auchdanach arbeiten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!„Wir müssen etwas wie die Vereinigten Staaten von Eu-ropa schaffen.“ Mit diesen Worten hat der englische Pre-mierminister Churchill am 19. September 1946 seine Vi-sion von der Zukunft Europas beschrieben.Während sich heute einige in Großbritannien nichtmehr an diese Worte dieses großen Staatsmannes zu er-innern scheinen, erinnern sich manch andere Europäerumso besser. Während in Großbritannien heute offenüber einen Austritt aus der Europäischen Union disku-tiert wird, treten ihr andere bei oder klopfen zumindestmit Nachdruck an die Tür zur Europäischen Union.Nach der Rede des britischen Premierministers Cameronin der vergangenen Woche freue ich mich deshalb ganzbesonders, dass der Deutsche Bundestag heute das Ver-tragsgesetz zum Beitritt Kroatiens in die EuropäischeUnion einbringen kann. Anstelle einer Austrittsdiskus-sion führen wir hier eine Diskussion über die Erweite-rung der Europäischen Union, und dies ist sehr erfreu-lich.Deutschland setzt damit ein klares Zeichen für dieStabilität, für die Attraktivität und für die Chancen die-ser Wertegemeinschaft. Wir setzen ein Zeichen für Frie-den, wir setzen ein Zeichen für Wohlstand und diegemeinsamen Werte, die uns Europäer miteinander ver-binden.Der Beitritt zur Europäischen Union bedeutet aller-dings nicht nur eine große Chance, sondern ist natürlichauch mit zusätzlichen Pflichten verbunden. Das gilt inganz besonderem Maße auch für die Beitrittskandidaten.Wir wissen selbst, wie schwierig der Weg zu grundle-genden Reformen ist. Aber in einer Gemeinschaft mitkünftig 28 Mitgliedstaaten muss es in den wesentlichenBereichen eine gemeinsame Basis geben, auf der mansich begegnet.Die Freiheiten, die souveränen Staaten innerhalb derEuropäischen Union weltweit einzigartig gewährt wer-den, erfordern schlichtweg einheitliche Regeln, an diesich alle Beteiligten halten müssen. Das kann manchmalauch hart sein. Und so hat der vorletzte Fortschrittsbe-richt der Europäischen Kommission vom Oktober ver-gangenen Jahres den Kroaten sicherlich wehgetan. DieKommission hat erhebliche Mängel in den BereichenWettbewerbspolitik, Justiz und Grundrechte sowie Frei-heit, Sicherheit und Recht aufgelistet. Damit war klar,dass Kroatien nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalbkürzester Zeit erhebliche Reformanstrengungen unter-nommen werden.Das schmerzt, aber solche Wahrheiten müssen ausge-sprochen werden. Es ist später niemandem geholfen,wenn man beim Aufbau der gemeinsamen Basis Nach-
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Karl Holmeier
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sicht zeigt. Wohin das führen kann, zeigt sich eindrucks-voll am Beispiel Griechenlands und den Folgen derEuro-Einführung.Die klaren Worte haben Wirkung gezeigt. Wie es sichderzeit darstellt, hat Kroatien den Großteil der zehn vonder Kommission benannten prioritären Maßnahmen um-gesetzt oder wird dies in Kürze tun. Ich bin daher zuver-sichtlich, dass wir das Vertragsgesetz wie geplant MitteMai im Deutschen Bundestag beschließen können undKroatien dann pünktlich zum 1. Juli 2013 der Europäi-schen Union beitreten kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbstbin ein überzeugter Europäer und habe daher in meinerHeimatgemeinde Weiding als deren Bürgermeister eineEuropaallee errichtet, sozusagen einen Wanderwegdurch Europa.
In dieser Allee ist für jedes Land der EuropäischenUnion ein landestypischer Baum gepflanzt. Ich freuemich, dort im Juli dieses Jahres gemeinsam mit einemVertreter aus Kroatien den Baum für Kroatien pflanzenzu dürfen. Damit sind es dann 28.Ich wünsche Kroatien auf seinem weiteren Weg in dieEuropäische Union alles Gute.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11872 und 17/12182 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Schäfer , Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kein Zugang von Kindern und Jugendlichen
zu Kriegswaffen bei Bundeswehr-Veranstal-
tungen
– Drucksachen 17/8609, 17/9597 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Hardt
Karin Evers-Meyer
Christoph Schnurr
Paul Schäfer
Agnes Brugger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze,
Paul Schäfer , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Militärische Verwendung von Minderjähri-
gen beenden – Ehemalige Kindersoldatinnen
und Kindersoldaten unterstützen
– Drucksachen 17/8491, 17/9916 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Pascal Kober
Katrin Werner
Tom Koenigs
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Hardt für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir beraten heute hier die Beschlussempfehlungen zuzwei Anträgen der Fraktion Die Linke. Ich möchte michals Mitglied des Verteidigungsausschusses auf den An-trag zum Thema „Zugang zu Kriegswaffen“ konzentrie-ren. Der Kollege Heinrich wird schwerpunktmäßig aufden anderen Antrag eingehen.Zu beiden Anträgen ist aber, wie ich finde, vorab Fol-gendes festzustellen:
Die Fraktion Die Linke versucht immer wieder, dasThema Bundeswehr in unserer Gesellschaft und in unse-rer öffentlichen Debatte zu ächten. Sie will durch solcheAnträge den Abstand, die Distanz unserer Bürgerinnenund Bürger zur Bundeswehr weiter erhöhen. Das stehtim diametralen Gegensatz zu dem, was wir, die übrigenParteien des Deutschen Bundestages, immer wieder be-kunden, dass nämlich die Soldatinnen und Soldaten derBundeswehr in die Mitte unserer Gesellschaft gehörenund für ihre Arbeit unsere volle Anerkennung verdienen.Deswegen ist es auch folgerichtig, dass wir diese beidenAnträge ablehnen.Nach Art. 87 a unseres Grundgesetzes stellt der Bundzur Verteidigung Streitkräfte auf. Damit hat der Staat diePflicht und die Gesellschaft ein Recht darauf, dass dieBundeswehr sich auch selbst bekannt macht, ihren Auf-trag erläutert und die Mittel, die sie zur Verfügung hat,um den Auftrag zu erfüllen, darstellt. Zum mündigenStaatsbürger und auch zur Erziehung der jungen Men-schen gehört, dass sie wissen, was die Bundeswehr tut,mit welchen Mitteln sie dies tut und warum sie dies tut.Bei der Diskussion über die Jugendoffiziere in denSchulen erkenne ich eine bedenkliche Tendenz. Auch
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Jürgen Hardt
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rot-grüne Landesregierungen versuchen immer wieder– zwar nicht offen, aber durch die konkrete Ausgestal-tung der Regelungen –, der Arbeit der Jugendoffiziereeher Steine in den Weg zu legen, als es ihnen einfacherzu machen, Beiträge zur Sicherheitspolitik zu leisten.
Ich bin der Meinung, dass sich auch die Öffentlichkeits-arbeit der Bundeswehr an dem Ziel bzw. Auftrag orien-tieren sollte, dass die Bundeswehr in die Mitte unsererGesellschaft rückt.Wir haben für die Öffentlichkeitsarbeit klare Regeln.Hier haben unter 18-Jährige keinen Zugang zu Handwaf-fen und Munition; das ist so auch im Waffengesetz gere-gelt. Aber ich sehe keinen Grund, warum nicht auchJugendliche bei öffentlichen Veranstaltungen der Bun-deswehr die Waffensysteme, über die die Bundeswehrverfügt, die militärtypischen Geräte, nicht die handels-typischen, besichtigen dürfen.Ich persönlich finde es richtig, dass Jugendliche denArbeitsplatz des Vaters oder der Mutter kennenlernen,dass sie bei der Marine zum Beispiel das Schiff besichti-gen, auf dem der Vater als Oberbootsmann Dienst tut.Ich sehe keinen Grund, weshalb wir dies für die Zukunftverbieten sollten. Wenn die Sicherheit gewährleistet ist,muss dies möglich sein.Ich komme somit zu einem Punkt im zweiten Antrag.Darin geht es um sogenannte Kindersoldaten. Zunächsteinmal möchte ich hier feststellen: Wer zwischen der Tä-tigkeit junger Menschen in der Bundeswehr und demschrecklichen Schicksal von Kindersoldaten einen Zu-sammenhang herzustellen versucht, der versündigt sichan der Bundeswehr, an ihrem Sinn und Zweck und auchan den Grundsätzen in unserem Land.
Es ist absolut unzulässig, die Tatsache, dass es einigeWenige noch nicht 18-jährige junge Menschen im be-rufsfähigen Alter gibt, die ihren Dienst in der Bundes-wehr beginnen, in irgendeinen Zusammenhang mit Kin-dersoldatentum zu bringen. Im Übrigen gelten strengeRegeln: Diese jungen Menschen sind freiwillig dort. Siesind mit Einwilligung der Eltern in der Bundeswehr. Siesind darüber aufgeklärt und informiert, was sie als Sol-daten tun müssen.
Unter 18 Jahren werden sie mit Ausnahme der Tätigkei-ten, die im Rahmen der Ausbildung erforderlich sind,keinen Dienst an der Waffe verrichten. Hier gibt es einklares und strenges Regime, das richtig ist und das auchkonsequent zur Anwendung kommt.Insofern gibt es zum einen rein formale Gründe, diesebeiden Anträge der Linken abzulehnen, weil sie ebennicht sachgerecht sind. Zum anderen gibt es an dieserStelle die Möglichkeit, noch einmal ganz klar zu bekun-den: Wenn wir wollen, dass die Arbeit unserer Soldatin-nen und Soldaten in der Bundeswehr in der Gesellschaftbesser anerkannt wird, dann müssen wir sie in die Mitteunserer Gesellschaft holen. Dazu gehört es, dass es zwi-schen Gesellschaft und Bundeswehr eine dauerhafte undfeste Verbindung gibt, die zum Beispiel durch die Öf-fentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zum Ausdruck ge-bracht wird.In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestern gab es den sogenannten Red Hand Day. Da ha-ben viele von uns ihre Hand mit roter Farbe bemalt unddamit ein Signal zum Schutz von Kindern gesetzt. Unsallen ist das Schicksal von Kindern, die gezwungen wer-den, in Kriegen und bewaffneten Konflikten zu kämp-fen, nicht egal; das wollten wir damit sagen. Die vielenHandabdrücke auf Papier, die im Paul-Löbe-Haus aufge-hängt wurden, stimmen mich einerseits sehr hoffnungs-voll: Wir fordern ein klares Nein zum Einsatz von Kin-dersoldaten und machen das deutlich.
Andererseits gibt es trotz unseres Einsatzes, egal obwir nur symbolisch unsere Hand mit Farbe auf ein BlattPapier drücken oder Anträge schreiben oder dazu Redenhalten, immer noch Kindersoldatinnen und Kindersolda-ten auf der Welt. Laut UN-Sicherheitsrat missbrauchenüber 60 bewaffnete Gruppen oder Regierungstruppen in15 Ländern Kinder als Soldaten. UNICEF schätzt dieGesamtzahl auf 250 000 Kinder. Ich befürchte, dass eseher mehr als weniger werden. Je länger Konflikte an-halten und je mehr Verluste eine Armee zu verzeichnenhat, desto stärker wird auf Kinder zurückgegriffen, umdie Verluste auszugleichen. Auch die Nazis haben Kin-der als letzte Reserve eingesetzt. Die Bilder hat sicher-lich jeder von uns im Kopf.Kindersoldaten sind nicht ausschließlich Jungen, etwaein Drittel davon sind Mädchen. Sie werden an derWaffe, aber auch als Arbeiterinnen, Köchinnen, Minen-sucherinnen eingesetzt und zur Prostitution gezwungen.Kinder in Konfliktgebieten wissen, wie schrecklich dasLeben von Kindersoldaten ist. Die Kinderhilfsorganisa-tion „World Vision“ hat berichtet, dass viele kongolesi-sche Kinder aus ihrer Heimat und von ihren Familienfliehen, um nicht von Soldaten oder Milizen zwangs-rekrutiert zu werden.Kindersoldaten sind schwer traumatisiert. Unserepolitische Aufgabe ist es deshalb, nicht nur ehemaligenKindersoldaten in ihrer Heimat durch psychologisch be-treute Reintegrationsprogramme zu helfen. Nein, wirmüssen auch dafür sorgen, dass Kinder erst gar nicht zu
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Angelika Graf
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Soldaten werden. Darauf geht Ihr Antrag leider nicht ein.Armut, Arbeitslosigkeit und Zukunftslosigkeit sind dietreibenden Faktoren, die Kinder dazu bringen, den Ver-sprechungen von Soldaten und Milizen zu glauben undihrem Druck nachzugeben.
Die Kony-Kampagne sorgte letztes Jahr für viel Auf-regung. Mindestens 591 Kinder sollen Milizen diesesRebellenführers zwischen 2009 und 2012 entführt ha-ben. Darüber gibt es einen Film. Weinende Kinder er-zählen darin ihre Geschichte. Es sind Geschichten ihrerkörperlichen und seelischen Wunden. Auf YouTube undanderen sozialen Netzwerken hat das ein großes Echoausgelöst, und Kony wurde zur Hassfigur, zu Recht,denke ich. Man muss Menschen, die so etwas machenund initiieren, brandmarken. Kony ist aber nur einer vonvielen Verbrechern. Die Verurteilung des kongolesischenMilizenführers Thomas Lubanga durch den Internationa-len Strafgerichtshof war ein weiteres wichtiges Signalim Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Dochin vielen Ländern leben die Täter weiterhin straffrei,zum Beispiel in Kolumbien oder Myanmar.Als die Bundesregierung den Vorsitz der UN-Arbeits-gruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ innehatte,hätte sie bis Ende letzten Jahres eigentlich eine hervorra-gende Möglichkeit gehabt, eine Vorreiterrolle zu über-nehmen und Druck auf die genannten Regierungen aus-zuüben. Doch bisher sehe ich leider keine sichtbarenErgebnisse oder öffentlich wahrnehmbaren Initiativenals Ausdruck eines ernstgemeinten Engagements. Des-halb unterstütze ich Teile der Forderungen des vorlie-genden Antrags der Linken.Auch die Kritik an der asylverfahrensrechtlichen Pra-xis sehe ich ähnlich wie die Kolleginnen und Kollegenvon der Linksfraktion.
