Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Huth hat soeben davon gesprochen, es lohne sich, in alten Blättern oder Verordnungen nachzusehen, alte Protokolle nachzulesen.
— Verehrte Kollegin Weber, manchmal lohnt es sich sogar, in neuen Protokollen nachzulesen, und gelegentlich ist es sehr lohnend, einmal ins Volk hineinzuhorchen und aus dem Alltag her abzuspüren, was richtig ist und wie die Dinge aussehen.
Ich habe mir während der Ausführungen des Herrn Ministers Professor Erhard Gedanken darüber gemacht, ob er denn nun seine Aufgabe nur darin sieht, Dinge zu lesen, die ihm im Ministerium vorgelegt werden, und ob er denn keine Zeit findet, gelegentlich auch einmal in eine Tageszeitung zu schauen. Solche Tageszeitungen sind für den Politiker vielleicht manchmal unangenehme Begleiterscheinungen; er findet darin 'Kritik. Aber ich will Ihnen — ich meine jetzt Herrn Professor Erhard — —
— nein, ich weiß, Herr Kollege Dresbach, Sie lesen nicht nur Zeitungen, sondern Sie schreiben auch für sie, und Sie schreiben sogar recht gut.
Aber ich wollte feststellen, es stände dem Herrn
Minister gut an, öfter in die Zeitungen zu schauen.
Es brauchen nicht gerade der SPD nahestehende
Zeitungen zu sein; so viel verlange ich von den
Ministern dieser Bundesregierung nicht. Aber ich
möchte meinen, es wäre ganz gut, wenn sie wenigstens Zeitungen lesen würden, die der CDU nahestehen, darunter z. B. das Organ, das doch nicht
zuletzt mit einer Unterstützung des Herrn Bundeskanzlers zu rechnen hat und das dessen Politik
unterstützt. Ich meine die „Kölnische Rundschau",
und zwar die Ausgabe vom Montag, dem 28. Januar. Herr Kollege Albers; 'Sie sind aus Köln und
gaben dem Herrn 'Kollegen Huth einen Rat, den
Sie ihm nicht gegeben hätten, wenn Sie als Kölner
die „Kölnische Rundschau" gelesen hätten. Der
Leitartikel, den ich mite Genehmigung des Herrn
Präsidenten zum Teil verlesen werde, kann besser
darlegen als Ausführungen von mir, was denn nun
eigentlich Wirklichkeit im Alltag ist und in welcher
Weise sich die beiden von mir angegriffenen Verordnungen ausgewirkt haben und auswirken.
— Schauen Sie, Herr Kollege Lücke, da werden Dinge erwähnt, die mit dem neuen Gesetz deshalb nichts zu tun haben können, weil es dieses noch nicht gibt und weil es doch unmöglich ist, sich in der Weise über die Wirkung einer Verordnung ein Bild zu verschaffen und zu ihr Stellung zu nehmen, daß man auf ein neues Gesetz hinweist, das in der Tat nichts anderes ist als eine Korrektur der beiden Verordnungen und das seine Entstehung ja nur der. Tatsache verdankt, daß die Bundesregierung offenbar gemerkt hat, daß sie ein wenig forsch vorgegangen ist.
Und bitte, um noch einmal auf die Zeitungen zurückzukommen in Verbindung mit den Zitaten, die ich 'Ihnen jetzt bringen werde: I c h habe, verehrter Herr Bundesjustizminister, den Terminus „Nacht- und Nebel-Erlaß" nicht erfunden und von mir aus angewandt, sondern ich habe die „Kölnische Rundschau" zitiert, die in bezug auf diese beiden Verordnungen den Terminus „Nacht- und Nebel-Erlaß" gebraucht.
Die „Kölnische Rundschau", eine Zeitung, die ich gelegentlich lese und an der ich sehr viel Freude habe
— ja, meine sehr verehrten Damen und Herren,
das gebe ich ehrlich zu —, hat zu diesen Verordnungen Stellung genommen und eine ganze Reihe
von Beispielen angeführt, die recht interessant sind
und die zeigen, von welch katastrophaler Bedeutung die von uns angegriffenen Verordnungen der
Bundesregierung sind, so daß man nur sagen kann: Es ist merkwürdig, daß sich sogar Kollegen finden, die stolz auf diese Verordnungen zu sein scheinen. Da wird ein Brief vom 13. Dezember, an die Mieterin eines Geschäftsraums gerichtet, zitiert, in dem es heißt:
Hiermit kündigen wir den Mietvertrag des Ihnen überlassenen Geschäftsraumes zum 1. April 1952. Zugleich teilen wir Ihnen mit, daß der zu bezahlende Mietzins ab 1. Januar 1952 monatlich 450 DM beträgt.
