Meine Damen und Herren! Kurz etwas zur Geschichte dieses Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde. In der Drucksache Nr. 1091 finden Sie einen Antrag der FDP, der die Regierung ersucht hat, einen derartigen Gesetzentwurf vorzulegen. In der Drucksache Nr. 1274 finden Sie den Beschluß des Aus schusses, der diesen Antrag übernommen und Ihnen empfohlen hat. In der Drucksache Nr. 2573, die Ihren Akten beigeheftet ist, finden Sie den Regierungsentwurf und die Beschlüsse des Ausschusses.
Die Befugnis dieses Hohen Hauses zur Gesetzgebung ergibt sich aus dem Art. 74 Ziffer 19 des Grundgesetzes, in dem im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung „die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe" erwähnt wird. Sie finden ferner in Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes den letzten entscheidenden Satz. Es heißt hier unter den Grundrechten:
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden.
Wenn Ihnen das Problem, das hier von dem Ausschuß für Gesundheitswesen angegangen wurde, klarwerden soll, dann erinnern Sie sich bitte kurz daran, welche Geschichte die Zahnheilkunde in den letzten 75 Jahren durchgemacht hat. Erinnern Sie sich an jene hübschen Zeichnungen aus Wilhelm Busch: den Mann mit der dicken Backe, den berühmten Schlüssel und die Zeichen des Schmerzes! Zur Zeit unserer Großeltern war das ganze Phänomen der Zahnheilkunde im Schmerz und in diesem einfachen Instrument erschöpft. Seit einem Dreivierteljahrhundert allerdings hat uns nun die medizinische Forschung in den Besitz von Kenntnissen gebracht, die jenen scheinbar so unbedeutenden Tatbestand für unser Leben und für unser ganzes Schicksal außerordentlich bedeutsam machen. Die Forschung hat uns mit der Lehre von der lokalen Infektion die Kenntnis vermittelt, daß aus einer Reihe solcher Herderkrankungen der Zähne rheumatische und Kreislauferkrankungen entstehen. Wir wissen inzwischen, daß ein großer Teil unserer Invalidität auf Kreislauf- und rheumatische Erkrankungen zurückgeht, und wir wissen, daß die finanzielle Entwicklung unserer Sozialversicherung weitgehend davon abhängt, wieweit wir mit Präventivmaßnahmen derartige Schäden für den Menschen verhindern können. Aus dem Zahn, der nur weh tat und der mit Brachialgewalt entfernt wurde, ist nun auf einmal etwas ganz anderes geworden. Die richtige Beschäftigung mit der Zahnheilkunde ist die Voraussetzung für jede erfolgreiche Gesundheitsfürsorge eines Volkes.
Die beiden Berufsgruppen, die im Augenblick in Deutschland noch in der Zahnbehandlung tätig sind, die Zahnärzte und die Dentisten, haben eine
völlig verschiedene Entwicklung genommen. Während die Zahnärzte von vornherein in enger Verbindung mit der medizinischen Forschung und der Gesamtmedizin -standen und in dieser wissenschaftlichen Entwicklung verblieben, haben die Dentisten mit einer handwerklichen Tradition angefangen, die sie bis zum heutigen Tag vorzüglich bewahrt haben. Sie sind dann gezwungen gewesen, sich mit ihren eigenen Mitteln immer mehr an das anzupassen, was die Forschung verlangt hat. Die Dentistenverbände haben mit Aufwand großer Mittel, großer Mühe und großen Fleißes vorzügliche Institute aufgebaut, in denen sie den Stand ihrer technischen Fähigkeiten dem Stand der naturwissenschaftlichen Medizin angenähert haben. Aber dieses System hat zu einer ganz sinnlosen und unrationellen Doppelgleisigkeit geführt. In dem Augenblick, in dem man weiß, daß sowohl die Heilkunde in ihrem ganzen Umfang als auch eine vorzugliche, hoch entwickelte technische Schulung und Ausbildung zur erfolgreichen Ausübung der Zahnheilkunde gehört, ist es sinnlos geworden, in Deutschland noch diese teuren Parallelinstitutionen zu unterhalten. Daß das eigentlich bereinigt werden müßte, wußten die Fachverbände schon einmal vor etwa 30 Jahren. Damals waren sie sich schon einig geworden, dem Gesetzgeber den Vorschlag zu machen, diesen Dualismus zu beseitigen. Seit einigen Jahren sind sie nun wieder vorstellig geworden, und man hat sich ihren Argumenten nicht entziehen können. So ist es zu diesem Gesetz gekommen.
