Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren fort in der Aussprache über die Punkte, die wir auf der Tagesordnung haben:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen
Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen
— Drucksache 10/617 —
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen
— Drucksache 10/620 —
Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF- Verhandlungen
— Drucksache 10/621 —
Zunächst zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ältestenrat verabredet — und gestern so beschlossen —, daß diese Debatte gestern und heute stattfinden, d. h. heute abend enden soll. Wir müssen damit rechnen, daß es heute abend drei namentliche Abstimmungen geben wird, die Zeit in Anspruch nehmen. Es ist nicht abzusehen — aber es ist möglich —, ob es eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach Schluß der Debatte geben wird. Deswegen sollten wir unsere Debatte so beenden, daß wir die Abstimmungen geordnet durchführen können.
Im Namen der Koalitionsfraktionen beantrage ich deshalb, zu beschließen, die Debatte heute bis 19 Uhr zu beenden.
Sie haben den Antrag gehört. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt diesen Antrag ab, und zwar aus dem schlichten Grund, daß der Beginn der Stationierung der neuen Massenvernichtungsmittel der NATO unmittelbar an den Schluß der Abstimmung gebunden ist. Wenn es nach uns ginge, würden wir über dieses Thema ad infinitum diskutieren. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
— Daß Sie da lachen, glaube ich. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der CDU/CSU ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir haben gestern miteinander versucht, d. h. alle Fraktionen, uns darüber zu verständigen, wie lange die Debatte dauern soll. Wir waren uns ja einig, daß sie gestern und heute stattfinden soll.Auch unser Angebot, so lange zu debattieren, daß alle Fraktionen das, was sie sagen wollen, in Ruhe sagen können, also genügend Zeit haben, ist nicht angenommen worden. Ich muß das ganz offen sagen, damit jeder weiß, worüber wir reden. Wir haben gesagt: bis 21 Uhr. Eine Verständigung darüber war nicht möglich, auch nicht über einen späteren oder früheren Zeitpunkt. Es war keine Verständigung möglich.
— Moment.Da von dem Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN gesagt wurde, daß unabhängig davon, wann die Aussprache beendet werde, vor der Abstimmung eventuell jedes Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben werde, die jeweils fünf Minuten dauern kann, müssen wir, wenn wir das Ende der Debatte festsetzen wollen, auf jeden Fall noch weitere
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2460 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Porznerdrei Stunden Redezeit einkalkulieren. Das müssen wir tun.Nur deswegen beantrage ich auch für meine Fraktion, die Aussprache um 19 Uhr abzuschließen, damit wir für den Fall, daß noch Erklärungen bis zu einer Länge von drei Stunden abgegeben werden, noch Zeit genug haben für die namentlichen Abstimmungen, die ja auch — es sind drei — zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen werden. Dann könnten wir die Debatte zu einer Tageszeit abschließen, die für uns alle akzeptabel ist.Deswegen also die Bitte um Zustimmung zu dem Antrag, den ich für meine Fraktion stelle: die Debatte um 19 Uhr zu beenden.Ich füge noch hinzu: Der Wunsch, der mir gegenüber geäußert wurde — die Fraktion der GRÜNEN möge auch heute eine bestimmte Redezeit erhalten —, wird schon allein dadurch erfüllt, daß wir entsprechend diesem Antrag beschließen. Es wird niemandem das Recht genommen, hier zu sprechen, so wie wir das bisher bei der Einteilung der Redezeit praktiziert haben. Das ist kein Abschneiden des Rechts auf Redezeit entsprechend der Stärke der Fraktionen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen mir nicht vor. Wer den gleichlautenden Anträgen von Herrn Schäuble für die Koalition und von Herrn Porzner zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
— Verzeihen Sie, es ist früh morgens. Der Präsident hat sich eben geirrt. Der Antrag ist angenommen, meine Damen und Herren. Ich danke herzlich für die Unterstützung aus dem Hause. Ich hoffe, es bleibt den ganzen Tag so.
Meine Damen und Herren, ich muß den Einspruch des Abgeordneten Vogt gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf auf die Tagesordnung setzen. Der Einspruch wird soeben verteilt. Die Abstimmung wird zu einem Zeitpunkt erfolgen, über den wir uns zu verständigen haben. Der Abstimmung geht keine Aussprache voraus.
Nun bin ich in der guten Lage, daß ich das dem Hause zurückgeben kann: Ich habe keine Wortmeldungen vorliegen, meine Damen und Herren. — Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat der Oppositionsführer, Herr Kollege Vogel, gegen mich einen schweren Vorwurf erhoben. Er hat mir ausweislich des Protokolls vorgehalten:Sie, Herr Wörner, meinen — er hat es erst vor wenigen Tagen gesagt —, man könne die Sowjetunion durch ein Wettrüsten überwinden.Ich habe mir inzwischen nicht nur die Pressemeldungen besorgt, sondern auch das Tonband jener Diskussion in Loccum, die ich übrigens mit dem Kollegen Bahr geführt hatte. Ich zitiere aus der Abschrift vom Tonband, was ich wirklich gesagt habe:
Ich gehöre sogar zu denen, die schon mittelfristig eine echte Chance für Abrüstung zu erkennen vermögen. Es gibt dafür mehr als ein Anzeichen, nicht nur, was die Bereitschaft des Westens, sondern auch was die Sowjets angeht.
Ich rede jetzt nicht von Genf, von der aktuellen Verhandlungssituation bei den Mittelstreckenwaffen. Darüber können wir uns gern in der Diskussion verständigen. Mir geht es um die Perspektiven.
Ich glaube, daß auch die Sowjetunion ein Wettrüsten herkömmlicher Art nicht mehr sehr lange durchführen kann, aus Gründen, die in der Unflexibilität und mangelndem wirtschaftlichem Erfolg des eigenen Systems liegen.Diese meine Hoffnung auf sowjetische Abrüstungsbereitschaft ist genau das Gegenteil dessen, Herr Vogel, was Sie mir unterstellen!
Dies wundert mich um so mehr, Herr Vogel, als ich wiederholt im Deutschen Bundestag meine Überzeugung — ich glaube: eindeutig — zum Ausdruck gebracht habe,
so z. B. am 16. September 1983 — ich zitiere noch einmal —:Wer das Mißtrauen aus der Welt schaffen will, muß sichere und nachprüfbare Vereinbarungen auf der Basis der Gegenseitigkeit und der Respektierung der Lebensinteressen auch des Partners treffen.
Dazu sind wir nicht nur bereit, wir suchen sie mit allen: in Genf, anderswo, an jedem denkbaren Verhandlungstisch. Die Sowjetunion darf sicher sein: wir wollen sie weder übervorteilen noch in die Ecke drücken noch in die Knie zwingen noch in den zweiten Rang zurückweisen. Sie soll bleiben, was sie ist: eine gleichberechtigte Supermacht.Das war meine Überzeugung, das bleibt meineÜberzeugung. Herr Vogel, hören Sie endlich auf,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2461
Bundesminister Dr. Wörneruns in die Ecke der Rüstungsfanatiker, der Anhänger des Wettrüstens drücken zu wollen.
Herr Minister — —
Gleich, gleich. — Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: wir sind nicht die Advokaten des Wettrüstens, wir sind leidenschaftliche Anhänger der Abrüstung, allerdings auf beiden Seiten, Herr Vogel.
Herr _Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte den Gedanken zu Ende führen. Dann ja.
Wir wollen doch mit der Sowjetunion keine Konfrontation. Wir wollen Zusammenarbeit mit ihr. Wir lassen jedermann und jede Nation und jedes Volk in Frieden leben. Was wir allerdings wollen, auch für unser Volk, ist, daß man uns in Frieden leben läßt. Nichts anderes wollen wir.
Herr Abgeordneter Vogel, bitte schön.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich diese Interpretation einer mißverständlichen Äußerung, die auch von vielen Teilnehmern an der Veranstaltung so verstanden worden ist,
daß ich diese Interpretation einer mißverständlichen Äußerung akzeptiere und für diese Klarstellung dankbar bin?
Auf dem Spiel steht ein Dreifaches: einmal die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und die Sicherheit seiner Burger. Wenn wir nicht mehr fähig sind, das zu tun, was zur Sicherung des Gleichgewichts erforderlich ist, verspielen wir mit unserer Sicherheit auch den Frieden.
Zum zweiten steht die Handlungsfähigkeit des Atlantischen Bündnisses auf dem Spiel. Ein Bündnis, das seine eigenen existenzwichtigen Entscheidungen nicht mehr durchsetzen kann, hat keine Zukunft. Drittens geht es um das Schicksal künftiger Rüstungskontrollverhandlungen. Wir können doch jede Aussicht auf beiderseitiger Abrüstung ein für allemal abschreiben, wenn die Sowjets wissen, daß sie unseren Rüstungsverzicht auch ohne Gegenleistung erreichen können, wenn sie nur lange genug warten und lange genug verhandeln.
Diejenigen, die seit langem immer wieder die westliche Verhandlungsposition — ich sage: die westliche Verhandlungsposition — in Frage stellen, haben dazu beigetragen, daß die Sowjetunion noch immer zögert, eine substantielle Gegenleistung für ein Abkommen anzubieten.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Sie haben mit ihrer unsinnigen Politik des einseitigen Druckes auf die westliche Position nur der sowjetischen Taktik des Abwartens und des Spiels auf Zeitgewinn Vorschub geleistet.
Denn die Sowjetunion steht eben nicht unter einem Meinungsdruck. Sie hat keine Opposition zu gewärtigen. Sie bestimmt ihre Interessen allein nach den Möglichkeiten, die sich ihr in Verhandlungen und im politischen Kräftespiel bieten. Im Unterschied zu unserem Lande werden dort eben Mitglieder der Friedensbewegung ins Gefängnis gesteckt oder des Landes verwiesen. Daß das bei uns nicht so ist und daß diese Ordnung, in der wir leben, frei und friedlich ist, dafür sorgt das Bündnis, dafür sorgt die Bundeswehr, dafür sorgen unsere Soldaten — und dafür verdienen sie unseren Respekt.
Darum sollten Sie von der SPD, statt die Schuld zu Unrecht beim angeblich mangelnden Verhandlungswillen der USA zu suchen, sich fragen, ob Sie mit Ihrem Abschied vom Doppelbeschluß nicht erheblich dazu beigetragen haben, daß es in Genf nicht oder noch nicht zu einer Einigung gekommen ist.
Da stellt sich Willy Brandt auf dem Parteitag der Sozialdemokraten hin, bezichtigt die USA der Sturheit
und behauptet, die Amerikaner seien an der Stationierung der Pershings mehr interessiert als am Abbau der SS 20.
Da kann ich nur fragen: Wer hat eigentlich diese Waffen gefordert? Es waren doch nicht die Amerikaner, es waren doch die Europäer, darunter Ihr früherer Bundeskanzler, die das getan haben.
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2462 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. WörnerIch muß, vor allen Dingen nach der gestrigen Debatte, als einer, der die Verhandlungsführung der USA nun mehr als ein Jahr erlebt hat und sie im einzelnen kennt, diese Darstellung der Amerikaner als einer Macht, die angeblich nur an Aufrüstung und nicht an Abrüstung interessiert ist, auf das energischste zurückweisen; sie hat mit der Wirlichkeit nicht das geringste zu tun, meine Damen und Herren.
Herr Brandt, warum sagen Sie, wenn Sie die Amerikaner schon an den Pranger stellen, in Ihrer Rede kein Wort zu der Tatsache, daß die Sowjets während der Verhandlungen — im übrigen: bis zum heutigen Tage — jede Woche eineinhalb Raketen in Stellung gebracht haben?
Ich möchte einmal wissen, was Herr Brandt gesagt hätte und sagen würde, wenn die Amerikaner während der Verhandlungen jede Woche eine Rakete in Stellung gebracht und die Sowjets Ruhe gehalten und nicht aufgestellt hätten.
Die Vorwürfe möchte ich dann hören.
Herr Bundesminister, erlauben Sie zunächst eine Zwischenfrage des Abgeordneten Soell? — Nein. Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reents? — Danke.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die ganze Einseitigkeit nichts anderes ist als eine Tarnung für den Abschied und die Flucht aus der Verantwortung, die Sie inzwischen vollzogen haben.
Tatsache ist: Die Amerikaner sind genauso vital wie wir Deutschen an einer Einigung in Genf interessiert. Sie haben ihre Kompromißbereitschaft mehrfach, und zwar durch konkrete Vorschläge, unter Beweis gestellt, und sie bleiben zum Kompromiß nicht nur fähig, sondern auch bereit. Darum bedaure ich es etwas, daß sich auch der frühere Bundeskanzler Schmidt diesen Vorwurf — allerdings, wie ich sagen muß, in wesentlich differenzierterer Form und sicher auch aus anderen Motiven — zu eigen gemacht hat; er müßte es eigentlich besser wissen.
Ist es so abwegig, anzunehmen, daß dabei ein bißchen das Bedürfnis eine Rolle gespielt hat, wenigstens einen Bruchteil an Übereinstimmung mit seiner eigenen Partei festzuhalten?
Sicher hat auch das Bedürfnis eine Rolle gespielt, seinen Nachfolger, Bundeskanzler Kohl am Zeug flicken zu können.
Mir tut das aus zwei Gründen leid: zum einen, weil ich Respekt vor der Haltung von Helmut Schmidt habe,
zum anderen, weil er jeden Beweis für seine Behauptung schuldig blieb. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache.
Während unserer einjährigen Regierungszeit haben die Vereinigten Staaten nicht weniger als dreimal neue Vorschläge in Genf vorgelegt, während man zur Regierungszeit von Bundeskanzler Schmidt ausschließlich bei der sogenannten Null-Lösung blieb. Dreimal in unserer einjährigen Regierungszeit!
Denken Sie an die Bereitschaft der Amerikaner zu einer Zwischenlösung
zwischen 50 und 450 Sprengköpfen auf beiden Seiten; 50 als Untergrenze! Denken Sie an die amerikanische Bereitschaft, auch die Pershings angemessen zu reduzieren! Denken Sie an die Bereitschaft, Flugzeuge einzubeziehen, oder an die Bereitschaft der USA, nicht die gesamten weltweiten sowjetischen Mittelstreckenraketen innerhalb Europas auszugleichen! Das alles sind doch substantielle Konzessionen. Das ist doch wesentliches Entgegenkommen an die sowjetische Adresse. Das sind doch genau die Anstrengungen, die Sie fordern. Was hätten die USA eigentlich noch tun sollen?
Die Waldspazierungsgangsformel? HelmutSchmidt weiß so gut wie wir, daß die Sowjets sie sofort vom Tisch gewischt haben und sie auch nachher noch mehrmals mit großem Nachdruck abgelehnt haben.
Daran hätte auch er nichts ändern können.Ich sage dazu: Alle diese amerikanischen Vorschläge sind in engster Zusammenarbeit, in pausen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2463
Bundesminister Dr. Wörnerloser Fühlungnahme mit dem deutschen Bundeskanzler, mit Helmut Kohl, erarbeitet worden.
Sie sind zu einem großen Teil auf unsere Anregung, auf Anregung von Bundeskanzler Kohl zurückzuführen. Und da werfen Sie uns vor, wir hätten keine dringenden und drängenden, schon gar keine sichtbaren und hörbaren Anstrengungen unternommen!
Entscheidend ist nicht die spektakuläre Betriebsamkeit; was zählt, sind die Ergebnisse;
und die können sich sehen lassen.Und dann — da war ich etwas verblüfft— vermißt Helmut Schmidt Arbeitsbesuche in Washington und Moskau und die Einschaltung unserer europäischen Verbündeten.
Da kann ich nur sagen: Wo war er eigentlich im verflossenen Jahr?
Genau das ist doch geschehen. Ich will jetzt nicht alles aufzählen. Das würde zu lange dauern. Aber der Bundeskanzler war allein dreimal zu intensiven Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten in den Vereinigten Staaten. Ich rechne jetzt nicht die zahllosen Briefkontakte, die Telefongespräche, die Besuche von Shultz hier, die Besuche von Bush, die Gespräche, die es mit ihm gegeben hat. Immer standen die INF-Verhandlungen im Vordergrund.
Wir haben uns mit den europäischen Verbündeten getroffen: mit Präsident Mitterrand, mit Premierministerin Thatcher.
Mit dem Generalsekretär Andropow sind vom Bundeskanzler zweimal Vier-Augen-Gespräche geführt worden,
mit Ministerpräsident Tichonow zwei Gespräche,
mit Ustinow, mit Gromyko. Der deutsche Außenminister hat erst vor kurzem neun Stunden in Wien mit Gromyko gesprochen.
Da kann ich nur sagen: Wir haben getan, was einedeutsche Bundesregierung auch nur tun konnte, umdie Interessen des deutschen Volkes wahrzunehmen.
Ihr Vorwurf, wir hätten — ich zitiere — Spielräume deutscher Politik vergeben, geht nun wirklich ins Leere. Das Gegenteil ist richtig. Wir haben Spielraum zurückgewonnen. Man weiß in Washington und in Moskau, daß mit der deutschen Bundesregierung wieder zu rechnen ist,
weil sich Bundeskanzler Kohl auf eine stabile Mehrheit stützen kann und weil wir einen klaren und berechenbaren Kurs steuern. Auf uns ist wieder Verlaß.
Unsere Position in Washington und Moskau ist stärker geworden.Und jetzt möchte ich doch mal die Frage an Sie richten: Wie, glauben Sie wohl, sähe es mit der Stärke der deutschen Position und mit dem Spielraum der deutschen Politik unter einem Bundeskanzler aus, dem die eigene Partei in schnöder Weise in einer so existentiellen Frage der Außen- und Sicherheitspolitik die Gefolgschaft verweigert?
Völlig unverständlich ist mir Ihre Bemerkung, daß wir Deutschen zu Ihrer Regierungszeit, d. h. zu Zeiten von Bundeskanzler Schmidt und Bundeskanzler Brandt, in Moskau die wichtigsten Gesprächspartner waren, während wir heute nur noch wichtigstes Ziel für psychologischen und politischen Druck Moskaus seien.
Da können Sie wirklich nur Ihre eigene Partei, die SPD, meinen; die weicht doch spürbar und sichtbar vor diesem Druck zurück, meine Damen und Herren.
Nein, Herr Kollege Schmidt, so überzeugend und aufrecht Ihre Haltung zum Doppelbeschluß ist, so untauglich ist Ihr Versuch, vom Versagen Ihrer eigenen Partei durch unbegründete Vorwürfe an die Adresse von Bundeskanzler Kohl abzulenken. Darum hat es sich gehandelt.
Tatsache ist: Die Verhandlungen haben bis jetzt nicht zu einem Ergebnis geführt, weil die Sowjetunion auf ihrem Monopolanspruch bestanden hat und noch besteht. Dieser Monopolanspruch ist unvereinbar mit der Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger. Von den 360 Mittelstreckenraketen der Sowjets sind 240 auf unser Land gerichtet.
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2464 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. Wörner— Auf unser Land, sie bedrohen unsere Bürger, sie bedrohen unsere Städte. Wir werden uns mit dieser Bedrohung nicht abfinden. Die sowjetischen Raketen müssen weg, oder wir müssen ein Gegengewicht schaffen, das ihren Einsatz gegen unser Land unmöglich macht.
Das war und das bleibt der Zweck -des Doppelbeschlusses: Antwort zu geben auf eine sowjetische Bedrohung. Als er beschlossen wurde, gab es 140 sowjetische SS-20-Raketen, heute gibt es 360.
Jetzt frage ich Sie: Wo ist Ihre Antwort auf die mehr als verdoppelte Bedrohung?
Sie wollen auf die Stationierung verzichten. Nicht nur der französische Staatspräsident fragt sich da: Wo bleibt hier auch nur die schlichte Logik?