Die SPD fordert seit langem, die Situation Minderjähri-ger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht zu verbes-sern. Das haben wir in unserem Entwurf eines Gesetzeszur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Auf-enthalts- und Asylverfahrensrecht deutlich gemacht.Allerdings finde ich es sehr problematisch, den Schutzvon Kindersoldaten, also von kleinen Kindern, die ge-zwungen werden, Soldat zu sein, mit der Frage nach demEinsatz von Minderjährigen in der Bundeswehr in einenTopf zu werfen. Wir als SPD fordern zur Klarstellung– weil wir das Problem ebenfalls sehen – allerdingsgrundsätzlich auch die Straight-Eighteen-Regelung, da-mit wir eine entsprechende Debatte erst gar nicht führenmüssen. Ich halte es trotzdem für problematisch, dasmiteinander zu vergleichen.
Noch ein kurzes Wort zum zweiten Antrag in dieserDebatte. Ich denke, wir alle sind uns einig: KinderKriegsszenarien mit echten Waffen oder Attrappen spie-len zu lassen, geht einfach nicht.
Ich erinnere mich an den Tag der offenen Tür in meinemNachbarwahlkreis in Bad Reichenhall im Jahr 2011; derFall ist bundesweit durch die Medien gegangen. Dakonnten Kinder mithilfe von Zielerfassungssystemen anHandwaffen die Entfernung zu kleinen Holzhäusern undFahrzeugen messen. An die Häuser war der Name„Klein-Mitrovica“ gepinselt. Zur Erinnerung: Mitrovicaist eine Stadt im Kosovo, die nicht nur im Zweiten Welt-krieg eine Rolle gespielt hat – und zwar keine rühmlicheaus deutscher Sicht –, sondern wo es 1999 unter den Au-gen von KFOR ein Pogrom nationalistischer Albaner ancirca 8 000 Roma gab. Es ist unerträglich, dass dieserName dort auf die Häuser gemalt wurde.
Allerdings habe ich gehört, dass die Bundeswehr internsehr viele Gespräche über diesen Vorfall geführt undauch Konsequenzen daraus gezogen hat. Das finde ichrichtig.Im Februar zuvor waren – das ist das Thema IhresAntrags – die Richtlinien für die Durchführung der In-formationsarbeit der Bundeswehr dahin gehend geändertworden, dass auch Minderjährige ab 14 Jahre in Panzernund militärischen Fahrzeugen wie zum Beispiel Fregat-ten mitfahren dürfen.Ein Motiv dieser Veränderung war zweifellos dieWerbung; das andere Motiv war der Wunsch von Fami-lien und Jugendlichen, die diese Großgeräte faszinierendfinden, sich diese einmal anzuschauen. Darüber kannman nun geteilter Meinung sein, aber man sollte meinesErachtens die Arbeit der Bundeswehr nicht vor den Ju-gendlichen ausklammern. Das wird nicht funktionieren.Ich wünsche mir Eltern, die ihren Kindern vermitteln,dass Waffen kein Spielzeug sind.
Genauso erwarte ich von der Bundeswehr, dass sie ver-mittelt, dass Waffen kein Spielzeug sind.In den USA steckt die Waffenindustrie Millionen inWerbung, zum Beispiel in das Magazin Junior Shooters,es werden kostenlose Ballerspiele für die iPads bereitge-stellt, und es werden Waffen an Pfadfindergruppen wei-tergegeben. Mir wird ganz schlecht, wenn ich darandenke.Trotzdem schießen Sie mit Ihrem Antrag über dasZiel hinaus. Tage der offenen Tür bei der Bundeswehrdienen dem auch von mir gewünschten Abbau von Gren-zen und Ressentiments zwischen der Bevölkerung undunseren Soldaten. Ein offener Umgang ist gerade nachdem Wegfall der Wehrpflicht umso wichtiger. Es ist mei-nes Erachtens auch in Ordnung, dass sich Jugendlicheüber die Bundeswehr und den Beruf des Soldaten infor-mieren können. Das muss anders ablaufen als damals in
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Bad Reichenhall, auf jeden Fall. Aber dass ein Jugendli-cher in einer Fregatte mitfahren kann, halte ich nicht fürso gefährlich, dass man es verbieten sollte.
Darum sind wir, was diesen Antrag betrifft, der An-sicht, dass er den Intentionen der SPD nicht entspricht.
Der Kollege Pascal Kober hat nun für die FDP-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung engagiert sich mit großem Nach-druck gegen den Einsatz von Kindersoldatinnen undKindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Es gibt zahl-reiche Projekte, die der Bundesminister für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel,weltweit hierzu durchführt. Ziel dieser Projekte ist dieReintegration von ehemaligen Kindersoldatinnen undKindersoldaten in die Gesellschaft. Das ist eine großeHerausforderung, für die die Bundesregierung und dieRegierungskoalition ein Finanzvolumen in mehrstelligerMillionenhöhe zur Verfügung gestellt haben.So haben die Regierungskoalition und die Bundesre-gierung allein für das ostafrikanische Burundi 13,5 Mil-lionen Euro zur Wiedereingliederung ehemaliger Kin-dersoldatinnen und Kindersoldaten in die Gesellschaftbewilligt. Zudem stellt Deutschland dem Kinderhilfs-werk der Vereinten Nationen, UNICEF, 1 Million Eurofür Gewaltopfer paramilitärischer Kampfeinheiten inAfrika zur Verfügung. UNICEF führt Projekte zumSchutz und zur Reintegration von Kindersoldatinnen undKindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo,im Südsudan, in Uganda und in der ZentralafrikanischenRepublik durch.Deutschland beteiligt sich ferner am Fonds der Ver-einten Nationen für Friedenskonsolidierung. Die Bun-desregierung unterstützt hierbei die Vereinten Nationenbei der Entwicklung von Trainingsmodulen für afrikani-sche Peacekeeper. Insgesamt hat der Friedenskonsolidie-rungsfonds ein Finanzvolumen von 200 Millionen Euro.Auch beteiligt sich Deutschland am Aufbau einer Kin-der- und Familienschutzstation bei der UN-MissionUNAMID in Darfur, Sudan.Ich habe hier nur einige Projekte aufgezählt, an denensich Deutschland beteiligt, aber Sie sehen: Die christ-lich-liberale Regierung setzt sich aktiv und erfolgreichfür die Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern alsKindersoldatinnen und Kindersoldaten ein.
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,etwas anderes behaupten, dann ist diese Behauptungschlicht unwahr und falsch.
Neben den finanziellen Anstrengungen der Bundesre-gierung gibt es überdies natürlich erhebliche diplomati-sche Bemühungen, mit denen Deutschland den Einsatzvon Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in bewaffne-ten Konflikten erfolgreich und nachhaltig angeht.Ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass derKampf gegen den Missbrauch von Kindern als Kinder-soldaten eine große Herausforderung ist. Ich möchte hin-zufügen: Diese Herausforderung wird umso größer, jemehr mit dem tragischen Schicksal dieser Kinder poli-tisch gespielt wird.
In dem Zusammenhang möchte ich den Antrag derLinken kritisieren. Meinem Eindruck nach relativiert erdas Schicksal der Kindersoldatinnen und Kindersolda-ten, indem er versucht, ihre tragische Situation mit derSituation der unter 18-Jährigen bei der Bundeswehr inVerbindung zu bringen. Dies wird der Sache in keinerWeise gerecht und ist nicht geeignet, die Situation derKindersoldatinnen und Kindersoldaten zu verbessern.Im Gegenteil: Es droht, die Situation zu verharmlosen.
Die Situation bei der deutschen Bundeswehr ist inkeinerlei Weise mit der Situation der Kindersoldatinnenund Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten ver-gleichbar. Die Bundeswehr ist als Arbeitgeber von Ju-gendlichen, die noch nicht 18 Jahre alt sind, an überausstrenge Regeln gebunden. Wie da der Zusammenhang zuKindersoldaten in bewaffneten Konflikten wie etwa inBurundi, in der Demokratischen Republik Kongo, imSüdsudan, in Uganda oder in der ZentralafrikanischenRepublik gesehen werden kann, verschließt sich mir.In diesem Zusammenhang möchte ich auch etwas zudem zweiten Antrag der Linken sagen, der dezidiert dieBundeswehr betrifft. Sie fordern, dass Jugendliche beiInformationsveranstaltungen der Bundeswehr keinenZugang zu Handfeuerwaffen haben sollen. Dabei vermit-teln Sie in Ihrem Antrag den Eindruck, dass diese Ju-gendlichen gar keine Erziehungsberechtigten hätten, inderen Begleitung sie sich befinden. Dabei wissen Sie ge-nauso gut wie ich, dass es die Entscheidung der Elternist, ob die Minderjährigen bei Informationsveranstaltun-gen der Bundeswehr Zugang zu Waffensystemen habenoder nicht. Wenn die Eltern dem zustimmen, dann er-folgt dies selbstverständlich nach strengen Regeln undBestimmungen.Außerdem ist es wichtig, dass die Bundeswehr offenund verantwortlich zeigt, auf welche Mittel sie zurück-greifen kann und muss, um ihren wichtigen Auftrag zuerfüllen. Die Bundeswehr trägt eine große Verantwor-tung in Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern derBundesrepublik Deutschland in der Welt.Wir können natürlich bedauern, dass zur Durchset-zung und Sicherung von Frieden mitunter auch der Ein-
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satz von Waffen notwendig ist; dies müssen wir bedau-ern. Aber das vollkommen zu negieren, indem manJugendlichen die Existenz von Waffen und Waffensyste-men sozusagen verheimlicht, heißt, die jungen Men-schen nicht ernst zu nehmen und ihnen in unserem Landdie Wirklichkeit vorzuenthalten.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DieLinke, ich glaube, wir sollten gemeinsam im Kampf ge-gen den Einsatz von Kindersoldatinnen und Kindersol-daten auf der Welt voranschreiten. Aber die Situation derBundeswehr mit der Situation der Kinder in bewaffnetenKonflikten miteinander in Verbindung zu bringen, ist derSache wirklich nicht angemessen und führt am Ende zukeiner guten Politik.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieKollegin Graf hat zu Recht auf den Red Hand Day am12. Februar aufmerksam gemacht. An diesem Tag sollinternational auf das schreckliche Schicksal von Zehn-tausenden Kindern aufmerksam gemacht werden, die alsSoldatinnen und Soldaten missbraucht werden. Sie hatauch auf Folgendes hingewiesen: Viele von uns habensich gestern wieder mit der roten Hand ablichten lassenund ihre Solidarität mit diesen Kindern, denen man dieKindheit raubt, ausgedrückt. Das ist gut so.Die Frage aber bleibt: Was tun wir hierzulande ganzkonkret, um Kinder und heranwachsende Jugendliche soweit es geht vor Krieg zu schützen und von militärischerGewalt, von Gewaltinstrumenten fernzuhalten? Die letz-ten beiden Jahre haben leider gezeigt, dass der Elan dannspürbar nachlässt, wenn es um die Gesamtheit der For-derungen geht, die die Träger dieser Kampagne aufstel-len. Ich rede von dem Deutschen Bündnis Kindersolda-ten. Niemand hat sich darauf bezogen. Es ist doch garnicht Die Linke, die hier entsprechende Positionen ent-wickelt, sondern die deutschen Kinderschutzorganisatio-nen stellen diese Forderungen auf.
Dabei ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, vor dereigenen Haustüre zu kehren. Das hat gar nichts damit zutun, dass man eine Situation in Uganda mit einer hier,also Kindersoldaten mit der Bundeswehr, vergleicht. Dasist doch völlig absurd. Es geht um die Frage der Glaub-würdigkeit.Wir reden über die angemessene Versorgung und Be-treuung derjenigen, die hochgradig traumatisiert sindund die zu uns gefunden haben. Wir reden davon, dassdie bedrohten Kinder, die zu uns gekommen sind, einBleiberecht haben müssen und dass man deren Schicksalals Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in Deutsch-land als Asylgrund anerkennen muss.
Das ist der erste Punkt.Der zweite Punkt ist: Das Deutsche Bündnis Kinder-soldaten, dem unter anderen Terre des Hommes,UNICEF und die Kindernothilfe angehören, um nur dreiBeispiele zu nennen, drängt uns seit langem, dass auchin Deutschland etwas getan werden muss, um Kinderund Jugendliche unter 18 Jahren von Krieg und kriegeri-scher Gewalt fernzuhalten.Genau darum geht es in den zwei Anträgen, die wirIhnen heute zur Abstimmung vorlegen. Es geht um An-liegen, die wir eigentlich ziemlich selbstverständlich fin-den:Erstens. Kriegswaffen gehören nicht in die Hände vonKindern und heranwachsenden Jugendlichen.
Aber diese ganz jungen Leute gehören auch nicht in Pan-zer, Kampfflugzeuge oder an Raketenwerfer. Die Bun-deswehr sieht das anders: Sie setzt auf die Faszinationder Waffentechnik, um genau die ganz jungen Leute an-zusprechen. Die Bundesregierung hat im Februar 2011extra entsprechende Richtlinien gelockert, um den Zu-gang dieser Menschengruppe zu den Waffenplattformenzu erleichtern.Nun ist im Ausschuss, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, gesagt worden, die Aushändigung von Handwaffenbleibe doch weiterhin verboten. Aber bitte: Wo bleibt dadie Logik? Pistolen sollen die Kinder und Jugendlichennicht in die Hand bekommen; sie sollen sich aber an-sonsten hautnah mit Großwaffensystemen wie Panzern,Flugzeugen, Fregatten beschäftigen. Das ist doch nichtnachvollziehbar.
Wir, die Linke, wollen jedenfalls keine Heranwachsen-den auf Leopard-Kanonenrohren herumturnen sehen.Auch der Hinweis, dies geschehe im Beisein von Er-wachsenen, beruhigt nicht. Auch das scheint unlogischzu sein. Kinder unter 16 Jahren zum Beispiel könnennicht in Kinofilme gehen, die erst ab 16 freigegebensind, auch nicht in Begleitung von Erwachsenen. Aberauf Rüstungsmessen soll es okay sein, wenn das Kind indas Eurofighter-Cockpit klettert, weil ein Erziehungsbe-rechtigter dabei ist. Nein, das ist nicht in Ordnung. Daswollen wir abstellen.
