Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 193. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte, sich in der Unterhaltung nicht stören zu lassen.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Brandt, Bauknecht, Dr. Henle, Dr. Wuermeling, Dr. Dorls, Henßler, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Bleiß, Freiherr von Aretin, Dr. Friedensburg.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Böhm ab 13. Februar für drei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme und die Abgeordnete Frau Thiele für drei Wochen wegen Krankheit.
Ich darf annehmen, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind. — Das Haus ist damit einverstanden; ich stelle das fest.
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird von der heutigen Tagesordnung abgesetzt und zur Behandlung in der kommenden Woche vorgesehen einmal der Punkt 9:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Soziale Studienkommission ,
und ferner der Punkt 10:
Beratung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Novelle zur Krankenversicherung der Rentner .
Ich bitte also, die Punkte _9 und 10 heute zu streichen.
An Stelle des erkrankten Abgeordneten Bauknecht wird zu Punkt 4 der Tagesordnung, betreffend Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung, der Abgeordnete Schill die Berichterstattung übernehmen.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Bausch, Dr. Wuermeling und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verbot der Spielbanken .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen nach der heute getroffenen Vereinbarung eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 120 Minuten vor.
— Herr Abgeordneter Köhler aus Wiesbaden ist für 40 Minuten.
Meine Damen und Herren, die gleiche Frage ist heute im Ältestenrat hinreichend erörtert worden. Ich schlage Ihnen aus den vom Ältestenrat wohlerwogenen Gründen vor, es bei 120 Minuten zu belassen.
— Meine Damen und Herren, ich persönlich würde mit einer kürzeren Redezeit auskommen;
aber das scheint nicht allgemein die Auffassung zu sein.
Ich habe doch den Eindruck — ich habe das letztes Mal bereits gesagt —, daß, es zweckmäßig ist, nicht ohne besondere Gründe von den Vorschlägen des Ältestenrats abzuweichen.
Der Wohltätigkeit in der Nichtausnutzung der Redezeit bei den einzelnen Fraktionen ist ja keine Grenze gesetzt.
Also ich darf unterstellen, daß Sie einverstanden sind.
— Meine Damen und Herren, ich stelle den Antrag
— das ist zweifellos der weitestgehende —, entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrats eine Redezeit von 120 Minuten zu beschließen. Ich bitte die Damen und Herren, die für diese Zeit sind, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
— Meine Damen und Herren, wünschen Sie, daß wir im Wege des Hammelsprungs darüber abstimmen?
— Also ich wiederhole die Abstimmung, um ein klares Bild zu gewinnen. Wer ist für 120 Minuten? Ich bitte, die Hand zu erheben. — Wer ist dagegen? — Das letztere ist zweifellos die Mehrheit. Ich darf unterstellen, daß Sie sich dann auf 90 Minuten geeinigt haben.
— Das ist der Fall.
Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Weber.
Frau Dr. Weber (CDU), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon die Männer in der Nationalversammlung der Paulskirche haben 1849 ein Gesetz gegen die Spielbanken angenommen. Wir wissen, daß diese Männer in der Paulskirche Männer von großem Ernst und sitt-
licher Verantwortung waren. Die Gründe, die sie damals gehabt haben, die Spielbanken abzulehnen, sind heute noch die gleichen.
Aber heute ist die Zeit eine viel ernstere und schwierigere als damals.
Es waren volkswirtschaftliche Gründe, weil sie erklärten — und auch wir tun es —, daß Spielbanken die Ordnung des wirtschaftlichen Gefüges gefährden.
— Das kommt noch! Herr Bausch spricht nach, mir und beweist alles!
Es waren auch soziale Gründe; denn mit den Spielbanken hebt sich aus der menschlichen Gesellschaft eine Schicht heraus, die nicht durch Arbeit, durch Fleiß und Mühe ihr Geld verdient, Sondern einfach durch das leichte Spiel und durch den Zufall. Es sind ferner sittliche Gründe — und alle sollten Verständnis dafür haben —, die zur Ablehnung der Spielbanken führen. Das Spiel in den Spielbanken verdirbt die menschliche Persönlichkeit.
Meine Damen und Herren, ich habe besonderen Grund, einer Dame in diesem Hause Ruhe zu verschaffen. Ich bitte, mich dabei zu unterstützen!
Frau Dr. Weber (CDU), Antragstellerin: Ja, aber ich bin der Meinung, man soll ruhig sein bei Damen u n d Herren.
Sittliche Gründe sprechen dafür. Ich habe im Herbst einer jungen Frau beistehen müssen, die durch Spielleidenschaft so ins Elend gesunken war, daß es schwierig für sie war, sich wieder zurechtzufinden. Dadurch habe ich Gelegenheit gehabt, in diese Hölle — kann man ruhig sagen — von sittlichem Verderb hineinzublicken.
Nicht nur die menschliche Persönlichkeit, sondern auch die Familie, auch die menschliche Gesellschaft werden dadurch gefährdet. Der Staat hat kein Recht, solche Dinge zu konzessionieren. Er ist dazu da, den Einzelnen, die Familie, die Gesellschaft zu schützen. Er ist für das Wohl des Volkes verantwortlich, aber nicht dazu da, diese Spielbanken zu konzessionieren.
Im Jahre 1868 hat auch der Norddeutsche Bund sich gegen die Spielbanken gewandt. Damals sind die Spielbanken von Homburg, Baden-Baden, Wiesbaden aufgelöst worden; Kissingen war schon 1849 aufgelöst worden.
Aber ich will Ihnen noch von einer anderen Etappe erzählen; diejenigen, die in der Weimarer Nationalversammlung waren, werden es noch wissen wie ich; Im Jahre 1919 hat die Weimarer Nationalversammlung ebenfalls ein strenges Gesetz gegen die Spielbanken erlassen. In diesem Gesetz heißt es — genau so, wie ich es Ihnen eben sagte —, daß die Spielbanken die wirtschaftliche und soziale Ordnung stören und auch dazu angetan sind, die sittlichen Grundlagen der Persönlichkeit zu zersetzen.
Das hat gedauert, meine sehr Verehrten, bis zum Jahre 1933. Bis 1933 haben wir keine. Spielbanken in Deutschland gehabt. 1933 — und das ist beinahe bezeichnend —, fast zu Anfang des nationalsozialistischen Reiches, ist ein Gesetz herausgekommen, das die Spielbanken unter ganz bestimmten Bedingungen erlaubte. Ich darf hier sagen — und das wird Sie interessieren — daß das damalige Reichsjustizministerium bis zuletzt dagegen war, daß aber das Reichsinnenministerium mit den anderen Ministerien und der Reichsregierung dafür waren. Sie haben geglaubt, man könne eine Spielleidenschaft eindämmen, man könne diese Leidenschaft reglementieren. Das war wahrlich ein falscher Glaube! Damals ist die Spielbank in Baden-Baden wieder entstanden. So war es bis 1945, bis zum Ende des Weltkrieges.
Und, meine sehr Verehrten, jetzt fing man an. Damals gab es noch kein Reich und noch keine Länder. Bald aber gab es den Bund und gab es. die Länder, und dann sind einige dieser Länder dazu übergegangen, die Spielbanken zu konzessionieren. Sie wissen, daß wir jetzt in der Bundesrepublik 9 Spielbanken besitzen. Aber ich will jene tapferen Länder nennen, die sich gegen die Einrichtung von Spielbanken gewehrt haben,
denn dazu gehört heute ein Löwenmut, das merke ich Ihnen schon an!
— Ja, das merke ich Ihnen an! Ich habe den Eindruck, daß die Mehrheit der Abgeordneten hier im Bundestag die Sache gar nicht ernst genug nimmt.
— Ja, das merke ich, und ich darf Ihnen ruhig sagen, daß mich das mit Scham erfüllt.
,
— Ja! — Einige Landesregierungen haben konzessioniert, andere Landesregierungen aber sind tapfer gewesen mit ihren Landtagen. Dazu gehört das Land Nordrhein-Westfalen,
und da ich zu Nordrhein-Wesfalen gehöre, bin ich stolz darauf.
— Das gehört nicht zu Nordrhein-Westfalen! Dazu gehört auch die Stadt Aachen. Aachen, das sehr zertrümmert ist, Aachen, das ein schweres Schicksal hatte, Aachen hat -mit Erfolg die Einrichtung der Spielbank abgelehnt.
Dazu gehört auch das tapfere Land Bayern
— ja, das ist der bayerische Löwe gewesen!—,
und dazu gehört das Land Nordbaden-Württemberg, und ich bitte Sie, die Diskussionen nachzulesen, die dort geführt worden sind und die von großem Ernst getragen waren.
Ich weiß, was Sie mir entgegenhalten. Sie sagen: aber diese Spielbanken führen doch ihre Gewinne gemeinnützigen Zwecken zu, dem sozialen Wohnungsbau, den Kriegerwitwen, den Müttern aller Notleidenden! Ich habe irgendwo gelesen, ganze Städte könne man mit diesem Geld aufbauen. Soll ich Ihnen sagen, was ich davon denke? Ich denke, der Zweck heiligt die Mittel nicht!
Und ich sage Ihnen noch ein anderes: das Geld, das so gewonnen wird, von dem man diese Dinge schafft, ist ein Sündengeld!
— Ja, ich. wiederhole es noch einmal: ein Sündengeld, und an diesem Geld haftet eine dunkle, unheimliche, dämonische Macht!
Unsere Bundesrepublik sollte dies es Geld für
gemeinnützige Zwecke gar nicht besitzen wollen!
Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht. Ich weiß, er wird viele andere Meinungen herausfordern. Er wird in mancher Hinsicht auch noch zu ändern sein.
Wir wollen aber, daß er zu einer Auseinandersetzung im Volke anregt, im ganzen deutschen Volk und auch im Bundestag. Wir wollen diesen Gesetzentwurf vor das Gewissen und die Verantwortung des deutschen Volkes und des Bundestags stellen, und wir hoffen, daß der ganze Bundestag einen Gesetzentwurf annimmt.
Ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht den Eindruck; daß dieses Hohe Haus den ganzen Ernst der Frage, über die heute verhandelt werden soll, erfaßt und begriffen hat
Es ist mir ein großes Anliegen, daß es mir gelingen möchte, Ihnen klarzumachen, welches die großen politischen, ideologischen, soziologischen und ethischen Motive sind, die die Unterzeichner dieses Entwurfs zu ihrem Schritt veranlaßt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte zu diesem Zweck an einige Feststellungen anknüpfen, die meine verehrte Frau Kollegin Dr. Weber eben getroffen hat.
Eine erste: Vom Jahre 1868 bis zum Jahre 1933, also volle 65 Jahre lang gab es in Deutschland keine einzige Spielbank. Das wissen die meisten Leute nicht. Das deutsche Volk hat in diesen, vielleicht äußerlich gesehen glücklichsten Jahren seiner Geschichte seinen Wohlstand aufgebaut, nicht mit leichtem Spielgewinn, sondern mit harter, schwerer und entsagungsvoller Arbeit und mit dem nimmermüden Fleiß von Millionen von Arbeitern und mit der Tüchtigkeit seiner Wirtschaftler und Wissenschaftler. Die deutschen Bäder sind ohne Spielbanken groß geworden, gewachsen und gediehen. Ihre Besucherzahl hat mächtig zugenommen. Gäste aus aller Welt fanden sich ein. Der Wohlstand — ich wende mich jetzt vor allem an meine Kollegen aus dem Lande Baden — der Wohlstand und der Reichtum Baden-Badens beruhten 65 Jahre lang nicht auf den trübe und dunkel fließenden Quellen der Spielkasinos, sondern auf den hellen und warmen Quellen des Wassers, das aus den Felsen des Schwarzwaldes sprudelt, auf den Wundern einer herrlichen Natur und den vortrefflichen Kureinrichtungen dieses Weltbades.
Die deutschen Bäder haben in dieser Zeit kranke Menschen gesund gemacht. Darauf beruhte ihr Ruf und ihr Reichtum.
Und eine zweite Feststellung, die getroffen worden ist: Auch 1933 hat man strenge Bestimmungen an die Zulassung von Spielbanken geknüpft. Lediglich Baden-Baden hat damals -die Konzession für eine Spielbank erhalten. Erst vom Jahre 1948 an begann die Inflation der Spielbanken. Statt einer Bank haben wir heute neun. Von diesen neun Spielbanken genügen aber wohl kaum mehr als zwei oder höchstens drei den strengen Anforderungen, die das Gesetz vom 14. Juli 1933 stellte, das bis zum heutigen Tage gültig ist, ohne daß nach diesem Gesetz irgend etwas gefragt wird.
Die Länder haben also gesetzwidrig am laufenden Band Konzessionen für Spielbanken erteilt.
Das Bundesverfassungsgericht, das sich wohl in absehbarer Zeit mit dieser Angelegenheit befassen wird, wird ohne Zweifel einen großen Teil dieser Konzessionen als gesetzwidrig bezeichnen und für ungültig erklären. Ermutigt von reichen, aber um so geschäftstüchtigeren und geschäftshungrigen Kapitalgruppen machte sich trotzdem eine Reihe von Stadtverwaltungen daran, weitere Konzessionen zu beantragen. Wenn diese Entwicklung ungehindert so weitergeht, so werden wir bald neben jedem Hotel und neben jeder Fremdenpension in Deutschland eine Spielbank haben. Diesem chaotischen Zustand muß unverzüglich ein Ende bereitet werden. Es ist Zeit, daß das geschieht. Ich glaube, es ist die Verpflichtung des Bundes, auf diesem Gebiet jetzt für Recht und Ordnung zu sorgen.
Meine Damen und Herren, seitdem wir vor vier Wochen diesen Gesetzentwurf eingereicht haben, sind uns eine große Anzahl von' Zuschriften aus den verschiedensten Gebieten der Bundesrepublik zugegangen, die fast ausnahmslos zustimmend waren. Die Meinung breiter Schichten des Volkes ist in dieser Frage völlig eindeutig. Auch zahlreiche Zeitungsberichte sind uns zugesandt worden. Sie zeigen uns, welch erschütterndes Unheil, welch jammervolles Unglück in Stadt und Land durch die Spielbanken bei ihren Opfern angerichtet wird. Aus dieser Fülle von Beispielen will ich Ihnen nur ein einziges anführen.
In Hamburg wurde erst in diesen Tagen ein Prozeß gegen einen Mann namens Brandt geführt. Er war von Beruf Heuerbaas. Das ist ein Arbeitsvermittler, Vertrauensmann und Lohntreuhänder der Seeleute auf Fischdampfern, Küstenschiffen und Hafendampfern, Verbindungsmann zwischen Besatzung und Reederei. Sein Amt gründet sich auf Treu und Glauben und auf absolute Verläßlichkeit. Dieser Vertreter einer ehrbaren Zunft hat eine halbe Million D-Mark ihm anvertrauter Gelder nach und nach unterschlagen und in einer norddeutschen Spielbank verspielt.
Das Gericht schickte ihn für fünf Jahre ins Zuchthaus und bestrafte ihn mit Ehrverlust.
In der Gerichtsverhandlung hat sich etwas sehr Merkwürdiges ereignet. Dem Betrüger war, nachdem er 440 000 Mark an die Spielbank verspielt hatte und damit zu den besten Verlierern des Spielkasinos zählte, von der Spielbank für seine
Verdienste um die Spielbank das Goldene Ehrenzeichen der Spielbank verliehen worden.
Dieses Goldene Ehrenzeichen lag in der Verhandlung als Beweismittel auf dem Richtertisch. Als ich dies las, wurde ich. an ein Wort aus einer der vielen vornehmen und feinen Denkschriften der Spielbanken erinnert, die uns Abgeordneten in diesen Tagen zugegangen sind. In dieser Denkschrift heißt es, daß „die moderne Spielbank ihre Legitimation in der sauberen, geordneten und peinlich kontrollierten Atmosphäre eines behördlich konzessionierten Instituts" sähe.
Das scheint alles so sauber und fein geordnet zu sein, daß auch das goldene Ehrenzeichen für den besten Verlierer nicht fehlt.
Der Rechtsanwalt dieses Verurteilten gab aber
nach der Urteilsverkündung folgende Erklärung ab: Der Vater Staat appelliert mit der Errichtung von Spielhöllen an den Leichtsinn seiner Bürger. Wenn dann einer ausrutscht, dann kommt der Staatsanwalt und beantragt sechs Jahre Zuchthaus. Das ist doppelte Moral.
Ich frage: hat dieser Anwalt nicht vollständig recht? — Solche Fälle ereignen sich heute aber in mehr oder weniger ähnlich krasser Form in allen Spielbanken der Bundesrepublik am laufenden Band.
Ich muß Ihnen offen gestehen, daß es mir angesichts dieser Tatsachen eigentlich innerlich widerstrebt, noch eine besondere Begründung für das Verbot der Spielbanken zu geben. Ich will aber versuchen, es trotzdem in Kürze zu tun.
Nummer eins: Es ist offenkundig, daß die Duldung von Spielbanken für einen Staat, der sich in der Lage Deutschlands befindet, politisch unmöglich ist. — Die Jugend im Osten Deutschlands und die Jugend der Bundesrepublik schaut danach aus, ob es uns Deutschen gelingt, bei uns eine Gemeinschaftsordnung aufzubauen, die besser ist als jede andere, leuchtkräftiger, sozialgerechter und anständiger als die im Osten, eine Gemeinschaftsordnung, auf die man mit Stolz und mit Zuversicht sehen kann, einen Staat, für den man sich ganz und gar einsetzen kann und den zu verteidigen es sich lohnt. Wenn wir diese Sehnsucht unserer Jugend nicht befriedigen können, können wir uns mit unserer Demokratie allesamt nach Hause begeben. Sie wird keinen Bestand haben. Die Jugend hat einen legitimen Anspruch darauf, in einem sauberen und anständigen Staat leben zu dürfen. Ein Staat aber, der in dieser Weise die doppelte Moral zum Prinzip macht und der solche Eiterbeulen der Gesellschaft nicht beseitigt, ist unanständig. Die Duldung von Spielbanken ist aus politischen und ideologischen Gesichtspunkten abzulehnen.
Spielbanken sind aber auch, vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt betrachtet, untragbar, Spieleinsätze sind fehlgeleitetes Geld. Spielen ist genau das Gegenteil vom Sparen. Das Volk sollte vom Staat zum Sparen angeleitet und nicht zum Spielen verführt werden.
Die Spielbanken sind Einrichtungen .zur Ausbeutung des menschlichen Spieltriebes und vielfach auch der menschlichen Dummheit.
Merkwürdigerweise wollen nun die Städte, die Spielbanken betreiben, nicht ihre eigenen Einwohner ausbeuten. Diese wollen sie vor der Ausbeutung hübsch bewahren. Sie bekommen keinen Zutritt zur Spielbank. Sie verlangen aber dafür mit um so größerer Inbrunst das Monopol zur Ausbeutung der Einwohner anderer Städte und Dörfer. Ihnen wollen sie das Geld aus der Tasche ziehen. Was mit diesen geschieht, das ist ihnen völlig gleichgültig. — Meine Herren, das ist ein Verfahren, das unmöglich ist.
Genau so unmöglich ist die Errichtung von Spielbanken, wenn man sie unter finanzpolitischen Gesichtspunkten betrachtet. Für den Staat ist die Errichtung einer Spielbank per Saldo ein schlechtes Geschäft. Der Staat hat ein eminentes Interesse daran, daß der Steuerbetrug unterbunden und die Steuerehrlichkeit wiederhergestellt wird. Durch die Konzession von Spielbanken tut man das genaue Gegenteil. Spielbanken sind Einrichtungen, mit deren Hilfe der Steuerbetrüger auf elegante Weise aus schwarzem Geld wieder weißes Geld machen kann.
Wer hinterzogenes Geld auf die Bank legen will, braucht sich nur die Mitgliedskarte eines Spielkasinos zu beschaffen. Er kann dann dem Finanzamt gegenüber jederzeit nachweisen, daß es kein schwarzes, sondern weißes Geld ist, das er auf seinem Bankkonto hat. Wenn man eine Rechnung aufmacht, dann muß man unter dem Strich zusammenzählen und die Aktiven und Passiven gegenüberstellen. Durch die Spielbanken wird gar nichts produziert. Das Geld, das sie an sich ziehen, wird aus anderen Landesteilen herausgezogen
und geht diesen ab. Vom rein finanztechnischen Gesichtspunkt her betrachtet, ergibt sich deshalb kein Plus für diese Betriebe.
Aber auch vom sozialen Standpunkt aus gesehen, sind Spielbanken abzulehnen. Wie aufreizend wirkt es auf alle sozial bedrängten Schichten, aber auch auf alle Leute, die ihr Brot mit ehrlicher Arbeit verdienen, sehen zu müssen, daß reiche Leute in den Spielbanken verschwenderisch mit dem Geld umgehen und oft in einer Nacht Tausende auf den Kopf schlagen. Wir sollten das Lob der Arbeit singen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen! Und: Der Arbeiter ist seines I Lohnes wert! Hier liegt die Grundlage aller sozialen Ethik. Die Spielbank ist aber ein Fleisch gewordener Hohn auf die ehrliche Arbeit.
Spielbanken sind schließlich vom sittlichen und ethischen Gesichtspunkt aus betrachtet zu verwerfen.
Gestern las ich in einer Zeitung davon, daß die Spielbanken einen Juristen gefunden haben, der ein juristisches und offenbar zugleich moral-theologisches Gutachten erstattet hat, das die Zulassung von Spielbanken billigt. Die moraltheologische Seite dieses Gutachtens hat man offenbar — ich entnehme dies aus einer Denkschrift der Spielbank Bad Neuenahr — aus alten theologischen Büchern ausgegraben. Der Moraltheologe, auf den sich dieses Gutachten stützt, lebt nicht mehr. Er hat seine Äußerung vor vielen Jahren abgegeben. Er hat damals nichts davon gewußt, wie hundeschlecht
es uns Deutschen heute geht und wie grausam heute das sittliche und moralische Gefüge unserer Gesellschaft erschüttert ist. Die Gutachten der Theologen unserer Tage, die von unserer konkreten Wirklichkeit ausgehen, sind völlig eindeutig und klar ohne Unterschied der Konfession gegen die Spielbanken gerichtet.
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat am 6. September 1949 zu der Spielbankfrage Stellung genommen. Er hat klar und eindeutig die Spielbanken verworfen.
Das deutsche Volk
— so wird in dieser Äußerung festgestellt — befindet sich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches in all seinen Schichten wirtschaftlich und moralisch in einer so gefährlichen Lage, daß jede Duldung oder irgendwie geartete Förderung von Spielbankbetrieben in deutschen Städten als verantwortungslos bezeichnet werden muß. Die aus Spielbanken erzielten Steuergewinne und die aus dem Spiel gewonnenen Gelder dürfen die Gewissen nicht betäuben.
Aber auch von der katholischen Seite her wurde klar und eindeutig dazu Stellung genommen.
Bekanntlich hat der württembergisch-badische Landtag erst unlängst ein Gesetz zum Verbot der Spielbanken beschlossen. Die großen Parteien stimmten bei dieser Landtagsverhandlung, die erst vor wenigen Wochen stattgefunden hat, fast geschlossen für dieses Gesetz. Die FDP hat diesen Gesetzentwurf eingebracht.
Die CDU hat-ihm geschlossen zugestimmt. Die SPD,
meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, hat durch ihren Sprecher erklären lassen, „das Verbot der Spielbanken entspreche einer alten, traditionellen sozialdemokratischen Forderung."
Von hundert Abgeordneten des württembergisch-badischen Landtags stimmten nur fünf gegen das Gesetz.
Nach der Annahme dieses Gesetzes richtete der Erzbischof von Freiburg ein Dankschreiben an den Ministerpräsidenten von Württemberg-Baden, Dr. Reinhold Maier, und sprach diesem seinen besonderen Dank und seine Anerkennung sowie seine Glückwünsche dafür aus, daß dieses Verbot der Spielbanken im Lande Württemberg-Baden zustande gekommen sei. Der Herr Erzbischof entschloß sich zu diesem außerordentlichen Schritt ohne Rücksicht darauf, daß es im Lande Baden zwei konzessionierte Spielbanken, nämlich die in Baden-Baden und die in Konstanz, gibt.
Nun, meine Damen und Herren, eine vielgelesene Zeitung unseres Landes, die „Welt", hat gestern gegen den von uns eingebrachten Gesetzentwurf Stellung genommen und hat dabei darauf hingewiesen, daß das Problem der Spielbanken stets eine moralische und auch eine praktische Seite gehabt habe. Lassen Sie mich zu dieser Äußerung, die unzweifelhaft ins Schwarze getroffen hat, nun einige Bemerkungen machen! Ich will jetzt zu der praktischen Seite der Sache Stellung nehmen und möchte ein Wort zu unserem Gesetzentwurf und vor allem dazu sagen, wie wir unser Ziel, das all- gemeine Verbot der Spielbanken in Deutschland, praktisch verwirklichen wollen.
Meine Damen und Herren! Seit der Einreichung dieses Gesetzentwurfs sind viele Diskussionen über dieses Thema geführt worden. Es sind uns Zuschriften über die rechtliche und über die tatsächliche Seite der Angelegenheit zugegangen. Dadurch ist unser Wissen über diese Dinge — ich darf das offen sagen — vor allem auch nach der rechtlichen und technischen Seite hin wesentlich erweitert worden. Viele Dinge sind dadurch klarer geworden, als sie es vorher warn. Ich möchte deshalb in aller Offenheit sagen, daß es nicht die Absicht der Unterzeichner dieses Entwurfs ist, an den einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs mechanisch festzuhalten. Sie behalten sich vielmehr vor, für die Weiterbehandlung des Problems einen neuen, revidierten Entwurf aufzustellen und dabei die Ergebnisse der in den letzten Wochen geführten Diskussionen zu berücksichtigen.
Die Zeitung, von der ich soeben sprach, hat der Meinung Ausdruck gegeben, „man könne das Problem nicht in Bausch und Bogen meistern."
Ich kann auch dieser Äußerung nur zustimmen. Der Mann hat das Richtige herausgefunden! Über das Tempo, mit dem hier vorgegangen wird, wird man sich unterhalten müssen. Die Dinge liegen tatsächlich in manchen Ländern — ich denke etwa an Schleswig-Holstein — nicht ganz einfach.
Wir sind also durchaus bereit, Überlegungen darüber anzustellen,
ob und inwieweit es zweckmäßig und geboten ist
— jetzt will ich mich auch etwas bildhaft ausdrücken —, dem Patienten die kranken Zähne nicht
alle auf einmal, sondern behutsam und in gebührenden Zeitabständen nacheinander zu ziehen.
Dann wird zu prüfen sein, ob und inwieweit die in den §§ 3 und 4 dieses Entwurfs genannten Termine einer Änderung bedürfen, ferner ob und inwieweit zunächst ein Unterschied in der Behandlung solcher Spielbanken, die nach dem Reichsgesetz vom 14. Juli 1933 zulässig waren, und solchen, die nach diesem Gesetz niemals hätten errichtet werden dürfen, zu machen ist.
Ich beantrage deshalb die Überweisung des Entwurfs an den Rechtsausschuß, der mir in erster Linie berufen zu sein scheint, dieses Problem zu behandeln.
Wir sind sicher, daß die Lösung dieses vielleicht im Einzelfall etwas schwierigen rechtlichen und wirtschaftlichen Problems sehr wohl möglich Ist. Die Dinge sind Ihnen jetzt noch etwas fremd. Sie werden Ihnen morgen nicht mehr so fremd sein. Das deutsche Volk in allen seinen Schichten und Ständen wird sich mit diesem Problem befassen.
Was in jedem Fall und unter allen Umständen und sofort erreicht werden sollte, ist, daß der Bundestag mit sofortiger Wirkung die Errichtung jeder weiteren Spielbank verbietet.
Sodann sollten alle diejenigen Banken abgebaut werden, deren Errichtung nach dem Reichsgesetz vom 14. Juli 1933 nicht zulässig gewesen wäre.
Ich bin davon überzeugt, daß sich für diese beiden Forderungen eine Mehrheit in diesem Hause finden wird.
Was sodann die übrigbleibenden Banken anbelangt, so sind wir der Meinung, daß vertragliche
Verpflichtungen, die sie eingegangen sind, nach Möglichkeit respektiert werden sollten und daß diesen Banken Zeit gegeben werden sollte, ihre Verpflichtungen abzuwickeln.
