Rede von
Dr.
Eduard
Edert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Plos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (Plos)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Antragsteller Dr. Luchtenberg hat das hier vorliegende Problem so eingehend und so treffend dargestellt, daß mir zu diesem Gegenstand selbst zu sagen nichts mehr
übrig bleibt. Ich möchte aber die Gelegenheit wahrnehmen, die Bedenken, die mein hochverehrter Herr Vorredner geäußert hat, zu zerstreuen, insbesondere das Bedenken, daß vielleicht der geplante Beirat das Grundgesetz verletzen könnte. Wenn diese Frage von einem so hervorragenden Juristen gestellt wird, ist es selbstverständlich, daß wir sie im Ausschuß gründlich durchprüfen werden. Aber selbst wenn bei formaljuristischer Auslegung ein Haar in der Suppe bleiben sollte, ist hier vielleicht eine Gelegenheit, die Mahnung zu beherzigen, die kürzlich einer der bedeutendsten deutschen Gelehrten an uns Deutsche gerichtet hat, daß wir doch ein helles und ausgeräumtes Zimmer für das Einströmen des gesunden Menschenverstandes reserviert lassen möchten.
Ich kann mir einfach nicht denken, daß irgendeine Bestimmung des Grundgesetzes uns hindern könnte, einen Beirat bei dem Bundesministerium des Innern zu bilden, der keine Legislative und keine Exekutive hat, der einfach nur beraten, nur empfehlen will, der eine moralische Kraft, ein Ausdruck und ein Ventil der öffentlichen Meinung ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es den föderalistischen Charakter der Länder beeinträchtigen könnte, wenn sie ihrerseits aus freien Stücken dem Rat eines solchen Gremiums folgten. Gewiß, es wäre eigentlich logischer gewesen, wenn wir uns im Kulturausschuß dazu entschlossen hätten, eine gesetzmäßige Ordnung zu finden, indem wir einfach eine Rahmengesetzgebung für das Bildungswesen nach Art. 75 des Grundgesetzes schafften.
Aber der Weg ist umständlich und schwierig. Gerade auf Grund der Erfahrungen aus der Weimarer Zeit, die mein verehrter Herr Vorredner Dr. Kleindinst erwähnt hat, haben wir geglaubt, daß es besser sei, geistige Streitfragen auch auf einer geistigen Ebene zu lösen. Gerade darum haben wir diesen Vorschlag gemacht, der uns vielleicht praktisch schneller zum Ziele führt als der umständliche Weg der Änderung des Grundgesetzes.
Wären aber die verfassungsmäßigen Bedenken, die soeben erhoben worden sind, berechtigt, so müßten sie sich auch gegen die ständige Konferenz der Kultusminister richten.
Denn diese ist auch nicht im Grundgesetz verankert. Sie ist ein privater Zusammenschluß der Kultusminister. Ich begrüße diesen Zusammenschluß. Die Kultusminister haben sich aus gesundem Menschenverstand zusammengetan, einfach deshalb, weit ihre Aufgaben vielfach über die Ländergrenzen hinausreichen.
Nun hat man geltend gemacht, auch die ständige Konferenz selber könne ja als der gedachte Beirat wirken. Die Minister sind aber Politiker; jeder einzelne ist seinem Landtag verantwortlich. Es sind nicht Fachleute der Art, wie wir sie uns bei diesem Antrag denken. Gewiß, es sind unter ihnen anerkannt vorzügliche Pädagogen. Aber die Mehrzahl von ihnen sind doch Männer, die mehr um ihrer politischen als um ihrer pädagogischen Fähigkeiten willen auf den Sessel des Kultusministers erhoben worden sind. Der Sinn des Beirates ist jedoch, daß wir die Bildungs- und Erziehungsarbeit aus der Parteipolitik herausheben und sie auf die höhere Ebene geistiger Auseinandersetzung erheben, wo es sich einzig und allein um das Wohl und Wehe der deutschen Jugend handelt.
Der hier vorgesehene Beirat soll also aus anerkannten Sachverständigen bestehen, aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus den Kreisen der Kultusministerkonferenz, des Städtetages, der schon finanziell am deutschen Bildungswesen stark interessiert ist, aus den Kreisen der Kirchen, der Schulen, der Gewerkschaft der Erzieher, der Philologen, der Universitäten. Ich denke an Namen wie Eduard Spranger, der vor einiger Zeit hier zu Ihnen gesprochen hat, oder Theodor Litt in Bonn, Männer, deren Ruf weit über die Grenzen unseres Landes hinausreicht. Ich denke insbesondere an Vertreter der Elternschaft, die bei uns in Deutschland lange nicht genügend an dem Bildungs- und Erziehungswesen beteiligt ist. Ich glaube, daß solche Persönlichkeiten, die unabhängig von Legislative und Exekutive auf Grund ihrer fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen Lösungen suchen, die sich über den Streit der Parteien erheben, eine moralische Autorität darstellen; sie sind zugleich ein Ausdruck und ein Ventil der öffentlichen Meinung. Ich glaube, daß Persönlichkeiten dieser Art ein Länderparlament nachhaltig beeinflussen können, daß gerade die Kultusminister der Länder sich über eine solche Einrichtung freuen müßten. Ich kann mir sehr wohl denken, daß mancher von ihnen genötigt ist, seine pädagogische Einsicht den politischen Forderungen zu opfern.