Wo bleibt unser eigenes Sicherheitsinteresse? Wo bleibt der Schutz unserer Bürger? Sie müssen doch dem Bürger draußen die Frage beantworten, wie Sie mit diesen sowjetischen Raketen fertig werden wollen, wie Sie verhindern wollen, daß sie eingesetzt werden.
Geben Sie doch eine Antwort darauf! Indem Sie sagen: Wir stationieren nicht, haben Sie doch mit dieser Bedrohung nichts angefangen. Sie sind ihr gewichen, meine Damen und Herren!
Wir haben schon in der Opposition j a zum Doppelbeschluß gesagt, und wir bleiben dabei.
Denn wir wollen auch in Zukunft sicher sein vor Krieg und Erpressung.
Wer auf Gleichgewicht verzichtet, verzichtet auf eine wesentliche Voraussetzung der Kriegsverhinderung.Was hat uns der sechseinhalbjährige Verzicht auf die Nachrüstung gebracht?
Haben die Sowjets auch nur auf die Aufstellung einer einzigen SS-20-Rakete verzichtet?
— Nein, die GRÜNEN geben die Antwort; dann muß es wirklich stimmen. —
Haben sie eine einzige Rakete als Antwort auf den einseitigen Abzug von 1 000 Nuklearwaffen im Jahre 1981 abgezogen
oder als Antwort auf den neuen Beschluß der NATO, noch einmal 1 400 Nuklearwaffen einseitig abzubauen? — Nein.
Haben alle unsere Vorleistungen, alle unsere einseitigen Verzichte auch nur einen Rüstungsstopp bei den Sowjets bewirkt, geschweige denn Abrüstung?
Die Antwort darauf ist ein klares Nein.Wer angesichts dieses unbestreitbaren Sachverhalts auf die Verwirklichung der. Nachrüstung verzichtet, der weiß ganz genau, daß er damit weder Abrüstung noch einen Rüstungsstopp erreicht. Das einzige, was er erreichen wird: Er verschafft der sowjetischen Politik der Vorrüstung einen einmaligen Triumph. Er gibt all jenen Politikern und Militärs in der Sowjetunion recht, die auf Macht und Rüstung setzen, und er verschafft ihnen einen Freibrief, einseitig ohne jedes Risiko weiterzurüsten. Das ist die Tatsache, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben.
Am Ende winkt dann für die Sowjetunion das Ziel ihrer militärischen Überrüstung, nicht der Krieg, sondern die Vorherrschaft über Westeuropa, gegründet auf überwältigende militärische Macht. Das aber wäre das Ende unserer Freiheit und unserer Unabhängigkeit. Andere mögen darauf verzichten, wir sind fest entschlossen, unsere Freiheit zu verteidigen.
Wie eigentlich — das ist meine Frage an die SPD — stellen Sie sich vor, daß man die Sowjets zum
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2465
Bundesminister Dr. WörnerVerzicht oder zur Verminderung ihrer Raketen bewegen sollte,
wenn Sie das einzig mögliche Druckmittel aus der Hand gegeben haben,
wenn Sie ihnen die Gewißheit geben, daß wir nicht stationieren, gleichgültig, ob die Sowjets nachgeben oder nicht, gleichgültig, ob sie weiter SS 20 aufstellen oder nicht? Ich frage mich: Warum sollten sie denn aufhören, nachdem sie die ganzen sechseinhalb Jahre nicht damit aufgehört haben? Warum sollten sie auch nur eine einzige Rakete abbauen? Was wollen Sie den Sowjets denn anbieten?
Wenn man so wie Sie verfährt — das ist das Gefährliche —, haben weitere Verhandlungen keinen Sinn; denn wir stehen dann mit leeren Händen da.
— Es ist noch nicht so lange her, Herr Kollege Ehmke, da haben Sie diese Überzeugung geteilt. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, Herr Kollege Ehmke, was Sie am 1. April 1981 hier im Deutschen Bundestag erklärt haben:
Auch die Hoffnung, daß einseitige Rüstungsverzichte des Westens solche des Ostblocks nach sich ziehen werden, wird durch die geschichtliche Erfahrung nicht belegt; im Gegenteil.
Der geschichtliche Ablauf zeigt, daß das Festhalten am NATO-Beschluß gegenüber dem Osten eine Voraussetzung dafür ist, daß man die Sowjetunion zu Verhandlungen und— jetzt kommt es —in den Verhandlungen zu für den Westen akzeptablen Ergebnissen bewegen kann.
Wie kommen Sie denn dazu, aus dem Doppelbeschluß auszusteigen? Das heißt doch nach Ihren eigenen Worten, daß dann Verhandlungen keine Erfolgschance mehr haben.
Wir bleiben am Fortgang dieser Verhandlungen existentiell interessiert. Jeder kann, jeder soll in unserem Volk wissen, daß nicht nur für jede der neu zu stationierenden Waffen eine andere abgezogen wird, sondern daß wir bereit sind, auch jede dieser neuen Waffen wieder abzuziehen oder zu verschrotten, wenn die Sowjetunion das gleiche mit ihren SS 20 macht.
Im Gegensatz zu den Staaten des Ostblocks sind wir als eine demokratische Nation dankbar für jede einzelne Waffe, die wir abziehen oder vernichten können.Ein Ausstieg aus dem Doppelbeschluß hätte verheerende Folgen für die Atlantische Allianz.
Wer, ob Freund oder Feind, könnte sich dann auf unsere Entscheidungen noch verlassen?
Wer würde uns noch ernst nehmen? Die Folgen in unseren Nachbarstaaten wären abzusehen. Sie glauben doch nicht, daß die Italiener, daß die Belgier, die Niederländer, die Dänen dann noch zum Doppelbeschluß stünden. Die Briten müßten sich im Stich gelassen fühlen, die Franzosen in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt.Und wie würden die USA reagieren? Sie würden sich langfristig von Europa abwenden, und diejenigen in den Vereinigten Staaten gewönnen die Oberhand, die einen Abzug der amerikanischen Truppen befürworten.
— Lieber Kollege Vogt, wenn Sie für einen Abzug der amerikanischen Truppen sind, wir sind es nicht. Passen Sie auf: Wenn die Amerikaner aus Europa und aus unserem Land abgezogen würden, hätten Sie bald keine Freiheit mehr, Ihre Meinung vorzutragen, schon gar nicht in einem freien Parlament.
Einer der bekanntesten amerikanischen Publizisten hat an die Adresse der Deutschen einen ganz beachtlichen Artikel geschrieben. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten aus diesem Artikel. Er schreibt dort:Aber Amerika hat nicht den Marshallplan für den Wiederaufbau Europas beschlossen oder 300 000 seiner Männer an Nordsee und Elbe geschickt, damit uns jetzt vorgehalten wird, daß sie nicht unsere gemeinsame Zivilisation verteidigen, sondern den Frieden bedrohen. Wenn die Amerikaner jemals gedacht hätten, daß dies die Überzeugung der Europäer sei, daß Eu-
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2466 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. Wörnerropa zwar die amerikanischen Truppen wolle,aber nicht bereit sei, ihnen die Waffen zu ihrereigenen und ihrer Alliierten Verteidigung zuzugestehen, dann würde es sicher nicht zustimmen, seine Truppen dort als Geiseln eines überlegenen sowjetischen Raketenpotentials zu lassen.Dem braucht man nichts hinzuzufügen. So ist die Stimmung in den Vereinigten Staaten. Und wenn dann jene Fernsehbilder gezeigt werden von Demonstrationen und von Blockaden amerikanischer Kasernen, dann wird sich der amerikanische Bürger fragen,
ob es Sinn macht, ein solches Land zu schützen. Deswegen sagen wir unseren amerikanischen Verbündeten und deren Soldaten: Sie sind unsere Verbündeten, Sie sind bei uns willkommen; wir stehen gemeinsam für Frieden und Freiheit.
Es genügt nicht, einfach die Kriegsgefahr zu beschwören und vom Frieden, den man erhalten will, zu reden oder zu predigen. Unsere Nachbarn im Westen, mit denen uns Freundschaft, Gemeinschaft und Bündnis verbinden, erwarten von uns mehr. Sie erwarten,
daß wir uns in die Last der gemeinsamen Verteidigung und in die Verantwortung für die Sicherheit, die Unabhängigkeit und die Freiheit Europas teilen.
— Ich greife diesen Zwischenruf auf: Sie tun es seit 30 Jahren, aber Sie tun es mit Ihrer gegenwärtigen Entscheidung eben nicht mehr. Das ist ja der Grund zur Sorge.
— Auch diesen Zwischenruf greife ich gern auf und sage Ihnen: Das formale Bekenntnis der SPD — oder sagen wir besser, um nicht vielen unrecht zu tun:
einiger in der SPD, inzwischen allerdings schon einer Mehrheit, denke ich — zur NATO bleibt doch ebenso unglaubwürdig wie nutzlos, wenn Sie es ablehnen, die Entscheidungen der Allianz mitzuvollziehen, wenn Sie dieser Allianz die Mittel zu ihrem Schutz verweigern.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheer?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Kollege Scheer.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es in der NATO nicht nur auf einen Konsens zwischen den Regierungen oder einem Teil der Regierungen ankommt, sondern vor allem auf einen Konsens in der Bevölkerung über entscheidende Fragen, um die es auch hier geht?
Dazu sage ich Ihnen zwei Dinge, Herr Kollege Scheer.Das erste. Entscheidend in einer Allianz ist vor allen Dingen, daß Entscheidungen, die gemeinsam getroffen wurden, auch gemeinsam durchgeführt werden und daß sich nicht einer verabschiedet, ohne daß sich die Verhältnisse geändert haben.
Das zweite, Herr Kollege Scheer. Es ist eine gefährliche Melodie, die Sie da anstimmen: die Melodie des Konsenses. Es ist Aufgabe verantwortlicher Politiker und verantwortlich denkender und handelnder Parteien, für die richtige Überzeugung die Gefolgschaft und die Überzeugung des Volkes zu gewinnen und nicht ihm nachzulaufen, meine Damen und Herren.
— Eines können Sie hier weder übertönen noch überschreien. Das ist den Bürgern draußen so klar wie uns hier. Sie suchen Ausflüchte, um zu verstekken, daß Sie Ihrer eigenen Überzeugung inzwischen untreu geworden sind.
Sie wissen natürlich auch, wie das mit der Gefolgschaft gemeint ist.
— Das wissen Sie so gut wie ich. Mir geht es darum,deutlich zu machen, daß uns Politikern von der Verfassung ein klarer Auftrag mitgegeben wurde, näm-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2467
Bundesminister Dr. Wörnerlich die Beteiligung an der Meinungsbildung unseres Volkes.
Wer, wenn nicht wir, die wir mit diesen Fragen ununterbrochen zu tun haben, kann denn überzeugen und für die richtige Politik werben? Wenn Sie die Demoskopen an die Stelle der Politiker setzen wollen, dann tun Sie das.
Wir werden Ihnen dabei nicht folgen; sonst könntenwir die Entscheidungen mit dem Computer treffen.
Wenn wir über die Einstellung der SPD zum Bündnis reden, dann gehört in diesen Zusammenhang auch Ihre Einstellung zur Strategie. Auch das macht nicht nur mich besorgt. Sie können nicht pausenlos die geltende Strategie des Bündnisses in Frage stellen, ohne eine andere, geschweige denn eine bessere Strategie anbieten zu können. Auch das höhlt das Bündnis aus, meine Damen und Herren.Ein weiterer Gedanke. Ohne Rückhalt im Westen wäre jede Bewegung unserer Politik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion mit einem hohen Risiko und mit der Hypothek der deutschen Schaukelpolitik zwischen Ost und West belastet.
Rückhalt aber findet nur der Zuverlässige. Europa kann keine Neuauflage der Wankelmütigen, der unberechenbaren Deutschen im Niemandsland zwischen West und Ost brauchen.
Sie haben früher gewußt und haben es hier ja auch immer wieder ausgesprochen, daß Voraussetzung einer erfolgversprechenden Ostpolitik eine stabile und eine geschlossene Westpolitik ist und bleibt. Heute haben Sie auch von dieser Überzeugung Abschied genommen.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung, mit der wir es zu tun haben, ist von ungewöhnlicher Tragweite.
Eines allerdings ist sie nicht: eine Entscheidung über Krieg oder Frieden.
Denn der Krieg wird nicht wahrscheinlicher, wenndie neuen Waffen kommen. Im Gegenteil, der Wegin den Krieg und ins Abenteuer wird noch unwahrscheinlicher.Ich möchte mich jetzt mit einem Argument beschäftigen, das gestern in der Debatte eine Rolle gespielt hat und viele unserer Bürger draußen bewegt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Nein.
Es geht um die Gefahr, die von vielen gesehen, von manchen beschworen wird, um die Vermutung oder den Verdacht,
es könne aus Versehen oder gar wegen eines Computerfehlers zu einem Krieg kommen.
Darauf möchte ich einige — wie ich hoffe, überzeugende — Argumente setzen.
— Sie bekommen jetzt die Tatsachen!Erstens. Die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen trifft im Westen wie im Osten nicht der Computer, sondern ausschließlich der Mensch.
Das Kontroll- und Alarmsystem ist bei beiden Supermächten so aufgebaut, daß nur die ersten Stufen von Computern gebildet werden, die ihre Informationen von Sensoren in Satelliten, von Frühwarnflugzeugen oder durch Radarstationen erhalten. Je weiter die Meldung in mehreren Sicherheitsstufen nach oben geht, um so mehr Menschen sind eingeschaltet, deren Erfahrung und Fachwissen die richtige Bewertung dessen, was die Maschinen, was die Computer gemeldet haben, sicherstellen.
Es ist sicher richtig, daß Fehler in technischen Systemen nie völlig auszuschließen sind. Gerade deshalb aber ist der Zuverlässigkeit und der Verbesserung der Kontrollsysteme von Anbeginn an hohe Bedeutung zugemessen worden.
Auf der technischen Seite ist eine Vielfalt von Systemen geschaffen worden, die sich im Sinne gegenseitiger Kontrolle überlagern und Fehler erken-
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2468 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. Wörnernen können, bevor menschliche Überprüfung überhaupt einsetzt.
Ich habe mir das in den Vereinigten Staaten selbst angesehen,
und ich wiederhole: Es sind mindestens fünf Sicherheitsstufen hintereinandergeschaltet, jedesmal unter Einschaltung von Menschen.
Was Sie einfach zur Kenntnis nehmen müssen, ist,
daß in der Regel die aufgetretenen Fehler bereits mit technischen Mitteln, nicht erst durch menschliche Auswertung festgestellt worden sind.
Das betrifft fast alle der von Ihnen genannten über 140 Fehlalarme im amerikanischen Frühwarnsystem. Alle anderen sind so rechtzeitig aufgedeckt worden, daß man noch nicht einmal in die Nähe einer gefährlichen Situation gekommen ist.
Zweitens. Einen Einsatz auf Verdacht, einen Raketenstart allein auf die Meldung hin, feindliche Objekte seien im Anflug, gibt es — im Unterschied zu dem, was Sie immer wieder behaupten — nicht.
Das gibt es weder in den Vereinigten Staaten noch in der Sowjetunion.
Das macht auch keinen Sinn, solange beide Supermächte genügend überlebensfähige Systeme haben, die der Gegner nicht ausschalten kann,
z. B. die auf See befindlichen Unterseeboote, mit deren Gegeneinsatz er rechnen müßte. Beide Supermächte wissen ganz genau: Ein nuklearer Überraschungsangriff ist völlig sinnlos.Drittens. Daran ändert sich auch durch die Stationierung der Pershing II nichts. Die U-Boote vor den Küsten zwingen die Vereinigten Staaten wie die Sowjetunion schon seit Anfang der 60er Jahre, mit ähnlich kurzen Warnzeiten zu leben. Ich wiederhole: Automatische Reaktion ist in Ost und West technisch, organisatorisch und politisch ausgeschlossen. Weder die Sowjetunion noch die Vereinigten Staaten von Amerika würden ein System der automatisierten Reaktion für sich akzeptieren. Dazu besteht um so weniger Anlaß, als die Systeme heute wesentlich überlebensfähiger sind als gestern.
Herr Bundesminister — —
Nein, Herr Präsident, ich sagte, ich will jetzt zu Ende reden.Im übrigen haben die auf uns gerichteten sowjetischen Raketen ebenso kurze Vorwarnzeiten. Was ich nicht nur mich frage, was ich vor allen Dingen Sie frage: Warum hat eigentlich niemand in den vergangenen Jahren behauptet, daß deshalb ein Nuklearkrieg als Folge eines technischen Fehlers oder eines Irrtums drohe?
Warum kommt Ihnen dieser Gedanke erst dann, wenn wir versuchen, ein Gegengewicht zu schaffen, und nicht dann, wenn die Sowjets solche Raketen in Stellung bringen?
Ich sage noch ein weiteres: Über diese Sicherheitsvorkehrungen hinaus haben alle drei westlichen Nuklearmächte schon in den 60er Jahren Abkommen mit der Sowjetunion getroffen,
die ununterbrochen direkte Nachrichtenverbindungen zwischen den nationalen Kommandozentralen sicherstellen. In den 70er Jahren haben die Nuklearwaffenstaaten jeweils Abkommen zur Verhinderung von Atomkriegen geschlossen, die sie zu Konsultationen in Krisenlagen verpflichten. Zusätzlich haben jetzt die Vereinigten Staaten der Sowjetunion in Genf 1982 und 1983 sowohl in den START- Verhandlungen wie in den INF-Verhandlungen, also an beiden Tischen in Genf — es wäre schön, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen könnten — besondere vertrauensbildende Maßnahmen vorgeschlagen. Diese amerikanischen Angebote sehen vor, daß beide Mächte alle beabsichtigten Flugversuche und Probestarts mit strategischen und Mittelstreckenraketen und alle größeren militärischen Übungen mit strategischen Nuklearstreitkräften ankündigen.
Würde die Sowjetunion dieses amerikanische Angebot annehmen, dann wäre auch schon die Möglichkeit irrtümlicher Wahrnehmungen in den technischen Systemen durch Frühwarnanlagen von vornherein vollkommen ausgeschlossen. Üben Sie jetzt einmal Druck auf die Sowjets aus, daß sie diesem vernünftigen Vorschlag folgen.
Meine Damen und Herren, der Beginn der Stationierung bedeutet weder das Ende der politischen
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Bundesminister Dr. WörnerOst-West-Beziehungen noch die Eröffnung einer neuen Runde des Wettrüstens.
Er kann sogar eine Chance für einen Neubeginn eröffnen, wenn die Sowjetunion begreifen lernt, daß eine europäische Friedensordnung nur auf gleiche Sicherheit gegründet werden kann. Die Sowjetunion kann in Europa nicht für sich eine Sicherheit erster Klasse, für die anderen Kernwaffenmächte eine Sicherheit zweiter Klasse
und für den Rest Europas, d. h. auch für die Bundesrepublik Deutschland, eine Sicherheit dritter Klasse fordern.
Darum ist es das Ziel unserer Politik, die Sowjetunion zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der Sicherheitsbedürfnisse beider Seiten zu bewegen. Solange die Sowjetunion als die mit Abstand stärkste und größte Macht auf dem eurasischen Kontinent, als die Macht, die allein von allen Staaten Europas die militärischen Kräfte für einen Angriffskrieg hätte, für sich ein Maß an Sicherheit beansprucht, das sie den schwächeren Ländern an ihren Grenzen verweigert, solange kann es zwischen ihr und dem Rest Europas keine Sicherheitspartnerschaft geben.
Partnerschaft setzt gegenseitige Anerkennung der gleichen Sicherheitsbedürfnisse voraus, setzt Rücksichtnahme aufeinander voraus, setzt Verzicht auf Drohmittel voraus.
— Ja, wir sind zu einer solchen Politik bereit. Wir suchen nicht Überlegenheit, sondern gleiche, nur gleiche Sicherheit.
— Soll ich es noch einmal wiederholen?