In jedem Falle und bei allen Spielbanken muß Vorsorge getroffen werden, daß das Personal der Spielbanken angemessen versorgt wird.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese Feststellungen, die ich soeben getroffen habe und die der Auffassung der Unterzeichner des Gesetzentwurfs entsprechen, die Bahn frei machen werden für eine sorgfältige und ernste Behandlung dieses Problems durch den Bundestag.
Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Deutsche Bundestag auch in dieser Frage unseres Volkes die Führung übernimmt und daß er alles daransetzen wird, offenkundige Schäden zu beseitigen, um dadurch die ehrliche Arbeit als die Quelle alles wahren Wohlstands zu ehren und zu preisen.
Das Wort hat der Staatssekretär Bleek vom Bundesministerium des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß durch diesen Initiativantrag die Möglichkeit gegeben ist, sich über ein Problem ernstlich auszusprechen, über dessen Ernsthaftigkeit nach unserer Auffassung wohl keinerlei Zweifel bestehen sollten.
Ich darf mich auf diese grundsätzliche Erklärung beschränken, nachdem in den Vorreden zum Ausdruck gebracht worden ist, daß über Einzelheiten der Formulierung und namentlich auch über juristische Fragen in der Ausschußberatung noch wird gesprochen werden müssen. Es wird dabei namentlich auch die Frage zu erörtern sein, ob nicht auf Grund des Art. 125 des Grundgesetzes 'das Gesetz von 1933 ausschließlich zur Ländergesetzgebung gehört und wieweit damit noch eine bundesgesetzliche Regelung außerhalb des rein Strafrechtlichen möglich ist. Aber ich glaube, diese Detailerörterungen sollten nicht von der Betrachtung ablenken, daß diese Frage einer Neuregelung bedarf, weil — ich wiederhole: wie man im übrigen grundsätzlich denken mag — Mißstände gröbster Art im Augenblick wohl nicht bestritten werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Spreti.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in den letzten Tagen des öfteren gefragt worden, ob ich dafür oder dagegen spreche, und ich glaube, diese Frage kann ich nur damit beantworten: das Dagegen hat j a schon Herr Bausch gesprochen und dafür will ich auch nicht sprechen, weil ich nämlich gar nicht der Auffassung bin, daß ich irgendwie die Moral oder Unmoral einer Anstalt jetzt hier verteidigen soll oder nicht. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe — und ich meine, auch die Aufgabe dieses Hauses —, so eine Frage nicht zu einer deutschproblematischen Angelegenheit werden zu lassen, sondern sie sachlich und ganz nüchtern zu behandeln.
Und hier gehört, ich will einmal sagen, diese ganze muffige, mythologische Auffassung über diese Fragen aus der Zeit der Makart-Bilder nicht her.
Man sollte einmal die Frage etwas realpolitisch und auch sozialpolitisch betrachten.
Ich möchte mich nun nicht meiner sehr geehrten Kollegin Frau Dr. Weber irgendwie feindlich entgegenstellen; denn dazu verehre ich sie viel zu sehr und dafür kenne ich sie viel zu lange. Aber sie wird mir vielleicht nachher doch ihre Absolution geben, wenn ich auch nicht in allen Dingen mit ihr konform gehe.
Darf ich Sie vielleicht auf eines hinweisen. Die Spielbanken sind etwas ganz anderes als Spielhöllen.
Die Spielbanken sind — das können Sie in dem
sehr amüsanten Buch von Conte Corti nachlesen
— um 1800 entstanden. Aber die Spielhöllen haben ja schon immer bestanden; denn Sie können sogar schon im Mittelalter immer das sogenannte Glücksrad beobachten, das sogar in mythologischen Darstellungen — des sogenannten „Unter-die-Räder-
—Kommens", wie es heißt — auftritt. Der Mensch wird dort dargestellt im aufsteigenden und im abnehmenden Lebensalter, so daß man im Grunde genommen, wenn man es geschichtlich verfolgt, bis ins klassische Altertum hinein immer das Spiel finden kann. Es entspricht dies einer gewissen Leidenschaft, die im Menschen steckt, und diese Leidenschaft werden wir auch nicht ausmerzen können, sondern es ist Sache des Staates, dieser
Leidenschaft Einhalt zu gebieten, soweit es möglich ist. Dazu gehört aber auch noch etwas Charakter im einzelnen Menschen, der sich nicht durch ein „Gouvernnantengesetz" vom Staat führen läßt, sondern auf Grund seines eigenen Ich und seiner eigenen Einstellung soviel Kraft aufbringt, der Moral zu entsprechen. Er soll entweder seiner Leidenschaft nachkommen oder nicht. Das hat der Mensch allein mit seinem eigenen Gewissen abzumachen.
— Ich darf bitten, mir Gehör zu geben! — Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Spielhöllen gerade diese Klubs sind, die vielleicht Herr Bausch gemeint hat, nämlich die Pensionen, in welchen „Spielkasinos" entstanden, die sogenannten Ecarté-Klubs oder das Knobeln oder sonstige Möglichkeiten betreiben, um dem andern das Geld abzuknöpfen. Doch bei den Spielbanken gibt es
— das kann ja jeder Jurist nachforschen — eine ganz genaue Kontrolle durch Spielregeln und Spielordnungen. Gerade Herr Blanc war es, der 1873 die sogenannten Eintrittskarten, von denen Herr Bausch gesprochen hat, eingeführt hat. Auf Grund dieser Karte können ganz genaue Einblicke über die Person, aber auch über deren Spielart oder auch — verzeihen Sie — über ihren Lebenswandel gewonnen werden; und in dieser Beziehung tauschen auch die Spielbanken untereinander ihre Erfahrungen aus.
Es ist also in. den Spielbanken eine so scharfe Kontrolle — auch in der Abrechnung von seiten der Finanzämter und Stadtverwaltungen, d. h. der
Polizei —, daß hier praktisch keine Möglichkeit besteht, Gelder irgendwie ablaufen zu lassen, die nicht zu diesen siebzigprozentigen Abgaben gehören.
Ein anderes ist vielleicht wichtig: wie wird die sogenannte Kasse der Trinkgelder überwacht? Und hier ist es vielleicht richtig — um den Herrn Staatssekretär des Innern zu zitieren —, daß man versuchen müßte, eine allgemeine Regelung zu finden und diese allgemeine Regelung so zu gestalten, daß hier nicht Differenzen zwischen der einen und der andern Bank entstehen. Gerade die Spielbanken selbst haben den Wunsch, daß eine noch stärkere Kontrolle in dieser Angelegenheit durchgeführt wird, daß vielleicht sogar die Ausmerzung verschiedener ausländischer Kapitalinvestitionen vorgenommen wird, vielleicht sogar eine Säuberung da und dort, wenn man den Gedanken aufkommen läßt, daß vielleicht bei der Lizenzierung nicht ganz genau vorgegangen worden ist. Man kann aber auch die Beschäftigung von Ausländern, die vielleicht in bezug auf ihren Lebenswandel nicht kontrollierbar sind, noch berücksichtigen. So gäbe es eine ganze Menge, was unter Umständen in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Persönlichkeiten der Spielbanken geregelt werden könnte.
Etwas anderes ist — und das ist nämlich die große Gefahr, und vor der möchte ich warnen —, daß, wenn wir die Spielbanken auflösen, die Leidenschaft deshalb nicht aufhört, daß aber die unterirdischen Spielhöllen erst recht blühen, für die keine Ablieferungspflicht besteht, und daß wir dann ein Blühen in dem Sinne haben, wie es Herr Bausch hier mit Recht gegeißelt hat,
der dieses Blühen in seiner fanatischen Unterstreichung hier auch kommentiert hat.
Ich möchte darum den Antrag stellen, daß man diesen Gesetzentwurf der CDU/CSU zur sachlichen Überlegung den zuständigen Ausschüssen überweist und daß man sich alle Mühe gibt, einen Mittelweg zu finden, der Leben und Lebenlassen irgendwie noch berücksichtigt.
Es wäre aber eine Pflichtvergessenheit, wenn man hier nicht einiger Leute gedenken wollte, die ihr Brot bitter verdienen. Dazu gehört eine Unmenge von Heimatvertriebenen, von Schwerverletzten und von Leuten, die — ich darf es einmal ganz offen sagen —
heute nicht mehr die Möglichkeit haben, irgendeine Anstellung zu bekommen, weil sie nicht mehr das goldene Jugendalter besitzen und versuchen müssen, da oder dort mit kargen Möglichkeiten ihr Leben zu fristen. Ich möchte darum bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs bitten, daß man auch diese Frage berücksichtigt und nicht vergißt, daß mit den von den Spielbanken zur Verfügung gestellten Geldern sehr viel gemacht worden ist, gerade auf kommunaler Basis, durch Häuserbau, durch Kanalisation und andere Dinge, auch durch Unterstützung der Heimatvertriebenen. Wenn man den Gemeinden das heute nehmen sollte, würde diesen eine Existenzgrundlage unter den Füßen weggezogen werden, und man würde vielleicht für sehr viele Orte, ich möchte sagen, tatsächlich ein soziales oder ein finanzielles Problem aufreißen. Die Spielbanken wünschen aber selber — es ist vielleicht auch ein gewisser kaufmännischer Sinn dabei —, daß der Inflation, die begonnen hat, Einhalt geboten wird und die Dinge auf ein Limit zurückgeführt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich vorweg bemerken: meine Fraktion ist gegen Spielbanken, gegen Fußballtoto und gegen Staatslotterien.
Alles drei sind Methoden, mit denen man einem leidenschaftlichen Trieb entgegenkommt, um Einnahmen zu erzielen, und alles drei hat moralisch in ganz verschiedenen Kreisen der Gesellschaft und der Gesellschaftsordnung seine großen Bedenken und Gefahren.
Meine Fraktion ist aber auch in einem anderen Punkte einig. Wir sind nicht nur gegen diese Institutionen. Wir sind außerdem gegen die Spielleidenschaft, gegen die Trunksucht
und gegen die Liebesraserei.
Wenn es nach uns ginge, würden wir diese Exzesse des menschlichen Wesens am liebsten durch Beschluß des Bundestags heute ausrotten.
In allen diesen Dingen — die Liebesraserei wird besonders im Karneval in katholischen Gegenden gepflegt —
müssen wir, die wir nicht nur ideologisch denken, uns darauf einstellen, daß der Mensch eben ein sehr durchwachsenes Wesen ist
mit zum Teil großen und zum Teil sehr kleinen
Eigenschaften. Es fragt sich, ob der Staat die Aufgabe hat, aus dem Menschen den Normtyp A, B
oder C zu machen, etwa nach dem Beispiel der
Blutgruppen, und weitere Typen nicht zuzulassen.
Die Meinung, daß durch die Schließung staatlich konzessionierter Spielbanken die Spielleidenschaft auszurotten sei, ist — ich darf das sagen; Herr Bausch und verehrte Frau Dr. Weber, nehmen Sie es mir nicht übel — ein kindlicher Irrtum.
Sie verkriecht sich in Spielhöllen und anderen Schlupfwinkeln, wie mein Herr Vorredner mit Recht ausgeführt hat.
Die Frage ist heute nicht, ob wir Spielbanken einführen wollen. Ich sage ganz offen: ich glaube, meine Fraktion wäre heute geschlossen gegen die Einführung. Sie sind aber nun einmal in der Not der Entwicklungsjahre nach dem Zusammenbruch hier und da entstanden, und zwar meistens an den Stätten, wo sie bis 1868 geblüht haben, wie z. B. in Travemünde oder Wiesbaden. Sie sind dort eingeführt worden, wo davon noch irgendein genius loci übrig war, und sie sind — ich persönlich kenne nur die Spielbank in Travemünde genau —
in ihrer Art als Vergnügungsstätten — —
— Entschuldigen Sie; ich habe sogar da gesetzt — das gebe ich zu —, aber kaum mehr als zehn Mark. Ich kenne diese Einrichtung ziemlich genau
und muß erklären: im Sinne eines Etablissements, einer Vergnügungsstätte ist das eine ganz vorbildliche Einrichtung.
Ich möchte empfehlen, daß der Ausschuß, d. h. der Rechtsausschuß einen Unterausschuß einsetzt, der die Aufgabe hat, sich alle diese zugelassenen Spielbanken anzusehen.
— Das klingt außerordentlich nach einer Vergnügungsreise — ich gebe es zu —; aber es soll eine Studienreise werden.
Denn es ist sehr richtig — da hat Herr Bausch völlig recht —: es mögen hier und da etwas kapitalschwache Nebeneinrichtungen geschaffen worden sein, die dem Gesetz nicht entsprechen, und das Gesetz möchten auch wir streng durchführen.
Und nun einmal zur Frage: wieweit darf der Staat aus der menschlichen Schwäche eine Steuereinnahme und Kapital schlagen? Ich glaube, die Bayern würden grundsätzlich sagen: gar nicht, denn sie sind gegen die Biersteuer.
Aber ich meine, daß man mit diesen Gegebenheiten — ich hätte beinahe gesagt: Gottgegebenheiten —
nun einmal rechnen muß und daß derjenige, der einer besonderen Leidenschaft — ich z. B. dem Rauchen — anhängt, auch sein gerüttelt Maß an Schuld zugunsten der Allgemeinheit abführen soll. Anders bitte ich doch auch die konzessionierten Spielbanken, die keine Höllen sind, nicht anzusehen. Sie haben aber auch einen Vorteil. Davon können wir in Travemünde ein Lied singen;
denn seitdem wir diese Einrichtung dort haben, hat sich der Zustrom bei uns aus dem Ausland, aus den nordischen Staaten und England, in einer Weise belebt, wie es nicht zu erwarten war.
Darüber, daß dieses Geld, wenn es vertan wird —früher waren bekanntlich die Russen die größten Spieler, geführt von Dostojewskij — lieber bei uns als in Frankreich oder in Monte Carlo vertan werden sollte, brauchen wir wirklich keine großen moralischen Bedenken zu haben.
Herr Bausch hat sich in dem letzten Teil seiner Rede sehr weit in die Praxis begeben. Ich kann für meine Fraktion erklären: mit seinen Grundthesen sind wir weitgehend einverstanden; jedoch muß folgendes berücksichtigt werden. Die Dinge sind nicht jederzeit gleich. Nach einem gewonnenen Krieg wie 1870/71 sieht sich die öffentliche Moral und das gesamte soziologische Leben ganz anders an als nach einem Zusammenbruch wie 1945. So schossen 1919 die verbotenen Spielhöllen in den Winkeln aller Großstädte, mit Klopfzeichen und allen möglichen Einrichtungen, wie Pilze aus dem
Boden. Jetzt haben wir durch die Konzessionen so
etwas abgewehrt, und das war eine gute, eine
brave soziale Tat. Wir haben dafür eine Fülle von
Vertriebenen in Lohn und Brot gebracht und haben
Stätten errichtet, in denen sich der Erholung
suchende Mensch frei und freudig bewegen kann.
Die Frage, wie lange diese Nachkriegs- oder Nachkapitulations- — wie soll ich mich ausdrücken? —
-Volkshaltung andauert, will sehr wohl erwogen sein, ehe man zu radikalen Schritten kommt.
Ich möchte mich dem Antrag des Abgeordneten Bausch auf Überweisung an den Rechtsausschuß anschließen. Ich möchte betonen, daß über die Frage der Beibehaltung keineswegs alle Mitglieder meiner Fraktion der gleichen Meinung sind. Ich habe insoweit nur für einige meiner Freunde und insbesondere für die so sehr bedrängte Flüchtlingsgroßstadt Lübeck-Travemünde gesprochen.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Freiherr von Rechenberg!
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zu der Spielbankfrage sprechen. Aber mein sehr geehrter Herr Vorredner hat soeben seiner Abneigung gegen Liebesraserei Ausdruck gegeben
und hat dabei exemplifizierend auf die Karnevalsfeiern in katholischen Ländern hingewiesen. Ich
bin evangelisch und lebe jetzt fast 30 Jahre in der
katholischen heiligen Stadt Köln. Ich habe die
ganze Zeit den kölsche „Fastelovend" mitgefeiert
und glaube daher durchaus sachverständig zu sein,
wenn ich sage: von Liebesraserei ist in Köln keine Rede.
Der Kölner Karneval ist ein Volksfest, auf dem der junge Mann seine zukünftige Frau kennenlernt.
So ist die Sache! Wenn Sie, meine Damen und Herren, wie ich hoffe, uns in Köln die Freude machen werden, zum Karneval zu kommen, dann seien Sie vorsichtig mit Ihren Erwartungen! Man kann sich aber trotzdem auch so sehr gut amüsieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da das menschliche Leben nun einmal nicht ausschließlich von reiner Vernunft oder von reinen Herzen geleitet wird, sondern auch von Leidenschaften gelenkt wird, hat die Frage, wie die staatliche Ordnung sich zu diesen Leidenschaften stellen soll, schon seit Menschengedenken Anlaß zu sachgemäßen und unsachgemäßen Erörterungen gegeben. Da es tatsächlich, wie Herr Kollege Ewers sehr treffend festgestellt hat, nun einmal nicht etwa damit getan ist, einfach die Leiden-
schaften und ihre Folgen mehr oder weniger papieren zu verbieten, muß man sich schon etwas anderes überlegen. Dieselben Vorwürfe, die den Spielbanken gemacht werden, können natürlich auch dem Toto gemacht werden, der ja die farbigen und mehr oder weniger angenehmen Funktionen, die seit jeher in anderen Ländern Lottos und andere Volkslotterien erfüllen, bei uns zu übernehmen beginnt. Genau dieselben Vorwürfe können natürlich auch der alten, ehrlichen, ehrpusseligen Tante Klassenlotterie gemacht werden, wenn diese auch in den besten bürgerlichen Familien Unter den Linden gegrüßt wird.
Es liegt in der Tat daneben das Gebiet der Prostitution, auf dem ganz ähnliche Fragen auftauchen. Es gibt ja auch Leute, die der Ansicht sind, es sei unmoralisch, mit Tabaksteuer, Alkoholsteuer, Branntweinmonopolen usw. Staatseinkünfte zu erzielen. Es ist nicht die Frage, ob gespielt wird und ob das Spielen gut oder schlecht ist; sondern für den Staat und für den Gesetzgeber ist die Frage, in welcher Art und Weise schädlichen Folgen des Spielens in wirksamster Weise entgegengetreten werden kann. Man braucht die Sache nicht vom moralischen Standpunkt aus zu betrachten. Viele Leute wollen sie so betrachten, obwohl maßgebende Morallehrer
und, Frau Kollegin Weber, die wohlbegründete, jahrhundertealte Lehre unserer Religion sagen, daß das keine notwendige moralische Frage sei, daß da jeder seine eigene Meinung haben könnte.
Wie man hört, hat ja auch ein sehr geschätztes Mitglied dieses Hauses sich in einem ausführlichen Gutachten in diesem Sinne ausgesprochen.
Aber wir wollen niemandem das Recht rauben und das Recht bestreiten, diese Sache nach der moralischen Seite anzusehen. Niemand darf gehindert werden, hier nach seinem Gewissen zu entscheiden. Was diese Frage anlangt, so ist es geradezu untunlich, von Fraktions- oder politischer Seite aus eine Stellung zu beziehen.
Auf der andern Seite soll es doch auch nicht so weit kommen, daß — wie z. B. seit Menschengedenken in den Debatten über die Prostitution üblich —, wenn zwei Leute verschiedener Ansicht sind über die Maßnahmen, die in bezug auf und gegen die Prostitution zu ergreifen sind, der eine dem andern Unmoral und Förderung der öffentlichen Unzucht vorwirft. Ich muß sagen: genau so wenig, wie wir die Gegner der Spielbanken als Mucker und als muffige Leute bezeichnen wollen, genau so wenig, wie wir etwa sagen wollen, daß die Bekämpfer der Spielbanken für die Spielhöllen eintreten, genau so wenig sollte man auf der andern Seite solche Vorwürfe gegen die andere Meinung erheben. Ich bedaure es außerordentlich, daß hier Formulierungen gebraucht worden sind wie: der Staat, in dem Spielbanken seien, sei kein sauberer Staat, es handele sich um doppelte Moral usw. Ich glaube im Ernst, daß derartige Bausch-und-Bogen-Formulierungen
den wirklichen Schwierigkeiten des Problems nicht gerecht werden.
Es handelt sich in der Tat doch um einige sehr
sachliche Zweckmäßigkeitsfragen und nicht etwa nur
darum — oder überhaupt darum —, daß. hier auf bequeme Art und Weise öffentliche Einkünfte erzielt werden können, — obwohl es an und für sich nicht gerade unzulässig sein sollte, über die Kosten zu sprechen. Es handelt sich doch vor allen Dingen um Zweckmäßigkeitsfragen in der Hinsicht, ob ein irgendwie erstrebter politischer oder moralischer Zweck nicht in das Gegenteil umschlägt, weil die Sache eben falsch angepackt wird.
In dieser Beziehung lehren große Beispiele, daß eine Prohibition in solchen Dingen nicht immer die beste Lösung zu sein braucht. Es spricht sehr viel dafür, daß in Ländern, in denen es keine Spielbanken gibt, mehr gespielt wird als sonstwo, wenn sonst die Voraussetzungen für großes und vieles Spielen vorhanden sind; obwohl auf der andern Seite auch gesagt werden muß, daß durch die Anlage von Spielbanken die Voraussetzungen unter Umständen dort geschaffen werden können, wo sie sonst nicht bestehen würden.
Es ist gar kein Zweifel, daß Spielbanken durchwegs große Devisenbringer sind; denn ganz allgemein wird ja auch die einheimische Bevölkerung von ihnen nach Möglichkeit ferngehalten, und sie sind auf Reisende abgestellt. Es ist auch richtig, daß da, wo keine Spielbanken sind, nicht nur ein Devisenausfall eintritt, sondern auch ein gewisser Devisensog insofern, als eben dann gewöhnlich der Spieltrieb gerade derjenigen Kreise, die darauf Wert legen und die ja etwas leichter beweglich sind, von den Nachbarstaaten durch möglichst nahe an den Grenzen eingerichtete Devisenfänger-Spielbanken befriedigt wird.
Man spricht davon — und es wird auch vieles daran richtig sein —, daß die Steuerkontrolle durch die Spielbanken erschwert wird. Auf der andern Seite wird uns gesagt — und es wird wahrscheinlich näher nachzuprüfen sein —, daß durch die heutige Kontrolle und Organisation der Spielbanken eher eine gewisse Hilfsarbeit für die Steuerkontrolle der Finanzämter durchgeführt werden kann. Jedenfalls ist eines richtig, daß Spielbanken im eigenen Lande auch vom Standpunkt der Steuerkontrolle übersichtlicher und nützlicher sind als Spielbanken im fremden Land.
Im übrigen kann man das Problem nicht vom grundsätzlichen Standpunkt allein aus behandeln, sondern man muß es von der aktuellen, augenblicklichen Situation aus betrachten, in der es darum geht, daß nicht etwa Spielbanken eingerichtet werden sollen, sondern darum, daß Spielbanken eventuell beseitigt werden sollen. Wir müssen bedenken, daß, damit Beschäftigungsprobleme berührt werden, Beschäftigungsprobleme, von denen in der Tat viele Vertriebene betroffen werden. Wir müssen ferner bedenken, daß damit anfinanzierte Projekte aller Art, auch soziale Projekte, die mit diesen Einkünften aufgebaut worden sind, abgebrochen würden.
In jedem Fall, wie man sich auch entscheiden möge — und ich bedaure, daß das bei den bisherigen Erörterungen kaum zur Sprache gekommen ist —, gibt es denn doch eine Reihe von sachlichen Fragen, die die Ausschüsse zu klären haben. Wenn man Spielbanken will, so ist zunächst die Frage der Zuständigkeit zu prüfen und zu klären, die — da möchte ich dem Herrn Staatssekretär des Innenministeriums widersprechen — keine eigentliche Detailfrage ist. Die Frage, ob der Bund, ob Bundesrecht in der Sache überhaupt etwas zu sagen hat, hängt ab von den Artikeln 72 bis 74 des Grundgesetzes. Ich habe keine Zweifel, daß der
Art. 74 Ziffer 11, der das Recht der Wirtschaft der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zuweist, die Grundlage dafür bietet, Bundesrecht darüber zu erlassen, ob Spielbanken als anerkannte Wirtschaftsbetriebe zulässig sind oder nicht. Ich glaube nicht, daß es ein Gebiet gibt, auf dem die Notwendigkeit einheitlicher Regelung so wenig verneint werden könnte wie auf diesem. Es bleibt darauf hinzuweisen, daß unter dem Katalog der ausschließlichen Zuständigkeit der Art. 73 Ziffer 10 die internationale Verbrechensbekämpfung der Bundeszuständigkeit zuweist. Zur internationalen Verbrechensbekämpfung gehört aber zweifellos die Bekämpfung des illegalen Spielbetriebs und der Gangster und Haifische, die sich auf diesem Gebiet bereichern. Mindestens besteht ein sehr eingehender Sachzusammenhang zwischen der Einrichtung von kontrollierten Spielbanken als Maßnahme der Bekämpfung des illegalen Spiels und der Verbrechensbekämpfung. Wir glauben also, daß wir in der Tat die Verantwortlichkeit des Bundes und die des Bundestags, diese Frage zu entscheiden, bejahen müssen. Das könnte durchaus heißen, daß ein Bundesrecht einen Rahmen für den Ländern überlassene Maßnahmen auf diesem Gebiete schafft.
Es wird aber noch eine Reihe von Fragen dabei zu berühren sein. Die Zahl der Spielbanken wird offenbar auch von den beteiligten Spielbanken selbst mit neun unter allen Umständen als zu hoch angesehen. Die Bedingungen für die Zulassung von Spielbanken werden auf jeden Fall überprüft werden müssen. Es sind bis jetzt noch nicht einmal überall die Bedingungen des Gesetzes vom Jahre 1933 eingehalten worden. Es wird zu fragen sein, ob die Bedingungen dieses Gesetzes überhaupt ausreichen und ob das eigentümliche System der Pauschbesteuerung, das nach diesem Gesetz vorgesehen ist, aufrechtzuerhalten ist.
Wenn man Spielbanken nicht will, so werden trotzdem ebenso viele Fragen zu behandeln sein. Zunächst muß man seine Zuständigkeit zu diesem gesetzgeberischen Eingriff überhaupt bejahen. Auch würde man in diesem Fall Vorschriften über die Abwicklung der bestehenden Unternehmen und Verträge zu treffen haben. Ich entnehme der heutigen Debatte, daß diese Notwendigkeit von allen Seiten anerkannt wird und daß auch die Antragsteller auf § 3 des Gesetzentwurfes offenbar nicht bestehen wollen.
Meine Damen und Herren, alle diese Fragen sollten wir in den Ausschüssen gründlich, sachlich und, ich möchte sagen, wenn nicht ohne Moral, so doch ohne Moralin prüfen. Selbst wenn die bisherige Entwicklung als fehlerhaft angesehen wird, so ist daraus kein Grund abzuleiten, durch einen überstürzten kostspieligen Abbruch dieser Politik noch einmal Fehler zu begehen.
Wir bitten Sie, die Vorlage dem Finanz- und Steuerausschuß, der wohl zweckmäßigerweise federführend sein sollte, zu überweisen und wegen der verfassungsrechtlichen und rechtlichen Frage den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht an der Beratung zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, wünscht außer den Antragstellern noch jemand das Wort? -- Bitte, Frau Abgeordnete Mulert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zu der zweifellos problematischen Frage der Spielbanken Stellung nehmen, sondern mir nur einen Hinweis erlauben, der mir als Frau unbedingt notwendig erscheint. Mein Vorredner hat mehrfach die Parallele zu der Einrichtung der Prostitution gezogen. Mir erscheint es notwendig, festzustellen, daß zwischen dem Problem der Spielbanken und dem der Prostitution eine grundlegende Verschiedenheit besteht.
In dem einen Fall geht es darum, daß ein Mensch
mit seinem Geld, im anderen Fall, daß er mit
einem Mitmenschen ein frevelhaftes Spiel treibt.
Das Schlußwort hat der Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin für diese Aussprache sehr dankbar. Ich will damit nicht sagen, daß ich von ihr voll befriedigt bin. Ich habe den Eindruck, daß in dieser Aussprache einige große und nach meiner Meinung entscheidende Gesichtspunkte zu kurz gekommen sind. Das kleine Denken ist die Todsünde unserer Zeit. Ich kann mir nicht denken, daß dieses Problem gelöst werden kann, ohne daß wir versuchen, groß und auch in großen geschichtlichen Zusammenhängen zu denken.
