Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des Bundesministers für Wirtschaft beschränkt sich darauf, zu dem Teil des Antrags Stellung zu nehmen, der sich mit der Verordnung PR Nr. 71/51 über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts vom 29. November 1951 befaßt. Der Antrag der Fraktion der SPD geht dahin, diese Verordnung außer Kraft zu setzen und für das Gebiet der Miete oder Pacht für Geschäftsraum und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke eine Neuregelung im Gesetzeswege zu veranlassen. Demzufolge würde nach der Auffassung der Antragsteller auf alle anderen Maßnahmen der Verordnung PR Nr. 71/51 zu verzichten sein.
Das Bundeskabinett hat sich nach langen eingehenden Beratungen bereits am 13. November 1951 zu den Preismaßnahmen der Verordnung PR
Nr. 71/51 entschlossen, weil eine Verbesserung der Ertragslage des Hausbesitzes unbedingt erforderlich erschien. Aus dem gleichen Grunde ist zur selben Zeit eine allgemeine Mieterhöhung im Ausmaß von 10 % mit Wirkung vom 1. April 1952 beschlossen worden; diese Verordnung wird in den nächsten Tagen Bundesrat und Bundestag zur Zustimmung vorgelegt werden.
Bei der Verordnung PR Nr. 71/51 hat die Bundesregierung die Frage, ob diese Maßnahmen von grundlegender Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung, seien, vor Erlaß der Verordnung eingehend geprüft. Da sie diese Frage, wie ich noch näher darlegen werde, verneinen mußte, hat sie im Rahmen der ihr zustehenden rechtlichen Möglichkeiten von dem Verordnungsweg Gebrauch gemacht.
Als Voraussetzung dafür, daß eine preisrechtliche Maßnahme nach § 1 des Preisgesetzes früher der Zustimmung des Länderrats bedurfte und jetzt auch der Zustimmung des Bundesrats bedarf, genügt nicht jede Einwirkung auf den Preisstand oder die Lebenshaltung; vielmehr kommen nur Maßnahmen von grundlegender Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung, in Betracht. Von einer grundlegenden Bedeutung der Verordnung Nr. 71/51 in diesem Sinne kann aber nach Ansicht der Bundesregierung keine Rede sein. Die Verordnung besteht zu einem wesentlichen Teil lediglich aus Maßnahmen zur Vereinfachung des Mietpreisrechts; insbesondere hat die Verordnung zu einem beträchtlichen Teil ohne wesentliche sachliche Änderung lediglich Verwaltungsvorschriften in die Form einer Rechtsverordnung überführt. Daß diese Teile der Verordnung in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts selbst dann nicht rechtsunwirksam sein würden, wenn im übrigen die Auffassung des Bundesrats zuträfe, ist in dem Beschluß des Bundesrats vom 18. Januar 1952 außer acht gelassen worden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 unter Nr. 17.
Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Verordnung Nr. 71/51 stelle ich folgendes fest. Die Bundesregierung geht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Rechtsausschusses des Bundestags zu § 1 des Preisgesetzes davon aus, daß nur die im Zeitpunkt des Erlasses einer Verordnung voraussehbaren Auswirkungen bei der Entscheidung über die Zustimmungsbedürftigkeit berücksichtigt werden können. Andererseits müssen aber nach Ansicht der Bundesregierung auch alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt werden. Soweit die Verordnung Nr. 71/51 die Freigabe der Geschäfträume betrifft, können ihre Auswirkungen nur unter Berücksichtigung des von der Bundesregierung dem Bundesrat inzwischen zugeleiteten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken beurteilt werden, weil der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Preisfreigabe mit der Freistellung vom Mieterschutz am 1. April 1952 und dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfällt. Zweck dieses Gesetzentwurfs ist es zwar, durch eine Anhebung der vielfach unverhältnismäßig niedrigen Altbaumieten die Ertragslage des Althausbesitzes zu verbessern und gleichzeitig die durch die Unterschiede des Mietpreisniveaus entstandenen Ungleichheiten der Wettbewerbsbedingungen zu beseitigen. Der Gesetzentwurf hat aber auch — und zwar in erster
Linie — zum Ziel, die Mieter vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen zu schützen und eine die Volkswirtschaft belastende Mietpreissteigerung zu verhindern. Deshalb läßt er Mietpreiserhöhungen lediglich bis zu einer ortsüblichen Höhe zu und sieht für die Übergangszeit eine Kostenmiete vor, die sich im Rahmen der Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes hält. Ohne Berücksichtigung des Inhalts dieses Gesetzentwurfs können also die Auswirkungen der Verordnung Nr. 71/51 nicht zutreffend beurteilt, geschweige denn die Voraussetzungen einer Zustimmungsbedürftigkeit bejaht werden.