— Genau das habe ich erwartet. Ich habe das gefragt, um Ihnen deutlich zu machen, daß ich noch nicht die Absicht habe, meine Rede nach Ihren Erwartungen einzustellen, sondern immer noch die Absicht, das zu sagen, was ich für richtig erachte.
Kein verantwortlicher Politiker des Westens, schon gar keiner in der Bundesrepublik Deutschland, denkt daran, der Sowjetunion ihren Rang als einer gleichberechtigten Supermacht streitig zu machen. Wir bauen keineswegs auf militärische Macht allein. Abschreckung genügt auch für uns nicht. Anreiz und Angebot zur Zusammenarbeit müssen dazutreten. Wir sind leidenschaftlich für gleichgewichtige, beiderseitige Abrüstung. Daher sind wir der Auffassung — wir werden auch so handeln —, daß die Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West auf allen Ebenen fortzusetzen sind. Wir wissen: Der Schlüssel zum Frieden liegt im politischen Bereich, im Abbau der Spannungen, in der Bereitschaft zum Ausgleich und zum friedlichen Zusammenleben. Daher zielt unsere Politik auf nichts anderes als auf Zusammenarbeit mit allen, die guten Willens sind. Der Dialog, die politische Verbindung zwischen den Supermächten und auch zwischen uns und der Sowjetunion darf und wird nicht abreißen.
Praktische Koexistenzregelungen müssen gefunden werden. Nur so können politische Konflikte begrenzt und kontrolliert werden. Wir wollen mehr Begegnungen zwischen den Menschen, auch und gerade zwischen Russen und Deutschen. Das russische Volk will genauso wie das deutsche, wie das britische, wie das italienische, wie irgendein anderes Volk auf dieser Welt den Frieden. Die Russen wollen in Frieden leben und arbeiten. Der Friede wird dort gefährdet, wo man die Begegnung der Menschen, auch der Russen und Deutschen, behindet, wo man Mauern zieht, anstatt die Menschen zueinander zu lassen, meine Damen und Herren.
Und darum: Wer von Friedenspolitik redet, darf nicht nur von Waffen reden, der muß von diesem Stück des Friedens reden,
von den Menschenrechten und von der Begegnung der Menschen.
Wir streben nach einer politischen Ordnung in Europa und in der Welt, die auf Zurückhaltung, auf Mäßigung, auf Respekt und friedlichen Wettbewerb gründet. Wir finden uns nicht mit Rüstung, nicht mit Haß und nicht mit Krieg ab. Unsere Absichten und unsere Politik sind und bleiben friedlich. Wir wollen nur eines: daß immer mehr Menschen auf dieser Welt friedlich und frei leben und ihre Menschenrechte genießen können wie wir.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann sehr wohl verstehen, daß der Bundesverteidigungsminister in einer so entschiedenen Weise, wie heute geschehen, hinsichtlich seiner Politik, Rechtfertigung betreibt. Aber ich muß dazu zwei Anmerkungen machen, auf andere Punkte gehe ich noch ein.Punkt 1: Die Sicherheit des Herrn Bundesverteidigungsministers, die er zur Schau stellte, im Zusammenhang mit möglichen Computerfehlsteuerungen ist mir völlig unerklärlich angesichts der Tatsache, daß wir tagtäglich von Hunderten sehr
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Hornversierter Computerfachleute Eingaben bekommen. Diese Fachleute, die ihre Besorgnis zum Ausdruck bringen, verstehen von der Sache mehr als Herr Dr. Wörner und auch ich.
Punkt 2, Herr Dr. Wörner: Sie sagten heute morgen: Wir standen schon immer — Sie meinten damit die CDU/CSU — zum Doppelbeschluß. Das genau stimmt nicht. Sie standen nicht zum Doppelbeschluß, Sie standen zu der Nachrüstung. Das ist ein Unterschied.
Ich kann Ihnen das auch an Hand einiger Zitate belegen, die handfest sind. Gerade in der Frage des Doppelbeschlusses zeigten Sie ja eine bemerkenswerte Diskontinuität. Herr Kohl am 27. März 1981 in der „Augburger Allgemeinen":Die Vorstellung, die Nachrüstung könne durch erfolgreiche Verhandlungen am Ende ganz hinfällig werden, war von Anfang an nicht richtig gewesen.
Diese Illusion hat auch der Bundeskanzler — damit war Helmut Schmidt gemeint — leichtfertigerweise immer genährt.So damals Herr Kohl über Helmut Schmidt. Die Verhandlungen— so Herr Kohl weiter —sind kein Ersatz für eine angemessene nukleare Abschreckung.Wie will dieser Kanzler eigentlich die Bürger unseres Landes von der Seriosität seines Verhandlungswillens überzeugen, wenn er als Vertreter der Bundesrepublik mit dieser politischen Haltung für ein Verhandlungsergebnis wirbt?
Herr Dr. Wörner, Sie selber haben am 4. Februar 1981 gesagt:Für uns muß Vorrang haben die Verwirklichung des sogenannten Nachrüstungsbeschlusses, also die Modernisierung der Mittelstrekkenwaffen.So Dr. Manfred Wörner am 4. Februar 1981.
Ihm folgt Walther Leisler Kiep am 2. Mai 1981 im „Süddeutschen Rundfunk":Wir müssen zuerst rüsten, um dann wieder abrüsten zu können.Das ist der Geist, in dem diese Regierung auf die Verhandlungen einwirkte. Die SPD ist nicht bereit, Verantwortung für diese mutwillige Fehlhaltung der deutschen Bundesregierung zu übernehmen.
Herr Abgeordneter Horn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bahr?
Ja, gern.
Herr Bahr.
Herr Kollege Horn, nachdem der Bundesverteidigungsminister heute durch seine Ausführungen gezeigt hat, daß er unseren Ausführungen gestern nicht zugehört hat,
und nachdem er Ihnen eben nicht zugehört hat, frage ich Sie: Wären Sie bereit, ihm das Zitat noch einmal vorzulesen, damit er es zur Kenntnis nimmt?
Vielen Dank, Herr Kollege Bahr, für die Anregung. Ich werde ihm das Zitat sogar schriftlich übermitteln. Ich halte das für einen Verdrängungsakt von Herrn Wörner, weil er die Wahrheit nicht gern hören will.
Herr Abgeordneter Horn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein ?
Ich bitte um Vergebung, aber meine Redezeit läuft natürlich weiter.
— Herr Wörner hat genauso gehandelt. Danach richte ich mich.
— Bitte, ich bin bereit. Aber das ist die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse.
Herr Abgeordneter Klein.
Herr Kollege Horn, ich bedanke mich. Teilen Sie meine Auffassung, daß die Sowjets in vier Jahren, in denen nicht nachgerüstet wurde, nicht nur nicht abgerüstet, sondern weitergerüstet haben?
Herr Kollege Klein, es ist keine Frage, daß die Sozialdemokraten und ich als ihr Sprecher in diesem Augenblick die sowjetische Aufrüstungspolitik überhaupt nicht unterschätzen. Es kommt hier in dieser Diskussion darauf an: Welche politischen Mittel setzen wir ein, um diese Aufrüstung zu bremsen, herunterzudividieren und nicht eine neue Aufrüstung zu bewirken? Das ist der entscheidende Punkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa hat Erschütterungen zur Folge, die noch lange nachwirken. Ich kann sehr wohl nachvollzie-
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Hornhen, daß man — Herr Kollege Klein, da gebe ich Ihnen recht — gegenüber einem so hartnäckigen Verhandlungspartner wie der Sowjetunion glaubwürdig bleiben muß.
Die Erschütterung des gesamten Allianzgebäudes ist für mich jedoch ein viel zu hoher Preis; denn nicht der Doppelbeschluß, sondern Verhandlungen und Behandlungen des Doppelbeschlusses haben sich spaltend und nicht einigend auf die Allianz ausgewirkt. Der Doppelbeschluß ist inzwischen zum Zankapfel in unserem Bündnis geworden und belastet die Innenpolitik der Stationierungsländer.Die seit nunmehr fast 30 Jahren herrschende Übereinstimmung über Abschreckung und Verteidigung wurde in den Staaten des Bündnisses gefährdet. Zusätzlich wird das Bündnis durch Grenzverwischungen belastet, die besonders bewußt die deutschen Konservativen vornehmen. Die Stationierungsfrage wird von ihnen ständig mit der Bündnisfrage gekoppelt, die Bündnisfrage mit der Zustimmung zur Landesverteidigung und damit zum Instrument unserer Sicherheitspolitik, der Bundeswehr.
Dies mündet dann konsequent in die Unterstellung ein, die Gegner einer Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in Europa seien die fünfte Kolonne Moskaus.
Herr Kollege, habe ich richtig gehört: Demagoge?
Ja, das haben Sie.
Ich rufe Sie zur Ordnung.
Dieser Herr wurde zutreffenderweise von der „Süddeutschen Zeitung" als ein Beispiel des Zerfalls einer politischen Persönlichkeit charakterisiert.
Wer die Grenzlinien zwischen der Stationierungsfrage und der Allianzfrage verwischt und der SPD den aktiven Willen zur Landesverteidigung und zur Verteidigung des Westens im Bündnis bestreitet, der isoliert nicht nur die deutsche Sozialdemokratie, der isoliert nicht nur die sozialistischen Parteien in Griechenland, in Belgien, in Holland, in Dänemark, in Norwegen, in Großbritannien — nein, der drängt auch die christdemokratischen Parteien in den Niederlanden und in Belgien und ganz gewiß auch die dänischen Konservativen an den Rand dieser Allianz und sogar außerhalb dieser Allianz.
Was ist das für ein Bündnis, dessen Konsistenz, dessen innerer Zusammenhang durch konservative — nein, hier muß man schon sagen: durch reaktionäre — Kräfte im eigenen Bündnis gesprengt und in Frage gestellt wird?
Wir als Sozialdemokraten haben den Doppelbeschluß als eine Chance angesehen, als eine Chance, die auch teilweise wahrgenommen wurde, nämlich die Großmächte an den Verhandlungstisch zu bringen, um Ergebnisse zur Abrüstung zu erreichen.Ich füge freimütig hinzu: Der rein technische Vorgang der Stationierung von vorerst 41 Mittelstrekkensystemen in Europa ändert weder quantitativ noch qualitativ überhaupt etwas am globalstrategischen Gleichgewicht.Mit dem Tag der Stationierung — das sage ich auch an die Adresse der GRÜNEN — beginnt nicht der Untergang Westeuropas. Die Stationierung ist auf der anderen Seite auch nicht das Kennzeichen einer selbstbewußten, starken, von sich überzeugten Allianz. Diese Stationierung erscheint mir als Kennzeichen einer inneren Schwäche.
Der Härtetest mußte gemacht werden, um sich selber zu bestätigen. Die Stationierung von vorerst 41 Mittelstreckenraketen gefährdet weder die Menschheit noch bietet sie den Europäern wirklichen Schutz. Daß wir fünf Jahre lang stationieren, daran glaubt doch niemand im Bündnis von denen, die heute Verantwortung tragen. Ich bin sicher, daß die Weltmächte wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die Verhandlungen abgebrochen werden. Dann kommt es aber zu neuen Verhandlungen unter neuen Bedingungen, unter Bedingungen, die sich für uns Europäer grundlegend verschlechtert haben.
Unser Bündnis ist inzwischen angeschlagen, das Bündnis, das 30 Jahre Sicherheit und Schutz für die Bürger in ganz Westeuropa gewährte. Demokratische Parteien wie die holländischen Christdemokraten, wie die sozialistischen Parteien Skandinaviens und Großbritanniens, selbstverständlich auch eingeschlossen die deutschen Sozialdemokraten, die drei Jahrzehnte Säulen des Nordatlantischen Bündnisses waren, werden hier künftig einer Zerreißprobe unterzogen. Der Preis der Stationierung dieser Systeme ist viel zu hoch für die verlorene Sicherheit durch die Erschütterung im Bündnis.Otto von Bismarck, zu dem wir Sozialdemokraten sicher ein spannungsreiches Verhältnis hatten, unterschied sehr zutreffend zwischen Interessen- und Prestigepolitik. Die Verantwortlichen dieser Stationierung und hier zumal die jetzige deutsche Bun-
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Horndesregierung, die ihre politischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Verhandlungspartner verspielte, kennen jene Unterschiede nicht mehr. Die Politik, im Interesse unseres Landes unserem Volk die Zerreißprobe zu ersparen und den sicherheitspolitischen Konsens über einige Systeme zu stellen, ist zu einer reinen Prestigepolitik verkommen.Prestigepolitik, das ist das Stichwort für den politischen Vorgang im Zusammenhang mit dem Doppelbeschluß, der sich in den letzten eineinhalb Jahren vollzog. Gab es da wirklich keine Chance? Da gab es ein Modell nach jenem Waldspaziergang. Es wurde nicht ausgelotet, von beiden Seiten nicht. Die Frage der britischen und französischen Systeme war doch nicht nur ein Diskussionspunkt in der deutschen Politik. Auch in Amerika wurde darüber diskutiert. Auch sehr seriöse Leute in der ACDA forderten zu einem gewissen Zeitpunkt die Einbeziehung der Drittstaatenpotentiale in die Genfer Verhandlungen. Sicherlich kann man es unterschiedlich bewerten, welches System exakt welchem Tisch zugeordnet werden muß. Keine Frage aber ist, daß dieses Problem technisch lösbar war, wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre.
Daß diese Waffen im europäischen Gleichgewicht berücksichtigt werden müssen, haben die Sozialdemokraten gesagt, seit es diese Diskussion gibt. Der damalige Verteidigungsminister — schon auf dem SPD-Parteitag im Dezember 1979 —, das Verteidigungsweißbuch 1979 ebenso wie die Veröffentlichungen unter der Verantwortung des Bundesaußenministers in den Jahren 1980 und 1981
haben völlig zu Recht auch die britischen und französischen seegestützten Systeme zu den europarelevanten Raketen gezählt. Ich würde jede Wette eingehen, daß die Sowjetunion keinen Nachhilfeunterricht durch die Herren Apel und Genscher gebraucht hat, um die britischen und französischen Raketen zu entdecken.
Kompromißfähigkeit hat Helmut Schmidt als die Tugend der Demokraten bezeichnet. Herr Dregger, Herr Todenhöfer und Herr Kohl selbst warnten die Vereinigten Staaten permanent vor, wie sie es bezeichneten, „falschen" Kompromissen. Die demokratische Tugend des Kompromisses ist dieser Regierung abgegangen. Dadurch fehlt ihr in der Stationierungsfrage auch zu Recht der demokratische Konsensus innerhalb unserer Bevölkerung.
Theo Sommer fragt in diesem Zusammenhang nach der Rolle der Politik und sagt, daß sie von vornherein das Stiefkind der Militärplaner war. Die Strategen redeten von Eskalationskontrolle, als könnte irgend jemand die Entwicklung zum atomaren Holocaust noch verläßlich „kontrollieren", nachdem einmal die erste Kernwaffe eingesetzt worden ist. Sie sprachen von „Gleichgewicht", als ob das grobe Gleichgewicht zwischen den beiden Großen, auf das es in der Tat ankommt, säuberlich in lauter regionale Sub-Gleichgewichte aufgeteilt werden müsse. Sie schwärmten von „Stärkung der Glaubwürdigkeit", als ließe sich mit einem neuen Waffensystem verlorengegangenes politisches Vertrauen wiederherstellen. Man braucht gar nicht darum herumzureden, so Theo Sommer: „Die Militärs wollten im Grunde lieber die westliche Aufrüstung als östliche Abrüstung." Wer hier die Aussagen der Herren Kohl, Wörner und Leisler Kiep noch in Erinnerung hat, der weiß, daß nicht nur die Militärs so dachten, meine Damen und Herren.
— Sehr richtig, Herr Kollege Voigt; dem stimme ich völlig zu. —Rein militärisch gesehen sind diese Waffen ja auch überhaupt nicht nötig. Sie decken keine Ziele ab, die nicht schon in alten Zielkarteien enthalten sind. Die ihnen zugewiesenen Aufträge ließen sich auch mit modernen U-Boot-Raketen von See her ausführen. Das neue Aufrüstungsprogramm der USA mit 4 000 Cruise Missiles, 50 % Schiff-Schiff-, 50 % Schiff-Land-Raketen, übersteigt als Erneuerungspotential bei gleicher Qualität die vorgesehenen eurostrategischen Systeme bei weitem.Seit Kissingers Brüsseler Rede ist die amerikanische Nukleargarantie Zweifeln ausgesetzt. Mit der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstrekkensysteme werden diese Zweifel nicht beseitigt, im Gegenteil! So beschreibt es etwas ironisch ein Zeitgenosse:Bei jedwedem Druck auf jedweden Atomknopf, der die Existenz der Vereinigten Staaten aufs Spiel setzt, wird kein Präsident Raketen leichteren Herzens gegen die Sowjetunion starten lassen, bloß weil sie bei Bitburg stehen statt bei Pittsburgh. Wenn die ganze Eskalationsleiter morsch ist, nützt es wenig, ihr eine neue Sprosse einzuziehen.
Ob die Nachrüstungswaffen Amerika wieder fester an Europa ankoppeln oder ihm — im Gegenteil — stärkere Abkoppelung erlauben, das ist letzten Endes Glaubenssache und nicht beweisbar. Doch für die Zukunft unterstreiche ich besonders die Aussage meines Fraktionsvorsitzenden in seiner gestrigen Rede, daß der Beginn der Stationierung die Aufnahme neuer Verhandlungen sehr erschwert. Dennoch meine ich mit ihm: Wir wollen diese Verhandlungen, und wir wünschen ihnen Erfolg. Wir werden die Ergebnisse verantwortungsbewußt und mit großer Sorgfalt würdigen. Auch ein Verhandlungsergebnis auf niedrigerem Niveau auf beiden Seiten kann im Interesse abrüstungs- und rüstungspolitischer Erfolge einen Fortschritt darstellen.Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung:
HornSeit dem 30. Juni 1960, seit der bekannten Rede von Herbert Wehner gab es fast ein Vierteljahrhundert einen Konsens der großen demokratischen Parteien in diesem deutschen Parlament in der Frage der Sicherheitspolitik.
Ich möchte nicht, daß diese Übereinstimmung mutwillig gebrochen wird, und ich hoffe, daß wir alle dazu beitragen, den Konsens auch für die Zukunft zu bewahren.
— Ja, eben, Herr Kollege Ehmke. Denn was an Verdächtigungen, an Unterstellungen und auch an offenkundigen Unwahrheiten von der CDU/CSU gegenüber der deutschen Sozialdemokratie geäußert wird, ist schwerlich dazu angetan, diese Grundübereinstimmung für die Zukunft tragbar zu machen.
Dennoch erkläre ich meine persönliche Bereitschaft und die meiner Freunde, daß wir gemeinsam den schweren Aufgaben der Zukunft gerecht werden wollen. Herr Minister Wörner weiß ganz genau, wenn er zuhört, wovon ich spreche.
Die Mittelstreckenwaffen-Diskussion darf nicht von dem ablenken, meine sehr verehrten Damen und Herren auch von der Union, was uns in nächster Zukunft an Bündnisproblemen bevorsteht. Die konventionelle Verteidigungsfähigkeit unseres Landes kann nicht durch die Zustimmung zur Stationierung von atomaren Systemen in der Bundesrepublik Deutschland kompensiert werden. Diese Bundesregierung und speziell der Verteidigungsminister haben im vorigen Jahr eine intakte und im gesamten Bündnis hoch geachtete Bundeswehr von ihren sozialdemokratischen Vorgängern übernommen.
Nicht an Worte, sondern an den Maßstäben des Zustands der Bundeswehr werden wir künftig den Minister messen.
