Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.Wir können heute ohne zusätzliche Ankündigungenoder Veränderungsmeldungen gleich in unsere Tagesord-nung eintreten.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst-
– Drucksache 17/1953 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt esfdaMwmPdKWtfcFcGawWavwRedetkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält derBundesminister der Verteidigung, Dr. Freiherr zuGuttenberg.Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-desminister der Verteidigung:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Am 19. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierungden Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010beschlossen, um den Wehrdienst und in dessen Folgeauch den Zivildienst auf sechs Monate zu verkürzen. Ichbin dankbar, dass dieser Gesetzentwurf vonFraktionen der CDU/CSU und FDP aufgegriund jetzt auch aus der Mitte des Parlaments ewird. Damit sind wir in der Lage, das Gesetzg
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beiden auch international anerkannten Markenzeichender Bundeswehr beigetragen: hohe Professionalität undfeste Verankerung in Volk und Staat.Ich war und bin daher ein grundsätzlicher Befürwor-ter der allgemeinen Wehrpflicht. Es ist gerade die Ziel-setzung der Verkürzung des Grundwehrdienstes, dieallgemeine Wehrpflicht auch unter den modernen Rah-menbedingungen und einer möglichst geringen Belas-tung aufrechtzuerhalten.Sie wissen aber auch, dass Grundlage für unsere bis-herigen Planungen ein Streitkräfteumfang von insge-samt 225 000 Soldatinnen und Soldaten war.Nun sind zwei Gesichtspunkte miteinander in Verbin-dung zu bringen: zum einen eine grundlegende Struktur-reform, die bereits zu Beginn auch meiner Amtszeit inihrer Ausgestaltung und mit Blick auf die Einrichtung ei-ner Kommission auf den Weg gebracht wurde – es istunbestritten, dass die Bundeswehr strukturell reformiertwerden muss –, und zum anderen der Umstand, dassauch der Verteidigungshaushalt seinen Beitrag zur allge-meinen Haushaltskonsolidierung leisten muss. Auchdie Bundeswehr bleibt nicht von den gegebenen finanz-politischen Zwängen und Entwicklungen unberührt.Allerdings dürfen nicht die finanzpolitischen Zwängeund Entwicklungen allein die künftige Struktur der Bun-deswehr bestimmen, sondern die künftige Struktur derBundeswehr muss sich letztlich aus ihrem Auftrag, ihrenZielsetzungen und den künftigen Herausforderungen de-finieren. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich vertrete von daher die Position, dass letztendlichder entscheidende Maßstab für die Bundeswehr erfüllbarbleiben muss, nämlich die Fähigkeit zum Einsatz imRahmen des gegebenen und auch des künftigen Aufga-benspektrums. Ein Denken vom Einsatz her ist etwas,was wir letztlich schon seit 20 Jahren als Realität begrei-fen müssen, auch wenn wir uns einige Male unglaublichschwergetan haben, dieser Realität nachzukommen. Esist Realität, und es wird Realität bleiben.Wenn ich von der Fähigkeit zum Einsatz spreche,dann ist es für mich selbstverständlich, dass Einsätze un-serer Soldatinnen und Soldaten nicht nur rechtlich undpolitisch legitim, sondern immer auch militärisch ver-tretbar und verantwortbar sein müssen. Dies bedeutetnicht allein eine angemessene Ausrüstung – das selbst-verständlich in besonderer Weise –, sondern auch hin-reichende Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten,richtige Laufbahn- und Personalstrukturen sowie best-mögliche soziale und materielle Rahmenbedingungen.Gerade letztere haben eine bedeutende Auswirkung aufdie Sicherstellung der Motivation und damit auf die Fä-higkeit, im Einsatz zu bestehen und richtig zu handeln.Dies unter den gegebenen wie künftigen nicht nur finan-ziellen Bedingungen zu leisten, ist eine erhebliche He-rausforderung.Entsprechend der Beschlussfassung, die wir in derBundesregierung einvernehmlich getroffen haben, wer-drVlsWtrwBaskgmtwmwgmettgmvprdidWcRsgTtpvssdsZM1o
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Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieletzten paar Wochen, Herr Minister, haben gezeigt, dassSie ein vollwertiges Mitglied dieser Bundesregierungsind. Sie haben das allgemeine Chaos in dieser Regie-rung endgültig auch in Ihr Ressort geholt.
Sie reden heute so, vorgestern anders. Sie irritieren dieÖffentlichkeit, das Parlament und vor allen Dingen dieSoldaten, die in diesen schwierigen Zeiten Orientierungstatt Irritation bräuchten.In Ihrer heutigen Rede haben Sie viermal das Wort„Planungssicherheit“ in den Mund genommen. Dasfinde ich ziemlich abenteuerlich. Einerseits nehmen Siedas Wort „Planungssicherheit“ in den Mund, anderer-seits wollen Sie ein Gesetz im Schweinsgalopp durch dieparlamentarischen Gremien peitschen. Das Wort„Schweinsgalopp“ ist angesichts der Titulierungen, dieSie inzwischen untereinander gebrauchen, durchausmehrdeutig.
Sie sprechen von Planungssicherheit, kündigen aber inderselben Rede an, dass das, was wir heute beschließenund was der Bundeswehr in der Umsetzung bis 1. Juligroße Mühe bereitet, im September möglicherweiseschon nicht mehr stimmt.
Was ist das für eine Planungssicherheit, meine Damenund Herren von der Koalition?
Herr Minister, das, was in den letzten 14 Tagen abgelau-fen ist, ist in Wirklichkeit eine Demütigung aller seriö-sen Außenpolitiker und Sicherheitspolitiker in derUnion. Dies finde ich unerträglich.
Sie haben das Parlament und sich selbst unabge-stimmt unter Druck gesetzt. Warum? – Sie haben zweiGründe, dieses Gesetz durchzupeitschen. Erstens sagenSie, dass es so im Koalitionsvertrag steht. Darin stehtaber viel Unsinn, den Sie zwischenzeitlich korrigierenmussten. Sie merken jeden Tag, dass das, was KurtSchumacher in den 50er-Jahren gesagt hat, auch heutenoch gilt: Nichts ist lehrreicher als die Wirklichkeit.
Deshalb sollte man sich nicht auf diesen Koalitionsver-trag berufen.straaggcnsszusbmtdnNmtAkmdlIsdmkSSdsiesltSnrLdc
Herr Minister, ich habe mir Ihre Hamburger Redeehr genau angeschaut. Ich finde es schon witzig. Überwanzigmal haben Sie sich in dieser Rede selbst gelobtnd über sich gesagt, dass Sie der Herr der klaren Worteind. Es ist sehr interessant, dass Sie sich so oft selbst lo-en. Vielleicht reicht es Ihnen auf Dauer doch nichtehr, dass nur noch die Zeitungen mit den großen bun-en Bildern positiv über Sie berichten.Aber leider stimmt dieses Selbstlob nicht. Klartext re-en wäre etwas anderes. Klartext wäre, angesichts der fi-anziellen Debatte für Präzision zu sorgen. Dazu gehört:atürlich kann die Bundeswehr nicht von den Sparbe-ühungen ausgenommen werden; das würde auch gel-en, wenn Sozialdemokraten die Regierung führten.ber zur Wahrheit gehört auch: Ein Teil der Schulden-rise ist von Ihnen selbst verursacht.Wenn Sie nicht bereit sind, für vernünftige Einnah-en zu sorgen, dann weinen Sie bitte auch keine Kroko-ilstränen vor den Soldaten und erklären Ihnen nicht, al-es sei so schlimm, und Sie könnten nicht anders. Es isthre Partei, die CSU, die die Absenkung der Mehrwert-teuer für Hoteliers beschlossen hat, es ist Ihre Partei, dieafür gesorgt hat, dass Erben weniger Steuern bezahlenüssen. Auch diese Wirklichkeit müssen die Soldatenennen.
In der Debatte der letzten Tage habe ich gelernt, wasie unter intelligentem Sparen verstehen, Herr Minister.ie sparen über 8 Milliarden Euro im Bereich des Vertei-igungshaushaltes. Wenn man das Kleingedruckte liest,tellt man aber fest: Mehr als die Hälfte des Betrages sollm Jahr 2014 aufgebracht werden, in einem Jahr, in dems zuvor eine Bundestagswahl gegeben hat, Sie wahr-cheinlich nicht mehr Minister sind und diese Koalitionängst so deutlich abgewirtschaftet hat, dass sie kein Ver-rauen mehr bei den Bürgern hat. Das heißt, intelligentesparen ist für Sie, die Lösung der Probleme auf dieächste Legislaturperiode und die nächste Bundesregie-ung zu schieben. Ich könnte auch sagen: Es ist eineuftnummer, eine Luftbuchung, die nur dazu da ist,eutlich zu machen, dass Sie die 8 Milliarden Euro errei-hen.
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Rainer Arnold
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Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun, undzwar deshalb nicht, weil eine Absenkung des Personal-umfangs bei der Bundeswehr um 40 000 Zeitsoldatennicht nur die Bundeswehr verändern würde – dazu sageich noch etwas –, sondern auch der Bedeutung und denInteressen unseres Landes in Europa und innerhalb derNATO in keiner Weise gerecht würde. Ich glaube schon,dass es zu einer moderaten Absenkung des Personalum-fangs kommen muss. Aber wer den Personalumfang um40 000 auf 150 000 senken will, der muss eines wissen:Ja, dies kann man machen. Die Briten machen es ähn-lich. Es lohnt sich aber, genau zu schauen, was es für dasinnere Gefüge einer Armee bedeutet, wenn Soldatenhäufig und langandauernd im Einsatz sind, herausgelöstaus Familie, sozialem Umfeld, Elternbeirat, Kirche undVerein. Dies ist dann eine Armee, die mit der deutschenTradition und Kultur, mit Staatsbürgern in Uniform undinnerer Führung, am Ende nichts mehr zu tun hat. Diesalles haben Sie nicht abgewogen und nicht diskutiert.
Hinzu kommt: Selbst wenn Ihre Kommission amEnde sagt, eine Absenkung um 40 000 Mann sei absurd,und es zu einer moderaten Absenkung des Personalum-fangs kommt, ist das in keiner Weise mit Ihrem vorge-legten Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes kom-patibel. Wenn wir die Zahl der Zeit- und Berufssoldatensenken, brauchen wir logischerweise auch wenigerWehrpflichtige, damit es im Lot ist und keine zu großenAusbildungskapazitäten gebunden werden. Aber daskönnen Sie gar nicht. Das Bundesverfassungsgerichtwird Ihnen die Rote Karte zeigen, wenn Sie immer weni-ger junge Menschen einberufen. Wir haben schon jetztdas Problem, dass ein einfaches „Weiter so“ bei derWehrpflicht – die Union wollte ursprünglich nach demMotto „Augen zu und durch“ verfahren – in keinerWeise machbar ist, und zwar nicht nur in verfassungs-rechtlicher Hinsicht.
Auch die veränderte Berufs-, Ausbildungs- und Studien-welt ist in keiner Weise mehr kompatibel mit der derzei-tigen Einberufungspraxis.Nun reden Sie häufig davon, dass Sie Gemeinsamkeitund Konsens suchen. Die Wehrpflicht wäre ein Muster-beispiel für die Organisation eines Konsenses in der Ge-sellschaft. Sie ist mehr als eine Einzelentscheidung dergerade vorhandenen Mehrheit. Vielmehr geht es umGrundüberzeugungen vieler Menschen sowie die innereVerfasstheit und Struktur der Bundeswehr. Herr Minis-ter, wir bieten Ihnen nochmals an: Reden Sie mit unsauch über den Vorschlag, den meine Partei seit langemauf den Tisch gelegt hat! Dieser Vorschlag bedeutet imKern: Lasst uns in allen – in allen! – gesellschaftlichenBereichen die Freiwilligkeit stärken – das ist eine ak-zeptierte, positive Idee – und beruft diejenigen jungenMänner zur Bundeswehr ein, die sich freiwillig entschie-den haben, ihren Grundwehrdienst zu leisten. Das funk-tioniert in anderen Ländern im Norden Europas rechtgut. Darüber müssen wir reden; denn dieses Modell bie-tet die Chance, ohne Ärger mit den Gerichten wenigerjunge Menschen einzuziehen. Das Modell bietet einewWLkdSputTmsmFuAVSDwnfgmeuksDdrocfgswddd
Die Kollegin Elke Hoff erhält nun das Wort für die
DP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollegernold, ich schätze Sie sehr aus der Zusammenarbeit imerteidigungsausschuss. Sie reklamieren immer wiedereriosität bei der Beurteilung der Verteidigungspolitiker.as hätten Sie heute selbst an dieser Stelle, also in dieserirklich wichtigen Debatte, zum Ausdruck bringen kön-en.
Die Diskussion der vergangenen Wochen in der Öf-entlichkeit, aber auch unter den Kolleginnen und Kolle-en des Deutschen Bundestages hat sehr deutlich ge-acht, dass die Bundeswehr einen weiteren Schritt aufinem sehr schwierigen Weg hin zu den Einsatzrealitätennd den voraussichtlichen Sicherheitsszenarien der Zu-unft eingeschlagen hat. Ich glaube, dass diese Diskus-ion trotz aller Kontroversität wichtig und richtig ist.en Menschen wird nämlich die Möglichkeit gegeben,arüber nachzudenken, ob sich die zukünftigen Struktu-en der Bundeswehr an Szenarien der Vergangenheitder an Szenarien der Zukunft orientieren sollten.
Viele Kolleginnen und Kollegen haben bei ihren Besu-hen im Einsatz oder auch bei Standortbesuchen die Er-ahrung machen können, dass die heutigen Anforderun-en an die Bundeswehr die an eine professionelle Armeeind. Bis heute hat mir noch niemand erklären können,arum Grundwehrdienstleistende in diesem Kontext eineerart wichtige Rolle spielen, dass die Einsatzfähigkeiter Bundeswehr durch eine Verkürzung der Wehrdienst-auer beeinträchtigt wird.
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Elke Hoff
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Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das, was bisherGültigkeit hatte, zur Kenntnis nähmen. Ich habe hohenRespekt vor jedem Kollegen, der sagt, dass in seinerWahrnehmung, dass nach der Tradition, in der er aufge-wachsen ist, in der er die Bundeswehr wahrgenommenhat, in der er selber an der Bundeswehr teilgenommenhat, es für ihn schwer ist, diesen Paradigmenwechsel zuvollziehen. Wenn wir uns die Aufgaben anschauen, diezurzeit nicht nur auf die Bundeswehr, sondern auch aufandere nationale Armeen zukommen, dann können wirfeststellen, dass die Wehrpflicht den geringsten Anteil aneiner angemessenen Ausrichtung der Streitkräfte auf dieZukunft hat.
Es ist bereits an vielen Stellen gesagt worden: DieseFrage darf nicht vor dem Hintergrund der finanziellenZwänge und der Haushaltskonsolidierung betrachtetwerden. Ich möchte Sie an dieser Stelle gern an Art. 87 aAbs. 1 des Grundgesetzes erinnern. Dort steht:Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrerOrganisation müssen sich aus dem Haushaltsplanergeben.Insofern halte ich die Diskussion auch in der Verknüp-fung mit dem, was wir für die Zukunft unserer Bundes-wehr leisten können und wollen, für unabdingbar.
Selbst wenn man sich dazu entschließen würde, dieBundeswehr um 40 000 Zeit- und Berufssoldaten zu re-duzieren, ergäbe sich daraus zwingend, dass die Wehr-pflicht nicht mehr zu erhalten ist,
weil die Möglichkeiten der Ausbildung von Grundwehr-dienstleistenden nicht gegeben sind. Ich darf Ihnen drin-gend ein Gespräch mit dem Generalinspekteur und denInspekteuren der Bundeswehr empfehlen, damit Sie sicheinmal mit den Grundlagen für unsere Entscheidung sehrintensiv und auch vertieft beschäftigen können.Wir werden den heute von der Bundesregierung einge-brachten Gesetzentwurf, der auf den Koalitionsvereinba-rungen zwischen CDU/CSU und FDP fußt, verabschie-den. Wir sind nämlich der Auffassung, dass es notwendigist – die Bundesregierung hat uns davon überzeugt –, denjungen Männern Planungssicherheit zu gewährleisten.Wir reden hier über eine Größenordnung von etwa 10 000Grundwehrdienstleistenden, die am 1. Juli ihren Dienstantreten. Auch von den Verantwortlichen in der Bundes-wehr habe ich bis heute keine Signale bekommen, dassman nicht in der Lage sei, die Verkürzung des Wehrdiens-tes zu bewältigen. Wir glauben, dass wir den jungen Män-nern diese Sicherheit einfach schuldig sind, bis innerhalbder Regierung eine endgültige Vereinbarung, wie es mitder Wehrpflicht in Zukunft weitergeht, gefunden ist.Wir als FDP-Fraktion werden dem vorgelegten Ge-setzentwurf deshalb zustimmen.FsarsSsersGfdeeasDskduEsKvuBmJWkgdteauewTdG
Das Wort erhält nun der Kollege Paul Schäfer für die
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istchon ein tolles Schauspiel, das diese schwarz-gelbe Ko-lition, eine Wunschkoalition, seit Beginn ihrer Regie-ungszeit bietet. Das Rad der Tollheiten dreht sich immerchneller. Beispiel: Bundeswehrreform. Es wird einetrukturkommission eingesetzt. „Alles auf den Prüf-tand“, heißt es. Später hört man nach dem Motto „Darfs ein bisschen weniger sein?“: Es geht um die Optimie-ung der Führungsstrukturen. Jetzt, nach den Sparbe-chlüssen, sieht alles schon wieder ganz anders aus.leichzeitig wird ein wichtiger Bereich aus diesem Re-ormprojekt ausgegliedert, nämlich die Wehrpflicht, alsoie Frage, ob man Zehntausende von jungen Männerninrücken lässt. Das ist eine wichtige Stellschraube, wenns um den Personalumfang der Bundeswehr geht. Daslso wird herausgelöst, weil man sagt: Wir müssen ganzchnell etwas präsentieren.In dieser Frage ist die Koalition aber tief gespalten.ie einen wollen aussetzen, und die anderen wollen aus-itzen, das heißt, alles so lassen, wie es bisher ist. Wasommt dabei heraus? Ein Gesetzentwurf, mit heißer Na-el gestrickt: drei Monate Verkürzung des Wehrdienstesnd des Zivildienstes. Der CDU-Finanzminister erhebtinspruch. Der FDP gefällt es nicht. Kaum liegt der Ge-etzestext auf dem Tisch, kommt die Finanz- und Euro-rise über uns. Das kann man wirklich schon sagen: Derorliegende Gesetzentwurf ist bereits heute Makulatur,nd das ist ganz deutlich gesagt worden.
esser gesagt: Die Finanzkrise ist nicht über uns gekom-en; sie ist Ergebnis der falschen Politik der letztenahrzehnte.
eil man mit dreistelligen Milliardenbeträgen die Ban-en retten muss, Finanzmärkte stabilisieren muss, stei-en die Staatsschulden exorbitant.Jetzt heißt es: Sparen, bis die Schwarte kracht. Seit-em dämmert auch Ihnen die Erkenntnis, dass der Ver-eidigungsetat als drittgrößter Batzen im Bundeshaushaltbenfalls zur Ader gelassen werden muss. Es dämmertuch Ihnen ein bisschen die Erkenntnis: Bei Beschaffungnd Personal kann man nur längerfristig Einsparungenrzielen. Deshalb – das ist genau der Vorgang, mit demir es zu tun haben – ist plötzlich die Wehrpflicht keinabu mehr. Deshalb wird jetzt zart angedeutet: Wir wer-en uns zwar noch ein bisschen Zeit lassen, aber imrunde genommen – das pfeifen die Spatzen von den
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Paul Schäfer
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Dächern – wird das Gesetz, das uns jetzt vorliegt, eineHalbwertszeit von einigen Monaten – nicht mehr! – ha-ben, und dann wird etwas Neues kommen.Was Sie produzieren, ist, finde ich, ein ziemlichesDurcheinander. Sie selber haben untereinander schon soschöne Worte wie „Rumpelstilzchen“ und „Gurken-truppe“ gefunden. So weit muss man gar nicht gehen. Soscharf muss man das gar nicht formulieren. Aber „Chao-tentruppe“ stimmt allemal.
Nun gibt sich der Minister sehr entscheidungsstarkund sagt: „Weiter so!“ kann es nicht geben. Folgt mander Presse in den vergangenen Tagen, scheint er nichtdavor zurückzuschrecken, einer ganz beachtlichenHerde heiliger Kühe die Schlachtbank zumindest zu zei-gen. Das ist auch richtig. Das BMVg hat lange genugüber seine Verhältnisse gelebt. Da muss etwas geändertwerden. Herr Minister, solange Sie sich aber nicht vonsolch heiligen Kühen verabschieden wie dem A400M,dem Transportflugzeug, das viele Milliarden kostenwird, oder dem Afghanistan-Einsatz, der, wie neue Be-rechnungen gezeigt haben, 3 Milliarden Euro im Jahrverschlingt, wird es mit den großen Einsparungennichts.
Richtig ist, dass wir heute über die Beiträge des Wehr-etats zur Entlastung des Bundeshaushalts reden müssen.Die Linke hat dazu schon bei den letzten Haushaltsberatun-gen Vorschläge unterbreitet und aufgezeigt, wo der Rotstiftangesetzt werden kann und muss und wie ein – das ist einwichtiger Punkt – sozialverträglicher Rückbau der Bun-deswehr zu gestalten ist. Wir reden hier über die Beendi-gung der Auslandseinsätze, und wir reden über die Ein-stellung der großen Beschaffungsprojekte, mit denendie Bundeswehr zur globalen Eingreifarmee umgerüstetwerden soll.Die Abschaffung der Wehrpflicht steht auf der Listeziemlich oben; denn, wie gesagt, wenn man eine kurz-fristige Entlastung will, dann ist das die Stellschraube,an der man etwas verändern kann. Hierbei geht es umüber 1 Milliarde Euro, wenn man allein die Besoldungs-gelder für die Wehr- und Zivildienstleistenden zusam-mennimmt.Es geht aber nicht nur um Sparen. Die Wehrpflicht istsicherheitspolitisch überflüssig. Wenn sie sicherheits-politisch nicht zu begründen ist oder nicht mehr zu be-gründen ist, dann darf nicht durch diese Art Zwangs-dienst in elementare Rechte junger Staatsbürgereingegriffen werden.
Auch an diesem heutigen Freitag werden mehr als2 Millionen junge Männer der Wehrüberwachung un-terworfen und dürfen, was viele gar nicht wissen, dasLand nicht einfach für mehr als drei Monate verlassen.Das ist eine Konsequenz dieser Wehrüberwachung.EdioDwtmkhaitBansWzdNzWbbvndwBHpdtlsswldblrkdABsb
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für die sie bestens ausgebildet sind. Das ist die Aufgabe,die jetzt bei der Organisierung ansteht.
An dieser Stelle enthält der Gesetzentwurf geradezueine fatale sozialpolitische Weichenstellung. Mit diesemGesetz wird nämlich ein neues öffentlich-rechtlichesDienstverhältnis begründet, das dem der Beamten aufZeit vergleichbar ist. Es geht hier um die freiwillig län-ger dienenden Zivildienstleistenden. Hier gibt es, wennman es sich genau ansieht, öffentlich-rechtliche Beschäf-tigungsverhältnisse mit Pflichtdienststrukturen, in de-nen weit unterhalb tariflich vereinbarter Löhne bzw. aus-gehandelter Mindestlöhne gearbeitet werden muss. ImRahmen dieses Dienstverhältnisses sollen Leute mit ei-nem Stundenlohn von 3,75 Euro beschäftigt werden. DerMindestlohn, den der Gesetzgeber im Bereich Pflege-hilfskräfte für verbindlich erklärt hat, beträgt im Westen8,50 Euro und im Osten 7,50 Euro. So viel zum ThemaDumpinglöhne und zu dem, was Sie mit diesem Gesetzmit den Zivildienstleistenden vorhaben. Das ist einfachnicht zumutbar und nicht akzeptabel.
Mit der Freiwilligkeit wird es auch nicht weit hersein. Das Gesetz liefert eher eine Steilvorlage dafür, dassZivildienstplätze nur vergeben werden, wenn sich dieZivildienstleistenden von Anfang an länger – statt fürsechs für zwölf Monate – verpflichten. Auch das ist indieser Weise nicht hinnehmbar.
Zu diesem Gesetz ließe sich noch einiges sagen. Daswerden wir sicherlich noch in den Beratungen machen,die Sie jetzt im Schweinsgalopp angesetzt haben. Dasgilt auch für die Anhörung am Montag. Auch in dieserAnhörung wird man sich dazu noch äußern können.Grundsätzlich stelle ich fest: Leider wird mit demvorliegenden Gesetzentwurf nicht damit gebrochen, dassman junge Menschen – aufgrund des Versagens der Poli-tik – weiter als Verschiebemasse behandelt. Die Aufhe-bung der Wehrpflicht wäre die konsequente Zäsur, diejetzt fällig ist. Das wäre haushaltspolitisch vernünftig.Das wäre gerecht, und das wäre ein guter Einstieg ineine überfällige Abrüstung in diesem Land.Danke.
Das Wort erhält nun die Kollegin Agnes Malczak für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieserTage muss die deutsche Politik den einen oder anderenRettungseinsatz durchführen. Auch die Verkürzung derDauer des Wehrdienstes auf sechs Monate ist so ein Ret-tungseinsatz, allerdings kein besonders geglückter. MitdKaltWadgdWnteemsWsfnmEvfDuUd–nrMhdnGVddSüwvmb
er eine sagt Hü, die andere sagt Hott. Mit dieser Hü-nd-Hott-Politik haben Sie das größtmögliche Maß annsicherheit für alle Betroffenen hergestellt.
Aber damit nicht genug: Noch Ende März hat Vertei-igungsminister zu Guttenberg kategorisch behauptetZitat –: „Mit mir ist eine Abschaffung der Wehrpflichticht zu machen.“ Dann kam die Kehrtwende. Jetzt hö-en wir auf einmal teilweise grüne Argumente aus demunde des Ministers. Angesichts der Haushaltsnotlageatte endlich auch der Verteidigungsminister erkannt,ass hohe Ausgaben für eine überkommene Wehrformicht mehr gerechtfertigt sind. Leider entfachte diesereistesblitz bisher kaum mehr als ein Strohfeuer derernunft, das ganz schnell von den Traditionsbataillonener Union gelöscht wurde. Die Wehrpflicht habe sich iner Vergangenheit bewährt – dieses Argument war fürie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, offenbarberzeugend genug, um die dringend notwendige undirklich zeitgemäße Weiterentwicklung der Bundeswehrorerst zu verhindern.Während Sie auf der einen Seite Ihren W-6-Kompro-iss durch das Parlament prügeln, soll jetzt bis Septem-er geprüft werden, ob die Wehrpflicht ausgesetzt wer-
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Agnes Malczak
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den soll. Damit ist einer der wenigen Punkte, auf die Siesich zu Beginn der Regierungszeit einigen konnten, nurein weiterer Prüfauftrag und ein weiterer Zankapfel vonSchwarz-Gelb.
Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht schon langenicht mehr zu rechtfertigen. Es ist die reinste Ver-schwendung, die knappen Ressourcen für diesen konser-vativen Ladenhüter einzusetzen. Dabei wäre es schonvor Jahren höchste Zeit gewesen, sich nicht nur aushaushalterischen, sondern vor allem auch aus sicher-heitspolitischen und militärischen Erfordernissen dieFrage zu stellen, wie die Bundeswehr heute aussehenmuss.
Bis zum September wollen Sie nun über die Wehr-pflicht diskutieren. An dem vorliegenden Gesetzentwurfhalten Sie dennoch fest, angeblich – das wurde heutemehrfach gesagt –, um Rechtssicherheit und Planungs-sicherheit für die Wehrpflichtigen herzustellen. HerrMinister, es ist doch keine besonders kluge Herange-hensweise an die Lösung politischer Probleme, erst eineReform zu verabschieden und sich danach zu fragen, obsie sinnvoll ist.
Welcher der jungen Männer wird durch dieses Hin undHer nicht verunsichert werden? Auch die betroffenenOrganisationen – ob zivile oder militärische – müssennoch lange auf einen klaren Weg warten. Ich bedaueredaher Ihren Mangel an Mut. Aber ich habe die Hoffnungnoch nicht aufgegeben, dass Sie am Ende vielleicht dochnoch die Struktur der Bundeswehr und ihre Wehrformgestalten. Die hier vorgelegte Dienstzeitreform machtaus dem Wehrdienst jedenfalls endgültig eine Aufbe-wahrungsstation für junge Männer und stellt für die Bun-deswehr ein Problem und keine Lösung dar.
Für uns Grüne bleibt es dabei: Die Wehrpflicht mussabgeschafft werden. Die Wehrform der Gegenwart undder Zukunft ist eine Freiwilligenarmee.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Bundesministerin FrauDr. Kristina Schröder.Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ineinem Punkt halte ich es genauso wie meine Vorgänge-rdwitgwAnd–aTuGGlrAZlwVzDRscmDIJrvsuddVmg
n diesen Diskussionen beteilige ich mich als Abgeord-ete oder als Staatsbürgerin, aber nicht als für den Zivil-ienst zuständige Ministerin.
Ich bin eigentlich für alle zuständig, außer für mittel-lte unverheiratete Männer.
rotzdem muss die Wehrpflicht verteidigungspolitischnd kann auch nicht jugendpolitisch begründet werden.Ich stelle fest: Es gibt junge Männer, die von ihremrundrecht, den Dienst an der Waffe zu verweigern,ebrauch machen. In diesem Fall bin ich gefordert. So-ange es den Zivildienst zur Sicherung dieses Grund-echtes geben muss, so lange ist es meine und unsereufgabe, allen Beteiligten einen qualitativ hochwertigenivildienst anzubieten und zu ermöglichen.Mit dieser Zielsetzung bin ich auch in die Verhand-ungen zum Wehrrechtsänderungsgesetz gegangen. Weilir uns aus verteidigungspolitischen Gründen für dieerkürzung des Wehrdienstes entschieden haben, voll-ieht der Zivildienst diese Kürzung mit.
abei war und ist es mein Ziel, auch unter verändertenahmenbedingungen die Qualität des Zivildienstes undeiner in knapp 50 Jahren gewachsenen Strukturen zu si-hern. Genau das ist nach meiner festen Überzeugungit der Einführung eines freiwilligen zusätzlichenienstes im Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 gelungen.m Sinne der etwa 90 000 jungen Männer, die Jahr fürahr Dienst an unserer Gesellschaft leisten, im Sinne derund 38 000 Zivildienststellen, die mit circa 111 000 Zi-ildienstplätzen bundesweit ein dichtes Netz der Für-orge geknüpft haben,
nd im Sinne der vielen hilfsbedürftigen Menschen, dieiese Fürsorge gern und dankbar annehmen, habe ich inen letzten Monaten für die Möglichkeit der freiwilligenerlängerung der Zivildienstdauer gekämpft. Ich freueich, dass wir uns am Ende auf diese Option verständi-en konnten.
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Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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Ich gehe davon aus, dass ich hier weder die bekanntenFakten noch die bekannten Bewertungen wiederholenmuss. Stattdessen will ich die Gelegenheit nutzen, end-lich einmal mit drei Mythen um den Zivildienst aufzu-räumen, die aus meiner Sicht eine sachliche Diskussionhin und wieder erschwert haben.Zivildienst für Profit heißt der erste Mythos, den wirzum Beispiel eben wieder von dem Redner der Linkengehört haben.
Ich meine damit die Behauptung, 30 Prozent der Zivil-dienstleistenden, vor allen Dingen Zivis in Kranken-häusern, würden nicht für das Gemeinwohl, sondern fürden Profit privater Unternehmen arbeiten. Ich denke, Siealle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass es heute fastkeine Krankenhäuser mehr in der Trägerschaft einerKommune gibt.
Die meisten Kreiskrankenhäuser sind heute als eigen-ständige GmbH organisiert und landen in den Berech-nungen schon deshalb in der Schublade mit dem Label„gewinnorientierte Einrichtung“. Dadurch, dass recht-lich selbstständige Krankenhäuser und in diesem Zugeebenfalls der Zivildienst als profitorientiert eingeordnetwerden, kommen auch die genannten 30 Prozent zu-stande.
Diese Argumentation greift aber zu kurz.
Man kann über Trägerstrukturen lange streiten; das isteine gesundheitspolitische Diskussion. Aber die Praxisim Zivildienst ist absolut klar und einfach und im Übri-gen auch mehrfach gerichtlich bestätigt worden. Als Zi-vildienststellen werden nur Einrichtungen anerkannt, dieentweder vom Finanzamt von der Körperschaft- undUmsatzsteuer befreit sind oder die in den Krankenhaus-bedarfsplan eines Landes aufgenommen wurden. DasBundesamt für den Zivildienst hält sich strikt an diesevor Ort getroffenen Einschätzungen zur Förderungswür-digkeit einzelner Einrichtungen.
Dem zweiten Mythos will ich entgegenhalten: Reali-tätsfern ist auch die Diskussion um die Arbeitsmarkt-neutralität des Zivildienstes. Es ist natürlich ganz klar:Wenn man von einem Tag auf den anderen diejenigenaus dem Sozialbereich abziehen würde, die dort ohnePismdgDbbP1ZEmKEMmdJmgdKlsirscgSklkuR
00 Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes für denivildienst sind ständig bundesweit unterwegs, um dieinhaltung dieser strikten Vorgabe zu kontrollieren. Da-it haben wir im Zivildienst das engmaschigste Netz anontrollen, viel engmaschiger als bei jeder anderenngagementform in Deutschland.
Für sachlich unbegründet halte ich auch den drittenythos, der in den Diskussionen der letzten Wochen im-er wieder bemüht wurde. Es wurde teilweise der Ein-ruck erweckt, dass man junge Männer sozusagen vomoch des Zivildienstes befreien müsste. Da frage ichich schon, mit wie vielen Zivildienstleistenden diejeni-en, die sich als Befreier der jungen Männer vom Joches Zivildienstes geben, eigentlich gesprochen haben.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Vogler?
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
ie, Senioren, Frauen und Jugend:
Ja.
Bitte schön.
Liebe Frau Ministerin, was Sie berichten, hört sichehr schön an. Aber Sie haben sicherlich genauso wiech diese Woche die Zeitschrift Der Zivildienst aus Ih-em Hause auf den Tisch gelegt bekommen. Wenn manie aufschlägt, dann findet man darin einen ausführli-hen Artikel über einen Zivildienstleistenden, der denrößten Teil seines Zivildienstes mit Laubkehren,chneeschieben und Rasenmähen verbracht hat. Daann ich aber, ehrlich gesagt, die Arbeitsmarktneutra-ität nicht so richtig erkennen; denn auch dann, wenn eseine Wehrpflicht gibt, muss eine Grünanlage von Laubnd die Wege von Schnee befreit werden und muss derasen gemäht werden.
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4824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Kathrin Vogler
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Ich möchte Sie bitten, mir folgende Fragen zu beant-worten: Kennen Sie diese Publikation aus Ihrem Hause?Haben Sie sie gelesen? Wie stehen Sie zu dieser Art vonZivildienststellen?
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Frau Kollegin, so ganz aufmerksam haben Sie die Pu-blikation aus meinem Hause leider nicht gelesen, sonsthätten Sie den Artikel anders zusammengefasst. Aber esändert nichts an der Tatsache, dass bei jedem einzelnenZivildienstplatz die Arbeitsmarktneutralität strikt über-prüft wird.
Wenn die Arbeitsmarktneutralität verletzt wird, dann be-kommt der Zivildienstträger seine Zulassung aberkannt.Dieses Regime ist das strengste bei allen Engagement-formen, die wir in Deutschland haben.
Sachlich unbegründet ist auch der dritte Mythos, derimmer wieder bemüht wird, dass man die Zivis sozusa-gen aus dem „Joch des Zivildienstes“ befreien müsste.
Wer da den Befreier gibt, den frage ich, ob er überhauptschon einmal mit Zivildienstleistenden gesprochen hat.Wenn Sie mit Zivildienstleistenden am Ende ihresDienstes sprechen, dann wissen Sie, dass sie alle beto-nen, dass der verpflichtende Charakter des Zivildiensteseher eine untergeordnete Rolle spielt. Für sie steht viel-mehr die Prägung der eigenen Persönlichkeit durch denZivildienst im Zentrum.Wichtig ist, dass jedem Zivildienstleistenden eineVielzahl unterschiedlicher Angebote offen steht. Rund98 Prozent aller Zivildienstpflichtigen suchen sich selbstihre Dienststelle und vereinbaren die Einzelheiten desDienstes direkt mit der Einrichtung. Das ist eine Selbst-steuerung, die hervorragend funktioniert. Das sorgt füreine hohe Motivation der jungen Männer. Das sorgt auchfür einen Wettbewerb der Dienststellen um die jungenMänner. Das führt dazu, dass fast alle Zivis am Ende ih-res Dienstes ein ausgesprochen positives Fazit ziehen.
Deshalb sind auch die Unkenrufe zum freiwilligenzusätzlichen Dienst fehl am Platz. Solange es einenWettbewerb der Einrichtungen um die jungen Männergibt, so lange müssen wir uns keine Sorgen machen, dassan irgendeiner Stelle Zivis in größerer Zahl unbemerktunter Druck gesetzt werden.Im Übrigen, meine Damen und Herren, gibt es vielePersonen des öffentlichen Lebens, die in jungen JahrenZwDdLdfldgzddaIGrdgubSKnsAeZIVb
Man kann zur Wehrpflicht stehen, wie man will. Aberwei Dinge müssen klar sein: Der Zivildienst kann undarf die Wehrpflicht nicht begründen. Aber umgekehrtarf derjenige, der sich über die Wehrpflicht ärgert, nichtuf den Zivildienst einprügeln.
m Interesse der jungen Männer, die so viel für unsereesellschaft leisten und die auch künftig etwas von ih-em Zivildienst haben sollen, will ich die hohe Qualitätes Zivildienstes erhalten und den Zivis auch in Zukunftute und interessante Angebote machen. Ich bitte Sie,nabhängig von Ihrer Haltung zur Wehrpflicht, mich da-ei zu unterstützen.