Die ganze Sache ist ja nicht neu. Wir haben das alles schon einmal erlebt. 'Bedenken wir doch, daß nach den napoleonischen Kriegen zunächst England und Frankreich die Spielbanken eingeführt haben. Dann haben sie diese im Jahre 1838 verboten. Die arbeitslosen Spielbankhalter kamen dann nach Nordhessen und haben dort mit Unterstützung eines kurzdenkenden Fürsten am laufenden Band Spielbanken aufgemacht.
Was ist dann geschehen? Dann hat sich das ganze deutsche Volk dagegen erhoben. Die Männer der Frankfurter Paulskirche haben sich im Jahre 1848 — einmütig! — gegen die Spielbanken gewendet.
Reaktionäre Fürsten haben verhindert, daß die Beschlüsse wirksam wurden. Der Norddeutsche Bund hat sie sich zu eigen gemacht. Die Verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar hat 1919 diesen Standpunkt in einer bedrohten Zeit verteidigt.
— Herr Kollege, haben Sie noch nicht begriffen, daß man wichtige Dinge zweimal sagen muß. Ich bin überzeugt, daß man diese Dinge nicht nur zweimal, sondern noch öfter sagen muß.
Man muß an diese großen geschichtlichen Zusammenhänge erinnern und daran denken, daß das deutsche Volk die Sache sehen damals zu seiner eigenen gemacht hat.
Ich bin überzeugt, daß diese Sache auch heute zu einer Sache des Volkes werden wird und daß diese Sache vom. Volk nicht nur aufgegriffen und verteidigt, sondern auch entschieden werden wird.
Meine Damen und Herren, ich 'schließe die allgemeine Besprechung der ersten Beratung.
Wegen der Ausschußüberweisung liegen zwei Anträge vor. Es ist einerseits Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, auf der andern Seite Überweisung an den Finanz- und Steuerausschuß als federführenden Ausschuß beantragt worden.
— Herr Abgeordneter Bausch!
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus der Meinung, daß sich auch der Finanz- und Steuerausschuß mit der Sache befassen sollte. Wir sollten uns aber doch darüber einigen, daß die Federführung beim Rechtsausschuß liegen soll. Dies scheint 'mir ein guter Vorschlag zu sein, auf den wir uns einigen sollten.
Herr Abgeordneter Seuffert!
Ich bedaure, dem Herrn Kollegen Bausch widersprechen zu müssen. Erstens ist der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sehr stark überlastet, und zweitens gehört die Angelegenheit nicht zu seinem eigentlichen juristischen Fachgebiet. Es ist ganz klar, daß eine derartige Frage den Finanzausgleich und die öffentlichen Finanzen überhaupt sehr stark berührt.
— Die Rechtsfragen müssen natürlich auch gelöst werden. Die sachlichen Entscheidungen aber hängen doch von finanziellen und wirtschaftlichen Erwägungen auch mit ab. Erst wenn diese Dinge geklärt sind, können Ihnen die Ausschüsse die Alternativen der einen oder anderen Entscheidung hier darlegen.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr dankbar, daß den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung nicht auch noch der Ehrgeiz gepackt hat. — Also die beiden Ausschüsse sind vorgeschlagen. Ich habe zu fragen, wer für die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführenden Ausschuß ist. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das erste war die Mehrheit; die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist erfolgt.
Ich darf unterstellen, daß Sie mit der Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als mitberatenden Ausschuß einverstanden sind. — Das ist der Fall.
Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt., Ich rufe auf Punkt 2:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Aufhebung der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz und Vorlage eines Gesetzes zur Regelung von Miet- und Pachtverhältnissen für Geschäftsräume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke .
Im Auftrage des Ältestenrates 'schlage ich Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß das Thema, das nunmehr hier berührt wird, nicht in so starkem Maße das Interesse des Hauses findet, wie dies beim Tagesordnungspunkt 1 der Fall war. Dennoch handelt es sich um Fragen, die in weiten Bevölkerungskreisen mit außerordentlicher Aufmerksamkeit betrachtet werden. Mit dem Antrag, den ich zu vertreten habe, begehrt die sozialdemokratische Fraktion die Aufhebung von zwei Verordnungen, die im Volksmunde „Nacht-und-Nebel-Erlasse" genannt werden, von Verordnungen, die in einem weitgehenden Umfange in die tägliche Mietpraxis eingreifen. Wir haben uns vor diesem Hause schon einmal bemüht, darzutun, daß wir erhebliche rechtliche Bedenken haben, der Bundesregierung zuzugestehen, auf diese Weise in bestehende Mietverhältnisse einzugreifen; und es war meine Aufgabe in der 180. Sitzung des Bundestages im Dezember .des vergangenen' Jahres, den Versuch zu machen, für diese unsere Rechtsauffassung den Beweis anzutreten.
Inzwischen sind diese beiden Verordnungen, deren Aufhebung wir begehren, in der Praxis angelaufen, und was sich hierbei ergeben hat, hat die kühnsten Vorstellungen derer übertroffen, die gewarnt und darauf hingewiesen haben, daß hier ein schlechter Weg, mindestens ein Weg mit. schlechten Mitteln beschritten werde. Die Bundesregierung hat alle Darlegungen rechtlicher Art, hat alle Versuche, darzulegen, daß die Verordnungen rechtsunwirksam sind, mit einer Handbewegung abgetan. Sie hat der Öffentlichkeit in keiner Weise eingehende Darlegungen zur Prüfung unterbreitet, sie hat zum anderen ihr nicht genehme wissenschaftliche Gutachten mit einer geringschätzigen Handbewegung beiseite geschoben. In diesen wissenschaftlichen Untersuchungen ist im einzelnen dargetan, was wir in der ersten Bundestagsdebatte nur recht unzulänglich darlegen konnten. Es zeigt sich heute in der Praxis aus der Anwendung der beiden von uns angegriffenen Verordnungen in erschütternder Weise, daß eine Rechtsunsicherheit festzustellen ist, die jedem, dem daran liegt, den Rechtsstaat mitzugestalten, bedenklich erscheinen muß. Ich habe bereits gesagt, die Bundesregierung hat sich den vernehmlichen Warnrufen, die ertönt sind, verschlossen. Es wird zwar hier und da von einem Rechtsgutachten der Bundesregierung gesprochen; es ist mir nicht zugänglich gewesen. Ich habe lediglich in der Nr. 14 des amtlichen Bulletins vom 2. Februar 1952 Darlegungen aus der Feder des Oberregierungsrats Dr. Weitnauer aus dem Bundesministerium der Justiz gelesen, die immerhin in mancher Hinsicht bemerkenswert sind. Er glaubt — obwohl auch den Herren im Ministerium die Unruhe und Unsicherheit in der Öffentlichkeit nicht unbekannt geblieben sein können —, es sei nicht notwendig, über die Rechtsgültigkeit der Verordnungen etwas zu sagen. Mit der lapidaren Feststellung, die Bundesregierung halte die Einwände nach wie vor für unbegründet, ist dieser Teil seiner Darlegungen abgetan. Am Schluß meint er, es bestehe keine Gefahr, daß von der Willkür des Vermieters abhängend etwa Mietverhältnisse und damit Existenzgrundlagen gefährdet würden. Ich glaube, hier hat ein Mann aus der Theorie gesprochen. In der Praxis werden uns unzählige Beispiele dafür angeboten, daß mit diesen beiden Verordnungen eine weitgehende Gefährdung der Existenz vor allen Dingen vieler Gewerbetreibender eingetreten ist.
Ich habe soeben gesagt, die Bundesregierung hat nicht erkennen lassen, daß sie sich darum bemüht, mit den Argumenten fertigzuwerden, die ihr entgegengehalten wurden. Das Gutachten, von dem gelegentlich gesprochen wurde, ist nicht publiziert, mindestens ist es keinem breiten Personenkreis bekanntgeworden. Aber über die Hintertreppe ist doch eine gewisse Aktivität entfaltet worden. Ich meine damit die recht unangenehme Tatsache, die uns dazu bewogen hat, einen besonderen Antrag einzubringen. Ich meine die Tatsache, daß ein dringender Verdacht nach der Richtung hin besteht, daß aus der Bundesregierung heraus der Versuch gemacht worden ist, einem rechtswissenschaftlichen Kritiker und einer Publikation in einer Rechtszeitschrift erhebliche Hemmungen entgegenzustellen.
Ja, man hat den Versuch gemacht, und zwar mit Erfolg, die Redaktion dahingehend zu beeinflussen, daß wesentliche Darlegungen für die Praxis, nämlich der Hinweis darauf, daß die Amtsgerichte befugt seien, die beiden Verordnungen für rechtsunwirksam zu erklären, gestrichen wurden.
Wir werden auf dieses merkwürdige Kapitel, das in einem diametralen Gegensatz zu oft gehörten Erklärungen des Herrn Bundesjustizministers über den Rechtsstaat steht, noch zu sprechen kommen. Wir unterstellen, daß dem Herrn Bundesjustizminister selber dieser Schritt nicht bekannt war und daß er ihn gemißbilligt hätte.
Andererseits gibt die Bundesregierung doch irgendwie zu erkennen, daß ihr mit dieser Behandlungspraxis nicht wohl ist. In den letzten Tagen ist bekanntgeworden, daß die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes vorgelegt hat. Es fällt schwer, keine Satire zu reden. Ein Gesetz zur Ergänzung einer Verordnung ist ein staatsrechtliches Kuriosum, das meines Wissens in der deutschen Staatsrechtspraxis noch keinen Vorläufer hat. Die Vermutung liegt nahe, daß das Bundesjustizministerium selber und damit die gesamte Bundesregierung erkannt hat, auf welch unsicherem Boden sie sich mit ihren Verordnungen bewegt hat, und daß die vom Bundesrat und mit diesem Antrag verlangte förmliche Außerkraftsetzung der beiden angefochtenen Verordnungen in erster Linie aus falsch verstandenen Prestigegründen verweigert wird.
Es ist nicht meine Aufgabe und dies nicht der Ort, in erschöpfender rechtsgutachtlicher Weise die Gründe im einzelnen zu untersuchen und vorzutragen, aus denen sich die Rechtsunwirksamkeit beider Verordnungen zwingend ergibt. Es seien deshalb nur die wichtigsten der Argumente erwähnt und denen der Bundesregierung gegenübergestellt. Ich beziehe mich ganz allgemein auf die bekanntgewordenen rechtsgutachtlichen Untersuchungen, die sich in einer Reihe von Zeitschriften bereits finden, und ich beziehe mich vor allen Dingen auch auf die Feststellungen des Bundesrates, wenn ich kurz drei Gründe anführe, die die Rechtsunwirksamkeit der Nacht-und-Nebel-Erlasse aua dem November dartun. Nach der Ansicht derjenigen, die bisher in der Öffentlichkeit Stellung genommen haben und die Rechtsunwirksamkeit behaupten, sowie nach der Auffassung des Bundesrates darf festgestellt werden, daß sich die Rechtsunwirksamkeit der Verordnungen u. a. aus folgenden drei Gründen ergibt:
1. Die Ermächtigung in § 2 des verlängerten Preisgesetzes ist wegen Widerspruchs gegen die Art. 80 Abs. 1 und 129 Abs. 3 des Grundgesetzes unwirksam bzw. erloschen, da bekanntlich nach dem Grundgesetz solche Ermächtigungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß klar bestimmt sein müssen und auch Gesetzesänderungen nicht enthalten dürfen. Dies gilt aber hinsichtlich der Verordnung z. B. über die Preisrechtsregelung, der Verordnung Nr. 71 — und bezüglich der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz gilt das gleiche —, da die im § 53 Satz 2 des Mieterschutzgesetzes enthaltene Ermächtigung ebenfalls gegen Art. 80 bzw. Art. 129 des Grundgesetzes verstößt.
2. Da beide Verordnungen gemäß Art. 84 bzw. Art. 85 des Grundgesetzes durch die Länder in eigener oder Auftragsverwaltung auszuführen sind, ist die Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes erforderlich.
3. Da die Verordnung PR Nr. 71 grundlegende Auswirkungen auf den gesamten Preisstand auslöst, hätte sie gemäß § 1 des Preisgesetzes der Zustimmung der Rechtsnachfolger des Wirtschaftsrates, d. h. des Bundestages und Bundesrates, bedurft. Wissenschaftliche Untersuchungen, von denen hier nur die von Bettermann genannt sei, schließen sich den Argumenten des Bundesrates an und fügen hinzu, daß sich aus § 2 des Preisgesetzes überhaupt keine Ermächtigung zur Preisfreigabe der Mieten herleiten lasse, nachdem die Ermächtigung des Leitgesetzes vom 24. Juni 1948 bei der erstmaligen Verlängerung des Preisgesetzes aufgehoben worden sei.
Wir schließen uns diesen Bedenken gegen die beiden genannten Verordnungen in vollem Umfange an. Die in das Grundgesetz aufgenommenen Bestimmungen der Art. 80 und 129, die miteinander in einem unleugbaren logischen Zusammenhang stehen, sollen gewährleisten, daß sich der Gesetzgeber der ihm eigenen Aufgabe der Gesetzgebung nicht entziehen kann, und auf der anderen Seite verhindern, daß die Exekutive durch ein ausgedehntes Verordnungsrecht die Legislative an sich zieht. In den genannten Vorschriften bekennt sich das Grundgesetz zu dem in Art. 20 aufgestellten, unsere Staatsform kennzeichnenden Prinzip der Gewaltentrennung. Dieses Prinzip wird durchbrochen, wenn der Exekutive Verordnungsermächtigungen ohne feste Umschreibung nach Inhalt, Zweck und Umfang erteilt werden, ja erst recht, wenn die Exekutive in der Lage ist, geltendes Gesetzesrecht durch Verordnung zu ändern oder aufzuheben.
Es bleibt mir aus Zeitmangel nichts anderes übrig, als einen Teil der begründenden Ausführungen in die Diskussion zu verlegen. Ich darf zusammenfassend erklären: meine Freunde vertreten die Auffassung, daß wir mit unserem Antrag weitgehend den Erfordernissen des Alltags Rechnung tragen und daß unsere Anträge eigentlich auch im wohlverstandenen Interesse der Bundesregierung liegen, weil sie geeignet sind, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben, und weil sie den Weg zu einer Regelung weisen, die den Erfordernissen der Praxis entspricht, die Interessen der Beteiligten abwägt und dennoch nicht in dem Durcheinander der Argumente und in der Ungewißheit über die Rechtswirksamkeit von Verordnungen stehenbleibt.
Wir haben mit unserem Antrag klar eine Aufhebung der Verordnungen verlangt, aber gleichzeitig mit der Ziffer 2 zu erkennen gegeben, daß wir zu sachlichen Erörterungen bereit sind. Wir
weisen damit die Bundesregierung darauf hin, daß diese Bereitschaft — die eine Bereitschaft des ganzen Hauses sein dürfte —, am besten dadurch zu einem effektiven Erfolg führen kann, daß die Bundesregierung diesem Hause ein Gesetz vorlegt, bei dessen Beratung wir uns dann über Einzelfragen unterhalten werden. Wir wollen hoffen, daß diese unsere Auffassung in diesem Hause auf Grund der Kenntnis der Schwierigkeiten, zu denen die beiden .Verordnungen im Alltag geführt haben, ein breites Echo findet und daß wir heute zu einer Beschlußfassung kommen, die sowohl die Interessen der Mieter als auch die der Vermieter aus der Atmosphäre der Stickluft und des Streits an jedem Ort herausbringt. Helfen Sie uns mit, saubere Verhältnisse zu schaffen, und helfen Sie uns mit, Verordnungen aufheben zu lassen, die nach unserer Auffassung rechtsunwirksam sind und für die ein Beschluß des Bundestags nur eine deklamatorische Bedeutung hätte, die aber dennoch, solange sie irgendwie angewandt werden, im Alltag Verwirrung stiften. Wir haben Verwirrung genug, und unser aller Wunsch muß sein, daß Ordnung herrscht.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Dr. Dehler: Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz vom 27. November 1951, die von mir und dem Herrn Wohnungsbauminister gezeichnet ist, und der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts vom 29. November vorigen Jahres, gezeichnet vom Herrn Wirtschaftminister und vom Herrn Wohnungsbauminister, handelt es sich wirklich nicht um „Nacht-und-Nebel-Erlasse". Es ist auch unrichtig, wenn der Herr Abgeordnete Jacobi glaubt, die Bundesregierung habe diese beiden Verordnungen nicht sehr reiflich sowohl nach der wirtschaftlichen wie nach der rechtlichen Seite erwogen und auch die Rechtsfragen, die bei der früheren Diskussion in diesem Hohen Hause aufgetaucht sind, nicht ganz genau bedacht.
Herr Kollege Jacobi hat angenommen, die Ermächtigungen, von denen die Bundesregierung bei diesen beiden Verordnungen Gebrauch gemacht hat, bestünden nicht mehr. Die Bundesregierung ist anderer Ansicht. Es ist schwer möglich, die Fülle von Rechtsproblemen aufzuzeigen, die hier aufgeworfen worden sind. All das, was jetzt in der Diskussion an Gegenargumenten vorgebracht worden ist, ist selbstverständlich von uns geprüft worden. Es ist als nicht stichhaltig befunden worden.
Man hat geglaubt — der Herr Kollege Jacobi hat das erwähnt —, das Bundesjustizministerium habe den Versuch gemacht, diese Rechtsdiskussion zu beschränken. Es wird — die Dinge sind ja Gegenstand einer Anfrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei — vorgeworfen, mein Ministerium habe Einfluß auf einen Artikel genommen und dahin gewirkt, daß bestimmte wichtige Sätze dieses Artikels nicht gebracht würden. Ich habe die Vorwürfe geprüft. Sie sind nicht gerechtfertigt. Diese Sätze sind von der Redaktion dieser Zeitschrift — es ist die „Monatsschrift für Deutsches Recht" — aus eigenem Entschluß gestrichen worden. Es ist lediglich von Herren meines Ministeriums die Frage erwogen worden, ob nicht gleichzeitig ein kritischer Artikel gebracht werden solle, der den Standpunkt der Regierung darlegt; sonst gar- nichts. Von einer Beeinflussung kann also keine Rede sein.
Die rechtlichen Bedenken: Herr Abgeordneter Jacobi meint, die Ermächtigung des Preisgesetzes, auf die sich die Preisverordnung stützt, sei erloschen. Wir sind anderer Meinung. Wäre der Standpunkt des Herrn Kollegen Jacobi richtig, dann wären die gesamten Preisverordnungen, die wir in den letzten zwei Jahren fast Tag für Tag erlassen haben, rechtsunwirksam. Die Meinung des Herrn Kollegen Jacobi steht in Widerspruch mit der Meinung dieses Hauses, wie sie durch die Verlängerungen des Preisgesetzes am 21. Januar 1950 und am 29. März 1951 klar zum Ausdruck gekommen ist.
Ein anderes Bedenken geht darin, daß die Ermächtigungen des Mieterschutzgesetzes, bestimmte Arten von Räumen aus dem Mieterschutz herauszunehmen — wir haben das bei den Geschäftsräumen getan —, nach Art. 129 Abs. 3 unseres Grundgesetzes erloschen seien, weil es sich insoweit um eine Ermächtigung zur Änderung des Mieterschutzgesetzes handele. Unser Standpunkt ist ein anderer. Es handelt sich nicht um eine Änderung des Gesetzes, sondern die auf die Ermächtigung gestützten Verordnungen ergehen gemäß dem Mieterschutzgesetz und im Rahmen des Mieterschutzgesetzes.
Auch die Meinung, die Zustimmung des Bundesrats sei erforderlich gewesen, weil der Mieterschutz ein Gesetz sei, das von den Ländern ausgeführt werde — das ist die Bestimmung des Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes —, ist irrig. Der Art. 80 Abs. 2 hat ebenso wie Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes lediglich die Verwaltung im Auge: Verwaltungsmaßnahmen der Länder, soweit solche durch ein Bundesgesetz bestimmt oder beeinflußt werden, erfordern die Zustimmung des Bundesrats. Die Rechtsprechung, also die Anwendung der Bestimmungen des Mieterschutzgesetzes durch die Gerichte, stellt keine Verwaltungsmaßnahme dar und bedingt daher nicht die Zustimmung des Bundesrats. Ich bin also der Meinung, daß diese rechtlichen Bedenken nicht durchdringen.
Zu der Meinung des Herrn Kollegen Jacobi, die Preisverordnungen seien von grundlegender Bedeutung für den gesamten Preisstand und erforderten deswegen die Zustimmung des Bundesrats und Bundestags, wird sich Herr Erhard äußern.
Der Herr Kollege Jacobi greift vollkommen fehl, wenn er meint, unser Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen sei ein Verlegenheitsakt. Mit diesem Vorwurf werden die Dinge völlig falsch gesehen. Sie sind bereits in der Öffentlichkeit hinreichend dargestellt. Das Bundeskabinett hat die beiden Verordnungen am 7. November beschlossen, und in der gleichen Kabinettssitzung wurde beschlossen, daß umgehend ein Gesetz einzubringen sei — man hat damals an eine Art Vertragshilfe gedacht —, durch welches die Härten, die diese beiden Verordnungen möglicherweise bringen, gemildert werden. Es ist also nicht etwa eine Maßnahme, die die Bundesregierung nachträglich beschlossen hätte, sondern eine Maßnahme, die als im Zusammenhang mit diesen beiden Verordnungen notwendig sofort festgelegt wurde. Dieses Gesetz ist bereits im Entwurf vom Kabinett am 15. Januar verabschiedet worden, war inzwischen der Beschlußfassung des Bundesrats unterlegen, ist in der Beschlußfassung am letzten Dienstag mit Bezug auf die Anregungen des Bun-
desrats endgültig verabschiedet worden und geht Ihnen nun ohne weiteres zu. Der Sinn dieses Gesetzes ist es, für die Übergangszeit unter gewissen Voraussetzungen die Verlängerung der Mietverhältnisse auch gegen den Willen des Vermieters zu ermöglichen. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen den ganzen Inhalt dieses Gesetzes jetzt vortragen würde. Aber das ist das Gesetz, das notwendig ist, gerade um die Schwierigkeiten zu beseitigen, von denen der Herr Abgeordnete Jacobi sprach.
Im übrigen trifft seine Behauptung, die Verordnungen seien in der Praxis schon angelaufen, nicht zu. Denn die Kündigung der Mietverhältnisse, die am 1. Dezember vorigen Jahres bestanden haben, sind erstmals zum 1. April dieses Jahres möglich.
— Daß natürlich schon vorher Kündigungen ausgesprochen worden sind, ist richtig, Herr Kollege Jacobi, aber diese Kündigungen können ja nicht effektuiert werden, weil vor dem 1. April eine Kündigung nicht wirksam werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen — das ist meine Hoffnung, und das ist auch zeitlich möglich — Bundestag und Bundesrat dieses Gesetz, das alle Schwierigkeiten ausschalten wird, beschlossen haben. Das Gesetz wird beonders die Möglichkeit geben, durch das Gericht die angemessenen Mieten festsetzen zu lassen. Eine Hausse für Geschäftsmieten wird also nicht eintreten können.
Insgesamt gesehen ist somit die Erregung, die in die Öffentlichkeit getragen worden ist, nicht begründet. Die beiden Verordnungen sind Teilausschnitte einer Gesamtkonzeption der Bundesregierung. Ihr Ziel ist selbstverständlich die Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft. Aber was die Bundesregierung hier getan hat, geht ja weitgehend auf die Anregungen der Länderregierungen zurück. Eine Reihe von Ländern waren gewillt, entsprechende Maßnahmen von sich aus durchzuführen auf Grund der Ermächtigung, von der wir jetzt Gebrauch gemacht haben. Die Rechtsbedenken, die der Herr Abgeordnete Jacobi vorgetragen hat und mit denen ich mich zu befassen hatte, bestehen nicht. Vielmehr besteht Anlaß, von dieser Stelle aus mit Nachdruck zu sagen, daß die beiden Verordnungen durchaus im Rahmen der Ermächtigungen erlassen worden sind, die die Bundesregierung besitzt, und daß sie deswegen rechtsbeständig sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des Bundesministers für Wirtschaft beschränkt sich darauf, zu dem Teil des Antrags Stellung zu nehmen, der sich mit der Verordnung PR Nr. 71/51 über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts vom 29. November 1951 befaßt. Der Antrag der Fraktion der SPD geht dahin, diese Verordnung außer Kraft zu setzen und für das Gebiet der Miete oder Pacht für Geschäftsraum und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke eine Neuregelung im Gesetzeswege zu veranlassen. Demzufolge würde nach der Auffassung der Antragsteller auf alle anderen Maßnahmen der Verordnung PR Nr. 71/51 zu verzichten sein.
Das Bundeskabinett hat sich nach langen eingehenden Beratungen bereits am 13. November 1951 zu den Preismaßnahmen der Verordnung PR
Nr. 71/51 entschlossen, weil eine Verbesserung der Ertragslage des Hausbesitzes unbedingt erforderlich erschien. Aus dem gleichen Grunde ist zur selben Zeit eine allgemeine Mieterhöhung im Ausmaß von 10 % mit Wirkung vom 1. April 1952 beschlossen worden; diese Verordnung wird in den nächsten Tagen Bundesrat und Bundestag zur Zustimmung vorgelegt werden.
Bei der Verordnung PR Nr. 71/51 hat die Bundesregierung die Frage, ob diese Maßnahmen von grundlegender Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung, seien, vor Erlaß der Verordnung eingehend geprüft. Da sie diese Frage, wie ich noch näher darlegen werde, verneinen mußte, hat sie im Rahmen der ihr zustehenden rechtlichen Möglichkeiten von dem Verordnungsweg Gebrauch gemacht.
Als Voraussetzung dafür, daß eine preisrechtliche Maßnahme nach § 1 des Preisgesetzes früher der Zustimmung des Länderrats bedurfte und jetzt auch der Zustimmung des Bundesrats bedarf, genügt nicht jede Einwirkung auf den Preisstand oder die Lebenshaltung; vielmehr kommen nur Maßnahmen von grundlegender Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung, in Betracht. Von einer grundlegenden Bedeutung der Verordnung Nr. 71/51 in diesem Sinne kann aber nach Ansicht der Bundesregierung keine Rede sein. Die Verordnung besteht zu einem wesentlichen Teil lediglich aus Maßnahmen zur Vereinfachung des Mietpreisrechts; insbesondere hat die Verordnung zu einem beträchtlichen Teil ohne wesentliche sachliche Änderung lediglich Verwaltungsvorschriften in die Form einer Rechtsverordnung überführt. Daß diese Teile der Verordnung in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts selbst dann nicht rechtsunwirksam sein würden, wenn im übrigen die Auffassung des Bundesrats zuträfe, ist in dem Beschluß des Bundesrats vom 18. Januar 1952 außer acht gelassen worden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 unter Nr. 17.
Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Verordnung Nr. 71/51 stelle ich folgendes fest. Die Bundesregierung geht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Rechtsausschusses des Bundestags zu § 1 des Preisgesetzes davon aus, daß nur die im Zeitpunkt des Erlasses einer Verordnung voraussehbaren Auswirkungen bei der Entscheidung über die Zustimmungsbedürftigkeit berücksichtigt werden können. Andererseits müssen aber nach Ansicht der Bundesregierung auch alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt werden. Soweit die Verordnung Nr. 71/51 die Freigabe der Geschäfträume betrifft, können ihre Auswirkungen nur unter Berücksichtigung des von der Bundesregierung dem Bundesrat inzwischen zugeleiteten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken beurteilt werden, weil der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Preisfreigabe mit der Freistellung vom Mieterschutz am 1. April 1952 und dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfällt. Zweck dieses Gesetzentwurfs ist es zwar, durch eine Anhebung der vielfach unverhältnismäßig niedrigen Altbaumieten die Ertragslage des Althausbesitzes zu verbessern und gleichzeitig die durch die Unterschiede des Mietpreisniveaus entstandenen Ungleichheiten der Wettbewerbsbedingungen zu beseitigen. Der Gesetzentwurf hat aber auch — und zwar in erster
Linie — zum Ziel, die Mieter vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen zu schützen und eine die Volkswirtschaft belastende Mietpreissteigerung zu verhindern. Deshalb läßt er Mietpreiserhöhungen lediglich bis zu einer ortsüblichen Höhe zu und sieht für die Übergangszeit eine Kostenmiete vor, die sich im Rahmen der Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes hält. Ohne Berücksichtigung des Inhalts dieses Gesetzentwurfs können also die Auswirkungen der Verordnung Nr. 71/51 nicht zutreffend beurteilt, geschweige denn die Voraussetzungen einer Zustimmungsbedürftigkeit bejaht werden.