Mit diesem Gesetz soll die Kurierfreiheit aufgehoben werden. Nach dem Heilpraktikergesetz des Dritten Reiches war zwar die Kurierfreiheit aufgehoben, nicht aber für die Behandlung von Zahnkrankheiten. Das wird nun in diesem Gesetz nachgeholt. Bei den Beratungen in einem Ausschuß, der sich im vorigen Jahr ein halbes Jahr lang mit der Heilpraktikerfrage und ihrer Problematik befaßt hat, ist niemals eine Einwendung erhoben worden; denn bei der Ausübung einer zahnärztlichen Tätigkeit nutzt selbst die größte Heilbegabung nichts ohne eine vorzügliche technische Ausbildung.
Man hätte den Stand der Dentisten auslaufen lassen und darauf verzichten können, den Dentisten im Augenblick die Approbation als Zahnarzt zu geben; man hätte eben nur die Ausbildung verbieten können. Aber es sprachen tatsächlich gewichtige Argumente dagegen. Ich erinnere an die Wirkung des unseligen Heilpraktikergesetzes aus dem Dritten Reich. Das basierte auf diesem Aussterbegedanken. Aber es stellte sich heraus, daß bei dem Zusammenschrumpfen der alten, sagen wir einmal, Peerbank, das Interesse der Angehörigen dieses Berufsstandes wieder wach wurde. Man hatte aus ökonomischen Gründen das Bedürfnis, die Zahl zu ergänzen — ganz unabhängig von allen anderen Problemen der Kurierfreiheit. Einer solchen Entwicklung wollte man entgehen. Deshalb hat man Ihnen die Approbation der Dentisten als Zahnärzte unter gewissen Kautelen vorgeschlagen.
In diesem Gesetz ist nicht die Rede von dem Stand der Zahntechniker. Die Zahntechnik ist ein Gewerbe. Dieses Gesetz befaßt sich nicht mit ihm. Man hat auch nicht daran gedacht, den Zahntechnikern durch dieses Gesetz etwa Existenzschwierigkeiten zu bereiten. Auf die Einzelheiten werde ich nachher zurückkommen.
Ich bitte Sie nun, sich einmal den § 1 des Gesetzes anzusehen. Dort finden Sie zwei Legaldefinitionen. Das eine ist die Definition des Begriffs „Zahnheilkunde" als „berufsmäßige, auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten". Sie merken, daß der Ausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf eine noch deutlichere Formulierung gewählt hat.
Die andere Formulierung, die Sie dort finden, ist
eine der entscheidenden dieses Gesetzes. Das ist
die Legaldefinition des Wortes „Krankheit":
Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.
Die Vertreter der Zahntechnikerverbände haben seinerzeit gefürchtet, daß dieses Einfügen der Worte „und des Fehlens von Zähnen" die Absicht ausdrücken soll, ihren seitherigen Tätigkeitsbereich zu beschneiden. Davon ist gar keine Rede. Diese Definition des Wortes „Krankheit" gibt es in Deutschland in höchstrichterlichen Entscheidungen nicht, es gibt sie nur in Entscheidungen aus der Praxis der Sozialversicherung. Hätte man die Worte „und des Fehlens von Zähnen" aus dem Begriff „Krankheit" herausgenommen, dann hätte man entsprechend dem § 193 der Reichsversicherungsordnung den Krankenkassen die Möglichkeit genommen, Entschädigungen für Zahnersatz ganz oder teilweise, je nach ihrer Satzung, zu gewähren; denn die Leistungen der Krankenkassen sind daran geknüpft, daß es sich um das Beseitigen oder Vorbeugen von Krankheiten oder Krankheitsschäden dreht. Das ist das einzige Motiv gewesen, das den Ausschuß veranlaßt hat, darauf zu bestehen, daß der Begriff „Fehlen von Zähnen" in die Definition des Wortes „Krankheit" hineinkommt.
