Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der beiden Verordnungen, die durch den Antrag der SPD angeschnitten ist, hat unsere Fraktion vor eine sehr ernste Entscheidung gestellt. Ich möchte vorausschicken, es unterliegt keinem Zweifel, daß das Mietrecht bisher von dem angestrebten Fernziel einer freien Marktwirtschaft weit entfernt ist, daß die Preisbindung der Miete an alte Gesetze dazu geführt hat, daß der Grundeigentümer mehr und mehr zum Steuereinnehmer wurde und daß die Mieter zum Teil von dem Kapital ihres Vermieters zehrten. Daher ist von vielen Seiten, auch hier im Hause, eine Auflockerung der Zwangswirtschaft seit Jahr und Tag gewünscht oder gar gefordert worden. Das alles ist durchaus unstreitig.
Daß man aber dann das Entsprechende durch eine Verordnung durchgeführt hat, zu der man sich ermächtigt geglaubt hat — ich weiß es nicht, vielleicht auch ermächtigt war —, ich sage es offen, hat auch meine Fraktion überrascht. Denn immerhin handelt es sich bei der Aufhebung des Mieterschutzgesetzes für die Raumbewirtschaftung doch um einen sehr tiefen Eingriff in unser gesamtes Rechtssystem. Schließlich sind es nicht nur einige Ladenbesitzer, es ist der gesamte Stand der freien Berufe, der auf solche Raumbewirtschaftung angewiesen ist. Daß es den Ärzten und den Anwälten in verschiedenen Bezirken sehr schlecht geht und
sie, wenn sie vor solchen Mietforderungen stehen, die Herr Kollege Jacobi hier vorgelesen hat, ihre Bude dicht machen können, darüber sollte man sich in allen Ministerien klar sein. Es handelt sich also hier um den Mittelstand des Grundbesitzes, dem geholfen werden soll, und die weitesten Schichten des gesamten Mittelstandes, die auf der anderen Seite dem Grundbesitzer durch höhere Mieten helfen sollen. Daß das nun durch die Verordnung so geschehen ist, daß das heute schwarz, morgen weiß gemacht wird, indem man von einer völlig gebundenen — rechtlich und preiswirtschaftlich gebundenen — Wirtschaft plötzlich zur freiesten aller Manchesterwirtschaften übergeht, nämlich ohne jede Preisbindung und mit völliger Kündigungsfreiheit, wie seit 1918 nicht mehr, das hat uns überrascht.
Aber ich muß ehrlich gestehen, die Überraschung geht weiter, wenn -wir erfahren, daß das der „Gesamtkonzeption" des Ministeriums gar nicht entspricht. Man wollte ja gar nicht so weit gehen; man meinte nur, man könnte nach der Auslegung des Grundgesetzes nur so weit gehen. Man wollte dagegen durch andere gesetzliche Methoden einen sanften Übergang herbeiführen, aber dazu brauchte man uns als Gesetzgeber. Da muß ich schon bitten, daß man uns über den „Gesamtkomplex" bemüht. Was jetzt — wir schreiben den 14. Februar 1952 — erreicht wird, ist, daß wir mit dem uns noch gar nicht vorliegenden neuen Gesetz — das den in der Tat höchst bemerkenswerten Titel führt „Gesetz zur Ergänzung der Vorschriften über die Aufhebung . . ."; „Gesetz zur Aufhebung" wäre es richtig zu betiteln — in einen ungeheuren Zeitdruck kommen, wenn wir es bis zum 1. April verabschieden sollen. Daß ein Gesetz, das dem Bundestag am 14. Februar noch nicht vorliegt, nicht bis zum 1. April verabschiedet werden kann, wenn schon zwischen Bundesrat und Bundesregierung in den wichtigsten Fragen verschiedene Meinungen obwalten und wenn dabei politische Grundsatzfragen erster Ordnung eine Rolle spielen, sollte meines Erachtens allen Ministerien klar sein.
Wir haben uns deshalb darüber zu beschweren, daß man diese Rechtsänderung auf einem wesentlichen, für weiteste Volkskreise selbständiger Existenzen entscheidenden Rechtsgebiet durch eine Verordnung — nicht „bei Nacht und Nebel", aber, ich sage es offen — wie Ziethen aus dem Busch herbeiführt. Das ist zu beanstanden. Wie kommen wir heraus? Die Frage der Grundgesetzgemäßheit können wir hier nicht entscheiden. Wir sind hier kein Gericht. Wir können sie auch nicht prüfen; beide Seiten, der Herr Justizminister sowohl wie Herr Jacobi haben vorgetragen, sie könnten diese Frage nur anschneiden. Weil es eine Frage. ist, die uns immerhin interessieren sollte, beantrage ich namens meiner Fraktion, den Antrag dem Rechts- und Verfassungsausschuß zu überweisen, wobei ich zugebe, daß dieser Ausschuß überlastet ist. Aber ohne die Überweisung geht es gar nicht.
Zum Schluß noch eines. Herr Justizminister, Sie haben ein Wort rein materiellen Rechts gesagt, das mich geradezu erschreckt hat. Nach Ihrer Meinung sind die heute ausgesprochenen Kündigungen bei den alten Raummietverhältnissen schon zum 1. April wirksam. Das halte ich für grundfalsch, und ich bitte, es doch zu prüfen, damit nicht etwa von hier aus für die gesamten Gerichte autoritär eine Meinung vertreten wird, die meines Erachtens bestimmt nicht zutrifft. Der § 2 Abs. 1 sagt, daß alle raumbewirtschafteten Grundstücke aus den Vorschriften des ersten Abschnitts des Mieterschutzgesetzes herausgenommen werden. In diesen Vorschriften steht, daß der Vermieter keinerlei Mietverträge kündigen kann. Man kann nur Mietaufhebungsklagen erheben, die nach dem Gesetz begründet sind. Man kann jedoch nicht kündigen. Wenn aber in Abs. 2 vom § 2 steht, daß Abs. 1 für die alten Mietverhältnisse erst mit Wirkung vom 1. April an gilt, dann folgt doch daraus zwangsläufig, daß man nicht schon vor dem 1. April kündigen kann; bis dahin kann man eben nur Mietaufhebungsklagen erheben. Ich bitte, das klarzustellen, daß in der Tat, wenn wirklich heute schon zum 1. April rechtswirksam gekündigt sein sollte, uns in unserer heutigen Not gar nichts anderes übrig bleibt, als die Verordnung aufzuheben. Das sage ich ganz offen. Bisher hat man angenommen, man könne das erstemal nach dem Zeitpunkt kündigen, wo das Mieterschutzgesetz für diese Räume nicht mehr gilt. Hat man heute schon rechtswirksam gekündigt, so prophezeie ich hiermit, daß wir unter der Herrschaft dieser Verordnung den Gekündigten mit dem neuen Gesetz nicht helfen werden; denn so schnell können wir auf keinen Fall hier im Bundestag arbeiten, wie uns hier — ich sage es ganz offen — ohne Not zugemutet wird. Für mich jedenfalls hängt die Frage, ob ich die Ausschußüberweisung beantragen soll oder ob ich meiner Fraktion dringend ans Herz legen muß, aus Rechtsgründen dem Antrag der SPD zuzustimmen, in erster Linie davon ab, wie diese Rechtsfrage hier autoritär geklärt wird.