Auswirkungen der Freigabe der Mietpreise für Geschäftsräume auf den allgemeinen Preisstand können sich bei preisgebundenen Gütern überhaupt nicht ergeben. Ebensowenig werden die Preise der Grundstoffe, der Verkehrsleistungen und der Leistungen der freien Berufe betroffen. Sind bisher Umsatzmieten oder -pachten vereinbart gewesen, z. B. bei Gaststätten, Bahnhofsgeschäften oder Tankstellen, so treten kaum Auswirkungen ein. Überdies hatten die Preisbehörden das Schwergewicht ihrer Tätigkeit in der Vergangenheit bereits auf die Wohnungsmiete verlagert, so daß bei Geschäftsräumen aller Art häufig schon bisher unkontrollierte Mieterhöhungen vorlagen. Auch darf bei preisfreien Gütern der Anteil und damit das Gewicht der Mietausgaben an den gesamten Geschäftsunkosten nicht überschätzt werden. Daß einzelne überhöhte Forderungen von Vermietern nicht als symptomatisch für die Entwicklung angesehen werden können, zeigt die erste Übersicht über die beanspruchten Mieterhöhungen in Bayern mit durchschnittlich 25 %. Auswirkungen für den gesamten Preisstand können daher auch nicht vorliegen.
Soweit es sich um die Mieten für Geschäftsräume handelt, die durch Neubau oder Wiederherstellung beschädigter Gebäude in der letzten Zeit neu gewonnen wurden, hat sich der Mieter auch regelmäßig durch langfristige Mietverträge gesichert, so daß Mieterhöhungen durch eine Kündigung des Mietverhältnisses nicht eintreten können. Liegen aber Mietverhältnisse über Geschäftsräume in Altbauten vor, die durch den Zeitablauf der früheren Mietverträge kurzfristig kündbar sind, so wird der Marktpreis bei preisfreien Waren schon deswegen durch eine Mieterhöhung nicht berührt, weil Geschäfte derselben Branche in Neubauten mit wesentlich höherem Mietniveau geführt werden, ohne daß dies in dem Preisstand der verkauften Waren seinen Ausdruck gefunden hätte. Ich glaube auch nicht, daß irgendein deutscher Staatsbürger bei der Deckung seines Bedarfs in ein Geschäft mit Altmiete geht, weil er glaubt, dort billiger kaufen zu können.
Auch mittelbar können daher breite Verbraucherkreise durch die Mietpreisfreigabe für Geschäftsräume nicht betroffen werden. Wo bisher schon, wie z. B. in Gebieten ohne Kriegsschäden oder in einzelnen Branchen, wie z. B. Filmtheater, eine ausgeglichene Marktlage für Geschäftsraum vorlag, werden sich mit Gewißheit stärkere Erhöhungen von Geschäftsraummieten nicht ergeben. Aber auch in den von Kriegsschäden betroffenen Gebieten hat die Errichtung behelfsmäßiger Ladenlokale teilweise zu einer völligen Befriedigung des Bedarfs geführt.
Die Freigabe der Übernachtungspreise kann ebenfalls nur partielle Auswirkungen zur Folge haben, da die Preisüberwachung auf diesem Gebiet schon bisher nicht in demselben Umfang wie bei Wohnraummieten gehandhabt wurde und auch zahlreichen Erhöhungsanträgen von den Preisbehörden stattgegeben worden ist. Die Entwicklung der Neubautätigkeit hat auch dazu geführt, daß die Verluste an Übernachtungsraum durch Kriegsschäden in der Zwischenzeit nahezu ausgeglichen wurden. Eine echte, preiserhöhende Tendenzen auslösende Mangellage an Übernachtungsraum liegt daher nur noch in wenigen Städten vor. Auswirkungen auf den gesamten Preisstand und die Lebenshaltung der breiten Massen der Bevölkerung im Sinne des § 3 des Verlängerungsgesetzes zum Preisgesetz vom 21. Januar 1950 sind tatsächlich nicht gegeben. Überhöhten Forderungen könnte übrigens auf diesem Gebiet auch mit den Mitteln des Wirtschaftsstrafrechts begegnet werden.