Dort findet doch keine Auseinandersetzung über dasSoldatenhandwerk statt. Nun wird gesagt: Wir könnendas nicht fernhalten; man muss diskutieren. – Natürlichmuss man diskutieren. Ich bin sehr energisch dafür. Aberbei diesen Rüstungsmessen oder diesen Shows findetkeine Auseinandersetzung statt.
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Paul Schäfer
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Ein zweiter Punkt, eine zweite Selbstverständlichkeit.Lassen Sie uns endlich dafür sorgen, dass Jugendliche erstmit 18 in die Streitkräfte eingezogen werden können –ganz im Einklang mit der UN-Kinderschutzkonventionund den dazugehörigen Protokollen.
Das haben Sie unterschlagen. International sagt man„Straight 18“ dazu. Das – so sagen die Kinderschutz-organisationen – sei erstrebenswert.Diese fast 1 000 Leute unter 18, die die Bundeswehrrekrutiert hat, ergeben auch gar keinen militärischenSinn für die Bundeswehr. Die Bundeswehr könnte pro-blemlos auf sie verzichten. Das sollte die Bundesregie-rung regeln.Letzter Satz: Meine Damen und Herren, zeigen Siedem militärischen Missbrauch von Kindern für Kriegund Gewalt nicht nur die Rote Hand, sondern auch dierote Karte! Stimmen Sie unseren Anträgen zu!Danke.
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die Bundesregierung fragt, was ei-
gentlich der wirkliche Erfolg der zweijährigen Präsenz
im Sicherheitsrat war, dann heißt es oft: Wir haben es er-
reicht, in der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete
Konflikte“ die Ächtung von Angriffen auf Schulen und
Krankenhäuser durchzusetzen. Die werden dann auf die
List of Shame gesetzt.
Das zeigt, wie wichtig die Bundesregierung den
Schutz von Kindern nimmt. Diesen Schutz nehmen wir
alle sehr ernst. Den nimmt die ganze Welt sehr ernst. Die
Kinderrechtskonvention ist von 193 Staaten, also allen
Staaten unterschrieben worden. Sie ist, glaube ich, die
einzige Konvention, die von allen unterschrieben wor-
den ist. Das Zusatzprotokoll betreffend die Beteiligung
von Kindern an bewaffneten Konflikten von 2004 ist im-
merhin von 150 Staaten anerkannt worden. Das heißt, es
gibt einen breiten Konsens: Kein Missbrauch von Kin-
dern als Soldaten.
Jetzt kann man darüber streiten: Was sind Kindersol-
daten? Auf der UNICEF-Konferenz in Paris ist ein Do-
kument unterschrieben worden. Nach einer inzwischen
einvernehmlichen Sprachregelung der Vereinten Natio-
nen – Agreed Language – sind Kinder, die mit Streitkräf-
ten oder bewaffneten Gruppen assoziiert sind:
alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften
oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt
werden oder wurden, egal in welcher Funktion oder
Rolle, darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche,
Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu se-
xuellen Zwecken benutzt wurden. Ausdrücklich
sind es nicht nur Kinder, die aktiv an Kampfhand-
lungen teilgenommen haben.
Das ist sehr weitgehend und auch sehr allgemein.
Es gibt in dieser Definition aber einen sehr deutlichen
Fixpunkt, und der ist nicht allgemein: 18 Jahre. Wir wis-
sen von verschiedenen Jugendschutzregelungen: 18 ist
nicht 17,5, ist auch nicht der Tag vor dem 18. Geburtstag.
Bei dem Punkt – da kommen wir nicht drum herum –
schummelt die Bundeswehr,
und da schummelt auch die Asylbürokratie.
Das Zusatzprotokoll verbietet den Einsatz von Kin-
dern unter 18. Dann gibt es – auf Druck Deutschlands
übrigens – eine Ausnahme. Es wurde hineingeschrieben:
Staatliche Armeen dürfen Freiwillige ab 16 rekrutie-
ren. – Das macht sich die Bundeswehr zu eigen. Das ist
aber völlig gegen den Geist der UN-Kinderrechtskon-
vention. Deshalb sagt die große Mehrheit der 150 Län-
der, die das Zusatzprotokoll unterschrieben haben: Das
machen wir nicht. Sie erklären das auch. Diese Länder
haben natürlich auch Schwierigkeiten mit der Rekrutie-
rung. Das sind Länder wie Spanien, Portugal, Dänemark,
Finnland, Schweden, Norwegen, Schweiz, Belgien,
Tschechien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Lettland
und Litauen. Nur 26 Länder haben dieses Protokoll nicht
unterschrieben. Dazu zählt auch Deutschland.
Die Bundeswehr wirbt gezielt und systematisch. Das
sind Double Standards. Das macht uns unglaubwürdig.
Gerade bei einem Thema, das so wichtig genommen
wird, blickt man auf uns. Das macht uns trotz dieser Re-
solutionen gegenüber den Schurkenstaaten unglaubwür-
dig. Deshalb sagen wir sehr deutlich: „straight 18“ im
Asylverfahren und bei der Bundeswehr.
Das Kindeswohl muss das vorrangige Prinzip sein.
Ich weiß gar nicht, wen wir schützen: Schützen wir da-
mit die Bundeswehr? Schützen wir die Asylbürokratie?
„Straight 18“ heißt Kinderschutz für alle Kinder, und
Kinder sind alle unter 18. Schluss!
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für dieUnionsfraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27391
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es bleibt mir, die Debatte, in der wir an vielenStellen doch große Einigkeit haben, ein wenig zusam-menzufassen. Wie mein Kollege Hardt vorhin angekün-digt hat, möchte ich in erster Linie auf den zweiten An-trag der Linken eingehen. Ich will zum einen kurz dieProblematik anreißen, die tatsächlich – das haben wir,denke ich, alle geäußert – zum Himmel stinkt.Zweitens will ich auf den Hauptgrund für unsereAblehnung eingehen, nämlich dass wir vieles davona) nicht verstehen und b) schon als erfüllt ansehen.Das Dritte wären Gedanken zu einigen Ihrer Punktein dem Antrag.Das Problem selber: die Kindersoldaten. Im Juni letz-ten Jahres gab es drüben in einem unserer Gebäude eineAusstellung. World Vision hatte sie organisiert.Wolfgang Niedecken hat unter anderem folgende Versegesungen – ich möchte zitieren –:Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu,Für eine sichere Nacht.Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu,Nur für eine sichere Nacht. …Durchgeknallte KillerhordenGeilen sich auf an Gewalt,Vergewaltigen, brennen, mordenUnd entführen Nacht für Nacht Kinder,die’s nicht bis Gulu schaffen,Um zu schlafen, von Soldaten bewacht.Weltweit werden – Sie hatten die Zahl vorhin genannt,Frau Graf; UNICEF hat das so beziffert – 250 000 Kinderin mehr als 20 Ländern in Konfliktgebieten als Krieger,als Spione, Nachrichtenübermittler, Köche, Sexsklavenmissbraucht. Zwangsrekrutierung und Entführung: Grau-sam! Bereits Neunjährige werden zum Töten gezwungen.Viele sterben angesichts der unmenschlichen Bedingun-gen, unter denen sie leben müssen. Viele Überlebendebleiben oft lebenslang traumatisiert und behindert. Siewerden ihrer Kindheit beraubt. Schwerwiegende Verlet-zungen von Menschenrechten finden statt. Diese Kinderbrauchen unseren Schutz.
Was kann man tun? Das ist die Frage, die sowohl beiIhnen als auch bei uns in dieser Debatte auftauchte. Zumeinen kann man das tun, was viele von Ihnen und vonuns, parteiübergreifend organisiert von der Kinderkom-mission des Bundestages, gestern gemacht haben. Wirhaben unseren Handabdruck gezeigt – Sie haben gesagt:Rote Karte geben –, um auszudrücken, wie wir das fin-den, was da passiert, dass wir uns einsetzen wollen, un-sere Hand dafür hergeben, Erklärungen in der Öffent-lichkeit abgeben. Auch deshalb ist die Debatte heuterichtig. Informieren, ausstellen, diese Organisationen– UNICEF, World Vision –, die ich gerade genannt habe,unterstützen: Dafür ist es gut.Was kann man tun? Das fragen wir auch die Bundes-regierung; das fragen Sie die Bundesregierung. Ver-schiedene Kollegen haben schon gesagt, was da passiertist. Ist das genug? Da sind wir unterschiedlicher Mei-nung.Weltweite Bekämpfung der Rekrutierung von Kin-dern als Soldaten: Wir haben – Herr Koenigs hat es ge-rade noch einmal genannt – das Zusatzprotokoll der Kin-derrechtskonvention ratifiziert. Wir hatten den Vorsitzder Arbeitsgruppe des Sicherheitsrates zum Thema„Kinder und bewaffnete Konflikte“ inne. Unter Feder-führung von Außenminister Westerwelle wurde auch imUN-Sicherheitsrat auf Verbesserungen hingewirkt. Auchdank dieses deutschen Engagements sind Millionen vonKindern in Konflikten besser geschützt, möglicherweisenoch nicht genügend. Die Ächtung des Einsatzes vonKindersoldaten hat allerdings einen Unterschied ge-macht; das ist auch die Außenwahrnehmung.Zur Wiedereingliederung von Kindersoldaten: DasBMZ hat entschieden, dass Kindersoldaten jetzt eine ei-genständige Zielgruppe von Entwicklungsprojekten bil-den. Entsprechende entwicklungspolitische Maßnahmenwerden speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten.Hier geht es um die Förderung der Reintegration etwadurch Schul- und Berufsausbildung. Das BMZ arbeitetan der Stelle mit entwicklungspolitischen Organisatio-nen sowie kirchlichen Trägern und zivilgesellschaftli-chen Gruppen zusammen.Die Öffentlichkeit bestätigt unsere Wahrnehmung,nicht nur – das wurde vorhin genannt –, was die Ächtungdes Kindersoldateneinsatzes angeht. Im Bericht der VN-Sonderberichterstatterin zum Thema „Kinder und be-waffnete Konflikte“ wurde das deutsche Engagement imHinblick auf ein Einlenken der Lord’s Resistance Armyanerkannt. In diesem Zusammenhang fiel vorhin derName Joseph Kony, über den ein Internetvideo veröf-fentlicht wurde, das sich viele Millionen angesehen ha-ben.Es gibt einige Punkte, die ich inhaltlich im Einzelnenansprechen will; Herr Schäfer, auch Sie haben sie ge-nannt. Da ist einerseits die Sache mit dem Asyl: die An-erkennung einer drohenden oder bereits erfolgten Rekru-tierung als Kindersoldat als spezifischer Asylgrund. DieIdentifizierung von Kindersoldaten ist sehr schwierig.Sie ist Aufgabe der Jugendämter, die ein Clearingverfah-ren durchführen. Da finden viele Gespräche statt. Direktdanach folgt nicht automatisch ein Asylverfahren. Oftgibt es keine Aussage der betroffenen Kinder. Dafür gibtes verschiedene Gründe – ich bin in meinem ersten Be-ruf Sozialpädagoge und habe viel mit problembelasteten,traumatisierten Menschen zu tun gehabt –: Scham wegenbegangener Taten, Furcht vor Strafverfolgung, Unfähig-keit zur Aussage eben wegen des Traumas, möglicher-weise auch falsche Informationen der Personen aus ih-rem Umfeld. Wenn es zu einer Täuschung kommt, mussdies nicht automatisch zu einer Disqualifikation im Hin-blick auf einen Aufenthalt in Deutschland führen. Eskann möglicherweise trotzdem ein Abschiebeverbot ge-ben. Die Problematik ist auch in den einzelnen Fällen zugroß, um einfach nur zu sagen: Asyl abgelehnt!
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27392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Frank Heinrich
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Zur Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. DieBundesregierung ist der Auffassung, dass ehemaligeKindersoldaten besonders schutzwürdige Personen sind.Auf das Mindestalter für einen Einsatz beim Militär willich jetzt nicht mehr explizit eingehen; darauf sind dieKollegen ausreichend eingegangen.Was die Rüstungspolitik angeht – das ist der erste An-trag –: Wenn ich sage, dass wir in Deutschland in unse-rer Rüstungsexportpolitik bestimmte Grundsätze berück-sichtigen, dann weiß ich auch, dass sich Theorie undPraxis manchmal unterscheiden und wir in dem einenoder anderen Jahr dagegen verstoßen haben; dagegenmüssen wir uns wehren.Ich komme zum Schluss. Am 12. Februar 2002 tratdas UN-Fakultativprotokoll in Kraft. Die zwangsweiseRekrutierung und der Einsatz von Kindern und Jugendli-chen unter 18 Jahren bei Feindseligkeiten werden seit-dem geächtet. Das Protokoll wurde inzwischen vonmehr als 120 Regierungen anerkannt. Seitdem gilt der12. Februar, den wir gestern, am Aktionstag der AktionRote Hand, in Erinnerung gerufen haben, als Internatio-naler Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Ichwünsche mir, dass wir diese Aktion nicht nur hier mitden roten Händen unterstützen, sondern sie auch in denWahlkreisen promoten, das Wissen weitergeben und einBewusstsein für die Problematik schaffen; das ist daseine, das wir tun können. Das Zweite, das wir tun kön-nen, ist, sich hier tatsächlich damit zu befassen. Insoferndanke ich für das Einbringen des Antrags. Was sonstkann man tun? Man kann spenden; man kann politischhandeln, und an der Stelle sind wir noch lange nicht amEnde.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem An-trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kein Zugangvon Kindern und Jugendlichen zu Kriegswaffen beiBundeswehr-Veranstaltungen“. Der Ausschuss empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9597,den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache17/8609 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derUnionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 36 b. Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem An-trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „MilitärischeVerwendung von Minderjährigen beenden – EhemaligeKindersoldatinnen und Kindersoldaten unterstützen“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 17/9916, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 17/8491 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mitden Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten WolfgangBörnsen , Johannes Selle, DorotheeBär, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU sowie der AbgeordnetenDr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPDas Filmerbe stärken, die Kulturschätzefür die Nachwelt bewahren und im digitalenZeitalter zugänglich machen– zu dem Antrag der Abgeordneten AngelikaKrüger-Leißner, Siegmund Ehrmann, PetraErnstberger, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDEin nationales Digitalisierungsprogrammfür unser Filmerbe– zu dem Antrag der Abgeordneten KathrinSenger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEFinanzierung zur Bewahrung des deutschenFilmerbes endlich sicherstellen– zu dem Antrag der Abgeordneten ClaudiaRoth , Tabea Rößner,Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENUmfassende Initiative zur Digitalisierungdes Filmerbes starten– Drucksachen 17/11006, 17/10098, 17/11007,17/8353, 17/11933 –Berichterstattung:Abgeordnete Johannes SelleAngelika Krüger-LeißnerDr. Claudia WintersteinKathrin Senger-SchäferClaudia Roth
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Bundesarchivgesetzes– Drucksache 17/12012 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien InnenausschussRechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27393
Vizepräsidentin Petra Pau
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der HerrStaatsminister Bernd Neumann.