Dr. Hans-Peter Bartels ist der nächste Redner für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktio-en, wir könnten es uns leicht machen, da Sie es schonchwer genug haben.
ber wir haben natürlich ein eigenes Interesse daran, zuiner guten Lösung zu kommen. Wir erkennen Ihreweifel an der vorliegenden Lösung und verfolgen mitnteresse die öffentliche Auseinandersetzung über dieorschläge aus dem Verteidigungsministerium. Sie ha-en recht, Frau Ministerin: Das Verteidigungsministe-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4825
Dr. Hans-Peter Bartels
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rium ist bei der Wehrpflicht federführend, der Zivildienstist davon abgeleitet.Da wird die Wehrpflicht vor der Sparklausur derBundesregierung einfach so infrage gestellt. Daraufhinmuss die Bundeskanzlerin selbst sagen: Eine solche Ent-scheidung trifft man jetzt nicht hoppla-hopp in drei Ta-gen. Wenn man darüber reden will, dann muss man sichZeit nehmen – und gute Argumente bereithalten; aberdas hat sie so nicht gesagt.
Der Parteivorsitzende Seehofer muss darauf hinwei-sen, dass die CSU – das begrüßen wir – eine Partei derWehrpflicht ist und dass man die Wehrpflicht nicht maleben so abschafft. Auch der ehemalige Verteidigungs-minister Jung hat in diesen Tagen Gelegenheit gefunden,noch einmal darauf hinzuweisen, was für eine gute, be-deutende, traditionsreiche und erfolgreiche Errungen-schaft die Wehrpflicht für unsere Armee in der Demo-kratie ist. Vielen Dank dafür! Dieser Konsens bestandauch damals in der Großen Koalition.Das, was wir jetzt von dieser Koalition erleben, istauch nach den Reden der beiden Minister, die wir geradegehört haben, der Einstieg in den Ausstieg aus der Wehr-pflicht. Sie argumentieren schon so, dass Sie in einemhalben Jahr oder in neun Monaten daran anschließenkönnten und die Idee des Ausstiegs nicht vollständig de-mentieren müssten. Diese Reden sind schon der Einstiegzur Abschaffung der Wehrpflicht. Ich hoffe, den Kol-leginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen istklar, wozu sie in der nächsten Woche – das ist ein Ver-fahren im Schweinsgalopp – die Hand heben wollen: umeine Veränderung vorzunehmen, die nur ein Übergangs-stadium sein soll.Die Gründe für den Übergang sind in der HamburgerRede des Verteidigungsministers relativ deutlich gewor-den. Noch deutlicher als die Rede war die Punktation,also das Thesenpapier, das das Verteidigungsministe-rium – das war offenbar hochoffiziell – danach verbreitethat. Da heißt es – ich zitiere das einmal; das muss mansich auf der Zunge zergehen lassen –:Der mittelfristig höchste strategische Parameter,quasi als Conditio sine qua non,– wir sprechen Latein! -unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltetwerden muss, … ist das globalökonomisch gebo-tene und im Verfassungsrang verankerte Staatszielder Haushaltskonsolidierung …– Also die Schuldenbremse! Das heißt, entscheidend fürdie Strategie der Bundeswehr ist die Schuldenbremse.Das ist eine absurde Definition sicherheitspolitischer In-teressen der Bundesrepublik Deutschland.
Warum halten wir an der Wehrpflicht fest; warumglauben wir, dass die Wehrpflicht die bessere Wehrformfür unsere Armee ist?–GwDgfgddmrgdafarhpddodhlPgesAfgbgdgnwsiddnhdtunt
Nein. – Warum verweise ich darauf, dass wir in derroßen Koalition gemeinsam festgestellt haben: „Wirollen daran festhalten“?
as haben wir auf unserem Parteitag, der das Wahlpro-ramm für diese Wahlperiode beschlossen hat, erneutestgestellt. Für die SPD gehört das zu den guten Errun-enschaften der Bundesrepublik Deutschland, dass sichie Wehrpflicht in der Demokratie bewährt hat, weil sieie intelligentere Armee hervorbringt, weil sie die Ar-ee in der ganzen Gesellschaft verankert und weil es da-über übrigens auch einen Konsens in der Bevölkerungibt. Die große Mehrheit der Bevölkerung, etwa Zwei-rittel, unterstützt die Wehrpflicht. Das ist – zugegeben –llerdings altersabhängig unterschiedlich.Wer glaubt, dass die Aussetzung oder die Abschaf-ung der Wehrpflicht zu einer günstigeren Freiwilligen-rmee führt, der möge sich anschauen, wie das in ande-en Ländern, die die Wehrpflicht abgeschafft haben,eute tatsächlich aussieht. Haben sie keine Budget-robleme? Haben sie die bessere Armee? Bekommen sieas Personal, das sie wirklich brauchen? Sind sie dort iner Gesellschaft breit verankert? Wenn wir nach Spaniender Großbritannien schauen und hören, was uns dieort Verantwortlichen sagen, dann sehen wir: Es gibt er-ebliche Probleme, die wir bisher nicht hatten. Wir wol-en aber offenbar experimentieren, also werden wir dieserobleme sehenden Auges in Kauf nehmen.Ich sage: Ja, wir brauchen eine Veränderung der ge-enwärtigen Wehrpflichtpraxis. Wir brauchen dann auchine rechtliche Veränderung. Wir brauchen aber ganz be-timmt nicht diese Veränderung, die der Einstieg in denusstieg sein soll; nicht diese Veränderung, die dazuührt, dass in der Bundeswehr erst einmal die ganze Or-anisation umgebaut werden muss.Sie müssen den Ausbildungsbetrieb verändern. Sierauchen mehr Ausbilder. Das wird dann sicherlich billi-er, wenn Sie für einige Monate mehr Ausbildungurchführen müssen. Die Wehrpflichtigen werden weni-er einsetzbar sein. Wer für sechs Monate kommt, isticht nur etwa zu einem Drittel weniger für die Bundes-ehr einsetzbar als derjenige, der neun Monate da ist,ondern er wird ja auch drei Monate ausgebildet. Danachst er aber nicht mehr sechs Monate, sondern nur nochrei Monate in der Truppe. Das ist also kein Vorteil fürie Bundeswehr.Wir sagen aber: Es braucht eine Veränderung, weil esicht sein kann – Kollegin Hoff hat darauf auch schoningewiesen –, dass mit der gegenwärtigen Praxis fastie Hälfte der jungen Männer als untauglich ausgemus-ert wird. Ich glaube, das entspricht nicht dem Gemüts-nd Gesundheitszustand unserer Bevölkerung. Es isticht die Hälfte für den Dienst in den Streitkräften un-auglich. Das ist eher an den Bedarf der Streitkräfte an-
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Dr. Hans-Peter Bartels
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gepasst, der geringer geworden ist. Wir brauchen alsoVeränderungen.Zum Zivildienst, Frau Ministerin. – Die ist jetzt ge-rade nicht mit dabei.
– Okay, sie ist anwesend und dabei.Wir können uns beim Zivildienst auch nicht daraufberufen, dass es bei den jungen Leuten populär sei, dasssie etwa forderten, sie wollten nur noch sechs MonateZivildienst leisten. Der Bundesbeauftragte für den Zivil-dienst, Kreuter, der die Einrichtungen in der Bundes-republik kennt, hat selbst darauf hingewiesen, dass es dieForderung: „Macht das kürzer!“, gerade nicht gibt. Dasist keine populäre Forderung aus den Reihen derer, diebetroffen sind, sondern das ist ein rein koalitionstakti-scher Kompromiss.Daneben steht unser Modell, das wir zur Diskussionanbieten und von dem wir hoffen, dass wir darüber wirk-lich noch einmal reden können. Herr Minister, finden Sieein Format dafür. Debatten im Parlament kann man je-derzeit führen. Im Ausschuss kann man darüber reden.Das ist kein Zugeständnis von Ihnen, sondern so ist dieparlamentarische Demokratie konstruiert. Wir könnennatürlich sagen, was wir meinen. Wenn Sie wirklichwollen, dass es einen Austausch gibt und dass die Dis-kussion zu einem veränderten Ergebnis führt, müssenSie ein Format finden, in dem wir uns darüber austau-schen können, in dem wir unsere und Ihre Vorschlägenebeneinanderlegen und schauen können, was praktika-bel ist.In der heutigen Zeit, in der die Bundeswehr tatsäch-lich weniger junge Leute braucht – nicht mehr einenganzen Jahrgang von 400 000 jungen Leuten, nicht mehr250 000 W-15er wie zur Zeit des Kalten Krieges, son-dern sehr viel weniger –, haben wir die Möglichkeit, denErsatzbedarf der Bundeswehr über Freiwilligkeit zu de-cken, können aber die Grundlage der Wehrpflicht beibe-halten. Von den tauglich Gemusterten werden dann die-jenigen eingezogen, die sich bereit erklären, freiwilligdiesen Dienst zu leisten. So ist es schon bei den Reser-visten: Obwohl Reservisten verpflichtet werden können,Reserveübungen zu machen, wird heute keiner mehr ge-gen seinen Willen verpflichtet; sie kommen freiwillig.Ähnlich ist es bei den freiwillig länger dienendenWehrdienstleistenden. Dieses Element der Freiwilligkeithaben wir schon heute bei der Wehrpflicht eingeführt. Sowollen wir es auch für die Grundwehrdienstleistendenhaben: freiwilligen Grundwehrdienst. Das ist rechtlichmöglich; das wäre die Lösung des Problems, für das wir– ich glaube, da sind wir einer Meinung – eine Lösungbrauchen. Dabei geht es um Wehrgerechtigkeit, aberauch um den Nutzen für die Truppe. Der freiwilligeGrundwehrdienst muss für die jungen Männer und fürdie Bundeswehr von Nutzen sein. Auch den jungenFrauen soll der Grundwehrdienst nicht als Pflicht, son-dern als Möglichkeit offenstehen.zsdHt2owrsFdreWUdFenfsZdsWddmmagdntKnZ
inter dem Titel des Gesetzes, über das wir heute bera-en, steht in Klammern „Wehrrechtsänderungsgesetz010“. Das weist auf eine gewisse Jährlichkeit hin, so alsb wir auch ein Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 zu er-arten hätten. Ich glaube, wenn wir ein Wehrrechtsände-ungsgesetz beschließen, sollte seine Geltung von Dauerein. Wir sollten einen Konsens in diesem Haus finden.inden Sie ein Format dafür! Wir sind bereit.Vielen Dank.
Der Kollege Florian Bernschneider hat das Wort für
ie FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Dauer der Wehrdienstzeit ist sicher seit jeherine Frage der Abwägung. Mit der Verkürzung derehrdienstzeit um drei Monate trifft die Koalition ausnion und FDP diese Abwägung im Sinne der indivi-uellen Freiheit der jungen Männer. Dieser individuellenreiheit räumen wir einen größeren Stellenwert ein, alss bisher der Fall war. Die Verkürzung der Dienstzeit gilticht nur für den Wehrdienst, sondern in der Folge auchür den Zivildienst als Ersatzdienst. Damit können sichowohl die jungen Wehrpflichtigen als auch die jungenivildienstleistenden zukünftig über ein Mehr an indivi-ueller Freiheit freuen.Es ist kein Geheimnis, dass wir Liberale uns bei die-em Thema durchaus mehr hätten vorstellen können.eil es im Kern der Debatte vor allem um die Interessener jungen Menschen in diesem Land geht, darf es inieser Frage kein Denkverbot geben. Deswegen freuenich natürlich die Signale des Bundesverteidigungs-inisters und der Unionsfraktion.Solange es den Zivildienst gibt, stehen wir in der Ver-ntwortung, ihn sinnstiftend auszufüllen. Uns als FDPing es in der Debatte deswegen auch darum, nicht nurrei Monate Freiheit für die jungen Menschen zu gewin-en, sondern eben auch darum, sechs Monate sinnstif-enden Zivildienst für sie zu erhalten.
Es überrascht mich schon, wenn ich dann lese, dass inreisen der Opposition behauptet wird, dies alles seiichts als ein fauler Kompromiss; in nur sechs Monatenivildienst könne man gar nichts Vernünftiges lernen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4827
Florian Bernschneider
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Ich möchte aus einer Statistik des Bundesarbeitsministe-riums zitieren. In dieser Statistik geht es um Praktika inDeutschland. Darin wird festgestellt, dass zwei Drittelaller Praktikanten in Deutschland ein Praktikum absol-vieren, das kürzer als sechs Monate ist. Die Hälfte derPraktikanten absolviert sogar ein Praktikum, das kürzerals drei Monate ist.
Ich bin schon gespannt, ob Sie bereit wären, diesen Prak-tikanten zu sagen, dass ein Einsatz, der kürzer als sechsMonate dauert, nicht sinnstiftend ist.
Ich würde schon gerne sehen, dass Sie den Praktikantendirekt ins Gesicht sagen, dass sie da nichts lernen kön-nen.
Eine Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monatebedeutet sicherlich nicht, dass nicht einige Zivildienst-leistende ein Interesse daran haben können, länger in ei-ner Einrichtung tätig zu sein. Wir als FDP haben uns die-ser Möglichkeit nie versperrt; aber Sie wissen: Es gabkontroverse Diskussionen der Koalitionspartner darüber,wie ein solch längerer Einsatz ausgestaltet wird. Für unsals Liberale war immer klar: Wenn sich ein Zivildienst-leistender nach seinem Zivildienst entscheidet, länger ineiner Einrichtung tätig zu sein, dann muss das freiwilligsein. Mit den Regelungen, die wir in den Gesetzentwurfaufgenommen haben, wird für Freiwilligkeit gesorgt. Ichals Liberaler sage Ihnen: Das ist genau der richtigeSchritt.Betrachtet man die Herausforderungen, vor denen wirangesichts des demografischen Wandels stehen, wirddeutlich, dass das freiwillige Engagement in den kom-menden Jahren immer wichtiger sein wird. Es ist beruhi-gend, schon heute zu sehen, dass sich viele junge Men-schen freiwillig engagieren. Schon heute ist die Zahl derJugendlichen, die sich für den Freiwilligendienst bewer-ben, höher als die Zahl der Zivildienstleistenden im Ein-satz. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir als Li-berale in den Freiwilligendiensten durchaus Potenzialsehen, um den Zivildienst ablösen zu können.
Wir stellen in der Diskussion fest, dass es durchaussinnvoll ist, junge und engagierte Menschen als eine tra-gende Säule zu haben, und zwar unabhängig von derWehrpflicht. Deswegen haben wir in den Koalitionsver-handlungen, aber auch in den Verhandlungen über dieVerkürzung der Dauer der Wehrpflicht und damit des Zi-vildienstes deutlich festgehalten, dass wir die Freiwilli-gendienste in Zukunft quantitativ wie qualitativ stärkenwollen.
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Das Wort erhält der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/
ie Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
erkürzung der Dauer von Wehr- und Zivildienst ist ein
eiteres Paradebeispiel dafür, dass die Bundesrepublik
eutschland noch nie so schlecht regiert worden ist wie
eute.
In den Koalitionsverhandlungen präsentierten sich
DU/CSU und FDP als allerletzte Verteidiger der völlig
ntiquierten Wehrpflicht. Die FDP knickte ein und op-
erte den jahrelang geforderten Ausstieg aus der Wehr-
flicht auf dem Koalitionsaltar. Dann folgte ein halbes
ahr Koalitionskrach über die Verkürzung der Dauer der
ehrpflicht und die Verlängerung der Dauer des Zivil-
ienstes.
Um mit den Worten der Koalitionäre zu sprechen: Erst
anken Union und FDP wie die Rumpelstilzchen, dann le-
en sie hoppladihopp – wohl nicht zufällig auf dem Höhe-
unkt der Guttenberger Kunduz-Affäre – den vermurksten
esetzentwurf einer Gurkentruppe vor, und wenige Tage
evor die Dienstzeitverkürzung im Schweinsgalopp
oder besser: im Wildsautempo – durchs Parlament ge-
eitscht werden soll, bringt zu Guttenberg die Ausset-
ung der Wehrpflicht ins Spiel. Das ist kein seriöses
egierungshandeln. Das ist dreist und schlichtweg dilet-
antisch.
as ist schlicht schlechtes Handwerk und Bad Gover-
ance.
Lieber Kollege Gehring, der Kollege Koppelin würde
hnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Gern.
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4828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
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Herr Kollege, können Sie meine Erinnerung auffri-
schen? Ich erinnere daran: Als Sie mit der SPD in einer
Koalition regiert haben, waren Sie für die Abschaffung
der Wehrpflicht. Wir wollen sie lediglich aussetzen. Die
Sozialdemokraten sind für die Wehrpflicht. Können Sie
mir sagen, was die Grünen damals in der Koalition mit
der SPD beim Thema Wehrpflicht erreicht haben?
Darauf gebe ich Ihnen sehr gerne eine Antwort. Wir
haben intensiv dafür gekämpft, dass die Wehrpflicht auf-
gehoben wird. Sie wissen, dass es in diesem Hohen
Hause nach vielen Jahren der Diskussion einen großen
Konsens darüber gibt, dass wir die Wehrpflicht ausset-
zen können. Die Mehrheit des Hauses muss darum wer-
ben, um das gegen die CDU/CSU durchzusetzen.
Inzwischen gibt es entsprechende Beschlüsse von der
FDP, den Linken, den Grünen und der SPD. Man kann
also sagen: Wir haben erstmals die parlamentarische
Mehrheit, um den Ausstieg aus der Wehrpflicht hinzube-
kommen.
Wir debattieren heute über Ihre lausige Vorlage zur
Dienstzeitverkürzung.
Herr zu Guttenberg, Frau Schröder, ich fordere Sie auf,
diesen Gesetzentwurf zu stoppen.
Legen Sie dem Deutschen Bundestag lieber ein Konzept
vor, wie sich der Ausstieg aus der ungerechten Wehr-
pflicht tatsächlich organisieren lässt; denn sie ist sicher-
heitspolitisch längst überflüssig.
Ihr Vorschlag einer Dienstzeitverkürzung beruht auf
keinem Konzept. Es ist ein vermurkster Koalitionskom-
promiss, der niemandem etwas bringt. Das gilt auch für
die optionale Verlängerung des Zivildienstes. Das ver-
schlimmert das Ganze nur noch.
Was richten Sie eigentlich damit an, Frau Schröder?
Sie sorgen dafür, dass der Zivildienst künftig in der Re-
gel doppelt so lange dauert wie der Wehrdienst. Sie las-
sen zu, dass junge Zivildienstanwärter von Einrichtun-
gen reihenweise Absagen kassieren, wenn sie sich nicht
für mehr als sechs Monate verpflichten wollen. Sie füh-
ren ein neues öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis mit
Pflichtdienststrukturen im Sozialbereich ein. Diese op-
tionalen Mitarbeiter werden einen Dumpinglohn von
3 bis 4 Euro pro Stunde erhalten. Das ist skandalös, weil
dieser Betrag deutlich unter dem Mindestlohn im Pflege-
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enn man das alles zusammennimmt, dann ist das eine
erdammt lange Mängelliste für das erste Gesetz über-
aupt, das Sie als Ministerin zu verantworten haben.
Wir Grüne wissen: Der Zivildienst ist untrennbar mit
er Wehrpflicht verbunden, weil er davon abgeleitet ist.
enn die Wehrpflicht fällt, dann muss man auch den Zi-
ildienst verantwortungsvoll beenden. Deshalb lässt sich
er Zivildienst eben nicht, wie Sie das hier heute ge-
acht haben, sozialpolitisch begründen, sondern immer
ur auf der Basis der Wehrpflicht.
Deshalb denken wir weiter und zeigen Ihnen, wie der
ystemumbau geht. Wir wollen auch den Ausstieg aus
em Zivildienst verantwortlich gestalten. Die Zivitätig-
eiten, die dann wegfallen würden, können durch einen
ix aus neuen, zusätzlichen sozialversicherungspflichti-
en Arbeitsplätzen, einem verlässlichen sozialen Ar-
eitsmarkt und einem massiven Ausbau der Freiwilli-
endienste ersetzt werden. Darum muss es jetzt gehen.
ie dafür notwendigen Mittel stehen im Übrigen zur
erfügung, wenn man aus den Pflichtdiensten aussteigt.
ieser Systemwechsel ist machbar. Man muss nur den
ut dazu haben und eine langfristige Politik beschrei-
en. Das machen Sie eben gerade nicht.
Die Familienministerin ignoriert diese Notwendigkeit
nd greift stattdessen zu verschiedenen Buchungstricks.
ie haben vor ein paar Wochen sogar verkündet, dass es
ngeblich zu einer Aufstockung der Freiwilligendienst-
ittel um 35 Millionen Euro gekommen wäre. Das ist
ber nichts anderes als das Umschichten von Geld. Die-
es Geld wäre nach dem Zivildienstgesetz sowieso aus-
egeben worden. Insofern ist das Gerede von einer Auf-
tockung blanker Hohn.
ie haben noch nichts getan, um die Freiwilligendienste
n diesem Land zu stärken und auszubauen.
Herr Kollege.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4829
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Ich möchte abschließend betonen, dass Sie das Pro-
jekt der Großen Koalition – Zivildienst als Lerndienst –
mal eben nonchalant zur Seite geschoben haben. Die
Bildungsansprüche, die hier im letzten Jahr verabschie-
det worden sind, werden nicht umgesetzt, sondern auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Deshalb sage
ich noch einmal ganz klar: Ziehen Sie Ihren Gesetzent-
wurf zurück! Beenden Sie endlich den Eingriff in die
Grundrechte, Lebensplanungen und Bildungsbiografien
junger Männer! Organisieren Sie endlich den planvollen
Ausstieg aus den Pflichtdiensten und stärken Sie statt-
dessen die Jugendfreiwilligendienste! Denn in der Frei-
willigkeit liegt die Zukunft und nicht in den antiquierten
Pflichtdiensten.
Dorothee Bär ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koppelin, zu-
nächst einmal möchte ich die Frage beantworten, die
Herr Gehring nicht beantworten konnte:
Die konnten an dieser Stelle nichts durchsetzen. So viel
dazu.
In den letzten Tagen wurde sehr viel und medial sehr
aufgeregt über den Wehrdienst debattiert.
In den Monaten zuvor haben wir – hauptsächlich leider
auch medial – eher über den Zivildienst gesprochen, da
die bevorstehende Verkürzung des Zivildienstes und die
Option einer freiwilligen Verlängerung in den letzten
Monaten für sehr viel Aufregung gesorgt haben.
– Es geht überhaupt nicht um die Aufregung in unseren
eigenen Reihen, Herr Kollege Rix. Wir müssen etwas
mehr an diejenigen denken, für die wir das Ganze hier
machen, und wir sollten etwas weniger auf unsere eige-
nen Empfindlichkeiten schauen.
Es geht um die Einrichtungen, besonders in pflege-
und betreuungsintensiven Bereichen. Diese Einrichtun-
gen haben befürchtet, dass sich eine intensive Einarbei-
tung der jungen Männer bei sechs Monaten Zivildienst
nicht mehr lohnt. Für viele junge Männer schien sich die
Gefahr einer biografischen Lücke zwischen dem Ende
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elbstverständlich muss man in einer Demokratie Kom-
romisse machen und kann nicht immer allein seine
ehre durchsetzen. Ich finde, dass CDU/CSU und FDP
einen faulen Kompromiss, wie Sie es nennen, sondern
inen sehr positiven Kompromiss ausgearbeitet haben;
enn die Verlängerungsoption dient sehr stark der Stabi-
ität dieses Systems. Sie liegt im Interesse der Zivil-
ienstleistenden, die so das Zeitfenster zwischen dem
nde des Pflichtdienstes und dem Beginn der Ausbil-
ung sinnvoll nutzen können.
Natürlich wollen auch die Betroffenen das. Reden Sie
inmal mit den jungen Männern und nicht nur hier unter-
inander. Diese sagen: Meine Biografie ist erst abge-
chlossen, wenn ich die Möglichkeit habe, einen Dienst
m Sozialbereich ein Jahr lang durchzuführen. Sie fühlen
ich nach einem halben Jahr eben noch nicht sicher und
efestigt. Diese jungen Männer gibt es zuhauf.
Die Option liegt auch im Interesse der zu betreuenden
enschen, zum Beispiel im Interesse von Kindern mit
ehinderungen und älteren Menschen, die eine feste Be-
ugsperson haben wollen. Dort muss Vertrauen über län-
ere Zeit entstehen und wachsen können.
Frau Kollegin Bär, darf der Kollege Bartels Ihnen
ine Zwischenfrage stellen?
Eigentlich habe ich meiner Kollegin versprochen,
eine zuzulassen, da sie früh heimfahren möchte.
Also, was nun?
Entschuldigung, Sibylle. – Bitte schön, Herr Bartels.
Frau Kollegin, Sie kennen den Bundesbeauftragtenür den Zivildienst, Jens Kreuter. Er musste sich in denetzten Wochen mit den Fragen, ob die Zivildienstleis-enden das angemessen finden, ob sie etwas davon habender ob sie das fordern, auseinandersetzen, weil er beieinen Reisen ständig mit Zivildienstleistenden spricht.
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4830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Dr. Hans-Peter Bartels
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Er hat in einem dpa-Gespräch gesagt, dass die geplanteVerkürzung des Zivildienstes wenig Rückhalt bei denBetroffenen findet. Ich zitiere wörtlich:Die große Mehrheit ist dagegen, weil ihnen derZeitgewinn nichts bringt.Was halten Sie davon?
Das hat doch jetzt überhaupt nichts mit dem zu tun,
was ich hier gerade ausgeführt habe.
– Nein, überhaupt nicht. Wer zuhören kann, ist klar im
Vorteil, Herr Kollege.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Kreuter dauernd im
Gespräch. Ich empfehle Ihnen, das, was ich gerade aus-
geführt habe, nachher im Protokoll nachzulesen; das
wird Sie weiterbilden.
Er sieht das an dieser Stelle überhaupt nicht so. Deswe-
gen werde ich jetzt meine Rede weiterführen.
Die Verlängerungsmöglichkeit ist im Interesse der
Träger und der Einsatzstellen; denn so können sie den
Zivildienstleistenden endlich anspruchsvolle Tätigkeiten
anbieten. Das wird zu einer Akzeptanz führen. Deswe-
gen war die Aufregung Ihrerseits bezüglich der Verlän-
gerungsoption nicht nachvollziehbar.
Der Vorwurf, die Freiwilligkeit sei nicht sicherge-
stellt, ist mehrfach gemacht worden. Die Unterstellung,
die Träger würden die Jugendlichen zwingen, sich zu
verpflichten, möchte ich zurückweisen. Das ist nicht fair
gegenüber denjenigen, die im karitativen Bereich groß-
artige Arbeit leisten. Da sich an diesem Punkt die hef-
tigste Kritik entzündet hat, möchte ich noch einmal
betonen, dass wir in unserem Gesetzentwurf alles Erfor-
derliche vorgesehen haben, um die echte Freiwilligkeit
sicherzustellen. Auch wenn sich der junge Mann nach
zwei Monaten Pflichtdienst für die Verlängerung ent-
schließt, kann er später nach sechs Monaten Pflicht-
dienst seinen Einsatz jederzeit beenden. Mehr Freiwil-
ligkeit geht an dieser Stelle nicht.
Hinzu kommt: Wenn bekannt wird, dass Einsatzstel-
len den Zivildienstleistenden nur anstellen, wenn dieser
bereit ist, länger als sechs Monate zu bleiben, dann ris-
kieren diese Träger die Anerkennung als Zivildienst-
stelle durch das Bundesamt für den Zivildienst.
– Natürlich ist das nachweisbar, und das wird auch ge-
macht. Wissen Sie, man sollte nicht immer nur sagen:
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Sie alle können die Augen vor der Realität verschlie-
en, aber ich finde, dass die Regierungskoalition von
DU/CSU und FDP hier einen ganz großartigen Ent-
urf vorgelegt hat. Wir werden in der nächsten Woche in
iner Anhörung weiter darüber sprechen.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Erstens werden
ich die Zivildienstleistenden dafür bedanken.
weitens sind auch die Träger für die Lösung, die wir
efunden haben, sehr dankbar. In diesem Sinne binde ich
ie Opposition gerne konstruktiv ein, aber nicht mit die-
em Affengebrüll wie heute.
Danke schön.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Markus Grübel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-en! Vor 32 Jahren, am 1. Juli 1978, habe ich meinenehrdienst bei der Bundeswehr angetreten. Ich habeehrdienst aus Gewissensgründen geleistet. Andere ha-en sich für den Zivildienst entschieden. Ich glaube,eide Positionen hatten und haben unser vollstes Ver-tändnis verdient. Ob Wehr- oder Zivildienst, hier leistenunge Männer einen wertvollen Beitrag für unsere Ge-ellschaft, und dies verdient unser aller Respekt.
Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee. Wehr-flichtige prägen den Charakter unserer demokratischentreitkräfte seit ihrer Gründung. Zusammen mit dem In-trument der Inneren Führung, dem Staatsbürger inniform, hat der beständige personelle Austausch zwi-chen Gesellschaft und Armee dafür gesorgt, dass unsereundeswehr fest in der Mitte unserer demokratischenesellschaft verankert ist.
Die Erfahrungen der Länder, die die Wehrpflicht ab-eschafft haben, sind nicht so berauschend. In Frank-eich zum Beispiel kann man beobachten, dass sich diermee stückweise von der Gesellschaft entfernt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4831
Markus Grübel
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Das Kernargument für die Wehrpflicht und den Wehr-dienst ist die Sicherstellung der Landesverteidigung. Zu-gleich ist die Wehrpflicht ein schwerer Eingriff in diepersönliche Freiheit junger Menschen und in die Lebens-planung der jungen Männer.
Daher müssen wir immer wieder aufs Neue abwägen,wie weit und wie lange wir die Freiheit der jungen Män-ner einschränken. Dieser Grundfrage trägt die geplanteVerkürzung des Wehrdienstes Rechnung.Die aktuell günstige Sicherheitslage in Europa erlaubtden Schritt hin zu W 6. Dieser Schritt ist so maßvoll,dass er die Vorzüge des Wehrdienstes nicht unverant-wortlich gefährdet. Auch in sechs Monaten könnenjunge Männer einen sinnvollen Wehrdienst leisten undmilitärische Grundfertigkeiten erlernen. Voraussetzungist, dass dieser Dienst sinnvoll ausgestaltet wird.
Wir wollen, dass W 6 und Z 6 ein Gewinn für deneinzelnen jungen Mann und für die Dienst- und Einsatz-stellen ist. Die inhaltliche Ausgestaltung obliegt nun denPraktikern und richtet sich nach den Bedürfnissen dereinzelnen Truppengattungen und Einsatzstellen. In je-dem Fall muss der verkürzte Wehrdienst so strukturiertwerden, dass er attraktiv ist und auch die Bereitschaftfördert, länger zu dienen.Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass unsereGrundwehrdiensteinheiten nahe an den Einsatzeinheitenangesiedelt werden. Dann kann die Bundeswehr auchkünftig die besten jungen Männer für einen längerenDienst gewinnen, und die jungen Männer wissen, aufwas sie sich einlassen, wenn sie den Soldatenberuf erler-nen.Gleiches gilt für den Zivildienst. Viele junge Männerkommen erst durch den Zivildienst mit sozialen Berufenwie Altenpfleger oder Krankenpfleger in Kontakt underlangen so eine hohe soziale Kompetenz, eine Kompe-tenz, die sie auch brauchen, wenn sie später einen techni-schen oder kaufmännischen Beruf ausüben. Gleichzeitigstellen wir fest, dass der größte Teil der jungen Männer,die sich zum Beispiel für den Beruf des Altenpflegersoder Krankenpflegers entscheiden, durch ihren Zivil-dienst zu dieser Berufswahl gekommen ist. Bislangkonnten nur die Wehrdienstleistenden ihren Wehrdienstfreiwillig verlängern. Künftig können dies auch die Zi-vildienstleistenden tun. Hier haben wir eine Ungerech-tigkeit gegenüber den Zivildienstleistenden abgebaut.
Herr Schäfer von den Linken, Ihre Anmerkung, hierhandele es sich um Dumpinglöhne, ist Unsinn. Nach die-ser Argumentation müssten Sie das Freiwillige SozialeJahr von heute auf morgen abschaffen,
eil auch dies Ausbeutung wäre. Nein, das sind sinn-olle freiwillige Dienste. Ob ein junger Mann freiwilligänger Zivildienst leistet oder ein freiwilliges sozialesahr macht,
eides sind sinnvolle Dienste.
Kollege Gehring, Ihnen darf ich sagen: Immer wiederetonen Sie, dass junge Männer gezwungen werdenönnten, freiwillig länger zu dienen. Mindestens seitem 26. März dieses Jahres liegt den Grünen der Ent-urf des Gesetzes vor. In § 43 Abs. 3 des Zivildienstge-etzes soll ausdrücklich geregelt werden, dass ein jungerann jederzeit sagen kann: „Die Weiterführung des Zi-ildienstes bedeutet für mich eine Härte“ und dass dasundesamt nicht das Recht hat, dies nachzuprüfen. Er-ählen Sie diese Geschichte nicht immer weiter. Wennie es nicht glauben, dann schauen Sie in den Gesetzent-urf.
Dann dürften Sie nicht so reden.Durch die freiwillige Verlängerung können die jungenenschen jedenfalls ihre Lebensplanung besser ausge-talten und biografische Lücken schließen. Wir schaffenünftig also mehr Freiheit als seither.Die Regelung ist auch für die Dienststellen und Ein-atzstellen ein Gewinn, weil sie zum Beispiel freiwilligängerdienende ins Ausland schicken können. Das giltum Beispiel auch für die Marine. Wenn – –
Sie müssen nicht erschrocken sein. Es gibt den
unsch einer Zwischenfrage des Kollegen Sönke Rix.
ch wollte Sie fragen, ob Sie dem zustimmen.
Ja, gern.
Das ist offenkundig der Fall. – Bitte schön.
Herr Kollege Grübel, schönen Dank, dass Sie mirine Zwischenfrage erlauben.Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass die Tätig-eit nach dem Zivildienst – Sie nennen das den freiwilligerlängerten Zivildienst – absolut freiwillig und anderenegeln unterstellt ist. Wie erklären Sie sich dann, dass
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4832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Sönke Rix
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nach § 59 des Zivildienstgesetzes, in dem die Diszipli-narmaßnahmen stehen, unter anderem Ausgehbeschrän-kungen und Geldbußen auch für diejenigen vorgesehensind, die den Zivildienst freiwillig verlängern? Hat dasetwas mit Freiwilligkeit zu tun? Ist das nicht eine Ein-schränkung?
Auch für diesen Dienst gelten bestimmte Regeln. Die
eigentlichen Zwangsregeln nach § 52 bis § 58 sind für
die freiwillig Längerdienenden aufgehoben.
– Ja, wenn es durch den aktuellen Dienst bzw. die aktu-
elle Tätigkeit zwingend ist, zum Beispiel durch eine Be-
reitschaft oder Ähnliches.
Ich fahre fort. – Die Wehrpflicht hat sich bewährt.
Wir schlagen heute eine praktikable und maßvolle Wei-
terentwicklung vor. Nun gilt es, W 6 erfolgreich in die
Praxis umzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Wehrpflicht wurde im
Rahmen der Preußischen Heeresreform 1813 eingeführt.
Herr Kollege Grübel, ich fürchte, dass Sie diese aus-
führliche historische Darstellung der Entwicklung im
Rahmen der vereinbarten Redezeiten jetzt nicht mehr
werden bewältigen können.
Jawohl. – Schon damals war sie umstritten, und
200 Jahre später ist dies nicht anders.
Wir werden im Herbst sachlich, zügig und ohne Hetze
auf der Grundlage unserer Verfassung die weiteren Ent-
scheidungen treffen. Darum ist es auch sinnvoll, dass wir
diesen Gesetzentwurf bald verabschieden. Damit wird
mittelfristig Planungssicherheit bestehen.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Frau Kollegin Bär, wenn Sie nachher die Mitschrift
Ihrer Rede erhalten, dann werden Sie vermutlich in der
Schlusspassage auf eine Formulierung stoßen, von der
ich vermute, dass sie bei der Vorbereitung Ihrer Rede gar
nicht vorgesehen war, und zu der ich uns empfehlen
würde, sie auch bei temperamentvollen Auseinanderset-
zungen und heftigen Zwischenrufen im Interesse eines
wechselseitigen Respekts besser zu vermeiden.
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Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
urfs auf der Drucksache 17/1953 an die in der Tages-
rdnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
s dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte, den mit dem neuen Thema verbundenen
chichtwechsel hier im Plenum zügig zum Abschluss zu
ringen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Bettina
Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Durch eine neue Investitionspolitik zu mehr
Verkehr auf der Schiene
– Drucksache 17/1988 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Grundlegende Neuausrichtung der Verkehrs-
investitionspolitik für Klima- und Umwelt-
schutz, Barrierefreiheit, soziale Gerechtigkeit
und neue Arbeitsplätze
– Drucksache 17/1971 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Auch diese Debatte soll nach einer interfraktionellen
ereinbarung 75 Minuten dauern, was, wenn ich mir
iesen nachrichtlichen Hinweis erlauben darf, bei dem
orherigen Punkt nicht ganz gelungen ist. – Dazu gibt es
ffenkundig keinen Widerspruch. Dann können wir so
erfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
er Kollege Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Bahn ist der zweitwichtigste Verkehrsträ-er nach der Straße. Die Bahn ist gleichzeitig das klima-nd umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Des Weiterenst die Bundesrepublik als bedeutende Export- und Im-ortnation und größte Handelsnation innerhalb Europasentral auf funktionierende Verkehrswege angewiesen.nser Wohlstand und unsere Arbeitsplätze hängen voninem funktionierenden Verkehrssystem ab. Zudem lässt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4833
Dr. Anton Hofreiter
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sich kein Verkehrsmittel leichter auf regenerative Ener-gien umstellen und so umbauen, dass wir vom Öl weg-kommen, als die Bahn.