Auswirkungen der Freigabe der Mietpreise für Geschäftsräume auf den allgemeinen Preisstand können sich bei preisgebundenen Gütern überhaupt nicht ergeben. Ebensowenig werden die Preise der Grundstoffe, der Verkehrsleistungen und der Leistungen der freien Berufe betroffen. Sind bisher Umsatzmieten oder -pachten vereinbart gewesen, z. B. bei Gaststätten, Bahnhofsgeschäften oder Tankstellen, so treten kaum Auswirkungen ein. Überdies hatten die Preisbehörden das Schwergewicht ihrer Tätigkeit in der Vergangenheit bereits auf die Wohnungsmiete verlagert, so daß bei Geschäftsräumen aller Art häufig schon bisher unkontrollierte Mieterhöhungen vorlagen. Auch darf bei preisfreien Gütern der Anteil und damit das Gewicht der Mietausgaben an den gesamten Geschäftsunkosten nicht überschätzt werden. Daß einzelne überhöhte Forderungen von Vermietern nicht als symptomatisch für die Entwicklung angesehen werden können, zeigt die erste Übersicht über die beanspruchten Mieterhöhungen in Bayern mit durchschnittlich 25 %. Auswirkungen für den gesamten Preisstand können daher auch nicht vorliegen.
Soweit es sich um die Mieten für Geschäftsräume handelt, die durch Neubau oder Wiederherstellung beschädigter Gebäude in der letzten Zeit neu gewonnen wurden, hat sich der Mieter auch regelmäßig durch langfristige Mietverträge gesichert, so daß Mieterhöhungen durch eine Kündigung des Mietverhältnisses nicht eintreten können. Liegen aber Mietverhältnisse über Geschäftsräume in Altbauten vor, die durch den Zeitablauf der früheren Mietverträge kurzfristig kündbar sind, so wird der Marktpreis bei preisfreien Waren schon deswegen durch eine Mieterhöhung nicht berührt, weil Geschäfte derselben Branche in Neubauten mit wesentlich höherem Mietniveau geführt werden, ohne daß dies in dem Preisstand der verkauften Waren seinen Ausdruck gefunden hätte. Ich glaube auch nicht, daß irgendein deutscher Staatsbürger bei der Deckung seines Bedarfs in ein Geschäft mit Altmiete geht, weil er glaubt, dort billiger kaufen zu können.
Auch mittelbar können daher breite Verbraucherkreise durch die Mietpreisfreigabe für Geschäftsräume nicht betroffen werden. Wo bisher schon, wie z. B. in Gebieten ohne Kriegsschäden oder in einzelnen Branchen, wie z. B. Filmtheater, eine ausgeglichene Marktlage für Geschäftsraum vorlag, werden sich mit Gewißheit stärkere Erhöhungen von Geschäftsraummieten nicht ergeben. Aber auch in den von Kriegsschäden betroffenen Gebieten hat die Errichtung behelfsmäßiger Ladenlokale teilweise zu einer völligen Befriedigung des Bedarfs geführt.
Die Freigabe der Übernachtungspreise kann ebenfalls nur partielle Auswirkungen zur Folge haben, da die Preisüberwachung auf diesem Gebiet schon bisher nicht in demselben Umfang wie bei Wohnraummieten gehandhabt wurde und auch zahlreichen Erhöhungsanträgen von den Preisbehörden stattgegeben worden ist. Die Entwicklung der Neubautätigkeit hat auch dazu geführt, daß die Verluste an Übernachtungsraum durch Kriegsschäden in der Zwischenzeit nahezu ausgeglichen wurden. Eine echte, preiserhöhende Tendenzen auslösende Mangellage an Übernachtungsraum liegt daher nur noch in wenigen Städten vor. Auswirkungen auf den gesamten Preisstand und die Lebenshaltung der breiten Massen der Bevölkerung im Sinne des § 3 des Verlängerungsgesetzes zum Preisgesetz vom 21. Januar 1950 sind tatsächlich nicht gegeben. Überhöhten Forderungen könnte übrigens auf diesem Gebiet auch mit den Mitteln des Wirtschaftsstrafrechts begegnet werden.
Der Gesichtspunkt, daß durch die Einführung eines Untermietzuschlags auch Kreise von sozial Schutzbedürftigen betroffen werden, könnte, selbst wenn er zuträfe, die Rechtmäßigkeit der Verordnung nicht berühren, weil feststeht, daß es sich dabei nur um partielle Auswirkungen handeln kann. Richtig ist zwar, daß der Untermietzuschlag von 5 °/o der anteiligen Leerraummiete bei gesetzlicher Untermiete eine Erhöhung der Untermiete zur Folge hat. Diese Erhöhung ist aber so geringfügig, daß sie die in § 3 des Gesetzes vom 21. Januar 1950 vorausgesetzte Bedeutung keinesfalls haben kann. Die durchschnittliche monatliche Leerraummiete in Mittelwohnungen des Althausbesitzes schwankt in Großstädten zwischen 6,60 DM und 13,20 DM pro Raum. Es handelt sich also auch nur um eine monatliche Mehrbelastung zwischen 33 und 66 D-Pf pro Raum. Bei Neubauwohnungen liegt zwar eine höhere monatliche Mehrbelastung, aber nicht über das Doppelte dieser Beträge vor.
Im übrigen wird der Untermietzuschlag von 5 % bei der gesetzlichen Untermiete nur in den Ausnahmefällen zugelassen, in denen ein Untermieter mit seiner Familie in den untervermieteten Räumen einen selbständigen Haushalt führt. Da nach den Ermittlungen der Bundesregierung schon vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 71/51 die weitaus überwiegende Zahl aller Untermietverhältnisse als frei vereinbart gelten konnte, wird nur ein Bruchteil der Untermieter durch diesen Untermietzuschlag wirtschaftlich belastet. Der Aufwand für die Wohnungsmiete bleibt überdies bei Untervermietung, wie sich aus der Natur der Untermietverhältnisse ergibt, regelmäßig hinter dem gewöhnlichen Mietaufwand für eine selbständige Wohnung zurück. Eine irgendwie erhebliche Auswirkung auf das Preisgefüge oder die Lebenshaltungskosten kann sich um so weniger ergeben, als der gerade von Flüchtlingen in Anspruch genommene bäuerliche Wohnraum auf dem Lande nicht der Verordnung Nr. 71/51 unterliegt.
In den Fällen, in denen bei frei vereinbarter Untermiete der Hauptmieter 20 % der anteiligen Leerraummiete an den Hausbesitzer abführen muß, ergibt sich eine Belastung für den Untermieter überhaupt nicht. Es handelt sich vielmehr lediglich darum, einen Teil des von dem Hauptmieter entgegen den bisher gültigen Preisvorschriften erzielten Übergewinns dem Hausbesitzer zugute kommen zu lassen. Dadurch, daß -eine gewisse Zahl von Hauptmietern durch einen verhältnismäßig geringfügigen Betrag belastet wird und den Hausbesitzern dieser Betrag zufließt, können unmöglich irgendwelche Auswirkungen auf den Preisstand und die Lebenshaltung eintreten; um, so weniger
kann davon die Rede, daß diese Maßnahme von grundlegender Bedeutung für den Preisstand sei. Abgesehen davon kann der Hauptmieter die Abführung des Untermietzuschlags jederzeit dadurch abwenden, daß er sich seinerseits auf die gesetzliche Untermiete beruft.
Wenn nach den Ergebnissen der letzten Wohnraumzählung im Bundesgebiet 3 Millionen Haushalte ohne selbständige Wohnung sind, so kann hieraus nicht gefolgert werden, daß die Betreffenden sämtlich zur Untermiete wohnen, da bei der Erfassung der Haushaltungen auch alle diejenigen Haushaltungen mitgezählt worden sind, die in eine andere Wohnung, z. B. bei Aufnahme der verheirateten Tochter in die Wohnung der Eltern, mit aufgenommen wurden. Daraus ergeben sich tatsächlich noch geringere als die dargelegten Auswirkungen der Vorschriften über Untermietzuschläge.
Wie meine Ausführungen ergeben, haben alle Maßnahmen, die durch die Verordnung Nr. 71/51 auf dem Gebiete der Raummiete getroffen worden sind, keine grundlegende Bedeutnug für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung. Diese Maßnahmen betreffen auch jeweils verschiedene Personengruppen. Sie sind also auch in ihrer Gesamtheit nicht von grundlegender Bedeutung für die Lebenshaltung.
Ich beantrage daher namens der Bundesregierung, den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Für das Gebiet der Geschäftsraummieten wird die durch den Antrag gewünschte Begrenzung von Erhöhungen im übrigen schon durch das jetzt dem Bundestag zugeleitete Gesetz zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken erreicht.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der Redezeit von 90 Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Huth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen der beiden Herren Minister kann ich mich ziemlich kurz fassen, da sie das Wesentliche, was ich selbst hätte vorbringen können, schon gesagt haben.
Der Herr Abgeordnete Jacobi hat soeben von den sogenannten Nacht-und-Nebel-Erlassen gesprochen. Ich bedaure so, ihm in dieser Hinsicht nicht folgen zu können; denn mir ist nicht bekannt, und ich kann es aus der Verordnung nicht ersehen, was auf Nacht- und Nebelerlasse schließen ließe. Wer sich etwas mit der Materie vertraut gemacht hat, wird die Verordnungen schon ganz klar erkennen.
Interessant ist, daß im Bundesrat z. B. die Fachausschüsse sich f ü r die Verordnungen ausgesprochen haben, während sich die Politiker dagegen ausgesprochen haben.
— Ich nehme an, der Ausschuß für Wiederaufbau
und Wohnungswesen des Bundesrats, Herr Kollege!
Wenn ich ganz kurz zu den Verordnungen Stellung nehme, dann, glaube ich, ist der tiefste Anlaß darin zu suchen, daß der Haus- und Grundbesitz bekanntlich einen Tiefstand erreicht hat. Wenn es uns nicht so gehen soll, wie es zur Zeit in Frankreich der Fall ist, daß im Jahr mehr Altbauwohnungen verfallen? als Neubauwohnungen erstellt werden, dann ist es dringend erforderlich, daß wir in dieser Beziehung zu einer Lockerung des Gefüges kommen.
Man sagt immer, der Hausbesitz setze sich nur aus Kapitalisten zusammen, und die hätten das nicht nötig.
Ich glaube, daß diese These längst überholt ist,. Ich will im Augenblick auch auf diese Dinge nicht näher eingehen, weil sich bei den kommenden Debatten Gelegenheit dazu gibt.
— Die Zahlen kann ich Ihnen bekanntgeben, die im Augenblick festgestellt sind. Von 3,1 Millionen befragten Hausbesitzern haben 2,95 Millionen ihre Berufszugehörigkeit angegeben. Es verteilen sich hiernach bei Mehr-Familienhäusern von 100 Hausbesitzern auf selbständige Erwerbstätige 35,2 %, auf Beamte und Angestellte 10 %, auf Arbeiter 13,3 %, auf Pensionäre und Rentner 25,8 %, auf sonstige Berufslose 15,7 %.
Etwas anders ist die Schichtung bei Einfamilienhäusern. Hier entfallen auf selbständige Erwerbstätige 33,7 %, auf Beamte und Angestellte 10,1 %, auf Arbeiter 24,3 %, auf Pensionäre und Rentner 23,2 % und auf sonstige Berufslose 8,7 %.
Diese Wohnraumversorgung dient also durchweg den mittelständischen Schichten, die im Hausbesitz Ersparnisse zur Sicherung der eigenen Wohnung und Betriebsstätte angelegt haben und sich mit dieser Kapitalanlage in weitem Umfange eine Altersrente für den Lebensabend bzw. eine zusätzliche Versorgung zur Sozialversicherung sichern wollten.
Wenn derartige Verordnungen herauskommen — ich brauche auf die Dinge nicht näher einzugehen —, dann ist es nichts Neues, daß sich immer Stimmen dagegen erheben. Ich habe mich derselben Mühe unterzogen wie der Herr Präsident, der vor wenigen Tagen hier erklärte, es lohne sich, in alten Protokollen zu forschen. Ich habe das also auch getan. Am kommenden Samstag haben wir einen denkwürdigen Tag; denn am 16. Februar des Jahres 1927 wurde die gleiche Verordnung, die von der Bundesregierung im November vorigen Jahres erlassen worden ist, durch die damalige Regierung erlassen. Der damalige preußische Wohlfahrtsminister Hirtsiefer war es, der in einer Rundfunkrede erklärte, eine solche Regelung sei dringend notwendig; ein Dutzend Jahre hätten es verhindert, daß eine den tatsächlichen Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechende Bewegung, ein natürlicher Ausgleich auf dem Markt der Geschäftsräume, stattfinden konnte.
Interessant ist der Erlaß der thüringischen Regierung vom 5. April 1927. Man hat dort wörtlich gesagt:
Daß ein Abbau der öffentlichen Bewirtschaftung des Wohn- und Gewerberaumes kommen muß, darüber bestehen irgendwelche Zweifel nicht mehr. Die Mietervereine werden allerdings von vornherein jeden Zeitpunkt als zu früh erklären, an dem nicht mindestens das Vorkriegsüberangebot an Wohn- und Geschäftsräumen normale und gesunde Verhältnisse auf dem Bau- ,und Wohnungsmarkt dauernd verhindern.
Wie sich die Verordnungen ausgewirkt haben, hat die mittelthüringische Industrie- und Handelskammer in Weimar am 7. Oktober 1927 bekanntgegeben. Es heißt dort:
Die Herausnahme der gewerblichen Räume aus der Wohnungszwangswirtschaft hat in Thüringen — abgesehen von einigen Ausnahmefällen — im allgemeinen segensreich gewirkt.
Man ist jetzt auch in der Bundesrepublik nicht untätig gewesen. Die Haus- und Grundbesitzervereine haben in Verbindung mit den Industrie- und Handelskammern sogenannte Gütestellen geschaffen, um die Schwierigkeiten, die an irgendeiner Stelle auftauchen werden, von vornherein zu beheben. Wenn es schon eine altbekannte Tatsache ist, daß man, wenn sich in einer Familie ein räudiges Schaf befindet, die ganze Familie damit belastet, dann dürfen wir nicht in denselben Fehler verfallen und, falls sich hie und da irgendwelche Auswüchse abzeichnen, das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
— Ja, das räudige 'Schaf muß entlastet werden. Das wird durch die neue Verordnung bzw. durch das Gesetz geschehen, das die Regierung herausbringt und dem wir demnächst unsere Zustimmung geben sollen.
Ich habe mit den Herren von der Industrie- und Handelskammer, von den Einzelhandelsverbänden, von der Handwerkerschaft gesprochen, und alle haben mir einstimmig erklärt, daß sie höchstens mit Schwierigkeiten bei etwa 5 bis 8 % der anstehenden Fälle rechneten; in allen anderen Fällen, soweit es sich um die Freigabe der Gewerberaummieten handelt, werde es glatt gehen.
Im übrigen möchte ich eins klar herausstellen: Es werden sehr viele Fälle auftauchen, in denen nicht der Vermieter der Schuldige ist, sondern irgendwelche Mietsinteressenten sich unkollegial verhalten und ihre Kollegen durch Überangebote auszumieten versuchen. Wir müssen diesen Dingen entgegentreten. Aber ich glaube, wenn wir das mit Ruhe tun und wenn wir die Verordnungen, die demnächst kommen werden, abwarten, dann werden wir der Dinge Herr werden.
Namens meiner Fraktion darf ich Sie bitten, den Antrag der SPD zu Punkt 1 abzulehnen und Punkt 2 als erledigt zu betrachten, da die Regierung eine diesbezügliche Verordnung zur Behebung der Schwierigkeiten herausbringen wird.
— Natürlich, ein Gesetz!
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Huth hat soeben davon gesprochen, es lohne sich, in alten Blättern oder Verordnungen nachzusehen, alte Protokolle nachzulesen.
— Verehrte Kollegin Weber, manchmal lohnt es sich sogar, in neuen Protokollen nachzulesen, und gelegentlich ist es sehr lohnend, einmal ins Volk hineinzuhorchen und aus dem Alltag her abzuspüren, was richtig ist und wie die Dinge aussehen.
Ich habe mir während der Ausführungen des Herrn Ministers Professor Erhard Gedanken darüber gemacht, ob er denn nun seine Aufgabe nur darin sieht, Dinge zu lesen, die ihm im Ministerium vorgelegt werden, und ob er denn keine Zeit findet, gelegentlich auch einmal in eine Tageszeitung zu schauen. Solche Tageszeitungen sind für den Politiker vielleicht manchmal unangenehme Begleiterscheinungen; er findet darin 'Kritik. Aber ich will Ihnen — ich meine jetzt Herrn Professor Erhard — —
— nein, ich weiß, Herr Kollege Dresbach, Sie lesen nicht nur Zeitungen, sondern Sie schreiben auch für sie, und Sie schreiben sogar recht gut.
Aber ich wollte feststellen, es stände dem Herrn
Minister gut an, öfter in die Zeitungen zu schauen.
Es brauchen nicht gerade der SPD nahestehende
Zeitungen zu sein; so viel verlange ich von den
Ministern dieser Bundesregierung nicht. Aber ich
möchte meinen, es wäre ganz gut, wenn sie wenigstens Zeitungen lesen würden, die der CDU nahestehen, darunter z. B. das Organ, das doch nicht
zuletzt mit einer Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers zu rechnen hat und das dessen Politik
unterstützt. Ich meine die „Kölnische Rundschau",
und zwar die Ausgabe vom Montag, dem 28. Januar. Herr Kollege Albers; 'Sie sind aus Köln und
gaben dem Herrn 'Kollegen Huth einen Rat, den
Sie ihm nicht gegeben hätten, wenn Sie als Kölner
die „Kölnische Rundschau" gelesen hätten. Der
Leitartikel, den ich mite Genehmigung des Herrn
Präsidenten zum Teil verlesen werde, kann besser
darlegen als Ausführungen von mir, was denn nun
eigentlich Wirklichkeit im Alltag ist und in welcher
Weise sich die beiden von mir angegriffenen Verordnungen ausgewirkt haben und auswirken.
— Schauen Sie, Herr Kollege Lücke, da werden Dinge erwähnt, die mit dem neuen Gesetz deshalb nichts zu tun haben können, weil es dieses noch nicht gibt und weil es doch unmöglich ist, sich in der Weise über die Wirkung einer Verordnung ein Bild zu verschaffen und zu ihr Stellung zu nehmen, daß man auf ein neues Gesetz hinweist, das in der Tat nichts anderes ist als eine Korrektur der beiden Verordnungen und das seine Entstehung ja nur der. Tatsache verdankt, daß die Bundesregierung offenbar gemerkt hat, daß sie ein wenig forsch vorgegangen ist.
Und bitte, um noch einmal auf die Zeitungen zurückzukommen in Verbindung mit den Zitaten, die ich 'Ihnen jetzt bringen werde: I c h habe, verehrter Herr Bundesjustizminister, den Terminus „Nacht- und Nebel-Erlaß" nicht erfunden und von mir aus angewandt, sondern ich habe die „Kölnische Rundschau" zitiert, die in bezug auf diese beiden Verordnungen den Terminus „Nacht- und Nebel-Erlaß" gebraucht.
Die „Kölnische Rundschau", eine Zeitung, die ich gelegentlich lese und an der ich sehr viel Freude habe
— ja, meine sehr verehrten Damen und Herren,
das gebe ich ehrlich zu —, hat zu diesen Verordnungen Stellung genommen und eine ganze Reihe
von Beispielen angeführt, die recht interessant sind
und die zeigen, von welch katastrophaler Bedeutung die von uns angegriffenen Verordnungen der
Bundesregierung sind, so daß man nur sagen kann: Es ist merkwürdig, daß sich sogar Kollegen finden, die stolz auf diese Verordnungen zu sein scheinen. Da wird ein Brief vom 13. Dezember, an die Mieterin eines Geschäftsraums gerichtet, zitiert, in dem es heißt:
Hiermit kündigen wir den Mietvertrag des Ihnen überlassenen Geschäftsraumes zum 1. April 1952. Zugleich teilen wir Ihnen mit, daß der zu bezahlende Mietzins ab 1. Januar 1952 monatlich 450 DM beträgt.
Nun müssen Sie die Relation kennen. Bis dahin wurden nämlich 48 DM gezahlt.
Und es gibt einen Brief, in dem eine vorher noch durch Landgerichtsurteil ab 1. Januar 1952 auf 36,95 DM festgesetzte Miete nunmehr auf 150 DM festgesetzt wird. Wo bleiben da Ihre 5 bis 8 % Differenz, Herr Kollege Huth?
Die „Kölnische Rundschau" zitiert noch eine ganze Reihe anderer Beispiele. Ich habe eingehendes Material, eine ganze Mappe, Hunderte von Briefen und Eingaben nicht nur von Mietervereinen; aber ich möchte die Berufung darauf nicht dadurch diskreditieren lassen, daß Sie mir vielleicht unterstellen, das hätte sich ein SPD-Abgeordneter besorgt. Ich berufe mich auf die „Kölnische Rundschau", das reicht mir durchaus aus. Dem Inhaber eines kleinen Einzelhandelsgeschäfts in Rendsburg, der 'seinen Mietvertrag auf zehn Jahre fest abgeschlossen hatte, wurde die Miete für 67 qm Laden und 60 qm Wohnung brieflich von 180 auf 350 DM erhöht.
Die Miete eines 37 qm großen Zigarrengeschäftchens in Wiesbaden stieg von 150 auf 300 DM.
Einem praktischen Arzt in Köln, der durch das Wohnungsamt in seine Räume eingewiesen worden ist, wurde schlicht und formlos zum 1. April 1952 gekündigt. Ein Landwirt in Nordrhein-Westfalen hat einer seit langem dort ansässigen holländischen Blumenfirma das von ihm verpachtete Gelände aufgesagt, obgleich die Holländer erhebliche Investitionen vorgenommen haben, und die neue Pachtsumme statt in deutschem Geld in 100 Doppelzentnern erstklassigem Weizen festgesetzt und darüber hinaus noch die Abwälzung von Soforthilfe und Lastenausgleich verlangt.
Ein deutscher Landwirt! Man kann stolz auf ihn sein, und der Herr Finanzminister wird sich besonders über diesen Herrn und sein Vertrauen in die Beständigkeit der Währung freuen.
In Düsseldorf hat ein einziger Hausbesitzer in seinen zwei Häusern sieben Ladeninhabern und fünfzehn Mietern gewerblicher Räume gekündigt. In derselben Stadt ist ein einziger Rechtsanwalt mit 75 Fällen untragbarer Mieterhöhungen befaßt, und im Raum Köln sind bis jetzt über 600 Fälle bekannt, wo der Blitz der kleinen Mietreform zerstörend eingegeschlagen hat.
So die „Kölnische Rundschau". Und da spricht der Herr Wirtschaftsminister davon, von einer grundlegenden Bedeutung auf den Preisstand könne man nicht reden! Da versucht man, diese ganzen Verordnungen zu bagatellisieren! Meine sehr verehr-. ten Damen lind Herren, machen Sie es sich nicht zu
leicht! 'Glauben 'Sie doch nicht, daß hier nur Mieterschutzvereine und Mietervereine berührt seien. Ich stelle Ihnen aus meinem Material Briefe von Innungen, von Handwerksmeistern, von kleinen Geschäftsinhabern zur Verfügung, obwohl das vermutlich nicht notwendig sein wird; denn Sie haben ja doch alle Kontakt zu Ihrem Wahlkreis, und dort wird es sicher viele, viele Leute geben, die Ihnen in den letzten Wochen vorgetragen haben, was vorgeht und in welchem Umfang sie in Anspruch genommen werden.
Schauen Sie — entschuldigen Sie, die „Kölnische
Rundschau" braucht nichts dafür zu zahlen, daß sie
noch einmal zitiert wird —, hier heißt es weiter: Um dem Verdacht zu entgehen, mit einer Handvoll 300- bis 400prozentiger Fälle propagandistische Paradepferde vorgeritten zu ' haben, bleibt nachzutragen, daß die Mietpreiserhöhung im Mittel aller bekanntgewordenen Fälle rund 100 vom Hundert beträgt.
Und dann wird darauf hingewiesen, daß alle besonderen Aufrufe der Haus- und Grundbesitzervereine an ihre Mitglieder, bei der Erhöhung von Mieten Maß zu halten, ganz offensichtlich — ich zitiere wörtlich —
auf unfruchtbaren Boden gefallen sind und daß ein großer Teil der Haus- und Grundbesitzer sich nicht von wirtschaftlich vernünftigen Erwägungen leiten läßt, sondern die vorgesehenen Lockerungen der Mietpreisbildung in krassester Form für sich auszunutzen gedenkt.
In dieser Zeitung steht dann ein Satz, der ebenfalls recht bedeutungsvoll ist, den ich voll unterstreiche und der erkennen läßt, daß man sich mindestens außerhalb der Bundesregierung Gedanken gemacht hat, dort nämlich, wo die Praxis auf den Nägeln brennt, wo die Leute gelaufen kommen und ihre Sorgen vortragen. Da heißt es, daß, „die Grenzen der Raumwirtschaft weit überstrahlend", hier Maßnahmen vollzogen seien, die „geeignet sind, das ganze Lohn- und Preisgefüge zu erschüttern".
Das zu dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister in Anlehnung an die Ausführungen, die ihm seine Referenten zur Verfügung gestellt haben, in dieser Beziehung gesagt hat.
Ich glaube, man soll die Dinge so ernst sehen, wie
sie sind. Ich möchte noch ein Wort zitieren. Hier
heißt es, es müsse gefragt werden, wogegen die
Kritik zu richten sei, und die Antwort lautet: Nicht gegen die Haus- und Grundbesitzer schlechthin — wie sich vermuten ließe —, sondern gegen den Gesetzgeber. Die Haus- und Grundbesitzer haben sich an den klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gehalten, eine freie Mietpreisbildung durch die „kleine Mietreform" zu ermöglichen, mit anderen Worten, soviel zu nehmen, wie sie bekommen können. Das ist
— so schreibt die „Kölnische Rundschau" — weder strafbar noch unmoralisch, weil es den natürlichen Gesetzen einer freien Marktwirtschaft entspricht.
Dann aber wird in Zweifel gezogen, daß auf dem Gebiet der Mietpreisbildung schon ein freier Markt bestehe, und es wird ausgeführt, hier gälten die Gesetze eben nicht und hier müsse eingeschrit-
ten werden; das sei Aufgabe des Gesetzgebers, eines Gesetzgebers allerdings, der sich darüber klar sein muß, daß man mindestens unterscheiden muß und daß es eine Voraussetzung ist, zwischen Verordnung und Gesetz unterscheiden zu können. Das, was die Bundesregierung in Auflockerung und Ergänzung dieser Verordnung heute vor diesem Hause als bevorstehende Maßnahme angekündigt hat, ist ein Gesetz. Es ist aber nicht damit getan, dieses Gesetz, dessen Inhalt wir noch nicht kennen, abzuwarten, sondern es muß, wie ich soeben schon sagte, die weitgehende Rechtsunsicherheit im Lande behoben werden. Es ist kein Trost, zu wissen, daß sich die Leute in den verschiedensten Kreisen zusammentun, daß Handwerkskammern und auch Industrie- und Handelskammern ihre Schiedsstellen einsetzen. Niemand draußen weiß mehr aus noch ein, und ich muß dem Herrn Bundesjustizminister sagen: Es ist sein gutes Recht, es ist auch nicht verwunderlich, daß er die Politik seines Ministeriums verteidigt, und er mag den Standpunkt einnehmen, daß alle Rechtsbedenken, die gegen die Verordnungen geltend gemacht worden sind, unbegründet seien. Aber man sollte in diesen Dingen doch sehr vorsichtig sein.