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Frau Präsidenten! Meine Damen und Herren! Dieheutige Debatte zum Erhalt des Filmerbes findet an sichzu einem optimalen Zeitpunkt statt: kurz vor Beginn desgrößten Publikumsfilmfestivals der Welt, der Berlinale.Der rote Teppich liegt bereit, und neben all den Stars undWeltpremieren wird sich die diesjährige Berlinale mitder Retrospektive „The Weimar Touch“ auch einemwichtigen Aspekt der Geschichte des Films widmen. ImZentrum stehen die Einflüsse des Weimarer Kinos aufdas internationale Filmschaffen nach 1933 in den Filmendeutschsprachiger Emigranten.Diese Retrospektive ist Ergebnis einer Kooperationzwischen der Deutschen Kinemathek und dem Museumof Modern Art in New York und damit ein eindrucksvol-ler Beleg für den Reichtum unseres Filmerbes und dieNotwendigkeit, es zu erhalten.
Meine Damen und Herren, Kinofilme sind nicht nurWirtschafts-, sondern zugleich Kulturgüter. Der Kino-film berührt emotional unmittelbarer als jede andereKunstform. Er trägt ganz wesentlich zum Verständnisunserer Kultur und Gesellschaft bei. Filme dokumentie-ren auf einzigartige Weise die historische Entwicklungunseres Landes. Schon aus diesem Grund liegt es im öf-fentlichen Interesse, das deutsche Filmschaffen mög-lichst lückenlos zu erfassen und dauerhaft zu erhalten.Filme sind jedoch darüber hinaus ein fragiles, ver-gängliches Kulturgut. Wer einmal eine vom Zerfall be-drohte Filmrolle in den Händen gehalten hat, weiß, wo-von ich rede. Darüber hinaus fehlt es für die gute, alteFilmrolle aufgrund der Digitalisierung der Kinos zuneh-mend an Abspielmöglichkeiten.Damit unser Filmerbe auch weiterhin öffentlich prä-sentiert werden kann, besteht auf mehreren EbenenHandlungsbedarf. Die Bundesregierung wird diesemschrittweise gerecht. Man möchte immer noch mehr undimmer noch schneller; aber ich darf bezogen auf Kon-takte mit meinen europäischen Kollegen sagen: Wir lie-gen mit dem, was wir tun, im europäischen Bereich ander Spitze.
– Frau Kollegin Krüger-Leißner, Sie lächeln. Viel-leicht sollte ich Sie einmal zu den EU-Ministerratskonfe-renzen mitnehmen. Denn diese Kontakte werden Sie indieser Form nicht haben.
Meine Damen und Herren, was wir heute mit der No-vellierung des Bundesarchivgesetzes vorhaben, betrifftnicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart und dieZukunft unseres gesamten Filmerbes. Vorgesehen ist mitdieser Novellierung die Pflicht für Hersteller oder Mit-hersteller deutscher Kinofilme, diese Filme in eine Da-tenbank beim Bundesarchiv einzutragen. Durch diesePflichtregistrierung wird eine verbindliche und lücken-lose Dokumentation der deutschen Filmproduktionen aneiner zentralen Stelle sichergestellt.Auf dieser Basis können dann auch die Kosten füreine mögliche generelle Pflichthinterlegung – wir wissenjetzt nicht die Dimensionen – ermittelt werden, die esauf Betreiben des BKM bereits seit 2004 für alle Kino-filme gibt, die öffentlich gefördert werden. Das sindetwa 80 bis 90 Prozent aller jährlich produzierten deut-schen Filme. Das heißt, für diese haben wir ohnehin einePflicht zur Hinterlegung einer Kopie.
Neben der Einführung einer Pflichtregistrierung ha-ben wir bereits weitere Maßnahmen zur Sicherung desklassischen Filmerbes getroffen. Mit dem klassischenFilmerbe meine ich die ersten Filme, die zu Beginn der20er-Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden sind – ei-nen bedeutenden Film wie Metropolis haben wir mit öf-fentlichen Mitteln restauriert –, bis hin zu Filmen der80er- und 90er-Jahre. Bereits im Jahr 2012 wurde für dieRestaurierung und Digitalisierung dieses klassischenFilmerbes durch mein Haus fast eine halbe Million Eurozur Verfügung gestellt; für 2013 steht dafür 1 MillionEuro zusätzlich bereit.
Diese Mittel fließen unter anderem an die DEFA-Stif-tung, das Deutsche Filminstitut in Frankfurt, dieFriedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die StiftungDeutsche Kinemathek. Letztere erarbeitet federführendeinen Bestandskatalog, in dem dann alle alten Filmklas-siker registriert werden. Die Förderung durch mein Hausermöglichte zudem, dass das Deutsche Filminstitut inWiesbaden schon seit 2009 über ein online ausgerichte-tes Filmportal verfügt. Deutschland ist damit der ersteEU-Mitgliedstaat, der über eine frei zugängliche undvollständige Filmografie verfügt.
Der Regierungsentwurf für die Novelle zum Filmför-derungsgesetz, der heute auf der Tagesordnung des Bun-desrates steht und den wir noch zu beraten haben, siehtzudem vor, die Digitalisierung des Filmerbes ausdrück-lich in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstaltaufzunehmen.Abschließend begrüße ich es sehr, dass alle Fraktio-nen Anträge zur Stärkung unseres Filmerbes, mit unter-
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27394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Staatsminister Bernd Neumann
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schiedlichen Maßnahmen, gestellt haben. Die Sicherungunseres Filmerbes ist nicht nur in die Vergangenheit ge-richtet, sondern eine Investition in die Zukunft, sodasswir auch nachfolgenden Generationen die Entwicklungunseres Landes am Beispiel guter klassischer Filme prä-sentieren können.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Vor fast fünf Jahren haben wir einen in-terfraktionellen Antrag zur Sicherung unseres Filmerbesvorgelegt. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran; alleFraktionen waren dabei. Darin haben wir die Einführungeiner Pflichtabgabe auch für nicht geförderte Filme fest-geschrieben. Es hat fünf Jahre gedauert, bis wir heuteüber einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beratenkönnen, der sich damit befasst. Aber wer gedacht hat,dass uns nun ein Vorschlag für die Pflichthinterlegungvorgelegt wird, der irrt; denn mit diesem Gesetzentwurfsoll lediglich die Pflichtregistrierung eingeführt werden.Keine Frage, als Vorstufe für die Hinterlegung machteine Registrierung durchaus Sinn. Aber es ist doch einziemlich mageres Ergebnis, wenn man dafür ganze fünfJahre braucht.
Vor fünf Jahren haben wir übrigens auch gefordert,dass die baldige Ratifizierung des Europäischen Über-einkommens zum Schutze des audiovisuellen Erbes inAngriff genommen wird. Auch dies ist nicht in Angriffgenommen worden.Aber nicht nur bei der Ratifizierung hängt Deutsch-land der internationalen Entwicklung hinterher. So aner-kannt und engagiert der Kulturbeauftragte bekanntlich inSachen Film ist: Bei der Aufgabe der Sicherung und Ver-breitung unseres reichhaltigen Filmerbes, so muss ichfeststellen, sind die Hausaufgaben nicht gemacht. Dabeiist das doch eine herausragende kulturpolitische Auf-gabe. Filme sind fester Bestandteil unseres kulturellenErbes. Sie sind Teil unseres nationalen kulturellen Ge-dächtnisses, und sie sind Ausdruck des kulturellenReichtums und der kulturellen Vielfalt. Es ist unsereAufgabe, diesen Reichtum zu erhalten und den Men-schen auch zugänglich zu machen.
Auf EU-Ebene ist dies längst erkannt. Inzwischen liegtden Mitgliedsländern der dritte Bericht der Kommissionzur Lage des Filmerbes vor. Deutschland schneidet dabeinicht gut ab.Die Zeit drängt. Viele alte Filme sind bereits verloren,weil die Trägermaterialien verfallen. Auch die fort-schreitende Digitalisierung zwingt zum Handeln; denndie analogen Filme werden die Menschen kaum noch er-reichen, weil die meisten Kinos in absehbarer Zeit nurnoch digital vorführen. Auch die Fernsehsender bevor-zugen inzwischen digitales Material. Wir dürfen diegroße Chance nicht verpassen, die sich durch das Inter-net bietet. Gerade über diesen Weg könnten die altenFilmschätze interessierte Menschen erreichen. Aus alldiesen Gründen müssen wir die Digitalisierung derFilme endlich systematisch anpacken.Das Handeln der Bundesregierung wird dieser großenHerausforderung aber nicht gerecht;
denn der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Bundesarchivgesetzes bezieht sich nur auf dasErfassen der Gegenwartsproduktionen. Das reicht nichtaus.
Sicherlich, in die Digitalisierung des alten Filmbestandesist hier und da Geld geflossen – Staatsminister Neumannhat das aufgeführt, und das finde ich auch gut –; aber an-gesichts der immensen Aufgabe sind das nur Tropfen aufden heißen Stein. Die EU-Kommission hat es in einerPressemitteilung, übrigens vom 20. Dezember letztenJahres, auf den Punkt gebracht:Eine Million Stunden europäische Filme in Dosenund Schränken weggeschlossen …Sie sind damit für die Menschen unerreichbar.Nur 1,5 Prozent des europäischen Filmerbes wur-den bisher digitalisiert.Umso erfreulicher finde ich das Engagement derFilmbranche im Rahmen der Filmförderungsanstalt.Hier ist ein Digitalisierungsprogramm aufgelegt worden.Für dieses Jahr steht dem FFA-Haushalt dafür 1 MillionEuro zur Verfügung. Aber es ist schon klar, dass das dergewaltigen Nachfrage nicht gerecht werden kann. Essind wirklich gut gemeinte Ansätze; aber das reicht ebennicht aus. Die Fraktion der Grünen sieht das genauso.Deshalb haben wir im Ausschuss eine gemeinsame Er-klärung eingebracht, in der wir die notwendigen Maß-nahmen benennen. Ich will sie noch einmal kurz zusam-menfassen.Erstens. Wir brauchen eine umfassende Digitalisie-rungsoffensive. Ziel soll es sein, die Filme nachhaltigund langfristig zu sichern und der breiten Öffentlichkeitzugänglich zu machen: über das Kino, über die Kine-matheken und auch über das Internet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27395
Angelika Krüger-Leißner
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Zweitens. Ganz wichtig ist es, mit allen beteiligtenAkteuren, den Kinematheken und den Archiven, mit denFilmerbe-Stiftungen, mit den Filmfördereinrichtungen,mit den Fernsehsendern, Produzenten und Verwertungs-gesellschaften, koordinierte Lösungsvorschläge für einnationales Digitalisierungsprogramm zu erarbeiten.Auch die Bundesländer sind hier mit einzubeziehen;schließlich verfügen sie über Landesfilmarchive.Drittens. Es ist mir besonders wichtig, dass das Film-erbe auch für den Bereich der Filmbildung nutzbar ge-macht wird. Hier und in der Wissenschaft muss sicherge-stellt werden, dass die Nutzung unentgeltlich ist.
Auch in der Filmförderung sollte die Langzeitsiche-rung von Anfang an mitgedacht werden. Wir könnennicht öffentlich Filme fördern, ohne für deren langfris-tigen Erhalt zu sorgen. Deshalb wollen wir in der an-stehenden Novelle zum Filmförderungsgesetz fest-schreiben, dass die Kosten für die Langzeitsicherung dergeförderten Filme von vornherein in die Förderung ein-gepreist werden. Das kann doch nur im Interesse derProduzenten sein.Wichtig ist auch, dass nicht nur eine archivfähige Ko-pie der geförderten Filme hinterlegt wird, sondern mög-lichst das Ausgangsmaterial, also das digitale Master.Ich befinde mich in Gesprächen mit der Branche, undich bin zuversichtlich, dass wir eine einvernehmlicheLösung finden.Lassen Sie mich noch einen weiteren, bisher ungelös-ten Punkt ansprechen: die sogenannten verwaisten Film-werke. Diese Filme können bisher nicht erschlossen undauch nicht genutzt werden, weil der Urheber nicht be-kannt ist. Hier brauchen wir eine praktikable und kosten-günstige Regelung.Eines sollte allen klar sein: Zum Nulltarif ist die Si-cherung und Nutzung unseres Filmerbes nicht zu haben.Finanziell kann uns dieses große Projekt nur gelingen,wenn wir mit allen Beteiligten ein Programm auflegenund eine Zeitschiene für die Umsetzung abstecken. Sohaben wir das bei der Kinodigitalisierung gemacht. Hierhaben am Ende alle mitgezogen, weil alle ein vitales In-teresse am Erhalt unserer Kinolandschaft haben, derBund, die Filmförderungsanstalt, die Filmbranche unddie Bundesländer. Ähnlich sieht die Interessenlage beimFilmerbe aus, wobei hier noch die Sender hinzukommen.Auch von ihnen, gerade von den öffentlich-rechtlichenmit ihrem Kulturauftrag, erwarte ich einen Beitrag.Dieses gemeinsame Interesse müssen wir für eine ge-meinsame Initiative nutzen. Darum fordere ich zumSchluss meiner Rede Herrn KulturstaatsministerNeumann auf, die Initiative für ein Filmerbeprogrammnach dem Vorbild des Erfolgsmodells der Kinodigitali-sierung zu ergreifen. Ich verspreche Ihnen: Wir unter-stützen Sie dabei.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Pünktlich zur Berlinale erreicht uns die froheBotschaft, dass die Murnau-Stiftung den deutschenFilmklassiker Glückskinder aus dem Jahr 1936 restau-riert. Lilian Harvey und Willy Fritsch, das Traumpaardes deutschen Films der 30er-Jahre, spielen in dem Filmdie Hauptrollen.