Wird aber die Bahnpolitik der real existierendenschwarz-gelben Koalition dieser Bedeutung gerecht?Betrachten wir die Maßnahmen, die in den ersten Mona-ten der schwarz-gelben Koalition ergriffen wurden. Alserste große Maßnahme im Bereich der Bahn ist wohl dasAngebot anzusehen, für 2,7 Milliarden Euro den briti-schen Verkehrskonzern Arriva zu übernehmen und da-mit zu verstaatlichen. Angesichts der Maßnahmen, diedie Schwarzen gegenüber den Banken ergriffen haben,ist es nicht weiter erstaunlich, dass diese Verstaatlichun-gen für ein probates Mittel halten, um mit Problemenfertig zu werden. Aber dass ausgerechnet die FDP dergrößten Verstaatlichung der letzten 20 Jahre zustimmt,ist absurd. Es wird noch absurder, wenn man sich daranerinnert, wie Sie sich über das in der Tat etwas seltsameProgramm der NRW-Linken aufgeregt haben. Wenn Sienoch einmal etwas gegen Verstaatlichung sagen, dannhaben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren.
Was haben Sie als nächstes getan? Als nächstes wollenSie im Zuge des sogenannten Sparpaketes dem SystemBahn 500 Millionen Euro entziehen, die als sogenannteDividende an den Bund abgeführt werden sollen.Selbstverständlich werden Sie jetzt einwenden, dass die500 Millionen Euro aus dem Gewinn aufgebracht wer-den; aber wir alle wissen, wie die Bahn strukturiert ist.
Welche Folge wird es haben, wenn der Bahn in ihrer jet-zigen Struktur 500 Millionen Euro entzogen werden?Die Folge wird sein, dass die Töchter noch massiver aus-gepresst werden. Die Berliner S-Bahn lässt grüßen.
Sie erhöhen mit Ihren Maßnahmen den Druck auf dieBahn, ihre Konzerntöchter, die Infrastruktur und die Nah-verkehrsgesellschaften noch stärker auszupressen. Wermuss das ausbaden? Der Kunde.Was haben Sie des Weiteren getan? Alles zusammen– gerechnet – die Gatzer-Liste usw. – müssen Sie auf-grund des Sparpakets in Ihrem Ressort in diesem Jahrüber 400 Millionen Euro, im nächsten Jahr 700 Millio-nen Euro und im Jahr darauf fast 900 Millionen Euroeinsparen. Diese Einsparungen werden sicherlich beiden Investitionen erfolgen; denn an die anderen Bereichetrauen Sie sich bekanntermaßen nicht heran.Schauen wir uns die Lage bei den Investitionen an:Ihre Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsereAnfrage selbst zugestanden, dass allein für die Maßnah-men des vordringlichen Bedarfs im Bundesverkehrs-wegeplan 24 Milliarden Euro fehlen – und das schon beider alten Bundeshaushaltslinie und unter der Vorausset-zung, dass Sie keinerlei Kostensteigerungen haben. IndmAna9vfskJgBSngnGwwJeStdSwhlmrwhsdutdsPznrWdM2
as bedeutet das? Wenn ich einen Zug benutze, müssenie Anschlüsse funktionieren. Es hilft nämlich nichts,illiarden von Euro auszugeben, um mit einem ICE0 Minuten schneller von A nach B fahren zu können,
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Dr. Anton Hofreiter
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wie jetzt vielfach geplant ist, wenn die Anschlüsse nichtfunktionieren und ich zwangsweise eine halbe Stundeam Bahnhof verbummele.Des Weiteren muss dringend für einen vernünftigenund fairen Wettbewerb gesorgt werden. Wir verstehenunter einem vernünftigen und fairen Wettbewerb, dassgleiche und gerechte Zugangsbedingungen für jeden ge-schaffen werden, der Schienenverkehr organisierenmöchte. Für uns ist es nicht entscheidend, ob ein roteroder ein gelber Zug fährt. Entscheidend für uns ist, dassfür die Kunden pünktliche und saubere Züge fahren.
Des Weiteren ist es nötig, die Investitionspolitik so zuverändern, dass, statt Millionen zu versenken, nur nochMaßnahmen ergriffen werden, die Engpässe beseitigen,schnell wirken und sowohl den Kunden im Personenver-kehr als auch den Kunden im Güterverkehr helfen.Deshalb fordere ich Sie auf: Setzen Sie unsere Maß-nahmen um! Wir haben sie Ihnen aufgeschrieben, weilSie selbst nur planlos und orientierungslos in der Gegendherumirren. Wir haben Ihnen einen großen Gefallen ge-tan. Wenn Sie unsere Maßnahmen umsetzen, dann habenSie die Chance, den Worten Ihres Ministers gerecht zuwerden.Danke.
Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Hofreiter, Sie fordern heute eine neue In-vestitionspolitik für mehr Verkehr auf der Schiene. Die-ser Forderung in der Form, wie Sie sie gerade vorgetra-gen haben, werden wir uns nicht anschließen.
Nein. – Wir werden uns nicht anschließen, weil sich inder Bahnpolitik seit der Übernahme des Verkehrsminis-teriums durch die CSU, durch Peter Ramsauer, bereitssehr vieles zum Positiven verändert hat.
Wir wollen keine Wende rückwärts. Nein, wir wollen einWeiter-so, weil es noch viele Baustellen gibt und weilwir davon überzeugt sind, dass wir diese mit unseremVerkehrsminister erfolgreich abarbeiten werden.
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Schade.Nun komme ich auf den zweiten Teil Ihres Antrags zuprechen. Ihre Argumentation ist in dem Bereich, wo Sieber die Fortschreibung der Finanzierung von Schienen-rojekten im Verkehrswegeplan bis 2040 reden, schlichtnd ergreifend scheinheilig und Ihre Kritik unehrlich;enn die Neu- und Ausbauprojekte des vordringli-hen Bedarfs hat die rot-grüne Bundesregierung 2004m Bundesschienenwegeausbaugesetz auf den Weg ge-racht und damals mit Finanzmitteln in Höhe von,5 Milliarden Euro pro Jahr unterlegt. Ich bin vielleichtein guter Rechner, aber über den Daumen gerechnetürde man mit der von Ihnen beschlossenen Ausbaupo-itik mit diesen Projekten 2035/2036 fertig. Damit wärean gerade einmal vier Jahre schneller. Ihre Kritik greiftier also deutlich zu kurz. Zu diesem Schluss kommtan insbesondere dann, wenn man die heutige Krise derinanzmärkte und des Euros mitberücksichtigt. Wir kön-en jeden Euro nur einmal ausgeben. Auch Sie könnens nicht anders machen.
Ihr Antrag weist weitere Schwachpunkte auf. Sie ha-en – der Ideologie geschuldet – nur die Bahn im Blick.
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Ulrich Lange
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Das ist ein Fehler. Zukunftsorientierte Verkehrspoli-tik bedeutet, alle Verkehrsträger im Blick zu haben unddiese optimal miteinander zu verzahnen. Natürlich liegtes in unserem Interesse – das hat unser Verkehrsministerbereits zu Beginn der neuen Koalition zum Ausdruck ge-bracht –, möglichst viel vom Verkehrszuwachs sowohlim Güter- als auch im Personenverkehr auf die Bahn zuverlagern. Aber es wird uns definitiv nicht gelingen, al-les oder zumindest den größten Teil auf die Schiene zubringen. Deswegen sollten wir auch hier Realisten blei-ben.Mit unserer Investitionspolitik reagieren wir ange-messen und bleiben auf dem Boden der Realität. Wirspielen nicht das Spiel „Wünsch dir was“. Wir betreibenkeine Politik, wie Sie selbst sie in den Jahren Ihrer Re-gierungsverantwortung definitiv nie gemacht hätten. Ichkann also auch Sie nur zu etwas mehr Realismus ermah-nen.Wer die Bedeutung der Schuldenbremse ab 2011 unddie Beratungen um den Bundeshaushalt 2011 aufmerk-sam verfolgt, weiß – das muss heute ebenfalls gesagtwerden –, dass auch auf den Verkehrshaushalt schwieri-gere Zeiten zukommen. Ich möchte unserem Verkehrs-minister nochmals ausdrücklich dafür danken, dass dieInvestitionen auf hohem Niveau verstetigt werden konn-ten. Das ist und war nicht selbstverständlich. Wir wissen,dass Investitionen ein Teil der Wirtschaftsförderung, einBeitrag zur Mobilität in unserem Lande sind. Genau indiesem Sinne haben wir bei der Aufstellung des Sparpa-kets gehandelt.Auch uns ist daran gelegen, dass das Zugleit- undZugsicherungssystem ERTMS/ETCS in Europa soschnell wie möglich weiter ausgebaut wird. Auch wirwollen, dass Trassenerlöse und Stationsentgelte in dieInfrastruktur investiert werden. Auch wir wollen mehrGleisanschlüsse. Auch wir wollen mehr Güterverkehrauf der Schiene und deswegen mehr Gleise.
Das Ganze muss aber – das festzustellen, gehört zu einerehrlichen Politik einfach dazu – im Rahmen des zeitlichund finanziell Möglichen umgesetzt werden. Wie ich be-reits gesagt habe, kann man den Verkehrshaushalt auf-grund der Verzahnung der verschiedenen Bereiche nichtauf einen einzigen Verkehrsträger ausrichten.Die Beseitigung von Engpässen, die Setzung von Pri-oritäten, all das werden wir auch in den nächsten Mona-ten erfolgreich vornehmen; da bin ich sicher. Es geht da-rum – das wurde ja gerade gesagt –, eine intelligenteVerkehrspolitik unter Einbeziehung der Bahn und derBahninfrastruktur zu machen. Ich kann Sie nur auffor-dern, auf dem Boden der Tatsachen daran mitzuarbeiten.Herzlichen Dank.
Der Kollege Beckmeyer ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
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Mövenpick und anderen Hoteliers das Geld in den Hin-tern zu stecken. Das ist doch die aktuelle Situation.
Man kann durchaus der Meinung sein, dass die DBAG als Aktiengesellschaft, die Dividendenfähigkeit be-sitzt, ihrem Eigentümer eine Dividende zu zahlen hat.Diese Auffassung kann man vertreten. DAX-Unterneh-men schütten regelmäßig Dividenden aus. Ich bitte Sieaber, einmal zu überlegen, in welcher GrößenordnungDAX-Unternehmen dies tun. Sie zahlen nicht von jetztauf gleich 500 Millionen Euro pro Jahr, also eine halbeMilliarde Euro, festgelegt für die nächsten vier Jahre,sondern das wird nach und nach entschieden, maximalübrigens 30 Prozent des Gewinns. Das sind die normalenGrößenordnungen, die für Ausschüttungen von DAX-Unternehmen gelten. Was macht der Finanzminister? Erfordert 500 Millionen Euro pro Jahr von jetzt bis 2014.Sie, meine Damen und Herren, propagieren immerverkehrsträgerimmanente Finanzierungskreisläufe.Was bedeutet das nun für die Schiene? Das bedeutet,dass Sie die Fähigkeit der DB AG, Investitionen in dieSchiene zu tätigen, für die Zukunft einschränken.
Auch da zeigt sich die Konzeptionslosigkeit Ihrer Ver-kehrspolitik. Ihnen fehlt der Kompass in der Verkehrs-politik. Die Situation kann dramatischer nicht sein.Der Minister, Herr Dr. Ramsauer, wurde von uns imAusschuss befragt: Wo sparen Sie? Antwort: Bei dendisponiblen Mitteln. – Es war schon dramatisch, zu hö-ren, welche Ansätze halbiert werden, vor allen Dingen inBereichen, die bisher, auch von der Großen Koalition,konjunkturpolitisch als sehr wichtig eingestuft wurdenmit der Begründung: Wir brauchen in schwierigen Zei-ten Impulse für das Handwerk. – Und jetzt: überall Hal-bierungen!
Also: Sie machen eine Politik gegen die Konjunktur,Sie machen eine Politik gegen die Verkehrsträger, unddas alles in einer Situation, in der sich Deutschland ge-rade in diesen Bereichen – das ist eine gemeinsame Er-kenntnis des Verkehrsausschusses – verstärkt engagierenmüsste. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es ist gravierend,was da momentan unter dem Strich alles zusammen-kommt.Da hilft auch nicht der Hinweis: „Wir haben10 Milliarden Euro als Investitionslinie für die Verkehrs-träger gerettet.“ – Diese 10 Milliarden Euro werdenüberall angeknabbert, weil man in den nächsten JahrenGeld beim Bundesfinanzminister abzuliefern hat.Schließlich landet man – Anton Hofreiter hat das vorhingesagt – bei über 950 Millionen Euro. Das hat zur Kon-sequenz, dass uns dann fast 1 Milliarde Euro fehlt – mitall den Konsequenzen, die wir zu gewärtigen haben.Das ist auch noch vor dem Hintergrund zu sehen, dasswir Priorisierungen vornehmen müssen. So wird esüberall in den Regionen Heulen und Zähneklappern ge-bddsSDreVSgrdVtDVUdtQDEesp–isDokpngwk
Als nächster Redner spricht der Kollege Werner
immling für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich unse-em Verkehrsminister Peter Raumsauer ausdrücklichanken, dass er in einer solch schwierigen Situation eineerstetigung der Verkehrsinfrastrukturausgaben auf gu-em Niveau erreicht hat.
as muss man nach dieser Polemik einfach mal sagen.Ich glaube, wir alle sind uns einig: Nicht die Mittel imerkehrsbereich wurden bisher verstetigt, sondern dienterfinanzierung. Das wissen wir zwar nicht erst seiter Veröffentlichung des Verkehrsinvestitionsberich-es 2009; dass der Investitionsdruck aber eine solcheualität hat, ist erschreckend. Auch Sie von Bündnis 90/ie Grünen sehen richtigerweise, dass die identifiziertenngpässe nicht mit den Investitionsschwerpunkten über-instimmen. Wir reden hier also in erster Linie übertrukturelle Probleme des rot-grünen Verkehrswege-lans, den wir geerbt haben.Nun fordern Sie: Mehr Verkehr auf die Schiene!Schwarz-Gelb sagt deutlich Ja dazu – wo dies sinnvollt.
er Zusatz „Wo dies sinnvoll ist“ bedeutet keine A-pri-ri-Einschränkung, es handelt sich vielmehr um eineluge Richtungsentscheidung schwarz-gelber Verkehrs-olitik. Nehmen Sie aber bitte auch zur Kenntnis, dassicht jeder Verkehr von der Straße auf die Schiene verla-erbar ist.Bei Veränderungen im Modal Split gibt es kein Ent-eder-oder. Nettovorteile ergeben sich, wenn ein Ver-ehrssystem im Ganzen effizienter, schneller und um-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4837
Werner Simmling
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weltfreundlicher wird, eben optimaler, um Wachstumund Beschäftigung zu ermöglichen statt zu behindern.Mit der Überarbeitung des Masterplanes „Güterver-kehr und Logistik“ schwenken wir auf eine Infrastruk-turpolitik um – auch und vor allem für die Schiene –, mitder Güterverkehr und Logistik echte Angebote gemachtwerden. Bezüglich des Ausbaus von Schieneninfrastruk-tur besteht der wichtigste Schritt in der Neupriorisie-rung von Investitionsvorhaben. Im Koalitionsvertragist dies vereinbart, aktuell befindet es sich in der Erarbei-tung. Geplante Infrastrukturvorhaben werden nach denKriterien volkswirtschaftlicher Nutzen, Beseitigung vonEngpässen, Ausbau von Knoten und Hinterlandanbin-dungen etc. beurteilt. Bereits im Sommer bzw. im Herbstwerden uns hierzu entsprechende Vorschläge vorliegen.Dieser Punkt ist auch eine zentrale Forderung des An-trags von Bündnis 90/Die Grünen. Damit zitieren Sieaber nur ein weiteres Mal den Koalitionsvertrag.Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag die An-reizregulierung bei Trassen- und Stationspreisen ver-einbart. Eine solche regulatorische Maßnahme wird sichdeutlich positiv auf den Netzbetrieb auswirken. EchteMarktpreise entstehen nämlich dort, wo bisher wenigVerkehre stattfinden. Durch niedrigere Preise wird eineStärkung des Angebotes ermöglicht. Der Wettbewerbauf der Schiene wird damit gefördert. In unserem Koali-tionsvertrag steht auch, dass wir im Zuge dieser Maß-nahmen die Bundesnetzagentur stärken.
Was die Engpassbeseitigung im Bestandsnetz an-geht, sollten wir darüber diskutieren, ob und wie wir dieÜberlegungen des Netzbeirates aufgreifen, und die stär-kere Kombination von Instandhaltung und punktuellemAusbau des Netzes in Aussicht stellen. Ziel muss es sein,möglichst zügig zusätzliche Kapazitäten im Netz zuschaffen – natürlich nur innerhalb des Finanzrahmens.Mit weiteren Veränderungen in der DB Holding si-chern wir eine größere Einflussnahme des Eigners Bundim Hinblick auf die Infrastrukturmaßnahmen der DBAG. Im Rahmen der Neuverhandlung der Gewinnabfüh-rungsverträge wollen wir, dass in Zukunft die Gewinneaus dem Netz in den Eisenbahninfrastrukturunternehmenbleiben, damit deren Investitionskraft gestärkt wird.
Um dem zukünftigen Verkehrsaufkommen nachhaltigzu entsprechend und im europäischen Wettbewerb mit-halten zu können, sind also Effizienzsteigerungen undein Mehr an Verkehrsleistung notwendig. EntscheidendeSchritte sind von uns bereits angestoßen. WeitereSchritte werden folgen.Herzlichen Dank.
Das Wort für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Sabine Leidig.
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Genau. Sie freuen sich ebenfalls. Ich dachte, ich höreicht recht. Aber tatsächlich hat diese Ziellosigkeit lei-er System.Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen beruhtuf einer Prognose, die das politische Nichtstun und ei-en viel zu niedrigen Ölpreis voraussetzt. Nach dieserrognose wird der Straßengüterverkehr bis 2025 um0 Prozent steigen. Dies geschieht auf Kosten der Bahn.
uch der motorisierte Individualverkehr werde wachsennd die Eisenbahn bei einem Anteil von 7 Prozent ste-ken bleiben. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Wenn Sie diesem vermeintlichen Bedarf hinterherbe-onieren, dann verschärfen Sie alle Krisen, mit denen wirs derzeit zu tun haben, zuallererst und vor allem diemwelt- und Klimakrise, die für die Menschheit, fürns alle, zur Überlebensfrage wird. Fakt ist, dass in denergangenen 20 Jahren die Klimabelastung durch denerkehr in Deutschland um 12 Prozent zugenommenat – und das, obwohl die Motoren viel effektiver undchadstoffärmer sind. Das Problem ist: Der Lkw-Verkehrat sich seither fast verdoppelt. Es werden dreimal soiele Güter durch die Luft geflogen. In einem Joghurtbe-her stecken heute 50 Prozent mehr Transportkilometerls vor 30 Jahren, und eine Person legt eine doppelt soange Wegstrecke zurück. Ist das ein Vorteil? Immerehr, immer höher, immer weiterer Verkehr? Das ver-essert doch nicht die Lebensqualität.
Das hat doch mit der Lebensqualität und dem Joghurtichts zu tun. Entschuldigung!
Die Lebensqualität wird nicht verbessert, eher dasegenteil ist der Fall: 44 Prozent der Menschen in Eu-
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4838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Sabine Leidig
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ropa leiden unter zu viel Autoverkehr. Während sich dieKonzerne die Gewinne aufgrund der Globalisierung indie Tasche stecken, muss die ganze Gesellschaft die Fol-gen von Luftverschmutzung, Lärm und Naturzerstörungsowie die Folgen von Lohndumping tragen.Nun hat die Bundesregierung im Kioto-Protokoll zu-gesagt, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens40 Prozent zu reduzieren. Im Verkehrsbereich ist davonüberhaupt nicht die Rede. Eine Strategie aber zur Ver-meidung von Verkehr ist längst überfällig und genausoeine zur Verlagerung von Verkehr auf den Fußweg, aufdas Fahrrad, auf den öffentlichen Nahverkehr und aufdie Eisenbahn.
Allerdings muss man, wenn man dieses Ziel verfolgt,wahrscheinlich erst das Führungspersonal der Deut-schen Bahn AG austauschen.
Der Vorstand Herr Dr. Karl-Friedrich Rausch, der übri-gens von der Lufthansa kommt, verlangt, die Verände-rung des Modal Splits, also der Aufteilung zwischen denVerkehrsträgern, zulasten eines Verkehrsträgers – inKlammern: der Straße – zu vermeiden. Er will die ge-zielte Förderung des Güterverkehrs als Wachstumsmo-tor, übrigens gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Ver-bandes der Automobilindustrie. Das heißt, er will in diegleiche falsche Richtung weiterfahren. Herr Ramsauer,Sie sollten dafür sorgen, dass dieser Herr zusammen mitden anderen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern,die Spitzenmanager von Beton-, Energie-, Auto- undFlugzeugkonzernen waren oder sind, seinen Hut nimmt.Denn wir brauchen an der Spitze des größten öffentli-chen Unternehmens Leute, die das Gemeinwohl im Sinnhaben, mehr Verkehr auf die Schiene bringen und dieBahn für alle weiterentwickeln.
Die Bahn hat schon heute – das haben wir gehört –eine mit Abstand bessere Umweltbilanz als Kraftfahr-zeuge oder Flieger, obwohl derzeit noch viel zu vielKohlestrom verfahren wird und es keine Abwrackprämiefür Diesellokomotiven gegeben hat. Aber Bahnstromkönnte aus regenerativen Energiequellen kommen. Elek-tromobilität findet als Massenverkehr auf der Schienestatt. Diese muss ausgebaut werden. Wenn man die Kli-makrise entschärfen will, dann ist ziemlich klar, wohindie Reise gehen muss. Das gilt auch für die schwelendeKrise im Hinblick auf die Verteilungsungerechtigkeit,mit der die soziale Basis in den Gesellschaften weltweit,aber auch hier untergraben wird.Selbst im hochmotorisierten Deutschland besitzt einViertel der Haushalte kein Auto, die meisten, weil sie essich nicht leisten können. Jetzt sehen wir, dass seit Wo-chen Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko ausströ-men, weil BP das Risiko einer Tiefseebohrung eingegan-gen ist. Die vorhandenen Ölreserven auf diesemPlaneten werden immer schwerer zugänglich, die Förde-rung wird riskanter und teurer, und das wird sich unteramrNDRDmsSebdseöfGadsdsSSuvWsacdsDhBw
as wäre ein wichtiges Ziel der Verkehrspolitik: Sieuss dafür Sorge tragen, dass in einer mobilen Gesell-chaft niemand abgehängt wird.Zurzeit stecken wir mitten in der Finanzmarkt- undchuldenkrise, in der jetzt sogenannte Sparprogrammerzwungen werden. Diese Krise könnte im Verkehrs-ereich als Chance genutzt werden, als Gelegenheit, aufie Bremse zu treten, damit man wenden kann:Verzichten Sie auf den Baubeginn von Autobahnab-chnitten und auf fragwürdige Großprojekte, bevor nichtin Entwicklungsplan auf dem Tisch liegt, in dem diekologischen und sozialen Ziele der Verkehrspolitikestgelegt sind! Bis dahin ist kleckern statt klotzen dasebot der Stunde.
Streichen Sie als Erstes die Straßenbauprojekte, diem wenigsten Nutzen und am meisten ökologische Schä-en bringen! Die Umweltverbände haben eine Liste er-tellt. Damit würden in den nächsten Jahren 30 Milliar-en Euro gespart.Für den Neu- und Ausbau von Schienenwegen müs-en jährlich mindestens 2,5 Milliarden Euro von dertraße auf die Schiene umgeschichtet werden.Stocken Sie die Regionalisierungsmittel auf, die denchienenpersonennahverkehr finanzieren,
nd sorgen Sie dafür, dass in diesem Bereich mehr in-estiert wird!
ir wissen, dass die Fahrgastzahlen um ein Vielfachesteigen, wenn das Angebot gut und zuverlässig ist.Legen Sie ein Sonderprogramm „Barrierefreiheit“uf, damit in naher Zukunft tatsächlich alle die öffentli-hen Bahnen und Busse nutzen können, auch diejenigen,ie alt sind, im Rollstuhl sitzen oder einen Kinderwagenchieben!
azu gehört auch, dass an den 3 500 herrenlosen Bahn-öfen im Land wieder Menschen am Schalter sitzen.Zu guter Letzt weise ich darauf hin: Es gibt keineneweis dafür, dass hierzulande die wirtschaftliche Ent-icklung zwangsläufig mit dem Bau von Straßen ver-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4839
Sabine Leidig
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bunden ist. Es gibt Beispiele dafür, und genauso gibt esGegenbeispiele. Aber es gibt eine aktuelle Studie derUniversität Wien, in der nachgewiesen wird, dass man,wenn man 1 Milliarde Euro öffentlicher Investitionenin die Schieneninfrastruktur steckt, eineinhalbmal so vielArbeitsplätze schafft, wie wenn man sie in den Auto-bahnbau steckt. Wenn man die gleiche Summe benutzt,um Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu organisie-ren, dann kann man sogar zweieinhalbmal so viel guteund sinnvolle Arbeitsplätze schaffen.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. PeterRamsauer.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Die heutige De-batte über die beiden vorliegenden Anträge nutze ichgerne, um die fundamentale Bedeutung von hinreichen-den Investitionen in unsere Verkehrsinfrastruktur fürdie gesamte Wirtschaft, aber auch für die gesamte Ge-sellschaft zu beleuchten.Investitionen in unsere Straßen, in unsere Schienen, inunsere Wasserstraßen und natürlich auch in einem ge-wissen Umfang in den Luftverkehr – er trägt sich wei-testgehend selbst; das wird immer wieder übersehen –sind Investitionen in die wichtigsten Lebensadern unse-rer Wirtschaft und unserer Gesellschaft und bilden diebestmögliche Grundlage für Wachstum und für Arbeits-plätze.
Auf genau diese Aufgabe konzentriert sich die Bundes-regierung mit aller Ernsthaftigkeit.An die Adresse der Antragsteller, also der Grünenund der Linken, möchte ich einige ganz kurze Bemer-kungen machen. Sie listen – hier spreche ich die Grünenan – in Ihrem Forderungskatalog zur Investitionspolitikim Bereich Schiene durchaus einige Forderungen auf,die wir jetzt mit allem Nachdruck angehen.
Ich nenne nur die geforderte Konzentration auf Investi-tionsschwerpunkte in Form von Projekten, die einmöglichst hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis aufwei-sen. Herr Hofreiter, wir haben uns erst vorgestern imAusschuss darüber unterhalten. Auch die KolleginLeidig hat dies angesprochen. Mir als Verkehrs- undBauminister und als gelerntem Ökonomen braucht dochniemand die Erkenntnis als neu zu verkaufen, dass mangefälligst nicht solche Investitionen tätigt, die hinterhermehr Schaden als Nutzen bewirken. Für die Bewertungvon Projekten gibt es ein Instrument – das wissen Siedoch alle –, nämlich die Nutzen-Kosten-Analyse.GsbMsgDAwefidDdEeiHMrdiZBeuuA
emäß unserer Prioritätensetzung investieren wir nur inolche Projekte, die mehr volkswirtschaftlichen Nutzenringen, als sie ursprünglich kosten. Das ist unsere klarearschrichtung. Danach handeln wir.
Noch eine Bemerkung sei erlaubt. Wir alle sind unschnell einig, wenn es um die Notwendigkeit der Verla-erung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene geht.as ist heute schon einige Male angesprochen worden.ber wenn es dann bei den einzelnen Projekten ernstird, dann schlagen sich nicht wenige schlicht undrgreifend in die Büsche. Ich kann einfach nur lapidareststellen, dass bei Protesten gegen viele Schienen-nfrastrukturprojekte gerade auffallend viele Grüne iner ersten Reihe der Protestierenden stehen.
a kann ich nur sagen: Holen Sie, lieber Herr Hofreiter,iese Streiter für falsche Ziele zurück.
s geht nicht, dass Sie hier im Parlament dafür kämpfen,twas für die Schiene zu tun, aber dann bei den Protestenn der ersten Reihe stehen, gegen die man sich nur mitundertschaften der Polizei zur Wehr setzen kann.
an tut etwas für die Schiene, aber Sie stehen mit ande-en Grünen in der ersten Reihe der Protestierenden. Dieeutsche Öffentlichkeit muss wissen, was die Wahrheitst, was Ihre Worte und was Ihre Taten sind.
um Thema Worte und Taten kann ich nur sagen: Imundestag sagen Sie das eine, aber draußen machen Sietwas ganz anderes. Das ist alles andere als überzeugendnd glaubwürdig.
An die Adresse der Linken: Ihre Vorstellungen kannnd will ich nur ganz kurz ansprechen. Was Sie in Ihremntrag vorschlagen, ist ein Sammelsurium von staatsdi-
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rigistischen Eingriffen. Sie setzen – das ist von gesell-schaftspolitischer Bedeutung – beim Thema Mobilitätschlicht und einfach auf die Bevormundung der Bürge-rinnen und Bürger in unserem Lande.
Mobilität meint vor allen Dingen Bewegungsfreiheit.Diese wollen wir sichern, anstatt sie mit lauter Auflagen,wie Sie sie vorschlagen, ständig zu beschneiden. So vielzu den vorliegenden Anträgen.Ich möchte aber einiges von dem korrigieren, wassich in die bisher gehaltenen Reden eingeschlichen hat,aber so zum großen Teil nicht stimmt. Herr Hofreiter,das Projekt Arriva als größte Verstaatlichung seit, ichweiß nicht mehr, welchen Zeitraum Sie genannt haben,zu bezeichnen, ist eine fundamentale Verkennung derpolitischen und der ökonomischen Realitäten.Ich erkläre heute noch einmal das, was ich schon ei-nige Male hier an diesem Redepult erklärt habe: Ichstehe voll und ganz hinter der Unternehmensstrategie derDeutschen Bahn AG, unseres Unternehmens,
sich auf diese Weise im Ausland zu betätigen, dennSchienenverkehre sind inzwischen ein europäisierterMarkt geworden. Wer die Deutsche Bahn AG dem Wett-bewerb aussetzt, der muss auch zulassen, dass sich dieDeutsche Bahn AG auf dem europäisierten Verkehrs-markt dem Wettbewerb stellt und die Chancen des Wett-bewerbs nutzt. Dazu gehört auch eine solche Akquisitionwie Arriva.
Ließe man dies nicht zu, würde man unserem Unter-nehmen, der Deutschen Bahn AG, zumuten, zu schrump-fen. Die Deutsche Bahn AG hat in Deutschland bereits320 Wettbewerber. Eine Schrumpfung der DeutschenBahn AG würde eine Vernichtung von Arbeitsplätzenbedeuten: 250 000 gute Arbeitsplätze, davon 90 000 imAusland, 160 000 im Inland. Ich will, dass diese gutenArbeitsplätze bei der Bahn AG erhalten bleiben. Dasschaffen wir nur, wenn wir der Bahn AG die Wahrneh-mung der ökonomischen Chancen im Ausland garantie-ren und ihr Rückendeckung geben.
Sie kritisieren, dass eine Dividende von 500 Millio-nen Euro ausgeschüttet werden soll. Diese Vorgabe mussnatürlich vom Aufsichtsrat der Bahn bestätigt werden.Für das Geschäftsjahr 2010 wird es haushaltswirksamim Jahr 2011 ausgezahlt. Ich bin froh, dass die Bahn AGGewinne erwirtschaftet. Die Bilanz wird im Jahr 2010noch einmal besser ausfallen, als dies im Jahr 2009 oh-nehin der Fall war.Im Grundgesetz ist festgehalten, dass die Bahn wirt-schaftlich betrieben werden und den Erfordernissen desGemeinwohls folgen muss. Wirtschaftlich betreibenhwPddlDBidGmwsaA2iegbcwddaeLwzBWSAdtDEk
Einige finden es auch schon wieder anrüchig, dassusweislich der Investitionstableaus der Deutschen BahnG in den kommenden fünf Jahren jedes Jahr etwaMilliarden Euro mehr investiert werden sollen, als diesm Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Fall war.Ich habe mich mit der neuen Führung der Bahn aufine Investitionsoffensive verständigt. Damit einhereht beispielsweise eine Akquisition wie Arriva. Wirauen auf Qualität. Ich sage immer: Schnelligkeit, Si-herheit, Zuverlässigkeit. An all diesen Punkten arbeitenir. Die Bahn wird die Investitionen aus diesem Grundeutlich erhöhen.Diese zwei Dinge gehören zusammen. Wenn ich inen eigenen Laden zu Hause investiere, dann kann ichuch im Ausland unternehmerisch tätig werden. Dasine und das andere gehören untrennbar zusammen.
An dieser Stelle greife ich die Forderung der Kollegineidig auf, das Führungspersonal der DB AG auszu-echseln. Ist Ihnen denn entgangen, dass in den letztenwölf Monaten das Führungspersonal der Deutschenahn AG praktisch komplett ausgewechselt wurde?
ir haben dafür gesorgt – und ich an verantwortlichertelle –, dass von den zehn Eigentümervertretern imufsichtsrat der Bahn nur ganze vier geblieben sind undie anderen sechs nach der Bundestagswahl ausge-auscht worden sind.
as ist ein richtiger Schritt. Denn ich als Vertreter desigentümers Bund will im Aufsichtsrat von Persönlich-eiten und Personen vertreten werden, die die Neuaus-
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richtung der Bahnpolitik im Aufsichtsgremium genau sovertreten.
Deswegen haben wir diesen Austausch vorgenommen.Deshalb steht jetzt ein anderer an der Aufsichtsrats-spitze. Deshalb steht auch seit dem 1. Mai des letztenJahres jemand anderer an der Spitze des Vorstandes, mitdem ich mich blendend verstehe und in der Bahnpolitikabspreche.Ich kümmere mich auch ordentlich um dieses Unter-nehmen, zumindest mehr als dies in der Vergangenheitder Fall war. Denn es ist für mich eine Selbstverständ-lichkeit, dass man sich dann, wenn einem ein Unterneh-men gehört – jetzt amtlich – und man dafür federführendzuständig ist, gefälligst auch darum zu kümmern hat.Nicht miteinander zu reden, ist der falsche Weg, meineDamen und Herren. Man muss sich um die Bahn küm-mern!Deshalb steht jetzt auch jemand anderes an der Spitzedes Vorstandes. Der Vorstand ist ein ganz anderer gewor-den. Das klappt gut, und wir arbeiten bestmöglich zu-sammen.
Zahlen zu den Einsparungen: Da hat sich eine fal-sche Zahl hineingefressen! Ich habe das doch vorgesternim Ausschuss geklärt.
Es geht um die globale Einsparung von 200 MillionenEuro: Irgendwer behauptet ständig, das seien 200 Millio-nen und 200 Millionen und dann ansteigende Zahlen. Dahat sich eine falsche Zahl hineingefressen. Ich habe imAusschuss klargestellt, dass die korrekten Zahlen sind:Jedes Jahr 200 Millionen Euro: 200, 200, 200 und 200.
– Sie schütteln schon wieder mit dem Kopf. Das ist aberso, nehmen Sie mir das einfach ab. Wenn ein ehemaligerSPD-Staatssekretär falsche Zahlen aufschreibt, kann ichnichts dafür. Das ist inzwischen korrigiert. Ich habe dasim Ausschuss klargestellt.
Herr Beckmeyer, wo Sie Ihre 9 Milliarden Euro Be-teiligung an den Sparbemühungen hernehmen, ist mirvöllig schleierhaft. Wie Sie auf 2 Milliarden aus derLuftverkehrsabgabe kommen, ist mir auch schleierhaft.Hier sehen wir ein Aufkommen von etwa 1 Milliarde.
– 2 Milliarden, hatten Sie gesagt, lieber Herr Beckmeyer.
–sk–ieAdwPsNindzkHttnwGo–bgdfDmgamBJLr
Ich will Sie doch, wie Sie wissen, gar nicht kritisieren,ch will das nur klarstellen. Man kann sich auch einmalinen Versprecher leisten. Es ist also 1 Milliarde.Und hier möchte ich auch noch eines klarstellen: Diebgabe ist ein Vorläufer zum Emissionshandel. Wenner Emissionshandel im Flugverkehr kommt, ist daseg. Zur Klarstellung zitiere ich jetzt einmal aus demapier, das in der Klausur der Bundesregierung be-chlossen worden ist. Hier heißt es:Bis zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den be-reits vereinbarten CO2-Emissionshandel wird eine… ökologische Luftverkehrsabgabe … erhoben …ota bene: bis zur Einbeziehung und nicht länger! Damitst dies auch klargestellt.
Weil wir gerade bei dem Thema sind: Fachlich ist dasatürlich im Bereich des Verkehrsministeriums angesie-elt; aber das Bundesfinanzministerium ist federführenduständig. Damit sind die Zuständigkeiten klipp undlar.Ich appelliere an alle Verkehrspolitiker in diesemause, sich bei der Klärung der materiellen Ausgestal-ung dieser Luftverkehrsabgabe, die ökologisch orien-iert ist, hinreichend einzubringen. Da sind natürlichoch viele Details zu besprechen.