Bei Briefings auf der Hardthöhe vor internationalen Gremien, etwa dem Unterausschuß für Rüstungskooperation oder dem Unterausschuß „Konventionelle Waffen in Europa" des Militärausschusses der Nordatlantischen Versammlung, haben Offiziere und politische Leitung des Hauses übereinstimmend ein Bild von der Bundeswehr gezeichnet, wie es tatsächlich ist. Dort wurden Darstellungen gegeben, die auch viel beachtete Anerkennung in den Berichten dieses NATO-Parlaments erfuhren. Die SPD übernahm 1969 von der Union eine Bundeswehr mit 465 000 Mann. Unter Sozialdemokraten erst wurden die NATO-Ziele erreicht; 495 000 Mann,
12 Divisionen, zum erstenmal 36 Brigaden, die Erhöhung der Umfangszahl um 30 000 Mann und die Runderneuerung der gesamten Bundeswehr. Wenn CDU-Abgeordnete heute in die Vereinigten Staaten von Amerika oder in ein anderes Bündnisland fahren, dann werden sie mit Leistungsdaten versehen, die von Sozialdemokraten für die Bundeswehr geschaffen wurden.
Wir haben uns die Fähigkeit erworben — das wissen Sie doch ganz genau —,
innerhalb von 72 Stunden insgesamt 1,2 Millionen Soldaten ausgebildet und bewaffnet einsatzbereit zu halten. Gegen den harten Widerspruch des jetzigen Verteidigungsministers Dr. Wörner haben wir die Verfügungsbereitschaft eingeführt. Wir sind das einzige Land, in dem der Verteidigungsminister, rein rechtlich gesprochen,
die alleinige Entscheidung hat, Wehrpflichtige-während der Zeit von 12 Monaten im Anschluß an den Grundwehrdienst zum Wehrdienst in die Verfügungsbereitschaft einzubeziehen, und zwar für eine Dauer, über die er befindet. Das ist genau im Sinn des früheren Verteidigungsministers und Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der auf dem SPD-Parteitag sagte:Erste Priorität haben Soldaten und zweite Priorität deren Motivation. Dritte Priorität haben Bildung und militärisches Training. Und erst an vierter Stelle braucht man das Budget für Ausrüstung und Waffen.
— Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Klein! Das wissen Sie • doch ganz genau: Wenn alle Armeen innerhalb unseres Bündnisses den gleichen Mobilisierungscharakter und die gleiche Mobilisierungsfähigkeit hätten, dann wären wir längst in der Lage, die nukleare Schwelle ganz, erheblich zu erhöhen. Sie wissen, daß atomare Gefechtsfeldwaffen alleine dazu dienen sollen, gegenüber überlegenen konventionellen Kräften Abschreckung zu bieten. Wenn andere auch die gleichen Leistungen aufgebracht hätten wie wir, könnten wir eine höhere nukleare Schwelle und damit mehr Sicherheit bieten.
— Sie sagen: „Das kostet Geld." Hier könnte ich Herrn Wörner zum wievielten Male zitieren. Herrn Kollegen Apel warf er noch im vorigen Jahr vor: Herr Apel, Sie sind der erste Verteidigungsminister, der nicht mehr bedrohungsorientiert, sondern finanzorientiert seinen Haushalt vorlegt. Aber das tun Sie mit Rücksicht auf die Linken innerhalb
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HornIhrer Fraktion. — Heute strunzt Herr Kollege Dr. Wörner mit dem gleichen Argument. „Sein Linker" in der Fraktion scheint der Herr Stoltenberg zu sein.
Dies sind Leistungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir in den letzten 13 Jahren unter politischer Leitung von drei sozialdemokratischen Verteidigungsministern vollzogen haben. Dennoch wurden diese Leistungen von keinem Nachbarn als bedrohlich empfunden, weil die außenpolitischen Rahmendaten stimmten. Eine Regierung, die aktive Entspannungspolitik betreibt, ist glaubwürdig. Sie schafft mehr Vertrauen als die jetzige Regierung, die sehr stark wieder in den Kategorien des Kalten Krieges denkt.
— Entschuldigen Sie, wer die Entspannungspolitik eliminiert, wer einseitig die Beschlußfassung des Harmel-Berichtes im Entspannungsteil kündigt, wer in der programmatischen Regierungserklärung für die volle Legislaturperiode am 4. Mai dieses Jahres wie der jetzige Bundeskanzler und seine Regierung den Begriff Entspannungspolitik auslöscht, der setzt ein neues, ein negatives Programm nach draußen und nach innen.
— Schreiben Sie doch das nächste Mal dem Herrn Dr. Kohl das Entsprechende in die Regierungserklärung. Wir wären doch froh, wenn wir positive Signale von der Regierung bekämen.
Das Scheitern der Genfer Mittelstreckenverhandlungen ist eine Niederlage für die Entspannungspolitik und für den Frieden. Es kennzeichnet die Unfähigkeit der führenden Politiker, von denen in bedrohlicher Weise das Schicksal dieser Erde abhängt, zu einem Kompromiß, zu einem erträglichen Ergebnis zu kommen.Ich will nicht mehr den Slalom aller Bedingungen nachfahren, bei denen die Stationen des Unvermögens oder des Unwillens auf beiden Seiten ersichtlich werden. Dies hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der Politiker und besonders ihrer Politiker, den Frieden sicherer zu machen.Im Westen, aber auch in anderen Teilen unserer Erde brechen eruptiv die Widersprüche auf, in denen sich die Menschheit befindet. Die politische Akzeptanz der Nuklearstrategie ist auf Dauer in einer demokratischen Gesellschaft nur schwer konsensfähig.Herr Kollege Wörner, wenn Sie hier die Sozialdemokraten — wie vorhin geschehen — beschuldigen, sie würden leichtfertig Strategiedebatten vomZaune brechen und sie würden die gültige Strategie in Frage stellen, dann möchte ich Ihnen einmal ein Zitat vorlesen, das Sie überdenken sollten:Menschen sind nicht in der Lage, einen solchen Widerspruch dauerhaft zu verarbeiten. Die Hoffnung ihres Lebens wurzelt auch in der Gewißheit, daß die Existenz der Gattung und des Volkes gesichert ist, dem sie angehören. Wird ihr diese Grundlage entzogen, muß die Hoffnung verdorren. Mit der nuklearen Grenzsituation als Dauerzustand wird diese Gewißheit in Frage gestellt. Als Grundlage einer dauerhaften Friedensordnung ist sie deshalb ungeeignet.So der prominente CDU-Politiker, Professor Kurt Biedenkopf.
Die Unsicherheit ist wohl auch offenkundig. Kennzeichen dafür sind z. B. die fehlenden Richtlinien für den Folgeeinsatz. Das ist logisch; denn dieser ist unkontrollierbar, weil unkalkulierbar.Wir stehen als Nordatlantisches Bündnis in den nächsten Jahren vor viel größeren Herausforderungen, die fast zur Zerreißprobe werden. Ich möchte nicht den Verdacht äußern, daß das willfährige Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Verhandlungspartnern in Genf und dem absehbaren Scheitern dieser Verhandlungen nichts anderes als eine seltsame Mischung von Schwäche und Kompensation gegenüber Forderungen war, die auf uns zukommen. Da steht immer noch die 3 %-real-Forderung seitens der Amerikaner vor allem an die deutsche Adresse aus, und ausgerechnet der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister, die in ihrer Zeit als Opposition geradezu Verpflichtungsschwüre darauf geleistet haben, zeigen sich heute unfähig, für den konventionellen Aufbau etwas mehr zu tun.
Im Augenblick herrscht Ruhe an der Front. Für den Sachkenner ist doch klar: Der amerikanische Kongreß drängt, die amerikanische Administration wird nachkommen, und im nächsten, im übernächsten und in den folgenden Jahren werden diese und eine andere Frage zu einer schweren Belastungsprobe innerhalb des Bündnisses. Sie wissen das auch ganz genau; denn auch Sie haben sich mit den Problemen genügend befaßt. Da werden die Probleme des Bündnisses fast ins Unermeßliche steigen, wenn die Bundeswehr, die deutschen Streitkräfte in wenigen Jahren eine Reduzierung von mehr als 50 000 Mann vornehmen müssen. Maßnahmen der Bundesrepublik haben Signalwirkung auf die europäischen Partner. Ich möchte davon ausgehen, daß der Verteidigungsminister dies weiß, daß er auch um die Auswirkungen und um die Probleme weiß, die das zur Folge hat. Auch der Bundeskanzler muß sich mit diesen Problemen beschäftigen und sein sonst sehr holzschnittartiges Denken dabei etwas mehr auf Filigranarbeit einstellen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2475
HornIn Amerika wächst der Druck der Abgeordneten auf die europäischen Verbündeten. Die Probleme im eigenen Land nehmen überhand. Enorme ethnologische Verschiebungen vollziehen sich im Süden und Westen der Vereinigten Staaten Amerikas. Die spanischen Zuwanderer werden eine große nicht mehr übersehbare Gruppe in diesem Lande. Die rigide Sozialpolitik der heutigen amerikanischen Administration verschärft das soziale Problem dieser ethnologischen Gruppen.
Sie finden zunehmend prominente Sprecher für ihre Belange. Der Kongreß wird sich dem nicht länger sperren können. Umgekehrt erhalten amerikanische Politiker Briefe von ihren Soldaten aus Europa und auch hier aus der Bundesrepublik Deutschland, in denen um Verminderung der personellen Lasten der Vereinigten Staaten nachgesucht wird. Der Druck auf die Europäer und hier zumal auf uns wird zunehmen. Vor dieser Fragestellung können wir doch einfach nicht fliehen; aber es ist politisch geradezu ausgeschlossen, fehlende manpower künftig durch Nuklearsysteme ersetzen zu wollen.
MBFR braucht einen neuen Impuls, allein schon in unserem Interesse. Entscheidendes hat Herr Genscher in der Vergangenheit dabei kaputtgemacht, als Helmut Schmidt seinen Vorschlag machte, daß die nationale Höchststärke nicht 50 % des Gesamtanteils der Landstreitkräfte im jeweiligen Reduzierungsraum von NATO und Warschauer Pakt überschreiten sollte. Die Soldaten auf der Hardthöhe unterstützten diese Initiative, denn sie kannten sehr exakt die demographische Entwicklung. Die Chance wurde jedoch durch Herrn Genscher gründlich vertan. Das Interesse der anderen Seite hat nachgelassen; denn auch die Sowjets können rechnen.
Sosehr jeder vernünftige Mensch Rüstungskontrollvereinbarungen den Vorrang gibt, sosehr ist es absehbar, daß wir damit das gesamte Problem nicht in den Griff bekommen.Sehr verehrte Damen und Herren, es stehen vor uns enorme Belastungen in der Zukunft. Was ich über den demokratischen Konsens gesagt habe, das ist nicht nur eine Worthülse. Sie werden diese Belastungen nicht ohne und ganz und gar nicht gegen die deutsche Sozialdemokratie heil überstehen können.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist verlockend, jetzt auf ein paar Sätze des Kollegen Horn einzugehen. Lassen Sie mich aber nur einen Punkt herausgreifen, den er gleich zu Beginn gesagt hat. Er führte aus: Die SPD stand zum Doppelbeschluß, die Union zur Nachrüstung.
Nun, Herr Kollege Horn, Sie sind ein Hesse, und ich bin als Bayer Nachbar. Ich erinnere mich noch an den Slogan zu Wahlzeiten: „Hessen vorn!".
In Hessen begann es vor über einem Jahr, daß ein Bezirksverband nach dem anderen dem Doppelbeschluß die Absage erteilt hat. Da standen Sie doch schon nicht mehr zu ihm.
Jeden Tag kam ein neuer Bezirksverband dazu. Man war noch mitten im Verhandeln, da hatten Sie schon abgesagt, da waren Sie schon nicht mehr beim Doppelbeschluß.
Und wenn Sie sich zu Herzen nähmen, was Ihr ExKanzler Schmidt gestern und auf dem Parteitag gesagt hat,
und wenn Sie das als Realität betrachteten, daß alle Ihre Verteidigungsminister gegen Ihre Entschließung stimmen, dann müßten Sie doch zugeben: Sie laufen nicht nur aus dem Ruder, Sie sind bereits auf eine Sandbank aufgelaufen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei all den vielen Reden, die landauf, landab in diesen Wochen und Monaten gehalten, bei allen Stellungnahmen, die abgegeben wurden — auch hier gestern und heute —, wurde immer wieder die Erhaltung des Friedens angesprochen. Die Vokabel „Freiheit" war schon weniger zu hören. Aber Freiheit ist für uns ein fester Bestandteil unserer Politik und ein fester Bestandteil des Friedens. Freiheit und Frieden gehören zusammen, das eine gibt es nicht ohne das andere.
Wer dann gegen die Pershing II demonstriert und vergißt, daß es 360 SS 20 gibt, der hat sich doch abgemeldet, der vertritt nicht mehr die Interessen unseres Landes und seiner Sicherheit. Lassen Sie mich dies in aller Deutlichkeit sagen.
Wir alle wissen — das möchte ich hier noch einmal klar und deutlich sagen —, daß es das Ende der Menschheit bedeuten würde, wenn es in diesem Zeitalter der Massenvernichtungsmittel zu einer Eskalation zwischen den beiden Weltmächten, zwischen den beiden Bündnissystemen käme. Worum ringen wir? Wozu hier und heute Positionen bezie-
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Biehlehen? Es geht hier um die Frage, wie wir das Ziel, den Frieden in Freiheit zu bewahren und den Krieg zu verhindern, am sichersten erreichen können.
— Ach, wissen Sie, Sie von den GRÜNEN, Sie sollten erst einmal Ihre Fenster drüben von den „Nein"-Aufschriften frei machen, damit Sie wieder einen Blick in die Realitäten der Welt bekommen.
Das Bündnis jedenfalls hat die Sicherheit für Europa seit über drei Jahrzehnten erreicht. Ein eindrucksvoller Beweis, meine ich, ist auch die Tatsache, daß es außerhalb Europas, dies muß man sehr deutlich sagen, mehr als 140 Kriege mit über 30 Millionen Opfern gegeben hat. Und daß es zur Strategie der Abschreckung, der Bewahrung des Friedens in Europa und in unserem Lande keine realistische Alternative gibt, dies wurde vor kurzem selbst von der SPD im Verteidigungsausschuß nicht bestritten.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Besuch im Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt. Hier ist eine alte Kavalleriestandarte aus dem 18. Jahrhundert ausgestellt. Diese Standarte zeigt einen Löwen mit dem Friedenszweig in der linken Pranke und einem Schwert in der rechten Pranke. Die Inschrift lautet: at atrumque paratus — zu beidem bereit. Sie sehen hier die weise Voraussicht in Bayern auch schon vor zwei Jahrhunderten.
Ich meine, daß auch diese Standarte mit dieser symbolischen Darstellung durchaus eine mahnende Verpflichtung an uns ist, zu beidem bereit zu sein. Wer Frieden will, muß in der Lage sein und auch den Willen haben, diesen Frieden gegen jede Bedrohung von außen zu bewahren und, wenn erforderlich, gegen jeden Angreifer mit den gebotenen Mitteln zu verteidigen.
Meine Damen und Herren, die Welt, in der wir leben, und die Zeit, in der wir leben, sind im wesentlichen von der Tatsache geprägt, daß in dem OstWest-Konflikt, der sich nach dem letzten Weltkrieg entwickelte, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion in weltpolitische Führungspositionen gerückt sind, wobei beide Weltmächte völlig unterschiedliche Gesellschaftssysteme vertreten. Dabei ist täglich für jeden der Unterschied zwischen der Demokratie und der Diktatur sichtbar — unmittelbar an unseren Grenzen, in diesem Vaterland —:
hier das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, für Menschenrechte und Menschenwürde, dort die Unterdrückung menschlicher Freiheiten, primitivster Freiheiten, bis hin zur Einverleibung fremder Völker, und dies immer auch noch mit Waffengewalt, in den eigenen sowjetischen Staatsverband. Ich brauche das nicht zu vertiefen. Der Fraktionsvorsitzende Dr. Dregger hat das gestern schon einmal aufgelistet.Meine Damen und Herren, wir kommen nicht umhin, uns immer wieder auf den Ausgangspunkt unserer politischen Entscheidung, nämlich der Entscheidung für den Westen und der unbeirrbaren Freundschaft zu Amerika, zu besinnen. Das Deutsche Reich war 1945 nicht nur militärisch, es war total und auf allen Gebieten geschlagen: Millionen Tote, Trümmer, Ruinen, Not und Elend waren das Ergebnis diktatorischer Politik. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur!"
Dies war die Lehre, die wir damals aus der Geschichte gezogen haben. Dies hat heute genauso Gültigkeit. Dies ist die Grundlage zum Handeln und zum Erhalt unserer Freiheit.
Wenige Jahre nach dem letzten Krieg haben wir Deutsche noch einmal die ganze Brutalität eines diktatorischen Systems zu spüren bekommen. Ich erinnere an die Blockade des freien Teils der Stadt Berlin im Jahre 1948. Damals schnitten die Sowjets — nicht die Amerikaner — die Zufahrtswege zu dieser Stadt zu Land und zu Wasser brutal ab. Sie wollten zweieinhalb Millionen Menschen skrupellos aushungern. Wir sollten nicht vergessen: Es waren die Vereinigten Staaten, es waren unsere westlichen Verbündeten, die durch die gigantische Luftbrücke verhinderten, daß dieser Würgegriff der Sowjets zur Kapitulation und Einverleibung West-Berlins in das rote Imperium führte. Ist das bei Ihnen wohl vergessen?
Wir haben uns damals aus freiem Willen für den Westen entschieden. Die geschichtliche Entwicklung hat gezeigt, daß diese Entscheidung richtig war. Es war ja eine Entscheidung für die Freiheit.Frieden und Freiheit zu bewahren, darum geht es in dieser Zeit. Es wäre vermessen, zu glauben, die Bundesrepublik Deutschland wäre für sich allein in der Lage, diese Grundwerte gegen einen übermächtigen Aggressor zu verteidigen. Nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO, dem stärksten Verteidigungsbündnis, das es je in der Geschichte gab. Das NATO- Bündnis ist, so meine ich, heute die größte internationale Friedensbewegung, die es gibt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2477
Biehle— Ich kann nichts für Ihre grünen Wissenslücken, nachdem Ihr ordentlicher GRÜNEN-Vertreter im Verteidigungsausschuß meistens nicht da ist, wenn darüber diskutiert wird, und nur gelegentlich seinen Stellvertreter schickt. Ich wiederhole: Das NATO-Bündnis ist die größte Friedensinitiative, die wir auf internationaler Ebene haben.
Wir wurden Mitglied der NATO, mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Dies muß man sagen, und das heißt im Klartext: Beschlüsse, die in diesem Bündnis einmütig und einstimmig gefaßt werden, müssen auch ohne Wenn und Aber ihre Gültigkeit behalten, vor allem dann, wenn sich die Voraussetzungen, die zu diesen Beschlüssen führten, um kein Jota positiv zum Frieden, sondern zu immer mehr Aufrüstung verändert haben und damit Überrüstung der östlichen Seite brachten.Dies hat j a wohl auch zu der Konsequenz geführt, daß Helmut Schmidt am 10. November in Singapur gesagt hat: „Es muß nachgerüstet werden." Hierbei steht die Glaubwürdigkeit und die Verläßlichkeit unseres Landes im Bündnis auf dem Spiel, zumal sich die Bedrohung um ein Mehrfaches erhöht hat.Als Breschnew 1978 bei etwa 100 SS 20 gegenüber Exkanzler Schmidt von „Gleichgewicht" sprach, war das schon eine Gefahr. Heute hat die Sowjetunion mehr als dreimal soviel, der Westen aber immer noch Null. Wo bleibt eigentlich der Protest gegen die Seite, die dieses Übergewicht geschaffen hat?