Nun wird die Komödie in bestmöglicher Ton- undBildqualität für Kino, Fernsehen und Internet digital ver-fügbar sein.
Statt in Vergessenheit zu geraten, werden diesen Klassi-ker des deutschen Films viele Menschen neu erlebenkönnen. Es war auch ein großes Ereignis und ein wirk-lich toller Erfolg, als im Jahr 2010 der Stummfilmklassi-ker Metropolis von Fritz Lang zur Berlinale in der res-taurierten Version welturaufgeführt wurde. Dieüberwältigende Resonanz zeigte, welch hohe Bedeutungein nationales Filmerbe hat.
Der Gelehrte Wilhelm von Humboldt sagte einmal:„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“Wer also für die Zukunft bereit sein will, muss auch ausder Vergangenheit lernen. Filme als Kulturgut könnenuns dabei helfen, die Vergangenheit zu verstehen.
Filme sind immer auch ein lebendiger Spiegel der jewei-ligen Zeit. Sie reflektieren die Wünsche und Ideen einerganzen Generation. Diese Kulturschätze müssen wir fürdie nachfolgenden Generationen bewahren. Deshalbsetzt sich die Koalition mit dem vorliegenden Antrag fürdas nationale Filmerbe ein.Bereits heute besteht für die öffentlich gefördertenFilme eine Hinterlegungspflicht. Auf diese Weise wer-den circa 80 Prozent der in Deutschland produziertenFilme in den Archiven hinterlegt.
Unklar ist jedoch häufig, wo die Filmkopien vorliegenund in welchem Zustand sie sich befinden. ZahlreicheFilmwerke gelten als für immer verloren. Einige Film-epochen weisen sogar recht große Bestandslücken auf.Um das Filmerbe vollständig zu erhalten, müssen wiralso zunächst die Anzahl der zu archivierenden Film-
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27396 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Dr. Claudia Winterstein
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werke kennen. Seit 2009 ist mit dem Filmportal eineFilmografie online verfügbar. Das Filmportal gibt einenÜberblick über die deutschen Filmproduktionen der letz-ten 110 Jahre.
Es wird vom Deutschen Filminstitut mit Unterstützungder Bundesregierung gepflegt und fortgeführt.Mit der vorliegenden Novellierung des Bundesarchiv-gesetzes verankern wir nun die Pflichtregistrierung. Da-mit erreichen wir erstmals eine verlässliche und umfang-reiche Datengrundlage, da in Zukunft die jährlichenFilmproduktionen in Deutschland erfasst werden.
Unter Federführung des Kinematheksverbundes soll da-rauf aufbauend ein Bestandskatalog geschaffen werden.In ihm soll festgehalten werden, an welchem Ort inDeutschland die Filmkopien archiviert werden und inwelchem Zustand sie sich befinden. Hierfür stellt derBund 200 000 Euro zur Verfügung. Mithilfe der Datenwerden wir in Zukunft weitere Bestandslücken im Film-erbe verhindern.Doch was nützt uns ein Filmerbe, das in den Archivenverstaubt? Filme werden doch eigentlich erst durch ihreProjektion auf die Leinwand mit Leben erfüllt. Wir wol-len, dass Filme von den Menschen erlebt werden kön-nen. Die fortschreitende Technik im digitalen Zeitalterhilft uns dabei. Heute werden fast ausschließlich digitaleKopien von Filmen erstellt. Dadurch wird ein vielfälti-ges Filmerlebnis geschaffen. So ist es heute möglich, mitden unterschiedlichen Medien wie Kino, DVD undOnlinestreams viele Menschen zu erreichen.Der Zugang zu den Filmschätzen wird aber immerschwieriger, da viele Filmklassiker nur als analoge Ko-pie vorhanden sind. Die fortschreitende Digitalisierungbewirkt, dass immer weniger analoge Abspielgeräte vor-handen sind. Eine Restaurierung und Digitalisierung derFilmklassiker ist meist teuer und aufwendig; das wissenwir. Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Bundes-regierung einen Teil der Fördermittel der Digitalisie-rungsoffensive für eine Digitalisierung des deutschenFilmerbes bereithält.
Wir wollen verhindern, dass das Filmerbe in Verges-senheit gerät. Unser Anspruch ist es, dass kommendeGenerationen Filme von heute auch morgen noch sehenkönnen. Hiermit stärken wir das Filmerbe. Hiermit be-wahren wir die Kulturschätze für die Nachwelt. FrauKrüger-Leißner, Sie werden sehen: Wir sind hiermit aufeinem sehr guten Weg, den wir auch ganz stringent wei-tergehen werden. Damit werden wir dieses Filmerbe füralle zugänglich machen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Filme sind ein wichtiger Bestandteil un-seres kulturellen Erbes. Darin sind wir uns wohl alle ei-nig. Im Osten sind Generationen mit dem Singenden,klingenden Bäumchen aufgewachsen, und auch Nacktunter Wölfen war prägend. Im Westen möchte ich anFilme wie Angst essen Seele auf erinnern. Filme wiediese müssen dringend für die nächsten Generationen er-halten bleiben.
Zu den Fakten. Unseren Antrag „Finanzierung zurBewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstel-len“ haben wir erneut vorgelegt, weil sich die anderenFraktionen dieses Hohen Hauses seit 2008 offenkundigkeinen Begriff von der Reichweite der Digitalisierungdes Filmerbes machen. Unsere Zahlen ergeben sich da-mals wie heute aus den Vorlagen der Stiftung DeutscheKinemathek, der DEFA-Stiftung und der Murnau-Stif-tung. Auch der Verband der deutschen Filmkritik hat unsversichert, dass unser Finanzierungsvorhaben realistischist und wenigstens das Minimum dessen darstellt, wasgeleistet werden müsste. Das bedeutet: Die Fraktion DieLinke lag schon 2008 richtig, und sie liegt auch heutewieder richtig.
Wir gehen also wie die Stiftungen von einem Gesamt-volumen von 90 Millionen Euro für die Laufzeit vonfünf Jahren aus. Die Finanzierung teilt sich in 30 Millio-nen Euro aus Haushaltsmitteln – 6 Millionen Euro proJahr –, 30 Millionen Euro aus Abgaben der Film- undFilmwerbewirtschaft und 30 Millionen Euro aus der Ki-noabgabe von 5 Cent pro verkaufter Kinokarte auf. Wirlegen Ihnen dar, wie eine vernünftige Finanzierung zurSicherung des deutschen Filmerbes aussieht, und schla-gen Ihnen vor allem eine langfristige und nachhaltige In-vestition in Kultur und Wissen vor. Alle würden ihrenBeitrag leisten: der Staat, die Wirtschaft und auch dieBürgerinnen und Bürger.An dieser Stelle kommt von Ihnen, meine Damen undHerren aus den Regierungs- und Konsensparteien, ge-wöhnlich in solchen Fällen der Einwand, dass sich un-sere Vorstellungen nicht finanzieren lassen. Das ist eingravierender Irrtum.
Kassieren Sie doch einige Prestigeprojekte des Bundes!Stecken Sie die frei werdenden Mittel in die Sicherungdes Filmerbes! Streichen Sie doch die Aufwendungenfür den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses! Die590 Millionen Euro wären beim Film mit Sicherheitsinnvoller angelegt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27397
Kathrin Senger-Schäfer
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Stoppen Sie zudem die Verschwendung von Steuergel-dern bei Frau Steinbachs einseitig ausgerichteter Stif-tung Flucht, Vertreibung, Versöhnung! Die 2,5 MillionenEuro für 2013 könnten zum Beispiel – hören Sie einmalzu – sehr gut als Anschubfinanzierung für die Digitali-sierung von Filmen zur NS-Vergangenheit aus Ost undWest verwendet werden. Der Allgemeinheit wäre damitweit besser geholfen als mit diesem geschichtspoliti-schen Abenteurertum.
Die Anträge der anderen Fraktionen beschränken sichheute – wie bereits im Jahr 2008 – auf allgemeineApelle. Damit wiederholt sich in dieser Debatte leiderdas unwürdige Schauspiel mit einem so wichtigen Teilunseres kulturellen Erbes. Vier Jahre wurden regelrechtvertrödelt, um Maßnahmen zur Sicherung des nationalenFilmerbes einzuleiten. Niemand von Ihnen hat sichernsthaft mit dem Finanzierungsvorschlag der Linkenauseinandergesetzt.Noch eines: Wenn sich der Staatsminister und die Ko-alition nun rühmen, dass die Digitalisierung des Film-erbes in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstaltaufgenommen worden ist, so kann ich dazu nur sagen,dass dies von Anfang an eine Idee der Linken war. Unsfreut diese freundliche Übernahme sehr, nur sollten Siedies auch wahrheitsgemäß erwähnen.
Die nunmehr auf den Weg gebrachte Pflichtregistrie-rung deutscher Filme im Bundesarchivgesetz begrüßenwir. Zum Schluss sage ich im Interesse des deutschenFilms: Warten wir nicht wieder weitere vier Jahre, bissich bei der Digitalisierung endlich etwas bewegt.
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob-wohl der Film als Medium erst wenig mehr als 100 Jahrealt ist, gehört das Filmerbe bereits heute zu den wichtigs-ten Bestandteilen unseres gesamten kulturell-histori-schen Erbes. Filme und filmische Dokumente eröffnenbesondere Zugänge zur Zeitgeschichte und Kultur. Sietun dies in einer ungeheuren Breite in unserer Gesell-schaft, für praktisch alle Menschen und unterschied-lichste Milieus.Der Bundestag beschäftigt sich deswegen zu Rechtseit Jahren mit dem Filmerbe und dessen Erhalt. WirGrünen haben dies maßgeblich mit angeregt.
Meine Fraktion und ich haben uns sehr gefreut, dass esauf unsere Initiative hin am Ende der letzten Legislatur-periode gelungen ist, hierzu einen interfraktionellen An-trag zu verabschieden. Gerade vor dem Hintergrunddieser interfraktionellen Einigkeit ist es umso unerfreuli-cher, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bis zumheutigen Tag noch immer viel zu zögerlich agiert undzahlreiche Forderungen aus dem damaligen Antrag nachwie vor offen sind.
Herr Kollege Börnsen, Sie sprechen ja in diesem Zu-sammenhang gern von einer Herkulesaufgabe. Ich gebeIhnen da absolut recht. Aber gerade die Bewältigung vonHerkulesaufgaben erfordert eben auch ein Gesamtkon-zept, weitreichende Konsequenzen, umfassendes Enga-gement und vor allem Mut. An all dem mangelt es dieserBundesregierung. Mit der Erstellung eines Katalogs undder Einstellung von einigen wenigen HunderttausendEuro ist es eben nicht getan. Die Zeit drängt. Daher ist esgut, dass wir hier heute erneut darüber diskutieren unduns den nach wie vor ungeklärten Fragen, die kürzlichnochmals in unserer Anhörung aufgeworfen wurden, zu-wenden.Doch es geht nicht nur um die komplexen Fragen derphysischen Erhaltung und angemessenen Aufbewahrungdes Filmerbes, sondern insgesamt auch um seine bessereZugänglichkeit und Präsenz in der öffentlichen Wahr-nehmung, zum Beispiel durch einen möglichst barriere-freien Zugang. Untertitelungen und Audiodeskriptionenfür Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen sindheute essenziell.
Auch hier bedarf es einer konsequenten Umsetzung. Vordiesem Hintergrund finden wir es schade, dass die Re-gierungskoalition bei diesem Punkt gleich abgewiegelthat.Die Digitalisierung des Filmerbes ergibt sich auch ausder Digitalisierung der Abspieltechnik, die wir ja ge-meinsam unterstützen. Auch das haben hier mehrereKolleginnen und Kollegen angesprochen. Wichtig ist,dass die neue Technik für das Filmerbe, das bisher nuranalog vorliegt, nicht zu einem Nadelöhr wird. Wir müs-sen die Zugänge verbreitern; wir dürfen sie nicht veren-gen.Die grüne Bundestagsfraktion hat vor gut einem Jahrnochmals eine umfassende Initiative eingefordert. In-zwischen liegen Anträge von allen Fraktionen vor. Ge-schehen ist aber viel zu wenig. Dass es eine Reihe vontechnischen und rechtlichen Problemen gibt, wissen wir.Wir als Gesetzgeber müssen aber helfen, diese zu über-winden. Deswegen wollen wir uns mit allen Betroffenenan einen Tisch setzen, mit Vertretern von Archiven und
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Dr. Konstantin von Notz
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Filmerbe-Stiftungen, mit Produzenten, sonstigen Rechte-inhabern, Verwertungsgesellschaften, Wissenschaft undBildung, und die offenen Fragen im Dialog klären; inden Niederlanden beispielsweise ist das sehr gut gelun-gen.
Klar ist doch: Wir brauchen intelligente Lösungen,auch was die freie Nutzung der digitalisierten Filme fürdie Filmbildung und die Wissenschaft angeht. In diesemZusammenhang sei noch einmal erwähnt, dass Ihr Versa-gen als Bundesregierung, Ihre Hasenfüßigkeit bei derUmsetzung des sogenannten dritten Korbes
– nehmen Sie es einfach hin; es ist so –, uns allen nochauf die Füße fallen wird. Denn der Reformdruck wirdimmer größer, auch im Hinblick auf die urheberrechtli-chen Fragen im Zusammenhang mit dem Filmerbe, ge-rade auch – die Kollegin hat es angesprochen – bei ver-waisten Werke.