Es sind Irrtümer möglich, auch bei einem Justizminister, auch bei einem Justizministerium, und es ist nicht so, wie der Herr Kollege Huth behauptet, daß diejenigen, die gegen die Rechtswirksamkeit der Verordnung im Bundesrat opponierten, nur die Politiker gewesen seien. Der Rechts- und Verfassungsausschuß des Bundesrats dürfte aus Juristen bestehen, und diese haben — ich stelle jedem die Protokolle darüber zur Verfügung — mit einer außerordentlichen Gründlichkeit die Fragen untersucht, zu denen Stellung zu nehmen war. Nachdem das Plenum des Bundesrats gegen die Stimmen lediglich der Länder Baden und Rheinland-Pfalz die Vorlage des Rechts- und Verfassungsausschusses angenommen hat, sich also auf den Standpunkt gestellt hat, daß die Verordnungen der Rechtswirksamkeit entbehren, glaube ich nicht, daß der Herr Bundesjustizminister erklären will, sämtliche Herren des Bundesrats und insbesondere seine Fachkollegen, die Mitglieder des Rechts- und Verfassungsausschusses, seien aus politischer Frivolität zu ihrer Auffassung gekommen. Hier stehen sich die Auffassungen gegenüber, und es ist die Aufgabe der Gerichte, Herr Justizminister, zu untersuchen, wer recht hat. Hier ist dem unabhängigen Richter, hier ist dem Amtsrichter an jedem Orte die Aufgabe zugewiesen, zu untersuchen, ob diese beiden Verordnungen Rechtens sind und ob sie angewandt werden können. Das geschieht nun heute im Lande. Aber damit ist die Rechtsunsicherheit nicht behoben, und um die allein geht es uns zunächst mit unserm Antrag.
Herr Kollege Huth hat, ich weiß nicht, gegen wen, opponiert. Unsere Ausführungen hat er nicht berührt, indem er das Klagelied des Haus- und Grundbesitzes gesungen hat. Wir haben über den Haus- und Grundbesitz in diesem Zusammenhang kein Wort gesagt, weder am 12. Dezember noch heute. Wir haben schon am 12. Dezember dargetan, daß sämtliche Fragen der Mietanhebung, und was mit ihnen zusammenhängt, einer sehr ernsthaften Untersuchung bedürften, und wir haben uns angeboten, an dieser sachlichen Untersuchung teilzunehmen. Ganz bewußt haben wir zu den materiellen Fragen kein Wort gesagt; deshalb braucht man nach dieser Richtung hin gegen uns nicht zu opponieren. Was wir anstreben, ist ja gerade die sachliche Diskussion, ist die Untersuchung, was auf diesem umstrittenen Gebiet wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch ausgeglichen werden kann. Da haben wir keine Haltung, die von vornherein j a oder nein zu diesem oder jenem sagt. Aber um das zu ermöglichen, muß man Gelegenheit zur Beratung haben. Diese wollen wir mit unserem Antrag eröffnen, und wir bitten Sie, Ihre Stellungnahme doch noch einmal zu überprüfen und es sich nicht so leicht zu machen. Dabei werden Sie doch nichts anderes tun, als mitzuwirken und dem Zustand der Unsicherheit, der Bedrängnis und der Not, die besteht, ein wenig abzuhelfen. Denn man vergesse eines nicht: Mietverhältnisse sind nicht nur Rechtsverhältnisse. Mancher Ostvertriebene, mancher Gewerbetreibende, der nunmehr in Not kommt, weil die Miete erhöht wird, kann nicht dadurch ausweichen, daß er sich eine andere Bleibe sucht. Er ist an das Stück Raum, das er jetzt hat, gefesselt und gekettet, und er kann sehr leicht in Schwierigkeiten geraten.
Daß im übrigen Erhöhungen von Geschäftsraummieten alsbald auf den letzten Käufer abgewälzt werden würden, ist ebenfalls eine Binsenwahrheit. Wir sind bereit, über alle diese Dinge mit Ihnen sachlich zu diskutieren. Das kann aber nur im Ausschuß geschehen. Deshalb bitten wir Sie, unsere Anträge nicht abzulehnen, sondern ihnen zuzustimmen. Desto schneller kommen wir zu einer Lösung, desto rascher treten Sicherheit und Ruhe im Lande ein. Sonst wird das geschehen, was — um zum letztenmal die „Kölnische Rundschau" zu zitieren — in der Nummer vom 28. Januar zum Ausdruck gebracht wird: Moral und Recht werden in einen unlösbaren Konflikt gebracht. Helfen Sie mit, daß dies nicht geschieht!
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der beiden Verordnungen, die durch den Antrag der SPD angeschnitten ist, hat unsere Fraktion vor eine sehr ernste Entscheidung gestellt. Ich möchte vorausschicken, es unterliegt keinem Zweifel, daß das Mietrecht bisher von dem angestrebten Fernziel einer freien Marktwirtschaft weit entfernt ist, daß die Preisbindung der Miete an alte Gesetze dazu geführt hat, daß der Grundeigentümer mehr und mehr zum Steuereinnehmer wurde und daß die Mieter zum Teil von dem Kapital ihres Vermieters zehrten. Daher ist von vielen Seiten, auch hier im Hause, eine Auflockerung der Zwangswirtschaft seit Jahr und Tag gewünscht oder gar gefordert worden. Das alles ist durchaus unstreitig.
Daß man aber dann das Entsprechende durch eine Verordnung durchgeführt hat, zu der man sich ermächtigt geglaubt hat — ich weiß es nicht, vielleicht auch ermächtigt war —, ich sage es offen, hat auch meine Fraktion überrascht. Denn immerhin handelt es sich bei der Aufhebung des Mieterschutzgesetzes für die Raumbewirtschaftung doch um einen sehr tiefen Eingriff in unser gesamtes Rechtssystem. Schließlich sind es nicht nur einige Ladenbesitzer, es ist der gesamte Stand der freien Berufe, der auf solche Raumbewirtschaftung angewiesen ist. Daß es den Ärzten und den Anwälten in verschiedenen Bezirken sehr schlecht geht und
sie, wenn sie vor solchen Mietforderungen stehen, die Herr Kollege Jacobi hier vorgelesen hat, ihre Bude dicht machen können, darüber sollte man sich in allen Ministerien klar sein. Es handelt sich also hier um den Mittelstand des Grundbesitzes, dem geholfen werden soll, und die weitesten Schichten des gesamten Mittelstandes, die auf der anderen Seite dem Grundbesitzer durch höhere Mieten helfen sollen. Daß das nun durch die Verordnung so geschehen ist, daß das heute schwarz, morgen weiß gemacht wird, indem man von einer völlig gebundenen — rechtlich und preiswirtschaftlich gebundenen — Wirtschaft plötzlich zur freiesten aller Manchesterwirtschaften übergeht, nämlich ohne jede Preisbindung und mit völliger Kündigungsfreiheit, wie seit 1918 nicht mehr, das hat uns überrascht.
Aber ich muß ehrlich gestehen, die Überraschung geht weiter, wenn -wir erfahren, daß das der „Gesamtkonzeption" des Ministeriums gar nicht entspricht. Man wollte ja gar nicht so weit gehen; man meinte nur, man könnte nach der Auslegung des Grundgesetzes nur so weit gehen. Man wollte dagegen durch andere gesetzliche Methoden einen sanften Übergang herbeiführen, aber dazu brauchte man uns als Gesetzgeber. Da muß ich schon bitten, daß man uns über den „Gesamtkomplex" bemüht. Was jetzt — wir schreiben den 14. Februar 1952 — erreicht wird, ist, daß wir mit dem uns noch gar nicht vorliegenden neuen Gesetz — das den in der Tat höchst bemerkenswerten Titel führt „Gesetz zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung . . ."; „Gesetz zur Aufhebung" wäre es richtig zu betiteln — in einen ungeheuren Zeitdruck kommen, wenn wir es bis zum 1. April verabschieden sollen. Daß ein Gesetz, das dem Bundestag am 14. Februar noch nicht vorliegt, nicht bis zum 1. April verabschiedet werden kann, wenn schon zwischen Bundesrat und Bundesregierung in den wichtigsten Fragen verschiedene Meinungen obwalten und wenn dabei politische Grundsatzfragen erster Ordnung eine Rolle spielen, sollte meines Erachtens allen Ministerien klar sein.
Wir haben uns deshalb darüber zu beschweren, daß man diese Rechtsänderung auf einem wesentlichen, für weiteste Volkskreise selbständiger Existenzen entscheidenden Rechtsgebiet durch eine Verordnung — nicht „bei Nacht und Nebel", aber, ich sage es offen — wie Ziethen aus dem Busch herbeiführt. Das ist zu beanstanden. Wie kommen wir heraus? Die Frage der Grundgesetzgemäßheit können wir hier nicht entscheiden. Wir sind hier kein Gericht. Wir können sie auch nicht prüfen; beide Seiten, der Herr Justizminister sowohl wie Herr Jacobi haben vorgetragen, sie könnten diese Frage nur anschneiden. Weil es eine Frage. ist, die uns immerhin interessieren sollte, beantrage ich namens meiner Fraktion, den Antrag dem Rechts- und Verfassungsausschuß zu überweisen, wobei ich zugebe, daß dieser Ausschuß überlastet ist. Aber ohne die Überweisung geht es gar nicht.
Zum Schluß noch eines. Herr Justizminister, Sie haben ein Wort rein materiellen Rechts gesagt, das mich geradezu erschreckt hat. Nach Ihrer Meinung sind die heute ausgesprochenen Kündigungen bei den alten Raummietverhältnissen schon zum 1. April wirksam. Das halte ich für grundfalsch, und ich bitte, es doch zu prüfen, damit nicht etwa von hier aus für die gesamten Gerichte autoritär eine Meinung vertreten wird, die meines Erachtens bestimmt nicht zutrifft. Der § 2 Abs. 1 sagt, daß alle raumbewirtschafteten Grundstücke aus den Vorschriften des ersten Abschnitts des Mieterschutzgesetzes herausgenommen werden. In diesen Vorschriften steht, daß der Vermieter keinerlei Mietverträge kündigen kann. Man kann nur Mietaufhebungsklagen erheben, die nach dem Gesetz begründet sind. Man kann jedoch nicht kündigen. Wenn aber in Abs. 2 vom § 2 steht, daß Abs. 1 für die alten Mietverhältnisse erst mit Wirkung vom 1. April an gilt, dann folgt doch daraus zwangsläufig, daß man nicht schon vor dem 1. April kündigen kann; bis dahin kann man eben nur Mietaufhebungsklagen erheben. Ich bitte, das klarzustellen, daß in der Tat, wenn wirklich heute schon zum 1. April rechtswirksam gekündigt sein sollte, uns in unserer heutigen Not gar nichts anderes übrig bleibt, als die Verordnung aufzuheben. Das sage ich ganz offen. Bisher hat man angenommen, man könne das erstemal nach dem Zeitpunkt kündigen, wo das Mieterschutzgesetz für diese Räume nicht mehr gilt. Hat man heute schon rechtswirksam gekündigt, so prophezeie ich hiermit, daß wir unter der Herrschaft dieser Verordnung den Gekündigten mit dem neuen Gesetz nicht helfen werden; denn so schnell können wir auf keinen Fall hier im Bundestag arbeiten, wie uns hier — ich sage es ganz offen — ohne Not zugemutet wird. Für mich jedenfalls hängt die Frage, ob ich die Ausschußüberweisung beantragen soll oder ob ich meiner Fraktion dringend ans Herz legen muß, aus Rechtsgründen dem Antrag der SPD zuzustimmen, in erster Linie davon ab, wie diese Rechtsfrage hier autoritär geklärt wird.
Das Wort hat der Justizminister.
Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, die Rechtsfragen zu vertiefen; aber angesichts des Bedenkens, das Herr Kollege Ewers soeben erhoben hat, möchte ich darauf hinweisen, daß § 52 b des Mieterschutzgesetzes dieses Problem klärt, daß auf Grund einer Kündigung, die zwischen der Verkündung einer Verordnung, wie wir sie hier haben, und ihrem Inkrafttreten erfolgt, die Herausgabe des Mietraums frühestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung verlangt werden kann. Also zum Verwundern kein Anlaß!
Leider ist in der Diskussion das, was ich über unser vorbereitetes Gesetz gesagt habe, nicht beachtet worden, auch nicht von dem Herrn Abgeordneten Jacobi. Alles, was die „Kölnische Rundschau" in völliger Verkennung der Dinge gesagt hat, bricht sich ja an diesem Gesetz, das von Anfang an — ich kann es Ihnen nur nochmals sagen — vom Kabinett beschlossen worden war
und das jetzt schon vom Bundesrat verabschiedet worden ist.
Den Wünschen des Bundesrates hat das Bundeskabinett in seiner Sitzung am Dienstag Rechnung getragen. Nun habe ich in der Weiterleitung der Vorschläge des Bundesrats mit unserem Entwurf vorgesehen, daß wir für alle Fälle die Bestimmungen meiner Verordnung in das Gesetz einbauen. Ich gebe Ihnen durchaus zu, Herr Kollege Jacobi, daß in der Frage, ob wirklich eine Ermächtigung des Bundeskabinetts besteht, Zweifel auftreten können, ob die Ermächtigung — —
Das ist keine einfache Frage, aber wir wollen uns darüber nicht ereifern.
— Es war und ist unsere Annahme, daß wir dazu berechtigt sind. Man muß ja eine Rechtsauffassung haben und man muß auch den Mut haben, von den Ermächtigungen, die ein Gesetz gibt, Gebrauch zu machen.
— Aber bitte, wir halten doch die wirtschaftliche Entscheidung, die wir getroffen haben, für richtig; und wenn wir rechtlich gedeckt sind, dann wären wir eine, na, nicht verantwortungsbewußte Regierung, wenn wir von der Ermächtigung, die uns das Gesetz gibt, keinen Gebrauch machen würden.
Noch einmal: das Gesetz, das wir Ihnen vorlegen, gibt die Möglichkeit für den Mieter, den Widerruf der Kündigung zu verlangen, wenn mit dieser Kündigung eine erhebliche wirtschaftliche Benachteiligung verbunden ist. Wir geben dem Gericht die Möglichkeit, unter der Voraussetzung, daß sich der Mieter zu einer angemessenen Erhöhung der Miete für den Geschäftsraum einverstanden erklärt, die Kündigung für unwirksam zu erklären. Als angemessene Miete erachten wir die ortsübliche Miete. Alle die Fälle, die die „Kölnische Rundschau" anführt, können sich in der Praxis also gar nicht ereignen.
Nun geben wir ein weiteres Ventil, indem wir sagen: wenn nach der Ortsübung Zweifel über die Angemessenheit bestehen, kann durch eine Übergangsbestimmung die Kostenmiete als die ange- messen Miete bezeichnet werden.
Darf ich mir einen Vorschlag erlauben: Ich habe Ihnen gesagt, das Ergänzungsgesetz sei bereits auf dem Wege zu Ihnen. In dem Begleitschreiben zu diesem Gesetz wird, um alle rechtlichen und formal-rechtlichen Bedenken aus der Welt zu schaffen, vorsorglich vorgeschlagen, die Verordnung in das Gesetz hineinzuarbeiten. Dadurch werden also sowohl der Rechtsausschuß als auch der Wohnungsausschuß Gelegenheit haben, auch diese Fragen materiell und materiell-rechtlich zu überdenken. Ich glaube, daß es sich aus diesem Grunde erübrigt, die Dinge jetzt zu vertiefen, und daß die Anregung des Herrn Abgeordneten Jacobi, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen, wohl zweckmäßig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul.
Wir haben uns bereits in einer früheren Sitzung mit den zwei Verordnungen beschäftigt. Bekanntlich hat die Mehrheit des Bundesrats diese Verordnungen für rechtsunwirksam erklärt. Die heutigen Ausführungen des Bundesjustizministers beweisen mir, daß die Bundesregierung nicht gut beraten war, als sie so vorging. Aus seinen letzten Worten sprach die ganze Schwäche und Unsicherheit ihrer Position.
Es ist sehr verwunderlich, von Herrn Ewers zu hören, seine Fraktion oder er hätte nicht gewußt, daß mit ,der Billigung der Verordnungen die Möglichkeit geschaffen worden sei, zum 1. April umfangreiche Kündigungen auszusprechen. Der Herr Abgeordnete Jacobi hat an einer Reihe von Tatsachen gezeigt, wie sich die Verordnungen auswirken. Ich will einige Fälle hinzufügen. Der Herr Abgeordnete Huth hat hier gesagt, er habe sich mit Industrie-und Handelskammern besprochen, und diese hätten ihm mitgeteilt, daß die Auswirkungen dieser Verordnungen sehr geringfügig seien. Aber hören Sie mal jetzt, Herr Abgeordneter Huth, was die Handelskammer von Gelsenkirchen sagt. Sie erklärt, daß im Mittel Mieterhöhungen von mindestens 50 v. H., in den gröbsten Fällen 100 bis 200 % herauskommen.
In dem Bezirk dieser Handelskammer sind Hunderte von Kündigungen ausgesprochen worden. Allein in Köln wurden bisher 600 Geschäftslokale oder gewerbliche Räume zum 31. März gekündigt.
Wie unsozial sich diese Verordnungen auswirken, kann sich nur der vorstellen, der die Lage der kleinen Geschäftsleute und Handwerker, wie etwa der Schuhmacher und Friseure, kennt. Nehmen wir folgendes Beispiel heraus: In Wiesbaden wurde einem 72jährigen Schuhmachermeister, der einen kleinen Laden mit Werkstätte innehat, die Miete von 42 DM auf 120 DM erhöht.
Es wurde ihm mitgeteilt: „Wenn Sie bis zum 31. Januar keine verbindliche Abmachung bestätigen, so ist am 31. März das Mietverhältnis erloschen. Wir werden mit Ihnen keine weiteren Verhandlungen im Hinblick auf den Mietpreis führen, zumal wir einen neuen Mietreflektanten haben."
Das sind nur Einzelfälle aus der großen Zahl von Kündigungen, die zum 31. März ausgesprochen sind.
Der Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, daß sich diese Verordnungen in München, in Bayern, nicht so auswirken. Das steht im Widerspruch mit der Rundfrage, die die „Neue Zeitung" in München veranstaltet hat.
Da wurde festgestellt, daß in Bayern dieselben katastrophalen Fälle vorgekommen sind wie in allen anderen Gegenden Westdeutschlands. So hat z. B. die Fleischerinnung in Wiesbaden, deren Mitgliederzahl zweihundert beträgt, allein zwölf Kündigungen von Fleischerläden und Arbeitsräumen zu verzeichnen.
Weiterhin hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, es könne nicht davon gesprochen werden, daß durch diese Verordnungen und Mieterhöhungen wesentliche Preiserhöhungen eintreten. Er hat versucht, das zu beweisen, indem er sagte, kein Käufer frage danach, ob er im Laden eines Neubaus oder Altbaus kaufe. Mit solchen Redensarten kommt man nicht über die Tatsache hinweg, daß ungeheure Mietpreiserhöhungen eintreten und die kleinen Geschäftsleute unter dem Druck der wirtschaftlichen Konzeption des Herrn Dr. Erhard und der Adenauer-Regierung zwangsläufig versuchen, einen Teil dieser Lasten auf die Verbraucher abzuwälzen.
Man sagt, man müsse den Hausbesitzern helfen. Damit sind wir einverstanden; aber dann muß die ganze Wirtschafts- und sonstige Politik der Bundesregierung geändert werden, denn nur infolge der ungeheuren Steuern und Preiserhöhungen ist eine solche Lage dieser Kreise herbeigeführt worden.
Wir sind der Meinung, daß man diese Verordnungen aufheben muß. Herr Kollege Jacobi, wir haben bereits in einer früheren Sitzung — am 12. Dezember 1951 — den Antrag gestellt, der Bun-
destag solle beschließen, die Verordnungen außer Kraft zu setzen. Ich wundere mich, daß Sie heute den gleichen Antrag einbringen. Das soll aber keineswegs heißen, daß wir Kommunisten Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir werden ihm zustimmen; aber es ist eine Tatsache, daß sich Ihre Fraktion in der damaligen Sitzung bei der Abstimmung über unseren gleichartigen Antrag der Stimme enthalten,
die Mehrheit dieses Hauses ihn sogar abgelehnt hat.
Vor allem Sie, die Abgeordneten aus den bürgerlichen Parteien, die Sie für sich in Anspruch nehmen, daß sie sich für den Mittelstand so stark einsetzen, haben jetzt eine Gelegenheit dazu. Heben Sie diese rechtsunwirksamen und rechtswidrigen Verordnungen der Bundesregierung auf! Schützen Sie den kleinen Hausbesitzer und verhindern Sie, daß die Gesamtkonzeption des Herrn Erhard zum Tragen kommt, die darin besteht: Freie Bahn dem Mietwucher und damit dem rücksichtslosen Vorgehen gegen alle Mieter!
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Meine Damen und Herren! Wenn es die Regierung darauf angelegt hätte, auf dem Gebiet des Wohnungswesens möglichst Verwirrung zu schaffen und Prozesse am laufenden Band zu züchten, dann hätte sie es nicht anders machen können, als sie es hier tatsächlich getan hat! — Diese Verordnung der Regierung, die nach meinem und nach dem Dafürhalten vieler anderer Juristen rechtsunwirksam ist, ist nichts anderes geworden als eine, na, sagen wir mal, „Arbeitsbeschaffung" für Rechtsanwälte, Gerichte und Schlichtungsausschüsse in allergrößtem Umfang.
Wirtschaftlich gesehen, ist sie katastrophal. Sie bringt weder den Hausbesitzern in ihrer Gesamtheit noch den Mietern etwas, was ihnen von Vorteil sein könnte. Vorteile aus dieser Verordnung zieht eine relativ sehr kleine Gruppe von Hausbesitzern in ganz bestimmten Geschäftslagen. Der Großteil der Hausbesitzer bekommt durch diese Verordnung nichts oder so gut wie gar nichts.
Wie sich diese Verordnung zu Ungunsten der Mieter auswirkt, das haben bereits Vorredner gesagt; ich brauche deshalb nicht länger darauf zurückzukommen. Es ist sehr falsch, wenn die Regierungsvertreter heute die Sache zu bagatellisieren versuchen. Vielleicht wird die Zahl der Kündigungen noch viel höher ansteigen, als man das heute schon bemerken kann, wenn die Rechtsunsicherheit, die heute im ganzen Land herrscht und die viele Hausbesitzer auch veranlaßt, doch noch keine Kündigungen auszusprechen, sich ändert. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen: ich kenne die Verhältnisse z. B. in München sehr genau; dort sind in einigen Geschäftsstraßen heute bereits Kündigungen in einem Umfange erfolgt, daß ich es nicht verstehen kann, wie man hier herkommen und sagen kann, es sei nur in ganz geringem Umfang von Kündigungen Gebrauch gemacht worden.
Darf ich Ihnen vielleicht als Jurist zu der Verordnung noch eines sagen: Es ist sehr merkwürdig, daß hier den Mietern auferlegt wird, den Prozeß in Gang zu bringen, sich einen Rechtsanwalt zu nehmen, Kosten usw. auf sich zu nehmen, wenn der Hausbesitzer eine Mieterhöhung will. Es ist ein juristisch völlig unhaltbarer Weg, Herr Justizminister, daß Sie hier dem Mieter zumuten, zu klagen, nicht etwa dem Hausbesitzer, wenn dieser eine Erhöhung für notwendig findet. Der Hausbesitzer schreibt lediglich einen Brief mit einem Formblatt, und dann hat der Mieter die ganze Last des Prozesses und der Unkosten auf sich liegen.
Meine Damen und Herren, es gibt nur ein en Weg, dem Hausbesitzer zu helfen, ohne die Wirtschaft kaputt zu machen: die ungeheure Steuerlast, die auf dem Hausbesitz ruht, muß herabgesetzt werden. Dann ist es dem Hausbesitzer möglich, mehr Reparaturen in den Häusern machen zu lassen und damit dem Handwerk mehr Arbeit zu geben, als er sich das heute leisten kann. Der Weg aber, den die Regierung gewählt hat, ist der Weg, Prozesse am laufenden Band zu züchten. Es ist der Weg, eine Rechtsunsicherheit zu schaffen, die für einen Juristen und auch für einen Volkswirtschaftler einfach untragbar ist. Es ist der Weg der konfusen Wirtschaftspolitik, den diese Regierung geht, seit sie im Amt ist, und der nicht etwa erst von gestern herrührt: eine völlig falsche Wirtschaftskonzeption in toto. Das hier ist nur ein Teilausschnitt dieser falschen Planung, die die Regierung Adenauer macht, seit sie am Ruder ist, und die zum Ruin der Volkswirtschaft im ganzen führen muß.
Lassen Sie mich nur einen Schlußsatz noch sagen: Herabsetzung der Steuern, die auf dem Hausbesitzer ruhen — das ist der einzige richtige und gangbare Weg, um Hausbesitzer u n d Mieter volkswirtschaftlich nicht zu schädigen und zu ruinieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige Schlußbemerkungen. Der Herr Justizminister hat gesagt, eine Regierung — ich glaube, er meinte die Regierung — müsse Mut zu irgendwelchen Entscheidungen haben: Ich muß sagen, eine solche Bemerkung kann unter Umständen recht gefährlich gedeutet werden. Was den Mut anlangt, so meine ich, höher als der Mut steht das Verantwortungsbewußtsein; denn das kennt keine Blindheit, in die Mut und Übermut führen können. Im übrigen ist ein Mut zu einer Regelung, die in Rechtsunsicherheit führt, ein Prinzip, das mir für einen Justizminister immerhin bedenklich erscheint, und ich glaube, auch Herr Dr. Dehler hat, vor die sachliche Entscheidung gestellt, nicht den Mut hierzu.
Als die Bundesregierung diese beiden Verordnungen erließ, hat sie sich von dem Ausmaß dieser Verordnungen keine rechte Vorstellung gemacht. Nichts anderes als die Bestätigung dieser Tatsache — sonst müßten wir der Bundesregierung ja noch viel härtere Vorwürfe machen — ist der Umstand, daß sie nun hingeht und in Gesetzesform regulieren und korrigieren will, was die Verordnungen angerichtet haben. Herr Justizminister, bei allem Wohlwollen und bei aller Sachlichkeit, die ich mir immer zu eigen mache, manchmal fällt es doch schwer, Sie anzuhören, ohne laut zu protestieren. Sie haben nun sogar die „Kölnische Rundschau" angegriffen. Das ist Ihr gutes Recht.
Aber Sie haben es in einem Falle getan, in dem ich mich vor die Redaktion stellen muß. Sie haben angezweifelt, daß die „Kölnische Rundschau" die Dinge richtig berichtet hat. Was ich aus diesem Leitartikel verlesen habe, ist eine Aufzählung von Tatsachen. Darin spiegelt sich die praktische Anwendung Ihrer Verordnungen wieder. Das sind Dinge, die täglich passieren. Die beiden Verordnungen haben Unheil angerichtet; sie richten weiter Unheil an. Sie müssen ausdrücklich aufgehoben werden, damit die Sicherheit und das Vertrauen im Lande wiederhergestellt werden. Deshalb hat der Antrag des Kollegen Ewers — ich selber habe keinen Antrag auf Ausschußüberweisung gestellt — nichts für sich. Es hat keinen Sinn, im Ausschuß die Rechtsfrage noch einmal hin und her zu diskutieren. Dafür sind andere Gremien da. Wir müssen im Lande Gewißheit schaffen, wir müssen Sicherheit schaffen. Wir müssen auch dem Richter, der zur Zeit dabei ist, in vielen Fällen zu entscheiden, irgendeine Hilfe geben. Das ist nur zu erreichen, wenn wir auf Grund der Erfahrungen der letzten Wochen den Mut aufbringen, heute hier eine abschließende Entscheidung zu treffen. Ich habe die Hoffnung, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungsparteien, daß Sie Ihre Haltung noch einmal überprüfen. Es passiert ja nichts zum Nachteil von irgend jemandem, sondern dann wird lediglich die Voraussetzung für eine gesetzgeberische Handhabung geschaffen, die in gerechter Abwägung der Interessen der Beteiligten eine Regelung erreicht, die vertretbar ist.
Vizepräisident Dr. Schmid: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das Wort hat der Abgeordnete Lücke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache hat die Notwendigkeit ergeben, daß wir den Antrag im Gegensatz zu dem Vorschlag, den meine Fraktion vorhin gemacht hat, den Ausschüssen überweisen. Wir beantragen deshalb die Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich habe zunächst über den Überweisungsantrag abstimmen zu lassen. Wer dafür ist, den Antrag Drucksache Nr. 3044 an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als beteiligten Ausschuß zu überweisen, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es bestehen Zweifel; wir müssen die Mehrheit im Wege des Hammelsprungs feststellen.
Ich bitte, den Saal zu räumen.
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Die Abstimmung ist beendet. Das Ergebnis der Abstimmung ist: Mit Ja haben gestimmt 164, mit Nein 130 Mitglieder des Hauses. Niemand hat sich der Stimme enthalten. Damit ist dem Antrag auf Überweisung an die beiden Ausschüsse stattgegeben worden.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen _ des Gesundheitswesens (32. Ausschuß) (Nr. 3043 der Drucksachen).