Der Gesichtspunkt, daß durch die Einführung eines Untermietzuschlags auch Kreise von sozial Schutzbedürftigen betroffen werden, könnte, selbst wenn er zuträfe, die Rechtmäßigkeit der Verordnung nicht berühren, weil feststeht, daß es sich dabei nur um partielle Auswirkungen handeln kann. Richtig ist zwar, daß der Untermietzuschlag von 5 °/o der anteiligen Leerraummiete bei gesetzlicher Untermiete eine Erhöhung der Untermiete zur Folge hat. Diese Erhöhung ist aber so geringfügig, daß sie die in § 3 des Gesetzes vom 21. Januar 1950 vorausgesetzte Bedeutung keinesfalls haben kann. Die durchschnittliche monatliche Leerraummiete in Mittelwohnungen des Althausbesitzes schwankt in Großstädten zwischen 6,60 DM und 13,20 DM pro Raum. Es handelt sich also auch nur um eine monatliche Mehrbelastung zwischen 33 und 66 D-Pf pro Raum. Bei Neubauwohnungen liegt zwar eine höhere monatliche Mehrbelastung, aber nicht über das Doppelte dieser Beträge vor.
Im übrigen wird der Untermietzuschlag von 5 % bei der gesetzlichen Untermiete nur in den Ausnahmefällen zugelassen, in denen ein Untermieter mit seiner Familie in den untervermieteten Räumen einen selbständigen Haushalt führt. Da nach den Ermittlungen der Bundesregierung schon vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 71/51 die weitaus überwiegende Zahl aller Untermietverhältnisse als frei vereinbart gelten konnte, wird nur ein Bruchteil der Untermieter durch diesen Untermietzuschlag wirtschaftlich belastet. Der Aufwand für die Wohnungsmiete bleibt überdies bei Untervermietung, wie sich aus der Natur der Untermietverhältnisse ergibt, regelmäßig hinter dem gewöhnlichen Mietaufwand für eine selbständige Wohnung zurück. Eine irgendwie erhebliche Auswirkung auf das Preisgefüge oder die Lebenshaltungskosten kann sich um so weniger ergeben, als der gerade von Flüchtlingen in Anspruch genommene bäuerliche Wohnraum auf dem Lande nicht der Verordnung Nr. 71/51 unterliegt.
In den Fällen, in denen bei frei vereinbarter Untermiete der Hauptmieter 20 % der anteiligen Leerraummiete an den Hausbesitzer abführen muß, ergibt sich eine Belastung für den Untermieter überhaupt nicht. Es handelt sich vielmehr lediglich darum, einen Teil des von dem Hauptmieter entgegen den bisher gültigen Preisvorschriften erzielten Übergewinns dem Hausbesitzer zugute kommen zu lassen. Dadurch, daß -eine gewisse Zahl von Hauptmietern durch einen verhältnismäßig geringfügigen Betrag belastet wird und den Hausbesitzern dieser Betrag zufließt, können unmöglich irgendwelche Auswirkungen auf den Preisstand und die Lebenshaltung eintreten; um, so weniger
kann davon die Rede, daß diese Maßnahme von grundlegender Bedeutung für den Preisstand sei. Abgesehen davon kann der Hauptmieter die Abführung des Untermietzuschlags jederzeit dadurch abwenden, daß er sich seinerseits auf die gesetzliche Untermiete beruft.
Wenn nach den Ergebnissen der letzten Wohnraumzählung im Bundesgebiet 3 Millionen Haushalte ohne selbständige Wohnung sind, so kann hieraus nicht gefolgert werden, daß die Betreffenden sämtlich zur Untermiete wohnen, da bei der Erfassung der Haushaltungen auch alle diejenigen Haushaltungen mitgezählt worden sind, die in eine andere Wohnung, z. B. bei Aufnahme der verheirateten Tochter in die Wohnung der Eltern, mit aufgenommen wurden. Daraus ergeben sich tatsächlich noch geringere als die dargelegten Auswirkungen der Vorschriften über Untermietzuschläge.
Wie meine Ausführungen ergeben, haben alle Maßnahmen, die durch die Verordnung Nr. 71/51 auf dem Gebiete der Raummiete getroffen worden sind, keine grundlegende Bedeutnug für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung. Diese Maßnahmen betreffen auch jeweils verschiedene Personengruppen. Sie sind also auch in ihrer Gesamtheit nicht von grundlegender Bedeutung für die Lebenshaltung.
Ich beantrage daher namens der Bundesregierung, den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Für das Gebiet der Geschäftsraummieten wird die durch den Antrag gewünschte Begrenzung von Erhöhungen im übrigen schon durch das jetzt dem Bundestag zugeleitete Gesetz zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken erreicht.