Als netzpolitischer Sprecher meiner Fraktion ist esmir ein ganz besonderes Anliegen, dass wir auch das In-ternet als heute elementares Verbreitungsmedium in un-sere Überlegungen einbeziehen. Hier liegen ungeheureChancen für ein Filmerbe, das sonst bestenfalls in dunk-len Archivräumen vor sich hin schlummert.Für meine Fraktion sage ich aber auch klar: Wir wol-len im Dialog faire Lösungen herbeiführen, bei denenalle zu ihrem Recht kommen und alle mit einbezogenwerden. Vor uns liegt eine große Aufgabe, und wir habenkeine Zeit zu verlieren. Die Gemeinsamkeiten, die wirhaben, sollten nicht bloß zu weiteren Absichtserklärun-gen führen, sondern endlich zu einem zügigen und ent-schlossenen Handeln.Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Johannes Selle für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Seit ungefähr 1890 werdenMenschen von bewegten Bildern in den Bann gezogen.In der Fiktion kann durch immer mehr Spezialeffekteaus der Realität ausgebrochen werden. Zugleich kanndie Realität verstörend authentisch und erschütterndwahrgenommen werden. Für Deutschland fällt die Ge-schichte des Films ziemlich genau mit der Entwicklungdes Nationalstaates zusammen. Zudem ist Deutschlandein wichtiges Filmland geworden. Für uns ist das Film-erbe des letzten Jahrhunderts von besonderer Bedeutung.
Wir können viel vom Zeitgeist erfahren, wir können vielfür die Aufklärung verwenden, und wir können auch dasEntstehen der Filmkunst verfolgen. Der Film ist einMassenmedium geworden, nicht nur deshalb, weil damitnahezu jeder Mensch erreicht wird, sondern auch, weilinzwischen massenhaft Filmmaterial vorliegt.Das Filmportal des Deutschen Filminstituts umfasstungefähr 80 000 Filme; im Antrag der Linken ist sogarmit 251 000 Filmen und mehr als 118 000 Videos kalku-liert worden. Jährlich kommen circa 200 Filmproduktio-nen hinzu. Das Erbe wächst. An den ungenauen Zahlen-angaben kann man erkennen, dass wir uns diesemwertvollen Erbe dringend zuwenden müssen, nicht nur,um einen Überblick zu bekommen, sondern auch, um dieFilme vor dem Verfall zu retten und den Zugang zu ih-nen zu erhalten; mit fortschreitender Technik ist dies nurdigital zu bewerkstelligen. Bei der Beschäftigung mitdiesem Erbe wird auch die Komplexität des Themasdeutlich. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mitplausiblen Vorschlägen auf, sich diesem Erbe zuzuwen-den.Seit 2004 gibt es in den Ländern eine Pflichthinterle-gung im Hinblick auf geförderte Filme. Aber es gibtkeine Einheitlichkeit der Standards und keine Einheit-lichkeit der Information sowie der Formate. Die Filmeliegen an unterschiedlichen Orten, und niemand hat eineÜbersicht, wo sie liegen. Wir haben jetzt über die Ände-rung des Bundesarchivgesetzes zu diskutieren. Ich hoffe,dass wir noch in diesem Monat die Pflichtregistrierungfür alle Kinofilme beschließen können.Nach der Registrierung werden wir uns mit der Hin-terlegung beschäftigen müssen. Aber wir müssen eineverlässliche Grundlage durch die Registrierung haben,auf der wir das kalkulieren können. Da die Rechteinha-ber der Filme Nutznießer sind, muss man sie natürlicheinbeziehen und in vielen Fällen auch erst einmal ausfin-dig machen.Die vollständige Übersicht über Anzahl, Qualität, Ortund Format ist Voraussetzung für ein Konzept zur Digi-talisierung. Zu diesem Konzept der Digitalisierung ge-hört auch, dass wir uns Prioritäten setzen. Wir könnennicht alle Filme auf einmal digitalisieren. Es wird auchnicht alles, was jemals auf Film gebannt worden ist, zudigitalisieren sein, und es ist auch nicht alles bewahrens-wert. Außerdem müssen wir feststellen, welche Filmevorher restauriert werden müssen.Wir hatten eine Anhörung zu diesem Thema. In dieserAnhörung wurde deutlich, dass auch die Langzeitarchi-vierung noch kein endgültiges Format hat. Im Gegenteil:Es waren Stimmen zu hören, die dem analogen Filmma-terial noch die am längsten überschaubare Zeitdauer zu-billigten. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Lang-zeitarchivierungsformat und dem Format des öffentlichenZugangs, den wir heute automatisch über das Internet an-nehmen.
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Johannes Selle
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Nach erfolgreicher Abarbeitung unseres Antrages ha-ben wir einen vollständigen Überblick über alle Werke,kennen unsere finanziellen Möglichkeiten und die Erfor-dernisse, kennen den Umfang der zusätzlichen Informa-tionen, die wir jedem Film beifügen wollen, haben Stan-dards gefunden für ganz Deutschland, haben vielleichteine Reihenfolge der Dringlichkeiten und haben auch dieErfahrungen anderer Länder studiert. Möglicherweisesind wir dann auch schlauer, was die Langzeitarchivie-rung betrifft. Das wäre viel, aber das ist auch notwendig.Zum Filmerbe liegen vier Anträge aller Fraktionenmit der gleichen Sorge – das gebe ich zu – um die Be-wahrung dieses kostbaren Gutes vor. Stimmen Sie unse-rem wohlabgewogenen, unpolemischen und differen-zierten Antrag zu!
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 17/11933. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/11006 mit dem Titel „Das Filmerbe
stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren
und im digitalen Zeitalter zugänglich machen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10098 mit dem Ti-
tel „Ein nationales Digitalisierungsprogramm für unser
Filmerbe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11007 mit dem Titel „Finan-
zierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich
sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/8353 mit dem Titel „Umfassende Initiative zur
Digitalisierung des Filmerbes starten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 39 b. Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12012
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck , Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Parteien-
gesetzes – Begrenzung von Parteispenden und
Transparenz beim Sponsoring für Parteien
– Drucksache 17/11877 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Raju
Sharma, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern
und Parteienfinanzierung transparenter ge-
stalten
– Drucksache 17/9063 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Volker Beck
hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Wir reden heuteüber ein Transparenzgesetz für die Parteienfinanzierung.Über die Transparenz bei Nebenbeschäftigungen vonAbgeordneten haben wir hier im Bundestag viel geredet.Das Transparenzgesetz ist deshalb sehr wichtig, weil dasParteiengesetz eigentlich das gleiche Problem berührt:Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlas-sen können, dass erkennbar ist, ob es wirtschaftlicheEinflüsse auf die Willensbildung der Parteien gibt. Des-halb meinen wir, dass die Transparenzregeln insgesamtverbessert werden müssen.Wir wollen die Spendentätigkeit auf natürliche Perso-nen und 100 000 Euro pro Jahr an eine Partei begrenzen.
Damit wird verhindert, dass große Unternehmensspen-den indirekt auf die Willensbildung einer Partei Einfluss
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Volker Beck
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nehmen – ohne jede Unrechtsverabredung –, sodass dieParteien tatsächlich nur im Sinne ihres Wahlprogrammesund nicht im Sinne ihrer größten Spender politisch tätigsind.Ich denke, diese Wahlperiode hat mit den Mövenpick-Spenden bei der FDP,
mit der Gauselmann-Affäre und mit dem Skandal um„Rent a MP“ bei Rüttgers in Nordrhein-Westfalen ge-zeigt, dass wir hier wirklich einen Bedarf haben, die Par-teienfinanzierung auf noch klarere und transparentereFüße zu stellen.
Wir wollen das Sponsoring nicht verbieten, aber dasSponsoring transparent machen. Unsere Partei tut dasauch schon. Jeder kann auf unserer Webseite nach-schauen, wie viel zum Beispiel die Leute, die einenStand auf unserem Parteitag haben, dafür bezahlt haben.
Wir stellen die Verträge einfach ins Netz. Das ist einefaire Regelung, und es muss auch klar sein, dass es sich,wenn die Preise unüblich sind, um eine verdeckteSpende auf dem Wege des Sponsorings handelt. Nurmehr Transparenz führt dazu, dass sich alle wirklich andie Regeln halten.Ich habe ja die Gauselmann-Affäre angesprochen.
– Das werde ich Ihnen gleich vorlesen, Herr KollegeKurth. Ich habe das Schreiben des Bundestagspräsiden-ten nämlich dabei.
Die Gauselmann-Affäre hat sehr schön gezeigt, dassder Präsident gegenwärtig gar nicht prüfen kann, wennüber Unternehmen indirekt an Parteien gespendet wird.Das ändern wir mit unserem Gesetzentwurf.In dem Schreiben des Präsidenten an mich zu demThema „Firma altmann-druck GmbH“ heißt es:Kapitalgesellschaften, auch wenn sie sich ganz oderteilweise im Eigentum von Parteien befinden, un-terliegen grundsätzlich nicht dem Transparenzgebotdes Parteiengesetzes.Das finden wir verkehrt, weil das Tür und Tor für ver-schleierte Zuwendungen an Parteien öffnet.
Der Präsident hat Ihnen hier auch keinen Freisprucherteilt, er hat lediglich gesagt: „Alle der Behörde gegen-über offengelegten wertbeeinflussenden Faktoren“ stüt-zen nicht den Vorwurf, dass es hier etwas gab, was gegendas Parteiengesetz verstößt. – Aber der Präsident hat ge-genwärtig kein Prüfrecht, um solchen Machenschaftennachzugehen.Auch in der Frage hinsichtlich des Anteils der FDP ander Universum GmbH sagt der Präsident: Das, was ichder Presse entnommen habe, deutet nicht unmittelbar da-rauf hin, dass es sich hier um einen rechtlichen Verstoßhandelt. – Das ist doch nicht zufriedenstellend. Wirbrauchen klare Regeln. Wir brauchen eine klare Prüf-kompetenz des Bundestagspräsidenten, damit er allenVorwürfen nachgehen kann. Ich wünsche mir auch, dassbei Verfahren, die zugunsten einer Partei, der man Vor-würfe gemacht hat und die geprüft worden ist, ausgehen,hinterher klargestellt wird: Was war der wesentlicheSachverhalt? Aus welchen Gründen kommt die Prüfbe-hörde, nämlich die Bundestagsverwaltung, dazu, zu sa-gen: „Es war am Ende doch alles in Ordnung“?Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Das zeigt: Wirmüssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürgerdarauf vertrauen können, dass zwischen allen Parteienhier im Hause ein fairer Wettbewerb existiert und dasssich niemand Parteien oder Politik kaufen kann. Das istder Sinn von Transparenz. Deshalb lade ich Sie alle ein,mit uns gemeinsam im Ausschuss darüber zu diskutie-ren.Warten wir doch nicht auf den nächsten Parteienfi-nanzierungsskandal. Wir haben aus der Geschichte ge-lernt – von der Flick-Affäre bis sonst wo hin –: Immerwieder war das Hohe Haus nur bereit, mehr Transparenzeinzuführen, wenn es einen Skandal gab und das Ganzenicht mehr zu halten war. Lassen Sie uns doch den Bür-gerinnen und Bürgern sagen: Wir bringen diese Angele-genheit in Ordnung, bevor es den nächsten Skandal gibt. –Ich glaube, die Parteiendemokratie und die parlamentari-sche Demokratie brauchen Transparenz, um ihre Legiti-mität nicht zu beschädigen. Dem dient unser Vorschlag.
Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Unbestreitbar: Transparenz bei Par-teispenden ist ein wichtiges Thema und die unverzügli-che Offenlegung von Parteispenden über 50 000 Eurofür unsere politischen Entscheidungsprozesse besondersrelevant. Transparenz, ob jetzt beim Thema Lobbyarbeit,Parteispenden, Sponsoring oder auch bei unserer Arbeitim Hause, ist ein Wesensmerkmal dieser Demokratie.Das Parteiengesetz in der Fassung vom 28. Juni 2002hat sich in diesem Sinne im Lauf der Jahre bewährt. Diegemäß § 25 Parteiengesetz geforderten Offenlegungenbei Spenden ab 10 000 bzw. 50 000 Euro sind vernünf-tige und praktikable Regelungen. Das hat immerhin auchdie Kommission des Ältestenrates des Deutschen Bun-
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Armin Schuster
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destages 2011 so bewertet. Eine weitergehende Begren-zung der Parteispenden, wie im Antrag der Linken ge-fordert, halte ich daher nicht für erforderlich.Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken,Sie irren, wenn Sie glauben, mit Ihrem Antrag würdenSie – ich zitiere – „Demokratie stärken“. Mit Formulie-rungen wie – ich zitiere wieder – „Käuflichkeit“ vonPolitik und Lobbyismus zeichnen Sie nicht nur ein ruf-schädigendes Zerrbild unserer parlamentarischen Arbeit.Sie haben auch die grundlegende Bedeutung von Lobby-ismus für eine repräsentative Demokratie aus meinerSicht nicht verstanden.
Ein gesetzliches Spenden- und Sponsoringverbot gegen-über Unternehmern ist für mich sogar schlicht verfas-sungswidrig.Erlauben Sie mir, das näher zu erläutern. Das Ge-meinwohl, also das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger,orientiert sich in diesem Land immer an der Frage derpolitischen Gerechtigkeit. Konsens, egal welcher Parteiman zugehören mag, besteht wohl darin, dass Vollbe-schäftigung und Chancengleichheit ein Teil dieses Ge-meinwohls sind. Für Beschäftigung bedarf es Arbeits-möglichkeiten. Ein Teil Deutschlands unternahm denVersuch, den Staat als zentralistischen Arbeitgeber ein-zusetzen und Privatwirtschaft abzulehnen. Unser heuti-ges System sieht aber eine soziale und demokratischeMarktwirtschaft vor, zu der Privatpersonen genauso wieUnternehmen gehören. Deshalb dürfen nach unseremdemokratischen Verständnis sowohl natürliche als auchjuristische Personen spenden.Wir haben uns in Deutschland bewusst gegen einerein staatliche Alimentierung der Parteien entschiedenund die gesellschaftliche Verankerung als Wesensele-ment politischer Parteien definiert. Nach unserer frei-heitlich-demokratischen Grundordnung haben alleAkteure des Staats – egal ob natürliche oder juristischePersonen –, einen Anspruch darauf, sich an der politi-schen Willensbildung zu beteiligen. Die verfassungs-rechtliche Gewährleistung des Spendenrechts entsprichtder Parteienfreiheit nach Art. 21 des Grundgesetzes.