Auch folgendes sollte man in Erinnerung rufen. Was sagt eigentlich die SPD zu ihrem so verehrten Professor Weichmann, der in der Tat ein großer Sozialdemokrat war? Ich zitiere, was er ausführte:Wenn wir unsere demokratische Lebensart für lebenswert halten, müssen wir für sie kämpfen.An anderer Stelle sagte er:Entspannungspolitik darf nicht blauäugig betrieben werden, weil sie drüben spannen und wir spinnen.Die Antwort gab Professor Weichmann selbst, indem er sagte:Ich kann mich einfach nicht mehr in die Politik meiner Freunde hineindenken. Es ist nicht mehr meine Politik.
Das ist nahezu identisch mit dem, was auch Exkanzler Schmidt immer wieder zum Ausdruck bringt.Ja zur NATO bei Schönwetter und Wohlergehen, aber bei rauhem Wetter, dann, wenn der Wind hart ins Gesicht bläst, nur noch ein Wenn und Aber, jetzt bei Ihnen sogar ein Nein, also im Grunde genommen nur ein bißchen NATO, so nach eigenem Geschmack, das kann es genauso wenig geben wie nur ein bißchen Schwangerschaft. Unsere Sicherheitspolitik, die der Union, ist gradlinig, klar und eindeutig. Sie ist ausschließlich darauf ausgerichtet, uns im Rahmen des Bündnisses wirksam verteidigen zu können. Auch diese Verteidigungsbereitschaft ist, so meine ich, ein wesentlicher Bestandteil der Abschreckung.Wir, d. h. das Bündnis, wollen nicht durch militärische Stärke erpressen und wollen uns nicht dadurch in die Lage versetzen, einen Angriffskrieg mit einem Erstschlag vom Zaun brechen zu können, wie es leichtfertig und dümmlich immer wieder behauptet wird. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen Frieden und Freiheit. Dies bedeutet auch Abschreckung der militärischen Bedrohung. Wir wollen jedem potentiellen Gegner zeigen, daß wir in der Lage sind, auf einen Angriff mit angemessenen militärischen Mitteln zu reagieren, um damit den Frieden auch in Zukunft in Freiheit zu erhalten.Ich meine, es ist unsere — der Politiker — Aufgabe, den ersten Kriegstag zu verhindern, nicht aber Szenarios des zweiten und des dritten Tages aufzuzeigen.
Einige Fakten und Zahlen muß man sich immer wieder vor Augen führen, um klar zu erkennen, was sich militärisch in der Sowjetunion und im ganzen Warschauer Pakt eigentlich getan hat. Dort wurde eine Militärmaschinerie geschaffen, die weit über das hinausgeht, was man auch der Sowjetunion und ihren Paktpartnern zur Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen zugestehen muß. Das ist ein Offensivpotential ungeheuersten Ausmaßes.Es empfiehlt sich das Studium des Weißbuches 1983; der Kollege Horn hat darauf schon hingewiesen. Mehr sollten es lesen, damit sie wieder einen klaren und realistischen Blick bekommen. Dieses Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Bundesregierung herausgegeben worden ist, zeigt nüchtern und realistisch die Verhältnisse auf.Man muß die Waffensysteme hier nicht noch einmal aufzählen, aber lassen Sie mich zwei Bereiche ansprechen, damit sichtbar wird, daß die SS 20 nur einen Teilbereich der Bedrohung darstellt. Warum brauchen wir denn die atomare Abschreckungsstrategie?
Ganz einfach:
Weil zuerst die Quantität und dann die Qualität der konventionellen Aufrüstung der Sowjetunion in der vergangenen Dekade so sichtbar und drastisch erhöht wurden. Daraus ergibt sich als Folgerung, daß auch das Ungleichgewicht auf konventionellem Gebiet nicht weiter ausufern darf.
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2478 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
BiehleDie Stärke und die Abwehrkraft unserer konventionellen Streitkräfte haben aber nicht zuletzt einen erheblichen Einfluß auf die Glaubwürdigkeit dieser Abschreckungsstrategie. Wenn der Kollege Horn dies vorhin ebenfalls angesprochen hat mit dem Hinweis, die konventionelle Komponente anzuheben, dann muß ich ihm sagen: Die letzten 13 Jahre lang war die SPD an der Regierung, nicht die Union. Die SPD hätte die Möglichkeit gehabt, hier manches zu verbessern, was tatsächlich notwendig ist.
Wir bemühen uns darum, daß wir dieser Forderung in Zukunft gerecht werden. Je wirkungsvoller wir konventionell verteidigen können, desto höher — dies unterstreicht auch, was der Kollege Horn gesagt hat — ist natürlich auch die atomare Schwelle.Das herausragende Merkmal bei den Luftstreitkräften ist, daß der Sowjetunion etwa bis Ende der 60er Jahre Kampfflugzeuge fehlten, die offensiv gegen die Luftstreitkräfte der NATO eingesetzt werden konnten. Auch das hat sich im vergangenen Jahrzehnt grundsätzlich geändert. Die Sowjetunion hat in der Zwischenzeit eine neue Generation modernster Kampfflugzeuge eingeführt, die in der Lage sind, verstärkt weiträumige Angriffsaufgaben wahrzunehmen. Diese Maschinen können weitaus mehr Waffen und Munition tragen als ihre Vorgänger. Sie erreichen höhere Geschwindkeiten und haben etwa die dreifache Reichweite.Aus der Entwicklung der Seestreitkräfte der Sowjetunion und des Warschauer Paktes — auch dies muß angesprochen werden —, die im letzten Jahrzehnt zu einer gewaltigen Offensivstreitmacht ausgebaut wurden, ist abzulesen, daß sich die Sowjetunion in die Lage versetzt sieht, ihren Einfluß über Ozeane hinweg weltweit zur Geltung zu bringen. Aus dem enormen Ausbau und der Modernisierung der Seestreitkräfte des Warschauer Paktes ergibt sich naturgemäß für die europäischen Staaten ebenso eine Bedrohung besonderer Art.Wir sollten die Tatsache nicht vergessen, daß wir von Amerika durch den Atlantik über 6 000 Kilometer getrennt sind. Dies zeigt, wie lebenswichtig die ungehinderte, die sichere Benutzung dieser Verbindungswege für das Bündnis ist. Der Nachschub an Truppen, an Waffen, Gerät und anderen Versorgungsgütern unterliegt hier der besonderen Bedrohung. So wird auch das Ziel der sowjetischen Strategie darauf ausgerichtet sein, diese Verbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten im Kriegsfall zu unterbrechen bzw. mit ganz hohen Risiken zu belasten.Zusammengefaßt kann man für den konventionellen Bereich feststellen, daß die Sowjetunion zu keiner Zeit mehr Angriffswaffen, Panzer, Kampfflugzeuge, Schiffe usw., gebaut hat als in der sogenannten Phase der Entspannungspolitik, des Abschlusses der SALT-Verträge, der KSZE-Schlußakte, der MBFR-Verhandlungen und der Ostverträge. Dies war doch sicher kein Zeichen für den Frieden, dies war kein Zeichen für Entspannung. Die militärische und politische Bedrohung ist größer denn je.Ich will nicht noch einmal auf das Potential im nuklearen Bereich im einzelnen eingehen, sondern auf die Entwicklung der SS-20-Bestände hinweisen. Gemessen an den Sprengköpfen besteht im Mittelstreckenbereich, wenn Sie so wollen, ein Verhältnis von 1 zu über 1 000 — eine erschreckende Zahl. Was 1977 für Kanzler Schmidt eine Gefahr bei nur knapp 20 SS-20 war, was 1979 für die NATO bei rund 120 SS-20—Raketen mit 360 Sprengköpfen eine Gefahr und Anlaß zu dem Nachrüstungsbeschluß war, ist heute für die SPD einfach keine Gefahr mehr. Das können Sie doch draußen in der Öffentlichkeit keinem glaubhaft machen, der zumindest Mengenlehre in der Schule gelernt hat.Meine Damen und Herren, aus meiner bisherigen Darstellung des militärischen Kräftepotentials in Ost und West läßt sich, so meine ich, klar ersehen, daß diese Entwicklung eine eindeutige Vormachtstellung für die Sowjetunion brachte, aus der die heutigè militärische Bedrohung resultiert. Diese Entwicklung nahm gerade seit 1977 dramatische Dimensionen an, denn durch die Aufstellung der SS- 20-Raketen wurde auch die eurostrategische Lage grundlegend verändert. 52 Staaten der Erde werden von der SS-20 erreicht. Dies ist die Bedrohung, vor der ich Angst habe, nicht vor der Pershing, die noch gar nicht hier ist. Das muß doch auch einmal gesagt werden.
Kein anderes Land der Welt verfügt bisher über eine solche Waffenkategorie.Lassen Sie mich auch hier eines unmißverständlich feststellen. Wir sollten uns davor hüten zu sagen, die Amerikaner stellten Pershings auf. Dies sind NATO-Pershings, die die Freiheit der NATO sichern, nicht allein die der Amerikaner.
Wenn es zur Aufstellung der ersten NATO-Pershing-Raketen kommt, hat allein die Sowjetunion durch ihr Verhalten diese Maßnahme provoziert.Mit dem NATO-Doppelbeschluß hat der Westen unübersehbare Zeichen seines guten Willens zu Abrüstung und Rüstungsbegrenzung gesetzt. Hier wurde so deutlich gemacht, daß man auf westlicher Seite bereit war, zu verhandeln, bevor man selbst neue Waffensysteme produzieren und stationieren würde — wahrhaftig, ein bisher noch nie dagewesener Vorgang. Und fast scheint es heute, als hätte die Sowjetunion diesen Doppelbeschluß in seinem Nachrüstungsteil nicht voll ernstgenommen. Wie anders ist sonst diese Entwicklung zu sehen?Aber wenn man dann — aus sowjetischer Sicht — hier in diesem Land tatkräftig in diesem Betreiben unterstützt wird, kann man doch nicht erwarten, daß die Sowjetunion darüber hinaus zurückgeht, was Bürger und Vereinigungen in diesem Lande vertreten.
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BiehleDie Sowjetunion hatte, nachdem der Doppelbeschluß 1979 gefaßt war, zunächst jegliche Verhandlungen abgelehnt, obwohl durch diesen Beschluß deutlich zum Ausdruck kam, daß der Westen, wenn notwendig, zu Gegenmaßnahmen entschlossen sein würde. Sie setzte ihre Aufrüstung mit diesem Raketensystem ungehemmt fort, obwohl es an Warnungen, ja, an Beschwörungen, damit einzuhalten, von westlicher Seite sicherlich nicht gemangelt hat. Auch der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat in Unterredungen mit Staats- und Parteichef Breschnew immer wieder nachdrücklich auf die Folgen hingewiesen, die diese einseitige Aufrüstung der Sowjetunion zwangsläufig auslösen müßte. Aber zustimmende Erklärungen der sowjetischen Seite blieben immer wieder Lippenbekenntnisse, hatte ausschließlich propagandistischen Wert; denn die Aufrüstung wurde unvermindert fortgesetzt. Jede Woche eine neue Rakete. Alle Zeichen der Verständnisbereitschaft blieben ohne Resonanz der sowjetischen Seite.In der nunmehr zweijährigen Verhandlungszeit von Genf hat sich die Sowjetunion bisher strikt geweigert, einem Abbau ihrer SS-20-Raketen zuzustimmen. Wenn man so viele Stimmen in unserem Lande hört, zuletzt auch einen SPD-Abgeordneten in „Radio Moskau", die die Forderungen der Sowjets nach Einbeziehung der französischen und englischen Nuklearwaffen unterstützen und als gerecht empfinden,
dann kann man nur sagen, daß von den Sowjets nichts anderes zu erwarten ist, solange in Deutschland die politische Unterstützung gegeben ist. — Es war der Kollege Weisskirchen, der am 20. November in „Radio Moskau" die genannten Forderungen Andropows als gerechtfertigt dargestellt hat.
Statt dessen wurden wir mit einem Propagandafeldzug überzogen, der natürlich nicht ohne Wirkung blieb. Wir haben es in diesen Tagen wieder erlebt. Man muß wirklich den Eindruck gewinnen, daß große Teile der Sozialdemokratischen Partei froh sind, daß die Richtlinien der Politik in dieser Zeit nicht mehr von einem sozialdemokratischen Kanzler bestimmt werden.
Meine Kollegen von der SPD, wo stehen Sie denn eigentlich heute, wenn Sicherheitspolitik von Ihnen gefordert wird?
In Frankreich, das politisch voll. zur NATO steht, erklären in Solidarität alle, von den Rechten über die Sozialisten bis zu den Kommunisten, wie wir es diesertage im Verteidigungsausschuß in Paris erlebt haben, ihr Ja zur Nachrüstung. Der französische Präsident Mitterrand sagt dazu, im Westen entwickle man den Pazifismus, im Osten die Rüstung. Zunehmend ist auch in Frankreich, wegen der Haltung hier im Lande, die Sorge um den Neutralismus. In Belgien lehnt das Parlament ein Moratorium ab und spricht sich für die Nachrüstung aus. In Italien kommt ebenso wie in Frankreich durch einen sozialistischen Ministerpräsidenten das Ja zur Nachrüstung.
In England wird stationiert. Merken Sie denn eigentlich nicht, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie sich sicherheitspolitisch im Bündnis abgemeldet haben, daß Sie schon heute isoliert dastehen?
Wer glaubt Ihnen denn nach diesem Salto mortale, den Sie in wenigen Monaten vollzogen haben, noch dieses sicherheitspolitische Gelöbnis? Hinter diesem Eppler, der einst als Missionar auszog, diesen Doppelbeschluß zu unterlaufen, lauert bereits Lafontaine mit der Forderung zum NATO-Austritt. Auch das sollten wir sehen.
Mit der Angst, die in der Öffentlichkeit durch viele Gruppen geschürt wird, wurden außerdem in zunehmendem Maße antiamerikanische Gefühle geweckt. Es werden Emotionen freigesetzt, die sich einseitig gegen unsere wichtigsten Verbündeten richten.
Es werden Unsicherheit, Zweifel, Mißtrauen in die Debatte eingeführt, statt den Menschen Vertrauen und Sicherheit zu geben, wie das der Verantwortung aller Politiker, die als Mitglieder dieses Hauses und auch draußen in der Öffentlichkeit tätig sind, entspräche.
Man möchte wohl, daß Amerika für unsere Sicherheit einsteht. Aber die Pflichten, die daraus für uns erwachsen, will man gerne selbst bestimmen. Nein, darüber müssen wir uns wohl im klaren sein: Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Wir, die Mehrheit dieses Parlaments und auch die Mehrheit dieses Volkes, stehen an der Seite Amerikas.
Zu dem Thema Angst, Unsicherheit, Zweifel lassen Sie mich noch ein paar Schlagworte aufklärend in die Debatte einführen. Der Verteidigungsminister hat schon einiges dazu gesagt.
Erstschlag: Damit flößt man Angst ein, suggeriert eine Gefahr, die in keinster Weise gegeben ist; das ist militärisch völlig unstrittig. Man will mit einem Erstschlag einen Gegner vernichten, damit er zu keinem Gegenschlag mehr in der Lage ist.
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BiehleWenn man sieht, daß es in der Sowjetunion über 1 400 Interkontinentalraketen und 360 SS-20-Stellungen gibt — dabei habe ich noch nicht Verkehrsknotenpunkte, Flugplätze, Kommandostellen usw. berücksichtigt —: Wie will man da mit 108 Pershing-Raketen einen Erstschlag zur Vernichtung des Gegners durchführen,
noch dazu wo wir ein Verteidigungsbündnis sind? Diesen Unsinn können Sie ja nicht einmal mehr einem Erstkläßler erzählen.
Herr Abgeordneter Biehle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Ich lasse aus Zeitgründen keine Zwischenfragen zu.
Sie sollten öfter in diesem Parlament und in den Ausschüssen tätig werden und nicht draußen diskutieren und protestieren.
Dann hätten Sie den Informationsstand, der erforderlich ist, um hier nicht unnötigerweise die Debatte durch Zwischenfragen in die Länge zu ziehen.
Computerfehler: Mit dem Verteidigungsminister kann ich dazu nur sagen: In der Vergangenheit gab es keine Computerfehler, die über der ersten Sicherheitsstufe gelegen hätten.
Weil man Menschen in diesen Bereichen eingesetzt hat, in denen Verantwortung zu tragen ist und Entscheidungen zu treffen sind, ist auch die Sicherheit vor Computerfehlern gegeben.
Zur Entspannung lassen Sie mich sagen: Es genügt nicht, in Europa Entspannung zu demonstrieren, aber in der übrigen Welt Stellvertreterkriege zu führen oder führen zu lassen.
Entspannung ist genauso unteilbar wie Frieden,Freiheit und Menschenrechte. Man kann doch nichtverdrängen, daß Napalmbomben in Afghanistan geworfen werden, und mit einem Lächeln sagen, aber wir haben ja Frieden in Europa.Wer von Vorleistungen spricht, sollte nicht vergessen, daß das seit über zehn Jahren Vorleistungen sind, die die NATO erbringt.
1 000 und noch einmal 1 400 Sprengköpfe sind2 400.
B-1-Bomber, Neutronenwaffe — man könnte die Liste endlos fortsetzen. Jetzt muß endlich Schluß sein und kundgetan werden, daß wir nicht mehr bereit sind, uns in diesem Lande militärisch und politisch erpressen zu lassen.
Wenn wir Amerika und die Sowjetunion mit derselben Elle messen, wenn wir selbst nicht mehr artikulieren, wer sich für unsere Interessen einsetzt und wer unsere Interessen bedroht, sollten wir uns nicht wundern, wenn das eines Tages zu tiefgreifenden Veränderungen im Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Europa und insbesondere auch zu unserem Lande führt.
Übersehen wir nicht und geben wir uns keiner Täuschung hin: Die amerikanische Öffentlichkeit betrachtet sehr wohl das, was in unserem Lande vorgeht, mit ganz kritischem Interesse. Man wird zum gegebenen Zeitpunkt die Konsequenzen ziehen. Hüten wir uns davor, den Kräften jenseits des Ozeans zuzuspielen und Auftrieb zu geben, die ohnehin die Auffassung vertreten, daß der Isolationismus und nicht das Engagement für und in Europa im ausschließlichen Interesse Amerikas liegt.Es gibt auch in der Union keinen Politiker, der Genugtuung darüber empfindet, daß nunmehr neue Raketen in unserem Lande aufgestellt werden. Im übrigen warne ich vor einer Selbstüberschätzung. Wir sind zwar gleichberechtigte Bündnispartner, aber wir sind nicht der Nabel der Welt. Aber wir sind in diesem Lande gefährdet, wir sind an vorderster Stelle. Das ist der entscheidende Punkt, den wir bei dieser Diskussion sehen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen:Erstens. Die nunmehr erfolgende Nachrüstung ist erforderlich, um Frieden und Sicherheit für unser Land auch weiterhin zu bewahren, wie dies in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.Zweitens. Für das Scheitern in Genf trägt allein die Sowjetunion die Schuld, die selbst nicht bereit war, auf Kompromißvorschläge der Vereinigten Staaten in gebührender Weise einzugehen, um veri-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2481
Biehlefizierbare Gleichgewichtigkeit zu erzielen. Dies ist ganz entscheidend.
Drittens. Wir treten auch in Zukunft für jegliche Verhandlungen ein, die geführt werden, um den Frieden sicherer zu machen.
Viertens. Wir bekennen uns zur Atlantischen Allianz und zu den daraus für uns erwachsenden Verpflichtungen. Unsere unverbrüchliche Freundschaft zu den Vereinigten Staaten lassen wir nicht in Zweifel ziehen.
Fünftens. Wir bekennen uns auch voller Überzeugung zu der gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs unseres Bündnisses, die diese am 10. Juni 1982 abgegeben haben. Darin stellen sie feierlich fest: „Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff."