.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Hammer als Berichterstatter.
Meine Damen und Herren! Kurz etwas zur Geschichte dieses Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde. In der Drucksache Nr. 1091 finden Sie einen Antrag der FDP, der die Regierung ersucht hat, einen derartigen Gesetzentwurf vorzulegen. In der Drucksache Nr. 1274 finden Sie den Beschluß des Aus schusses, der diesen Antrag übernommen und Ihnen empfohlen hat. In der Drucksache Nr. 2573, die Ihren Akten beigeheftet ist, finden Sie den Regierungsentwurf und die Beschlüsse des Ausschusses.
Die Befugnis dieses Hohen Hauses zur Gesetzgebung ergibt sich aus dem Art. 74 Ziffer 19 des Grundgesetzes, in dem im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung „die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe" erwähnt wird. Sie finden ferner in Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes den letzten entscheidenden Satz. Es heißt hier unter den Grundrechten:
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden.
Wenn Ihnen das Problem, das hier von dem Ausschuß für Gesundheitswesen angegangen wurde, klarwerden soll, dann erinnern Sie sich bitte kurz daran, welche Geschichte die Zahnheilkunde in den letzten 75 Jahren durchgemacht hat. Erinnern Sie sich an jene hübschen Zeichnungen aus Wilhelm Busch: den Mann mit der dicken Backe, den berühmten Schlüssel und die Zeichen des Schmerzes! Zur Zeit unserer Großeltern war das ganze Phänomen der Zahnheilkunde im Schmerz und in diesem einfachen Instrument erschöpft. Seit einem Dreivierteljahrhundert allerdings hat uns nun die medizinische Forschung in den Besitz von Kenntnissen gebracht, die jenen scheinbar so unbedeutenden Tatbestand für unser Leben und für unser ganzes Schicksal außerordentlich bedeutsam machen. Die Forschung hat uns mit der Lehre von der lokalen Infektion die Kenntnis vermittelt, daß aus einer Reihe solcher Herderkrankungen der Zähne rheumatische und Kreislauferkrankungen entstehen. Wir wissen inzwischen, daß ein großer Teil unserer Invalidität auf Kreislauf- und rheumatische Erkrankungen zurückgeht, und wir wissen, daß die finanzielle Entwicklung unserer Sozialversicherung weitgehend davon abhängt, wieweit wir mit Präventivmaßnahmen derartige Schäden für den Menschen verhindern können. Aus dem Zahn, der nur weh tat und der mit Brachialgewalt entfernt wurde, ist nun auf einmal etwas ganz anderes geworden. Die richtige Beschäftigung mit der Zahnheilkunde ist die Voraussetzung für jede erfolgreiche Gesundheitsfürsorge eines Volkes.
Die beiden Berufsgruppen, die im Augenblick in Deutschland noch in der Zahnbehandlung tätig sind, die Zahnärzte und die Dentisten, haben eine
völlig verschiedene Entwicklung genommen. Während die Zahnärzte von vornherein in enger Verbindung mit der medizinischen Forschung und der Gesamtmedizin -standen und in dieser wissenschaftlichen Entwicklung verblieben, haben die Dentisten mit einer handwerklichen Tradition angefangen, die sie bis zum heutigen Tag vorzüglich bewahrt haben. Sie sind dann gezwungen gewesen, sich mit ihren eigenen Mitteln immer mehr an das anzupassen, was die Forschung verlangt hat. Die Dentistenverbände haben mit Aufwand großer Mittel, großer Mühe und großen Fleißes vorzügliche Institute aufgebaut, in denen sie den Stand ihrer technischen Fähigkeiten dem Stand der naturwissenschaftlichen Medizin angenähert haben. Aber dieses System hat zu einer ganz sinnlosen und unrationellen Doppelgleisigkeit geführt. In dem Augenblick, in dem man weiß, daß sowohl die Heilkunde in ihrem ganzen Umfang als auch eine vorzugliche, hoch entwickelte technische Schulung und Ausbildung zur erfolgreichen Ausübung der Zahnheilkunde gehört, ist es sinnlos geworden, in Deutschland noch diese teuren Parallelinstitutionen zu unterhalten. Daß das eigentlich bereinigt werden müßte, wußten die Fachverbände schon einmal vor etwa 30 Jahren. Damals waren sie sich schon einig geworden, dem Gesetzgeber den Vorschlag zu machen, diesen Dualismus zu beseitigen. Seit einigen Jahren sind sie nun wieder vorstellig geworden, und man hat sich ihren Argumenten nicht entziehen können. So ist es zu diesem Gesetz gekommen.
Mit diesem Gesetz soll die Kurierfreiheit aufgehoben werden. Nach dem Heilpraktikergesetz des Dritten Reiches war zwar die Kurierfreiheit aufgehoben, nicht aber für die Behandlung von Zahnkrankheiten. Das wird nun in diesem Gesetz nachgeholt. Bei den Beratungen in einem Ausschuß, der sich im vorigen Jahr ein halbes Jahr lang mit der Heilpraktikerfrage und ihrer Problematik befaßt hat, ist niemals eine Einwendung erhoben worden; denn bei der Ausübung einer zahnärztlichen Tätigkeit nutzt selbst die größte Heilbegabung nichts ohne eine vorzügliche technische Ausbildung.
Man hätte den Stand der Dentisten auslaufen lassen und darauf verzichten können, den Dentisten im Augenblick die Approbation als Zahnarzt zu geben; man hätte eben nur die Ausbildung verbieten können. Aber es sprachen tatsächlich gewichtige Argumente dagegen. Ich erinnere an die Wirkung des unseligen Heilpraktikergesetzes aus dem Dritten Reich. Das basierte auf diesem Aussterbegedanken. Aber es stellte sich heraus, daß bei dem Zusammenschrumpfen der alten, sagen wir einmal, Peerbank, das Interesse der Angehörigen dieses Berufsstandes wieder wach wurde. Man hatte aus ökonomischen Gründen das Bedürfnis, die Zahl zu ergänzen — ganz unabhängig von allen anderen Problemen der Kurierfreiheit. Einer solchen Entwicklung wollte man entgehen. Deshalb hat man Ihnen die Approbation der Dentisten als Zahnärzte unter gewissen Kautelen vorgeschlagen.
In diesem Gesetz ist nicht die Rede von dem Stand der Zahntechniker. Die Zahntechnik ist ein Gewerbe. Dieses Gesetz befaßt sich nicht mit ihm. Man hat auch nicht daran gedacht, den Zahntechnikern durch dieses Gesetz etwa Existenzschwierigkeiten zu bereiten. Auf die Einzelheiten werde ich nachher zurückkommen.
Ich bitte Sie nun, sich einmal den § 1 des Gesetzes anzusehen. Dort finden Sie zwei Legaldefinitionen. Das eine ist die Definition des Begriffs „Zahnheilkunde" als „berufsmäßige, auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten". Sie merken, daß der Ausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf eine noch deutlichere Formulierung gewählt hat.
Die andere Formulierung, die Sie dort finden, ist
eine der entscheidenden dieses Gesetzes. Das ist
die Legaldefinition des Wortes „Krankheit":
Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.
Die Vertreter der Zahntechnikerverbände haben seinerzeit gefürchtet, daß dieses Einfügen der Worte „und des Fehlens von Zähnen" die Absicht ausdrücken soll, ihren seitherigen Tätigkeitsbereich zu beschneiden. Davon ist gar keine Rede. Diese Definition des Wortes „Krankheit" gibt es in Deutschland in höchstrichterlichen Entscheidungen nicht, es gibt sie nur in Entscheidungen aus der Praxis der Sozialversicherung. Hätte man die Worte „und des Fehlens von Zähnen" aus dem Begriff „Krankheit" herausgenommen, dann hätte man entsprechend dem § 193 der Reichsversicherungsordnung den Krankenkassen die Möglichkeit genommen, Entschädigungen für Zahnersatz ganz oder teilweise, je nach ihrer Satzung, zu gewähren; denn die Leistungen der Krankenkassen sind daran geknüpft, daß es sich um das Beseitigen oder Vorbeugen von Krankheiten oder Krankheitsschäden dreht. Das ist das einzige Motiv gewesen, das den Ausschuß veranlaßt hat, darauf zu bestehen, daß der Begriff „Fehlen von Zähnen" in die Definition des Wortes „Krankheit" hineinkommt.
Es wird Ihnen auffallen, daß Sie in dem ganzen Gesetz und auch in diesem entscheidenden Paragraphen keine Definition für das Wort Behandlung finden. Es ist der Versuch gemacht worden, das zu ändern. Die Zahnärzteverbände haben schon in jener Zeit, in der der Gesetzentwurf noch auf den Schreibtischen des Innenministeriums lag, versucht, einen Vorschlag zu machen, nach dem zur Behandlung auch noch die Herstellung von Zahnersatz gehörte. Das haben schon seinerzeit die Medizinalbeamten und Juristen im Innenministerium abgelehnt. Die Zahntechnikerverbände haben nachher uns im Ausschuß oder einzelnen Ausschußmitgliedern den Vorschlag gemacht, eine negative Formulierung in das Gesetz hineinzubringen etwa der Art: Die Erstellung von Zahnersatz ist keine Behandlung. Auch das ist von uns in völliger Überlegung der Folgen abgelehnt worden. Für den Begriff der Behandlung gibt es nämlich in Deutschland eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen, Entscheidungen des Reichsgerichts, des Bayerischen Landesgerichts und des Preußischen Kammergerichts, und diese Entscheidungen sind nun einmal geltendes Recht. In diesen Definitionen wird gesagt, daß Behandlung diejenige Raterteilung ist, deren Voraussetzung der Besitz des ärztlichen Wissens ist. In einem solchen Entscheid steht z. B., daß das Verpassen einer Plattfußeinlage nur dann Behandlung ist, wenn im Einzelfall dazu ärztliches Wissen Voraussetzung war. Durch diese Tatbestände der Rechtsprechung haben die Zahntechniker unserer Ansicht nach einen ausgiebigen Schutz; denn diese Definition für Behandlung erlaubt eben, jedem Einzelfall gerecht zu werden, auch wenn es sich um die Tätigkeit eines Zahntechnikers handelt,
Bei § 3 werden Sie einige weitere Abweichungen von der Regierungsvorlage finden. Es war hier das Anliegen unserer Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, die Ermessensfreiheit der Behörden bei der Erteilung oder Versagung von Bestallungen nach Möglichkeit einzuschränken; bei § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 1 und 2 haben ja FDP und CDU ein ähnliches Anliegen vertreten.
Sie finden weiter in § 6 eine Änderung der Regierungsvorlage. Hier hat sich allerdings der Ausschuß den Anregungen des Bundesrats versagen müssen, weil er grundsätzlich an einer einheitlichen bundesrechtlichen Regelung interessiert ist.
Ich darf Sie noch darauf aufmerksam machen, daß in § 19 a des Gesetzes folgendes steht:
Wer vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
die Zahnheilkunde ausgeübt hat, ohne im Besitz einer Bestallung als Arzt oder Zahnarzt
zu sein, darf sie im bisherigen Umfang weiter
ausüben.
Das bedeutet, daß durch dieses Gesetz keinerlei tatsächlich erworbene Besitzrechte in irgendeiner Form angetastet werden.
Zum Schluß darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß wegen des Problems der ärztlichen Schweigepflicht sich sehr lange und sehr gründlich mit der Frage befaßt hat, ob man unter die Strafbestimmungen des Gesetzes eine derartige Bestimmung aufnehmen soll. Der Ausschuß hat sich nachher entschlossen, nicht so zu verfahren, aber er hat sich entschlossen, zu Protokoll, also zu den Materialien des Gesetzes folgende Erklärung zu nehmen:
Der Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens des Deutschen Bundestags ist der Überzeugung, daß die Schweigepflicht des Arztes in gleicher Weise auch für den Zahnarzt gilt. Der Ausschuß ist durch den Vertreter des Bundesministers der Justiz davon unterrichtet worden, daß die Schweigepflicht aller Heilberufe im Rahmen einer Neufassung des § 300 StGB in Kürze eine grundlegende Neuregelung erfahren soll. Der Ausschuß stimmt dieser Absicht zu, da er selbst eine solche Neuregelung der Frage der Schweigepflicht im Sinne einer wesentlichen Verschärfung für notwendig hält. Mit Rücksicht auf die 'unmittelbar bevorstehende gesetzliche Neuregelung hat der Ausschuß davon abgesehen, in dem vorliegenden Gesetz die Frage der Schweigepflicht der Zahnärzte besonders zu behandeln, zumal nach überwiegender Ansicht der § 300 StGB in seiner jetzigen Fassung sich auch auf die Zahnärzte erstreckt, eine Ansicht, die vom Ausschuß in seiner Gesamtheit geteilt wird.
Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist im Ausschuß einstimmig beschlossen worden. Im Auftrage des Ausschusses bitte ich Sie um die Annahme des Gesetzes.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe § 1 auf. Zu § 1 ist ein Änderungsantrag angekündigt. Ich glaube, ich kann mich damit begnügen, ihn zu verlesen. Die ersten Worte des § 1 sollen statt „Wer im Bundesgebiet oder im Lande Berlin die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, ..." heißen: „Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, ... ". — Wer für diese Änderung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen. — Wer für die Annahme des § 1 in der neuen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
§§ 2,-3,—4,—5,—6,-7,-8 entfällt,— 9,-10,-11,-12,—13,-14,—15 entfällt, — 16, — 16 a, — 17, — 18, — 19, — 19 a, — 20, — 20 a, — 21, — 22, — 23, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Ich rufe auf zur allgemeinen Aussprache. — Keine
Wortmeldungen. Die allgemeine Aussprache ist
geschlossen. Wir treten ein in die Einzelberatung:
§§ 1 bis 23, Einleitung und Überschrift. — Wer für
die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
— Bei einer Enthaltung.
Wer für das Gesetz im ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Enthaltung einstimmig angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) (Nr. 3040 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schill als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf die Drucksache Nr. 2526, Entwurf eines Gesetzes zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung, und auf die Drucksache Nr. 3040, Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Das Gesetz behandelt die Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung, die seit dem Umsturz ins Stocken gekommen war, die aber in den Ländern der britischen Zone durch eine Verordnung vom 5. Juli 1948 und in -dem Lande Bayern durch ein Gesetz vom 28. November 1949 eine abschließende Regelung erhielt. Diese Regelung fehlt in den Ländern der amerikanischen Zone und der französischen Zone bisher vollständig.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um eine sachdienliche Anpassung der bestehenden Gesetze und eine Übertragung auf die Länder, in welchen diese Schuldenregelung noch keine gesetzliche Verankerung erhalten hatte. Um jeden Zweifel zu beheben, werden durch dieses Gesetz nur solche landwirtschaftliche Betriebe betroffen, die bereits in ein Entschuldungsverfahren einbezogen waren, das bis zum Jahre 1945 noch nicht abgewickelt war.
Bei der Behandlung der einzelnen Paragraphen, die eingehend diskutiert wurden, kam nach lebhalter Debatte jeweils eine einheitliche Meinung zustande. Schwierigkeiten ergaben sich lediglich bei der Behandlung des § 11. Mit den Mitteln, die
aus der Abwicklung zusammenkommen und die auf eine Summe von etwa 4 bis 6 Millionen DM geschätzt werden, sollte ein Zweckvermögen gebildet werden. Die Landwirtschaftliche Rentenbank sollte dieses Zweckvermögen, das Vermögen des Bundes ist und bleibt, ihrerseits zur Förderung der Besitzfestigung in der Landwirtschaft einsetzen. Mit anderen Worten: es sollte namentlich in den Realteilungsgebieten eine weitere Zersplitterung des Bodens bei Hofübergaben vermieden werden. Solche Besitzteilungen zu verhindern, ist aber nur möglich, wenn zur Zeit des Erbüberganges Mittel zur Verfügung stehen, die weichenden Erben mit Geld statt mit Grund und Boden auszustatten. In Wirklichkeit hat ja die Flurbereinigung und jede Feldzusammenlegung dann ihren Sinn und Zweck verloren, wenn nach wie vor die Möglichkeit besteht, daß in der nächsten Generation bei Erbauseinandersetzungen die eben zusammengelegten Fluren wieder zersplittert werden. Der Bundestag wird sich vielleicht in Zukunft mit dieser Aufgabe noch ganz eingehend zu beschäftigen haben; denn es kann wirklich nicht das Ziel der Feldbereinigung sein, eine solche mit großen Kosten durchzuführen und nicht zugleich die Gewähr zu haben, daß das, was geschaffen wurde, wirklich auch einen bleibenden Wert besitzt. Es wurde deswegen allgemein begrüßt, wenigstens die bescheidenen Mittel, die aus der Abwicklung dieser Entschuldungsaktion fließen, diesem Zweck zu erhalten.
Bedenken waren bei einem Teile des Ausschusses entstanden, der sich an dem Worte „der Besitzfestigung" gestoßen hat und nun glaubte, es werde hier die Möglichkeit bestehen, auch solchen Betrieben Geld zu verbilligten Zinssätzen zukommen zu lassen, die es nicht verdienten. Dieser Auffassung wurde entgegengehalten, daß die Möglichkeit bestünde, die Ausführungsbestimmungen so zu fassen, daß vorher die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers aufs genaueste zu prüfen sei. Es fand dann ein Antrag Dr. Müller, Dr. Horlacher und Genossen bei Stimmenthaltung der SPD mit Mehrheit Annahme, daß anstatt der Worte „zur Förderung der Besitzfestigung" die Form gewählt werden sollte „darf es nur zur Verhinderung einer unwirtschaftlichen Bodenzersplitterung in der Landwirtschaft verwendet werden".
Der Ausschuß für Geld und Kredit sollte zur Aufnahme des Berlin-Paragraphen Stellung nehmen. Die Stellungnahme liegt nunmehr vor. Es wird vorgeschlagen, den § 15a wie folgt zu fassen:
§ 15a
Dieses Gesetz, mit Ausnahme der §§ 10 und 11, und auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen gelten auch im Lande Berlin, sobald das Land Berlin gemäß Art. 87 Abs. 2 seiner Verfassung die Anwendung dieses Gesetzes beschlossen hat.
Die Fassung des § 15 a stellt keine Diskriminierung Berlins dar, sondern entspricht nur sachlichen Schwierigkeiten, die heute noch bestehen und hoffentlich bald beseitigt sind.
Die übrigen Paragraphen erfuhren keine Beanstandung.
Der Ausschuß schlägt dem Hohen Hause vor, das Gesetz in der vorliegenden Ausschußfassung anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, — 7, — 8, — 9, — 10, — 11, — 12, — 13 , —14, — 15, — 15 a, — 16, — Einleitung und Überschrift auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen!
— Enthaltungen? — Bei Enthaltung der kommunistischen Gruppe! Die zweite Beratung ist damit geschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe die §§ 1 bis 16, Einleitung und Überschrift auf. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. Dieser Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Meine Damen und Herren, in § 54 der Geschäftsordnung ist ausdrücklich bestimmt, daß die Schlußabstimmung durch Erheben von den Sitzen zu vollziehen ist. Das Haus hat jederzeit die Möglichkeit, die Geschäftsordnung zu ändern.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (Nr. 3072 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf die Entgegennahme einer Begründung und auf eine Aussprache in allen drei Lesungen zu verzichten.
— Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Begründung ist, glaube ich, nicht notwendig. Da sich aber in die Drucksache Nr. 3072 ein Druckfehler eingeschlichen hat, und zwar insofern, als hier von Groß-Berlin gesprochen wird, muß ich das Haus bitten, bei der Verabschiedung dieses Gesetzes den Druckfehler zu berichtigen. Es muß heißen: Berlin (West).
Im übrigen ist eine Begründung deshalb nicht notwendig, weil dieser Initiativantrag nur eine Paragraphenänderung des Umsatzsteuergesetzes berücksichtigt, das im Sommer des vergangenen Jahres vom Bundestag verabschiedet wurde und von dem das Gesetz über die Förderung der Wirtschaft Berlins keine Kenntnis nehmen konnte, weil es vorher verabschiedet worden ist. In dieses Gesetz ist nun in § 6 hinter den Worten „in § 7 Abs. 2" einzufügen: „Ziffer 2", weil sich die Steuererleichterungen für Berlin darauf beziehen. Im alten Gesetz heißt es einfach: „§ 7 Abs. 2". Dieser Absatz ist' in zwei Ziffern aufgeteilt worden, und da die Materie nur in der zweiten steckt, muß auch im Gesetz zur Förderung der Wirtschaft Berlins diese Bezugnahme auf § 7 Abs. 2 Ziffer 2 durchgeführt werden.
Das ist alles, worüber das Haus materiell zu beschließen hat, wenn es dieses Gesetz annimmt.
Der Antrag ist eingebracht und begründet. Ich rufe zur ersten Beratung auf. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die erste Beratung ist geschlossen.
Ich rufe zur
zweiten Beratung
auf: Art. I, — II und III, — Einleitung und Überschrift mit der von dem Herrn Berichterstatter erwähnten Berichtigung. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich urn ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Die zweite Beratung ist damit geschlossen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Die allgemeine Aussprache ist geschlossen. Wir treten in die Einzelberatung ein. Art. I bis III, Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen.—Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Zur Schlußabstimmung! Wer für die Annahme des Gesetzes als ganzes ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. —
Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Ich wiederhole, meine Damen und Herren, daß ich lediglich nach der Geschäftsordnung verfahre.
— Der Präsident beteiligt sich an der Abstimmung
nur, wenn die Stimmen einzeln ausgezählt werden!
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Maiborg und von Puttkamer, Bad Münder (Deister), vom 31. Dezember 1951 (Nr. 3092 der Drucksachen).
Ich erteile dem Abgeordneten Kahn als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Punkt 6 der heutigen Tagesordnung sieht vor, daß das Plenum des Hauses die Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Maiborg und von Puttkamer, Bad Münder am Deister, erteilt.
Dem Ersuchen der genannten Anwälte liegt folgender Tatbestand zugrunde. Unter dem 4. November 1950 hat der Vorgänger der genannten Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Dr. Krüger in Bad Münder, den Antrag auf Erlaß eines Wechselzahlungsbefehls wegen 3000 DM nebst Kosten gegen den Bundestagsabgeordneten Freiherrn von Aretin gestellt, weil ein von diesem gegebener Wechsel mangels Zahlung zu Protest gegangen war. Die später bei Herrn von Aretin versuchte Zwangsvollstreckung ist fruchtlos ausgefallen, so daß dann das Offenbarungseidverfahren gegen ihn in die Wege geleitet wurde. Infolge Nichterscheinens des Schuldners hat das Amtsgericht München am 16. Juli 1951 einen Haftbefehl erlassen, der jedoch erst nach Genehmigung durch den Bundestag vollstreckt werden kann. Die Gläubigerin, die Firma Gebr. Wilkening, Stuhlfabrik in Bakede, verlangt nun die Vollstreckung des Haftbefehls.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in seiner 133. Sitzung am 4. Februar 1952 mit allen Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherr von Aretin zu erteilen. Ich bitte namens des Ausschusses das Hohe Haus, sich gemäß dem Beschluß des Geschäftsordnungsausschusses zu entscheiden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
— Bei einigen Enthaltungen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 7. Januar 1952 (Nr. 3093 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ewers als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Falle Dr. Nowack hat das Justizministerium von Rheinland-Pfalz auf dem Dienstweg hier beantragt, über die Aufhebung seiner Immunität zu entscheiden, weil es sich um einen außerordentlich weitläufigen und schwierigen wirtschaftspolitischen Tatbestand handelt, über den ich insbesondere deshalb nur ganz kurz berichten soll und möchte, weil Herr Dr. Nowack selbst noch in keinem Falle gehört ist und seine Verteidigung hier im Hause jedermann unbekannt ist, wir also nur den äußeren sachlichen Tatbestand, nicht den persönlichen, werten können. Bei dieser Frage spielt aber der innere Tatbestand, wie die Juristen es nennen, nämlich die Absicht, in allen Dingen eine entscheidende Rolle, und darüber ist nach der Aktenlage bisher nichts bekannt.
Es handelt sich darum, daß Herr Dr. Nowack zusammen mit einem Kaufmann Ringel im Jahre 1947 eine G.m.bH. unter dem Namen „Rheinische Wirtschaftsverlags-GmbH. gegründet hatte, die im Laufe des Jahres 1948 nach der Währungsreform in Zahlungsschwierigkeiten geriet und von irgendeinem Zeitpunkt an jedenfalls zahlungsunfähig wurde. Er hat dann — zweifellos mit geleitet von der Idee, die in dem Verlagsunternehmen vorhandenen Verlagswerte, insbesondere einer Zeitschrift „Die Wirtschaft am Rhein", zu stützen und fortzusetzen — im Jahre 1949 im April und Mai zusammen mit einem Großverleger in Speyer eine neue Verlagsfirma „Wirtschaft am Rhein" G.m.b.H. gegründet und durch einen Vertrag gelegentlich der Gründung wesentliche Verlagsrechte aus der
alten Firma auf die neue übertragen. Die alte Firma ist von einem Liquidator Fuchs abgewickelt, ob zu Ende, wissen wir nicht.
Die neue Firma, bei deren Gründung kaufmännisch sehr auffallende Vereinbarungen getroffen sind hinsichtlich der Einzahlung des Stammkapitals, von dem Dr. Nowack 5000 DM und der andere Herr 15 000 DM übernommen hatte, ist im Laufe des Jahres 1949 ebenfalls in erhebliche Schwierigkeiten geraten. Sie hat durch einen Liquidator im Dezember 1949 das gerichtliche Vergleichsverfahren beantragt. Das Amtsgericht Speyer hat dieses Verfahren, nachdem gewissen Auflagen nicht Folge geleistet war, am 1. Februar 1950 in das Konkursverfahren übergeführt. Durch das Konkursverfahren werden die Voraussetzungen für das Fallissement dieser GmbH. ohnehin von Amts wegen geprüft.
Bei all diesen Manipulationen sind Dinge vorgekommen, die äußerlich mit der Rechtsordnung nicht ganz im Einklang stehen und die unter Umständen den Tatbestand strafbarer Handlungen verwirklichen können, deren Strafbarkeit aber, wie ich sagte, weitgehend vom subjektiven Tatbestand abhängig ist, den wir nicht kennen. Es handelt sich in keinem Fall um politische Dinge. Es handelt sich überall nicht darum, daß sich etwa ein Politiker auf Grund seiner politischen Betätigung mit dem Gesetz auseinandersetzen muß, sondern es handelt sich um rein wirtschaftliche Maßnahmen in dem Privatberuf des Herrn Dr. Nowack, der bekanntlich Pressefachmann ist.
Der Ausschuß beantragt einstimmig — bei, ich glaube, ,einer Stimmenthaltung —, die Genehmigung zur Aufhebung der Immunität zu erteilen, weil es sich um — wenn überhaupt strafbare ) Handlungen in Frage kommen — zum Teil sehr schwerwiegende Delikte handeln könnte, bei denen ein Teil unter Umständen durch die Amnestie, die bekanntlich am 14. September 1949 als Stichtag einsetzte, erledigt sein könnte. Alles dies ist nicht geklärt. Jedenfalls ist es für das Ansehen Dr. Nowacks erforderlich, daß er Gelegenheit bekommt, seine Verteidigung an Ort und Stelle anzubringen. Um ihm diese Gelegenheit zu geben, empfiehlt der Ausschuß, wie gesagt, einstimmig die Aufhebung der Immunität.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen erfolgen nicht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer für die Annahme des Antrags des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Einrichtung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen beim Bundesinnenministerium .
Wer begründet diesen 'Antrag? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Luchtenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von meiner Fraktion in Drucksache Nr. 3038 vorgelegte Antrag entstammt der Sorge um die Einheit des deutschen Geisteslebens und zielt insbesondere ab auf die Überbrückung von Gegensätzen und die Beseitigung ,von Schwierigkeiten, die sich in der Entwicklung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens seit 1945 ergeben haben.