Wer kann es also einem Unternehmen verübeln, dass esnicht die Linkspartei bei deren erhoffter Wiederbelebungder sozialistischen Planwirtschaft unterstützt, sonderneher CDU, CSU, FDP, Grüne oder SPD bei unserer Ar-beit für Wohlstand, Chancengleichheit und Meinungs-freiheit in einer sozialen Marktwirtschaft? Spenden zuleisten, gehört zur privaten Entscheidungsfreiheit vonBürgern wie Unternehmen. So sieht es auch das Bundes-verfassungsgericht. Parteispenden hat es ausdrücklichals eine Form zulässiger Interessenwahrnehmung undpolitischer Teilhabe bestätigt.Unsere Parteienfinanzierung beruht auf drei Säulen:den Beiträgen der Mitglieder, den staatlichen Zuwen-dungen – abhängig vom Wahlergebnis – und den Spen-den. Die Spenden machen nur etwa 15 Prozent aus. Nurweil Sie, meine Damen und Herren von der Linken,kaum nennenswerte Parteispenden juristischer Personenerhalten, muss nicht gleich das Parteiengesetz geändertwerden. Vielmehr liegt es doch wohl am Inhalt IhresParteiprogramms, das eben von bestimmten Gruppen inunserer Gesellschaft als nicht unterstützenswert angese-hen wird. Spenden sind eben auch nur ein Indikator fürden gesellschaftlichen Zuspruch einer Partei.Im Antrag der Linken wird ebenso der Bericht derbeim Europarat eingesetzten Staatengruppe zur Korrup-tionsbekämpfung, GRECO, aus dem Jahr 2009 erwähnt.Deutschland ist hier bereits seit 1999 Mitglied. Entgegender Absicht der Linken empfiehlt der GRECO-Bericht2009 nicht, dass wir in Deutschland Höchstgrenzen fürSpenden festlegen sollten. Ganz im Gegenteil: DerGRECO-Bericht hat sogar zum Inhalt, dass Großspen-den wesentlich weniger anfällig dafür sind, die politi-sche Willensbildung negativ zu beeinflussen, als dies beizahllosen Kleinspenden der Fall sein könnte. ImGRECO-Bericht wird insbesondere dazu aufgefordert,dass kein zeitlicher Verzug zwischen der Gewährungund der Veröffentlichung der Spende eintritt. Genau einesolche Regelung existiert in unserem Parteiengesetz. Da-nach müssen Einzelspenden zeitnah veröffentlicht wer-den. Der Bundestagspräsident hat dies in seiner Weisungaus dem Januar 2010 unmissverständlich und eindeutigfestgelegt: „Zeitnah“ bedeutet sofort. – Die GRECO-Empfehlung wurde also präzise umgesetzt. So stellte imMai 2011 die Kommission des Ältestenrats für dieRechtsstellung der Abgeordneten im Deutschen Bundes-tag fest, dass die Empfehlungen der GRECO aus demJahr 2009 durch die bei uns bestehende Regelung ausrei-chend erfüllt werden und in allen Fällen kein weitererRegelungsbedarf besteht.
– Sie können ja einen Kommentar zum Ältestenrat abge-ben, Herr Wieland. Ich würde Ihnen dafür sogar kurzZeit einräumen.Mit Ihrer geforderten Höchstgrenze von 25 000 Eurobzw. Offenlegung bereits ab 25 000 Euro, sehr geehrteDamen und Herren der Linken und Grünen, machen Siesich falsche Vorstellungen davon, welche positiven Wir-kungen die Festlegung von faktischen Höchstgrenzenbzw. die Herabsetzung der Höchstgrenzen für Offenle-gungen haben könnten. Hier besteht Erklärungsbedarf.Bemerkenswert finde ich es insbesondere, dass dieLinkspartei die USA als Beispiel auswählt. Wie wird esdenn dort gehandhabt? Es ist richtig, dass es in den USAHöchstgrenzen für Parteispenden gibt. Aber genau des-halb wird es dort zur Praxis, dass zahlreiche, teilweiseHunderte Mitarbeiter in Unternehmen aufgefordert wer-den, Kleinspenden zu leisten. Eine Festlegung vonHöchstgrenzen kann so sehr leicht durch Stückelung um-gangen werden. Das ist also kein geeignetes Mittel, IhreUnterstellung auszuräumen, Großspenden würden dazuanhalten, politische Entscheidungen zu beeinflussen.Meine Damen und Herren, der Versuch, Großspendenan Parteien zu skandalisieren, ist durchsichtig. Immerhingehören dem Bundestag Parteien an – ich nenne ein Bei-
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spiel –, bei denen 98 Prozent der Spenden im Wahljahr2009 genau unter der 50 000-Euro-Marke lagen. Da-durch mussten diese erst 18 Monate später im Rechen-schaftsbericht der Parteien veröffentlicht werden. Groß-spenden über 50 000 Euro gab es in diesem Jahr nureine. Notleidend war die Partei aber nicht.
– Sie waren das also. – Insgesamt sehe ich diesen Punktnicht als problematisch an, Herr Wieland, ganz im Ge-genteil.
Wenn ganze Branchen versuchen, eine Partei, die ihreInteressen am besten abbildet, gezielt zu unterstützen,
dann ist das ein absolut legitimer Ausdruck politischerWillensbildung und Beteiligung.
Eventuell wollen diese natürlichen oder juristischenPersonen einfach nicht als Spender mit hoher Öffentlich-keitswirksamkeit sofort offengelegt werden. Daran er-kenne ich auch keinen pauschalen Verdacht hinsichtlichmöglicher Korruption, auch nicht bei dem Beispiel mitden 98 Prozent Spenden unter 50 000 Euro. Die geplanteHerabsetzung dieser Grenze würde gar nichts ändern,außer dass sich die Stückelung verändern würde. Dannwürden die 98 Prozent unterhalb von 25 000 Euro ran-gieren. Es wird auch weiterhin Spender geben, die völligunverdächtig sind, die nicht offengelegt werden wollenund die sich regelkonform verhalten.Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Partei-ensponsoring sagen. Herr Beck hat gesagt, dass die Grü-nen Sponsoring in ihrem Antrag „als Zuwendungen vonGeld oder geldwerten Vorteilen zur Förderung einer Par-tei, mit denen der Zuwendende als Gegenleistung eineFörderung eigener Ziele der Werbung oder Öffentlich-keitsarbeit erlangen will“, definieren. Einverstanden.Dies unterscheidet die Partei aber rechtlich nicht von an-deren gemeinnützigen Vereinen in der Bundesrepublik.Es gibt bei diesen eingetragenen Vereinigungen genauwie bei Parteien die völlig legitime Unterscheidung vonSpende, also ohne direkte und angemessene Gegenleis-tung, und Sponsoring. Nach § 24 Parteiengesetz mussaber eine Unterstützung mit Gegenleistung im Rechen-schaftsbericht der Parteien ausgewiesen werden. Ande-renfalls ist sie nach den üblichen Regeln als Spende aus-zuweisen.
Solange aber dem Sponsoring eine reale und ange-messene Gegenleistung gegenübersteht, handelt es sichum ein einfaches wirtschaftliches Geschäft. Wer als Un-terstützer einer Partei also beispielsweise Geld für dieAnmietung eines Saales einer Partei zahlt, wird dadurchnicht automatisch zum Spender, außer die Leistung, bei-spielsweise Werbung, und die Aufwendungen stündennicht mehr im adäquaten Verhältnis.
Dann wäre es eine verdeckte Spende. Bis dahin ist aberaus unserer Sicht alles geregelt.
Kollege Schuster, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Beck?
Nein, nicht bei diesem Thema.
– Jetzt sollten Sie zuhören, ich mache gerade Angebote,und die mache ich nicht oft.
Nicht ganz eindeutig wird es allerdings beim Ankaufteurer Werbegelegenheiten bei einer Partei, zum Beispielbei der Werbung auf einem Parteitag. Handelt es sich umeine angemessene Gegenleistung, oder ist es eine über-zogene Förderung? In dieser Frage sind wir durchausdiskussionsbereit. So könnte es eventuell gerechtfertigtsein, reguläres Großsponsoring, ähnlich wie auch Groß-spenden, anderen Offenlegungserfordernissen zu unter-werfen.
Hier könnten wir uns durchaus Regelungen vorstellen.
– Zuhören hilft manchmal, nicht?Nach unendlich vielen Debatten zu diesem Themen-feld wiederhole ich mich abschließend gerne für meinenKollegen Wellenreuther: Schon heute gibt es in Deutsch-land ein sehr verlässliches und sehr strapazierfähigesParteiengesetz, das genau festlegt, unter welchen Rege-lungen Parteispenden veröffentlicht werden müssen. Siesind ein absolut legitimer und verfassungsgemäßer Aus-druck politischer Willensbildung. Im aktuellen Transpa-rency International Ranking rangieren wir auf Platz 13von 178.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, die Tendenzist steigend. Wir lehnen daher die Anträge der Grünenund der Linksfraktion ab.
Ich danke Ihnen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27403
Armin Schuster
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Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die Mövenpick-Spende, die Affäre um „Rent aRüttgers“ sowie Gauselmann wurden schon erwähnt. Ichwill hinzufügen, dass wir damals im Mai 2010 eine An-hörung im Innenausschuss beantragt hatten, die mit IhrerMehrheit abgelehnt und auf einen Termin nach derLandtagswahl in NRW verschoben wurde, um die Dis-kussion über Transparenz in der Parteienfinanzierungaus dem Wahlkampf herauszuhalten. Genützt hat es Ih-nen trotzdem nichts.
Im Innenausschuss diskutieren wir regelmäßig überParteienfinanzierung. Anlass dazu ist der periodischeBericht von GRECO, der zum Europarat gehörendenStaatengruppe gegen Korruption. Bei der letzten Debattezum Evaluierungsbericht von GRECO im Juni 2011 hat-ten wir als SPD die ablehnende Haltung der Rechtsstel-lungskommission zu den Empfehlungen kritisiert. Wirhaben Vorschläge gemacht, um mehr Transparenz in diedeutsche Parteienfinanzierung zu bringen. Die Mehrheitaus CDU/CSU und FDP im Innenausschuss hat die Um-setzung der Empfehlungen von GRECO abgelehnt, weilsie diese als nicht bindend ansieht. Es ist peinlich, wel-che Bedeutung die Koalitionsfraktionen Empfehlungeneiner Staatengruppe, die aus 48 europäischen Staatenund den USA besteht, beimessen.Für meine Fraktion möchte ich festhalten, dass wirÄnderungen des Parteiengesetzes, die zu mehr Transpa-renz bei der Parteienfinanzierung führen, unterstützen.Sie müssen aber handhabbar und kontrollierbar sein unddürfen die Arbeit der ehrenamtlichen Kassiererinnen undKassierer nicht unnötig belasten.Wir halten es für richtig – so haben wir es auch in derVergangenheit gehandhabt –, dass Änderungen im Par-teiengesetz auf Basis einer breiten Mehrheit in diesemHause verabschiedet werden. Nur so finden die unter-schiedlichen Situationen der einzelnen Parteien ausrei-chend Berücksichtigung.Ich möchte kurz auf einige Forderungen eingehen, diein den Vorlagen, die wir heute diskutieren, genannt wer-den:Spendenverbot von juristischen Personen. Dies wol-len wir nicht weiterverfolgen, weil das Bundesverfas-sungsgericht im Jahre 1992, aber auch die Kommissiondes Bundespräsidenten zur Parteienfinanzierung 2001Spenden von natürlichen und juristischen Personen alszulässig angesehen haben. Entscheidend ist, dass Trans-parenz hergestellt wird. Selbstverständlich verfolgenMitglieder und Spender mit ihren Zuwendungen be-stimmte politische oder auch abstrakte persönliche Ziele.Problematisch wird eine Spende aber erst dann, wenn siein einem direkten Zusammenhang mit einem konkretenVorteil steht. Ich erinnere noch einmal an die Möven-pick-Spende.Transparenz bedeutet, dass nachvollziehbar ist, wel-che Gruppen, Verbände oder Privatpersonen die Parteienunterstützen und gegebenenfalls auf sie Einfluss nehmenwollen. Allerdings ist die Transparenz bei Spenden vonUnternehmensverbänden nicht gewährleistet. Hier erfol-gen die Zuwendungen von Unternehmen indirekt überdie Verbände, ohne dass die betroffenen Unternehmenoder Unternehmer namentlich genannt werden. Für unssollen Spenden von juristischen Personen weiterhin zu-lässig sein. Eine Begrenzung der Höhe nach, etwa100 000 Euro, scheint mir aber sinnvoll. Spenden vonUnternehmensverbänden sollten jedoch ausgeschlossenwerden.Eine Absenkung der Veröffentlichungsgrenze vonSpenden von 50 000 Euro auf 25 000 Euro haben wir alsSPD-Bundestagsfraktion schon lange gefordert. Die Ab-senkung der Grenze für die Veröffentlichung der Spen-der im Rechenschaftsbericht mit Namen und Adressevon 10 000 auf 5 000 Euro könnte durchaus ein Beitragzu mehr Transparenz sein. Damit würden zwei Empfeh-lungen von GRECO erfüllt werden.Sponsoring. Die Vermietung von Werbeflächen undandere Formen des Sponsorings von Parteiveranstaltun-gen sind zulässige Formen der Parteienfinanzierung. DasGrundgesetz fordert von den Parteien, dass sie eigeneEinnahmen erzielen, und verbietet eine staatliche Voll-finanzierung. Besteht ein krasses Missverhältnis zwi-schen Leistung des Sponsors und Gegenleistung der Par-tei, handeln die Vertragsparteien missbräuchlich. Dannwird durch eine Sponsoringvereinbarung eine Spendeverschleiert. Der überschießende Teil ist schon heutenach dem Parteiengesetz als Spende zu behandeln.Wir halten es daher für sinnvoll, die Einnahmen ausSponsoring gesondert auszuweisen. Momentan werdendiese Einnahmen unter „Einnahmen aus Veranstaltun-gen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichun-gen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätig-keit“ subsumiert. Zur Erhöhung der Transparenz solltefür Einnahmen aus Sponsoring ein gesonderter Einnah-meposten geschaffen werden, und der Begriff des Spon-sorings sollte im Parteiengesetz definiert werden. DieVeröffentlichungspflichten sollten analog den Vorschrif-ten für Spenden geregelt werden.Wenn wir schon über Transparenz reden: Liebe Kol-leginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen,beenden Sie endlich Ihre Blockade bei der Strafbarkeitvon Abgeordnetenbestechung!
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27404 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013
Gabriele Fograscher
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Es kann nicht sein, dass wir die einzige Demokratie inder Welt sind, in der Abgeordnetenbestechung straffreiist.