Nun müssen Sie die Relation kennen. Bis dahin wurden nämlich 48 DM gezahlt.
Und es gibt einen Brief, in dem eine vorher noch durch Landgerichtsurteil ab 1. Januar 1952 auf 36,95 DM festgesetzte Miete nunmehr auf 150 DM festgesetzt wird. Wo bleiben da Ihre 5 bis 8 % Differenz, Herr Kollege Huth?
Die „Kölnische Rundschau" zitiert noch eine ganze Reihe anderer Beispiele. Ich habe eingehendes Material, eine ganze Mappe, Hunderte von Briefen und Eingaben nicht nur von Mietervereinen; aber ich möchte die Berufung darauf nicht dadurch diskreditieren lassen, daß Sie mir vielleicht unterstellen, das hätte sich ein SPD-Abgeordneter besorgt. Ich berufe mich auf die „Kölnische Rundschau", das reicht mir durchaus aus. Dem Inhaber eines kleinen Einzelhandelsgeschäfts in Rendsburg, der 'seinen Mietvertrag auf zehn Jahre fest abgeschlossen hatte, wurde die Miete für 67 qm Laden und 60 qm Wohnung brieflich von 180 auf 350 DM erhöht.
Die Miete eines 37 qm großen Zigarrengeschäftchens in Wiesbaden stieg von 150 auf 300 DM.
Einem praktischen Arzt in Köln, der durch das Wohnungsamt in seine Räume eingewiesen worden ist, wurde schlicht und formlos zum 1. April 1952 gekündigt. Ein Landwirt in Nordrhein-Westfalen hat einer seit langem dort ansässigen holländischen Blumenfirma das von ihm verpachtete Gelände aufgesagt, obgleich die Holländer erhebliche Investitionen vorgenommen haben, und die neue Pachtsumme statt in deutschem Geld in 100 Doppelzentnern erstklassigem Weizen festgesetzt und darüber hinaus noch die Abwälzung von Soforthilfe und Lastenausgleich verlangt.
Ein deutscher Landwirt! Man kann stolz auf ihn sein, und der Herr Finanzminister wird sich besonders über diesen Herrn und sein Vertrauen in die Beständigkeit der Währung freuen.
In Düsseldorf hat ein einziger Hausbesitzer in seinen zwei Häusern sieben Ladeninhabern und fünfzehn Mietern gewerblicher Räume gekündigt. In derselben Stadt ist ein einziger Rechtsanwalt mit 75 Fällen untragbarer Mieterhöhungen befaßt, und im Raum Köln sind bis jetzt über 600 Fälle bekannt, wo der Blitz der kleinen Mietreform zerstörend eingegeschlagen hat.
So die „Kölnische Rundschau". Und da spricht der Herr Wirtschaftsminister davon, von einer grundlegenden Bedeutung auf den Preisstand könne man nicht reden! Da versucht man, diese ganzen Verordnungen zu bagatellisieren! Meine sehr verehr-. ten Damen lind Herren, machen Sie es sich nicht zu
leicht! 'Glauben 'Sie doch nicht, daß hier nur Mieterschutzvereine und Mietervereine berührt seien. Ich stelle Ihnen aus meinem Material Briefe von Innungen, von Handwerksmeistern, von kleinen Geschäftsinhabern zur Verfügung, obwohl das vermutlich nicht notwendig sein wird; denn Sie haben ja doch alle Kontakt zu Ihrem Wahlkreis, und dort wird es sicher viele, viele Leute geben, die Ihnen in den letzten Wochen vorgetragen haben, was vorgeht und in welchem Umfang sie in Anspruch genommen werden.
Schauen Sie — entschuldigen Sie, die „Kölnische
Rundschau" braucht nichts dafür zu zahlen, daß sie
noch einmal zitiert wird —, hier heißt es weiter: Um dem Verdacht zu entgehen, mit einer Handvoll 300- bis 400prozentiger Fälle propagandistische Paradepferde vorgeritten zu ' haben, bleibt nachzutragen, daß die Mietpreiserhöhung im Mittel aller bekanntgewordenen Fälle rund 100 vom Hundert beträgt.