Herr Beckmeyer, Sie haben „Impulse für das Hand-erk“ angesprochen. Ja, wir haben im Bereich des CO2-ebäudesanierungsprogramms gekürzt. Die Frage ist,b man das bei einem historisch niedrigen Zinsniveaudie Zinsen liegen beim Baugeld unter 3 Prozent – oderei einem Zinsniveau von 6, 7 oder 8 Prozent beim Bau-eld – das hat es auch schon gegeben – tut. Ich meine,as historisch niedrige Zinsniveau ist der beste Impulsür das Handwerk und die beteiligten Wirtschaftszweige.eswegen halte ich es für vertretbar, dass wir das Aus-aß der Zinssubventionen im Rahmen dieser Förderpro-ramme entsprechend dem extrem niedrigen Zinsniveaun den Kapitalmärkten vermindern.
Eine Bemerkung zur Kollegin Leidig. Sie sind wiederit der Forderung gekommen – ich fasse es zusammen –:ildung statt Beton.
etzt sage ich Ihnen eines: Ich rede sehr viel mit jungeneuten. Junge Menschen haben ein fundamentales An-echt auf bestmögliche Bildung, egal in welchem Be-
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reich: im beruflichen Bildungsbereich genauso wie imakademischen. Beide Bereiche sind mir übrigens gleichwichtig: Man kann nicht immer nur von der akademi-schen Bildung reden und so tun, als sei die beruflicheBildung etwas Minderwertiges.
Dies nur als Nebenbemerkung; ich bin zufällig auf bei-den Spuren groß geworden. Wenn aber bestausgebildetejunge Menschen eine verrottete Infrastruktur vorfinden,dann können sie uns allen berechtigte Vorwürfe machenund uns fragen, warum wir ihnen eine Infrastruktur ser-vieren, mit der sie trotz bester Bildung nicht vernünftigwirtschaften können.
Wir können und müssen Vorsorge tragen, dass best-möglich ausgebildete junge Menschen auf eine exzel-lente Infrastruktur zugreifen können, mit der sie – auchdie nachfolgenden Generationen – in Deutschland alsexportorientiertem Land ihre Chancen in der weltweitverflochtenen Wirtschaft bestmöglich nutzen können.Deswegen gilt nicht: Bildung statt Beton. Vielmehrbrauchen wir beides: exzellente Bildung und eine exzel-lente Infrastruktur, also Straßen, Wasserstraßen, Schieneund Luftverkehr. All das gehört zusammen. Unsere Leit-linie ist: super Bildung in einer super Infrastruktur.Vielen herzlichen Dank.
Mir liegen drei Meldungen zu Kurzinterventionen
vor, und zwar vom Kollegen Dr. Anton Hofreiter, von
der Kollegin Sabine Leidig und vom Kollegen
Beckmeyer. Ich werde diese drei Kurzinterventionen
hintereinander aufrufen und dann dem Minister Gele-
genheit geben, im Zusammenhang zu antworten, falls er
das möchte.
Herr Hofreiter, Sie haben als Erster das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha-
ben den Einsatz, das massive Engagement für besseren
Lärmschutz – ich nehme an, Sie beziehen sich insbe-
sondere auf das Engagement grüner Abgeordneter an der
Rheintalschiene –
als Verhinderung von Schienenverkehr diskriminiert.
Damit irren Sie sich grundsätzlich. Sie können vernünf-
tigen Schienenverkehr an Strecken, wo 300 Güterzüge
oder mehr pro Tag fahren sollen, nur mit einem vernünf-
tigen Lärmschutz durchsetzen und umsetzen, und zwar
gemeinsam mit den Bürgern und nicht gegen sie.
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Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Leidig. Bitte
chön.
Herr Minister Ramsauer, ich habe verstanden, dass
ie uns vorwerfen, wir wollten mit dirigistischen Maß-
ahmen die Menschen zwingen, in einer ganz bestimm-
en Art und Weise zu verkehren. Ich kann Ihnen versi-
hern: Das Gegenteil ist der Fall.
ie Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr zu nut-
en, sind in diesem Land vielerorts eingeschränkt.
ch kann das aus meinem Wahlkreis berichten, der im
denwald liegt. Dort gibt es Ortschaften mit Tausenden
on Einwohnern, die nur durch die Schulbusse an den
ffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Diese
enschen haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie
enutzen ein Auto, oder sie bleiben zu Hause. Das ist
irigismus, Herr Ramsauer.
Ich möchte ergänzen, dass es Ortschaften gibt, in de-
en die Eltern ihre Kinder zur Schule fahren. Warum? Es
st zu gefährlich, die Kinder mit dem Fahrrad fahren zu
assen, weil es keine Fahrradwege gibt.
as ist Dirigismus. Die Menschen werden gezwungen,
it dem Auto zu fahren. Die Freiheit, die Sie schaffen
ollen, nämlich zwischen Verkehrsträgern zu wählen,
ezieht sich lediglich auf die Konzerne und Unterneh-
en, die Güter transportieren, aber nicht auf die Men-
chen, denen wir diese Wahlfreiheit gewähren wollen.
Schließlich erteile ich das Wort dem Kollegen Uwe
eckmeyer.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem Vortrag eben pau-chale Äußerungen gemacht, die möglicherweise von0 Prozent dieses Hauses unterschrieben werden kön-en, aber ich vermisse konkrete Aussagen von Ihnen.
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Uwe Beckmeyer
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Ich habe Sie vorhin in meiner Rede darauf angespro-chen, was Sie zu dem Aufmerksamkeit erheischendenPapier des VDR und der DB AG sagen. Es wurde dochnicht umsonst zwei Tage, nachdem das Kabinett die ent-sprechenden Beschlüsse gefasst hat, geschrieben. In demPapier werden klare Forderungen an die Verkehrspoliti-ker der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Von Ihnenwar dazu kein einziges Wort zu hören. Hier gibt es Klä-rungsbedarf. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie als ver-antwortlicher Verkehrsminister zu solchen ForderungenStellung nehmen.Herzlichen Dank.
Ihre Antwort, Herr Minister.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wäre gerne noch einmal ans Rednerpult gegangen, um
weiter auszuholen, aber die vorgetragenen Kurzinterven-
tionen brauchen nicht mehr als eine kurze Erwiderung.
Herr Hofreiter, ich diskriminiere niemanden, garan-
tiert nicht. Eines meiner interessantesten Erlebnisse in
den ersten acht Monaten als Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung war folgendes:
Ich habe eine Baumaßnahme für ein großes Schienen-
projekt eröffnet. Diese Eröffnung konnte nur durchge-
führt werden, weil vier Hundertschaften der Polizei uns
gegen Tausende von Randalierern und Demonstranten
schützten.
– Das ist die Realität.
Das passt schlicht und einfach nicht zusammen. Ich will
niemanden diskriminieren.
Würden Sie unsere Politik verfolgen, Herr Hofreiter,
wüssten Sie genau, dass wir uns dem Lärmschutz ver-
schrieben haben. Es geht um den Abbau des Schienen-
bonus, das heißt, die Lärmschutzstandards sollen verbes-
sert werden. Wir haben mit der Umrüstung von
5 000 Güterwaggons auf Flüstertechnik begonnen. Wir
investieren erhebliche Mittel in den Lärmschutz. Sie
wissen ganz genau – vielleicht so gut wie ich –, wo die
neuralgischen Punkte im Lärmbereich liegen. Fahren Sie
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ch kann Ihnen Regionen nennen, wo seit Jahren viele
ngebote im Bereich Schiene gemacht werden. Trotz-
em verkehren dort Geisterzüge mit Sitzladefaktoren
on 1,4 Prozent. Da frage ich mich, ob das Geld des
teuerzahlers dort tatsächlich bestmöglich und verant-
ortbar angelegt ist.
Noch ein Wort zu Herrn Beckmeyer: Das Papier, von
em Sie sprechen, kenne ich schon lange. Ich habe mit
enjenigen, die es geschrieben haben, intensiv gespro-
hen. Mir ist das recht. Ich kenne aber nicht nur dieses
apier, sondern viele Papiere. Wenn ich alle Papiere, die
ch seit Montagmittag, nach Abschluss der Klausur des
abinetts, gelesen habe – sie sind zum Teil von toller
ualität –, hier kommentieren würde, dann würden wir
or Mitternacht nicht fertig. Deshalb habe ich kein ein-
elnes herausgezogen. Ich hoffe, dass es mir abermals
elungen ist, Sie von der Richtigkeit unserer neuen Ver-
ehrs-, Infrastruktur- und Investitionspolitik zu überzeu-
en.
Das Wort hat der Kollege Martin Burkert von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren auf der Tri-üne! Der Schiene kommt in der künftigen Verkehrspoli-ik eine immer bedeutendere Rolle zu. Die Eisenbahn istnd bleibt der effektivste und klimafreundlichste Ver-ehrsträger, den wir haben. Es wird in Zukunft darumehen, trotz der immensen Staatsverschuldung, die wiraben, durch eine vernünftige, intelligente Politik mehrerkehr auf die Schiene zu bringen. Ich finde, der An-rag der Grünen enthält hierzu einige gute Ansätze. Manann aber auch sagen: Licht und Schatten wechseln sichb, wie so oft bei den Grünen.Ich möchte an dieser Stelle ein paar wichtige Punkteufgreifen. Die Schiene muss im Wettbewerb der Ver-ehrsträger endlich fair behandelt werden. Hier sind
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Martin Burkert
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die Bahnen im Augenblick vor allem hinsichtlich derSteuern und der Abgaben gegenüber anderen Verkehrs-trägern klar benachteiligt. Wir brauchen endlich dievolle Einbeziehung aller externen Kosten – Stichworte:Klimaschäden, Luftschadstoffe oder Gesundheitskosten –bei allen Verkehrsträgern. Auch hier sind die Bahnen ak-tuell klar benachteiligt.Wir benötigen dringend wieder eine Aufstockung derMittel für den kombinierten Verkehr. Die Halbierung derGelder durch die Koalition konterkariert vollkommendie Absicht des Ministers, mehr Güterverkehr aufdie Schiene zu verlagern. Ich sage Ihnen, HerrDr. Ramsauer: Das passt nicht zusammen. Dieser Wider-spruch passt aber zu dem Bild, das die Bundesregierungderzeit abgibt. Sie ist in der Verkehrspolitik völlig kon-zept- und planlos. Wenn die Bundesregierung überhaupteine Strategie verfolgt, dann die, einzig und allein aufden Verkehrsträger Straße zu setzen. Auch die Pläne, dieEinnahmen der Lkw-Maut nur noch in den Straßenver-kehr fließen zu lassen, sprechen eine deutliche Sprache.Diesbezüglich teilen wir die Forderung der Grünen nacheinem bedeutenden Anteil für die Schiene.Die Vertaktung des Schienenpersonenfernver-kehrs in ganz Deutschland muss ebenfalls deutlich ver-bessert werden. Keine Frage – auch hier sind wir bei Ih-nen –: Wir brauchen ein langfristiges Gesamtkonzept.Um das Bahnfahren im Vergleich mit dem Autofahrenund vor allem im Vergleich mit dem Flugverkehr attrak-tiver zu machen – das möchte ich an dieser Stelle hinzu-fügen –, brauchen wir auch Hochgeschwindigkeitstras-sen wie beispielsweise Stuttgart–Ulm–Wendlingen undMünchen–Nürnberg–Erfurt–Berlin. Ich teile Ihre Funda-mentalkritik an dieser Stelle nicht.Man muss sich das einmal vor Augen führen. Mün-chen–Berlin in vier Stunden, München–Köln in dreiein-halb Stunden, das ist schon etwas. Das ist tatsächlicheine Konkurrenz zum Flugzeug. Das ist attraktiv. Sokommen die Leute vom Flugzeug auf die Schiene. Dasist sozialdemokratischer Verkehrspolitik geschuldet. Dasist ökologisch sinnvolle Verkehrspolitik.
Um einen weiteren Punkt aufzugreifen: Sie reden ge-nauso wie Teile der Union, aber vor allem wie die FDPimmer von dem Ziel, mehr Wettbewerb in Bezug auf dieSchiene zu schaffen. Sie sprechen dann immer von derEinführung einer Anreizregulierung. Ich kann Ihnenversichern: Auch wir sind für faire Chancen auf demSchienenmarkt. Auch wir sind nicht grundsätzlich gegeneine Anreizregulierung.
Aber ich frage mich immer: Ist Deutschland in SachenSchienenwettbewerb wirklich so rückständig?
Schauen wir uns einmal den Liberalisierungsindex desSchienenverkehrs der EU an. Da zeigt sich eindeutig,dass Deutschland zu den Ländern gehört, in denen dieLiberalisierung am weitesten fortgeschritten ist.DaudHmnrEwiasGnwvdLwtuA3wPlCgSLlmsdhdrdtdDtF
Ich will noch etwas sagen. Der soziale Schutz der Be-chäftigten bleibt auf der Strecke. Ich habe heute gehört,ass Sie, Herr Ramsauer, der neue Kümmerer sind. Hieraben Sie sich zu kümmern. Das ist Aufgabe der Bun-esregierung. Sie dürfen nicht nach dem Motto verfah-en: Cash in the Täsch is the name of the game. So lauteter Slogan der Union und der FDP. Wir Sozialdemokra-en rufen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern iner Bahnbranche zu: You never walk alone.
as ist dringend nötig angesichts der Sommersalat-ruppe, die wir hier haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von derDP-Fraktion.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An-
gesichts der englischsprachigen Debattenanteile des
Kollegen Burkert habe ich gerade überlegt, ob das eine
Bewerbung war, um Arbeitsdirektor bei Arriva zu wer-
den, wenn dieses Unternehmen aus Großbritannien end-
lich zum Konzern gehört.
Ich nehme das einmal als Beweis dafür, dass diese
Debatte in gewisser Weise harmonisch und mit gemein-
samen Zielen geführt werden kann, auch wenn einige
Zwischenrufe zwischenzeitlich einen etwas anderen Ein-
druck erweckt haben.
Ich will bei dem bedauernswerten ökonomischen Ro-
mantizismus anfangen, den die Kollegin Leidig hier vor-
getragen hat.
Es ist nun einmal so, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land als soziale Marktwirtschaft in besonderem Maße
von der Globalisierung profitiert. Es ist nun einmal so,
dass in diesem Land mehr Güter produziert werden, als
wir selbst verbrauchen, und dass viele Menschen in die-
sen exportorientierten Industrien arbeiten und davon le-
ben.
Wenn Sie die Intensivierung des Güterverkehrs, die
boomenden Zeiten in unseren Seehäfen und das Wachs-
tum des Güterverkehrs auf Straße und Schiene per se in
dieser Art und Weise verteufeln, dann ist das für die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land eine
Verelendungsstrategie, die wir ganz sicher nicht mittra-
gen werden.
Zweite Bemerkung. Es ist nachgerade zynisch, ge-
schätzte Frau Kollegin, dass Sie die gestiegenen indivi-
duellen Mobilitätswünsche der Menschen in dieser
Weise kritisieren und diffamieren.
Von jemandem, der 1982 Mitglied der DKP geworden
ist, kann ich vielleicht nichts anderes erwarten; aber wir
sind froh, dass sich die Menschen frei bewegen können,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
Herr Kollege Döring, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Lenkert?
Unbedingt. Ja, gerne.
Bitte.
Herr Kollege Döring, vielen Dank. – Ich habe eine
anz kurze Frage an Sie. Sie sprachen gerade davon, dass
ie Wirtschaftlichkeit der Regionen durch die Bahnpoli-
ik der Bundesregierung erhalten werden soll. Ich komme
us dem Wahlkreis Gera-Jena-Saale-Holzland-Kreis.
urch die Neubaustrecke bzw. die ICE-Verbindung über
rfurt wird der prosperierende Wirtschafts- und For-
chungsstandort Jena von jeder Fernverkehrsverbindung
bgekoppelt. Die Bahn AG ist momentan nicht in der
age, auch nur einen Plan vorzulegen, wie der Anschluss
er Stadt Jena und der gesamten Region an den interna-
ionalen Verkehr gewährleistet werden kann.
Ich möchte Ihnen eine andere größere Stadt nennen,
n der Sie Ihre Politik schon erfolgreich praktiziert ha-
en; sie heißt Chemnitz. Chemnitz hat keinerlei Fernver-
indung mehr. Wenn Ihre Politik zum Schutz der Wirt-
chaft in der Bundesrepublik so aussieht – die Stadt Jena
at übrigens eine Exportquote von über 60 Prozent –,
ann tut es mir um unsere Zukunft leid.
Das hat mit meinen Ausführungen von eben zwarichts zu tun. Ich will aber gerne darauf eingehen.Mir ging es grundsätzlich um die Entwicklung derüterverkehrsintensität. Aber Sie haben natürlichecht: Wenn neue Schnellbahnstrecken entstehen – derollege Burkert hat in eindrucksvoller Weise dargestellt,ass dies nötig ist, um die Schiene wettbewerbsfähig zuachen –, werden bestimmte Zentren von den neuenCE-Strecken vielleicht nicht direkt und unmittelbar er-eicht. Aber insbesondere im Regionalverkehr gibt esndere Verkehre, die sinnvoll und gut vertaktet sind undin gutes Konzept verfolgen. Das wird überall in der Re-ublik erfolgreich praktiziert, und das wird auch in Ihreregion gelingen.Ich formuliere es einmal positiv: Bis zur Realisierunger Fernverkehrsstrecke Nürnberg-Erfurt-Berlin dauerts noch ein bisschen. Ich bin ganz sicher: Bis zur Fertig-tellung dieser Strecke wird man zu einer Lösung kom-en; denn wir alle wollen, dass mehr Menschen ineutschland Bahn fahren.
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4846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Patrick Döring
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, esist nicht die Strategie dieser Koalition und der Bundesre-gierung, einseitige Politik für einen Verkehrsträger zumachen, wie es uns immer wieder gerne vorgeworfenwird. Übrigens kann man beiden Anträgen, sowohl demder Grünen als auch dem der Linken, vorhalten, dass da-rin gefordert wird, eine Politik ausschließlich und einsei-tig für einen Verkehrsträger zu machen.Uns geht es darum, auch in der Bahnpolitik dort, woes sinnvoll ist, die richtigen Konzepte durchzusetzen. Je-der weiß – auch das hat der Kollege Burkert eben ange-sprochen –, dass man eine Diskussion über Investitions-projekte nicht nach dem Motto führen kann: Was teuerist und den Verkehr schneller macht, ist böse. Wenn wirinnerhalb des Systems für Effizienzsteigerungen sorgen,ist das allerdings per se gute Investitionspolitik. – Viel-mehr gibt es sowohl in dem einen Topf als auch in demanderen Topf sehr gute Projekte. Das beweisen zum Bei-spiel die Verkehrsprojekte Hamburg–Berlin, Hanno-ver–Berlin und Köln–Frankfurt. Auf allen drei Streckengibt es heute keinen innerdeutschen Luftverkehr mehr,weil es leistungsfähige Eisenbahnangebote im Schnell-bahnbereich gibt. Man kann beklagen, dass die Errich-tung dieser Strecken teuer war. Aber der volkswirt-schaftliche Nutzen ist immens, liebe Kolleginnen undKollegen. Dieses Thema ist nicht so einfach, wie es sicheinige, auch Sie in Ihren Anträgen, machen.Zur Wahrheit gehört, dass wir bei der Investitionstä-tigkeit zumindest im Hinblick auf die Verkehrsanteilekeine Unterfinanzierung der Schiene zu verzeichnen ha-ben. Seit der Organisationsprivatisierung der DeutschenBahn wird in diesem Land für den Sektor Schiene mehrGeld aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt alsin den Jahrzehnten zuvor. Neben den Mitteln für Investi-tionen müssen Sie nämlich natürlich auch den Zuschussdes Bundeshaushalts zum Bundeseisenbahnvermögenund die Regionalisierungsmittel, die zu über 80 Prozentvon Tochterunternehmen der DB Regio AG entgegenge-nommen werden, als Staatsaufwand für den Schienen-verkehr hinzuzählen. Das alles kommt ja dem SystemSchiene zugute.Ich bin sehr froh, dass die Wettbewerbssituation imNahverkehr so ist, wie sie ist, weil es den vielen Wettbe-werbern ebenso nützt, dass die Bundesrepublik Deutsch-land fast 8 Milliarden Euro aus Steuermitteln aufwendet,um den von Frau Kollegin Leidig zu Recht eingeforder-ten Nahverkehr zu finanzieren und zu realisieren. Das isteine gewaltige Summe, die übrigens nicht eingespartoder gekürzt wird.
In der Philippika des Kollegen Hofreiter – er hat auchvieles Richtige gesagt; im Antrag steht ja auch vieles ausdem Koalitionsvertrag – wurde das beliebte Thema Divi-dende – auch der Kollege Beckmeyer hat das angespro-chen – noch einmal vertieft. Wie man hier ökonomischeZusammenhänge in so krasser Weise falsch darstellenkann, ist mir nachgerade ein Rätsel. Deshalb beziehe ichmich jetzt ausschließlich auf den veröffentlichten Ge-schäftsbericht des Jahres 2009, um zu beweisen, wie dieZusammenhänge sind.üE1vd81stust8dsnsSavlSw–sidnwcmszss5ldzThl
Ja, bitte sehr.
Ja, der Herr Kollege Beckmeyer möchte eine Zwi-
chenfrage stellen. Der Herr Döring genehmigt das, wie
ch höre. – Bitte schön.
Erstens. Herr Döring, sind Sie mit mir der Meinung,
ass die von Ihnen angesprochene Reserve des Unter-
ehmens von über 5 Milliarden Euro nicht durch Ge-
inne, sondern durch die Neubewertung von Grundstü-
ken zustande gekommen ist?
Zweitens. Sind Sie mit mir der Meinung, dass nor-
ale DAX-Unternehmen zurzeit eine Dividendenaus-
chüttung von durchschnittlich ungefähr 30 bis 35 Pro-
ent des Jahresüberschusses vornehmen und dass nicht
chon im Vorwege bestimmt wird, dass auch die Aus-
chüttungen der nächsten Jahre zum Beispiel bei
00 Millionen Euro liegen werden, was ja außerordent-
ich ungewöhnlich ist?
Drittens. Ich darf feststellen – das darf man zitieren –,
ass der operative Cashflow im Jahre 2009 um 16,7 Pro-
ent zurückgegangen ist. Wie bewerten Sie das?
Erstens. Zu den Rücklagen ist zu sagen, dass es in derat auch eine Neubewertung der Grundstücke gab. Dieseat allerdings keinen Einfluss auf die Ergebnisrück-age, sondern hat zu Veränderungen bei den materiellen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4847
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Vermögenswerten geführt. Die Ergebnisrücklage ist ja,wie der Name schon sagt, eine Rücklage aus vorherigenErgebnissen.
Das kann man in den Bilanzunterlagen übrigens auchnachverfolgen.Zweitens. Der operative Cashflow ist zurückgegan-gen, weil in den Kennzahlen des Unternehmens für denUmsatz ebenfalls eine Verringerung ausgewiesen wird.Die reine prozentuale Verringerung des operativen Cash-flows ist übrigens überhaupt gar kein Problem. Das Un-ternehmen muss nicht in dem Maße liquide sein – das istmeine feste Überzeugung –, wie es das in der Vergan-genheit war, weil es einen relativ stabilen Geschäftsganghat. Es kommt jeden Tag „Kohle“ rein und geht jedenTag „Kohle“ raus. Deshalb muss man keine großen Li-quiditätsreserven vorsehen.Drittens. Sie haben in der Tat recht: Es ist ungewöhn-lich, dass der Eigentümer unabhängig von den Ergebnis-sen, die erzielt werden, eine Dividendenerwartung in ei-ner solchen Klarheit formuliert. Ich habe aber schon imAusschuss darauf hingewiesen, dass es eine Ergebnis-planung gibt, die vom Aufsichtsrat – übrigens noch un-ter der alten Bundesregierung – beschlossen wurde.Im Übrigen entscheidet nicht der Aufsichtsrat überdie Dividende, sondern es ist ausschließlich die Haupt-versammlung, die über die Verwendung des Ergebnissesentscheidet. Die Hauptversammlung besteht aus einerPerson: Bundesminister Peter Ramsauer. Insofern ist eskein Widerspruch, wenn derjenige, der ohnehin ent-scheidet, im Vorfeld deutlich macht, wie er entscheidenwird.
– Nein. Die Hauptversammlung entscheidet über die Er-gebnisverwendung. In der Hauptversammlung entfallen100 Prozent der Stimmen auf den Bund, und dieser wirddurch den Bundesminister oder einen seiner Staatssekre-täre vertreten.Abschließend kann man zu beiden Anträgen feststel-len: Sie zeichnen ein Zerrbild von der Bahnpolitik dieserBundesregierung, und sie verkennen, dass wir uns insge-samt in einem marktwirtschaftlichen und arbeitsteiligenSystem befinden und dass diese Bundesregierung keinePolitik gegen einzelne Verkehrsträger macht, sondern ander Seite der Bahn steht und den Bahnverkehr fördernwird, wo dies sinnvoll ist. Sie wird unser Netz auch wei-terhin mit hohen Investitionen leistungsfähig halten.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion.
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as hat vielleicht etwas mit dem Thema Verkehrspolitiku tun, bei dem Sie sich, wie ich den Beiträgen ent-ehme, überwiegend als Nebelwerfer betätigen und aufnsere konkreten Fragen sehr ausweichend antworten.Ich habe nur die Bitte – das beziehe ich auf viele Re-ktionen aus dem Wahlkreis und von Besuchern hier inerlin –: Dämpfen Sie sich bitte im Umgangston mitei-ander! Sich als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ zu be-eichnen,
irkt sich auf das Ansehen dieses Parlaments aus. Sieiffamieren damit auch ein sehr wertvolles Tier und einohlschmeckendes Gemüse.Ich sage das nicht nur mit Ironie; denn ich habe selbstiner Koalition angehört – in diesem Falle mit den Grü-en –, in der es nicht immer ruhig zuging. Aber unseramaliger Bundeskanzler hat diese Form der Auseinan-ersetzung Kakophonie genannt. Ich glaube, wir habenns in unserer Koalition nicht nur rhetorisch, sondernuch intellektuell auf einem anderen Niveau bewegt alsie.
Zur Debatte will ich mit dem beginnen, was der Kol-ege Hofreiter gesagt hat. Sein leidenschaftliches Plädo-er für die Schiene kommt einem Rheinland-Pfälzer ver-tändlicherweise sehr entgegen. Wir haben schließlichen Rheinland-Pfalz-Takt – er wurde noch unter einemDP-Verkehrsminister eingeführt, Herr Kollege Döring,er damals unter der Führung eines sozialdemokrati-chen Ministerpräsidenten gute Arbeit geleistet hat –,er die bundesweit höchsten Steigerungsraten aufweist,as das Angebot und auch die Nutzung des Angebotsngeht.Wir verstehen durchaus etwas von Verkehr, Struktur-olitik und Mobilität. Wir wollen einen Quantensprungachen und den Schienenverkehr erweitern. Wir wollenicht nur Hessen und Baden-Württemberg, sondern auchas Saarland mit einbeziehen. Herr Kollege Hofreiter,ch bitte Sie, noch einmal mit Ihren Kollegen Hermannnd Tressel zu reden. Denn uns fehlt noch ein Stückchenchiene im Saarland.
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4848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Gustav Herzog
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Die lauten Reden hier reichen nicht aus, wenn es Ih-nen von den Grünen um Glaubwürdigkeit geht. Es gehtum Taten, die Sie in Regierungsverantwortung vollbrin-gen. Darüber müssen Sie mit Ihrer Ministerin und IhremStaatssekretär reden. Verstecken Sie sich nicht hinter be-triebswirtschaftlichen Kennzahlen! Sorgen Sie dafür,dass die S-Bahn Rhein-Neckar, eines der erfolgreichstenNahverkehrssysteme auf der Schiene, seine Anbindungdurch das Saarland nach Zweibrücken findet!
Sorgen Sie bitte dafür! Das wäre gut für die Schiene.
Ich will mich kurz mit dem Antrag der Linken aus-einandersetzen. Allein seine Überschrift überfrachtet dasThema Verkehrspolitik. Sie haben die eierlegende Woll-milchsau in der Verkehrsinvestitionspolitik entdeckt. Esfehlt nur noch, dass Sie auch den Weltfrieden darin ein-beziehen.
Kritik verdient aber vor allem die Arroganz, mit derSie sagen, in der früheren Verkehrspolitik und Verkehrs-planung habe es fragwürdige Grundannahmen gegebenund seien fragwürdige Methoden angewandt worden.Die Methodik des Bundesverkehrswegeplanes ist inter-national zum Standard geworden. Wir haben diesbezüg-lich Maßstäbe gesetzt, und das sollten auch Sie zurKenntnis nehmen.Wenn Ihnen ein Ergebnis nicht schmeckt, muss offen-bar einfach die Mathematik geändert werden. Sie kön-nen sich darauf verlassen, dass sowohl unsere Annah-men als auch unsere Ableitungen richtig waren und dasswir sehr genau darauf achten werden, ob die derzeitigeKoalition bei ihrer angekündigten, etwas ominösen Neu-bewertung auf einem sauberen Weg bleibt.Schon meine Vorredner haben festgestellt, dass dieIntention Ihres Antrages ist, die Menschen im Hinblickdarauf zu erziehen, ob sie fahren wollen und wie sie fah-ren sollen. Das wird nicht funktionieren.
Frau Leidig, Sie wohnen in Heidelberg und haben einenländlichen Wahlkreis. Sie sollten wissen, dass die Men-schen nicht nur in die Zentren, sondern auch in den länd-lichen Raum fahren wollen. Überwiegend ist es abernoch der Individualverkehr, mit dem dieses organisiertwird.
Unter Punkt sechs im Feststellungsteil Ihres Antragsschreiben Sie, dass Sie „eine weitgehende Abkehr vomNeu- und Ausbau von Straßen“ wollen. Wissen Sie, wasdas für eine Region bedeutet, in der die Menschen erstekSFRvÜSvteCKtwnFkrKddnzr3SlVP„svcedlw
ie verweigern diesen Menschen den entsprechendenortschritt.Ich halte ein klares Plädoyer für den ländlichenaum: Wir brauchen dort noch den Aus- und Neubauon Straßen, allerdings auch den Erhalt der Schiene. Imbrigen fahren auch die Busse im ländlichen Raum übertraßen. Deshalb sollten Sie den Straßenausbau nichterteufeln.
Ich bitte Sie, auf einer vernünftigen Basis für Investi-ionen in alle Verkehrsträger einzutreten.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
rteile ich dem Kollegen Matthias Lietz von der CDU/
SU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! „Grundlegende Neuausrich-ung der Verkehrsinvestitionspolitik für Klima- und Um-eltschutz, Barrierefreiheit, soziale Gerechtigkeit undeue Arbeitsplätze“ lautet der Titel des Antrags derraktion Die Linke. Die Kolleginnen und Kollegen er-lären in ihrem Antrag die Verkehrspolitik der Bundes-egierung für gescheitert und möchten einfach alles vomopf auf die Füße stellen.Frau Leidig, Sie erwähnen die Klimabelastung durchen EU-weiten Verkehr, sprechen von einem unkoor-inierten Ausbau von Regionalflughäfen, von einer Ver-achlässigung bestimmter Personengruppen und be-eichnen die Verkehrsprognose 2025 als ungeeignet,ealitätsfremd und ohne Aussagekraft. Sie möchten auf500 unbesetzten Bahnhöfen der Deutsche Bahn AGtellen schaffen und wollen Großprojekte infrage stel-en, weil sie in der Regel erst nach mehreren Jahren eineerkehrswirkung erzielen. Diese und viele weitereunkte listen Sie auf, um dann die Forderung nach einerNeuausrichtung der Verkehrsinvestitionspolitik“ zutellen.Wenn Sie die bisherige Politik der Bundesregierungerfolgt haben, werden Sie feststellen: Seit Antritt derhristlich-liberalen Koalition verfolgen wir konsequentine neue nachhaltige Verkehrspolitik. Wir behaltenie Zukunftsfähigkeit, die Umwelt- und Klimafreund-ichkeit, die Wahrnehmung sozialer Verantwortung so-ie Wirtschaftlichkeit und Effizienz klar im Blick.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4849
Matthias Lietz
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Künftig stehen wir vor der Herausforderung, eineVerkehrspolitik zu gestalten, die den aktuellen und künf-tigen Erfordernissen unserer Gesellschaft gerecht wird,die den zu erwartenden weiteren Anstieg der Verkehrs-belastung bewältigt und die auch die Auswirkungen aufkommende Generationen einbezieht. Wir brauchen einVerkehrssystem, das keinen Verkehrsträger von vornhe-rein ausschließt, sondern die verschiedenen Verkehrs-träger optimal miteinander verknüpft und das daraufsetzt, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu be-rücksichtigen.Wir müssen weg von ideologischen Ansätzen undstattdessen auf klare Umsetzung setzen. Wir sind in un-serer Koalition daher nicht der Ansicht, dass wir denAus- und Neubau von Straßen verhindern müssen. Ichmache Ihnen das am Beispiel meines Bundeslandesdeutlich. Wenn ich die Alleen in Mecklenburg-Vorpom-mern erhalten will, dann muss ich für den Ausbau größe-rer Straßensysteme sein, um die Verkehre dorthin zu len-ken. Wir werden innerhalb der nächsten Jahre auf denBau neuer Autobahnabschnitte sowie auf größere Was-ser- und Schienenprojekte nicht verzichten können. Ausdiesem Grund wollen wir nicht bestimmte Verkehrsträ-ger durch unangemessene Umschichtungen benachteili-gen. Genauso werden wir uns nicht von vornherein alter-nativen Finanzierungsmodellen wie den öffentlich-privaten Partnerschaften verweigern. Wir wollen denVerkehr nicht verhindern, liebe Kolleginnen und Kolle-gen der Linksfraktion.Uns geht es vielmehr darum, Verkehr als Vorausset-zung für Wohlstand und Beschäftigung zu begreifen. Da-mit nehmen wir auch soziale Verantwortung wahr. Un-sere Verkehrsinvestitionspolitik hat da klare Prioritäten:Investitionen dort tätigen, wo sie die größten Impulse fürWachstum und Beschäftigung bringen. Wir werden da-her – das ist heute schon mehrmals deutlich gesagt wor-den – trotz Konsolidierungsprogramms keine Abstrichebei zentralen Zukunftsinvestitionen machen. Die unter-schiedlichen Verkehrsträger Wasser, Schiene und Straßesind Grundlage für Wachstum und damit Grundlage fürArbeitsplätze und soziale Sicherung in unserer Gesell-schaft.Mit den Umorganisationen im Verkehrsministeriumhat Minister Dr. Ramsauer klare organisatorische Vo-raussetzungen für diese Politik geschaffen. Ich erinnerean die Umorganisation der Grundsatzabteilung, die Er-richtung einer Unterabteilung „Klima- und Umwelt-schutzpolitik“ sowie die Schaffung einer EU-Direktion.Der Minister hat eine Neuausrichtung der Verkehrspoli-tik vorgenommen, die darauf zielt, Mobilität zu ermögli-chen, statt sie schlechtzureden oder zu behindern.
Natürlich wollen wir vor dem Hintergrund des zu er-wartenden Verkehrswachstums den Verkehr auf dieSchiene und das Binnenschiff verlagern. Das werden wirüberall dort tun, wo es sinnvoll ist. Wir werden abernicht einzelne Verkehrsträger gegeneinander ausspielenuwntwBvftwnGspawVklUddganKdömRvgoEfBuaKtH
Über die Bahnpolitik hat mein Kollege Lange bereitsusführlich berichtet. Ich möchte in Anbetracht der Zeitur noch darauf hinweisen, dass sich unsere gemeinsameoalition auf eine ganze Reihe von Maßnahmen verstän-igt hat, die den Schienenverkehr und insbesondere denffentlichen Personennahverkehr stärken und attraktiverachen werden. Ich verweise dabei auf die Stärkung derechte des Bundes bei der Initiierung und Umsetzungon Infrastrukturprojekten, die Einführung der Anreizre-ulierung für Trassen- und Stationspreise, die Prüfung,b ein integrierter Taktplan eingeführt werden kann, dierhöhung der Transparenz bei der Finanzierung des öf-entlichen Personennahverkehrs, die Erprobung neueretreibermodelle im öffentlichen Personennahverkehrnd die Zulassung von Buslinienfernverkehren.Meine Damen und Herren, es bedarf der Anstrengungller. Ich rufe Sie auf, sich daran zu beteiligen. Unsereoalition wird alles Mögliche dafür tun.
Vielen Dank.
Herr Kollege Lietz, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-en Rede im Deutschen Bundestag im Namen des ganzenauses. Herzlichen Glückwunsch!
Ich schließe die Aussprache.
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4850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 17/1988 und 17/1971 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines SechstenGesetzes zur Änderung des Filmförderungs-gesetzes– Drucksache 17/1292 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Kultur und Medien
– Drucksache 17/1938 –Berichterstattung:Abgeordnete Marco WanderwitzAngelika Krüger-LeißnerDr. Claudia WintersteinKathrin Senger-SchäferClaudia Roth
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt esWiderspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann istdas so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen von derCDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Um die Filmrolle, die bald der Vergangenheit angehörenwird, geht es heute. Mit der heutigen Ergänzung desFilmförderungsgesetzes geht es um die Zukunft der Fas-zination Film in den Kinos unseres Landes. Während derFilm boomt, kriselt es bei den Kinos. Die großen Kettenbestimmen immer stärker den Markt. Das mittelständi-sche Kino bleibt auf der Strecke, wenn wir nicht han-deln. Deshalb sind wir von der Union für das Stark-machen des Films wie des Kinos. Fast 150 MillionenBesucher pro Jahr belegen: Der Film als kulturelles Mas-senmedium bleibt auch im 21. Jahrhundert hochaktuell.Für uns von der Union ist er Kultur- wie Wirtschaftsgut.Für den Film in Deutschland gilt nicht die flotte Bemer-kung: Wenn er Erfolg hat, ist er ein Geschäft; wenn erein Flop ist, wird er der Kunst zugerechnet.Der Film in Deutschland schreibt Rekordzahlen. Un-sere nationale Filmwirtschaft befindet sich im stetigenAufwind. Wir sind auf dem Weg, zum Spitzenland desFilms in Europa zu werden. Das ist imposant und hatAnerkennung verdient.