Als im Jahre 1848 die deutschen Stämme in der Frankfurter Paulskirche zusammenkamen, um ein einiges Deutschland zu schaffen, forderten die Pädagogen aller Kategorien eine in allen deutschen Ländern einheitlich organisierte deutsche Schule. Diese Forderung wurde durch die Erkenntnis begründet, daß vom Erziehungs- und Bildungswesen als der elementaren Basis einer sich immer mehr und mehr differenzierenden Kultur in erster Linie zu erwarten sei, daß es die geistige Einheit der nationalen Existenz gewährleisten helfe. Man hat damals nicht ahnen können, daß hundert Jahre später die Erzieher und Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland sich in ernster Sorge um die gefährdete Einheit des deutschen Bildungswesens mühen. Es sind nun aber keineswegs die Pädagogen aus Beruf allein in diesem Bemühen vereinigt. Ihre begründete Unzufriedenheit wird von der gesamten Elternschaft geteilt, und in Handwerk und Handel, Industrie und Verwaltung verfolgt man mit wachsendem Unwillen eine Entwicklung, die nach Änderungen verlangt.
Die historische und psychologische Situation von heute, aus der dies alles begriffen werden muß, ist natürlich grundlegend anders als die des Jahres 1848, in dem die allmähliche Herausbildung eines gesamtdeutschen Schulwesens begann; denn was damals, vor hundert Jahren, als Ideal erstrebt wurde, hat man inzwischen in einer Hybris erlebt, die half, die Erde zur Hölle zu machen. Diese Erfahrungen nähren seither die Befürchtung, das Einheitsstreben innerhalb der „pädagogischen Provinz" könnte wieder zur Vernichtung der Freiheit und wieder zur Schändung der Menschenwürde mißbraucht werden. So kommt es, daß man mit verständlicher Skepsis alles betrachtet, was bundeseinheitliche Regelung im Erziehungs- und Bildungswesen anstrebt.
Andererseits kann auch nicht geleugnet werden, daß diese bundeseinheitlichen Regelungen je länger, je mehr notwendig geworden sind. Fremdstaatliche Machtbefugnisse in militärischen Zonengrenzen haben nicht nur den nationalsozialistischen Ungeist in Erziehung und Unterricht bekämpft, sondern zugleich auch die organisatorischen Grundlagen der deutschen Bildungseinheit weitgehend vernichtet.
Was dann dem fragwürdigen Unternehmen der sogenannten Umerziehung folgte, hat nicht minder dazu beigetragen, die auseinanderstrebenden Gestaltungskräfte zu stärken und jene verhängnisvolle Zersplitterung in der äußeren Organisation und in der inneren Ausgestaltung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens herbeizuführen. So kam es, daß der gegenwärtige Zustand der deutschen Schule keineswegs der föderalistischen Staatsidee entspricht; denn diese verlangt nicht nur für die Länder Kulturautonomie, sondern sie fordert auch, daß die Einheit des Bundes durch eine gemeinsame und einheitliche Pflege seiner geistigen Grundlagen geschaffen und gesichert wird. Da diese geistigen Grundlagen der nationalen Einheit immer wieder jeder jungen Generation durch das Erziehungs- und Bildungswesen vermittelt werden müssen, sollte in ihm nichts versäumt werden, was zur Wahrung der Einheit des deutschen Geisteslebens beizutragen imstande ist.
Ich kann darauf verzichten, hier die lange Liste von beklagenswerten Fehlentwicklungen auf zurollen, nachdem diese seit geraumer Zeit in Zeitun-
gen und Zeitschriften, in der pädagogischen Fachpresse, vom Städtetag und von den Gewerkschaften, auf der Weinheimer Tagung des Instituts zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten und an vielen, vielen anderen Stellen in hinreichender Ausführlichkeit erörtert worden sind. Es ist Tatsache, die Bundesrepublik Deutschland ist zu einem pädagogischen Experimentierfeld geworden,
auf dem andauernde Beunruhigung eine allgemeine Unzufriedenheit geschürt hat. Man ist sich einig, es gilt, so schnell wie möglich eine schwärende Wunde zu heilen.
Angesichts der großen Mängel, die nicht mehr übersehen werden können, haben die Kultusminister der Bundesländer aus dieser Not eine Tugend gemacht. Sie haben eine „Ständige Konferenz" eingerichtet, um in ihr koordinierende Maßnahmen vorzubereiten, von denen erwartet wird, daß sie Gegensätze ausgleichen und so Einheit neu begründen könnten. Die Kultusminister haben sich offenbar dabei von der Einsicht leiten lassen, daß auch eine sinnvolle Grundsatzentscheidung zu Entartungen führen kann, sobald sich in ihr die in ihr angelegten sinnwidrigen Übersteigerungen geltend machen. Diese Einsicht hat sich nicht zuletzt aus der bitteren Erfahrung ergeben, daß der an sich gesunde Unitarismus des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens, der auch von jedem echten Föderalismus gefordert wird und gefordert werden muß, in der nationalsozialistischen Ära zu einem verderblichen Zentralismus wurde. Ebenso kann nun aber auch — und das sollte man nicht übersehen — der kulturpolitische Föderalismus der in ihm lauernden Gefahr erliegen, zu einer partikularistischen Staatsgesinnung zu entarten, wenn er sich mit der Förderung landeseigener Kulturinteressen begnügt und so den Tatsachen eines gesamtdeutschen Geisteslebens nicht hinreichend gerecht wird. Weil dies erkannt worden ist, wird man zu gegebener Zeit der Ständigen Konferenz der Kultusminister ihre geschichtliche Bedeutung nicht aberkennen können. Ihre Erfolge und mehr noch ihre Mißerfolge sind zu Wegweisern zu einer als notwendig erstrebten bildungspolitischen Integration der deutschen Länder geworden.
Wenn dennoch die erreichten Ergebnisse unbefriedigend sind, so ist dies nicht zuletzt auf eine Beschränkung der Wirksamkeit der Ständigen Konferenz zurückzuführen, die in ihrer juristischen Position begründet ist. Die Ständige Konferenz ist nämlich keine im Grundgesetz verankerte Institution, sondern beruht lediglich auf einem freiwilligen Übereinkommen der beteiligten Kultusminister. Nach der von ihnen getroffenen Vereinbarung können in der Ständigen Konferenz nur einstimmige Beschlüsse gefaßt werden. Aber auch diese einstimmigen Beschlüsse werden nur wirksam, wenn sie in den einzelnen Ländern die Billigung der Landtage finden. So kommt es, daß die notwendigen Angleichungen in pädagogischen Reformen entweder unnötig verzögert oder überhaupt verabsäumt werden.
Wenn man dazu bedenkt, daß in den Parlamenten der Länder bei wechselnden Mehrheiten sogar die bereits gesetzlich sanktionierten pädagogischen Reformen durch neue Beschlüsse schon kurz nach ihrer Einführung im Sinne ihrer Gegner abgelöst werden können,
so wird die pädagogische Tragik spürbar, die ganze
geradezu bildungsfeindliche Ungeborgenheit der
deutschen Schule, die für das gegenwärtige deutsche Bildungswesen kennzeichnend ist.
Es ist infolgedessen keineswegs verwunderlich, daß hier und dort radikale Lösungen vorgeschlagen worden sind, die ohne Änderung des Grundgesetzes nicht durchgeführt werden können. Daher ist weder die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums noch auch eine Bundesregelung durch Rahmenvorschriften im Erziehungs- und Bildungswesen nach Art. 75 des Grundgesetzes möglich.
Dagegen enthält das Grundgesetz keine Bestimmung, auf Grund deren die Einrichtung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen verhindert werden könnte. Denn nach der Konzeption meiner Fraktion ist dieser Bundesbeirat weder eine gesetzgebende Versammlung noch ein Gremium, das Rahmenvorschriften erlassen kann. Er soll vielmehr eine Vereinigung von Sachverständigen sein, die auf Grund ihrer Leistungen und ihrer Einsichten berufen sind, in einer von Legislative und Exekutive gleichermaßen unabhängigen Arbeit für die Probleme des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens die Lösungen vorzuschlagen, die geeignet sind, im öffentlichen Bewußtsein entscheidende Zustimmung zu finden. Denn es geht hier um nichts anderes als um dies: endlich jenseits des Streits der Parteien durch Autoritäten der Praxis die verbindende Plattform zu schaffen, auf der sich ein weitgehend einheitliches Erziehungs- und Bildungswesen entfalten kann, das den Erfordernissen der Länder und den Bedürfnissen des Bundes gleichermaßen gerecht wird.
Auf Grund der Erhebungen, die zur Vorbereitung dieses Antrags von mir veranlaßt worden sind. dürfte erwiesen sein. daß die Elternschaft es allenthalben begrüßen wird, wenn endlich geschieht, was sie längst erwartet und mit steigender Eindringlichkeit gefordert hat, nämlich den Neubau des Erziehungs- und Bildungswesens unbeeinflußt von unangemessenem politischem Rivalisieren der Parlamente und Parteien so einzurichten, daß die deutsche Jugend sich in jeder Schule und in jeder Bildungsstätte des deutschen Bundes heimisch fühlen kann.
Denn dies ist die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß in der deutschen Jugend ein gesamtdeutsches Staatsbewußtsein wächst und wirkt.
Um einem möglichen Mißverständnis vorsorglich zu begegnen, möchte ich bemerken, daß der Bundesbeirat unter keinen Umständen nur eine Lehrerversammlung ' sein darf. Nicht nur Lehrer sind an der Erziehung und Bildung der Jugend beteiligt. In allen Bezirken unseres Daseins finden sich Männer und Frauen, die sich von ihrem besonderen Wirkungskreis aus mit bildungspolitischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt haben und zu wahrhaften pädagogischen Experten geworden sind. Man denke etwa nur an die besondere und teilweise sogar sehr vorbildliche Anteilnahme aller derer, die dem beruflichen Bildungswesen nahestehen. Auch in den Verwaltungen, in den Unterrichtsverwaltungen insbesondere, gibt es Sachkenner, auf deren Erfahrungsschatz bei Neuordnungen im Erziehungs- und Bildungswesen nicht verzichtet werden kann.
Dieser Bundesbeirat wird keine Weisungsbefugnisse besitzen. Keine Weisungen, sondern Empfehlungen sind von ihm zu erwarten. Aber die Persönlichkeiten dieses Bundesbeirats dürften in ihrer Gesamtheit sozusagen eine moralische Instanz sein, eine moralische Instanz, die ein solches Gewicht in der
öffentlichen Meinung besitzt, daß ihre begründeten Stellungnahmen mehr als nur unverbindliche Empfehlungen sein werden. Jedenfalls ist zu erwarten, daß ihre ausschließlich aus sachgebundenen Voraussetzungen gewonnenen Stellungnahmen in den Fraktionen der Länderparlamente bereitwillige Aufnahme finden werden. Und sollte dies nun nicht auch von den Kultusministern begrüßt werden? Denn ihre koordinierende Tätigkeit vermag ja wohl keine stärkere moralische Unterstützung zu finden als die, die von dem Bundesbeirat als dem pädagogischen Gewissen der Bundesrepublik gewährt wird.
Wer in diesem Sinne die beratende Funktion des Bundesbeirats zu würdigen weiß, der wird gern jene unseligen Auseinandersetzungen hinter sich lassen, in denen man zuweilen den Eindruck gewinnen konnte, als betrachteten die Länder den Bund als ihren erkorenen Erbfeind. Darum sollte auch kein Streit nach dem Standort des Bundesbeirats bestehen.
Eine Zuordnung zum Bundesinnenministerium wird durch folgende Sachverhalte nahegelegt. Die Bildung eines Bundesbeirats sollte folgerichtig in einem Bundesministerium erfolgen, um seine ureigensten Anliegen eindeutig und eindrucksvoll zu unterstreichen. Würde etwa den Landtagen die Bildung dieses Bundesbeirats zufallen, so könnte die Gefahr auftauchen, daß die Vorschläge zur Berufung von Mitgliedern mehr aus der Perspektive der Länderinteressen als von gesamtdeutschen Gesichtspunkten her erfolgen. Wer anerkennt, daß dás Erziehungs- und Bildungswesen besonders geeignet ist, das notwendige Maß der geistigen Einheit zu schaffen, auf die das gegenseitige Verstehen im Inneren eines Staatsgefüges angewiesen ist, der wird nicht zögern, dem Bundesinnenminister die Federführung bei der Bildung dieses Bundesbeirats zu überlassen.
Wird aber nicht — so kann man fragen — ein solcher Bundesbeirat, der aus Autoritäten der Praxis besteht, sozusagen eine Hintertür zur Einführung eines neuen autoritären Regimes im Erziehungs- und Bildungswesen aufstoßen können? Meine Damen und Herren, wer der jungen Demokratie das ihr gebührende Vertrauen entgegenbringt — ohne das j a nun einmal ihre Existenz überhaupt nicht gesichert werden kann —, wird diese Sorge nicht teilen und wird sogar vor der Neigung warnen müssen, immer wieder den Teufel an die Wand zu malen, sobald irgendwo neue Ansätze zur Wiederbelebung einer kommandierenden Staatspädagogik in Erscheinung treten und sich Geltung verschaffen möchten. Es sollte nicht übersehen werden, daß gewisse Länder offenbar sehr viel mehr als der Bund selbst der Gefahr der staatspädagogischen Uniformierung ausgesetzt sind. Ihnen gegenüber könnte ein von Legislative und Exekutive unabhängiger und sich selbstverantwortlicher Bundesbeirat ein besonders gewichtiges Wort sprechen, das als Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung nicht hoch genug veranschlagt werden kann, da er helfen würde, den inneren Frieden zu sichern.
Unsere Erörterungen legen den Gedanken nahe,fehlt unseres Erachtens die innere Berechtigung; denn die längst erkannten Strukturfehler der Reichsschulkonferenz sind bei der Bildung eines Bundesbeirats ohne weiteres vermeidbar. Der Bundesbeirat sollte unter keinen Umständen wie die Reichsschulkonferenz ein „pädagogisches Parlament" von mehreren hundert Mitgliedern sein. Man wird sich vielmehr ein kleines, arbeitsfähiges und arbeitswilliges Gremium von etwa 15 ständigen Mitgliedern denken müssen. Diese sollten keineswegs nach repräsentativen Gesichtspunkten gewählt werden, sondern ausschließlich nach Maßgabe ihrer Eignung. Man bedenke, daß die abzugebenden Stellungnahmen, die Begründung ihrer Standpunkte aus der Fähigkeit erwachsen müssen, die ganze kulturelle Tragweite eines pädagogischen Anlegens zu übersehen. Aus der Erfahrung der Reichsschulkonferenz ergibt sich ferner, daß die Mitglieder nicht nach dem Delegiertenprinzip ausgewählt werden sollten, weil sonst der Bundesbeirat in eine Versammlung von Interessenvertretern umgefälscht würde. Nur dann wird man dem Bundesbeirat Erfolge voraussagen können, wenn die bestehenden Interessengegensätze auf einer höheren Ebene auszugleichen sind, auf der ein gegenseitiges Verstehen und ein gemeinsames Geltenlassen erst möglich werden.
der Bundesbeirat werde nichts anderes als eine Neuauflage der Reichsschulkonferenz vom Jahre 1920 sein können. Er werde daher vielleicht auch — wie sie — nichts anderes zu erreichen vermögen, als die bildungspolitische Zerrissenheit in einer mehr oder minder repräsentativen Demonstration darzustellen. Dieser negativen Prognose
Die Zeit ist zu kurz, um die ganze Fülle der Gesichtspunkte vor Ihnen zu entwickeln, die uns zu diesem Antrage veranlaßt haben. Durch den Antrag meiner Fraktion wird eine Aufgabe in Angriff zu nehmen sein, die nicht durch einige koordinierende Hebelschaltungen im organisatorischen Gefüge unseres Erziehungs- und Bildungswesens gelöst werden kann. Es gilt vielmehr, in die geistigen Tiefenschichten hinabzuloten und in ihnen die Kräfte zu finden, die fähig und bereit machen, jene Spannungen zu lösen, die — zwar historisch verständlich, aber staatspolitisch unvertretbar — bisher bundeseigene Regelungen im Erziehungs- und Bildungswesen verhindert haben. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß ein Bundesbeirat beim Bundesinnenministerium, wie er andeutungsweise hier entworfen worden ist, die moralische Instanz sein kann, die frei von Verkrampfungen und Konjunkturchancen, frei von Prestigekonkurrenzen und Zuständigkeitsansprüchen, lediglich von der Logik der Sache her versöhnende Ausgleiche anzubahnen berufen sein wird. Weil es sich dabei um ein ernstes Anliegen aller handelt, die sich der Einheit und der geistigen Konsolidierung des Bundes mit Hilfe einer bildungspolitischen Integration verpflichtet wissen, darf ich dem Hohen Hause die Unterstützung des Antrags empfehlen und bitten, die Bundesregierung zu beauftragen, Vorschläge zur Einrichtung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen zu unterbreiten.
Meine Damen und Herren, für die nachfolgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 90 Minuten vorgesehen.
— Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von den Antragstellern gegebene Anregung begrüße ich lebhaft. Ich wende mich zunächst an diejenigen
Mitglieder des Hohen Hauses, die gleichzeitig dem Kulturpolitischen Ausschuß des Hauses angehören. Der Kulturpolitische Ausschuß hat im gesamtdeutschen Interesse wiederholt nach einem vielfach noch notwendigen Ausgleich in der Regelung des Schulwesens der Länder gestrebt. Er hat versucht, diesen Ausgleich zu fördern und wiederholt Anlaß gehabt, wichtige Fragen der inneren und äußeren Gestaltung unseres Schulwesens zu erörtern. Mit Recht hat sich der Ausschuß dabei an den Bundesinnenminister gewandt, wenn er Informationen und Auskünfte aller Art haben wollte, und verlangt, daß ihm das Bundesinnenministerium bei seinen Beratungen behilflich ist. Wenn der Bundesinnenminister dem Kulturpolitischen Ausschuß behilflich sein will, so muß er sich selbst über den Gang der Entwicklung informieren können, muß einen Überblick über die wesentlichen Fragen, die wichtigsten Auffassungen, Wünsche und Pläne haben.
Nun hat sich in der Zwischenzeit eine weitere Entwicklung vollzogen. Die Herren Kultusminister der Länder haben sich zu einer Konferenz zusammengeschlossen und in dankenswerter Weise dem Bundesinnenminister Gelegenheit gegeben, sich persönlich oder im Falle seiner Verhinderung durch seine Vertreter an diesen Sitzungen zu beteiligen. Das ist sehr vorteilhaft gewesen. Ich habe die Beteiligung zum Zwecke meiner eigenen Information auch sehr lebhaft begrüßt. Diese Teilnahme an den Konferenzen ist aber auch für die Fühlungnahme zwischen dem Kulturpolitischen Ausschuß dieses Hauses und mir selbst von Wert gewesen.
Dabei ist noch ein besonderer Punkt zu erwähnen. Die Konferenzen der Kultusminister der Länder beschränken sich naturgemäß auf die Schulverwaltungen. Dagegen wird dieser Beirat den Vorzug haben, daß er erstens einen Meinungsaustausch auf der Bundesebene gestattet und daß zweitens außer den beteiligten Schulverwaltungen auch die weiteren Kreise in ihm zu Wort kommen können, die an der Entwicklung und Ausgestaltung unseres Schulwesens lebhaft interessiert sind. Das ist einmal die Lehrerschaft selbst, zum anderen sind das die Eltern, ferner die Kirche; dann ist auch das Handwerk und überhaupt die Wirtschaft beteiligt. Auch die Hochschulen haben ihr besonderes Interesse an einem solchen laufenden Gespräch in einem Beirat.
Ich glaube, dieses laufende Gespräch in dem Beirat unter Zuziehung aller beteiligten und interessierten Kreise sollten wir fördern. Ich schlage Ihnen daher vor, diesen Antrag in dem zuständigen Ausschuß ausgiebig zu erörtern, und stelle dabei gern die Mitwirkung meines Hauses in Aussicht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ohne weiteres einzuräumen, daß nach 1945 in dem Erziehungs- und Bildungswesen der verschiedenen Länder, insbesondere auch der neuen Länder, Unterschiede eingetreten sind. Durch die Evakuierung der Bevölkerung, durch den Zustrom von Flüchtlingen, durch die Zerstörung von Universitäten und durch die Überbelegung noch erhalten gebliebener Universitäten enstanden Schwierigkeiten. Aber, meine Damen und Herren, diese Schwierigkeiten sind nicht an das Bildungsgut, an die Substanz der Ausbildung herangekommen. Die größten Schwierigkeiten sind in der Frage des Schuljahrbeginns, des
Schuljahrs im ganzen, der Ferien, der Schulgeldbefreiungen eingetreten; aber das Bildungsgut, die
Bildungssubstanz, ist davon unberührt geblieben.
Die Konferenz der Kultusminister ist ja schon seit Jahren tätig. Ich habe mich persönlich immer wieder um die Zusammenarbeit- unseres Kulturpolitischen Ausschusses mit der Kultusministerkonferenz bemüht. Es ist manches, sicher aber noch nicht alles erreicht worden.
Nun, meine Damen und Herren, kommt aber eine Frage — die müssen wir aufwerfen, und die müssen gerade wir als Verfassungsrechtler aufwerfen —, die Frage der grundgesetzlichen Zuständigkeit. Eine solche grundgesetzliche Zuständigkeit ist nicht gegeben. Sie ist nicht etwa deshalb nicht gegeben, weil diese Frage im Parlamentarischen Rat nicht gelöst oder übersehen worden oder weil eine Lücke eingetreten wäre, sondern die Frage hat die im Grundgesetz verankerte Regelung deshalb gefunden, weil man sich im Parlamentarischen Rat völlig einig darüber war, daß die Fragen der Kultur und des Bildungswesens, die Fragen des Gemeinderechts und der Polizei ausschließlich den Ländern überlassen werden müssen.
Ich hebe das deshalb hervor, weil die Frage „Bundesbeirat bei dem Ministerium des Innern" die Frage des Verhältnisses zu einem unzuständigen Ministerium aufwirft und weil es, wenn Mittel beschafft werden müssen — und sie müssen für eine monatelange Verhandlung dieses Beirats beschafft werden —, sehr die Frage ist, ob wir überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Genehmigung solcher Mittel haben. Diese Fragen müssen natürlich durchdacht werden. Auch das ganze Informationsrecht usw., das nur auf Grund Gesetzes eingeräumt werden könnte, muß hier mit in Frage gestellt werden. Wir sind aber natürlich gern bereit, diese Dinge im Ausschuß zu beraten, und sind deshalb auch absolut für eine Überweisung an den Ausschuß.
Aber eines möchte ich betonen, meine sehr verehrten Damen und Herren: wir überschätzen in allen Fragen das Organisatorische.
Wir glauben immer wieder, durch neue Ausschüsse und Beiräte irgend etwas regeln, durch Gesetze etwas machen zu können, was ausschließlich - und gerade auf dem Gebiet der Erziehung und der Bildung — Sache der ruhigen Pflege und der Entwicklung der aktiven Kräfte ist.
Übersehen Sie nicht, meine Damen und Herren,. daß wir von 1871 bis 1918 ein blühendes Schulwesen gehabt haben, bei dem aber die Kräfte nicht etwa nur in den Ländern, sondern auch in den Großstadtverwaltungen lagen, die unter sich im Wettbewerb um die besten Leistungen und um die -besten Methoden standen. Das darf bei all, dem .nicht übersehen werden. Was haben wir denn mit den Organisationen erreicht? Was ist z. B. vom Reichskunstwart und seiner Tätigkeit anders übrig geblieben als der Bucheinband des .Reichsgesetzblattes?
Ebenso ist es mit den Akademien — das ist genau dieselbe Sache —, die überall aufgeschossen sind und die immer wieder das Organisatorische überbetonen.
Nun, meine Damen und Herren, noch das eine. Man spricht vom Erbfeind, den die Länder im Bunde sähen. Das ist absolut unzutreffend. Aber es ist ein anderes Gefühl, ob man mit den Ländern zusammenarbeitet oder ob sie unter einen Herrschaftsanspruch gestellt oder unterjocht werden. Das ist auch eine falsche föderalistische Politik.
Nun muß ich nur noch eines sagen. Es ist von der Einheit des deutschen Geisteslebens gesprochen worden. Ich möchte betonen, daß ich auch den Herren Antragstellern nicht imputiere, es handle sich etwa um einen deutschen „Volksgeist" im Sinne der Hegelschen Philosophie. Aber ich glaube das hervorheben zu müssen, weil hier aus unseren Ausführungen unter Umständen falsche Schlüsse gezogen werden könnten.
Dann aber weiter, meine verehrten Damen und Herren: die Einheit des Bildungsgutes ist vorhanden, die wird nicht wegdiskutiert, und sie ist auch nicht gestört worden. Eine gänzlich andere Frage ist aber die, ob wir von der Einheit des deutschen Geisteslebens zur Zeit überhaupt sprechen können. Das ist ja alles in der Entwicklung. Das mechanistische Weltbild ist zusammengebrochen. Die Metaphysik und Philosophie, die bis 1920 im Schatten gestanden ist, wird jetzt von den Naturwissenschaftlern und Mathematikern gefördert. Ausgelöscht ist die Lehre von der materialisitischen Entwicklung im Sinne von Hegel, Marx, Lenin, in der Theorie wenigstens. Und haben wir denn ein einheitliches deutsches Geistesleben in der deutschen Kunst oder gar in der deutschen Literatur? Wir sollten deshalb auch nicht davon sprechen, daß wir diese Einheit bewahren wollen. Das Wort „wahren" und „bewahren" bezeichnet ein Erhalten, aber nicht ein Fortbilden.
Wir wollen doch auch das Geistesleben weiterentwickeln. Das ist gerade jetzt, nachdem zwischen 1920 und 1952 nicht etwa ein Intervall von 32 Jahren, sondern eine geistige Entwicklung von 150 Jahren liegt, notwendig. Gerade da dürfen wir nicht von „wahren" und „bewahren", sondern wir müssen von einer Entfaltung der Kräfte sprechen, auch der deutschen Kräfte, die wir auch an das Ausland erst anschließen wollen.
Diese Fragen müssen also vielseitig gesehen, sie können nicht mit ein paar Worten erläutert werden. Wir sind deshalb gern bereit, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen, damit er von der verfassungsrechtlichen Seite genau gesehen wird und wir, wenn die Herren zustimmen, vielleicht eine Lösung finden, die sich mit dem Grundgesetz vereinbaren läßt, und damit auch die kulturpolitischen Fragen entsprechend gründlich durchdacht und durchgesprochen werden können.
Ich möchte jetzt abschließen, um Herrn Kollegen Edert, der als Schulmann noch sprechen will, den Weg freizumachen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Edert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Antragsteller Dr. Luchtenberg hat das hier vorliegende Problem so eingehend und so treffend dargestellt, daß mir zu diesem Gegenstand selbst zu sagen nichts mehr
übrig bleibt. Ich möchte aber die Gelegenheit wahrnehmen, die Bedenken, die mein hochverehrter Herr Vorredner geäußert hat, zu zerstreuen, insbesondere das Bedenken, daß vielleicht der geplante Beirat das Grundgesetz verletzen könnte. Wenn diese Frage von einem so hervorragenden Juristen gestellt wird, ist es selbstverständlich, daß wir sie im Ausschuß gründlich durchprüfen werden. Aber selbst wenn bei formaljuristischer Auslegung ein Haar in der Suppe bleiben sollte, ist hier vielleicht eine Gelegenheit, die Mahnung zu beherzigen, die kürzlich einer der bedeutendsten deutschen Gelehrten an uns Deutsche gerichtet hat, daß wir doch ein helles und ausgeräumtes Zimmer für das Einströmen des gesunden Menschenverstandes reserviert lassen möchten.
Ich kann mir einfach nicht denken, daß irgendeine Bestimmung des Grundgesetzes uns hindern könnte, einen Beirat bei dem Bundesministerium des Innern zu bilden, der keine Legislative und keine Exekutive hat, der einfach nur beraten, nur empfehlen will, der eine moralische Kraft, ein Ausdruck und ein Ventil der öffentlichen Meinung ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es den föderalistischen Charakter der Länder beeinträchtigen könnte, wenn sie ihrerseits aus freien Stücken dem Rat eines solchen Gremiums folgten. Gewiß, es wäre eigentlich logischer gewesen, wenn wir uns im Kulturausschuß dazu entschlossen hätten, eine gesetzmäßige Ordnung zu finden, indem wir einfach eine Rahmengesetzgebung für das Bildungswesen nach Art. 75 des Grundgesetzes schafften.
Aber der Weg ist umständlich und schwierig. Gerade auf Grund der Erfahrungen aus der Weimarer Zeit, die mein verehrter Herr Vorredner Dr. Kleindinst erwähnt hat, haben wir geglaubt, daß es besser sei, geistige Streitfragen auch auf einer geistigen Ebene zu lösen. Gerade darum haben wir diesen Vorschlag gemacht, der uns vielleicht praktisch schneller zum Ziele führt als der umständliche Weg der Änderung des Grundgesetzes.