Und dann wird darauf hingewiesen, daß alle besonderen Aufrufe der Haus- und Grundbesitzervereine an ihre Mitglieder, bei der Erhöhung von Mieten Maß zu halten, ganz offensichtlich — ich zitiere wörtlich —
auf unfruchtbaren Boden gefallen sind und daß ein großer Teil der Haus- und Grundbesitzer sich nicht von wirtschaftlich vernünftigen Erwägungen leiten läßt, sondern die vorgesehenen Lockerungen der Mietpreisbildung in krassester Form für sich auszunutzen gedenkt.
In dieser Zeitung steht dann ein Satz, der ebenfalls recht bedeutungsvoll ist, den ich voll unterstreiche und der erkennen läßt, daß man sich mindestens außerhalb der Bundesregierung Gedanken gemacht hat, dort nämlich, wo die Praxis auf den Nägeln brennt, wo die Leute gelaufen kommen und ihre Sorgen vortragen. Da heißt es, daß, „die Grenzen der Raumwirtschaft weit überstrahlend", hier Maßnahmen vollzogen seien, die „geeignet sind, das ganze Lohn- und Preisgefüge zu erschüttern".
Das zu dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister in Anlehnung an die Ausführungen, die ihm seine Referenten zur Verfügung gestellt haben, in dieser Beziehung gesagt hat.
Ich glaube, man soll die Dinge so ernst sehen, wie
sie sind. Ich möchte noch ein Wort zitieren. Hier
heißt es, es müsse gefragt werden, wogegen die
Kritik zu richten sei, und die Antwort lautet: Nicht gegen die Haus- und Grundbesitzer schlechthin — wie sich vermuten ließe —, sondern gegen den Gesetzgeber. Die Haus- und Grundbesitzer haben sich an den klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gehalten, eine freie Mietpreisbildung durch die „kleine Mietreform" zu ermöglichen, mit anderen Worten, soviel zu nehmen, wie sie bekommen können. Das ist
— so schreibt die „Kölnische Rundschau" — weder strafbar noch unmoralisch, weil es den natürlichen Gesetzen einer freien Marktwirtschaft entspricht.
Dann aber wird in Zweifel gezogen, daß auf dem Gebiet der Mietpreisbildung schon ein freier Markt bestehe, und es wird ausgeführt, hier gälten die Gesetze eben nicht und hier müsse eingeschrit-
ten werden; das sei Aufgabe des Gesetzgebers, eines Gesetzgebers allerdings, der sich darüber klar sein muß, daß man mindestens unterscheiden muß und daß es eine Voraussetzung ist, zwischen Verordnung und Gesetz unterscheiden zu können. Das, was die Bundesregierung in Auflockerung und Ergänzung dieser Verordnung heute vor diesem Hause als bevorstehende Maßnahme angekündigt hat, ist ein Gesetz. Es ist aber nicht damit getan, dieses Gesetz, dessen Inhalt wir noch nicht kennen, abzuwarten, sondern es muß, wie ich soeben schon sagte, die weitgehende Rechtsunsicherheit im Lande behoben werden. Es ist kein Trost, zu wissen, daß sich die Leute in den verschiedensten Kreisen zusammentun, daß Handwerkskammern und auch Industrie- und Handelskammern ihre Schiedsstellen einsetzen. Niemand draußen weiß mehr aus noch ein, und ich muß dem Herrn Bundesjustizminister sagen: Es ist sein gutes Recht, es ist auch nicht verwunderlich, daß er die Politik seines Ministeriums verteidigt, und er mag den Standpunkt einnehmen, daß alle Rechtsbedenken, die gegen die Verordnungen geltend gemacht worden sind, unbegründet seien. Aber man sollte in diesen Dingen doch sehr vorsichtig sein.