Dieser Beirat würde schon einen großen Erfolg erzielen, wenn er nur dafür sorgte, daß unerprobte Experimente in den einzelnen Ländern vermieden werden.
Das Beispiel Schleswig-Holstein ist ein Schulbeispiel dafür. Eine sozialistische Mehrheit bringt das Gesetz über die sechsjährige Grundschule durch, zwei oder drei Jahre später schafft eine bürgerliche Mehrheit es wieder ab. Beide Schritte sind nicht richtig. Denn in beiden Fällen ist die Schulreform dort nach den wechselnden Mehrheiten des Landtags eingeführt. Schulreformen sind von weittragender Bedeutung und wirken auf Generationen hinaus. Sie sollten auf das sorgfältigste vorbereitet werden.
Gegenüber diesem Schnellverfahren in Schleswig-Holstein darf ich — wir sollen auch von unseren ehemaligen Gegnern lernen — das Verhalten der britischen Regierung darstellen, als sie 1944 ihr Schulgesetz durchbrachte, das von vielen Pädagogen als eins der besten in Europa betrachtet wird. Die Vorbereitung für dieses Gesetz hat fünf Jahre gedauert. Es gingen Vorbesprechungen in den einzelnen Ressorts voraus. Sie wurden ausführlich in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Regierung berichtete, und dieser Bericht wurde wiederum in der Öffentlichkeit erörtert und sorgfältig vom Parlamentsausschuß beraten. Als dann schließlich im Plenum verhandelt wurde, erreichte die britische Regierung 1944 — es war im Kriege — eine einstimmige Annahme. Selbst die Durchführung geht bei dem stark dezentralisierten Erziehungswesen in England langsam und in Anlehnung an die örtlichen Verhältnisse vor sich. Aber die entscheidende Vorbereitung und die entscheidende Leistung bei diesem Gesetz lagen in den Händen des Board of Education, dieses Erziehungsbeirats der englischen Regierung, der unserem Erziehungs- und Bildungsbeirat als Vorbild dienen soll. Aber auch dieser Board of Education hatte nur beratende Befugnis, keine gesetzgebende Gewalt. Er hat sein Ziel einfach durch die moralische Autorität erreicht,
Ich darf noch ein Wort über die Vereinigten Staaten — auch ein demokratisches Land — hinzufügen. Auch hier liegt die Schulhoheit bei den Staaten, so wie bei uns bei den Ländern. Es gibt keinen Kultusminister, aber im Innenministerium ein Erziehungsbüro, an dessen Spitze ein tüchtiger Schulmann mit einer Reihe von Mitarbeitern steht. Auch diese Stelle hat keine verwaltungsmäßige Befugnis. Sie beschränkt sich auf Empfehlungen. Trotzdem hat sie es erreicht, daß das amerikanische Schulwesen, obwohl im einzelnen in den Staaten manche Verschiedenheiten bestehen, in den großen Linien verhältnismäßig einheitlich ist.
Ich wiederhole: in beiden Ländern sind die öffentliche Meinung und die Elternschaft sehr stark mit dem Problem der Erziehung beschäftigt. Es ist bedauerlich, daß bei uns die Elternschaft einen viel zu geringen Einfluß auf die Gestaltung des Erziehungswesens nimmt. Was in diesen Ländern der alten Demokratien möglich ist, das sollte auch bei uns in Deutschland möglich werden. Daß wir mit dieser Forderung nicht allein stehen, mag Ihnen die Entschließung sagen, die namhafte Schulmänner auf der Weinheimer Tagung im November vorigen Jahres gefaßt haben. Ich bitte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze daraus vorlesen zu dürfen:
Die deutsche Schule bedarf einer Neugestaltung nicht allein ihres äußeren Aufbaues, sondern insbesondere ihres inneren Gehalts, die den geistigen und gesellschaftlichen Wandlungen der letzten eineinhalb Jahrhunderte gerecht wird. Das ist eine Aufgabe von höchster Verantwortlichkeit für die unmittelbar beteiligten politischen und fachlichen Kräfte, aber auch für die gesamte Öffentlichkeit. Sie soll der landschaftlichen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Vielgestaltigkeit unseres Volkes Rechnung tragen, soll dem Willen der Nation zur Einheit, der künftigen Wiedervereinigung mit den mittel- und ostdeutschen Gebieten und den übernationalen Bindungen unseres Volkes gerecht werden. Dieser Bedeutung und dieser Verantwortung wird durch das bisherige Verfahren bei den kulturpolitischen Gesetzgebungen in den Ländern, insbesondere durch die Beteiligung der Öffentlichkeit, nicht Genüge getan. Eine Neugestaltung des Schulwesens bedarf bei der großen Tragweite einer möglichst großen Mehrheit, damit sie auch bei wechselnden parlamentarischen Mehrheiten Aussicht auf Bestand hat. Wir appellieren an die Parteien, Parlamente und Regierungen, grundsätzliche Gesetze auf dem Gebiet der Schulen nur zu beschließen, wenn sie pädagogisch und politisch ausgereift sind. Das beste Instrument dafür wäre ein Gremium von unabhängigen erfahrenen Männern und Frauen, die nicht beschließend, aber begutachtend und beratend an der Neugestaltung des deutschen Schulwesens mitzuwirken hätten.
Das ist genau der Inhalt des Antrags, der Ihnen vorliegt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Antrag dem Kultur-Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen. Ich stelle diesen Antrag.