Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß das Thema, das nunmehr hier berührt wird, nicht in so starkem Maße das Interesse des Hauses findet, wie dies beim Tagesordnungspunkt 1 der Fall war. Dennoch handelt es sich um Fragen, die in weiten Bevölkerungskreisen mit außerordentlicher Aufmerksamkeit betrachtet werden. Mit dem Antrag, den ich zu vertreten habe, begehrt die sozialdemokratische Fraktion die Aufhebung von zwei Verordnungen, die im Volksmunde „Nacht-und-Nebel-Erlasse" genannt werden, von Verordnungen, die in einem weitgehenden Umfange in die tägliche Mietpraxis eingreifen. Wir haben uns vor diesem Hause schon einmal bemüht, darzutun, daß wir erhebliche rechtliche Bedenken haben, der Bundesregierung zuzugestehen, auf diese Weise in bestehende Mietverhältnisse einzugreifen; und es war meine Aufgabe in der 180. Sitzung des Bundestages im Dezember .des vergangenen' Jahres, den Versuch zu machen, für diese unsere Rechtsauffassung den Beweis anzutreten.
Inzwischen sind diese beiden Verordnungen, deren Aufhebung wir begehren, in der Praxis angelaufen, und was sich hierbei ergeben hat, hat die kühnsten Vorstellungen derer übertroffen, die gewarnt und darauf hingewiesen haben, daß hier ein schlechter Weg, mindestens ein Weg mit. schlechten Mitteln beschritten werde. Die Bundesregierung hat alle Darlegungen rechtlicher Art, hat alle Versuche, darzulegen, daß die Verordnungen rechtsunwirksam sind, mit einer Handbewegung abgetan. Sie hat der Öffentlichkeit in keiner Weise eingehende Darlegungen zur Prüfung unterbreitet, sie hat zum anderen ihr nicht genehme wissenschaftliche Gutachten mit einer geringschätzigen Handbewegung beiseite geschoben. In diesen wissenschaftlichen Untersuchungen ist im einzelnen dargetan, was wir in der ersten Bundestagsdebatte nur recht unzulänglich darlegen konnten. Es zeigt sich heute in der Praxis aus der Anwendung der beiden von uns angegriffenen Verordnungen in erschütternder Weise, daß eine Rechtsunsicherheit festzustellen ist, die jedem, dem daran liegt, den Rechtsstaat mitzugestalten, bedenklich erscheinen muß. Ich habe bereits gesagt, die Bundesregierung hat sich den vernehmlichen Warnrufen, die ertönt sind, verschlossen. Es wird zwar hier und da von einem Rechtsgutachten der Bundesregierung gesprochen; es ist mir nicht zugänglich gewesen. Ich habe lediglich in der Nr. 14 des amtlichen Bulletins vom 2. Februar 1952 Darlegungen aus der Feder des Oberregierungsrats Dr. Weitnauer aus dem Bundesministerium der Justiz gelesen, die immerhin in mancher Hinsicht bemerkenswert sind. Er glaubt — obwohl auch den Herren im Ministerium die Unruhe und Unsicherheit in der Öffentlichkeit nicht unbekannt geblieben sein können —, es sei nicht notwendig, über die Rechtsgültigkeit der Verordnungen etwas zu sagen. Mit der lapidaren Feststellung, die Bundesregierung halte die Einwände nach wie vor für unbegründet, ist dieser Teil seiner Darlegungen abgetan. Am Schluß meint er, es bestehe keine Gefahr, daß von der Willkür des Vermieters abhängend etwa Mietverhältnisse und damit Existenzgrundlagen gefährdet würden. Ich glaube, hier hat ein Mann aus der Theorie gesprochen. In der Praxis werden uns unzählige Beispiele dafür angeboten, daß mit diesen beiden Verordnungen eine weitgehende Gefährdung der Existenz vor allen Dingen vieler Gewerbetreibender eingetreten ist.