Es wird Ihnen auffallen, daß Sie in dem ganzen Gesetz und auch in diesem entscheidenden Paragraphen keine Definition für das Wort Behandlung finden. Es ist der Versuch gemacht worden, das zu ändern. Die Zahnärzteverbände haben schon in jener Zeit, in der der Gesetzentwurf noch auf den Schreibtischen des Innenministeriums lag, versucht, einen Vorschlag zu machen, nach dem zur Behandlung auch noch die Herstellung von Zahnersatz gehörte. Das haben schon seinerzeit die Medizinalbeamten und Juristen im Innenministerium abgelehnt. Die Zahntechnikerverbände haben nachher uns im Ausschuß oder einzelnen Ausschußmitgliedern den Vorschlag gemacht, eine negative Formulierung in das Gesetz hineinzubringen etwa der Art: Die Erstellung von Zahnersatz ist keine Behandlung. Auch das ist von uns in völliger Überlegung der Folgen abgelehnt worden. Für den Begriff der Behandlung gibt es nämlich in Deutschland eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen, Entscheidungen des Reichsgerichts, des Bayerischen Landesgerichts und des Preußischen Kammergerichts, und diese Entscheidungen sind nun einmal geltendes Recht. In diesen Definitionen wird gesagt, daß Behandlung diejenige Raterteilung ist, deren Voraussetzung der Besitz des ärztlichen Wissens ist. In einem solchen Entscheid steht z. B., daß das Verpassen einer Plattfußeinlage nur dann Behandlung ist, wenn im Einzelfall dazu ärztliches Wissen Voraussetzung war. Durch diese Tatbestände der Rechtsprechung haben die Zahntechniker unserer Ansicht nach einen ausgiebigen Schutz; denn diese Definition für Behandlung erlaubt eben, jedem Einzelfall gerecht zu werden, auch wenn es sich um die Tätigkeit eines Zahntechnikers handelt,
Bei § 3 werden Sie einige weitere Abweichungen von der Regierungsvorlage finden. Es war hier das Anliegen unserer Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, die Ermessensfreiheit der Behörden bei der Erteilung oder Versagung von Bestallungen nach Möglichkeit einzuschränken; bei § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 1 und 2 haben ja FDP und CDU ein ähnliches Anliegen vertreten.
Sie finden weiter in § 6 eine Änderung der Regierungsvorlage. Hier hat sich allerdings der Ausschuß den Anregungen des Bundesrats versagen müssen, weil er grundsätzlich an einer einheitlichen bundesrechtlichen Regelung interessiert ist.
Ich darf Sie noch darauf aufmerksam machen, daß in § 19 a des Gesetzes folgendes steht:
Wer vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
die Zahnheilkunde ausgeübt hat, ohne im Besitz einer Bestallung als Arzt oder Zahnarzt
zu sein, darf sie im bisherigen Umfang weiter
ausüben.
Das bedeutet, daß durch dieses Gesetz keinerlei tatsächlich erworbene Besitzrechte in irgendeiner Form angetastet werden.
Zum Schluß darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß wegen des Problems der ärztlichen Schweigepflicht sich sehr lange und sehr gründlich mit der Frage befaßt hat, ob man unter die Strafbestimmungen des Gesetzes eine derartige Bestimmung aufnehmen soll. Der Ausschuß hat sich nachher entschlossen, nicht so zu verfahren, aber er hat sich entschlossen, zu Protokoll, also zu den Materialien des Gesetzes folgende Erklärung zu nehmen:
Der Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens des Deutschen Bundestags ist der Überzeugung, daß die Schweigepflicht des Arztes in gleicher Weise auch für den Zahnarzt gilt. Der Ausschuß ist durch den Vertreter des Bundesministers der Justiz davon unterrichtet worden, daß die Schweigepflicht aller Heilberufe im Rahmen einer Neufassung des § 300 StGB in Kürze eine grundlegende Neuregelung erfahren soll. Der Ausschuß stimmt dieser Absicht zu, da er selbst eine solche Neuregelung der Frage der Schweigepflicht im Sinne einer wesentlichen Verschärfung für notwendig hält. Mit Rücksicht auf die 'unmittelbar bevorstehende gesetzliche Neuregelung hat der Ausschuß davon abgesehen, in dem vorliegenden Gesetz die Frage der Schweigepflicht der Zahnärzte besonders zu behandeln, zumal nach überwiegender Ansicht der § 300 StGB in seiner jetzigen Fassung sich auch auf die Zahnärzte erstreckt, eine Ansicht, die vom Ausschuß in seiner Gesamtheit geteilt wird.
Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist im Ausschuß einstimmig beschlossen worden. Im Auftrage des Ausschusses bitte ich Sie um die Annahme des Gesetzes.