– Von allen Beifall, bitte.Zz22FmedLDsdnrsehDdktrIntnwDdnuDkz1FoWlt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4851
Wolfgang Börnsen
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Verantwortlich für diese Trümpfe sind natürlich vor-rangig erstklassige Schauspieler, Autoren, Regisseureund Produzenten, eine hochmotivierte Könnerschaft.Auch das Filmförderungsgesetz, das wir heute novellie-ren, gehört dazu, ganz besonders der von StaatsministerBernd Neumann initiierte Deutsche Filmförderfonds so-wie die Filmförderung der Länder und der FFA. Sie allehaben zu diesem Erfolg geführt.„Kooperation von Film und Politik“ ist das Schlüssel-wort – bei absoluter Achtung der Freiheit von Kunst undKultur. Unser Land praktiziert eine öffentliche Filmför-derung aus einem Guss als gesellschaftliche Aufgabe.Die Filmbranche anerkennt ohne Wenn und Aber dieneue Filmpolitik von Bernd Neumann und weiß es zuschätzen, dass fast alle Fraktionen des Deutschen Bun-destages dessen Konzept stützen und stärken.Ganz wesentlich hat zu diesem rasanten Aufstieg derDFFF, der Deutsche Filmförderfonds, beigetragen.302 Filmproduktionen wurden in drei Jahren mit insge-samt rund 178 Millionen Euro gefördert. Sie haben einenWertzuwachs von rund 1 Milliarde Euro ausgelöst – einefünffache Veredelung von klug eingesetztem Steuergeld.Während der Film blüht, welken die Kinos. Erstmalsseit 40 Jahren liegt die Anzahl der Kinostandorte, alsoder Städte und Gemeinden mit Kinos, unter 1 000.170 Schließungen gab es in den vergangenen Monaten.Besonders im ländlichen Raum hat ein Kinosterben ein-gesetzt. Extrem gefährdet sind Kulturkinos sowie Pro-gramm- und Filmkunstkinos, besonders die, die denJungfilmern, dem experimentellen Film Vorführchancenbieten.Während die großen Ketten die digitale Umstellungproblemlos leisten, ist das mittelständische Kino durchdie hohen Kosten existenziell betroffen. Eine branchen-interne Lösung, mit der man es seit Jahren versucht hat,hat versagt.Alle Kompromissvorschläge, ob vom Staatsministeroder vom Filmpräsidenten Eberhard Junkersdorf, sind ander Unnachgiebigkeit der großen Ketten gescheitert, sodie Kenner der Szene. Die Ketten wollen eine Marktbe-reinigung, sagen die Beobachter.Das Neumann-Modell kann jetzt die Rettung der klei-nen Kinos bedeuten. Eine Anstoßfinanzierung von unssowie die Förderung durch die FFA, durch Verleiher undLänder bei einem Eigenanteil durch die Betreiber bietendie Gewähr, dass der Sprung in das digitale Zeitalter ge-schafft werden kann; denn die Epoche der Filmrolle istvorbei.Mit diesem Konzept machen wir unsere Kinokulturzukunftsfähig, sichern wir die Vielfalt unserer Kinoland-schaft und sorgen dafür, dass der Filmerfolg weiter vonfast 150 Millionen Besuchern ortsnah erlebt werdenkann. Die Faszination Film stärkt nicht nur das Wir-Ge-fühl der Menschen und ist nicht nur ein Freizeitvergnü-gen. Der Film ist und bleibt ein Kulturerlebnis besonde-rer Art.Zum Schluss möchte ich eine Sorge loswerden. EineLösung im Rahmen der kleinen Novellierung ist dielbsFüvKedhbsMvreFkandvrkaansnaMVnS1Asgnddd
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
on der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir beraten heute abschließend den Gesetz-ntwurf der Bundesregierung zur Änderung des Filmför-erungsgesetzes, die sogenannte kleine Novelle. Ichoffe, dass wir heute einen wichtigen Schritt hin zur Sta-ilisierung der Filmförderungsanstalt machen; denn fürie stehen die Zeiger inzwischen auf fünf vor zwölf.eine Fraktion – das will ich vorweg sagen – trägt denorliegenden Gesetzentwurf aus guten Gründen mit. Da-auf komme ich zurück.Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass zunächst aufine andere Vorlage Bezug nehmen, die auch für dieilmförderung von Bedeutung ist. Ich meine das Sparpa-et der Koalition, das wir aus ebenfalls guten Gründenls völlig unzureichend und sozial unausgewogen ableh-en. Wir wissen, dass viele Kritiker auch aus den Reihener Koalition kommen. Was den Kulturbereich angeht,erweise ich nur auf die Debatte um das Humboldt-Fo-um.Ich möchte den ermäßigten Mehrwertsteuersatz fürulturelle Leistungen – und damit auch für die Kinos –nsprechen. Hier wird es keine Änderung geben. Das istuch angesichts der großen Herausforderungen, vor de-en die Kinobetreiber stehen, in Ordnung. Allerdingschießt der Hauptverband Deutscher Filmtheater in sei-er Schlussfolgerung über das Ziel hinaus, wenn er diesls eine grundsätzliche Bestätigung des reduziertenehrwertsteuersatzes für die Kinos wertet. Denn dieseergünstigung ist nicht nur ein erhebliches Zugeständ-is, sondern zugleich eine Erwartung. Es ist nicht intein gemeißelt, dass alle Kinos nur 7 Prozent statt9 Prozent abführen müssen.Der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt für kulturellengebote, die die kulturelle Vielfalt in unserem Landeicherstellen. Das könnte man zum Beispiel an der Pro-rammgestaltung der Kinos festmachen. Da müssen wiroch genauer hinschauen. Es ist nämlich vorstellbar,ass die Steuerreduzierung an einen bestimmten Anteileutscher und europäischer Filme beim Abspiel gebun-en wird.
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4852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Angelika Krüger-Leißner
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Das haben wir aber heute nicht zu beantworten. Wir soll-ten erst einmal die Finanzierung der Filmförderungsan-stalt auf sichere Füße stellen, um dann die Digitalisie-rung der Kinos über die Bühne zu bringen. Wie dieKinos sich bei der Stabilisierung der FFA einbringen,wird ganz entscheidend dafür sein, welche Kinos weiter-hin den Steuervorteil genießen können.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheim-nis: Die Filmförderung auf der Grundlage des Filmför-derungsgesetzes ist maßgeblich am Erfolg des deutschenFilms im In- und Ausland beteiligt. Ich wirke im Verga-begremium der Filmförderungsanstalt mit, und es erfülltmich mit Stolz, zu verfolgen, wie erfolgreich die Filmesind, die wir mit dem FFG fördern. HerausragendesBeispiel ist Das weiße Band von Regisseur MichaelHaneke und dem deutschen Koproduzenten Stefan Arndtvon X-Filme. Dieser Film wurde im Ausland hochdeko-riert, und zwar mit der Goldenen Palme in Cannes. DerOscar wurde nur ganz knapp verpasst. Beim DeutschenFilmpreis wurde er mit Lolas überschüttet. Mit640 000 Besuchern war dieser Film auch ein Erfolg ander Kinokasse. Ohne die FFA wäre das so nicht möglichgewesen.Die FFA fördert auch die Produktion von Filmen, dievon vornherein auf gute Unterhaltung und hohe Besu-cherzahlen setzen. Wir fördern ebenso Projekte mitkünstlerischem Anspruch. Der Nachwuchs findet eben-falls Berücksichtigung. Und wir fördern internationaleKoproduktionen mit deutscher Beteiligung, wie zumBeispiel den mit vielen Preisen ausgezeichneten Vorle-ser. Wir haben eine wirklich gute Zusammenarbeit mitden Franzosen, den Österreichern und den Schweizernaufgebaut. Ich hoffe sehr stark, dass wir das auch mitden Russen schaffen.All das zusammen macht den deutschen Film in sei-ner ganzen Breite und Vielfalt aus. Ich wiederhole: Ohnedie Förderung auf der Grundlage des Filmförderungsge-setzes wäre das so nicht möglich. Deshalb haben wir alsGesetzgeber das FFG im Laufe von inzwischen über vierJahrzehnten weiterentwickelt und immer wieder an dieveränderten Rahmenbedingungen angepasst. Beachtlichdabei sind die Kontinuität und die Gemeinsamkeit überdie Fraktionen hinweg; das passiert – das wissen wir –nicht so oft in diesem Haus. Gemeinsam haben wir soder Branche den Rücken gestärkt.Es ist noch gar nicht so lange her: Ende 2008 habenwir die fünfte Novelle beschlossen. Damals sind wir alledavon ausgegangen, dass sie wie vorgesehen für fünfJahre Bestand hat. Aber es kam anders. Im Februar 2009hat das Bundesverwaltungsgericht einen Beschluss ge-fasst, der auch mich überrascht hat. Das Gericht wertetees als mit der Verfassung nicht vereinbar, dass die Zah-lergruppen ihre Beiträge auf unterschiedlicher Grund-lage leisten, dass die Sender ihre Leistung vertraglichgeregelt erbringen und die Kino- und Videowirtschaftdazu gesetzlich verpflichtet ist. Ich kann den Gerechtig-keitssinn der Einzahler, die eine gesetzliche Grundlagefür alle verlangen, durchaus nachvollziehen. Die Kinosfordern seit Jahren Gleichbehandlung in dieser Frage.Wegen der föderal geordneten Zuständigkeit der LänderfnkrensswslkgdseHFsugzwNnttugFcwswdmBnvdwcSsggkTFdBKgfsV
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4853
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tes für die FFA immer schwieriger machen. Über dieHälfte der Filmabgabe wird inzwischen unter Vorbehaltgezahlt. Dabei war es aus meiner Sicht sehr bedauerlich,dass der HDF und die anderen Kinos sich nicht entschie-den von der Klage distanziert haben. Zum Teil wurdedas mitgetragen. Das verstehe ich übrigens bis heutenicht. Welche Interessen werden da eigentlich vertreten?
Ich gebe zu bedenken, dass die wirtschaftliche Lageder Kinos bei der Novelle 2004 möglicherweise nichtangemessen berücksichtigt worden war. Daraus jedochdie Konsequenz zu ziehen, das Filmförderungsgesetzund die Filmförderungsanstalt selbst zur Disposition zustellen, halte ich für total überzogen und verantwor-tungslos. Ich bin jedenfalls bereit, die Lage auch der Ki-noketten genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich möchtewegkommen vom Schwarz-Weiß-Denken, von der Ein-teilung in „gute“ und „böse“ Kinos.Lassen Sie mich prognostizieren, dass die heutigekleine Novelle sehr schnell zeigen wird, wie sich die Ki-nos verhalten werden, die sich bisher verweigern: Ent-weder verharren sie in ihrer Verweigerungshaltung, odersie kommen zurück zur Geschäftsgrundlage der Filmför-derung in Deutschland. Wir jedenfalls haben heute un-sere Hausaufgaben erledigt. Was beanstandet worden ist,ist geheilt. Entweder kommen alle wieder zurück insBoot, oder wir müssen einen klaren Schnitt machen. Ichwerde nicht um Solidarität betteln. Solidarisch ist manaus Überzeugung und Verantwortung für das Ganze.Ein klarer Schnitt würde nicht etwa heißen, dass wirdie Filmförderung in Deutschland einstampfen; nein, aufkeinen Fall. Aber dann müssen wir einen anderen Wegfinden. Ich hoffe sehr, dass es nicht so weit kommt. Mitder heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfes kom-men wir unserer Pflicht nach. Jetzt sind die anderen amZug.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mit 27 Prozent Marktanteil feierten deutscheFilme 2009 ein Rekordergebnis an den Kinokassen. Imgleichen Jahr gewann der Film Das weiße Band die Gol-dene Palme in Cannes, und erst vor kurzem wurde derdeutsche Film Die Fremde bei dem renommiertenTribeca-Filmfestival in New York als bester Spielfilmausgezeichnet. Der deutsche Film schwimmt nationalund international auf einer Erfolgswelle, und das ist auchein Ergebnis der Filmförderung in Deutschland.sFnlAvdgfuwswnlMmItzwt1cDdsHbKfUundLkfevseKbsddd4d
Das Filmglück wäre fast perfekt, wäre da nicht dereit Jahren währende Streit um die Filmabgabe an dieilmförderungsanstalt, die FFA. Ich bin froh, dass wirun eine Kleine Novelle zum Filmförderungsgesetz vor-iegen haben, die diese Problematik aufgreift und festebgabesätze auch für die Fernsehsender vorsieht. Icherbinde damit die Hoffnung, dass auch jene Kinoketten,ie ihre Zahlungen an die FFA bislang unter Vorbehalteleistet haben, nun wieder in vollem Umfang zur Film-örderung beitragen.Wir brauchen eine arbeitsfähige und effektive FFA,m die erfolgreiche Entwicklung des deutschen Filmseiter unterstützen zu können. Denn neben der klassi-chen Filmförderung spielt die FFA auch bei dem aktuellichtigsten Thema der Filmpolitik eine zentrale Rolle,ämlich bei der Digitalisierung der Kinos in Deutsch-and. Es ist unausweichlich, dass, wie bereits in anderenedienformaten geschehen, auch das Abspielen von Fil-en im Kinosaal zukünftig mit digitaler Technik erfolgt.n wenigen Jahren werden Filmkopien nur noch in digi-aler Form verbreitet werden. Die Digitalisierung bietetudem große Chancen für die Kinos, ihr Angebot zu er-eitern, etwa durch die Präsentation von Sportveranstal-ungen oder großen kulturellen Ereignissen.In Deutschland gibt es etwa 3 700 Kinoleinwände.200 Leinwände gehören zu kleineren Kinos im ländli-hen Raum oder zu Programm- und Arthouse-Kinos.iese sind aufgrund ihrer schwachen Umsätze nicht iner Lage, die Umstellung auf den digitalen Standardelbst zu finanzieren. Ohne eine Unterstützung dieseräuser würden wir in den nächsten Jahren ein Kinoster-en erleben, das äußerst negative Auswirkungen auf denultur- und Filmstandort Deutschland hätte.Ich bin Ihnen, Herr Staatsminister Neumann, dankbarür die Eckpunkte eines Konzeptes, das zeigt, wie diemstellung auf digitale Technik in den Kinos organisiertnd finanziert werden kann. Das Konzept trägt mit sei-er Zwei-Säulen-Struktur auch dem Umstand Rechnung,ass nur ein Teil der Kinos – nämlich genau diese 1 200einwände –, die dies nicht aus eigener Tasche zahlenönnen, von der Förderung profitieren. Ich halte es auchür wichtig, dass der Finanzierungsanteil des Bundes aufin Viertel der Kosten begrenzt ist. Weitere Mittel sollenon den Ländern, den Verleihern und der FFA kommen,odass die Kinos insgesamt bis zu 80 Prozent der Kostenrstattet bekommen.
An dieser Stelle sehe ich aber den entscheidendenritikpunkt an dem jetzt vorliegenden Konzept. Es fehltisher an konkreten Vereinbarungen, in welcher Höheich die Filmwirtschaft und die Länder an den Kostener Digitalisierung beteiligen und wie die einzelnen För-ermaßnahmen miteinander wirken. Der Deutsche Bun-estag hat in den Beratungen zum Haushalt 2010Millionen Euro bereitgestellt. Wir haben die Freigabeieser Mittel aber unter den Vorbehalt gestellt, dass sich
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4854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Dr. Claudia Winterstein
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die Länder und die Filmwirtschaft an den Kosten beteili-gen.Ich gehe davon aus, dass wir von Herrn StaatsministerNeumann ein konkretes Konzept zur Umsetzung der Di-gitalisierung vorgelegt bekommen. Die Digitalisierungmuss in allen Kinos Einzug halten – im Interesse des Fil-mes und der kulturellen Vielfalt in Deutschland.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kathrin Senger-
Schäfer von der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Filmkritikerin habe ich die Möglichkeit, viele neue
deutsche Filmproduktionen zu sehen, was eine hoch
spannende Aufgabe darstellt. Auch für die Linke ist der
deutsche Film ein wertvolles Kulturgut, dessen finan-
zielle Förderung wir ausdrücklich begrüßen; denn allein
auf marktwirtschaftlicher Grundlage ist heute keine Pro-
duktion von Qualitätsfilmen mehr denkbar. Die Filmför-
derung des Bundes und der Länder hat sich durchaus be-
währt.
Der deutsche Film hat sich in den letzten Jahren na-
tional und international einen Namen gemacht. Von den
Oscar gekrönten Verfilmungen wie Die Blechtrommel
oder Das Leben der anderen bis zu unterhaltsamen Pu-
blikumsrennern wie Der Schuh des Manitu oder Kein-
ohrhasen – keiner dieser Filme wäre denkbar ohne das
Instrument Filmförderung.
Das Filmförderungsgesetz wird regelmäßig den aktu-
ellen Gegebenheiten angepasst. Dabei geht es um die
grundlegenden Rahmenbedingungen der Filmproduktion
in den kommenden fünf Jahren. Die nächste Novelle
wäre eigentlich erst 2014 erforderlich geworden. Doch
heute beraten wir über eine Novellierung aus besonde-
rem Anlass. Es gibt eine Klage. Bislang wird die Film-
förderung zu etwa einem Drittel durch die sogenannte
Filmabgabe der Kinobetreiber und Videotheken finan-
ziert, eine gesetzliche Pflichtabgabe. Die anderen zwei
Drittel der Finanzierung kommen von den öffentlich-
rechtlichen und den privaten Fernsehanbietern. Dies
aber sind bisher freiwillige Beiträge auf Vertragsbasis.
Pflichtabgaben standen also freiwilligen Abgaben ge-
genüber. Die Kinobetreiber empfanden das als unge-
recht. Genau deshalb klagten sie gegen das Gesetz und
bekamen im Februar vergangenen Jahres vom Bundes-
verwaltungsgericht recht. Daraufhin brachte die Bundes-
regierung nach erfolglosen Zwischenschritten die soge-
nannte Kleine Novelle zum Filmförderungsgesetz auf
den Weg, um die es hier geht. Dadurch werden erstmals
gesetzlich festgeschriebene Abgaben auch für die Fern-
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urch weitere geschickte Rechenmodelle dürfte er sogar
erschiedene Einnahmen gegenrechnen.
Wie gesagt, die Linke begrüßt zwar die gesetzlich
erankerte Filmförderung. Wegen der dargestellten er-
eblichen Mängel der vorliegenden Novelle zum Film-
örderungsgesetz können wir aber leider nicht zustim-
en.
us unserer Sicht besteht noch erheblicher Nachbesse-
ungsbedarf.
uch wir würden uns freuen, wenn es künftig statt „Wo
itte geht’s nach Hollywood?“ noch öfter hieße: „Wo
itte geht’s nach Babelsberg?“.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth vonündnis 90/Die Grünen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4855
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Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-allererst möchte ich sagen: Wir freuen uns, dass die Be-ratungen zur vorliegenden Novelle zum Filmförderungs-gesetz in einem, wie ich finde, vertrauensvollen Klimazwischen den Fraktionen und auch mit dem BKM, HerrnNeumann, stattgefunden haben. Das ist ein gutes Signaldafür, dass man in der Politik an einem Strang ziehenkann. Das passiert in der Tat nicht allzu oft.
Wir Grüne – das ist in dieser Frage klar – wollen un-seren Beitrag leisten, damit eine sehr breite und ganzdeutliche Mehrheit im Bundestag diese Novelle mitträgt;denn es ist sehr wichtig, dass wir gemeinsam signalisie-ren, welche Bedeutung die FFA hat. Die Botschaft diesesTages von dieser Stelle aus muss sein: Erstens. Der Er-halt und die Entwicklung der FFA sind wirklich zentraleGrundlagen für den kulturell anspruchsvollen Kinofilmin Deutschland. Zweitens. Die Sicherung der FFA hat füruns hier im Bundestag eine hohe kulturpolitische Priori-tät, und zwar über die Fraktionsgrenzen hinweg.
Wir wissen doch, was los war. Wir alle wissen, dassgroße Kinobetreiber ihre Beitragszahlungen an die FFAnur noch unter Vorbehalt geleistet haben. Dabei habensie das Argument der Ungleichbehandlung vorgebracht,weil die Beitragsordnung für Fernsehveranstalter undVermarkter von Pay-TV-Programmen bisher nicht ge-setzlich fixiert war. Das Bundesverwaltungsgericht hatdem entsprochen. Mit dieser Novelle wird eine klare Re-gelung vorgelegt, die wir unterstützen. Wir gehen davonaus – darum geht es; darauf haben die Kolleginnen undKollegen schon hingewiesen –, dass die Finanzsicherheitder FFA damit wiederhergestellt ist und eines der wich-tigsten Filmförderinstrumente im Sinne der Filmproduk-tion in Deutschland gesichert wird.Ich möchte aber darauf hinweisen, dass uns das nichtausreicht. Wir sehen bei der FFA einen deutlich größerenReformbedarf, nicht zuletzt – Sie wissen, was kommt –hinsichtlich der Rolle der Kreativen in der FFA. Nunwill ich nicht sagen, dass die Film- und Kinowirtschaftund alle übrigen Beteiligten nicht kreativ sind. HerrNeumann ist nun definitiv ein kreativer Mensch.
– Doch, schon. – Wenn er es will, dann ist er es.
Das wollte ich aber gar nicht sagen.lüvbFWonSßSKzgdPgglrtbuMtguwzdsfez–ugpiwbbwwbesu
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4856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Präsident, ich hoffe, dass Sie mit mir zufriedener
sein werden als Ihr Kollege heute Morgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute
über das Sechste Gesetz zur Änderung des Filmförde-
rungsgesetzes. Das ist notwendig geworden, weil die
obersten Gerichte entschieden haben, dass die bisherige
Filmabgabenregelung eine Ungleichbehandlung dar-
stellt. Das heute zur Abstimmung stehende Änderungs-
gesetz soll diese Abgabengerechtigkeit wiederherstellen.
Grundsätzlich orientieren sich die Abgaben der Fern-
sehveranstalter wie bisher bei den Kinobetreibern zu ei-
nem festen Prozentsatz an der Höhe der jeweiligen Ein-
nahmen. Sender mit einem Spielfilmanteil von unter
2 Prozent oder einem Gesamtumsatz mit Programmen,
die auch Spielfilme enthalten, von unter 750 000 Euro
im Jahr sind von der Abgabe befreit.
Wir müssen jetzt Änderungen vornehmen, damit wir
auf diesem Gebiet weiterhin so erfolgreich sein können,
wie es meine Vorrednerinnen und Vorredner schon be-
tont haben. Ich glaube, wir alle konnten in den letzten
Jahren feststellen, dass der deutsche Film nicht nur er-
folgreich ist – die Zahlen sind vom Kollegen Börnsen
genannt worden –, sondern auch cool geworden ist.
Die Verleihungen sind besser geworden, nicht nur beim
Deutschen Filmpreis, sondern auch beim Bayerischen
Filmpreis und bei allen anderen. Das sind coole Veran-
staltungen mit Glamour. Man kann mit Fug und Recht
sagen, dass wir uns hier in Deutschland nicht hinter
Hollywood verstecken müssen.
Auch die Themen der Filme wurden angesprochen.
Sie sind nicht nur bildend, sondern auch gesellschafts-
abbildend. Das weiße Band wurde schon mehrfach ange-
sprochen; auch ich möchte den Film hervorheben. Ich
glaube, dass viele in diesem Land, denen ein solches
Drehbuch vorgelegt worden wäre, erst einmal überlegt
hätten, ob man so etwas machen kann, ob so etwas Er-
folg haben kann. Ich finde es absolut beeindruckend, wie
ein in Schwarz-Weiß gedrehter Film uns alle begeistert
hat.
Wir blicken hier auch dank des fraktionsübergreifen-
den Engagements, aber vor allem dank des BKM, Bernd
Neumann, und des DFFF auf eine großartige Erfolgsge-
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Ich bedanke mich bei der Kollegin Claudia Roth für
en schönen Ausdruck, den sie gerade gewählt hat – bes-
er kann man es eigentlich nicht in einem Satz zusam-
enfassen –: Das Kino soll im Dorf bleiben. – Mir ge-
ällt der Satz sehr gut, weil er genau zu unserem
nspruch passt. Wir wollen die kulturelle Grundversor-
ung flächendeckend gewährleisten, nicht nur in den
roßstädten, sondern, wo es möglich ist, wirklich in je-
em einzelnen Dorf. Jetzt kann man sagen, dass die Ro-
antik durch die Digitalisierung etwas verloren geht,
eil es keine zerrissenen Filmrollen mehr gibt und es
icht mehr vorkommt, dass die Spulen nicht rechtzeitig
ewechselt werden, weil der Vorführer anderweitig be-
chäftigt ist. Das finde ich persönlich ein bisschen
chade. Trotzdem ist es ein großes Anliegen, das wir alle
nterstützen, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die viel
eld und Leidenschaft in den Betrieb eines kleinen oder
ittleren Kinos stecken, weiterhin vertreten sein kön-
en.
Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten – ich hoffe,
as tun Sie auch –: Ich schenke Ihnen die letzte Minute
einer Redezeit, damit wir früher nach Hause kommen
nd wir alle heute Abend, wenn möglich, in ein ländli-
hes Kino gehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen
on der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!etzt hat Kollegin Bär natürlich Zeitdruck ausgelöst.uch ich will Sie nicht davon abhalten, heute Abend inhr ländliches Kino zu gehen.Mit der vorliegenden Novelle ist unter der Modera-ion von Staatsminister Neumann ein richtungsweisen-er Kompromiss gelungen, der die deutsche Filmwirt-chaft in die Lage versetzt, die Filmförderung vor allem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4857
Burkhardt Müller-Sönksen
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aus eigenen Mitteln – das unterscheidet uns von den Lin-ken – voranzutreiben. Diesen Kompromiss begrüßen wirausdrücklich. Wir freuen uns auch darüber, dass gemein-sam mit der SPD und den Grünen die breite Mehrheitdieses Hauses dem Gesetzentwurf zustimmen wird. Dasist ein deutliches Signal in Richtung Karlsruhe: Nicht dieGerichte, sondern wir hier im Parlament machen Film-politik in Deutschland.
Um aber den Film zu fördern – ich möchte einen an-deren Bereich ansprechen und mich den vielen Gedan-ken der anderen anschließen –, bedarf es aus unsererSicht weiterer Maßnahmen. Der Schaden durch Raubko-pien und illegale Downloads betrifft nicht, wie häufigangenommen, nur die großen Produktionen aus denUSA, sondern schadet auch den deutschen Produktionenund damit dem Mittelstand immens. Hier ist neben demEngagement der Branche in jedem Fall auch die Politikgefragt.Für uns Liberale ist die Wahrung des Urheberrechtseine staatspolitische Aufgabe.
Wir beobachten daher seit einigen Monaten die Grün-dungsbemühungen einer Partei, die das Urheberrechtgänzlich infrage stellt, mit großer Sorge. Wer den Schutzgeistigen Eigentums nicht anerkennt, der wird auch inanderen Bereichen vor Rechtsbrüchen nicht haltmachen.
Wir ermutigen die Branche, auch im Kampf gegen diePiraterie an einem Strang zu ziehen. Ein zentrales Mittelzur Bekämpfung der Piraterie ist aus unserer Sicht dieEntwicklung attraktiver Geschäftsmodelle, die den Nut-zerinnen und Nutzern interessante Alternativen zu ille-galen Downloads bieten.
Ebenso wie wir die Bekämpfung der Piraterie als ge-meinsame Aufgabe mit der Privatwirtschaft begreifen,müssen wir die Zusammenarbeit mit der Filmwirtschaftintensivieren, um die Filmförderungsanstalt an die Be-dingungen einer modernen Mediengesellschaft anzupas-sen. In Deutschland wird großes Kino geboten. Sorgenwir dafür, dass das so bleibt.
Wie Sie wissen, schlägt mein Herz für alle Mediengleichermaßen, also nicht nur für das Kino. Ich schließemich den Grünen und hier Claudia Roth gerne an: Dieimmer noch sogenannten neuen Medien entwickeln sichrasant, und der Prozess der Medienkonvergenz schreitetunaufhaltsam voran. Weil die Grenzen zwischen den ein-zelnen Medien verwischen, ist es im Sinne einer konse-quenten Weiterentwicklung nur zeitgemäß, auch über dieMöglichkeit einer übergreifenden Förderung für die ge-stitstFdrmrcnFuusmdnsIiDvzlAimfdSdletbfVbvram
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
un der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSU-
raktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innserem täglichen Leben sind Medien im Allgemeinennd Filme im Besonderen so präsent, dass sie die Gesell-chaft ein ganzes Stück weit beeinflussen. So weit kannan, glaube ich, gehen. Unser Bild von der Welt wirdurch das Medium Film, besonders durch die großen Ki-ofilme, geprägt.Ich finde es toll, dass der Film – das ist schon ange-prochen worden – immer neue Rekordzahlen erreicht.m letzten Jahr gab es 146 Millionen Kinobesucher; dasst die höchste Besucherzahl seit 20 Jahren. Fast einrittel der Produktionen sind deutsche Produktionen; soiele waren es noch nie. 14 der in Deutschland produ-ierten Filme haben es im letzten Jahr geschafft, ein Mil-ionenpublikum zu erreichen. Das ist großes Kino.Einen wesentlichen Beitrag zu diesem erfreulichenufstieg des Kultur- und Wirtschaftsgutes Film hat dern der vergangenen Legislaturperiode von Kulturstaats-inister Bernd Neumann initiierte Deutsche Filmförder-onds geleistet. Das war eine große Erfolgsgeschichte,ie auch in der Breite anerkannt wird. Die wichtigsteäule für die Filmförderung in Deutschland ist jedochie Filmförderungsanstalt, die FFA, ein Eigenentwick-ungsinstrument der Filmwirtschaft. Die Mittel werdenben nicht aus dem Staatshaushalt, sondern durch Bei-ragszahlungen der Verwerter von Kinofilmen aufge-racht, also von den Kinos, der Videowirtschaft, den öf-entlichen und privaten Fernsehveranstaltern sowie denermarktern von Bezahlfernsehen. Als Gesetzgeber ha-en wir lediglich den gesetzlichen Regelungsrahmenorgegeben, und zwar deshalb, weil die Branche uns da-um gebeten hat.Weil der Kino- und Videosektor seine Abgaben bisheruf gesetzlich festgeschriebener Grundlage leistenusste und die Fernsehveranstalter freiwillige Abgaben
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Marco Wanderwitz
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auf vertraglicher Basis geleistet haben, sah das Bundes-verwaltungsgericht hier ein verfassungsrechtliches Pro-blem. Wir haben uns entschlossen, vorbeugend tätig zuwerden. Das heißt nicht – das sage ich bewusst für dasProtokoll –, dass wir uns der Meinung des Bundesver-waltungsgerichts anschließen. Wir wollen vielmehrRechtssicherheit schaffen und die FFA – die Problematikwurde schon beschrieben – schnell vollständig hand-lungsfähig machen. Eine grundsätzliche Veränderungder Finanzierungssystematik, an die man in diesem Zu-sammenhang denken könnte, lehnen wir aber ganz be-wusst ab.Wir glauben, dass durch die Einführung des neuen ge-setzlichen, vorteilsgerechten Abgabemaßstabes Abga-bengerechtigkeit für die Fernsehveranstalter und die An-bieter von Bezahlfernsehprogrammen gewährleistetwird. Auch die rückwirkende Geltung ab dem 1. Januar2010 halten wir für verfassungsrechtlich einwandfrei.Die Kläger gegen das derzeitige FFG hätten somit dasvon Ihnen vorgegebene Ziel der Einzahlergerechtigkeittheoretisch erreicht. Dennoch wird die Klage aufrecht-erhalten, dennoch werden ständig neue Forderungen undBegründungen nachgeschoben. Für mich ist der Ein-druck ganz klar: Es geht um mehr als das, was jetzt vor-getragen wird. Das System der Filmwirtschaft wird einStück weit infrage gestellt. Dazu passt es, dass sich diegroßen Kinos gar nicht auf unser Angebot zur Kinodigi-talisierung eingelassen haben.Frau Kollegin Krüger-Leißner, sicherlich sind wirhinterher ein Stück schlauer, aber ich glaube trotzdem,dass es richtig war, noch einmal ein Angebot vonseitender Politik, vonseiten der Bundesregierung zu unterbrei-ten. Wir haben gesagt: Wir versuchen es mit einer Ver-handlungsrunde. Das wird die letzte gewesen sein. Ichglaube, darüber sind wir uns alle einig. Aber zumindesthaben wir noch einmal den Versuch gemacht. Das warrichtig, auch wenn er nicht fruchtbar war.
– Wir haben ein bisschen Zeit verloren, zweifellos.An dieser Stelle möchte ich eine andere Replik brin-gen. Frau Kollegin Senger-Schäfer, es gibt durchausFilme – so war das vielleicht gemeint –, die sich refinan-zieren. Sprich: Es ist schwer, fast unmöglich, ohne För-derung zu produzieren. Es sollte aber nicht der Eindruckentstehen, dass es keine Filme gebe, die sich rechnen. Esgibt durchaus eine ganze Menge Filme, die sich rechnen.Da wir gerade dabei sind, will ich noch einen Satz dazusagen: Das Beispiel mit dem Steuersatz des Ministershielt ich in diesem Zusammenhang für zumindest nichtangebracht.
Mit dem nun geplanten Förderkonzept „Digitalisie-rung der deutschen Kinos“ schaffen wir es, unter Einbin-dung der Länder und der FFA mit aufeinander abge-stimmten Fördermaßnahmen bis zu 80 Prozent derDigitalisierungskosten für die kleinen und mittelständi-schen Kinos abzubilden. Das ist ein Vorhaben aus unse-rdzsdwucKdrKfBsdwWtZnuGWeSBL
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-ung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss fürultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-ehlung auf Drucksache 17/1938, den Gesetzentwurf derundesregierung auf Drucksache 17/1292 in der Aus-chussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dieem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-er Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke undustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses ange-ommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-ntwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, derPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktionündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Dieinke angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:a) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenUlrich Kelber, Marco Bülow, Rolf Hempelmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVerlängerung von Restlaufzeiten von Atom-kraftwerken – Auswirkungen auf die Entwick-lung des Wettbewerbs auf dem Strommarktund auf den Ausbau der Erneuerbaren Ener-gien– Drucksache 17/832 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrichKelber, Marco Bülow, Rolf Hempelmann, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPDLaufzeitverlängerung nicht mehr durchsetz-bar – Energiekonzept neu justieren – Energie-politische Bremse lösen– Drucksache 17/1980 –
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeUlrich Kelber für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Schwarz-Gelb hat sich in eine atomare Wagen-burg geflüchtet. Wenn sich die Anführer dieser schwarz-gelben Truppe umsehen, sehen sie, dass sie ein kleines,verlorenes Häuflein geworden sind. Um die Wagenburgherum sind längst nicht mehr nur die Rothäute, die India-ner,
nein, auch die eigene Kavallerie ist schon auf der an-deren Seite, und bei einem der eigenen Anführer, demUmweltminister, weiß man nie, ob er innerhalb oder au-ßerhalb der Wagenburg ist. Das scheint sich im Stunden-rhythmus zu ändern.
Wie damals bei Cowboys und Indianern sind auch hierdiejenigen in der Wagenburg die Friedensbrecher, dieEindringlinge, die ihre eigenen Interessen brutal durch-setzen wollen.Das Interessante ist: Seit Beginn der Diskussion ha-ben sich die Warnungen an dieses schwarz-gelbe Häuf-lein in der Wagenburg massiv verstärkt. Allein schon dieDebatte über eine Verlängerung der Laufzeiten vonAtomkraftwerken und die Verzögerung der Entscheidun-gen führt zu einem Zusammenbruch der Investitionen.Es sind Ihre eigenen Bürgermeister und Kommunalräte,die Sie auffordern, diesen Unsinn zu unterlassen,
der Deutsche Städtetag mit einer CDU-Oberbürgermeis-terin an der Spitze. Die kommunalen Stadtwerke machendeutlich, welche Verluste es für Stadtwerke in Bürger-hand geben würde, wenn die Laufzeiten der Atomkraft-werke der großen Energiekonzerne verlängert würden.All diese Warnungen aus der Praxis interessieren dieschwarz-gelbe Atomwagenburg nicht.Vor der Zementierung der Monopole wird gewarnt.Jeder weiß, was Monopole bedeuten: ungerechtfertigthohe Preise und geringe Innovationen. Gibt es Ihnennicht zu denken, dass die letzten drei Präsidenten desBundeskartellamts unisono vor der Verlängerung derLaufzeiten warnen? Herr Böge warnt in einem Gutach-ten für die Stadtwerke. Der frühere Chef, Herr Heitzer,warnt in seinem letzten Interview in diesem Amt vor ei-ner Verlängerung der Laufzeiten, bevor er als Staatsse-kretär im Wirtschaftsministerium in diese Regierungwechselt. Auch der aktuelle Präsident – er wurde aufTlpddwdmhBilddg–ldkuwcEfndddIFWezBrWwWddDDam
Vor einigen Wochen mussten Sie feststellen, dass auser Wagenburg wieder ein Wagen herausgebrochenurde, nämlich der nordrhein-westfälische Wagen. Stattie Wagenburg zu öffnen, wurde sie noch kleiner zusam-engefasst. Jetzt hat man sich entschieden: Wir umge-en die verlorene Bundesratsmehrheit, obwohl es einenrief der Ministerpräsidenten Koch und Oettinger gibt,n dem steht, dass dies verfassungsrechtlich nicht mög-ich ist, obwohl das Umweltministerium ein Gutachtenes bisherigen Verfassungsgerichtspräsidenten Papier inie Hand bekommen hat, in dem steht, dass das nichteht, obwohl BMI und BMJ als Verfassungsressortssie haben sie geradezu gezwungen, Ihnen eine Stel-ungnahme zu liefern, in der steht, dass man ohne Bun-esratszustimmung verlängern kann – zu dem Ergebnisommen, dass eine solche Entscheidung mit einem nichtnerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbundenäre.Das heißt, Sie wollen bewusst die Verfassung bre-hen, um dann auf Zeit zu spielen. Sie hoffen, dass dientscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht so-ort fällt, sondern erst nach einigen Jahren. Ich sage Ih-en: Wir bekämpfen das politisch, wir engagieren uns iner Zivilgesellschaft, die dagegen aufsteht, wir werdenagegen klagen, und wir werden eine Eilentscheidunges Bundesverfassungsgerichtes beantragen. Wir lassenhnen das nicht durchgehen.