Ich habe soeben gesagt, die Bundesregierung hat nicht erkennen lassen, daß sie sich darum bemüht, mit den Argumenten fertigzuwerden, die ihr entgegengehalten wurden. Das Gutachten, von dem gelegentlich gesprochen wurde, ist nicht publiziert, mindestens ist es keinem breiten Personenkreis bekanntgeworden. Aber über die Hintertreppe ist doch eine gewisse Aktivität entfaltet worden. Ich meine damit die recht unangenehme Tatsache, die uns dazu bewogen hat, einen besonderen Antrag einzubringen. Ich meine die Tatsache, daß ein dringender Verdacht nach der Richtung hin besteht, daß aus der Bundesregierung heraus der Versuch gemacht worden ist, einem rechtswissenschaftlichen Kritiker und einer Publikation in einer Rechtszeitschrift erhebliche Hemmungen entgegenzustellen.
Ja, man hat den Versuch gemacht, und zwar mit Erfolg, die Redaktion dahingehend zu beeinflussen, daß wesentliche Darlegungen für die Praxis, nämlich der Hinweis darauf, daß die Amtsgerichte befugt seien, die beiden Verordnungen für rechtsunwirksam zu erklären, gestrichen wurden.
Wir werden auf dieses merkwürdige Kapitel, das in einem diametralen Gegensatz zu oft gehörten Erklärungen des Herrn Bundesjustizministers über den Rechtsstaat steht, noch zu sprechen kommen. Wir unterstellen, daß dem Herrn Bundesjustizminister selber dieser Schritt nicht bekannt war und daß er ihn gemißbilligt hätte.
Andererseits gibt die Bundesregierung doch irgendwie zu erkennen, daß ihr mit dieser Behandlungspraxis nicht wohl ist. In den letzten Tagen ist bekanntgeworden, daß die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes vorgelegt hat. Es fällt schwer, keine Satire zu reden. Ein Gesetz zur Ergänzung einer Verordnung ist ein staatsrechtliches Kuriosum, das meines Wissens in der deutschen Staatsrechtspraxis noch keinen Vorläufer hat. Die Vermutung liegt nahe, daß das Bundesjustizministerium selber und damit die gesamte Bundesregierung erkannt hat, auf welch unsicherem Boden sie sich mit ihren Verordnungen bewegt hat, und daß die vom Bundesrat und mit diesem Antrag verlangte förmliche Außerkraftsetzung der beiden angefochtenen Verordnungen in erster Linie aus falsch verstandenen Prestigegründen verweigert wird.
Es ist nicht meine Aufgabe und dies nicht der Ort, in erschöpfender rechtsgutachtlicher Weise die Gründe im einzelnen zu untersuchen und vorzutragen, aus denen sich die Rechtsunwirksamkeit beider Verordnungen zwingend ergibt. Es seien deshalb nur die wichtigsten der Argumente erwähnt und denen der Bundesregierung gegenübergestellt. Ich beziehe mich ganz allgemein auf die bekanntgewordenen rechtsgutachtlichen Untersuchungen, die sich in einer Reihe von Zeitschriften bereits finden, und ich beziehe mich vor allen Dingen auch auf die Feststellungen des Bundesrates, wenn ich kurz drei Gründe anführe, die die Rechtsunwirksamkeit der Nacht-und-Nebel-Erlasse aua dem November dartun. Nach der Ansicht derjenigen, die bisher in der Öffentlichkeit Stellung genommen haben und die Rechtsunwirksamkeit behaupten, sowie nach der Auffassung des Bundesrates darf festgestellt werden, daß sich die Rechtsunwirksamkeit der Verordnungen u. a. aus folgenden drei Gründen ergibt:
1. Die Ermächtigung in § 2 des verlängerten Preisgesetzes ist wegen Widerspruchs gegen die Art. 80 Abs. 1 und 129 Abs. 3 des Grundgesetzes unwirksam bzw. erloschen, da bekanntlich nach dem Grundgesetz solche Ermächtigungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß klar bestimmt sein müssen und auch Gesetzesänderungen nicht enthalten dürfen. Dies gilt aber hinsichtlich der Verordnung z. B. über die Preisrechtsregelung, der Verordnung Nr. 71 — und bezüglich der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz gilt das gleiche —, da die im § 53 Satz 2 des Mieterschutzgesetzes enthaltene Ermächtigung ebenfalls gegen Art. 80 bzw. Art. 129 des Grundgesetzes verstößt.
2. Da beide Verordnungen gemäß Art. 84 bzw. Art. 85 des Grundgesetzes durch die Länder in eigener oder Auftragsverwaltung auszuführen sind, ist die Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 80 Abs. 2 des Grundgesetzes erforderlich.