Sechstens. Für Frieden und Freiheit setzen sich unsere Soldaten durch ihren Dienst Tag für Tag ein. Dafür gebührt ihnen Dank. Dank wollen wir aber auch den Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte sagen, die 6 000 km von ihrer Heimat entfernt bei uns stationiert sind und die durch ihre Anwesenheit zeigen, daß unsere Freiheit auch die Freiheit Amerikas ist.
Diese Freiheit gilt es heute und in aller Zukunft zu bewahren.Brecht hat gesagt: Stell dir vor, es kommt Krieg, und keiner geht hin. Aber man vergißt dabei die weiteren Passagen, in denen es heißt:Dann kommt der Krieg zu euch. Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen; denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal den Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will.
Denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für die eigene Sache nicht gekämpft hat.Dem ist nichts hinzuzufügen. Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie zuerst bitten, nicht zu lachen. Die Kette, die ich um den Hals habe, ist kein Karnevalsartikel, sondern wird in Hiroshima und Japan höher geachtet als das Bundesverdienstkreuz hier. Ich bitte Sie, der Kette die gebührende Achtung auch hier zu erweisen.
„Ruhet in Frieden, denn wir werden das Übel nicht wiederholen" — dieses Versprechen steht auf dem Denkmal für die Opfer der Atomkatastrophe im Friedenspark von Hiroshima.
Das Versprechen war der einzige Trost für die Überlebenden der Atomkatastrophe in ihrem sinnlosen Leiden. Diesen Trost haben wir den Überlebenden genommen, das Versprechen haben wir gebrochen. Wir haben das Versprechen sogar ins Gegenteil verkehrt;
denn wie anders soll man eine Situation, eine Welt beschreiben, in der es den Verantwortlichen anscheinend nicht ausreicht, die Erde 30mal in die Luft zu sprengen, sondern in der man darauf besteht, die Fähigkeit zu haben, sie auch 31mal in die Luft sprengen zu können?
Wie anders soll man einen Zustand erklären, bei dem die Nach-Nachrüstung der Nachrüstung schon fest eingeplant ist? Wie anders soll man einen Zustand beschreiben, wo Waffen zur Notwehr eingeplant werden, die im Notfall die Not ins Unermeßliche steigern werden und ihr nicht wehren?Herr Bundeskanzler, heute sind Sie dabei, ein ganz persönliches Versprechen zu brechen. Sie haben der Bevölkerung bei Ihrem Regierungsantritt ein Versprechen gegeben, das große Hoffnungen in der Bevölkerung geweckt hat. Sie haben versprochen, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen.
Morgen werden wir hier in der Bundesrepublik Deutschland mehr Atomwaffen haben und nicht weniger Waffen.
Dazu, Herr Bundeskanzler, wollen Sie sich heute das Einverständnis des Parlaments holen.Herr Bundeskanzler, ich bezweifle überhaupt nicht Ihre gute Absicht, den Vorsatz in die Tat umzusetzen. Ich bin davon überzeugt, daß Sie den sehr ernst meinen. Nur — und das muß hier mit dem gleichen Ernst gesagt werden — am Ende zählen nicht noble Absichten und Worte. Am Ende zählen immer nur die Taten und die Tatsachen.
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2482 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Frau NickelsAus vielen Briefen, die wir alle erhalten haben, aus vielen Mahnwachen im ganzen Bundesgebiet wissen wir, daß viele Bürger, die Mehrheit der Bevölkerung, mit großer Trauer, mit Sorge, Wut und Betroffenheit auf diese Entscheidung, die wir hier heute fällen sollen, reagieren. Diese Menschen können nicht verstehen, daß die Regierung den Mehrheitswillen der Bevölkerung mit dem Argument beiseite schiebt — ich zitiere jetzt, was ich hier gestern gehört habe —, daß der Bevölkerung die moralischen, sittlichen und materiellen Fähigkeiten fehlen, Entscheidungen von einer solchen Tragweite zu treffen.
Die Bürger sind empört, wenn ein Bundesminister sich nicht entblödet, von einer geistigen Verwirrung im Volk zu sprechen, —
Frau Abgeordnete Nikkels, ich rufe Sie zur Ordnung für den Ausdruck „entblödet".
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— dem Volk geistige Verwirrung zu attestieren, wenn es um die Verteidigungsfähigkeit geht. Die Bürger fragen sich: Sind die da oben eigentlich blind und taub, wenn sie schon meinen, daß wir zu dumm sind, in Fragen unseres eigenen Überlebens mitzuentscheiden? Sind sie blind und taub, wenn sie die dringenden Warnungen Zehntausender Wissenschaftler und Ärzte, darunter zahlreiche Nobelpreisträger, ganz einfach in den Wind schlagen?
Herr Wörner, ich möchte sagen: Ich persönlich —und ich denke, daß ich mich da in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung befinde —, ich persönlich traue dem Urteil von fünf renommierten Physikern und Nobelpreisträgern viel mehr als Ihrem Urteil, was Computerfehler angeht.
Diese Wissenschaftler und diese Ärzte sagen ganz klar: Die neuen Waffen gehen hin zu der Kriegsführung.
In einem Atomkrieg ist keine Hilfe möglich. Ein Atomkrieg kann zum Untergang der Welt führen. Und sie warnen uns dringend davor, weiter auf dem Weg fortzufahren.
Die Bürger fragen sich: Was ist eigentlich mit unseren Parlamentariern los, daß sie wie Ludwig XIV. sich auf den Standpunkt stellen „Der Staat, das sind wir"? Gott sei Dank, möchte ich hier sagen, ist die Zeit des Absolutismus vorbei, und wir leben in einer Demokratie.
Die Fragen, die die Bürger hier stellen, die sind sehr schwer. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich habe keine endgültige Antwort gefunden. Aber ein Teil der Antwort ist vielleicht darin zu finden, daß wir in der dünnen Luft der hohen Politik und abgesichert durch eine doppelte und dreifache soziale Hängematte und, wenn nötig, mit tausend Polizisten da draußen und NATO-Stacheldraht — daß wir in dieser Absicherung unseren gesunden Menschenverstand verloren haben.
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum in diesem Hohen Haus sich so wenig Menschen wirklich dem stellen, was die Atombombe eigentlich bedeutet. Der Bundeskanzler war das letzte Beispiel dafür, daß man dieser Konfrontation mit dem, was die Bombe bedeutet, aus dem Weg geht. Ich habe gelesen, daß der Bundeskanzler in Japan war und nicht nach Hiroshima gefahren ist. Er ist 50 Kilometer vorher, eine Bahnstation davor, in Kioto, ausgestiegen. Er hat das damit begründet, er brauche nicht nach Hiroshima zu fahren, er wisse, was Krieg heißt. Er hat Dresden erlebt, er hat Hamburg erlebt, und er hat zahlreiche Verwandte im Krieg verloren.
Das gleiche haben sehr viele andere Mitglieder des Hohen Hauses gestern dargestellt. Ich glaube, daß sie die Hölle erlebt haben. Ich teile diese Meinung. Was sie aber anscheinend nicht begriffen haben — das, was neu ist in der Geschichte —: es gibt eine Steigerung der Hölle.
An diese Steigerung der Hölle mahnt uns Hiroshima. Hiroshima vermittelt eine ganz schwache Ahnung davon, was uns in einem Atomkrieg bevorstehen könnte. Das sind nicht die Denkmäler, der Friedenspark, der Atomdom, die davon zeugen. Das sind die Menschen, die lebenden Menschen. In deren Haut, in deren Knochen, in deren Blut, in deren Keimzellen hat sich die Erinnerung an jenen Tag unauslöschlich eingebrannt.
Die Atombombe in Hiroshima hat zum ersten Mal klar gezeigt, daß ein Atomkrieg nicht nur das Hier und Heute zerstört, sondern auch die Zukunft, daß die Atombombe auch das zerstört, was noch gar nicht geboren ist.
Herr Bundeskanzler, ich wäre sehr froh gewesen,wenn Sie gerade vor dieser Debatte heute die Gelegenheit genutzt hätten und da hingefahren wären,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2483
Frau Nickelswenn Sie, so wie ich das voriges Jahr gemacht habe, mit dem alten Professor Moritaki durch die Stadt gegangen wären und die Ereignisse von damals mit seinen Augen noch einmal gesehen hätten. Wenn Sie in das Atombombenkrankenhaus gegangen wären und mit den Überlebenden gesprochen hätten, dann hätten Sie vielleicht ein bißchen davon gespürt, was ich hier meine. Das alles aber haben Sie nicht getan.Wenn Sie dagewesen wären, dann hätten Sie — dessen bin ich sicher — auch so eine Kette bekommen, wie ich sie jetzt hier um den Hals trage. Diese Kette besteht aus tausend Kranichen. Der Kranich ist in Japan ein Nationalsymbol für Glück und Frieden. Es gibt einen alten Brauch, eine alte Legende: Wer tausend Kraniche faltet, dem werden Glück, Segen und ein langes Leben zuteil. Nachdem die Bombe gefallen war, haben sich viele Überlebende in ihrem Elend und ihrer Verzweiflung an dem Gedanken wieder aufgerichtet und versucht, tausend Kraniche zu falten, ehe sie den Strahlentod gestorben sind. Diese Tradition haben Kinder in Hiroshima aufgegriffen, und jedes Jahr, am 6. August, schmücken sie die Denkmäler mit solchen Ketten, schicken solche Ketten in die Krankenhäuser und beschenken damit auch Besucher sowie Menschen in der ganzen Welt, die für den Frieden kämpfen. Eine solche Kette haben Hibakshas, Überlebende von Hiroshima, vor einiger Zeit Bürgern eines kleinen osthessischen Dorfes in der Fulda-Senke geschenkt. Diese Bürger wissen seit Juni 1981, daß sie im Falle eines Krieges Opfer amerikanischer Atomraketen sein werden.
Die Überlebenden der Bombe von damals haben den zukünftigen Opfern diese Kette mit dem Wunsch für Glück, Segen und ein langes Leben geschenkt. Sie haben auch die Hoffnung geäußert, daß das auch zu erreichen wäre, wenn wir gegen die Bombe alle fest zusammenstehen und nicht immer noch mehr aufstellen.
Die Kette, die ich hier jetzt um den Hals habe, habe ich von den Bürgern aus dem osthessischen Dorf mitgebracht; sie haben mir auch einen Auftrag mitgegeben:
Herr Bundeskanzler, ich soll Ihnen von den Bürgern des osthessischen Dorfes ausrichten: Wenn Moses nicht zum Berg kommt, dann muß der Berg zu Moses gehen. Wir geben Ihnen die Kette hier zu treuen Händen. Wir bitten Sie: Denken Sie bei Ihrer Entscheidung an die Überlebenden von Hiroshima, denken Sie an die Bürger des osthessischen Dorfes und auch an deren Kinder!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß wir heute hier eine sehr wichtige Entscheidung zu treffen haben, liebe Frau Nickels, ist uns sehr bewußt. Die vielen Briefe und sonstigen Mahnungen, die wir j a alle erhalten haben, machen auch mir deutlich, daß sehr viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland auf dieses Parlament hier sehen und diese Entscheidung für eine der wichtigsten in der Geschichte unseres Landes halten. Ich habe einen Brief bekommen, in dem diese Entscheidung heute abend sogar mit dem Ermächtigungsgesetz 1933 verglichen wird. Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Vergleich geht — wie einige andere Vergleiche — entschieden zu weit.
Es ist auch sicher nicht richtig, daß wir hier heute über Krieg und Frieden entscheiden. Zwar haben wir eine verantwortliche Entscheidung zu treffen, die sicher auch mit Krieg und Frieden zu tun hat, aber ich muß doch sehr darum bitten, meine Damen und Herren, daß diejenigen, die sich bei der Entscheidung dieses Parlaments heute abend konsequent verhalten, hier nicht als Freunde der Rüstung oder gar des Krieges oder als solche abqualifiziert werden, die nicht wissen, was sie tun.
Auch wir können sicher zumindest das Maß an Toleranz beanspruchen, das wir Ihnen entgegenbringen. Ich jedenfalls habe solche Toleranz Ihrem Abgeordneten Voigt bei jeder Reise, die ich gemeinsam mit ihm hinter mich gebracht habe — vielleicht habe ich solche Reisen mit ihm auch noch vor mir —, entgegengebracht. Das müssen wir von Ihnen erwarten. Wenn Sie uns diese Toleranz nicht mehr entgegenbringen, dann wird, fürchte ich, die innenpolitische Auseinandersetzung allerdings härter werden.
Und die Folgen werden mit Sicherheit nicht Frieden im Inneren dieses Landes sein. Glauben Sie mir das!
Ihre Tonart trägt nicht zu diesem Frieden bei.
— Herr Voigt, ich bitte um Verständnis, daß ich heute keine Zwischenfrage beantworten kann und will. Ich bin leider nicht in der Lage, so lange Reden halten zu dürfen wie einige Redner Ihrer Fraktion oder auch der anderen großen Fraktion in diesem Hause. Ich darf also um Verständnis dafür bitten.
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2484 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Schüler
Ich setze mich aber auch mit Ihnen noch auseinander.
Es mag vielleicht an unseren historischen Erfahrungen liegen, vielleicht auch an unserer geographischen Lage, mit Sicherheit aber auch an unserer Mentalität in der Bundesrepublik Deutschland, daß der Debatte, die wir hier führen, ein Ausmaß an Erregung und, ich möchte sagen, auch ein Ausmaß an Übersteigerung der Bedeutung entgegengebracht wird,
die sie in diesem Sinn nicht verdient. Ich sage das deshalb, weil in der vergangenen Woche beispielsweise in Italien die Debatte um genau die gleiche Frage gelaufen ist. Nun kann man ja sagen, Italien habe all das nicht erfahren und sei nicht in unserer Lage. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir waren bei dieser Debatte dabei, und ich habe mit italienischen Politikern gesprochen. Und ich weiß auch, daß es keine Demonstration gegeben hat und daß sich auch die Kommunistische Partei Italiens und ihr Vorsitzender sehr viel gemäßigter geäußert haben, als es einige Leute in diesem Lande tun, die glauben, diese Entscheidung zum NATO-Doppelbeschluß
sei nun wieder eine Entscheidung auf Tod und Leben. Das wird in einigen Ländern, die mit dem Tod nicht so — —
— Ihre Unterbrechung, lieber Herr Voigt, in Ehren. Ich komme gleich auf Ihre Haltung zurück. Ich glaube, Sie haben dann viel mehr Grund, mich vielleicht zu attackieren, als es jetzt schon der Fall ist, wo ich ja noch verhältnismäßig glimpflich rede.Es muß auch hier klar sein, daß wir uns in der Zielsetzung einig sind, daß alle, die wir hier sitzen, eben nicht wollen, daß es mehr Raketen gibt, nicht wollen, daß die Aufrüstung fortgesetzt wird,
und erst recht nicht wollen können, daß es ein neues Wettrüsten gibt; daß aber die Frage nach der Erreichung dieses Ziels verschieden beantwortet wird. Und das muß man doch wohl noch hinnehmen: Sie wird verschieden beantwortet. Sie wird von Ihnen heute anders beantwortet als vor einem Jahr, und von uns genauso wie vor einem Jahr. Darin liegt ein Unterschied. Das gebe ich Ihnen zu.
Ich warne vor dem Mißverständnis, daß die Entscheidungen in Genf und die Diskussionen in Genf allein von militärischen Fragen geprägt gewesen sind. Sie sind — das hat uns Herr Nitze bei unserem letzten Gespräch des Unterausschusses, daß wir vor drei Wochen geführt haben, sehr deutlich gemacht — zunehmend von einer politischen Zielsetzung geprägt worden, die die Sowjetunion immer mehr in diese Verhandlungen hineingebracht hat. Und diese politische Fragestellung ist eben, ob es der Sowjetunion gelingen kann, im Gegensatz zu allem, was in diesem westlichen Bündnis früher gegolten hat, zum erstenmal zu erreichen, daß sie Waffen aufstellt und den Amerikanern verweigert wird, vergleichbare Waffen auf unserem Territorium zu unserem Schutz aufzustellen.Ich verstehe eines nicht, meine Damen und Herren von der SPD: daß Sie heute sagen, es genüge eigentlich, wenn man auf die Vorschläge der Sowjetunion eingehe, beispielsweise eine Zahl von Raketen bejahe, die etwa mit der der DrittstaatenSysteme vergleichbar ist. Noch vor einiger Zeit — ich erinnere mich an Worte von Herrn Bahr in Washington — war das für Sie unannehmbar. Es ist überraschend für Sie annehmbar geworden. Ich meine, das ist sicher nicht ganz konsequent.Wenn Helmut Schmidt davon gesprochen hat, daß es bei dieser schwierigen Entscheidung, vor der wir stehen, darauf ankommen muß, daß die Bundesrepublik ihr Wort hält, und daß das politische Gleichgewicht nachhaltig gestört würde, wenn wir von dem abweichen, was wir hier jahrelang gemeinsam vertreten haben, dann hat er es bestimmt nicht aus Gründen getan, die hier von meiner Vorrednerin herausgestellt worden sind, sondern weil wir wissen, daß unsere Verantwortung in diesem Bundestag für den Frieden in diesem Land im wesentlichen davon abhängt, ob wir in der Welt noch berechenbar bleiben, ob wir in Zukunft gegenüber unseren westlichen Verbündeten noch die Rolle spielen können, die wir bisher gespielt haben. Ich halte das für eine sehr wesentliche Entscheidung.Die Kritik, wie man- sie von den Gegnern des Doppelbeschlusses hört, bezieht sich insbesondere auf die Vereinigten Staaten von Amerika, und auch bei den Demonstrationen vor der Tür dieses Hauses werden immer wieder Parolen laut, die sich gegen die Vereinigten Staaten von Amerika richten. Angesichts dessen sollten wir uns heute, am 20. Todestag des Präsidenten Kennedy, daran erinnern, daß wir sehr viele verschiedene amerikanische Präsidenten erlebt haben und daß wir — ich gebe das zu — einen wesentlichen Unterschied zwischen der Rhetorik eines Kennedy und der des heutigen Präsidenten feststellen können. Ich gebe zu, daß mir in den vergangenen Jahren die Rhetorik mancher amerikanischer Politiker nicht gefallen hat. Diese Rhetorik hat mit dazu beigetragen, daß es hier ein Mißtrauen gegenüber den Vereinigten Staaten gibt. Das kann man nicht wegleugnen. Man darf sich in Washington auch nicht darüber wundern, wie heftig einige Reaktionen in Europa gewesen sind und wie sehr amerikanische Politiker auch im eigenen Land die Folgen solcher Reden spüren, etwa wenn der amerikanische Verteidigungsminister Weinberger dieser Tage an der renomiertesten Universität der Vereinigten Staaten, in Harvard, sehr heftige Proteste miterlebt hat. Wir wissen das, und wir geben auch zu, daß das nicht immer hilfreich gewesen ist. Ich bin auch nicht der Auffassung, daß wir lediglich
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aus dem Bündnis heraus, das wir mit den Vereinigten Staaten haben, alles gutheißen sollten, was in den Vereinigten Staaten geschieht oder was dort gesprochen wird. Aber das darf uns doch nicht von der klaren Erkenntnis abbringen, daß wir ohne die Vereinigten Staaten eben nicht in der Lage sind, die Sicherheit dieses Landes zu garantieren
und daß wir die Vereinigten Staaten zu diesem Doppelbeschluß gebracht haben, den sie ursprünglich— zumindest die Vorgängerregierung des heutigen Präsidenten — nicht wollten.Die Amerikaner verstehen eben nicht, wenn ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland — —
— Herr Voigt, ich habe gerade vor wenigen Tagen mit einigen Ihrer Kollegen und ehemaligen Kollegen zusammengesessen. Ich muß Ihnen sagen: Eine so erbitterte Kritik wie die in Ihren Reihen an der Führung Ihrer Partei ist bei uns mit Sicherheit noch nicht zu hören gewesen. Versuchen Sie bitte nicht, die Probleme, die Sie haben, jetzt ständig auf andere zu übertragen.