Herr Kauch, ich bin insbesondere verwundert, wie dieDP im Widerspruch zu den eigenen Werten steht.
arum schützen Sie einen Verfassungsbruch? Sie wareninmal eine Rechtsstaatspartei. Warum schützen Sie dieentrale Energieerzeugung, anstatt den Bürgerinnen undürgern Freiheit mit dezentraler Energieerzeugung zu-ückzugeben? Warum schützen Sie Monopole, statt denettbewerb zu fördern? Hören Sie denen zu, die Siearnen!Die hohen Preise kann man ablesen. Ich habe mir dieerte noch einmal besorgt. Allein die Gewinne der bei-en größten Energiekonzerne betragen über 16 Milliar-en im Jahr.
as sind mehr als 200 Euro pro Bürgerin und Bürger.ie beiden zusammen haben wohl mehr verdient als allenderen börsennotierten deutschen Unternehmen ge-einsam. Das ist die Größenordnung, in der diese Mo-
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4860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Ulrich Kelber
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nopole, deren Kraftwerke Sie jetzt über den bisherigengesetzlichen Rahmen hinaus verlängern wollen, übermä-ßige Preise von den Privathaushalten und unserer Wirt-schaft – zulasten der Wettbewerber und zulasten der Ver-braucherinnen und Verbraucher – verlangen.Ich hoffe, dass Sie mit dem Atomausstieg endlich Ih-ren Frieden machen. Irgendwann muss man einsehen,dass die Wagenburg so klein geworden ist, dass mannicht mehr lange durchhalten kann. Jeder Tag, den Sie inder Wagenburg verbringen, ist nicht nur ein parteitakti-sches Problem für Schwarz-Gelb, sondern auch ein Pro-blem für Deutschland; denn solange Sie auf dieserBremse stehen, wird nicht investiert. Selbst die Großenwie RWE stellen andere Investitionen zurück. Die Stadt-werke schreiben Ihnen doch: Wir investieren nicht, be-vor wir wissen, wie das Umfeld ist, und wir werdennicht investieren, wenn Sie die Atomkraftwerkslauf-zeiten verlängern. – Andere Länder investieren jetzt indiese Zukunftstechnologien und beginnen, uns zu über-holen. Aber Sie stehen in Sachen Technologieentwick-lung auf der Bremse und sorgen so dafür, dass Deutsch-land seine Technologieführerschaft verliert. Daserkennen immer mehr Menschen in unserer Gesell-schaft.
Ich will Ihnen ein letztes Beispiel nennen. Auf meineInitiative hin wurde in den Bonner Stadtrat der Antrageingebracht, die Abgeordneten der Region aufzufordern,wegen der Verluste für die Städte nicht für eine Laufzeit-verlängerung zu stimmen; zu den Abgeordneten in derRegion gehören neben mir unter anderem NorbertRöttgen und Guido Westerwelle.
Über diesen Antrag wurde mit den Stimmen von SPD,Grünen, Linkspartei und CDU Beschluss gefasst. Dasheißt, Sie werden Post von Ihren eigenen Leuten bekom-men und aufgefordert, diesen Unsinn zu lassen.
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!Meine Herren! Lieber Herr Kelber, ich rate Ihnen, etwasweniger Bonanza zu schauen und vielleicht einmal dieRealität anzuerkennen.alnTKggUbFfidrgSbzadstDI–dGdruMEwE
ragen Sie RWE und EnBW, warum sie es nicht schaf-en, im Schwarzwald ein großes Projekt, das notwendigst, um die erneuerbaren Energien auszubauen, nämlichas Schluchseeprojekt, das Pumpspeicherkraftwerk, vo-anzubringen. Es sind überall rot-grüne Allianzen, dieegen diese Investitionen stimmen. Überall versuchenie, diese Investitionen zu verhindern. Das ist das Pro-lem, das wir in unserem Land haben.
Sie haben die Frage gestellt: Brauchen wir die Lauf-eitverlängerung? Ich möchte ganz kurz grundsätzlichuf diesen Punkt eingehen. Meine Damen und Herren,as ist mir sehr ernst: Wir sind seit zwei Jahren in derchlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise in der jüngs-en Geschichte unseres Landes.
iese Finanz- und Wirtschaftskrise hat einen Ursprung.m Kern ist sie eine Verschuldungskrise.
Ein Hauptbestandteil der Finanzkrise ist die Verschul-ungskrise.Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass weltweit einroßteil unseres Wachstums und unseres Wohlstands inen letzten Jahren auf Schulden basierte. Die große He-ausforderung der nächsten drei bis fünf Jahre wird sein,nsere Wachstums- und Wohlstandsimpulse aus anderenotoren zu bekommen. Hier wird unter anderem dienergiepolitik ein ganz zentraler Bestandteil sein. Einesentlicher Punkt wird sein, dass wir die erneuerbarennergien ressourcenschonend und effizient ausbauen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4861
Thomas Bareiß
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und dass wir zu einer klimafreundlichen Energiepolitikübergehen. Aber das schaffen wir nicht so schnell, wiewir es bräuchten.
Die Kernfrage bei der Laufzeitverlängerung ist, obwir es schaffen, die Kernenergie bis 2022, wie Rot-Grünbeschlossen hat, durch erneuerbare Energien zu ersetzen.Wir werden das bis 2022 nicht schaffen, weil wir enormeHerausforderungen zu bewältigen haben; das müssenauch Sie einmal anerkennen. Wir müssen das Netz aus-bauen, und wir müssen Speichertechnologien aufbauen;sonst werden wir die erneuerbaren Energien gar nicht insNetz integrieren können. Das sind die Themen, die wirangehen müssen.
Wir müssen uns jetzt die Frage stellen, wie lange wir da-für brauchen, auch unter Berücksichtigung des Zieldrei-ecks, dass wir auch zukünftig saubere, günstige und si-chere Energie bereitstellen.Unter diesen Prämissen müssen wir schauen, wie wirbis zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Kernenergie durchdie erneuerbaren Energien ersetzen, diese Brücke gestal-ten können.
Über diese Frage werden wir in den nächsten Wochendiskutieren. Es geht nicht um Zahlenspielereien, ob dasalso noch 4, 8, 12 oder 16 Jahre dauert, sondern wir wer-den diese Frage in den nächsten Monaten fundiert undsachgerecht beantworten.
Es wird dann auch darum gehen, wie wir die Bundes-länder einbeziehen und wie wir vielleicht auch mehr Ge-winne abschöpfen können, um in erneuerbare Energienund auch in Netze zu investieren, und es wird auch umdie Sicherheit gehen. Über all diese Fragen werden wirin den nächsten Wochen zielgerichtet diskutieren, undwir werden sie beantworten, um relativ schnell zu einerEntscheidung darüber zu kommen, wie lange wir dieKernenergie noch brauchen.Im Herbst werden wir uns dann mit den wirklichwichtigen Themen beschäftigen, nämlich mit der Frage,wie wir es schaffen, die Herausforderungen, die ich ebenbeschrieben habe – Netzausbau, Speichertechnologien,Gestaltung des Mix aus erneuerbaren Energien –, zu be-wältigen. Diese Frage, über die wir hoffentlich sachge-recht mit Ihnen diskutieren können, werden wir in dennächsten Monaten beantworten.Insofern freue ich mich auf die Diskussion über denzukünftigen Energiemix. Ich glaube, die Kernenergiewird und muss dabei eine wichtige Rolle spielen, auchüber die nächsten zehn Jahre hinaus.FHwIgldvsekadwaEVnPddhDlsksFAksi
ch frage mich dann allerdings, wieso sich die Bundesre-ierung einen Sachverständigenrat für Umweltfrageneistet,
er vor wenigen Wochen ein umfangreiches Gutachtenorgelegt hat, wenn Sie noch nicht einmal dort hinein-chauen, geschweige denn einmal darüber nachdenken.Dieser Sachverständigenrat legt dezidiert klar, dassine Laufzeitverlängerung nicht notwendig, sondernontraproduktiv ist, und zwar sowohl ökologisch alsuch ökonomisch. Dieser Sachverständigenrat bestätigtas, wofür die Mehrheit der Bevölkerung längst ist undas sie fordert, nämlich den schnellstmöglichen Atom-usstieg. Dieser ist sehr wohl unter Beibehaltung dernergiesicherheit und unter Gewährung einer sicherenersorgung zu machen.
Wir haben nicht das Problem, dass die Grundlasticht erreicht werden könnte, wir haben vielmehr dasroblem, dass Sie immer noch in Richtung der Grundlastenken und glauben, die Atomkraft sei bei dem Umfang,en die erneuerbaren Energien inzwischen angenommenaben, mit ihnen zu kombinieren.
ie Realität ist doch, dass Windanlagen und andere An-agen für erneuerbare Energien inzwischen häufig abge-chaltet werden, weil zu viel Strom vorhanden ist. Atom-raftwerke sind dagegen – wir alle wissen das – nicht sochnell und leicht regelbar.
olglich besteht hier ein Systemkonflikt zwischen dennlagen für erneuerbare Energien und den Grundlast-raftwerken, die Sie weiterlaufen lassen wollen.Ich komme noch einmal zu dem Märchen, Atomstromei so billig. Natürlich ist die Erzeugung von Atomstromn alten, abgeschriebenen Kraftwerken, bei denen man
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4862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Dorothée Menzner
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darauf verzichtet hat, sie auf die neuesten Sicherheits-standards nachzurüsten, billig. Sie vergessen danebenimmer wieder, dass der Steuerzahler seit JahrzehntenAbermilliarden Euro für diese Hochrisikotechnologiegezahlt hat.175 Milliarden Euro an Subventionen sind in denletzten Jahren für die Atomenergie geflossen. Das sindüber 2 000 Euro je Bürger, vom Baby bis zum Greis.Hierbei ist zum Beispiel das, was uns das Desaster derAsse kosten wird, noch gar nicht eingerechnet. Das istalso überhaupt nicht billig für die Bürgerinnen und Bür-ger, von den Unsicherheiten und Gefahren einmal ganzzu schweigen.
In den 17 Reaktoren sind in den letzten Jahren imSchnitt 140 meldepflichtige Ereignisse und Störfälle auf-getreten. Je älter ein Reaktor ist, desto mehr Risiken gibtes; das ist nachgewiesen. Bei einer Laufzeit von über20 Jahren steigt die Kurve exponentiell.Es wird auch immer wieder das Märchen erzählt, wirbräuchten die Atomkraft, weil wir CO2 sparen und ange-sichts des Klimawandels dort aktiv werden müssten.Wenn man die Gesamtbilanz berücksichtigt und die Ge-winnung und den Transport der benötigten Rohstoffe miteinbezieht, dann hat ein Atomkraftwerk eine schlechtereCO2-Bilanz als jedes fossile Erdgas-Blockheizkraftwerk.
– Nein, das sind ganz normale Grundrechenarten.
Ich werde Sie an dieser Stelle nicht noch einmal aufdie Gefahrenpotenziale im laufenden Betrieb hinweisen.Ich werde auch nicht über die Gefahren der Endlagerungsprechen, auch wenn wir das immer wieder ausgiebigtun müssen. Aber jede Bürgerin und jeder Bürger weißgenau, mit welchen Gefahren die Endlagerung verbun-den ist. Es zeigt sich tagtäglich im Asse-Untersuchungs-ausschuss, welche Desaster mit ungewissem Ausgangund vor allem mit ungewissen Kosten dadurch verur-sacht werden.Eine Laufzeitverlängerung ist nicht nur ökologischSchwachsinn, sondern auch ökonomisch. Sie behindertden Ausbau erneuerbarer Energien und ist eine Rollerückwärts.Sie können gerne Politik gegen die Mehrheit der Be-völkerung machen. Das machen Sie in vielen Bereichen.Aber ich prophezeie Ihnen, das wird Ihnen nicht beson-ders gut bekommen. Das, was wir in den letzten Wochenund Monaten in Berlin oder mit der Menschenkette er-lebt haben, war nur ein sanfter Auftakt. Das können wirgerne weiterführen, und das werden die Menschen auchweiterführen; denn sie lassen sich nicht für dumm ver-kaufen.trzndwTwsSAFIFKhueVAüskdwltiikuEwlbo
Von daher unterstützen wir den SPD-Antrag. Wir hät-en ihn gerne im Ausschuss noch etwas ausführlicher be-aten, aber es ist auch in Ordnung, wenn Sie ihn heuteur Abstimmung stellen wollen. Ich gebe aber die Hoff-ung nicht auf, dass auch die Kolleginnen und Kollegener Union und der FDP noch dazulernen. Von daheräre die Debatte hilfreich gewesen. Zumindest zumhema Biosprit als Ersatz für fossile Brennstoffe hättenir noch Diskussionsbedarf. Dennoch werden wir zu-timmen.
Lassen Sie mich aber noch eine Bemerkung machen.osehr ich Ihre Forderung unterstütze, die Gewinne derKW-Betreiber abzuschöpfen, müssen Sie doch dierage erlauben, warum das nicht schon in den elf Jahrenhrer Regierungszeit passiert ist.Ich danke.
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieseoalition will den Weg in das regenerative Zeitalter ge-en,
nd wir werden diesen Weg auch gehen. Ich glaube, dasss möglich ist, bis zum Jahr 2050 tatsächlich zu einerollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen.ber: Bis 2050 ist es noch 40 Jahre hin. Wir müssen unsberlegen, wie wir in der Zwischenzeit die Energiever-orgung sichern können. Darauf gibt die Oppositioneine Antwort, und wenn ein Vorschlag kommt wie vonen Grünen, dann der, als Puffer noch ein paar Gaskraft-erke zu bauen. Damit machen wir uns weiter von Russ-and abhängig. Das ist keine verantwortbare Energiepoli-k.
Auch die SPD sollte sich zurückhalten. Sie haben esn elf Jahren Regierungszeit nicht geschafft, ein Energie-onzept vorzulegen,
nd jetzt wollen Sie uns sozusagen in der Endphase desrstellens unserer Energiekonzeption Vorgaben machen,ie wir das Energiekonzept ausgestalten und rechnenassen sollen. Wir als Koalition haben den Auftrag gege-en, verschiedene Varianten, beispielsweise mit mehrder weniger Atomenergie, berechnen zu lassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4863
Michael Kauch
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Dann werden wir sehen, was das für die Versorgungssi-cherheit bedeutet und welche Kosten für die Bürgerin-nen und Bürger entstehen.
Uns geht es darum, einen Weg in das regenerativeZeitalter zu finden, durch den wir die Bürgerinnen undBürger mit sicherer und bezahlbarer Energie versorgenund dabei die Klimaschutzziele erfüllen. Das wird diesesEnergieprogramm leisten.
Meine Damen und Herren von der SPD, wir brauchenkeine Nachhilfe zur Verfassungsmäßigkeit. Unsere Jus-tizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stehtfür die Verfassung. Sie wird dafür sorgen, dass es in die-ser Frage eine verfassungsfeste Lösung geben wird, HerrKelber.
Die Regierungsentscheidung, auf welchem Wege undob eine Lösung mit oder ohne Zustimmung des Bundes-rates herbeigeführt wird, ist noch nicht gefallen. DasGutachten zeigt auf, dass eine maßvolle Laufzeitverlän-gerung eine Möglichkeit ist.
Es ist die Frage, was eine maßvolle Erhöhung der Lauf-zeiten ist. Die Bundesjustizministerin wird dafür sorgen,dass dieses Gesetz verfassungsfest sein wird. Im Gegen-satz zu Ihnen werden wir nicht ein Scheitern vor demBundesverfassungsgericht in Kauf nehmen.
Bei der Pendlerpauschale, bei den Hartz-IV-Sätzen fürKinder und als Sie Passagierflugzeuge abschießen lassenwollten, haben Sie die Verfassung gebrochen. Das hatdas Bundesverfassungsgericht Ihnen bescheinigt.
Wir raten der Bundesregierung, die Koalitionsfraktionenfrühzeitig in die Entscheidung zur Laufzeitverlängerungeinzubeziehen. Es geht um die Dauer der Laufzeitverlän-gerung sowie zusätzliche Sicherheitsanforderungen.Genauso deutlich, wie Herr Bareiß es getan hat, sageich: Die Brennelementesteuer leistet einen Beitrag zurSanierung des Haushalts. Das ist die Begründung, mitder sie im Kabinett beschlossen wurde. Sie kann aller-dings nicht das letzte Wort zur Abschöpfung der Ge-winne sein. Wir stehen dazu, dass die erneuerbarenEnergien Mittel aus diesem Bereich bekommen müssen.AEFLdlgfrsoKehddeklArfrgnb–mR–h4dg
Herr Kauch, vom Ziel her denken ist die Maßgabe,ie nicht nur die Bundeskanzlerin immer vorgibt, son-ern die uns auch alle Wissenschaftler vorgeben, wenns um Energie und Klimaschutz geht. Das bedeutet, ebeneine falschen Wege einzuschlagen. Das hat uns dasetzte Gutachten des SRU noch einmal eindringlich vorugen geführt.Ich war immer der Meinung, der Kalte Krieg sei vo-über. Wer von uns hat eigentlich jahrzehntelang geschla-en? Deshalb erscheint mir die immer wieder beschwo-ene Abhängigkeit von Russland als deutlich wenigerespenstisch als die Abhängigkeit von einer Risikotech-ologie und die unendliche Vermehrung des Atommüllsei einer völlig ungelösten Endlagerungsfrage.
Uran kommt übrigens – völlig richtig; danke schön,ein Fraktionsvorsitzender – zum großen Teil auch ausussland.
Habe ich einen Fehler gemacht?
Die Redezeit ist knapp. – Zum Thema: Wir habeneute bereits 5 800 Tonnen hochradioaktiven Atommüll.800 Tonnen werden bis zum Ende des Atomausstiegsazukommen. Die bis zum Ende des Atomausstiegs pro-nostizierte Menge werden Sie bei einer Laufzeitverlänge-
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Sylvia Kotting-Uhl
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rung um 28 Jahre, die immer noch als Wunsch bei Ihnenherumgeistert, verdoppeln, und das bei einer ungelöstenFrage der Endlagerung und einer dadurch provoziertenungelösten Frage der Zwischenlagerung. Denn die Zwi-schenlagerkapazitäten reichen schon bei einer Laufzeit-verlängerung um zehn Jahre nicht aus; das müssten Sie ei-gentlich wissen.Nach der Vermehrung des Atommülls will ich nochzur Vermehrung der Konzerngewinne kommen. Auchdas ist nicht ganz unwichtig.
Die Landesbank Baden-Württemberg – die Baden-Württemberger sind immer sehr interessiert am Rechnen;ich komme auch aus Baden-Württemberg – hat ausge-rechnet, dass bei einer Laufzeitverlängerung um 10 Jahre76 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne bei den Konzer-nen anfallen. Bei 25 Jahren sind es 201 Milliarden Eurozusätzliche Gewinne. Sie haben sich überlegt, wie Sie ei-nen Teil davon bekommen können; das haben Sie bereitsim Koalitionsvertrag so festgelegt.Die Landesbank Baden-Württemberg hat das übri-gens deshalb ausrechnen lassen, weil sie ihren Kundenempfehlen möchte, Aktien von EVU zu erwerben, weilbei Laufzeitverlängerungen hohe Renditen zu erwartensind. Sie rechnen also völlig richtig. Es gibt Geld, unddie entscheidende Frage lautet: Wie kommt man daran?Nun ist Ihnen die Brennelementesteuer eingefallen.Diese wurde schon von anderen ins Spiel gebracht, wennauch aus anderen Gründen. Inzwischen gibt es wunder-bare neue Entwicklungen. Das Handelsblatt berichtetheute – ich zitiere –:Im Kampf gegen die geplante Brennelementesteuersehen sich die Kernkraftwerksbetreiber gut gerüs-tet. Sie verweisen auf die Atomausstiegsvereinba-rung, die die rot-grüne Bundesregierung im Juni2000 mit den Unternehmen geschlossen hat.
Aus ihrer Sicht schließt sie eine Besteuerung derBrennelemente aus. Branchenmanager sagten demHandelsblatt, man werde notfalls gegen die Einfüh-rung der Steuer klagen.
Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehenlassen: Diejenigen, die seit der erhofften Übernahme derBundesregierung durch Sie nichts anderes zu tun haben,als den Atomkonsens mit allen Mitteln, die ihnen zurVerfügung stehen, zu brechen, berufen sich nun auf denAtomkonsens. Dazu kann ich nur sagen: Wunderbar!Welcome! Endlich erkannt, dass der Atomkonsens seinGutes hat!Ich will Ihnen unsere Position zu einer Brennelemen-testeuer darlegen. Selbstverständlich haben Sie recht,wmWKnczdAasZrNKvKdzSWvASKLvBpdddaersd
er käme auch auf eine solche Idee? Das steht ja nur imoalitionsvertrag, der, wie wir wissen, in weiten Teilenicht mehr gültig ist. Eine Brennelementesteuer ist si-herlich richtig und hat in der Tat nichts mit einer Lauf-eitverlängerung zu tun. Eine solche Steuer dient dazu,ie immensen volkswirtschaftlichen Gewinne, die dietomkraftwerksbetreiber inzwischen angehäuft haben,bzuschöpfen. Das muss der Sinn einer Brennelemente-teuer sein.
Frau Präsidentin, Herr Kauch meldet sich zu einerwischenfrage. Zu spät?
Richtig, zu spät. Beachten Sie bitte das Signal an Ih-
em Rednerpult! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dann müssen Sie mich an anderer Stelle fragen, Herr
auch. Ich werde Ihnen gerne antworten.
Ich hoffe, dass Sie alle Warnungen, die Sie sowohl
on Ihren eigenen Gutachtern als auch aus allen anderen
reisen bekommen, ernst nehmen, dass Sie realisieren,
ass niemand in der Bevölkerung – außer Ihren Kon-
ernfreunden – eine Laufzeitverlängerung will, und dass
ie endlich richtig reagieren.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kauch das
ort.
Frau Kollegin, Sie haben gesagt, dass im Koalitions-ertrag die Einführung einer Brennelementesteuer zurbschöpfung der Gewinne vorgesehen sei. Ich möchteie darauf hinweisen, dass diese Aussage falsch ist. Imoalitionsvertrag steht, dass wir die Gewinne bei eineraufzeitverlängerung abschöpfen wollen. Unabhängigon dieser Frage hat das Kabinett die Einführung einerrennelementesteuer im Zusammenhang mit dem Spar-aket beschlossen.Ich möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dassie Grünen in sieben Jahren Regierungszeit die anfallen-en Gewinne der Atomwirtschaft – um in Ihrem Sprach-uktus zu bleiben – nicht mit einer Brennelementesteuerbgeschöpft haben. Wir haben im Koalitionsvertrag ver-inbart, dass beispielsweise die Kosten der Asse-Sanie-ung von den Kernkraftwerksbetreibern mitzutragenind. Genau das ist unter anderem die Begründung fürie Brennelementesteuer, die das Kabinett beschlossen
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Michael Kauch
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hat. Es sind deshalb nicht unsere „Freunde in den Kon-zernen“. Vielmehr haben Sie – die SPD elf Jahre und dieGrünen sieben Jahre – deren Gewinne geschützt; dennSie haben diese Gewinne zum Beispiel dadurch produ-ziert, dass man im Emissionshandel erst sehr spät zuVersteigerungen übergegangen ist und dass dann Emis-sionsrechte dort eingepreist wurden, wo es – beispiels-weise für die Kernkraftwerke – gar keine einzupreisengab.
Es ist diese Koalition – und nicht die jetzigen Opposi-tionsfraktionen –, die an die Zusatzgewinne der Unter-nehmen herangeht, die diese auf Kosten der Stromver-braucherinnen und -verbraucher erzielt haben.
Herr Kauch, die Vorgaben der EU kennen Sie als er-klärter Europäer sicherlich mindestens genauso gut wieich; diese muss ich also jetzt nicht erklären. Natürlich istin Ihrem Koalitionsvertrag nicht von einer Brennelemen-testeuer die Rede. Ihr Denken war damals weit entferntvon einem solchen Begriff. Aber Sie haben gesagt: DieZusatzgewinne sollen abgeschöpft werden. Richtig! Ab-geschöpft werden sollen diejenigen Gewinne, die durchdie Laufzeitverlängerung zusätzlich erzielt werden.Selbstverständlich hat Rot-Grün keine „Zusatzge-winne“ abgeschöpft; schließlich war von einer Laufzeit-verlängerung überhaupt nicht die Rede. Ich darf daranerinnern: Wir wollten die Laufzeiten nicht verlängern.Wir wollen das auch heute nicht, und wir werden ge-meinsam in diesem Haus gegen eine Laufzeitverlänge-rung eintreten. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf,dass Sie mit Ihrer Absicht, die Laufzeiten zu verlängern,nicht durchkommen.
Die Notwendigkeit der Einführung einer Brennele-mentesteuer ergibt sich für mich daraus – ich sage es Ih-nen noch einmal –, dass die Atomwirtschaft auch in denletzten zehn Jahren bis heute – Stichworte: Morsleben,Asse, Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe; es gab auchandere enorme Kostensteigerungen – immense Schuldenbei der Bevölkerung aufgehäuft hat. Damit diese Schul-den nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern,sondern von den eigentlichen Verursachern getilgt wer-den, wollen wir die Brennelementesteuer. Sie habenrichtig benannt: Es geht darum, die Privilegien derAtomwirtschaft und ihre durch den CO2-Emissionshan-del erzielten ungerechtfertigten Gewinne abzuschöpfen.DrswOmggLDslPizlvsbwldwvseull
as hat aber überhaupt nichts mit den Laufzeitverlänge-ungen zu tun.Dass Sie gestern auf die Idee kamen, jeglichen Zu-ammenhang zu bestreiten, das mag Ihnen glauben, werill. Ich tue es, mit Verlaub, Herr Kauch, nicht.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Franz
bermeier das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wirüssen uns darauf einstellen, dass uns in der vor uns lie-enden Zeit jede Woche irgendein Antrag aus der rot-rünen Ecke vorgelegt wird, der sich mit dem Themaaufzeitverlängerung auseinandersetzt.
ie gesamte Debatte, auch die erste Halbzeit dieser Aus-prache, wird mit wenig faktenreichen und nur mit ideo-ogischen, nicht sachgerechten Argumenten geführt.
Ich möchte Beweise dafür liefern, dass die SPD imrinzip völlig unfähig ist, die Probleme unseres Landesn der Stromversorgung von der Priorität her richtig ein-uordnen. Wenn wir gemeinsam das Ziel verfolgen wol-en, in den nächsten Jahren die erneuerbaren Energienernünftig voranzubringen, dann wäre es wesentlichpannender, darüber zu debattieren, wie wir die Pro-leme in unserem Land, die sich aus dem Zusammen-irken der erneuerbaren Energien insgesamt ergeben,ösen. Wir alle miteinander haben in den zurückliegen-en Jahren den Fehler gemacht, dass wir die Volatilitätesentlicher Formen der erneuerbaren Stromerzeugungiel zu wenig gewürdigt haben.
Jetzt haben wir das Problem, dass wir bei der For-chung und bei den Methoden hinsichtlich moderner undffizienter Speichertechnologien weit hintenanstehennd dass wir Jahre brauchen, um unsere Probleme so zuösen, dass wir die erneuerbaren Energien in ihrer Volati-ität an die Grundlast heranführen können.
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Franz Obermeier
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Das einzig Sinnvolle im SPD-Antrag ist die Behand-lung der Frage – sie wurde im Übrigen bis jetzt noch garnicht diskutiert; schließlich ist sie für Sie als Linke unbe-deutend –,
wie wir im Falle einer Laufzeitverlängerung Wettbe-werbsverzerrungen für die anderen Betreiber im Hin-blick auf Mittel- und Grundlast vermeiden können.
Jetzt komme ich darauf zu sprechen, dass wir mit denAtomstromerzeugern darüber verhandeln müssen, wiewir die sich aus einer Laufzeitverlängerung ergebendenVorteile so nutzen können, dass auf der einen Seite keineNachteile für die sonstigen Produzenten entstehen unddass auf der anderen Seite eine vernünftige und zu recht-fertigende Abschöpfung des zusätzlichen Gewinns er-folgt, ohne dass es zu erhöhten Strompreisen kommt.
Liebe Koleginnen und Kollegen, der von SPD undGrünen immer wieder erhobene Vorwurf, dass wir derStromwirtschaft mit der Laufzeitverlängerung den Zu-gang zu den erneuerbaren Energien erschweren, gehtvöllig an der Sache vorbei.
Wir haben die erneuerbaren Energien bis zum heutigenTag nicht dem Markt und Wettbewerb ausgesetzt. Siesind Markt und Wettbewerb nicht unterworfen. Wir ha-ben per Gesetz die Preise festgelegt, und wir haben perGesetz festgelegt, dass es einen Einspeisezwang für er-neuerbare Energien gibt. Wer hier mit Blick auf her-kömmliche Stromerzeugungsarten von Wettbewerbsver-zerrung spricht, betreibt pure Volksverdummung.
Die Leute müssen wissen: Auch die christlich-liberaleRegierung will es dabei belassen, dass die Stromerzeu-gungsformen auf der Basis erneuerbarer Energien denVorzug des Einspeisevorrangs behalten, bis wir sie andie Marktfähigkeit herangeführt haben.
Jetzt reden wir noch über die Preisgestaltung. Der be-schleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien wirdauch dazu führen – darüber müssen wir alle uns im Kla-ren sein –, dass der Preisaufschlag auf den Strom durchdmlndwßIsDdm–eleüwnFsubgKkF„tlwgBswgtmr
as ist der Zuschlag, zu dem es kommen wird, wenn wiren Ausbau wie geplant weiterbetreiben.Jetzt bitte ich Sie, zu bedenken, dass das für unsereittelständische Wirtschaft, die auch Strom verbrauchtda gibt es Branchen, die viel Strom verbrauchen –, zuiner Größenordnung wird, die uns zu Reaktionen veran-assen könnte; ich bin da noch recht vorsichtig. Es wirdine relevante Größe werden, und dann müssen wir unsberlegen, wie wir Wettbewerbsnachteile, beispiels-eise in der Nahrungsmittelindustrie, ausgleichen kön-en.Ich rate uns allen, dass wir die Diskussion über dierage, wie wir die Stromwirtschaft gesetzlich begleiten,achlicher führen als in den zurückliegenden Wochennd Monaten und dass wir alles im Auge haben, auch dieerechtigten Sorgen der Kernkraftgegner; denn das isteboten und angezeigt. Wir von der christlich-liberalenoalition jedenfalls werden alles tun, dass wir diese Dis-ussion auf sachlicher Ebene führen können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Marco Bülow für die SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Laufzeitverlängerung als Brücke ins Solarzeital-er“, so titeln Sie. Aber die Brücke ist eine Krücke, näm-ich eine Krücke, um die alte Atompolitik noch irgend-ie zu rechtfertigen, ihr irgendeinen modernen Touch zueben, um an ihr festhalten zu können. Das ist es: keinerücke, sondern eindeutig eine Krücke.
Genau diese Krücke sollten wir uns einmal an-chauen. Es wird ja immer gesagt: Wenn die Atomkraft-erke jetzt nacheinander abgeschaltet werden müssen,ehen bei uns die Lichter aus. Es wird von der sogenann-en Stromlücke gesprochen. Schauen wir uns doch ein-al an, wie viel Strom die AKWs überhaupt produzie-en!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4867
Marco Bülow
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Die sieben ältesten AKWs haben in den letzten vierJahren zusammen 6,9 Prozent unseres Stroms produ-ziert; im Jahr 2007 waren es sogar nur 4,8 Prozent, weileine Vielzahl der Atomreaktoren gar nicht in Betriebwar, weil AKWs wegen Pannen abgeschaltet wordenwaren. Sie tragen also nicht zu einer sicheren Versor-gung bei, sondern bringen nur 4,8 Prozent. Das ist exaktdie Menge an Strom, die wir schon heute, ohne den Zu-bau von erneuerbaren Energien, ohne weitere Effizienz-gewinne, exportieren. Diese Atomkraftwerke gehörenendlich abgeschaltet!
In der Diskussion wird als zweites Argument ange-bracht: Die Erneuerbaren sind noch nicht so weit. Wirbrauchen noch viel Zeit, damit die Erneuerbaren in denMarkt integriert werden. – Herr Obermeier, Sie habengerade dazu Stellung genommen. Ich frage mich nur,warum die CDU/CSU seit Jahren blockiert hat, dass dieMarkt- und Netzintegration eingeführt wird. Warum sindSie überhaupt erst in den letzten Jahren auf den Zug auf-gesprungen und haben gesagt: „Das EEG bzw. die Er-neuerbaren sind der richtige Weg“? Wenn wir die Dis-kussion vor zehn Jahren geführt hätten, wären wir mitder Markt- und Netzintegration schon deutlich weiter.
Wir als SPD-Fraktion sprechen nicht nur über den Er-satz durch Erneuerbare, sondern auch darüber, dass wirdie Effizienz steigern müssen. In Bezug auf Effizienz ha-ben wir vier Jahre mit Ihren Wirtschaftsministern – eswaren zwei – gerungen, dass überhaupt einmal ein Effi-zienzgesetz auf den Tisch gelegt wurde, das diesenNamen überhaupt verdient. Es gab da kein bisschen Effi-zienz.In Ihrem neuen Koalitionsvertrag ist das Wort „Kraft-Wärme-Kopplung“ noch nicht einmal enthalten. Auchdas ist ein Symptom, das deutlich macht, dass wir dieLücke füllen können, die durch fehlende Atomkraft-werke entstehen würde. Das wird sehr, sehr schnell ge-hen. Man muss nur die richtigen Maßstäbe setzen.
Als ich anfing, mich mit den Erneuerbaren zu be-schäftigen – daran kann ich mich gut erinnern, ich wardamals noch nicht im Bundestag –, hatte ich eine Dis-kussion mit einem Landtagsabgeordneten der FDP, ei-nem Vertreter der großen Stromkonzerne sowie einemKommunalpolitiker der CDU. Die waren alle 20 oder30 Jahre älter als ich. Sie haben mich ausgelacht, als ichsagte, man könne mit den Erneuerbaren die Strommengein einigen Jahren verdoppeln und ihren Anteil deutlichüber 10 Prozent bringen. Sie alle haben mir mit derWtrMcAldkdKrwKDggwnDAtsnsaa1EacTkwlVwGbmnegKEzu
Es wäre wenigstens ehrlich, wenn Sie sagen würden:as ist keine Brücke für uns, sondern für uns ist dietomenergie die wichtigste Energiequelle. Dann könn-en wir uns wenigstens auseinandersetzen. Sie tun immero, als ob Sie irgendwie noch für Atomenergie sind, aberur noch während einer Übergangszeit. In Wirklichkeitind Sie weiter große Freunde der Atomenergie. Es liegtuf der Hand, warum. Denn jedes Atomkraftwerk, dasbgeschrieben ist, bringt täglich 1 Million Euro. Bei7 Atomkraftwerken bedeutet das über 6 Milliardenuro Reingewinn im Jahr. Damit ist klar, warum Sieufseiten der Lobby stehen und mit aller Macht versu-hen, eine Verlängerung zu erreichen, obwohl der größteeil der Bevölkerung dagegen ist.Dass Sie jetzt mit dem Pflaster Brennelementesteuerommen – das ist unsere Idee, die Sie kopiert haben; wirollten sie aber einführen, ohne dass die Laufzeiten ver-ängert werden –, wird im Endeffekt nicht viel ändern.or allen Dingen deshalb wird sich nicht viel ändern,eil Sie – das habe ich jetzt gehört, Herr Kauch – daseld für den Haushalt benutzen und nicht für erneuer-are Energien einspeisen wollen. Insofern frage ichich, wo das Geld herkommen soll, mit dem die Er-euerbaren gefördert werden sollen.Zum Schluss: Wir brauchen keine Krücke, sondernine solide und starke Brücke ins Solarzeitalter. Dazuehört, aus der Atomenergie auszusteigen, die fossilenraftwerke langsam zurückzufahren und vor allem dierneuerbaren massiv auszubauen und die Energieeffi-ienz zu steigern. Das ist die Brücke, die wir brauchen,nd daran sollten wir gemeinsam arbeiten.Danke schön.
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4868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
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Der Kollege Klaus Breil hat für die FDP-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Das Heraufsteigen einer Leiter geht nur Stufe umStufe, so sagt es ein Sprichwort. Sie hingegen wollen ausdem Stand auf die oberste Sprosse springen. DieserSprung wird – ebenso wie Ihre Forderungen – ins Leeregehen.Zu Ihrer Forderung 3 Prozent mehr Energieprodukti-vität pro Jahr von 1990 bis 2020. Schon 20 dieser30 Jahre sind ohne große Erfolge vorbei. 11 Jahre davonhat die SPD regiert. Erreicht hat sie nur einen Bruchteil.Jetzt sollen wir in 10 Jahren alles richten. Ich danke fürIhr Vertrauen; denn Sie wissen, dass nur wir das geregeltbekommen.