3. Da die Verordnung PR Nr. 71 grundlegende Auswirkungen auf den gesamten Preisstand auslöst, hätte sie gemäß § 1 des Preisgesetzes der Zustimmung der Rechtsnachfolger des Wirtschaftsrates, d. h. des Bundestages und Bundesrates, bedurft. Wissenschaftliche Untersuchungen, von denen hier nur die von Bettermann genannt sei, schließen sich den Argumenten des Bundesrates an und fügen hinzu, daß sich aus § 2 des Preisgesetzes überhaupt keine Ermächtigung zur Preisfreigabe der Mieten herleiten lasse, nachdem die Ermächtigung des Leitgesetzes vom 24. Juni 1948 bei der erstmaligen Verlängerung des Preisgesetzes aufgehoben worden sei.
Wir schließen uns diesen Bedenken gegen die beiden genannten Verordnungen in vollem Umfange an. Die in das Grundgesetz aufgenommenen Bestimmungen der Art. 80 und 129, die miteinander in einem unleugbaren logischen Zusammenhang stehen, sollen gewährleisten, daß sich der Gesetzgeber der ihm eigenen Aufgabe der Gesetzgebung nicht entziehen kann, und auf der anderen Seite verhindern, daß die Exekutive durch ein ausgedehntes Verordnungsrecht die Legislative an sich zieht. In den genannten Vorschriften bekennt sich das Grundgesetz zu dem in Art. 20 aufgestellten, unsere Staatsform kennzeichnenden Prinzip der Gewaltentrennung. Dieses Prinzip wird durchbrochen, wenn der Exekutive Verordnungsermächtigungen ohne feste Umschreibung nach Inhalt, Zweck und Umfang erteilt werden, ja erst recht, wenn die Exekutive in der Lage ist, geltendes Gesetzesrecht durch Verordnung zu ändern oder aufzuheben.
Es bleibt mir aus Zeitmangel nichts anderes übrig, als einen Teil der begründenden Ausführungen in die Diskussion zu verlegen. Ich darf zusammenfassend erklären: meine Freunde vertreten die Auffassung, daß wir mit unserem Antrag weitgehend den Erfordernissen des Alltags Rechnung tragen und daß unsere Anträge eigentlich auch im wohlverstandenen Interesse der Bundesregierung liegen, weil sie geeignet sind, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben, und weil sie den Weg zu einer Regelung weisen, die den Erfordernissen der Praxis entspricht, die Interessen der Beteiligten abwägt und dennoch nicht in dem Durcheinander der Argumente und in der Ungewißheit über die Rechtswirksamkeit von Verordnungen stehenbleibt.
Wir haben mit unserem Antrag klar eine Aufhebung der Verordnungen verlangt, aber gleichzeitig mit der Ziffer 2 zu erkennen gegeben, daß wir zu sachlichen Erörterungen bereit sind. Wir
weisen damit die Bundesregierung darauf hin, daß diese Bereitschaft — die eine Bereitschaft des ganzen Hauses sein dürfte —, am besten dadurch zu einem effektiven Erfolg führen kann, daß die Bundesregierung diesem Hause ein Gesetz vorlegt, bei dessen Beratung wir uns dann über Einzelfragen unterhalten werden. Wir wollen hoffen, daß diese unsere Auffassung in diesem Hause auf Grund der Kenntnis der Schwierigkeiten, zu denen die beiden .Verordnungen im Alltag geführt haben, ein breites Echo findet und daß wir heute zu einer Beschlußfassung kommen, die sowohl die Interessen der Mieter als auch die der Vermieter aus der Atmosphäre der Stickluft und des Streits an jedem Ort herausbringt. Helfen Sie uns mit, saubere Verhältnisse zu schaffen, und helfen Sie uns mit, Verordnungen aufheben zu lassen, die nach unserer Auffassung rechtsunwirksam sind und für die ein Beschluß des Bundestags nur eine deklamatorische Bedeutung hätte, die aber dennoch, solange sie irgendwie angewandt werden, im Alltag Verwirrung stiften. Wir haben Verwirrung genug, und unser aller Wunsch muß sein, daß Ordnung herrscht.