– Den bekommen Sie demnächst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben richtige und wichtige Punkte fürmehr Transparenz in Ihrem Gesetzentwurf. Manche ge-hen uns aber zu weit.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-tion, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie die Bun-desregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzule-gen. Änderungen im Parteiengesetz gehören in die Handdes Parlaments und nicht in die der Regierung.Für konstruktive Gespräche stehen wir bereit.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die
FDP-Fraktion.
Ich höre Ihnen bei Ihren Reden auch immer gerne zu.
Ich hoffe, das gilt auch umgekehrt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Parteien haben in der Tat eine wichtige
Funktion in der repräsentativen Demokratie. Wir stellen
es in manchen Diskussionen hier im Raum so dar, als
seien sie eine Art Übel, dem man sozusagen etwas ge-
nauer auf die Finger schauen muss.
Ich habe mich gewundert, dass die Kolleginnen und
Kollegen von der Linken das amerikanische System ge-
lobt haben. Wenn Sie sich aber einmal genauer an-
schauen, wozu dieses System führt, dann stellen Sie fest,
dass ein repräsentativer Querschnitt, wie wir ihn im
deutschen Parlament noch zu weiten Teilen haben, in
den USA nicht in ähnlichem Maße vorhanden ist. Die
reichsten 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung haben durch
dieses Finanzierungssystem dort Zugang zu den Parla-
menten; in Deutschland leisten Parteien auch noch eine
wichtige Mobilisierung durch alle Bevölkerungsschich-
ten hindurch.
Deswegen sollten wir hier nicht nur auf die Parteien-
finanzierung draufhauen. Das Bundesverfassungsge-
richt hat diese auch einfach festgeschrieben.
Ihre Vorstellung einer vor allem staats- und mitgliederfi-
nanzierten Partei ist eben nicht die Vorstellung des
Grundgesetzes, sondern die Vorstellung des Grundgeset-
zes ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
diejenige, dass durchaus auch Wirtschaft und Privat-
leute, also natürliche Personen, sich als Spender an der
Parteienfinanzierung beteiligen, und das ist ausgespro-
chen gut so.
Ich würde gern irgendwann einmal – das habe ich
meinen Kollegen schon gesagt – eine Nadel für die 20.
Rede zu diesem Thema bekommen. Die Debatte läuft
nämlich immer nach einem ähnlichen Schema ab. Sie
versuchen, eine öffentliche Erregung, die irgendwo ent-
standen ist, auszunutzen, um einseitig parteipolitisches
Kapital daraus zu schlagen, und legen uns dann Vor-
schläge vor, die exakt an den parteipolitischen Bedürf-
nissen Ihrer eigenen Parteifinanzierung orientiert sind.
Schaut man sich einmal den Rechenschaftsbericht
etwa der Grünen an, dann stellt man fest: Es ist kein Zu-
fall, dass Sie auf diese Grenzen gekommen sind. Viele
Ihrer Spender leisten nämlich Beträge, deren Höhe sich
in einem bestimmten Korridor bewegt. Deswegen haben
Sie genau diese Lösung gefunden und nicht eine andere.
Sie haben auch kein Interesse daran, das gemeinsam mit
uns zu regeln,
sondern haben einfach versucht, uns wieder einen Vor-
wurf zu machen.
Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Beck?
Gern. – Aber Sie können gern bei uns spenden, HerrBeck.
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(C)
(B)
Keine anzüglichen Angebote zu dieser Stunde! – Ich
wollte Sie eigentlich nur fragen, ob Sie Ihren Vorwurf an
uns aufrechterhalten wollen angesichts der Tatsache,
dass wir nicht nur Höchstgrenzen für die Spenden vor-
schlagen, sondern zum Beispiel auch Unternehmens-
spenden – das ist bei uns durchaus Praxis, und das bleibt
Praxis, solange das im Wettbewerb der Parteien erlaubt
ist – untersagen wollen, also Spenden von juristischen
Personen, weil wir der Auffassung sind: Wer nicht wäh-
len kann, der braucht über Spenden auch keinen Einfluss
auf Parteien zu nehmen,
der kann sich anderweitig gemeinnützig betätigen, wenn
er Geld übrig hat. Es gibt ja viele vernünftige Zwecke.
Wir haben heute über Rechtsextremismus gesprochen.
Bei der Amadeu-Antonio-Stiftung oder dergleichen leis-
tet man auch etwas für die politische Kultur.
Würden Sie vor diesem Hintergrund zugestehen, dass
wir uns nicht an der Spendenpraxis bei uns orientiert ha-
ben, sondern an Prinzipien, die wir für eine demokrati-
sche Parteienfinanzierung für richtig und vertretenswert
halten? Würden Sie Ihren Vorwurf vielleicht einfach zu-
rücknehmen?
Ich kann Ihnen da leider nicht entgegenkommen, sogern ich das zu dieser späten Stunde der parlamentari-schen Beratungen in dieser Woche auch tun würde.Sie verlagern es dann gegebenenfalls in den Sponso-ring-Teil. Ich habe mir einmal angeschaut, welche Fir-men bei Ihnen im Sponsoring-Bereich tätig gewordensind. Wir finden einen deutlichen Schwerpunkt im Alter-native-Energien-Bereich. Keiner von uns würde so weitgehen, Ihnen da vorzuwerfen, dass Ihr Engagement indiesem Bereich allein auf dem Sponsoring Ihrer Partei-tage beruht.
Aber Ihre Motivationslage wird sicherlich nicht dadurchschwächer, dass Sie vorrangig von solchen Unternehmengesponsert werden.Übrigens haben Sie aus meiner Sicht in Ihren Antrageinen handwerklichen Fehler eingebaut, weil Sie denBegriff „Sponsoring“, wie er derzeit definiert ist, miss-verstanden haben. Auch jetzt ist es schon so
– Herr Schuster hat es Ihnen ja schon gesagt –: Wenn dieLeistungen in einem groben Missverhältnis zu dem ge-zahlten Preis stehen, dann ist das schon heute eine un-rechtmäßige Parteispende. Dazu hätte es Ihres Antrageserst gar nicht bedurft.
Ich finde es gut, dass die Kollegin Fograscher gesagthat, dass man das gemeinsam löst. Sie ist daran interes-siert, weil sie die Situation der Schatzmeisterin der So-zialdemokraten kennt. Diese ist immer wieder darum be-müht, dafür zu sorgen, dass insbesondere dieUnternehmensbeteiligungen der SPD
– die Kreuzfahrtschiffe, aber auch die Medienbeteiligun-gen –, aus denen sie erhebliche Gewinne, aber auch si-cherlich nicht nur Nachteile im medialen Auseinander-setzungskampf zieht, nicht in den Rechenschaftsberichtkommen, sondern die großen Unternehmen, die die SPDetwa im Medienbereich besitzt, fein säuberlich und sorg-sam ausgeklammert werden.Hören wir also auf, uns gegenseitig genau die Dingeim Rechenschaftsbericht vorzuwerfen, die vielleicht einCharakteristikum der eigenen Parteienfinanzierung sind!Hören wir auch auf, die repräsentative Demokratie ins-gesamt dadurch zu beschädigen! Ich glaube, wir habenein hohes Maß an Transparenz. Ich bin durchaus bereit– habe auch an entsprechenden Runden schon teilge-nommen –, im ein oder anderen Fall, wie Herr Schusterauch, für noch mehr Transparenz zu sorgen. Hören wirauf, uns gegenseitig solche Vorwürfe zu machen, wie siein Ihren Anträgen zu lesen sind.Ich habe mir einmal einige Worte der Rede des Kolle-gen Beck aufgeschrieben. Er fordert vom Bundestags-präsidenten, dass er uns einen Freispruch erteilt.
Das ist die typische Rhetorik einer gewissen Kamp-fesauseinandersetzung. Freisprüche gibt es nur dort, woes Anklagen gibt. Wir sind in keinem dieser Verfahrenauch nur angeklagt.
Insofern bitte ich darum, damit aufzuhören, hier zu insi-nuieren, es sei hier irgendetwas Rechtswidriges odernicht Verfassungsgemäßes im Gange.
Da ist immer die Rede von Freispruch oder Affäre. Alleswird gleich ungeheuer hochgespielt. Ich glaube, dassdies dem Ansehen von uns allen nicht guttut.Ich wünsche Ihnen allen einen guten Nachhauseweg.Lassen Sie uns beim nächsten Treffen
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Dr. Stefan Ruppert
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etwas sachgerechter, ordentlicher und besser diskutieren,Herr Wieland. Auch sonst sind wir uns ja ab und zu ei-nig.Danke.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Raju
Sharma das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsliegt jetzt gerade der zweite Umsetzungsbericht der Staa-tengruppe GRECO vor; das haben wir gehört. Derzweite Umsetzungsbericht ist – wenig überraschend –für die Bundesrepublik wieder einmal peinlich. Bei denThemen Parteiensponsoring, Unternehmensspenden,Spendenobergrenzen hat sich nichts bewegt. Da steht dieKoalition immer noch auf der Bremse.Das ist auch nicht neu. Schon nach dem ersten Umset-zungsbericht hatte Bundestagspräsident Lammert dieFraktionen und damit das Parlament gebeten, sich derSache anzunehmen. Mein Fraktionsvorsitzender GregorGysi hat alle Fraktionsvorsitzenden zu einer gemeinsa-men Initiative eingeladen. Passiert ist nichts. Nun habendie Grünen einen Antrag vorgelegt. Sie wollen Unter-nehmensspenden an Parteien verbieten. Ich sage: Herz-lich willkommen im Klub. Sehr gut!
Noch besser wäre es aber, wenn Sie das, was Sie fordern,jetzt schon umsetzen würden: Nehmen Sie einfach keineUnternehmensspenden mehr an!
Ähnlich die SPD: Deren Schatzmeisterin BarbaraHendricks hat kürzlich zu Recht darauf hingewiesen,dass die Unternehmensspenden bei der Gesamtfinanzie-rung der SPD nur einen Bruchteil ausmachen.
Da sage ich: Das ist richtig; das kann man nachlesen.Aber umso leichter sollte es der SPD doch fallen, aufdiese Unternehmensspenden zu verzichten und das Geldeinfach nicht mehr anzunehmen. Das ist möglich. Dasgeht alles freiwillig und sofort. Die Linke macht es vor:Wir nehmen keine Unternehmensspenden an, und wirlassen auch unsere Parteitage nicht sponsern. Dafürbraucht man im Übrigen auch gar kein Gesetz.
Man kann das also machen, wenn man einfach nur denguten Willen hat.
Nur, der gute Wille ist eben nicht überall da. Weil dergute Wille eben nicht überall vorhanden ist, brauchenwir vielleicht doch ein Verbot von Unternehmensspen-den.Der Unterschied zwischen Privatspenden und Unter-nehmensspenden ist doch folgender: Bei Privatspendenstehen häufig selbstlose Motive im Vordergrund; bei Un-ternehmen ist das völlig anders. In der Wirtschaft giltimmer das Prinzip – das darf ich den Kollegen von derFDP noch einmal sagen –: keine Leistung ohne Gegen-leistung. Das ist das Normalste von der Welt, und daskann man den Unternehmen auch gar nicht vorwerfen.Aber man kann es der FDP und den Parteien insgesamtvorwerfen, wenn sie Gelder annehmen, die der politi-schen Landschaftspflege dienen. Dann wird gefragt:Welche Landschaften blühen da eigentlich hinterher? –Das kann man nicht wollen.
Ich sage einmal: Wenn Mövenpick der FDP einen di-cken Spendenscheck überreicht und kurz darauf dieMehrwertsteuer für Hoteliers gesenkt wird, dann istdoch klar – die Vermutung liegt doch nahe –, dass dieMenschen den Eindruck haben: Hier wird Politik ge-kauft, hier werden Entscheidungen gekauft. Das ist dochdas Problem.
Dass dieser Eindruck entsteht, wollen wir nun vermei-den. Deswegen wäre es das Konsequenteste, wenn wiralle zusammen uns dafür aussprächen. Liebe Kollegenvon der FDP, stimmen Sie doch den Anträgen in Ihremeigenen Interesse zu, am besten dem der Linken, notfallsauch dem der Grünen, der geht ja auch in die richtigeRichtung!
Beim Sponsoring ist es im Grunde ähnlich; wir sinduns außerhalb der Koalition einig, dass wir da eine Re-gelung brauchen. Denn es ist doch klar: Wenn die Bahnden Parteitag der Grünen sponsert und der Versiche-rungskonzern das Sommerfest der FDP und die Pharma-lobby den Parteitag der CDU, dann handelt es sich imGrunde um eine Spende, die jedoch nicht im Rechen-schaftsbericht auftaucht.
stimmt!Das wiederum ist ein Problem mangelnder Transparenz.Die Grünen fordern, über das Verhältnis von Leistungund Gegenleistung nachzudenken. Wenn Parteien großeSummen erhalten und dafür nur kleine Werbetafeln auf-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27407
Raju Sharma
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stellen, dann wird das alles sehr fragwürdig. Ich mag da-rüber gar nicht nachdenken. Konsequenter wäre es,wenn wir sagen würden: Wir verbieten auch das Partei-ensponsoring. Stimmen Sie doch unserem Antrag in demPunkt zu.
Noch ein Wort in eigener Sache. Ja, die Linke willUnternehmensspenden verbieten; das ist richtig. Aberdas heißt nicht, dass wir kein Geld wollen. Nur setzenwir nicht auf Unternehmen; wir setzen auf die Spendenunserer Mitglieder und Sympathisanten.
Statt um 5 Großspenden über 150 000 Euro werben wirum 150 000 Spenden à 5 Euro; da kann jeder mitma-chen. Unser Spendenkonto ist Tag und Nacht geöffnet,aber unsere Politik ist nicht käuflich.Als Bundesschatzmeister meiner Partei darf ich Ihnenjetzt ein allerletztes Angebot machen: Lassen Sie unsdoch hier und heute die Vereinbarung treffen, dass wiralle ab heute bis zur Bundestagswahl keine Unterneh-mensspenden annehmen und unsere Parteitage nichtmehr sponsern lassen. Wir sind dabei. – Sind Sie esauch?
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11877 und 17/9063 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 20. Februar 2013, 13 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Unterneh-
mungen bis dahin.
Die Sitzung ist geschlossen.