Es sind Irrtümer möglich, auch bei einem Justizminister, auch bei einem Justizministerium, und es ist nicht so, wie der Herr Kollege Huth behauptet, daß diejenigen, die gegen die Rechtswirksamkeit der Verordnung im Bundesrat opponierten, nur die Politiker gewesen seien. Der Rechts- und Verfassungsausschuß des Bundesrats dürfte aus Juristen bestehen, und diese haben — ich stelle jedem die Protokolle darüber zur Verfügung — mit einer außerordentlichen Gründlichkeit die Fragen untersucht, zu denen Stellung zu nehmen war. Nachdem das Plenum des Bundesrats gegen die Stimmen lediglich der Länder Baden und Rheinland-Pfalz die Vorlage des Rechts- und Verfassungsausschusses angenommen hat, sich also auf den Standpunkt gestellt hat, daß die Verordnungen der Rechtswirksamkeit entbehren, glaube ich nicht, daß der Herr Bundesjustizminister erklären will, sämtliche Herren des Bundesrats und insbesondere seine Fachkollegen, die Mitglieder des Rechts- und Verfassungsausschusses, seien aus politischer Frivolität zu ihrer Auffassung gekommen. Hier stehen sich die Auffassungen gegenüber, und es ist die Aufgabe der Gerichte, Herr Justizminister, zu untersuchen, wer recht hat. Hier ist dem unabhängigen Richter, hier ist dem Amtsrichter an jedem Orte die Aufgabe zugewiesen, zu untersuchen, ob diese beiden Verordnungen Rechtens sind und ob sie angewandt werden können. Das geschieht nun heute im Lande. Aber damit ist die Rechtsunsicherheit nicht behoben, und um die allein geht es uns zunächst mit unserm Antrag.
Herr Kollege Huth hat, ich weiß nicht, gegen wen, opponiert. Unsere Ausführungen hat er nicht berührt, indem er das Klagelied des Haus- und Grundbesitzes gesungen hat. Wir haben über den Haus- und Grundbesitz in diesem Zusammenhang kein Wort gesagt, weder am 12. Dezember noch heute. Wir haben schon am 12. Dezember dargetan, daß sämtliche Fragen der Mietanhebung, und was mit ihnen zusammenhängt, einer sehr ernsthaften Untersuchung bedürften, und wir haben uns angeboten, an dieser sachlichen Untersuchung teilzunehmen. Ganz bewußt haben wir zu den materiellen Fragen kein Wort gesagt; deshalb braucht man nach dieser Richtung hin gegen uns nicht zu opponieren. Was wir anstreben, ist ja gerade die sachliche Diskussion, ist die Untersuchung, was auf diesem umstrittenen Gebiet wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch ausgeglichen werden kann. Da haben wir keine Haltung, die von vornherein j a oder nein zu diesem oder jenem sagt. Aber um das zu ermöglichen, muß man Gelegenheit zur Beratung haben. Diese wollen wir mit unserem Antrag eröffnen, und wir bitten Sie, Ihre Stellungnahme doch noch einmal zu überprüfen und es sich nicht so leicht zu machen. Dabei werden Sie doch nichts anderes tun, als mitzuwirken und dem Zustand der Unsicherheit, der Bedrängnis und der Not, die besteht, ein wenig abzuhelfen. Denn man vergesse eines nicht: Mietverhältnisse sind nicht nur Rechtsverhältnisse. Mancher Ostvertriebene, mancher Gewerbetreibende, der nunmehr in Not kommt, weil die Miete erhöht wird, kann nicht dadurch ausweichen, daß er sich eine andere Bleibe sucht. Er ist an das Stück Raum, das er jetzt hat, gefesselt und gekettet, und er kann sehr leicht in Schwierigkeiten geraten.
Daß im übrigen Erhöhungen von Geschäftsraummieten alsbald auf den letzten Käufer abgewälzt werden würden, ist ebenfalls eine Binsenwahrheit. Wir sind bereit, über alle diese Dinge mit Ihnen sachlich zu diskutieren. Das kann aber nur im Ausschuß geschehen. Deshalb bitten wir Sie, unsere Anträge nicht abzulehnen, sondern ihnen zuzustimmen. Desto schneller kommen wir zu einer Lösung, desto rascher treten Sicherheit und Ruhe im Lande ein. Sonst wird das geschehen, was — um zum letztenmal die „Kölnische Rundschau" zu zitieren — in der Nummer vom 28. Januar zum Ausdruck gebracht wird: Moral und Recht werden in einen unlösbaren Konflikt gebracht. Helfen Sie mit, daß dies nicht geschieht!