Helmut Schmidt hat recht, wenn er sagt: Es entstünde eine Vertrauenskrise im westlichen Bündnis, wenn wir Ihnen heute abend folgen würden. Machen wir uns doch bitte nichts vor! Willy Brandt und Horst Ehmke und auch Karsten Voigt ist doch bekannt, wie in Amerika gedacht wird. Glauben Sie doch nicht, daß das Wackeln eines der entscheidenden Bündnispartner ohne jede Wirkung in den Vereinigten Staaten wäre oder daß Ihre Umkehr oder— ich will das Wort, das ich bisher sehr selten ausgesprochen habe, jetzt einmal verwenden — Ihre Wende weg von dieser Politik in den Vereinigten Staaten etwa zu einer Verbesserung unserer politischen Situation führen würde. Machen Sie sich doch bitte nichts vor! Letzten Endes war Herr Bahr bei den Gesprächen in Washington bei fast allen wesentlichen Leuten der amerikanischen Regierung und auch mit dem amerikanischen Generalstab dabei, und ich habe dort bei Herrn Bahr leider die deutliche Abkehr, die Argumentation, die er seiner gestrigen Rede zugrunde gelegt hat, vermißt. Er hat sie in den Vereinigten Staaten nicht gebracht, hat sich im Dialog mit den Vereinigten Staaten nicht bemüht, Ihre schwerwiegenden Bedenken vorzubringen.
Er hat damals gesagt, daß die Vorschläge der Sowjetunion eben nicht ausreichend seien und daß er sich vom Beschluß des Landesparteitags Baden-Württemberg distanzieren müsse. Und eine Woche später hat er auf einem Landesparteitag in Rheinland-Pfalz das genaue Gegenteil getan! Sie können uns dann nicht vorwerfen, wir machten eine falsche Politik, sondern Sie müssen sich fragen, ob ein solcher Slalomkurs unser Vertrauen in der Welt stärkt.
Meine Damen und Herren, Herr Kwizinski hat bei den Gesprächen des Unterausschusses in Genf— Herr Rühe wird noch sprechen, er wird das bestätigen können — in kühler Arroganz gesagt, daß die Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf besondere Waffen zur Abschreckung habe. Das sei gar nicht der Sinn dieser Verhandlungen. Wir müssen ganz klar erkennen, daß unsere Sicherheitsanforderungen mit solchen Äußerungen deklassiert werden, daß das, was für die Vereinigten Staaten gilt, für die Bundesrepublik russischerseits nicht zu gelten scheint. Kwizinski sagt, die Aufstellung von Pershing II sei unbegründet, wir hätten mit Pershing I schon die richtigen Waffen gehabt, um nach Osteuropa zu zielen, und die Aufstellung der SS 20 habe nur dazu geführt, das wettzumachen, was die Pershing I bedeutet habe. So wurde das bei den Gesprächen in Genf wörtlich gesagt. Ich frage mich, welche Art von Verhandlungspolitik das ist.
— So war es, Herr Voigt, Sie waren nicht dabei.
Was Kwizinski sagt, ist Quatsch. Ich bin dankbar, daß zumindest Kritik auch an der Sowjetunion aus Ihren Reihen noch mit aller Kraft erfolgt.
— Nein, es war gar nicht so gemeint. Entschuldigung, ich wollte hier nur sagen: Es tut gut, daß Sie gelegentlich auch einmal einen sowjetischen Politiker mit dem Attribut „Quatsch" versehen. Das ist für mich zumindest eine gewisse Befriedigung.Meine Damen und Herren, die, die jetzt für eine Fortsetzung der Verhandlungen plädieren, die jetzt sagen, der Durchbruch sei zwar bisher nicht geschafft worden, könne aber geschafft werden, wenn wir Verhandlungen verlängern, die aber gleichzeitig sehr deutlich machen, daß eine Stationierung dieser Waffen nicht in Frage kommt, muß ich fragen, mit welchen Trumpfkarten wir in Genf eigentlich noch spielen wollen,
und wie sie die Erfolgschancen dieser Verhandlungen sehen, wenn sie jetzt erkennen können, daß die Sowjetunion bis zur Stunde nicht bereit gewesen ist, die entscheidende Forderung zurückzustellen, es dürfe hier keine einzige amerikanische Waffe aufgestellt werden, alles sei nur mit Drittstaatensystemen vergleichbar. Noch ein Zitat von Herrn Kwizinski: Auf die Frage, ob wenigstens die Produktion der SS 20 gestoppt werden würde, hat er uns geantwortet: Nein, das können wir nicht. Die Aufstellung wird gestoppt, die Produktion nicht.
Angesichts dieser Situation frage ich mich, woher Ihr Optimismus zu nehmen ist, Verhandlungen fort-
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zusetzen und mit dem Beginn der Stationierung noch länger zu zögern. Ich sehe kein befriedigendes Zeichen; aber ich erinnere mich auch, daß wir alle in Washington den Eindruck hatten, daß es einen berechtigten Optimismus gibt, 1984 zu Ergebnissen zu kommen, nämlich dann, wenn die Sowjetunion weiß: es wird Ernst gemacht.
Es ist auch niemals vom Abbruch der Verhandlungen gesprochen worden. Herr Sagladin hat uns in Moskau klargemacht, daß er eine Unterbrechung voraussieht, und Herr Falin hat noch vorgestern abend im Fernsehen in einer Diskussion, der Sie alle folgen konnten, an der auch Herr Sonnenfeld und Herr Schmidt teilgenommen haben, gesagt: Dann wird es neue Verhandlungen geben.Nun gibt es aus Ihren Reihen die Kritik, diese neuen Verhandlungen könnten auf dem Rücken der Bundesrepublik Deutschland zu Ergebnissen führen, die wir nicht wollen könnten. Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihren Weg beschreiten, dann haben wir allerdings kaum Gelegenheit, auf die Vereinigten Staaten noch einmal Einfluß auszuüben oder unseren Einfluß geltend zu machen, daß Ergebnisse zustande kommen, wie wir sie wollen; denn ein derart unglaubwürdig gewordener Verbündeter hat nicht mehr die Möglichkeiten, die sich diese Bundesregierung erhalten will.
Ich meine, wir sollten uns vielleicht in der Bundesrepublik Deutschland über eine weitere Illusion langsam klarwerden, nämlich die Vorstellung, die man in vielen Gesprächen mit jungen Leuten hört, den Vereinigten Staaten sei das eigentlich ganz egal, sie seien so an uns interessiert, daß sie in jedem Fall alle Entscheidungen, die wir hier fällen, zur Kenntnis nähmen und ihre Haltung uns gegenüber nicht veränderten. Ich sage Ihnen: Ein Freund dieses Landes und ein sicher unverdächtiger Zeuge, mit dem wir in Washington gesprochen haben, nämlich Herr Eagleburger, hat uns nachdrücklich davor gewarnt, die Gefahren des sogenannten Unilateralismus in den Vereinigten Staaten zu unterschätzen. Es ist nicht Isolationismus, aber es ist eine zunehmende Gefahr — ich bin Ihnen dankbar, Herr Stobbe, daß Sie mir zunicken, der Sie lange in New York gelebt haben —, daß einfache Kongreßabgeordnete, aber auch der Mann auf der Straße, von dem hier in diesen Debatten soviel gesprochen wird, nicht mehr versteht, weshalb eigentlich soviel Aufhebens um dieses Europa gemacht wird, wo nacheinander jeder Verbündete seine eigenen Vorstellungen entwickelt und am nächsten Tag nicht mehr dazu steht. Glauben Sie doch bitte nicht, daß das nicht Wirkungen auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten hätte!
Es hat auch Wirkungen auf die Vereinigten Staaten, wenn z. B. im Fernsehen der Vereinigten Staaten immer wieder Bilder gezeigt werden, die dort fälschlich den Eindruck erwecken, als sei die vonIhnen behauptete Mehrheit, von der ich meine, daß es keine Mehrheit ist — —
— Eine Mehrheit für den Frieden j a, nicht aber eine Mehrheit, wie Sie sie hier dauernd unterstellen, eine Mehrheit gegen die Nachrüstung! Die haben Sie nicht, weil den Leuten die Folgen zu sehr bewußt sind.
— Eine Volksbefragung haben wir auch abgelehnt, als von bestimmten rechten Politikern nach Taxi-Morden verlangt worden ist, die Todesstrafe wieder einzuführen.
Wir sind eine repräsentative Demokratie,
Wir machen nicht Volksabstimmungen gerade nach Wunsch und Willen der verschiedensten Leute.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Wirkungen der Dinge, die im amerikanischen Fernsehen dargestellt worden sind, — —
— Ich kann Ihnen nur sagen: Es geht mir darum, daß Sie Ihre Illusionen verlieren, Sie könnten Ihre politischen Bocksprünge ohne jede Wirkung in den Vereinigten Staaten in Zukunft so fortführen. Das ist der Punkt.
— Doch, doch, das ist eine Wende gewesen. Das können Sie mir nicht bestreiten. Mir hat ein Abgeordneter Ihrer Fraktion in diesen Tagen gesagt: „Ich habe damals den Genscher bei dieser Wende nicht verstanden, und wir haben Haßgefühle gegen ihn gehabt; aber heute muß ich sagen: der hat richtig gehandelt." — Aus Ihrer Fraktion! Da müssen Sie doch sehen, was hier inzwischen eigentlich passiert ist.
Sie wissen, daß ich mir das damals auch nicht leicht gemacht habe.
— Das ist keine Rechtfertigung, die ich jetzt suche, sondern Sie liefern nachträglich den Beweis, daß es
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richtig war, außenpolitisch mit Ihnen nicht mehr zu koalieren.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch folgendes sagen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Schäfer!
— Ja, Herr Abgeordneter Duve, aber wenn die Zwischenrufe hier dem Redner beinahe ohne jede Pause entgegengebracht werden, ist das eine Störung. Ich bitte um etwas Zurückhaltung.
Ich habe auf das amerikanische Fernsehen angespielt im Zusammenhang mit den Berichten über gewalttätige Demonstrationen in der Bundesrepublik Deutschland und z. B. vor Berliner Kasernen. Da muß sich doch der normale amerikanische Bürger langsam die Frage stellen, wozu die Amerikaner Berlin eigentlich noch verteidigen sollen, wenn die Einwohner dieser Stadt vor amerikanischen Kasernen in West-Berlin demonstrieren.
Das können Sie Amerikanern doch einfach nicht mehr klar machen.Sie wissen ganz genau, daß ich mit manchem nicht einverstanden bin, was die neue Regierung der Vereinigten Staaten, insbesondere in Zentralamerika, politisch unternommen hat. Und ich bin dem Bundesaußenminister nachträglich noch sehr dankbar — ich sage das auch an die Adresse unserer Freunde bei der CSU —, daß er hier eine klare Stellungnahme zu Grenada abgegeben hat, von der es keinen Millimeter zurückzuweichen gilt, auch wenn das mancher in München nicht möchte.
Aber, meine Damen und Herren, das können wir doch nur auf Grund unseres Freundschaftsverhältnisses zu den Vereinigten Staaten. Es ist doch einfach eine Illusion, zu glauben, wir könnten uns in Zukunft noch solche Möglichkeiten des Einflusses auf die Vereinigten Staaten erhalten, wenn wir hier in einer ganz entscheidenden Frage, die wir und nicht die Amerikaner letzten Endes durchgesetzt haben, diesen Schwenk vollziehen.Meine Damen und Herren, ich teile auch die Sorgen der Friedensbewegung — die ich nicht herunterspielen will — hinsichtlich atomarer Rüstung, Aufrüstung und Gefahren des Wettrüstens. Aber ich habe auch Sorge, daß mit der Friedensbewegung, weil in ihr so etwas wie eine neue irrationale Strömung aufgekommen ist, die ja in der deutschen Geschichte nicht zum erstenmal hochkommt,
aus einer tiefsitzenden romantischen Neigung, zu glauben, man könne sich aus der Verantwortung stehlen,
man könne sich zwischen den Weltmächten eine Insel schaffen oder eine Art politischen Schrebergarten, in dem man mit diesen weltpolitischen, ideologischen Auseinandersetzungen nichts mehr zu schaffen habe. Das ist die Situation. Craig spricht in seinem Buch „Über die Deutschen" vom „Hang zu einer gewissen Überspannung, Erregung, vom Widerwillen gegen das Einfache und Logische" — das ist sogar ein Nietzsche-Zitat. Meine Damen und Herren, das können Sie nicht leugnen. Auch hinter dem religiösen Fundamentalismus, dem dauernden Beschwören der Bergpredigt, stehen irrationale Momente, die die politischen Fragen der Gegenwart nicht lösen können, weil sie einfach unterschlagen, daß die Partner im Osten, von denen Sie die Sicherheitspartnerschaft verlangen, solche Vorstellungen moralisch nicht teilen und wir dort mit einem völlig anderen Bewußtsein zu rechnen haben.
Insofern sind diese Versuche zum Scheitern verurteilt.Meine Damen und Herren, auch die Vorstellung eines deutschen Neutralismus, die Vorstellung, wir könnten Österreich oder Finnland spielen, sind doch schlicht und einfach grotesk. Sie entsprechen nicht unserer Situation. Wir haben uns hier zu entscheiden. Aber wir können nicht die Flucht in die Irrealität antreten. Weil Atombomben schlecht sind, können wir nicht sagen, wir hören auf mit einer Sicherheitspolitik, die mit diesen Waffen weiterhin leben muß.Auch die, die sagen: Wir brauchen die neue, andere Strategie, wir brauchen jetzt etwas völlig anderes!, sind uns die Antwort schuldig geblieben, wie diese Strategie aussehen soll. Um eine solche Strategie zu entwickeln, braucht man sehr viel Zeit.
Deshalb müssen wir, ob wir wollen oder nicht, vorläufig weiter mit atomaren Waffen leben, aber immer in der Bemühung, sie abzubauen. Darin sind wir uns j a einig. Es wäre Unsinn, das leugnen zu wollen und uns zu unterstellen, wir seien von einer zusätzlichen Rüstung begeistert.Meine Damen und Herren, ich mache mir Sorge über diese Götterdämmerungs- und Weltuntergangsstimmung, die zum Teil aufgekommen ist,
weil ich fürchte, daß sie uns an rationalen und vernünftigen Entscheidungen hindern wird, daß sie
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uns nicht helfen wird. Ich mache mir auch Sorgen, daß hier ständig gegen viele Abgeordnete eine Stimmung angeheizt wird, indem man unterstellt, in ihrer Leichtfertigkeit nicht zu wissen, worüber sie zu entscheiden hätten. Ich finde das sehr bedauerlich. Herr Mischnick hat gestern eine Reihe von Bemerkungen zu diesem Punkt gemacht.
Er hat deutlich gemacht, daß man mit einem solchen Druck, den man auf uns ausübt, begonnen hat, die Demokratie auszuhöhlen. Das sollte man in aller Deutlichheit hier einmal sagen.
Meine Damen und Herren, es darf hier kein Zweifel daran bestehen, daß wir uns in unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, von dem ich gesprochen habe, die Entscheidungsmöglichkeiten erhalten wollen, daß wir aber auch in unserem Verhältnis zur Sowjetunion nicht von dem abgehen wollen, was wir in den vergangenen Jahren auch in den Jahren der sozialliberalen Koalition mit dem Osten, erreicht haben. Bei allen Gesprächen, die wir in den letzten Wochen mit den Sowjets geführt haben — ob das Graf Lambsdorff war, ob es der Unterausschuß Abrüstung war —, ist unsere Absicht deutlich geworden, auch gegen manche Kritik aus den Vereinigten Staaten, diese Politik fortzusetzen und sie zu vertiefen.Ich als Vorsitzender der deutsch-sowjetischen Parlamentariergesellschaft in diesem Hohen Hause habe mich sehr darüber gefreut, daß in einer Verhandlungspause, die wir in Moskau hatten, Herr Schitikow, der Vorsitzende des Obersten Sowjets, zu mir gekommen ist und gesagt hat: Herr Schäfer, wann findet die Delegationsreise statt, auf die wir warten? Wann kann unsere Delegation hierher kommen, und wann kommt ihre im nächsten Jahr dorthin? Das war in der Pause bei einem Gespräch, in dem es um Raketen ging. Herr Schitikow hat gesagt: — auch das hat mich erfreut — Lassen Sie uns jetzt endlich einen Moment aufhören, über Raketen zu diskutieren; wir wollen weiterkommen. Wir sollten hier ein bißchen Zuversicht verbreiten und nicht die Stimmung, als würde mit heute abend alles enden, was bisher an Anstrengungen nach Osten hin unternommen worden ist.
Ich finde, diese Zuversicht sollten wir insbesondere auch unseren Landsleuten in der DDR vermitteln, die ja auch glauben, unsere Entscheidung könnte in der DDR zu einer neuen Eiszeit führen. Wir sind uns sehr bewußt, was diese Entscheidung auslösen kann. Aber auch an unsere Landsleute in der DDR gerichtet glaube ich sagen zu müssen: Haben Sie Trost und Zuversicht mit uns, daß es uns gelingen wird, weiterzukommen. Das ist keine naive Unterschätzung der Weltmachtvorstellungen der Sowjetunion. Ich glaube, wir sprechen vielmehr aus der langen Erfahrung unserer Verhandlungen auch mit der Sowjetunion.Ich darf zum Schluß kommen. Ich glaube, daß nur auf den Fundamenten eines funktionierenden Bündnisses, eines starken Atlantischen Bündnisses, und unseres festen und freundschaftlichen Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten Abrüstungserfolge erreichbar sind. Dies geht aber nicht gegen die Vereinigten Staaten und mit Sicherheit auch nicht durch Wankelmut. Der ist sicher auch auf die Rolle zurückzuführen, die Sie als Opposition spielen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Partei, ob die Sozialdemokraten in der Regierung heute eine ähnliche Entscheidung treffen würden, wie Sie, meine Damen und Herren, sie auf Ihrem Kölner Parteitag getroffen haben. Es läßt sich in der Opposition natürlich manchmal populistischer argumentieren, als man es in der Regierung kann.
Ein letztes Wort darf ich vielleicht noch zu der Rolle meiner eigenen Partei sagen, die ja manchmal — im Gegensatz zu einem Zitat aus „Faust" — viel gescholten und wenig geliebt ist. Meine Damen und Herren, die FDP, der man in einigen Kreisen in der Bundesrepublik die Wende sehr vorgeworfen hat, hat seinerzeit mit der CDU/CSU und gegen die nationale deutsche Linke das Atlantische Bündnis herbeigeführt sowie die Freundschaft mit dem Westen und unsere Verankerung im westlichen Bündnis begründet. Gegen den jetzigen Koalitionspartner CDU/CSU mußte sie zusammen mit den Sozialdemokraten die Ostpolitik durchsetzen.
— Und wenn Sie noch so lachen: Sie hatten nie die absolute Mehrheit, und Sie werden sie auch nie kriegen. Das ist Ihr Problem.
Nebenbei bemerkt, wir kriegen sie auch nicht.
— Ja, bedauerlicherweise. Intelligenz wird in diesem Lande häufig unterschätzt. Das haben wir schon öfter festgestellt.