Bis 2020 sollen 35 Prozent des Stroms aus erneuerba-ren Energien erzeugt werden. Ihr früherer Umweltminis-ter Gabriel hat immer 30 Prozent vorgegeben. Es ist eintypischer Oppositionsreflex: Bei den anderen darf es im-mer etwas mehr sein. So gehen Sie in Ihrem Antrag vor.Im Vergleich zu Ihren Meseberg-Beschlüssen aus derRegierungszeit wird immer etwas draufgesattelt. Dashört sich gut an, ist aber fern der Realität. Für Sie scheintDeutschland eine Insel, eingebettet in ein Meer der ener-getischen Glückseligkeit, zu sein. Sie meinen, Deutsch-land müsse bei dem bedingungslosen Ausstieg vorange-hen, egal was der Rest der Welt macht.
Aus meiner Sicht ist das gefährlich. Historisch sind wirmit solchen Ansichten nie gut gefahren. Tatsachen schei-nen Sie zudem völlig auszublenden: 129 Kernkraftwerkewerden um Deutschland herum betrieben, 25 weiteresind im Bau.
Weltweit sind derzeit 438 Kernkraftwerke in Betrieb. Inabsehbarer Zeit werden es über 600 sein,
nur nicht in Deutschland, wenn es nach Ihnen ginge. Esmag klappen, bei der Energieerzeugung bis 2050 auf100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen. Aber wirbrauchen verantwortbare Übergangsszenarien. DieKernkraft ist eine CO2-freie und kostengünstige Brückezu den erneuerbaren Energien in der Übergangszeit.UnezrcshvqmDSDdklfsspgwe0f–mKnbWdAd
m die Brückenfunktion zu erreichen, müssen aber ei-ige Anforderungen erfüllt werden, um zu 100 Prozentrneuerbare Energien zu kommen.Sie verschweigen vor allem zwei Pferdefüße: Sie set-en ein funktionierendes und intelligentes Stromnetz vo-aus. Doch dies benötigt europaweit Investitionen vonirca 1 000 Milliarden Dollar allein bis zum Jahr 2020,o die Zahlen der Internationalen Energie-Agentur. Des-alb brauchen wir ein klares Bekenntnis zu einem massi-en Netzausbau, und dies sowohl qualitativ als auchuantitativ.
Sie ignorieren, dass die vorausgesetzten Speicher-öglichkeiten für Strom bisher nur als Utopie existieren.eshalb brauchen wir eine nationale Offensive für diepeicherforschung.
enn der Sachverständigenrat für Umweltfragen, aufen Sie sich beziehen, rechnet sich einiges schön: Manönne in Deutschland unter Zuhilfenahme von Druck-uftspeichern zu jeder Stunde des Jahres die Stromnach-rage decken, und das, ohne auch nur eine Kilowatt-tunde Strom zu importieren. Der Sachverständigenratetzt dabei in seinen Darstellungen Druckluftspeicherka-azitäten von 32 bzw. 37 Gigawatt in Deutschland alsegeben voraus. Darstellbar ist das derzeit nicht, glaub-ürdig noch weniger. Denn der einzige in Deutschlandxistierende Druckluftspeicher hat eine Leistung von,3 Gigawatt, also von gerade einmal 1 Prozent des ge-orderten Volumens.
Hören Sie zu. – So schreibt das Gutachten wörtlich:Die bisher in Deutschland vorhandenen Druckluft-speicherkapazitäten sind damit im Vergleich zumerforderlichen Speicherbedarf in der Größenord-nung von Terawattstunden praktisch unbedeutend.Wir hingegen erarbeiten ein Energiekonzept, dasehr ist als ein Wunschzettel zum Klimaschutz. Unseronzept hat die ökonomischen Wirkungen verschiede-er Handlungsoptionen fest im Blick und macht dieseerechenbar.
ir hängen Preisschilder an unsere politischen Ziele. Je-er soll wissen, was ihn erwartet. Deshalb beziehen wirtomenergie in unsere Rechnungen mit ein. Das fordertie Verantwortung, das verlangt die Vernunft.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4869
Klaus Breil
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Vernunft ist im Übrigen ein Aspekt, der mir in dieserDiskussion bei Ihnen am meisten fehlt. Vernünftig wärees von Ihnen, allen Bürgern zu sagen, was sie ein starresFesthalten am Atomausstieg kosten wird.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir leisten uns in Deutschland immer noch eine völligirrationale Technikfeindlichkeit, und Sie leisten sich im-mer noch eine Ignoranz der Realität,
und das in einem Industrieland, in dem Ingenieurswesen,Handwerkskunst, Technologieoffenheit und Innova-tionsfreude uns zu Wohlstand und Ansehen gebracht ha-ben.
– Das können Sie nicht wissen; Sie sind Journalist, HerrBülow.
Die Technikfeindlichkeit zieht sich durch alle Berei-che: Die Gentechnik, ob es die rote, grüne oder weißeist, wird verteufelt.
Die ganz neue Nanotechnologie wird verteufelt. Gesternhatten wir die Debatte über ITER. Auch dieses Projektwird verteufelt, ohne zu forschen, ohne zu überlegen,
ohne zu schauen, was es für uns bringen könnte. Diechemische Industrie wird verteufelt, die Automobil-industrie wird verteufelt
und letztendlich auch zum Beispiel der Transrapid. Wirsind nicht einmal in der Lage, ein paar Kilometer Trans-rapid-Strecke zu bauen, wollen diese Technologie aberin die Welt exportieren.
K–KeWgrkdvCWdmsmdetnDymDnIDLs
Blasen Sie sich doch nicht so auf! – Sie sind gegenohleenergie. Teilweise sind Sie sogar gegen die Wind-nergie. Ihre Kollegen in der Uckermark, in meinemahlkreis, wo es sehr viel Windenergie gibt, haben Bür-erinitiativen gegen die Windkraftanlagen ins Leben ge-ufen, weil diese nicht so gut aussehen und nachts blin-en. Was ist das denn?
Auch gegen die Solarenergie sind Sie; denn auch da-urch könnten ja „Tank oder Teller“-Diskussionen her-orgerufen werden. Sie sind gegen Biomasse, gegenCS und gegen Netzausbau, wodurch letztendlichindenergie in den Süden transportiert werden soll.
Wenn sich diese Verteufelung vor dem Hintergrunder jeweiligen Ideologie und ohne Sachverstand, gepaartit Unwissenheit sowie Falsch- und Fehlinformationeno fortsetzt, ist das ein Zeichen von partikularem Egois-us. Das können wir uns in Deutschland nicht leisten.
Dieses Szenario findet sich überall: Man will die Pro-uktion, aber nicht die Produkte. Im Falle der Energie ists so, dass man die Energie will, aber nicht die Produk-ion. Sie wollen den Strom aus der Steckdose, sagen abericht, wie er dorthin gelangen soll.
as ist der typische NIMBY-Effekt: Not in my backard, nicht in meinem Hinterhof! Das weitet sich immerehr aus. Setzt sich dieser Trend fort, werden wir ineutschland weder industriepolitisch vorankommenoch unsere Klimaschutzziele erreichen.
Nun zu Ihrer Anfrage. Sie haben 38 Fragen gestellt.ch fasse sie einmal zu einer Frage zusammen: Solleutschland Industrieland bleiben, ja oder nein?
eisten wir uns eine Deindustrialisierung mit allen Kon-equenzen im Wirtschaftsbereich,
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4870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
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land muss wieder zur Wiese werden! So siehtdas aus!)dem Verlust von Arbeitsplätzen, Herr Trittin, wenigerWohlstand und – das dürfte auch Sie interessieren – we-niger Umwelt- und Naturschutz in den Ländern, wo dieEnergie dann erbracht wird? Das wollen wir nicht.
Lassen Sie mich zum Kern der Anfrage kommen. Ichakzeptiere ja, wenn Sie in Bezug auf eine bestimmteTechnologie besonders skeptisch sind. Ich akzeptiereaber nicht, wenn Sie die Notwendigkeit eines Energie-mixes leugnen. Richtig ist: Wir wollen erneuerbareEnergien. Aber in Ihrem Antrag steht, dass der Anteilder erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 wahr-scheinlich 35 Prozent beträgt. Jetzt müssen Sie mir ein-mal sagen, wie Sie die Stromlücke von 65 Prozent inner-halb der nächsten zehn Jahre schließen wollen. WollenSie das mit russischem Erdgas erreichen? Russland ver-stromt dann mit seiner eigenen Kohle bei einem Wir-kungsgrad der Kraftwerke von 34 Prozent; bei uns liegtder Wirkungsgrad bei 44 bis 47 Prozent. Das hätte mitUmwelt- und Klimaschutz nichts, aber auch gar nichtszu tun.
Wollen Sie die Stromlücke mit polnischem Kohlestromoder mit der Kernenergie aus Frankreich oder Tsche-chien schließen?Ich habe mir den Energiemix anders vorgestellt. Wirbrauchen mindestens bis zum Jahre 2020 noch Alternati-ven. Denn wenn es beim Atomausstieg bliebe, dann wür-den wir nicht aus der Kernenergie aussteigen, sondernaus der Kernenergieerzeugung. Das ist ein himmelweiterUnterschied. Wir kaufen fleißig weiter Strom aus Frank-reich
und Polen ein. Das ist typisch für die „KäseglockeDeutschland“. Wir haben dann zwar keine Kernkraft-werke mehr, aber wir kaufen fleißig Kernenergie ein.
Ich will nicht, dass Energie zum Luxusgut wird, dasswir unsere Kraftwerke abschalten und dann die Auslas-tung veralteter, unsicherer Anlagen in den osteuropäi-schen Ländern erhöhen. Meine Bitte ist: Warten wir dieStudie mit der Szenarienrechnung ab! Dann können wirrealistisch über Restlaufzeiten sprechen.Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend ei-nen ideologiefreien Energiemix,ussrWKdltfmaeeDIwtUgZPgvdgrzd
nd zwar im Zieldreieck, Herr Kelber, von Versorgungs-icherheit, von Wettbewerbsfähigkeit und von Klima-chutz. Wenn wir dies beachten, dann sind wir erfolg-eich.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ott das
ort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollegeoeppen, das war eine wirklich „fortschrittliche“ Rede,ie Sie hier gehalten haben. Sie hätte vielleicht ins vor-etzte Jahrhundert gepasst angesichts der Dinosaurier-echnologien, die Sie uns hier als Hochtechnologie emp-ehlen.
Ich möchte Sie daran erinnern: Obwohl im Jahre 2008indestens vier bis zeitweise sieben Atomkraftwerkebgeschaltet waren, war Deutschland dennoch Strom-xporteur. Unter anderem wurde Strom nach Frankreichxportiert.
as heißt also, wir brauchen die Atomkraftwerke nicht.m Gegenteil: Wir können es uns leisten, alle Atomkraft-erke bis 2020/21 abzuschalten.Wir kennen die Vorhersagen des Sachverständigenra-es für Umweltfragen. Sie waren bei der Präsentation immweltausschuss anwesend. Ich weiß nicht, was Sie daemacht haben. Wahrscheinlich haben Sie die gesamteeit in irgendwelchen Unterlagen geblättert. Es gibt dierojektionen des Sachverständigenrates für Umweltfra-en, und es gibt die Projektionen der Branche selber, dieorgerechnet hat, dass sie bis zum Jahr 2020 47 Prozentes deutschen Stromverbrauchs mit erneuerbaren Ener-ien decken kann. Andere Vorhersagen gehen noch da-über hinaus.Ich bitte Sie also, sich das nächste Mal etwas besseru informieren, bevor Sie hier solche Wahrheiten ausem vorletzten Jahrhundert präsentieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4871
Dr. Hermann Ott
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Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Lieber Herr Ott, ich habe die Projektionen im Um-
weltausschuss sehr wohl zur Kenntnis genommen und
festgestellt, dass sie interessant sein können. Aber Sie
kennen sicherlich das Märchen „Drei Haselnüsse für
Aschenbrödel“.
Sie verhalten sich ähnlich wie Aschenbrödel. Sie neh-
men eine Haselnuss, wünschen sich etwas, aber um Mit-
ternacht sind Sie wieder verschwunden.
In zehn Jahren einen Anteil der erneuerbaren Ener-
gien in Höhe von 47 Prozent zu haben, wird nicht mög-
lich sein. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis:
Selbst wenn wir das schaffen würden, was sollen wir
dann im Hinblick auf die restlichen 50 Prozent machen?
Es gäbe in zehn Jahren immer noch eine Stromlücke von
50 Prozent. Würden Sie einmal die Frage beantworten,
wie Sie diese Lücke schließen wollen?
Wenn Sie diese Frage nicht beantworten, dann bleibt es
bei meiner Einschätzung, dass Sie technikfeindlich und
realitätsfern sind. So kommen wir industriepolitisch und
klimapolitisch nicht weiter.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1980 mit dem Titel
„Laufzeitverlängerung nicht mehr durchsetzbar – Ener-
giekonzept neu justieren – Energiepolitische Bremse lö-
sen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Der Antrag ist abgelehnt.
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zu dem Antrag der Abgeordne-
Die Linken wollen mit ihrem Antrag, der heute bera-en wird, ein Stück aus dem solidarischen System derentenversicherung herausreißen und damit Solidaritäterstören. Deswegen gibt es darauf von uns eine klarentwort: Nein zur Entsolidarisierung im deutschen Ren-enversicherungssystem.
Richtig ist, dass sich wegen der vor allen Dingen inot-grüner Regierungszeit in das Rentensystem einge-ügten sogenannten Dämpfungsfaktoren eine Erhöhunger durchschnittlichen Löhne nicht mehr in vollem Um-ang auf die Erhöhung der Renten auswirkt. Das hat ei-en einzigen Grund: Die Rente muss für diejenigen, dieeute, und erst recht für diejenigen, die morgen undbermorgen in die Rentenversicherung einzahlen, finan-ierbar bleiben. Die Beitragssätze dürfen nicht ins Uner-essliche steigen, sondern werden auf 20, maximal2 Prozent begrenzt, damit es jungen Menschen nochpaß macht, arbeiten zu gehen und Rentenversiche-ungsbeiträge zu zahlen.
as ist der einzige Grund.
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4872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Peter Weiß
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Solidarität ist eben keine Einbahnstraße. Das Prinzip derSolidarität fußt darauf, dass diejenigen, die ein Lebenlang gearbeitet haben, durch eine angemessene Renten-zahlung eine Anerkennung dieser lebenslangen Leistungerhalten und denjenigen, die fleißig Steuern und Bei-träge zahlen, genug zum Leben übrig bleibt, gleichzeitigaber die Finanzierung der solidarischen Rentenversiche-rung wie auch der anderen Sozialversicherungssystemeleistbar bleibt. An dieser Solidarität wollen wir festhal-ten.
Im Übrigen müssen – das ist jetzt nur ein freundlicherHinweis – die sogenannten Dämpfungsfaktoren der Ren-tenformel nicht immer zu einer Verminderung bei derRentenanpassung führen. Ich darf daran erinnern, dassder sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor – so heißt einerdieser Dämpfungsfaktoren – in den Jahren 2007 und2008 angesichts der guten Entwicklung auf dem deut-schen Arbeitsmarkt dazu geführt hat, dass die Rentenleicht gestiegen sind.
Deswegen ist es eine falsche Behauptung, die Dämp-fungsfaktoren würden bei einer möglichen Rentenanpas-sung immer zu einer Senkung führen.Der Antrag, den die Linke vorlegt, ist aktuell-populis-tisch auf dieses Jahr gemünzt, ein Jahr, in dem wir dieKrise zu spüren bekommen. Wenn der Antrag angenom-men würde, würde das bedeuten, dass sich bei der Ren-tenanpassung dieses Jahr rein gar nichts ändern würde.Es handelt sich also um einen sogenannten Nullantrag.Eine großartige Leistung der Linken! Auch deswegenwerden wir ihn ablehnen.
Die wichtigste Botschaft heute ist: Der 1. Juli, vondem wir nur noch wenige Tage entfernt sind, ist immerder Tag, an dem die Rentenanpassung durchgeführtwird, also die Veränderung beim Zahlbetrag der Renteneingeleitet wird. Die krisenhafte Entwicklung, ausgelöstdurch die Finanz- und Kapitalmarktkrise, hat dazu ge-führt, dass in Deutschland im vergangenen Jahr dasdurchschnittliche Lohnniveau leider nicht gestiegen,sondern gesunken ist. Das würde nach der schon seitJahrzehnten geltenden Rentenformel bedeuten, dass wiram 1. Juli dieses Jahres zum ersten Mal in der Ge-schichte unseres Landes die Zahlungen an die Rentnerin-nen und Rentner nicht nur nicht erhöhen könnten, son-dern wir sie senken müssten. Für genau diesenAugenblick haben wir bereits in Zeiten der Großen Ko-alition vorgesorgt, und zwar mit der sogenannten Ren-tengarantie. Obwohl das sinkende Lohneinkommen derDeutschen im vergangenen Jahr nach der Logik unseresRw1tDszSRkiDdruwmdblfcsddrwrSD–das
Die großartige Solidarität unter den Generationen be-teht darin, dass die Beitragszahlerinnen und Beitrags-ahler, die selber wenig in der Tasche haben, und dertaat mit seiner Unterstützung dafür sorgen, dass dieentnerinnen und Rentner vor den negativen Auswir-ungen der Krise geschützt werden und wissen, dass anhrer Rente nicht herumgedoktert wird, obwohl wir ineutschland schwere Zeiten durchmachen. Das ist Soli-arität mit den Rentnerinnen und Rentnern, mit den älte-en Menschen in unserem Land. Das bedeutet aber auchmgekehrt, dass die Rentnerinnen und Rentner die not-endige Solidarität mit den Jungen zeigen müssen, da-it es denen in Zukunft wieder besser geht und sie vonem, was sie erarbeiten, zukünftig auch wieder mehr ha-en.
Ich finde, heute ist nicht der Tag, um irgendwelcheeeren Versprechungen zu machen. Wir sollten vielmehresthalten: Die großartige Stabilisierung der Sozialversi-herungssysteme, die uns in dieser Krise mit massivertaatlicher Unterstützung gelungen ist, hat dazu geführt,ass wir in diesem Jahr in Deutschland einen Rückganger Arbeitslosigkeit erleben, wogegen es in allen ande-en Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen Zu-achs an Arbeitslosigkeit gibt. Diese großartige Solida-ität der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und destaates führt dazu, dass die Renterinnen und Rentner ineutschland zwar keine großen Sprünge machen können das ist wahr –
Herr Kollege Weiß, achten Sie bitte auf die Zeit und
as Signal!
– jawohl. Ich bin doch schon beim Schlussakkord –,
Ja, aber das schon seit über einer Minute.
– aber dass sie auch keinen Verlust erleiden. Ich finde,uf diese großartige Leistung können wir zu Recht stolzein.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4873
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Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Der Kollege Peter Weiß hat vieles gesagt, was rich-tig ist. Ich glaube aber, dass wir die unsozialen Kür-zungsvorschläge, die uns die Bundesregierung in dieserWoche vorgelegt hat und die letztendlich im Kern denGenerationenvertrag an ganz anderer Stelle aufkündigen,nicht außer Acht lassen dürfen. Es schreit deshalb gera-dezu danach, dass ich im Hinblick auf die Generationen-gerechtigkeit etwas zu diesen Kürzungsvorschlägensage.
Nach vier Tagen, seitdem das Sparpaket vonSchwarz-Gelb bekannt ist, weiß jeder in Deutschland:Gekürzt wird bei den kleinen Leuten, und die Gutverdie-ner verdienen weiter gut. Selbst aus Ihrer Fraktionschallt ein Chor von Stimmen: So nicht! – Der Sozial-und Bildungspolitik, also unser aller Zukunft, ziehen dieStreichungen von Schwarz-Gelb den Boden unter denFüßen weg. Frau Merkel verspricht – wir alle haben esgehört –: Bei der Bildungspolitik wird nicht gekürzt.
– Es wird sogar angehoben, sagt der Kollege.
Es freut mich, wenn wir in die Zukunft investieren. Aberbei dieser Kürzungsdiskussion wird vergessen, dass derwirkliche Bildungshaushalt im Bund nicht das Ministe-rium von Annette Schavan betrifft, sondern das Ministe-rium für Arbeit und Soziales; denn dort wird über dietatsächlichen Bildungsinvestitionen entschieden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, eswerden bis zu 20 Milliarden Euro im Bereich der aktivenArbeitsmarktpolitik eingespart. Das betrifft den Haushaltvon Bundesministerin von der Leyen. Ich frage mich,warum sie das zulässt. Gerade sie müsste doch wissen,dass wir am Arbeitsmarkt das Fordern und Fördern brau-chen. Das gehört zusammen.Wir haben in der Großen Koalition gemeinsam imBereich der Arbeitsmarktpolitik viele Rechtsansprücheauf Bildung geschaffen. Wir haben den Rechtsanspruchauf den Hauptschulabschluss geschaffen. Wir haben denRechtsanspruch auf Spracherwerb geschaffen. Wir ha-ben den Rechtsanspruch von Altbewerbern auf Ausbil-dung geschaffen. Vor diesem Hintergrund muss man dieFormulierung verstehen, dass Pflicht- in Ermessensleis-tungen umgewandelt werden. Das sind Kürzungen imBildungsbereich. Da nehme ich Sie beim Wort: Sie bege-hgSSsRRDEgdBndHDFDgbGWdswidAgwwndsigJtatdNdfsGd
iese Kürzungen gehen zulasten von Jugendlichen,rauen, Migrantinnen und Migranten sowie Arbeitslosen.er Wortbruch führt auch dazu, dass Menschen wenigerut Arbeit finden. Letztendlich führt er dazu, dass – dasetrifft die Rente – weniger Menschen ihren Beitrag zumenerationenvertrag leisten können.Damit sind wir wieder bei unserem Thema.
ir von der SPD-Bundestagsfraktion lehnen den Antrager Linksfraktion ab, und zwar deshalb, weil wir ein Ge-amtkonzept zur Stabilisierung der Rente wollen; wirollen nicht an Einzelfaktoren herumdoktern. Man kannm Zusammenhang mit einem Gesamtkonzept darüberiskutieren, ob man etwas am Riester-Faktor ändert.ber das muss eben im Rahmen eines Gesamtkonzeptseschehen, nicht als Einzelmaßnahme. Deshalb lehnenir Ihren Antrag ab.
Uns geht es in der gesamten Debatte – das ist einichtiger Hinweis an die Koalition – um die Generatio-engerechtigkeit. Wir wollen Generationengerechtigkeit,amit die Jungen die gleichen Möglichkeiten zum Ein-tieg in den Beruf und die gleichen Möglichkeiten, durchhrer Hände Arbeit ihr Leben zu finanzieren, wie diejeni-en erhalten, die heute in Rente sind. Wir wollen es denungen genauso ermöglichen, ihren Beitrag zum Genera-ionenvertrag zu leisten.Ich weiß, dass viele Rentnerinnen und Rentner einenktiven Beitrag dazu geleistet haben und weiterhin leis-en, indem sie jungen Menschen helfen, einen Ausbil-ungsplatz zu finden, ihre Enkel unterstützen oder in derachbarschaftshilfe aktiv sind. Dafür möchte ich vonieser Stelle für meine Fraktion, die SPD-Bundestags-raktion, ein herzliches Dankeschön sagen. Wir verges-en viel zu oft, dass sich gerade die Älteren in unsereresellschaft um die Jungen kümmern und dafür sorgen,ass sie einen Ausbildungsplatz bekommen.
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4874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Katja Mast
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Ich finde, die jungen Menschen sollten ein Recht aufAusbildung haben; auch das wollen Sie natürlich nicht.
Sie wollen den Rechtsanspruch zugunsten des Ermes-sens aufgeben und keine Haushaltsgrundlage dafürschaffen, dass ein Ermessensspielraum wahrgenommenwerden kann. Das ist Ihre Politik; damit begehen SieWortbruch. Ich will Sie an unsere Tradition in der Gro-ßen Koalition erinnern: Denken Sie noch einmal darübernach, was Sie mit diesen Sparbeschlüssen auf den Tischgelegt haben! Denken Sie darüber nach, ob es wirklichfalsch ist, den Menschen im Bereich der Arbeitsmarkt-politik ein Recht auf Bildung zu gewähren! Treiben SieIhre Ministerin Frau von der Leyen, die diesen Kür-zungsvorschlägen zugestimmt hat, vor sich her!
Sie machen falsche Politik. Sie kündigen den Generatio-nenvertrag. Sie nehmen den Menschen die Chance aufBildung. Denken Sie um! Kehren Sie um! Vielleicht fal-len dann die Kürzungen nicht so unsozial aus, wie esheute geplant ist. Ich habe nicht viel Hoffnung; aber ichweiß, dass es einige von Ihnen so sehen wie ich. Ichhoffe, dass diese sich in ihren Fraktionen durchsetzen.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Heinrich
Kolb das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will gern auf die Anregung der Kollegin Mast einge-hen, uns noch ein paar Gedanken zum Thema der Wochezu machen. Ich halte das für einen verantwortlichenWeg; der Antrag, über den wir heute diskutieren, lag unshier schon so oft vor – mit leichten Modifikationen –,
dass absehbar ist, dass wir uns auch in nicht allzu fernerZukunft bei einer Debatte zu diesem Thema wiedersehenwerden.Frau Kollegin Mast, wenn Sie sagen, in Deutschlandbreche jetzt der Sozialstaat zusammen, dann wirkt dasauf mich aus zweierlei Gründen wie aufgesetzt.
– Sie haben den Eindruck erweckt, als sei in dieser Wo-che alles furchtbar. Jetzt werde so gespart, dass keinStein mehr auf dem anderen bleibe.Erstens. Ich will Ihnen die Fakten nennen: InDeutschland wurden im Jahre 1991, im Jahr nach derdeutschen Einheit, von Bund, Ländern und Kommunen,im Bereich der Sozialversicherung insgesamt 423 Milliar-dw7nwswgSasvsz1tf–mavdn–athHrdSbSsgißRcd
Zweitens. Es ist umso aufgesetzter und heuchleri-cher, als von den 5 Milliarden Euro, die im Bereich So-iales gespart werden, der größte Teilbetrag in Höhe von,8 Milliarden Euro auf die Einsparungen für die Ren-enbeiträge für die Bezieher von Arbeitslosengeld II ent-ällt.
Frau Kollegin Hagedorn, Ihr Zwischenruf wundertich, weil man der SPD im Jahr 2006 in der Großen Ko-lition die gleiche Maßnahme mit dem gleichen Betragerkauft hat, was dann offensichtlich die Zustimmunger Mehrheit in der SPD gefunden hat. Sonst hätte dasicht geschehen können.
„Das ist wahr“, sagt der Kollege Kurth. – Das darfuch nicht vergessen werden. Ich sage das vor dem Hin-ergrund, dass Sie sich daranmachen, Punkt für Punktinter Ihre eigene politische Vergangenheit in diesemaus einen Haken zu machen. Sie machen die Rolleückwärts. Aber, Frau Kollegin Hagedorn, Sie kommena nicht heraus.
ie haben das Gleiche vor vier Jahren auf den Weg ge-racht. Sie wollen doch nicht behaupten, dass das, wasie damals beschlossen haben, heute absolut unsozialei. Das glaubt Ihnen niemand.
Ich denke, dass wir mit Augenmaß handeln. Ichlaube, dass genau das, was in den vergangenen Jahrenn der Rentenpolitik geschehen ist, ein Handeln mit Au-enmaß war. Die Linke will mit der Streichung desiester-Faktors und des Nachhaltigkeitsfaktors errei-hen, dass dämpfende Wirkungen entfallen und Nullrun-en verhindert werden. Sie wollen – das ist der Duktus
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4875
Dr. Heinrich L. Kolb
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Ihres Antrags – ein ausreichendes Versorgungsniveau imAlter, unabhängig von den eigenen Beitragsleistungen.Wie so oft bei Ihren Anträgen stellt sich die Frage: Wiesoll das am Ende finanziert werden?
Am Ende läuft es auf eine steuerfinanzierte Grundsiche-rung auf höherem Niveau hinaus, was aber schlicht undeinfach nicht finanzierbar ist.
Deswegen plädiere ich sehr dafür, dass wir weiter an un-serer gut konstruierten Altersversorgung mit einer star-ken gesetzlichen Säule der gesetzlichen Rentenversiche-rung sowie privater und betrieblicher Vorsorge festhalten.
Alle drei Faktoren zusammengenommen müssen denLebensstandard im Alter sichern.
– Das funktioniert sehr gut, Herr Birkwald. Ich stehevöllig zu dem, was in der Vergangenheit auf den Weg ge-bracht wurde.Die Aussetzung der Dämpfungsfaktoren hat zu demErgebnis geführt, dass Rentenkürzungen in der Vergan-genheit vermieden wurden. Eine solche Maßnahme istnicht einfach – das will ich sagen –, aber sie hat dazu bei-getragen, dass die Kaufkraft der Rentner in einer wirt-schaftlich schwierigen Situation stabilisiert wurde. Da-durch wurde die Konjunktur insgesamt stabilisiert. Wennman eine ausgewogene, nachhaltige Rentenfinanzierungim Blick hat, muss man auch dafür eintreten, und wir tundas. Wir sind dafür, dass nachholend Dämpfungen vorge-nommen werden, wenn sich neue Spielräume ergeben.Ansonsten gerät eines aus dem Blickwinkel, Herr Kol-lege Birkwald, nämlich die Generationengerechtigkeit.Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Sie argumentie-ren immer vom kurzen Ende her und treten mit entspre-chenden Anträgen an. Sie wollen am liebsten jetzt undhier und gleich Sozialleistungen verbessern. Dabei über-sehen Sie, dass das, was heute nicht nachhaltig finanziertwird, in 20, 30 Jahren von der dann steuer- und beitrag-zahlenden Generation getragen werden muss.
Diese Generationengerechtigkeit im Auge zu behalten,ist aus unserer Sicht wichtig. Deswegen lehnen wir IhrenAntrag ab. Ich hoffe ein Stück weit auf Ihre Einsicht unddarauf, dass Sie uns künftig nicht im vierwöchigenRhythmus mit Anträgen dieser Art überziehen. Dafürwäre ich Ihnen dankbar.
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So ist es.Armut, auch Altersarmut, fällt nicht vom Himmel. Siest politisch gemacht. Das hat auch das Deutsche Institutür Altersvorsorge, DIA, in seiner neuesten Studie überie Kaufkraft der Renten in der Zukunft eindrucksvollargelegt. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge istbrigens jeder Nähe zur Linken völlig unverdächtig. Dieinanzbranche, die Deutsche Bank AG und andere, tra-en dieses Institut. In dieser Studie wird von Kaufkraft-erlust gesprochen. Das klingt harmlos. Dabei bedeutets nichts anderes als drohende Altersarmut und sozialen
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4876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Matthias W. Birkwald
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Abstieg; denn es geht um Summen von bis zu rund500 Euro für ein typisches Rentnerpaar. Die beiden Au-toren reden von einer Einkommenslücke im Alter.Sprich: Das Geld ist schneller zu Ende als der Monat.Das hat zwei zentrale Ursachen:Erstens. Die Preise für alltägliche Dinge – das beziehtsich zum Beispiel auf die Bereiche Gesundheit, Pflegeund Freizeit – steigen schneller als die durchschnittli-chen Preise. Genau dafür müssen aber insbesondereRentnerinnen und Rentner ihr Geld ausgeben. Zweitens.Die Rentenpolitik der vergangenen zehn Jahre – das giltfür alle Bundesregierungen dieser Zeit – hat wesentlichdazu beigetragen, diese Einkommenslücke zu vergrö-ßern. Die DIA-Studie zeigt deutlich, dass die Riester-Re-form und alle nachfolgenden Einschnitte in die Renteeine verheerende Wirkung haben. Diese Diagnose teilenwir Linken.
Doch die Therapie, die das Bankeninstitut empfiehlt– noch mehr private Altersvorsorge –, teilen wir aus-drücklich nicht. Das Deutsche Institut für Altersvorsorgehandelt aus unserer Sicht wie ein Arzt, der die falscheMedizin verschrieben hat und meint, die Dosis sei zuklein. Das ist aus unserer Sicht eine verhängnisvolleSuchtlogik. Die erhoffte Wirkung der Riester-Reformbleibt aus. Die Einkommenslücke wird dank Riester so-gar größer. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir ha-ben kein Problem mit der Dosierung. Nein, die Therapieist schlicht falsch.
Eines ist klar: Die private Altersvorsorge nützt vor al-lem der Versicherungswirtschaft, aber nicht den Men-schen, die nach langjähriger Erwerbstätigkeit ein gutesLeben im Alter führen wollen. So sieht es aus. Darummüssen wir den Riester-Faktor streichen, die Rentenga-rantie zu einem echten Schutz vor Rentenkürzungen ma-chen und nicht nur die Kürzungen in die Zukunft verla-gern, Herr Weiß, und wir müssen uns auf das besinnen,was die gesetzliche Rente leisten soll: Armut vermeidenund vor sozialem Abstieg schützen. Darum geht es.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Peter Weiß hat gerade von der Solidarität in der Renten-versicherung gesprochen. Ihm persönlich nehme ich dasab. Ich glaube auch, dass es in der CDU/CSU-Fraktioneine Gruppe gibt, die das so sieht wie er. Aber die Politikder Bundesregierung ist eine völlig andere. Das siehtman gerade in dieser Woche.Die Streichung der Rentenbeiträge für die Langzeitar-beitslosen ist schon erwähnt worden. Diese führt nichtndGdhdc1dSsrvDiDanBgsaLdsAndsduShtDeRuhtsdSdtf
as ist ein beliebter Trick in der Politik. Das Problemst, dass es sich hier um dauerhafte Kürzungen handelt.as heißt, jedes Jahr muss man erneut 2 Milliarden Eurous dieser Rücklage nehmen, und sie wird dann baldicht mehr vorhanden sein. Wer muss dann zahlen? Dieeitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das ist keineerechte Lösung und vermindert die Solidarität zwi-chen den beiden Gruppen.
Es gibt eine gewisse Einigkeit zwischen dem, was Sieuf der Regierungsbank vorschlagen, und dem, was dieinke vorschlägt. Die Linke schlägt in ihrem Antrag vor,ie Ziele der Beitragssatzdeckelung aus dem Sozialge-etzbuch VI zu streichen.
ußerdem – Herr Birkwald sagte das eben – sollen keineachholenden Rentendämpfungen vorgenommen wer-en. Zudem soll der Riester-Faktor aus der Rentenanpas-ungsformel gestrichen werden. Gerade eben haben Siearüber hinaus auch die Forderung von Frau Maschernterstützt, alle Rentenkürzungsfaktoren zu streichen. –ie nicken. Das heißt, alles soll gestrichen werden. Dasätte zur Folge, dass alle zukünftigen Lasten auf die Bei-ragszahlerinnen und Beitragszahler geschoben werden.iese Position teilen wir nicht.
Die Position von Bündnis 90/Die Grünen ist, dass wirinen gerechten Ausgleich zwischen Rentnerinnen undentnern auf der einen Seite und Beitragszahlerinnennd Beitragszahlern auf der anderen Seite brauchen. Wiraben deswegen unter Rot-Grün den Nachhaltigkeitsfak-or eingeführt, der genau das leistet: in guten und auch inchlechten Zeiten einen gerechten Ausgleich zwischenen beiden Gruppen. Peter Weiß hat eben und Kollegechaaf hat in der letzten Debatte deutlich gemacht, dassas in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass die Ren-en stärker gestiegen sind, als sie ohne Nachhaltigkeits-aktor gestiegen wären.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4877
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Vor dem Hintergrund dieser unserer Position könnteman tatsächlich über die Streichung des Riester-Faktorsreden. Das würde zu einer Vereinfachung der Rentenfor-mel führen. Man müsste schauen, ob man allein mit demNachhaltigkeitsfaktor die Beitragssatzziele einhaltenkann. In dieser Frage unterscheiden wir uns fundamen-tal. Sie wollen auf die Beitragssatzziele komplett ver-zichten. Das ist nicht unsere Position. Wir wollen stabileBeitragssätze und einen gerechten Ausgleich zwischenden Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern und Rent-nerinnen und Rentnern. Deswegen werden wir Ihren An-trag ablehnen.
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Paul
Lehrieder nun das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, wasSie in Ihrem Antrag fordern – ich habe ihn genau durch-gelesen – ist ein rentenpolitischer Blindflug zurück indie Zeiten der – Frau Präsidentin, Sie mögen entschuldi-gen – SED, der alten Ostrente,
die im Durchschnitt 270 Ostmark betrug; davon konnteman sich nichts kaufen. Das können wir gern machen.
– Sie wissen, dass ich Ihren historischen Ursprung nichtganz ignorieren kann. In Ihren Anträgen sieht man es jaauch immer wieder: Es geht um Sozialisierung und da-rum, dass alles der Staat regeln soll.Wir sollen den Riester-Faktor und den Nachhaltig-keitsfaktor aussetzen, um den Bestandsrentnern einStück weit eine bessere Zukunft vorzugaukeln. Aber dieZukunft der jetzigen Beitragszahler, unserer Kinder undunserer zukünftigen Enkel ist Ihnen eigentlich wurscht.
Mit Blick auf diese müssen wir aber – nolens volens – andiesen Faktoren festhalten. Ich bin sehr dankbar undfroh, dass auch die SPD diese in den letzten Jahren mituns gemeinsam betriebene Politik weiterhin mitträgt.
Frau Kollegin Mast, Sie haben kritisiert, dass wir imRahmen des Sparpakets die Beitragszahlungen für Ren-tenanwartschaften von Hartz-IV-Empfängern kappenwollen.
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s wäre auch populärer gewesen, wenn alle Ministerieneplante Investitionen gestrichen hätten. Aber wir habenas Gegenteil getan. Wir haben die Mittel für Bildungnd Forschung erhöht. Zukunftsbereiche haben wir vomparen bewusst ausgenommen, um in Zukunft Gestal-ungschancen zu haben.
Die Mittel für Bildung haben wir erhöht, Frau Kolle-in. – Ich finde, jetzt kann man auch einmal klatschen.