Wären aber die verfassungsmäßigen Bedenken, die soeben erhoben worden sind, berechtigt, so müßten sie sich auch gegen die ständige Konferenz der Kultusminister richten.
Denn diese ist auch nicht im Grundgesetz verankert. Sie ist ein privater Zusammenschluß der Kultusminister. Ich begrüße diesen Zusammenschluß. Die Kultusminister haben sich aus gesundem Menschenverstand zusammengetan, einfach deshalb, weit ihre Aufgaben vielfach über die Ländergrenzen hinausreichen.
Nun hat man geltend gemacht, auch die ständige Konferenz selber könne ja als der gedachte Beirat wirken. Die Minister sind aber Politiker; jeder einzelne ist seinem Landtag verantwortlich. Es sind nicht Fachleute der Art, wie wir sie uns bei diesem Antrag denken. Gewiß, es sind unter ihnen anerkannt vorzügliche Pädagogen. Aber die Mehrzahl von ihnen sind doch Männer, die mehr um ihrer politischen als um ihrer pädagogischen Fähigkeiten willen auf den Sessel des Kultusministers erhoben worden sind. Der Sinn des Beirates ist jedoch, daß wir die Bildungs- und Erziehungsarbeit aus der Parteipolitik herausheben und sie auf die höhere Ebene geistiger Auseinandersetzung erheben, wo es sich einzig und allein um das Wohl und Wehe der deutschen Jugend handelt.
Der hier vorgesehene Beirat soll also aus anerkannten Sachverständigen bestehen, aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus den Kreisen der Kultusministerkonferenz, des Städtetages, der schon finanziell am deutschen Bildungswesen stark interessiert ist, aus den Kreisen der Kirchen, der Schulen, der Gewerkschaft der Erzieher, der Philologen, der Universitäten. Ich denke an Namen wie Eduard Spranger, der vor einiger Zeit hier zu Ihnen gesprochen hat, oder Theodor Litt in Bonn, Männer, deren Ruf weit über die Grenzen unseres Landes hinausreicht. Ich denke insbesondere an Vertreter der Elternschaft, die bei uns in Deutschland lange nicht genügend an dem Bildungs- und Erziehungswesen beteiligt ist. Ich glaube, daß solche Persönlichkeiten, die unabhängig von Legislative und Exekutive auf Grund ihrer fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen Lösungen suchen, die sich über den Streit der Parteien erheben, eine moralische Autorität darstellen; sie sind zugleich ein Ausdruck und ein Ventil der öffentlichen Meinung. Ich glaube, daß Persönlichkeiten dieser Art ein Länderparlament nachhaltig beeinflussen können, daß gerade die Kultusminister der Länder sich über eine solche Einrichtung freuen müßten. Ich kann mir sehr wohl denken, daß mancher von ihnen genötigt ist, seine pädagogische Einsicht den politischen Forderungen zu opfern.
Dieser Beirat würde schon einen großen Erfolg erzielen, wenn er nur dafür sorgte, daß unerprobte Experimente in den einzelnen Ländern vermieden werden.
Das Beispiel Schleswig-Holstein ist ein Schulbeispiel dafür. Eine sozialistische Mehrheit bringt das Gesetz über die sechsjährige Grundschule durch, zwei oder drei Jahre später schafft eine bürgerliche Mehrheit es wieder ab. Beide Schritte sind nicht richtig. Denn in beiden Fällen ist die Schulreform dort nach den wechselnden Mehrheiten des Landtags eingeführt. Schulreformen sind von weittragender Bedeutung und wirken auf Generationen hinaus. Sie sollten auf das sorgfältigste vorbereitet werden.
Gegenüber diesem Schnellverfahren in Schleswig-Holstein darf ich — wir sollen auch von unseren ehemaligen Gegnern lernen — das Verhalten der britischen Regierung darstellen, als sie 1944 ihr Schulgesetz durchbrachte, das von vielen Pädagogen als eins der besten in Europa betrachtet wird. Die Vorbereitung für dieses Gesetz hat fünf Jahre gedauert. Es gingen Vorbesprechungen in den einzelnen Ressorts voraus. Sie wurden ausführlich in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Regierung berichtete, und dieser Bericht wurde wiederum in der Öffentlichkeit erörtert und sorgfältig vom Parlamentsausschuß beraten. Als dann schließlich im Plenum verhandelt wurde, erreichte die britische Regierung 1944 — es war im Kriege — eine einstimmige Annahme. Selbst die Durchführung geht bei dem stark dezentralisierten Erziehungswesen in England langsam und in Anlehnung an die örtlichen Verhältnisse vor sich. Aber die entscheidende Vorbereitung und die entscheidende Leistung bei diesem Gesetz lagen in den Händen des Board of Education, dieses Erziehungsbeirats der englischen Regierung, der unserem Erziehungs- und Bildungsbeirat als Vorbild dienen soll. Aber auch dieser Board of Education hatte nur beratende Befugnis, keine gesetzgebende Gewalt. Er hat sein Ziel einfach durch die moralische Autorität erreicht,
Ich darf noch ein Wort über die Vereinigten Staaten — auch ein demokratisches Land — hinzufügen. Auch hier liegt die Schulhoheit bei den Staaten, so wie bei uns bei den Ländern. Es gibt keinen Kultusminister, aber im Innenministerium ein Erziehungsbüro, an dessen Spitze ein tüchtiger Schulmann mit einer Reihe von Mitarbeitern steht. Auch diese Stelle hat keine verwaltungsmäßige Befugnis. Sie beschränkt sich auf Empfehlungen. Trotzdem hat sie es erreicht, daß das amerikanische Schulwesen, obwohl im einzelnen in den Staaten manche Verschiedenheiten bestehen, in den großen Linien verhältnismäßig einheitlich ist.
Ich wiederhole: in beiden Ländern sind die öffentliche Meinung und die Elternschaft sehr stark mit dem Problem der Erziehung beschäftigt. Es ist bedauerlich, daß bei uns die Elternschaft einen viel zu geringen Einfluß auf die Gestaltung des Erziehungswesens nimmt. Was in diesen Ländern der alten Demokratien möglich ist, das sollte auch bei uns in Deutschland möglich werden. Daß wir mit dieser Forderung nicht allein stehen, mag Ihnen die Entschließung sagen, die namhafte Schulmänner auf der Weinheimer Tagung im November vorigen Jahres gefaßt haben. Ich bitte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze daraus vorlesen zu dürfen:
Die deutsche Schule bedarf einer Neugestaltung nicht allein ihres äußeren Aufbaues, sondern insbesondere ihres inneren Gehalts, die den geistigen und gesellschaftlichen Wandlungen der letzten eineinhalb Jahrhunderte gerecht wird. Das ist eine Aufgabe von höchster Verantwortlichkeit für die unmittelbar beteiligten politischen und fachlichen Kräfte, aber auch für die gesamte Öffentlichkeit. Sie soll der landschaftlichen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Vielgestaltigkeit unseres Volkes Rechnung tragen, soll dem Willen der Nation zur Einheit, der künftigen Wiedervereinigung mit den mittel- und ostdeutschen Gebieten und den übernationalen Bindungen unseres Volkes gerecht werden. Dieser Bedeutung und dieser Verantwortung wird durch das bisherige Verfahren bei den kulturpolitischen Gesetzgebungen in den Ländern, insbesondere durch die Beteiligung der Öffentlichkeit, nicht Genüge getan. Eine Neugestaltung des Schulwesens bedarf bei der großen Tragweite einer möglichst großen Mehrheit, damit sie auch bei wechselnden parlamentarischen Mehrheiten Aussicht auf Bestand hat. Wir appellieren an die Parteien, Parlamente und Regierungen, grundsätzliche Gesetze auf dem Gebiet der Schulen nur zu beschließen, wenn sie pädagogisch und politisch ausgereift sind. Das beste Instrument dafür wäre ein Gremium von unabhängigen erfahrenen Männern und Frauen, die nicht beschließend, aber begutachtend und beratend an der Neugestaltung des deutschen Schulwesens mitzuwirken hätten.
Das ist genau der Inhalt des Antrags, der Ihnen vorliegt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Antrag dem Kultur-Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen. Ich stelle diesen Antrag.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorredner, die uns den Beirat schmackhaft machen wollten, gehen meines
Erachtens alle an einer Tatsache vorbei, nämlich an der Tatsache, daß die ganze deutsche Kulturgeschichte ein Beweis dafür ist, daß nicht die Uniformierung, sondern die Vielgestalt den Grund zur Größe des deutschen Geisteslebens gelegt und es gefördert hat.
Wir sehen keine zwingende sachliche Notwendigkeit, einen Bundesbeirat für Erziehungs- und Bildungswesen beim Bundesinnenministerium zu schaffen. Die Aufgaben dieses Beirats werden längst an anderer Stelle bearbeitet.
Wir sehen auch keine Möglichkeit, einen solchen
Beirat zu schaffen, da die Verfassung dem entgegensteht. Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern.
— Doch, sehr viel, Kollege Hasemann! — Eine Institution wie dieser geplante Beirat ist entweder eine Totgeburt — dann brauchen wir uns mit ihr sowieso nicht zu beschäftigen —
oder aber sie ist lebensfähig, dann trägt sie in sich den Keim zu Wucherungen, die entweder zu einem Kulturparlament oder zu einem Bundeskultusministerium führen wird.
Wir sehen in diesem Beirat den ersten Keim eines Bundeskultusministeriums, vielleicht sogar einen bewußten Schritt dazu.
— Auch dann! — Die Aufgaben eines etwaigen Kulturbeirats sind das ausgesprochene Tätigkeitsgebiet der Kultusminister, und solche gibt es nach der Verfassung bekanntlich nur bei den Ländern. Das, was Sie die Aufgaben dieses Beirats nennen, bearbeitet, soweit es gemeinschaftliche Fragen, die über die Ländergrenzen hinausgehen, betrifft, die Konferenz der Kultusminister.
Wir möchten dieser Konferenz allerdings eine noch größere Aktivität wünschen.
Aber das ist doch kein Grund, unbedingt eine Zweigleisigkeit zu schaffen. Den Kultusministern der Länder steht es zu, diese Fragen nach ihrem Ermessen zu behandeln und zu ihrer Bearbeitung auch einen Beirat zuzuziehen. Dem Bund steht es nicht zu.
Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag grundsätzlich und daher auch eine Überweisung an den Ausschuß ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen die Schaffung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen im Bundesinnenministerium haben wir an sich nichts einzuwenden.
Allerdings darf dieser Beirat, Herr Mellies, nicht unter der Diktion stehen, wie es in der Einleitung des Antrags heißt: „zur Wahrung der Einheit des deutschen Geisteslebens". Ich glaube, dieser Begriff geht zu weit. Wir haben uns von 1933 bis 1945 ein einheitliches deutsches Geistesleben oktroyieren lassen müssen.
— Ja, das war kein Geistesleben mehr, da haben Sie recht, Herr Arnholz, da haben Sie hundertprozentig recht, denn das Geistesleben an sich trägt in sich das Prinzip der Freiheit und der ungeheuren Vielgestaltigkeit.
Herr Dr. Kleindinst hat mit Recht ausgeführt, bei diesem Beirat gehe es nicht um diesen Oberbegriff, sondern um einen Unterbegriff der Bildungssubstanz. Von da her stellen sich die Dinge etwas anders dar, und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen kann man über einen Beirat sprechen. Aber wir haben schon den bisherigen Darlegungen entnommen, daß es sehr viel zu überlegen gibt, wenn es gilt, diesen Beirat richtig zu gestalten. Deshalb ist auch zu Recht der Antrag gestellt worden, im Kulturpolitischen Ausschuß über diesen Beirat grundsätzlich zu diskutieren; denn ein Beirat, der eine Funktion bekommt, die, wie wir es zur Genüge erlebt haben, an sich nichts bedeutet, könnte der Sache mehr schaden als nutzen. Daher wird es darauf ankommen, geistig, qualitätsmäßig etwas hinzustellen, was ohne weiteres anerkannt werden wird. Das ist, glaube ich, die für die Schaffung eines Beirats entscheidende Frage.
Wie gesagt, meine Fraktion ist bereit, dem Antrag zuzustimmen unter der Voraussetzung, daß er dem Kulturpolitischen Ausschuß überwiesen wird und daß dort eine Gestaltung dieses Beirats gefunden wird, die etwas Ersprießliches erhoffen läßt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hennig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich gehöre zu denen, die in Fragen des Geisteslebens vom Staat nicht zuviel, jedenfalls nichts Entscheidendes erwarten. Ich möchte sogar eine etwas groteske Formulierung wagen: daß Kulturpolitik eigentlich noch gar nicht existiert. Es gibt Politik seit alters, und es gibt trotz der Politik Gott sei Dank noch immer Kultur,
und es kann einmal und wird hoffentlich einmal — deshalb sitzen wir eigentlich hier — Kulturpolitik geben, nämlich dann, wenn die Politik selber nur ein angewandter Spezialfall dessen geworden sein wird, was man kulturelles Verantwortungsgefühl nennen kann. Deshalb möchte ich also keineswegs dafür plädieren, daß der Staat zuviel Funktionen an sich zieht.
Aber auf der andern Seite geht es natürlich ohne den Staat nicht ab. Nun besteht nicht die Gefahr, daß der Bund sich der Kulturpolitik allzu warmherzig annehmen wird. Wir haben ja vorhin, als die Debatte begann, den Mißmut einiger Damen und Herren des Hauses festgestellt, als der Besprechung dieses Themas 90 Minuten eingeräumt wurden. In dem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß es eine solche Debatte im Deutschen
Bundestag überhaupt zum erstenmal gibt und daß man daher eine Redezeit von 90 Minuten schon etwas großzügiger hätte zugestehen können, als das von einigen Damen und Herren geschehen ist.
Es ist eine sehr, sehr wichtige Frage, die wir hier behandeln, und es ist keineswegs darauf abgesehen — insbesondere auch nicht von der Fraktion, die hier zu vertreten ich die Ehre habe —, eine Polemik zu entfesseln, etwa gar eine gegen den Föderalismus. Frau Kollegin Weber, ich darf Ihnen das in aller Verehrung sagen, es geht dabei meistens um terminologische Mißverständnisse; denn was Sie und was wir unter Föderalismus verstehen, ist etwas Verschiedenes. Jedenfalls stelle ich hiermit klar, daß von niemandem unter uns Zentralismus angestrebt wird. Aber alle unter uns, die sich gute Demokraten nennen möchten, müßten, glaube ich, ein Höchstmaß von Dezentralisierung anstreben. Diese Dezentralisierung ist ratsam, ganz gleich ob das in Gunzenhausen in Bayern oder ob das in München, in Hamburg oder in Bonn geschieht. Dezentralisieren soll man soviel wie möglich und ganz besonders die Erziehung.
Ich sagte, daß wir keine Polemik führen wollten. In diesem Zusammenhang fallt mir eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers ein, die er in Freiburg. auf dem CDU-Parteitag gemacht hat, wo er, wenn ich Pressemeldungen glauben darf, sagte, daß das deutsche Volk vor sehr ernsten politischen und kulturpolitischen Kämpfen stünde. Nun, ich will hoffen, daß der Herr Bundeskanzler damit nicht den heutigen Antrag der Demokratischen Partei gemeint hat, der etwa den inneren Frieden bedrohen könnte. Was dieses Gebiet betrifft, so
darf ich für die sozialdemokratische Fraktion wirklich sagen und unter Beweis stellen, daß die erneuerte deutsche Sozialdemokratie seit dem Jahre 1945 einiges getan hat, um kulturpolitische Konfliktstoffe zu bereinigen und aus dem Wege zu räumen. Wir haben auch nicht vor, dem Herrn Bundeskanzler etwa mit Kampfparolen dieser Art im herannahenden Wahlkampf zu dienen.
— Ich weiß es nicht genau, was er gemeint hat.
— Ach so, gut, ich bin für diesen Zwischenruf dankbar. Ich berichtige mich sehr gerne. Davon wollte ich gerade sprechen: Herr Dr. Kleindinst meinte — ich bin sehr dankbar für die milde Form der Vertretung der föderativen Interessen, deren er sich hier bedient hat, aber in einem Punkte teile ich nicht ganz seine Meinung —, das Bildungsgut sei nicht bedroht, dieses einheitliche Bildungsgut sei vorhanden. Diese Ansicht teile ich nicht. Im Gegenteil, ich möchte sagen: es besteht ein ganz gefährliches geistiges Vakuum im Bewußtsein dieser unserer abendländischen Welt, in der wir hier leben. Nicht zuletzt zur Behebung dieses Vakuums könnte dieser Erziehungsbeirat einen wertvollen Beitrag leisten, nicht nur hinsichtlich der Vermittlung an die zu Erziehenden, sondern auch in der Erarbeitung dessen, was heute wesentlich ist.
Ich darf Sie daran erinnern, daß alle großen Zusammenbrüche der Weltgeschichte von einer tiefen Besinnung nach innen hin begleitet waren. Bitte denken Sie daran, daß aus den Nöten des Dreißigjährigen Krieges heraus ein Amos Comenius
wirkte. In der Zeit der napoleonischen Kriege nach dem Zusammenbruch Preußens, ja, da war es allerdings ein Kultusminister Wilhelm von Humboldt, der damals die Kulturpolitik Preußens führte, und unter ihm lehrte an der jungen, eben gegründeten Universität ein Fichte. Als draußen die Bataillone in den Freiheitskampf zogen, da sprach es Fichte vor seinen Studenten aus: Diese Freiheitskämpfer zögen ins Sinnlose hinaus, wenn nicht eine gute, wenn nicht die beste Bildung und Erziehung das Möglichste aus dem Menschen machen wollte.
Deshalb haben wir allen Anlaß, uns darauf zu besinnen, daß sonderbarerweise — vielleicht ist das ein Merkmal der mechanisierenden Tendenzen unseres Zeitalters — im Gegensatz zur Zeit von 1918/19 die Aufbruchbereitschaft, die Reformfreudigkeit der Padagogik im besten Sinne des Worts nicht recht in Fluß gekommen ist. Es wird höchste Zeit, daß der Staat hier zwar nicht etwa inhaltliche Normen setzt — das kann er nicht —, daß er aber Geburtshilfe leistet. Der demokratische Antrag ist ein gutes Mittel
zu dieser Leistung, die wir erwarten müssen. Wir sind sehr einverstanden mit dem Antrag. Auch wir betonen, daß dieser Antrag nicht etwa im Gegensatz zur Ständigen Konferenz der Kultusminister durchgedrückt werden sollte. Herr Minister, es wäre unser Ideal, wenn Sie diesen Erziehungsbeirat gemeinsam mit der Konferenz der Kultusminister deutscher Länder beriefen. Es wurde von den Herren Antragstellern schon gesagt, daß es sich nicht um einen berufsständischen Ausschuß von Lehrern handeln dürfe, sondern daß alle Menschen, die am Geistesleben unseres Volkes und an der Erziehung interessiert sind, herangezogen werden müßten. Möge es auf diese Weise gelingen, das Erziehungswesen Deutschlands nicht etwa aus der politischen Sphäre zu drücken, das ist unmöglich, aber aus der Sphäre der Taktik mit der ewigen Unruhe und auch aus der Sphäre der Propaganda, die dieses Gegenstandes nicht würdig ist.
Meine Damen und Herren! Wir sind also bereit,
dem Antrag zuzustimmen. Auch wir plädieren für
die Überweisung an den kulturpolitischen Ausschuß. Wir werden uns dort Mühe geben, ihn zu bearbeiten in der Hoffnung, daß der Herr Minister selbst dem Ausschuß mit konkreten Vorschlägen zur Verfügung stehen wird. Wenn die Opposition, wie selten in diesem Hause, in Fairneß bereit ist, ein solch wertvolles Instrument dem Minister der Regierungskoalition anzuvertrauen, so dürfen wir hoffen, daß der Herr Minister den fairen Gebrauch von dieser Ermächtigung macht, auf den wir rechnen dürfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß entgegen dem Wunsche des Herrn Kollegen Dr. Decker der Antrag meiner Fraktion in den Ausschuß hineinkommt, daß er dort gründlich beraten wird, dann wieder hier erscheint und daß die erstrebte Stelle beim Bundesinnenministerium errichtet wird. Ich bin dem Herrn Bundesinnenminister dankbar, daß er unseren Antrag begrüßt hat. Er hat die Ziele unseres Antrags voll umrissen. Er wünscht, daß diese Beratungs-
stelle nicht eine Behörde, eine Verwaltungsstelle wird. Vielmehr soll sie ihm die Möglichkeit und Gelegenheit geben, mit beteiligten und interessierten Vertretern des Erziehungs- und Bildungswesens laufend im Gespräch zu bleiben. Er will dieses Gegengewicht, weil die Ständige Konferenz der Kultusminister nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten ist, den Blick gar nicht anders denn auf die Schulverwaltung richten kann, wobei die Interessen der Eltern, der Erziehungsberechtigten, der Lehrerschaft und vieler anderer Beteiligter ganz übersehen werden.
Der Herr Kollege Dr. Decker sprach von einer Uniformierung. Ich hatte den Eindruck, daß er gegenüberstellen wollte: Länderschulen und deutsche Schule. Ich glaube, daß wir die deutsche Schule über die Grenzen der Länder hinweg begreifen müßten. Ich habe gerade heute eine Zeitung in die Hand bekommen. Sie ist ein wenig zu fruh herausgekommen: die „Schlesische Rundschau", die Zeitung aller Schlesier, mit dem Datum vorn 15. Februar. Da steht drin „Immer noch Schulwirrwarr". Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich einige Sätze zitiere. Dort wird gesagt:
Der Kulturpolitische Ausschuß der CDU/CSU des Bundesgebiets lehnte auf einer Arbeitstagung in Mainz die sechsjährige Einheitsschule ab und sprach sich für eine vierjährige Grundschule aus.
Dann werden eine ganze Menge Einzelheiten über die Zersplitterung im Schul- und Bildungswesen angegeben. Am Schluß heißt es wörtlich:
Das Niederdrückende an dieser Entwicklung
ist nun aber, daß sie häufig gar nicht von verschiedenen geistigen Tendenzen und Anschauungen, die sich ja unter Umständen mit der Zeit ausgleichen lassen, bestimmt wird, sondern von dem primitivsten Ressortpartikularismus und Ressortehrgeiz der einzelnen Kultusministerien, die eine Angleichung immer wieder erschweren.
Es war eine Zeitlang still um den Schulwirrwarr. Ich erinnere Sie an die Zeit, als so viele Kinder aus den Bundesländern, bekannt unter dem Namen „Bundeskinder", hierher nach Bonn kamen. Sie wurden hier eingeschult und hatten sehr große Schwierigkeiten mit ihrer Schullaufbahn. Aus der Fülle dieser Schwierigkeiten will ich Ihnen nur zwei Zahlen nennen. Damals ist festgestellt worden, daß sich seit 1945 bei uns in den Bundesländern 39 verschiedene Schulsysteme entwickelt haben.
Und nun denken Sie einmal an die Volksschule. Ich persönlich habe die Absicht, für alle Schulen, Volks-, Mittel-, Höhere Schulen und wie sie alle heißen mögen, das Bestmögliche zu tun und zu erreichen. Aber die Volksschule ist doch die Schule, die immer noch von 80 bis 90 % unserer Kinder als die einzige Bildungsstätte besucht werden kann. Diese Schule ist der Pflanzgarten der deutschen Erziehung, in dem die jungen Stämmchen wurzelecht und geradegebildet werden müssen.
Eine zweite Schule, die heute vernachlässigt wird, ist die Berufsschule.
Sehen Sie, Herr Kollege Dr. Kleindinst, gerade
diese organisatorischen Schwierigkeiten sind ja die
Ursache dafür, daß die von Ihnen als nicht gefährdet angesehene Bildungssubstanz nicht höherkommen kann.
Wenn wir hier in Bonn gehört haben, daß bei den
deutschen höheren Schulen mit verschiedenen ersten grundständigen Fremdsprachen — hier Latein,
dort Englisch, dort Französisch, da Russisch — und
nachher mit dem Hinzutreten unterschiedlicher
weiterer Fremdsprachen auf der Oberstufe bis zur
Oberprima hin heute 85 Varianten möglich sind,
dann kann man doch `nicht erwarten, Herr Kollege
Dr. Kleindinst, daß die Bildungshöhe und die
Substanz dadurch nicht heruntergedrückt werden.
— Darauf komme ich gleich.
Der Herr Kollege Dr. Kleindinst sprach von den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten. Herr Kollege Dr. Kleindinst, ich habe besonders nach unseren Erfahrungen im Beamtenrechtsausschuß vor Ihrer Rechtserfahrung und Ihrem Rechtsdenken großen Respekt. Aber hier kann ich Ihnen leider nicht folgen. Der Herr Bundesinnenminister ist doch der Verfassungsminister, und er soll einmal darüber wachen, daß die Verfassung nicht verletzt wird. Das ist die negative Seite. Und dann soll er — das ist die positive Seite — die Verfassung bewahren und darauf achten, daß sie erfüllt wird. Nun steht in Art. 11 dieser Verfassung, daß jedem Deutschen im Bundesgebiet die Freizügigkeit garantiert sein soll. Das können wir unseren Leuten heute nicht garantieren, weil ihnen die Wohnungen und die Arbeitsplätze fehlen. Wenn wir es vermöchten, daß diese Hindernisse aus dem Wege geräumt werden, dann könnten sie es doch nicht, weil durch die Zersplitterung auf dem Gebiet des Schul- und Bildungswesens die Kinder in ihrer schulischen Laufbahn gestört würden.
Herr Kollege Dr. Jaeger, Sie lachen. Ich erinnere Sie an ein ausführliches Schreiben, das vom Sachwalter der Interessen der Heimatvertriebenen, vom Herrn Minister Dr. Lukaschek, am 12. Januar 1951 an den Herrn Bundesinnenminister erging, in dem in ausführlicher Weise auf alle diese Schwierigkeiten hingewiesen und der Herr Bundesinnenminister gebeten wurde, seine Kräfte nach Möglichkeit dort einzusetzen.
Was soll nun eigentlich diese Beratungsstelle? Sie soll doch als erste Aufgabe die Einheit des Bundes in der Ordnung seines Erziehungs- und Bildungswesens bewahren. Ich könnte mir vorstellen, daß dort Vorschläge gemacht würden, die auf dem ganzen Gebiet das eine Ziel haben, unsere Substanz, die Bildungshohe zu stärken. Ich habe gelesen, daß ein Land für zerstörte Schulgebäude und ihren Wiederaufbau 150 Millionen DM aufwenden konnte. Darüber freue ich mich. Ich habe gelesen, daß ein anderes armes Land nur 10 Millionen DM dafür aufbringen werde. Wäre es da nicht notwendig, entsprechende sachverständige Empfehlungen über das Bundesinnenministerium an die Länder zu geben? Die Kultusminister sind nun sechs Jahre an der Arbeit. Herr Kollege Dr. Kleindinst, Sie sagten, der zukünftige Beirat habe keine Mittel. Die Kultusminister mußten sich die Einrichtung der Ständigen Konferenz doch auch erst bewilligen.
Nun bin ich davon überzeugt, daß die Ständige Konferenz der Kultusminister den guten Willen hat, sinnvoll anzugleichen. Aber sie ist doch eigentlich über Nebendinge nicht hinausgekommen. Ich
möchte meinen, daß Wesentliches dabei herauskommen müßte, wenn die Ständige Konferenz mit der Stelle beim Bundesinnenminister zusammenarbeitete, und zwar ohne Uniformierung, sondern zum Wohle unserer Schule und der Erziehung und all derer, für die wir arbeiten. Alles, was auf diesem Gebiete geschieht, soll denen zugute kommen, die nach uns kommen und die an den heutigen bösen Zuständen die allerunschuldigsten sind.
Ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen und ihn an den Ausschuß zu überweisen. Ich hoffe, daß wir es in absehbarer Zeit dann auch zu der erstrebten Stelle, zu dem Bundesbeirat, bringen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist von verschiedenen Seiten des Hauses die Überweisung an den Ausschuß für Kulturpolitik beantragt worden. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, eine Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich bitte diejenigen, die zustimmen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Wir kommen nun zu Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung der Übersicht Nr. 49 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen .
Ich bitte diejenigen, die zustimmen, eine Hand zu erheben. Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags, die 194., auf Mittwoch, den 20. Februar 1952, 13 Uhr 30, ein. Die 193. Sitzung ist geschlossen.