Herr Kollege Birkwald, aufgrund der Vorlagen mei-er Vorredner fühlte ich mich zu dieser Bemerkung gera-ezu herausgefordert. Sie war nicht nötig. Denn wir re-en nicht über das Sparpaket – das ist völlig richtig –,ondern über die Stabilisierung des Rentenniveaus.Lieber Herr Birkwald, eigentlich sollten Sie die ma-hematischen Grundrechenarten beherrschen.
Das, was in Ihrem Antrag steht, erweckt aber nicht die-en Eindruck. – Es ist so, dass sich die Rente des Folge-ahres an den Abschlüssen des Vorjahres orientiert. Sieerden mir recht geben – hier werden Sie mir nichtrnsthaft widersprechen wollen –, dass die Lohnab-chlüsse des Jahres 2009 an und für sich zu einer Ren-enkürzung hätten führen müssen. Wir haben die Renten-arantie ganz bewusst zusammen mit der SPD auf den
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4878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Paul Lehrieder
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Weg gebracht, um den Rentnern, auch den Bestandsrent-nern, Planungssicherheit zu geben. Auch sie müssenwissen, wovon sie ihre Miete und ihre sonstigen Ausga-ben im nächsten Jahr bezahlen.Aus Gründen der Generationengerechtigkeit mussman aber auch dafür sorgen, dass dieses zinsfreie Darle-hen mit möglichen Rentensteigerungen in der Zukunftein Stück weit verrechnet wird. Nicht mehr und nichtweniger haben wir in der Großen Koalition mit der Ren-tengarantie getan.
– Ja. Sie haben dazu sogar etwas Positives gesagt. EineAbsenkung des Rentenniveaus in der Krise zu verhin-dern, war richtig. Sonst wäre die Kaufkraft und damit dieBinnennachfrage weiter geschwächt worden. In man-chen Bereichen sind Sie ja gar nicht so weit weg vonuns. Aber das, was in Ihrem Antrag steht, ist so weitweg, dass ich nur den Kopf schütteln kann.Meine Damen und Herren, meine Fraktion kritisiert,dass die Arbeitnehmer die Aussetzung der Dämpfungs-faktoren in der Rentenanpassungsformel durch höhereBeiträge finanzieren müssten. Das ist richtig. Die jetzigeRentenformel ist der Versuch eines vernünftigen und ge-rechten Ausgleichs zwischen den Rentenerwartungender Bestandsrentner, die, weil sie schon Rente beziehen,an ihrem Lebensstandard im Alter nichts mehr ändernkönnen, und der Belastung zukünftiger Generationen.Deshalb wurden verschiedene Faktoren eingeführt, diein Zukunft allerdings auch einmal ausgesetzt werdenmüssen.Wir werden das Thema „Demografie und Rentenent-wicklung“ auch in den nächsten Jahren in kurzen Ab-ständen immer wieder auf dem Schirm haben. Wir wis-sen noch nicht, wie sich die Arbeitsmarktsituation in dennächsten Monaten und Jahren entwickeln wird. Wir wis-sen auch nicht, wie sich die Geburtenzahlen in dennächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden.Was das Thema Rente angeht, werden wir auf diese Ent-wicklungen reagieren müssen. Sich nun festzulegen undzu sagen: „Wir geben das Geld jetzt aus, sodass es zu-künftige Generationen nicht mehr zur Verfügung ha-ben“, wäre fahrlässig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag,zum Glück gemeinsam mit allen Fraktionen außer derantragstellenden Fraktion, ab.Die letzte Minute meiner Redezeit schenke ich Ihnenim Hinblick auf das heute Nachmittag beginnende Eröff-nungsspiel der Fußball-WM.Danke schön.
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ch bedanke mich recht herzlich und schließe die Aus-prache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag derraktion Die Linke mit dem Titel „Zur Stabilisierung desentenniveaus: Riester-Faktor streichen – Keine nach-olenden Rentendämpfungen vornehmen“. Der Aus-chuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 17/1804, den Antrag der Fraktion Die Linkeuf Drucksache 17/1145 abzulehnen. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, derPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Dieinke angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEvaluierung der deutschen Beteiligung anISAF und des deutschen und internationalenEngagements für den Wiederaufbau Afghanis-tans seit 2001– Drucksache 17/1964 –b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenBurkhard Lischka, Karin Roth ,Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDStärkung der humanitären Lage in Afghanis-tan und der partnerschaftlichen Kooperationmit Nichtregierungsorganisationen– Drucksache 17/1965 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kolleger. h. c. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor dreieinhalb Monaten, am 26. Februar 2010, hat derDeutsche Bundestag einem neuen Afghanistan-Mandatzugestimmt. Vorausgegangen war ein intensiver Diskus-sionsprozess – ganz besonders auch bei den Sozialdemo-kraten. Unsere Vorschläge sind damals von der Regie-rungskoalition weitgehend übernommen worden und indas neue Afghanistan-Mandat eingeflossen.Wichtigste Punkte waren dabei: Neufestsetzung derPrioritäten auf die Ausbildung von afghanischen Sicher-heitskräften – sowohl Polizei als auch Soldaten – durcheine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten mit demZiel, dass die afghanischen Sicherheitskräfte so raschwie möglich selber in den Stand versetzt werden, sichgegen die Aufständischen zu verteidigen; Erstellung ei-nes Stufenplans zum Abzug aus Afghanistan mit einerersten Übergabe von einzelnen Distrikten in die Verant-wortung Afghanistans ab 2011 und einem Abschlussmöglichst in einem Zeitkorridor zwischen 2013 und2015; Verdoppelung der zivilen Anstrengungen für denAufbau, damit die Bevölkerung mehr Vertrauen in dieeigene Zukunft gewinnt; Verbesserung der Regierungs-führung in Kabul, um eine größere Zustimmung der ei-genen Bevölkerung zu erreichen – nach der LondonerAfghanistan-Konferenz sollte eine Afghanistan-Konfe-renz in Kabul stattfinden, auf der entsprechende Krite-rien und Zwischenschritte verbindlich vereinbart werdensollten –; schließlich verstärkte Unterstützung des inter-nen Versöhnungs- und Wiedereingliederungsprozesses,für den auch erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügunggestellt werden und wozu die Ende Mai in Kabul stattge-fundene Friedensjirga einen entsprechenden Beitrag ge-leistet hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese erheblichenVeränderungen des Einsatzkonzeptes sind auf der Lon-doner Afghanistan-Konferenz auf breite Zustimmunggestoßen. Parallel dazu hat auch die amerikanische Re-gierung erhebliche Veränderungen an ihrem Afghanis-tan-Konzept vorgenommen. All das kommt aber nichtvon ungefähr. So viel ändert man nur, wenn das bishe-rige Konzept zu wenig erfolgreich war, wenn also einentsprechender Druck entstanden ist, das eigene Vorge-hen kritisch zu überprüfen. Das war in der Tat der Fallund sichtbar an der erschreckenden Zunahme von soge-nannten sicherheitsrelevanten Zwischenfällen, derenAnzahl allein im Jahr 2009 im ganzen Land um80 Prozent gestiegen ist – in den Nordprovinzen inAfghanistan sogar um 300 Prozent –, sichtbar an den zu-nehmenden Verlusten von afghanischen und internatio-nalen Sicherheitskräften, aber auch sichtbar an denwachsenden Vertrauenslücken zwischen der afghani-schen Bevölkerung und der afghanischen Führung; dieseerkennt man insbesondere an der Tatsache, dass die Un-terstützung für die Aufständischen leider nicht abnimmt,sondern in bestimmten Regionen sogar zunimmt.Das ist nach der Afghanistan-Konferenz in Londonaufgrund der zögerlichen Regierungsbildung von Präsi-dent Karzai und der mehrfachen Verschiebung dieserwichtigen Afghanistan-Konferenz in Kabul auch nichtbesser geworden. Sie sollte erst im Mai und dann im JunisthwdtkzguvhewBkduhigsBBnsDEbstgunMvduwgeZgrsbgdfamb
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4880 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
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weil dadurch die Chance, dass wir weiter gemeinsam dieVerantwortung tragen, nicht in dem Maße genutzt wird,wie es möglich gewesen wäre.Aber wir haben quasi unmittelbar vor unserer Debatteerfahren, dass Sie sich einer intensiven und wissen-schaftlich fundierten Begleitung des Strategiewechselsim Afghanistan-Einsatz nicht völlig versperren wollen.Das begrüßen wir selbstverständlich. Allerdings helfenuns dabei Hinweise auf die ohnehin bestehenden Be-richtspflichten der Bundesregierung und Kontrollrechtedes Bundestages nicht wirklich weiter. Für uns ist eswichtig, dass wir bei der Bewertung und Begleitung derUmsetzung der neuen Strategie zu belastbaren Kriterien,sogenannten Benchmarks, kommen. Dabei brauchen wirauch die wissenschaftliche Expertise von außen.
Darüber sollten wir in allernächster Zeit reden. Wirhaben Ihr Angebot so verstanden, dass Sie dazu bereitsind. Deswegen macht es Sinn, dass wir jetzt die beidenAnträge an die Ausschüsse überweisen, damit wir dieZeit dort nutzen können, um zu prüfen, ob wir zu ge-meinsamen Ergebnissen kommen können. Ich glaube,das wäre im Sinn der Sache.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon er-freulich, wenn ein Brückenschlag stattfindet, auch wenner etwas verklausuliert formuliert wurde. Nicht nur, weilwir als Bundestag den ISAF-Einsatz unserer Streitkräftezum zehnten Mal nacheinander verlängert haben, sindwir uns einig, was die Bilanzierung der deutschen ISAF-Beteiligung angeht. Wir brauchen dazu die vor Ort vor-liegenden Informationen. Auch in London sind die Be-wertungen des COMISAF und ziviler Organisationenmit eingeflossen. Wir müssen wissen, was die internatio-nale Gemeinschaft sagt. Wir wollen einen ganzheitlichensicherheitspolitischen Ansatz, also zivile und militäri-sche Erkenntnisse vor Ort mitverwerten.Aber eine Evaluierung ist nur eine Entscheidungs-hilfe. Sie nimmt uns die politische Entscheidung nichtab. Evaluierung ist nie ein Selbstzweck, sondern es gehtum die Umsetzung unserer zentralen Sicherheitsinteres-sen. Wir sollten deshalb erst einmal die Auswirkungender Umsetzung der in London beschlossenen neuen Stra-tegie abwarten. Dabei dürfen wir unser Ziel nicht außerAcht lassen, nämlich die Übergabe in Verantwortung.Diese kann nur stattfinden, wenn die Sicherheit und Sta-bilität vor Ort selbsttragend sind.KAuHddEBeaslnzhJsAEfnwdazgwdBsJVwgdAWgf–vBlkb
Ich möchte zwei Beispiele nennen. In der Entwick-ungszusammenarbeit – der Kollege Haibach wird dasoch ansprechen – haben wir zwei Jahre gebraucht, umu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen. Im Einsatz-auptquartier SHAPE der NATO wurde über anderthalbahre an Evaluationskriterien gearbeitet, um dann festzu-tellen, was das für Konsequenzen hat. Nun ist dieseufgabe nach Afghanistan delegiert worden. Von dervaluierung dürfen wir uns daher nur Entscheidungshil-en erwarten; wir können uns die Entscheidung abericht abnehmen lassen.Für uns als Regierungskoalition ist es wichtig, dassir ressortübergreifende Benchmarks für die Umsetzunges aktuellen Mandats entwickeln. Dabei geht es um diefghanische Armee, aber auch um die afghanische Poli-ei und den Fortschritt in anderen Bereichen. Wir sinderne zu einer öffentlichen Anhörung unter Beteiligungissenschaftlicher Experten bereit. Wir bauen aber aucharauf, dass die bewährte jährliche Unterrichtung desundestags über die Entwicklung in Afghanistan fortge-etzt wird. Das betrifft Regierungsführung, Innenpolitik,ustiz, Entwicklung und vor allen Dingen Sicherheit alsoraussetzung für die Übergabe in Verantwortung.Ich möchte aber auch einen Punkt ansprechen, denir Abgeordnete sicher etwas anders sehen als die Re-ierung. Die wöchentliche Unterrichtung des Parlamentsurch das Verteidigungsministerium – eine sehr fleißigerbeit – könnte auf eine breitere Basis gestellt werden.ir könnten uns durchaus vorstellen, dass unter Beteili-ung von AA, BMI und BMZ ein etwas weiter ausgrei-ender Bericht vorgelegt wird.
Herr Ströbele, als Anfänger ehrt mich ein Zwischenrufon Ihnen.Die Bundesregierung wird vor Februar 2011 einenericht über die Umsetzung des laufenden Mandats vor-egen. Daraus können wir auch den Änderungsbedarf beiünftigen Mandaten entwickeln.Aber wir sehen auch Ihren Brückenschlag, und geradeei Auslandseinsätzen sollten wir die Gemeinsamkeiten
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Roderich Kiesewetter
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im Bundestag betonen. Wir sind deshalb sehr dankbarfür den Briefaustausch zwischen den Koalitionsfraktio-nen und den Fraktionen der Antragsteller. Wir stellen esuns so vor, dass uns im Sommer 2011, 18 Monate nachLondon, eine Wirkungsanalyse, gerne mit wissenschaft-licher Expertise, vorgelegt wird. Zunächst einmal müs-sen wir aber die Auswirkungen der Umsetzung der Be-schlüsse von London abwarten.
Ihr Vorschlag, einen solchen Bericht bereits Ende desJahres vorzulegen, ist sehr ehrgeizig. Aber das ist sokurzfristig nicht wissenschaftlich vernünftig machbar.
Sie wecken damit überzogene Erwartungen.Ich möchte gerne, dass wir eine wissenschaftlich va-lide und ressortübergreifende Benchmark-Diskussionführen. Wir können uns darüber in den anstehenden Ge-sprächen verständigen. Unser Angebot, bis zum Sommer2011 eine wissenschaftlich begleitete und geprüfte Ana-lyse erstellen zu lassen, ist, glaube ich, zielführend. Un-ser Interesse besteht darin, dass wir in Vorbereitung derÜbergabe in Verantwortung, die nächstes Jahr beginnensoll, klare Vorgaben haben. Wir laden Sie ein, diesenWeg einer systematischen Wirksamkeitsanalyse mitzu-gehen. Wir setzen dabei allerdings auf eine bessere, um-fassendere und vor allen Dingen ganzheitlichere Unter-richtung des Bundestages. Hilfreich wäre auch einFortschritts- und Mängelbericht. Daneben ist es wichtig,dass wir in die Öffentlichkeit wirken. Wir brauchen Ak-zeptanz in der Bevölkerung; wir alle wissen, worum esgeht. Deshalb ist entscheidend, dass wir unsere Kommu-nikationsstrategie entsprechend anpassen.
Ich fasse zusammen. Evaluierung kann nur begleiten.Sie kann uns die Verantwortung nicht abnehmen. Ent-scheidend ist, dass wir unsere politische Verantwortungbehalten und wahrnehmen, aber nicht die Aufgabe derExekutive übernehmen; das ist Sache der Regierung.Wir müssen auch auf Kompetenzen vor Ort zurückgrei-fen. Wir müssen uns darüber austauschen: Was wollendie Afghanen, und was erwarten die Afghanen von uns?Lassen Sie uns also gemeinsam für eine parlamentari-sche Kontrolle durch unser Parlament arbeiten, abernicht für eine exekutivische Durchführung, die wir nichtleisten können.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die
Fraktion Die Linke.
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elche Grundlagen wir uns als Parlament wirklich ver-chaffen können. Sie brauchen keine Angst zu haben,ass sich das Parlament anmaßt, etwas zu übernehmen,as die Regierung leisten müsste. Das Parlament mussber in die Lage versetzt werden, seine Rechte wahrzu-ehmen.Wir hatten im Auswärtigen Ausschuss vorgeschlagen,ass der Außenminister bis zum Ende des Jahres eineilanz vorlegt. Ich finde den Vorschlag von SPD undrünen, eine Überprüfungskommission einzusetzen,ntschieden besser, weil dadurch das Parlament der Ak-eur wird und wir dann hier entscheiden, was passiert.as finde ich außerordentlich vernünftig.
Sehen Sie, Herr Kiesewetter! Ein paar Ihrer Argu-ente ziehen einfach nicht; sie tragen nicht. Wir könnenoch nicht fortwährend Soldaten in solche Einsätze schi-ken und gleichzeitig sagen: Ob die Einsätze erfolgreichnd richtig sind, klären wir später. – Entweder das eineder das andere. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass demeutschen Bundestag eine solche kritische Bilanz vorge-egt wird, die er selber miterarbeitet und im Zuge dessenann darüber vor allen Dingen mit Nichtregierungsorga-isationen debattiert.
ch lese, was beispielsweise VENRO und medico schrei-en; diese teilen auch nicht immer die Positionen derinken. Ich habe auch das neue Buch von Frauäßmann mit außerordentlichem Interesse gelesen. Ichöchte, dass solche Positionen in eine gründliche Be-ertung miteinfließen.Ich will Ihnen ehrlich sagen – man soll sich ja immerine Option offenhalten –: Ich denke seit längerer Zeitarüber nach, ob das Parlament nicht erstmalig von § 8es Parlamentsbeteiligungsgesetzes Gebrauch machennd sich anmaßen sollte, was ihm zusteht, nämlich zurüfen, ob es notwendig ist, die Bundeswehrtruppen zu-ückzuholen, weil das bisherige Mandat nicht mehr deninsatz in Afghanistan abdeckt. Meine Auffassung ist,ass das ISAF-Mandat nicht mehr die neue Strategie infghanistan abdeckt. Wenn das der Fall ist, dann hat derundestag das Recht und, wie ich meine, auch dieflicht, einen Rückholantrag gemäß § 8 zu stellen. Dasätte eine interessante juristische und politische Debatteur Folge.
ir geht es um politische Bewegung.
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4882 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Wolfgang Gehrcke
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Ich kann das, was ich für Afghanistan möchte, relativeinfach in ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringen. Ichbitte darum, sich gegenseitig Zweifel zuzugestehen. Kei-ner von uns wird garantieren können, dass Frieden undStabilität in Afghanistan einziehen, wenn das, was ersich selber vorstellt, gemacht wird. Aber sicher ist:Wenn man in der Sackgasse ist, hat es keinen Sinn, ein-fach die Losung „Weiterso“ auszugeben. Vielmehr mussman sich dann zurückbewegen und neue Überlegungenanstellen.
Ich möchte gern, dass darüber nachgedacht wird, wiewir dafür sorgen können, dass das sinnlose Töten undMorden in Afghanistan – und nicht nur dort – endlichaufhören, dass keine Bundeswehrsoldaten mehr ihre Ge-sundheit oder ihr Leben in einem solchen Krieg riskierenund dass die Menschen in Afghanistan, soweit es über-haupt möglich ist, in Sicherheit leben können. Das istdas, was wir erreichen müssen. In diese Richtung müs-sen wir Überlegungen anstellen. Dazu brauchen wir einepolitische Grundlage. Wir müssen kritisch all das über-prüfen, was bisher gemacht worden ist. Wenn das ge-schehen ist, kommt man zu einem Urteil. Man muss dieCourage haben, die Konsequenzen aus diesem Urteil zuziehen. Ich finde, das sollte der Bundestag machen.Ich bedauere, dass die SPD beim Schreiben ihrer An-träge – darin steht durchaus Vernünftiges geschrieben –immer auf einem Auge blind ist. Reden Sie nicht von in-terfraktionellen Anträgen, wenn eine wirkliche interfrak-tionelle Zusammenarbeit zwar möglich wäre, Sie sieaber nur aus ideologischen und Konkurrenzgründennicht eingehen. Sie verbauen sich selber Zugänge.Zum Schluss. Ich will Sie gern noch dazu auffordern,das vorliegende Friedensgutachten 2010 zu lesen. Mankann dem Gutachten der Friedensforschungsinstituteeine ganze Menge neuer Ideen für Afghanistan entneh-men. Wir werden sehen, was sich in den Ausschüssendurchsetzt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Djir-Sarai für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit2001 engagiert sich Deutschland in Afghanistan. Dortgibt es Erfolge, und dort gibt es auch Misserfolge. Esliegt in der Natur der Sache, dass wir als Parlamentarieruns sehr intensiv und sachlich mit diesem Einsatz be-schäftigen müssen. Wenn ich mir die Stimmung in derBevölkerung anschaue, dann erkenne ich, dass sie, wasden Einsatz in Afghanistan betrifft – das ist hier vorhinadEdsDdaWdrVsmtiaeAdmTSeDHDuvwstnzclhtJWüw
Laut FAZ waren im Juni 2010 nur noch 22 Prozenter Bevölkerung in Deutschland für die Beteiligung un-eres Landes am internationalen Afghanistan-Einsatz.as liegt auch daran, dass wir als Politiker die Notwen-igkeit des Einsatzes in der Vergangenheit nicht immerusreichend erklärt haben.
ir als Parlamentarier und die Bundesregierung müsseniesen Einsatz in der Öffentlichkeit besser kommunizie-en.
iele unserer Bundeswehrsoldaten haben mir vor Ort ge-agt – ich war in Afghanistan und habe mir die Mühe ge-acht, ihre Meinung anzuhören –, dass sie darüber ent-äuscht sind, dass der Wert ihres Einsatzes in der Heimatn Deutschland nicht verstanden wird. Unsere Aufgabels Parlament ist es, die Menschen in diesem Land beiinem so wichtigen Thema gut zu informieren. Um dieseufgabe erfolgreich zu erfüllen, müssen wir selbst überen Einsatz umfassend informiert sein.Es ist völlig richtig, dass wir uns anschauen, was wirit unserem Einsatz bisher erreicht haben. Dies ist aucheil der Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen undoldaten und notwendig, wenn wir über das Mandat zuntscheiden haben.
iese Fürsorgepflicht gilt übrigens für alle in diesemaus – unabhängig vom parteipolitischen Hintergrund.aher ist es grundsätzlich richtig, den Einsatz sachlichnd nüchtern zu bewerten. Dabei muss diese Bewertungor allem frei von Polemik und Parteitaktik durchgeführterden. Ich bin mir nicht bei allen Vorschlägen in die-em Antrag sicher, ob sie zielführend sind. Die im An-rag aufgezeigten Zeitvorgaben sind von vornhereinicht einzuhalten. Das gesamte hier vorgestellte Zeitkon-ept ist absolut nicht realistisch.
Nach den Aussagen des Ministeriums für wirtschaftli-he Zusammenarbeit und Entwicklung, das eine Eva-uierung für seinen Bereich schon einmal durchgeführtat, wird allein für die Ausschreibung einer solchen ex-ernen Evaluierung ein Zeitrahmen von bis zu einemahr benötigt.
ir halten uns durch die vierteljährliche Unterrichtungber die Entwicklung in Afghanistan und die erweiterteöchentliche Unterrichtung des Parlaments über die
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Dr. Bijan Djir-Sarai
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Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr bereits fürgut informiert. Es ist ja nicht so, als ob nichts passierenwürde. Hier wurde die Informationslage schon ausge-weitet.Dass weiter gehandelt werden sollte, steht außerFrage. Eine parlamentarische Begleitung dieses Einsat-zes ist nach wie vor notwendig, damit das Ziel derschrittweisen Übergabe der Verantwortung erfolgenkann.
Wir sind in eine neue und entscheidende Phase desEinsatzes gekommen. Dafür brauchen wir eine erwei-terte Unterrichtung des Deutschen Bundestages. Dasmachbare Maß einer Unterrichtung sieht unserer Mei-nung nach allerdings anders aus, als es die beiden Oppo-sitionsfraktionen in ihrem Antrag skizzieren.Wir müssen uns als Parlamentarier ein Bild der Situa-tion im Istzustand machen. Daher sind wir der Meinung,dass eine Überweisung des hier vorliegenden Antragesin den Ausschuss sinnvoll ist. So können wir schon indieser Sitzung von der Bundesregierung umfassenderunterrichtet werden. Das Thema ist jetzt auf der Agenda.Wir sagen klar: Wir wollen den Einstieg in den Aus-stieg. Wir wollen einen ressortvernetzenden Ansatz.Wenn Ergebnisse da sind, wenn sich Wirkungen zeigen,werden diese natürlich geliefert und kommuniziert. Wirsehen in den konkreten Vereinbarungen der LondonerKonferenz auch die Kriterien für eine Bewertung desEinsatzes, allerdings nicht in der Rückschau für den Ein-satz ab 2001.Nach der Kabuler Konferenz im Herbst dieses Jahresist es dann an der Zeit, dass ressortübergreifende Bench-marks für die Umsetzung des aktuellen Mandats vorge-legt werden. Nach der Kabuler Konferenz möchten wirin einer öffentlichen Veranstaltung aller damit befasstenAusschüsse die vorgelegten Benchmarks diskutieren,auch unter einer möglichen Einbeziehung wissenschaft-licher Experten. Das ist unser Ansatz einer Evaluation.Er hat den großen Vorteil, dass wir unsere Verantwor-tung nicht outsourcen. Der Deutsche Bundestag führtdiese Aufgabe durch und handelt damit.
Ende des Jahres sollte dann die Bundesregierung ei-nen Bericht für die kommende Mandatsverlängerungvorlegen. Darin sollen Ergebnisse zur Umsetzung desaktuellen Mandates aufgeführt sein. Darin sollen not-wendige Änderungen im neuen Mandat ebenfalls darge-stellt werden.Es muss schlussendlich deutlich werden, welche Ver-änderungen der Neuansatz in Afghanistan erbracht hatund welche weitere Anpassung der Strategie für erfor-derlich erachtet wird. Dies, meine Damen und Herren,sind realistische Ziele.Wir sollten im Rahmen dieser Diskussion nicht denFehler machen, die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzesdurch ein Hin und Her bei der Bewertung einzelner Ein-satzfragen zu gefährden. Die Mehrheit in diesem HausewusIsvAFNSbiPbipvzkledbCwwmaKitWVhtJ
Wir haben schon eine gute Vorstellung davon, wie dienformation der Bundesregierung über den Einsatz aus-ehen sollte, vom Umfang her und mit realistischen Zeit-orgaben.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihreufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Frithjof Schmidt für dieraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eit über acht Jahren ist die Bundeswehr Teil eines Sta-ilisierungseinsatzes in Afghanistan. Es sind acht Jahre,n denen wir gemeinsam mit unseren internationalenartnern und gemeinsam mit den Afghanen gerade aucheim zivilen Aufbau einiges erreicht haben, acht Jahre,n denen aber leider nicht erreicht wurde, den Schwer-unkt vom militärischen Engagement auf das zivile zuerlagern, acht Jahre, in denen auch die Zustimmungum Einsatz in der Öffentlichkeit immer weiter gesun-en ist. Eine Evaluierung dieses Einsatzes ist also wirk-ich überfällig. Wer jetzt sagt: „Damit fangen wir mal ininem Jahr an“, der verkennt, ehrlich gesagt, den Ernster Situation.
Eine Evaluierung soll helfen, Konsequenzen aus demisherigen Engagement zu ziehen, damit die letztehance auf Erfolg – die letzte Chance auf Erfolg! – auchirklich genutzt wird. Da kann man doch nicht ein Jahrarten!Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute einen ge-einsamen Antrag aller Fraktionen dazu beschließen,uch weil die Evaluierung von vielen Politikern aus deroalition immer wieder gefordert wurde. Einen möchtech hier besonders hervorheben. Er hat in der Frankfur-er Allgemeinen Zeitung im Juni 2008 gefordert,… nach kanadischem Vorbild eine unabhängigeKommission über Deutschlands – nicht nur militä-risches – Gesamtengagement und seine künftigeRolle in Afghanistan einzurichten.Dieser Satz stammt nicht etwa von dem Grüneninni Nachtwei. Nein, er stammt von unserem heutigenerteidigungsminister Herrn zu Guttenberg. Insofernabe ich gehofft, dass unser Vorschlag auf offene Türenrifft. Denn Herr zu Guttenberg weiß schon seit zweiahren, dass das sinnvoll wäre. Wir wundern uns, dass
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4884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Dr. Frithjof Schmidt
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Sie, nachdem wir einen Vorschlag gemacht haben, wo-chenlang geschwiegen haben. Wir hatten schon befürch-tet, dass Sie jetzt in dieser ernsten Frage völlig mauern.Insofern hat es mich gefreut – allerdings hat es michauch überrascht, dass es so lange gedauert hat; immer-hin, besser spät als gar nicht –, dass sich gestern dieFraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition endlichmit Vorschlägen gemeldet haben. Wir sind gerne bereit,darüber zu reden, damit wir vielleicht doch noch zu einergemeinsamen Position kommen. Es wäre dem Ernst derLage angemessen, dass wir das hinkriegen.Allerdings reichen Ihre Vorschläge so noch nicht aus.Ich glaube, Sie wissen das auch. Sie beinhalten keineEvaluierung des bisherigen Engagements, sondern be-stehen zum größten Teil aus parlamentarischen Selbst-verständlichkeiten – aus Dingen, die die Opposition so-wieso durchsetzen kann oder die Regierung sowieso tunmuss – wie Anhörungen und Berichten der Regierung.Wir nehmen das als Signal des guten Willens wahr.Lassen Sie mich auch das klar sagen: Uns ging es nie da-rum, einseitig die zweifellos auch vorhandenen Defizitein der Afghanistan-Politik der aktuellen Regierung he-rauszuarbeiten. Wir wollen die Afghanistan-Politik ausden Jahren 2001 bis 2005, also aus der rot-grünen Regie-rungszeit, ebenso einbeziehen wie die der Jahre 2005 bis2009, also der Zeit der Großen Koalition.Es geht um den ernsthaften Versuch, aus der Ge-schichte unseres Engagements Lehren für die Zukunft zuziehen. Ich finde, das sind wir alle, die diesen Einsatzmit verantwortet haben, der deutschen Öffentlichkeit,vor allem aber auch den deutschen Soldatinnen und Sol-daten sowie den zivilen Helfern in Afghanistan schuldig.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha-ben es in der Hand. Werden Sie Ihrer Verantwortung ge-recht. Machen Sie das möglich, machen Sie mit bei dem,was wir Ihnen vorschlagen.Danke.
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte andas anknüpfen, was Herr Schmidt zum Schluss gesagthat. Insofern greife ich die Frage der Evaluation sowiedie Frage auf, was da wann und wie sinnvoll ist. Ichfinde, es reicht allein ein Blick auf die Zeitschiene, umfestzustellen, dass ein Bericht in diesem Jahr zumindestdie aktuellen Entwicklungen nicht wird abbilden kön-nen.EahrdEazdnanmwmGgfgfNeazfEwzbwwgzuusIvsAAwd
Wir haben es heute mit zwei verschiedenen Anträgenu tun. Es geht zum einen um die Frage der Evaluationnd zum anderen um die Frage, was getan werden kann,m die humanitäre Situation in Afghanistan zu verbes-ern.
ch habe mir den Antrag der SPD angesehen. Ich sageon vornherein: Ich kann vielem von dem, was darinteht, zustimmen.
ber vieles ist auch nicht neu. Wenn man sich dasfghanistan-Konzept der Bundesregierung anschaut,ird man vieles von dem, was dort gefordert wird, wie-erfinden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010 4885
Holger Haibach
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Ich will einen Gedanken herausgreifen: den Gedan-ken der Kooperation mit den Nachbarstaaten, den Ge-sichtspunkt, wie wir zum Beispiel Pakistan mit in denProzess integrieren. Diesen Aspekt führen wir alle seitJahren im Mund. Ich habe dies gemacht; viele von de-nen, die auf der anderen Seite dieses Hauses sitzen, tundas. Ich frage Sie: Was – außer dass wir sagen, es seinotwendig – ist unser Beitrag dazu? Wir alle haben unssehr viele Gedanken darüber gemacht. Aber am Endemüssen wir uns über eines im Klaren sein: Unser Ein-fluss an dieser Stelle ist begrenzt. Der Schlüssel, wasPakistan betrifft, liegt woanders. Wir alle wissen ganzgenau, wo er liegt. Insofern ist es richtig, darauf hinzu-weisen, dass man die regionale Kooperation braucht. Siehätten auch etwas über den Iran, über China oder Indiensagen können. Aber nichtsdestoweniger ist dies keinwirklich neuer, origineller Gedanke.Genauso wenig neu und originell ist der Gedanke,man möge sich in der Entwicklungszusammenarbeit be-sonders um die ländlichen Regionen kümmern. Als wirhier über eine neue Afghanistan-Strategie gesprochenhaben, haben wir gesagt: Es ist ein besonderes Zeichender neuen Strategie der Bundesregierung, die ländlichenRäume stärker in Betracht zu ziehen.Ich will eines darüber hinaus ansprechen – dies istwichtig –: Es ist gut, dass wir mehr Geld für den Aufbauin Afghanistan zur Verfügung haben. Aber das bringtnichts, wenn es nicht die entsprechenden Strukturen gibt,die das tatsächlich implementieren können. Eines dergrößten Probleme in Afghanistan ist, dass man aufgrundder Strukturen vor Ort offensichtlich nicht in der Lageist, das Geld unterzubringen.
Kollege Haibach, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Nouripour?
Mit großer Freude.
Herzlichen Dank. – Herr Kollege Haibach, sind Sie
imstande, der deutschen Bevölkerung, deren Akzeptanz
für den Einsatz sinkt – damit sind wir alle konfrontiert –,
zu erklären, welche zivilen Projekte, finanziert durch
deutsche Steuermittel, in den letzten zwei Jahren bei-
spielsweise im Raum Kunduz erfolgreich abgeschlossen
worden sind, vor dem Hintergrund, dass wir nicht nur
schlechte, sondern auch gute Nachrichten verbreiten
sollten, wenn wir die Akzeptanz der deutschen Bevölke-
rung für den Einsatz gewinnen wollen?
Herr Kollege Nouripour, es kommt ganz darauf an, ob
Sie das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft se-
hen wollen oder nicht.
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arauf hinzuweisen, wo in Zukunft Notwendigkeiten für
eue Aufgaben liegen. Ich habe nicht so sehr über das
esprochen, was wir gemacht haben, sondern darüber,
as in Zukunft vor uns liegt. Ich sehe durchaus viele
ufgaben, die bis jetzt noch nicht hinreichend angegan-
en worden sind. Das wird auch keiner bestreiten.
Einer der Punkte ist: Es gibt zum Beispiel Untersu-
hungen darüber, wie die Ministerien in Kabul interna-
ionale Hilfsgelder einsetzen. Das Spannende ist, dass
er durchschnittliche Mittelabfluss bei etwa 40 Prozent
iegt. Das ist eines der größten Probleme. Es nützt nichts,
uf der einen Seite Geld zur Verfügung zu stellen, wenn
an auf der anderen Seite vor Ort nicht in der Lage ist,
as Geld entsprechend einzusetzen. Aber auch das
wenn ich das in aller Freundlichkeit sagen darf – ist
ein wirklich origineller, neuer Gedanke.
Ich kann vieles von dem unterstützen, was im Antrag
teht; aber ich sehe nicht, wo er einen entscheidenden
euen Akzent setzt. Über die vorgelegten Punkte haben
ir alle schon einmal diskutiert oder sie angesprochen.
Kollege Haibach, gestatten Sie eine weitere Zwi-
chenfrage, dieses Mal vom Kollegen Raabe?
Aber klar.
Herr Kollege Haibach, Sie sagten, dass es nicht neu
ei, dass es in den ländlichen Regionen Entwicklungszu-
ammenarbeit gebe, und taten so, als sei das auch die
osition des Entwicklungsministers. Wie verträgt sich
as aber mit der Aussage des Entwicklungsministers,
ass Entwicklungszusammenarbeit nur noch dort geför-
ert werden soll, wo die Bundeswehr stationiert ist? Und
alten Sie es eigentlich für richtig, dass die Nichtregie-
ungsorganisationen nur noch dort tätig sein dürfen, wo
ie Bundeswehr ist? Bedeutet das in Ihren Augen nicht
ine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit?
Ich habe Herrn Niebel nicht so verstanden, dass Ent-icklungshilfeorganisationen und Bundeswehr sozusa-en Seit an Seit tätig sein sollen. Vielmehr geht es umie Frage der Koordination und Abstimmung. Aber ichanke Ihnen für die Zwischenfrage; sie bringt mich näm-ich zu dem Punkt der Evaluierung des Einsatzes.Da gibt es keinen Widerspruch: Der Norden vonfghanistan besteht nicht nur aus städtischen Gebieten,ondern ebenso aus ländlichen Regionen, wie es auch im
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4886 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 47. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Juni 2010
Holger Haibach
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(B)
Süden der Fall ist. Damit sind Militär und Nichtregie-rungsorganisationen durchaus in derselben Region imEinsatz. Es gibt schon eine Evaluierung, die das BMZgemeinsam mit der Wissenschaft, mit der FU in Berlin,erstellt hat. Darin finden sich vier wichtige Punkte:Erstens muss man anerkennen, dass das, was dieMenschen in Afghanistan am meisten wollen, physischeSicherheit ist.Zweitens soll man die Entwicklungszusammenarbeitauf sichere Regionen konzentrieren.
– Sie wollten eine wissenschaftliche Evaluation, undjetzt sind Sie mit den Ergebnissen nicht zufrieden.Drittens sollen zivile und militärische Akteure ge-meinsam Regionen der Zusammenarbeit identifizieren.Viertens sollte man anerkennen, dass diese Zusam-menarbeit von zivilen und militärischen Akteuren imZweifelsfall am ehesten dazu geeignet ist, die Glaubwür-digkeit insgesamt zu erhöhen.Insofern sehe ich da keinen Widerspruch. Ich binauch gar nicht gegen Ihren Antrag. Ich finde nur, erbringt nicht viele neue Aspekte. Was die Frage der Eva-luierung betrifft, so sind wir gerne bereit, weiter darüberzu diskutieren.Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 17/1964 zu überweisen: zur federführenden
Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitbe-
ratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und den Verteidigungsausschuss.
Die Vorlage auf Drucksache 17/1965 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 16. Juni 2010, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen trotz
aller Wahlkreisaktivitäten genügend Muße für Fußball,
Sommerwetter und andere Dinge.