Ich möchte nur eines sagen, meine Damen und Herren: Wir mußten gegen manchen, der heute noch hier sitzt, die Ost- und Entspannungspolitik mit Ihnen von der SPD durchsetzen. Wir bedauern, daß Sie einen Weg zurückgehen von dem, was Sie in den 13 Jahren gemeinsam mit uns bekräftigt hatten. Jetzt ist der Anfang dieses Weges gegangen worden, und ich kann nur mit meinen Freunden in Ihrer Partei, die ich immer noch habe, hoffen, daß Sie nicht noch weitere Schritte gehen, daß Sie nicht in eine Isolierung geraten, die ich Ihnen politisch nicht wünsche.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zu dem
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Waltemathekomme, was ich hier sagen möchte, darf ich auf eine Äußerung eingehen, die Herr Biehle vorhin gemacht hat. Er hat meinem Fraktionskollegen Gert Weisskirchen unterstellt, er spiele sozusagen das Spiel der Sowjetunion.Gert Weisskirchen hat ein Statement für das sowjetische Fernsehen gegeben, das vorgestern gesendet worden ist. Darin heißt es:Darum fordere ich— also Gert Weisskirchen —die USA auf, die beabsichtigte Stationierung nicht zu vollziehen. Darum fordere ich die UdSSR auf, mit der angebotenen Liquidierung von SS 20 jetzt zu beginnen und die beabsichtigte Stationierung neuer atomarer Kurzstrekkenraketen nicht zu vollziehen. An mehr Waffen werden wir alle noch ersticken.
Herr Abgeordneter Waltemathe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Nein, ich möchte meine Redezeit nicht überziehen, zumal ich in meiner Fraktion dafür gekämpft habe, daß dieses Parlament ein Redeparlament mit kürzeren Beiträgen statt der Mammutbeiträge, die wir meistens in den Debatten hören, ist.
Meine Damen und Herren, es geht die Angst um, auch hier in diesem Hause. Auch diese Debatte ist von Angst geprägt. Die Angst ist auch begründet, denn in einer kaum noch durchschaubaren Welt mit kaum noch durchschaubaren, sehr ausgeklügelten computerisierten Strategien will der Bürger wissen, ob seine Sicherheit noch gewährleistet ist und überhaupt noch gewährleistet werden kann. Ist es wirklich so, daß es zur Zeit — mit nachteiligen Folgen für uns — ein Gleichgewicht nicht gibt, und bedeutet das, daß die Sowjetunion uns ab übermorgen politisch so unter Druck setzen kann, daß unser freiheitliches Gesellschaftssystem verlorengeht? Bedeutet Nachrüstung demnach, daß wir uns ab übermorgen sicher fühlen können?Meine Damen und Herren, mit Angst kann man Politik machen.
Sie ist eine oft erprobte, von den jeweiligen Herrschern durchgesetzte Methode, Aufrüstung plausibel machen zu lassen.
Immer ist nämlich die andere Seite angeblich stärker. Die Angst könne man, nach dieser Logik, folgerichtig nur dann überwinden, wenn man ein Gleichgewicht oder noch viel besser eine Überlegenheit herstelle. Das tue man zwar nicht gerne, aber leider lasse einem die andere Seite keine andere Wahl. Schließlich kann doch der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Angst ist auch ein vortreffliches Mittel der innenpolitischen Einschüchterung.
Wenn einem nämlich zur Plausibilität von Aufrüstungsschritten keine Sicherheitsargumente mehr einfallen, kann man Bockbeinige immer noch als im leninschen Sinne, die nützlichen Idioten der anderen Seite bezeichnen.
An Kriegen sind, das haben wir in diesem Hause gehört, in Wahrheit die Pazifisten schuld, d. h. an künftigen Atomkriegen sind die Atompazifisten schuld.
Auch ich habe Angst. Ich weiß aber auch, das nur, wer Angst hat, den Mut aufbringen kann, sich dem Aufrüstungswahn zu widersetzen.
Weil jeder weiß und wissen kann, daß gegen atomare Schläge eine Verteidigung gar nicht möglich ist, wäre es ja wohl Wahnsinn — viele betonen das in Sonntagsreden —, dazu beizutragen, daß sie überhaupt stattfinden können. Wer Angst vor dem Atomkrieg hat, darf ihn nicht vorbereiten.
Angst könnte auch ein Anlaß für die Einkehr der Vernunft sein. Weil das angeblich längst Berechnete und in vielen Computern Gespeicherte immer unberechenbarer wird, muß damit gerechnet werden, daß ein Krieg, sogar ein konventioneller, nicht so abläuft, wie es sich die Strategen ausgedacht haben.
Schließlich, meine Damen und Herren, sollte Angst ein Signal für Zusammenarbeit sein. Weil Sicherheit offensichtlich nicht durch Überrüstung und Overkill, also der Fähigkeit, sich mehrfach umzubringen, zu kaufen ist,
muß man Interesse an der Sicherheit des anderen haben. Denn wer vor der anderen Seite nicht gesichert werden kann, muß sich mit ihr sichern.
Schon immer aber haben es die Herrschenden verstanden, die schlichte Wahrheit als naiv und damit als realitätsfern zu diffamieren.
Die innenpolitische Schlachtordnung verläuft nach alten, wenig originellen Prinzipien und Rezepten. Da werden nicht Interessen, Risiken und Chancen abgewogen, sondern Verdächtigungen und Unterstellungen ausgesprochen: Entweder sei man nicht
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2490 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Waltemathefür den Frieden oder nicht für die Freiheit oder man plane sogar eine ganz andere Gesellschaftsordnung, als diejenige, die wir haben. — Ich glaube, daß gerade letzteres völlig falsch ist, wenn ich an die vielen engagierten Menschen in der Friedensbewegung und anderswo denke.Wer Reagan nicht Friedens- und Entspannungspolitik zutraut, der gilt bei uns schon als Antiamerikaner. Nun, ich traue Reagan zu, daß er die Politik betreibt, die er als im amerikanischen Interesse liegend betrachtet. Das heißt u. a.: Sollte es zu einem Kräftemessen, zumal einem atomaren, mit der Sowjetunion kommen, so darf das Gebiet der USA nicht in Mitleidenschaft gezogen werden; also müssen die weltweiten Interessen dezentral wahrgenommen werden, und deshalb müßten die Machthaber im Kreml auch von Europa aus bedroht werden können.Nun hat aber die Sowjetunion die gleiche Angst, die Amerika hatte, als die Sowjets auf Kuba Mittelstreckenraketen aufstellen wollten. Die Sowjetunion — ich sage hier besser: Rußland — hat ja Kriege — ich meine nicht diejenigen, die sie selbst angezettelt haben, wie Afghanistan — und Verluste tatsächlich so erlebt, daß sie, die Sowjetunion, bzw. es, Rußland, überfallen wurde.
Das heißt die Angst der Sowjetunion weckt, abgesehen davon, daß sie wie die USA imperialistische Ziele verfolgt, ein besonders starkes, ja ein übertriebenes militärisches Sicherheitsbedürfnis.
Und es ist ja wahr: Die Sowjetunion rüstet nach, sie rüstet vor, und sie rüstet auf. Das bestreitet niemand. Beide Großmächte
wollen sich zum einen ihre jeweilige Einflußsphäre nicht nehmen lassen und andererseits nicht von einer Position angeblicher militärischer Unterlegenheit aus verhandeln. Aber, so frage ich: Ist es dann so naiv, wenn Europäer ihre Sicherheit nicht davon abhängig machen lassen wollen, daß über ihre Köpfe hinweg und im Ernstfall auf ihre Köpfe herab die Aufrüstungsspirale in Gang gehalten wird? Ist es wirklich nur eine unrealistische, verniedlichend „Friedenssehnsucht" genannte Haltung, die zu einer immer größer werdenden Skepsis gegenüber der Weisheit offizieller Politik führt, oder handelt es sich doch um ein eher nüchternes, realistisches Kalkül, wonach das Überleben nur noch zu sichern ist, wenn man die Gefahren der Selbstzerstörung beseitigt?Aufrüstung scheint nur mit einem klaren Feindbild durchsetzbar. Ein Weltbild, das der anderen Seite die Rolle des ausschließlich Bösen zuweist, begünstigt schon im vorhinein Rechtfertigungen, es gebe etwas auszurotten. Dieses Wort „ausrotten" hört man auch heute wieder.
Wer sich daran nicht beteiligen will, der arbeitet offensichtlich für den Feind und ist innenpolitisch mithin ein Sicherheitsrisiko. Denn natürlich wird unterstellt, daß auch die Kreml-Gewaltigen Tag und Nacht an Plänen zur Ausrottung oder Einverleibung des Westens arbeiten, und dagegen muß man sich ja wappnen.Nun lassen sich Millionen westdeutscher Friedensfreunde nicht so einfach als Kommunisten oder „Fünfte Kolonne" abtun. Die DKP würde ja davon träumen, so viele Anhänger und Wähler zu haben, wie die Friedensbewegung seit 1981 auf die Beine gebracht hat.
Wer den Versuch unternimmt, die Friedensbewegung in eine bestimmte Ecke zu stellen oder, wie das zuweilen die GRÜNEN versuchen, ausschließlich zu seiner eigenen Klientel zu zählen, der irrt sich ganz gewaltig.
Wer glaubt, daß es sich um lauter ferngesteuerte, irregeleitete, dumm-naive Protestler handele, hat gar keine Ahnung davon, wieviel unterschiedliche Motivationen und politische, religiöse, militärstrategische Ansichten und sicher auch Emotionen trotzdem zu dem einen Ergebnis führen: Laßt ab von dem Wahnsinn, solange es dazu noch Zeit ist!
Meine Damen und Herren, ich als Pazifist, der ich von Anfang an gegen den Aufrüstungsteil des NATO-Beschlusses war, weiß, daß selbst in der Friedensbewegung meine grundsätzliche Haltung eine Minderheitenmeinung darstellt. Viele Menschen, mit denen ich anläßlich des Evangelischen Kirchentages im Mai 1981 in Hamburg oder bei den Bonner Demonstrationen vom Oktober 1981 beziehungsweise Juni 1982 oder bei Demonstrationen in diesem Jahr gesprochen habe, sind überhaupt keine Gegner eines Verteidigungsbeitrages oder eines Verteidigungsbündnisses. Was sie einfordern, ist eine Sicherheitspolitik, die zum einen nicht vorwiegend oder ausschließlich militärisch definiert ist und zum anderen die Gefahren eines Krieges nicht erst heraufbeschwört, der die Vernichtung und eben nicht die Verteidigung bedeuten würde.
Weil ich auch dort eine Minderheitenhaltung darlege, stehe ich hier überhaupt nicht als triumphierender Rechthaber. Rechthaberei ist übrigens in der Politik nicht so gut. Denn ich weiß auch gar nicht, ob ich recht habe. Ich unterstelle ja, daß auch andere recht haben könnten. Aber ich finde, daß das, was Helmut Schmidt am 22. März 1958 im Bundestag ausgeführt hat, auch heute noch, nein, heute bei den neuen nuklearen Waffengenerationen erst recht Gültigkeit hat. Ich darf ihn zitieren:Wir sagen dem deutschen Volke in voller, ernster Überzeugung, daß der Entschluß, die beiden Teile unseres Vaterlandes mit atomaren Bomben gegeneinander zu bewaffnen, in der Geschichte einmal als genauso verhängnisvoll
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Waltematheangesehen werden wird, wie es damals das Ermächtigungsgesetz für Hitler war.
An einer anderen Stelle der gleichen Rede sagte Helmut Schmidt, zu Ihnen gewandt:... Sie wollen den Frieden erhalten dadurch, daß Sie den atomaren Krieg vorbereiten.
Nun geht es heute nicht darum, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen. Darum ging damals die Debatte; Strauß war Verteidigungsminister. Aber es geht doch um das gleiche Problem: ob es nämlich durch Ermächtigung möglich werden könnte, daß Krieg von deutschem Boden ausgehen könnte. Deshalb geht es hier nicht um Bündnis oder Nichtbündnis.
Schon aus dem Interesse unserer westlichen Nachbarn heraus würde gar nicht zugelassen werden, daß die Bundesrepublik Deutschland die NATO verließe, weil das Eingebundensein Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem weniger Angst macht als eine eigenständige Rolle. Nach dem Motto von de Gaulle liebt man Deutschland so sehr — übrigens auch bei unseren westlichen Nachbarn —, daß man lieber zwei davon hat.Aber die NATO will ja ein Verteidigungsbündnis sein mit der politischen Zielsetzung, Frieden und Freiheit zu sichern.
Gleichwohl hat sich die NATO nach ihren eigenen Beschlüssen und den US-amerikanischen Vorgaben zu einem Aufrüstungsbündnis entwickelt. Denn was anderes als Aufrüstung bedeutet es eigentlich, die Verteidigungsausgaben jährlich um 3% zu steigern?
Ich frage zusätzlich: Bringt uns das Jahr für Jahr 3 % mehr Sicherheit?
Ist es innerhalb eines Bündnisses erlaubt, zu fragen, ob bei einer Fähigkeit, sich gleich mehrere Male umzubringen, die Begriffe des Schutzschildes, der Sicherheit und des Gleichgewichts noch stimmen, und entspricht es einem Verteidigungsbündnis, die Gefahr der Vernichtung des zu verteidigenden Territoriums heraufzubeschwören? Mittelstrekkenwaffen, welche von Westeuropa bzw. von der Bundesrepublik Deutschland aus die Enthauptung der Befehlszentralen der Sowjetunion durchzuführen geeignet sind, sind ja keine Verteidigungsmittel. Sie sind entweder Angriffswaffen, die der Massenvernichtung bzw. ihrer Androhung dienen, oder auf indirekte und sehr makabre Weise Selbstmordinstrumente.
Nun ist das Nein der Sozialdemokraten zur Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlich motiviert. Vor zweieinhalb Jahren mußten es meine Fraktionskollegen in ihrer Mehrheit hinnehmen, daß einige Kollegen und ich einer Entschließung des Bundestages nicht zugestimmt haben, die von der zeitgerechten und konsequenten Verwirklichung beider Teile des NATO-Beschlusses ausging.
Mein heutiges Nein ist so motiviert, wie es das auch schon am 26. Mai 1981 war.
Nicht oder nicht ausschließlich, weil unzureichend und ergebnislos in Genf verhandelt wurde, halte ich die Stationierung für falsch. Aber es kommt gar nicht allein auf die Motive des Nein an. Wir alle müssen als vom deutschen Volk gewählte Vertreter die Interessen Westdeutschlands und Europas wahrnehmen. Die sind in meinen Augen nicht darin zu sehen, daß wir uns freiwillig zu Geiseln im Spiel von Großmächten machen lassen.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Wer tatsächlich abrüsten will, darf nicht erst weiter aufrüsten.
Zur Abrüstung muß man sogar den ersten Schritt tun. Das Ziel eines atomwaffenfreien Europas ist die konkrete Utopie, der wir nachstreben.
Beginnen wir mit atomwaffenfreien Zonen beiderseits der Demarkationslinie als Anfang ihrer Verwirklichung! Wer schon auf dem Pulverfaß sitzt, muß nicht auch noch die Lunte legen.
Ich füge hinzu: Er muß auch nicht den Ehrgeiz haben, das zweite Streichholz zu besitzen.
Ich halte es für schlicht unglaubwürdig, wenn hier ständig als Ziel angegeben wird, man wolle Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, während man die Aufrüstung fortsetzt.
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2492 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
WaltematheIch wäre dafür, daß wir uns als Realisten so viel ursprüngliche Naivität leisten, unsere Phantasie für die Androhung von Frieden und Zusammenarbeit und für weltweite soziale Gerechtigkeit anzustrengen.
Das Geld dazu hätten wir, wenn wir auf weitere Überrüstung verzichten. Beginnen wir heute damit, indem wir ein klares Nein zur Stationierung neuer Massenvernichtungswaffen aussprechen! Von deutschem Boden aus muß es ein Signal des Friedens geben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst an die Kollegin Frau Nickels wenden. Frau Nickels, Ihre Betroffenheit über die Folgen der Hiroshima-Katastrophe ist bewegend. Ich teile diese Betroffenheit; denn ich habe als Kind in meiner schwer zerstörten Vaterstadt Koblenz die Bombennächte erlebt. Ich war zweimal verschüttet. Ich weiß, wie schrecklich Krieg schon damals war.Ich weiß auch aus seinen Erzählungen, daß unser Bundeskanzler Helmut Kohl den Krieg sehr persönlich erlitten hat. Mit 13 Jahren war er in einem Schülerlöschzug im Bombenkrieg in Ludwigshafen eingesetzt, und er hat seinen Bruder durch den Soldatentod verloren.Wir, die Union, wollen ja gerade durch unseren Beitrag zur Stärkung des westlichen Verteidigungsbündnisses erreichen, daß unserem Volk und der Welt ein Atomkrieg, ja jedweder Krieg erspart bleibt.
Herr Kollege Waltemathe, Sie waren immer ein konsequenter Pazifist. Ich habe Ihre persönliche Haltung stets respektiert. Sie haben es leichter, persönlich glaubwürdig zu sein, als viele Ihrer politischen Freunde nach dem SPD-Parteitag.
Meine Damen und Herren, ich will in meinem Beitrag versuchen darzustellen, was mich persönlich in dieser wichtigen Stunde bewegt. Ich will damit deutlich machen, daß ich die Entscheidung, die wir treffen müssen, nicht leichtnehme und schon gar nicht leichtfertig, etwa aus Parteiräson, für ein Ja zur Nachrüstung stimmen werde.Nicht die Richtigkeit der Sachentscheidung macht mir Probleme; diese ist lange diskutiert und oft und oft bedacht worden. Die Rede Helmut Schmidts auf dem SPD-Parteitag war für mich eine letzte Bestätigung.Was mich bedrückt, das ist die blanke Angst vieler Menschen in unserem Land, die ganz spontan und emotional glauben, die Aufstellung der neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa verändere schlagartig die Welt. Sie glauben, diese Raketen lösten unaufhaltsam eine atomare Katastrophe aus, ob durch Krieg, ob durch Computerfehler.Wir alle haben Briefe bekommen, die diese Angst ausdrücken: Briefe von Gruppen, die hier ankamen, in denen geradezu professionell die bekannten Argumente der Friedensbewegung lückenlos aufgelistet und abgeschrieben sind; Briefe von einzelnen. Auch hinter den Briefen dieser Gruppe — das will ich gar nicht bezweifeln — mag viel menschliche und persönliche Sorge verborgen sein und sicherlich viel echtes Engagement für den Frieden.Viel mehr berühren mich persönlich die Zeugnisse der Angst von einzelnen. Oft sind es Frauen, die den Krieg wie ich noch persönlich erlebt und erlitten haben, die vielleicht Söhne, Männer und Väter an der Front oder Angehörige im Bombenkrieg verloren haben. Meist haben diese Personen gar keine Argumente zusammengetragen. Sie sagen einfach: Es gibt schon zuviel schreckliche Waffen in der Welt, soll denn immer noch mehr gerüstet werden?
Es muß doch politische Mittel geben — so meinen sie —, die Rüstungsspirale anzuhalten. Sie meinen, wie Nachbarn im vernünftigen Gespräch mit gutem Willen auch schwierige Konflikte bewältigen können, so müsse das doch auch zwischen Völkern möglich sein.Ebenso empfinden viele junge Menschen, die von den schwierigen Zusammenhängen der großen Politik nicht viel verstehen und glauben, es dürfe doch nicht ohne politische Wirkung bleiben, wenn sie gemeinsam mit vielen anderen für den Frieden demonstrieren, beten, wallfahrten.Für diese Menschen möchte ich reden. Ihnen fühle ich mich verbunden, ja verpflichtet. Ihnen will ich die Gründe für mein Ja zur Nachrüstung verständlich machen.Ich bin engagierte katholische Christin, und ich stamme aus einer Familie, die die Verfolgung und Unterdrückung des Dritten Reiches hart erlebt hat. Die Angst vor der Gestapo Hitlers war tägliches Bewußtsein. Die frühe Erfahrung der Unfreiheit in einem totalitären Regime war nicht zuletzt der Motor, der mich in die Politik getrieben hat, um in unserer demokratischen Ordnung Mitverantwortung zu übernehmen. Aus dieser Verantwortung und aus dieser politischen Erfahrung heraus kann ich es mir nicht leisten, mich von einer emotionalen Grundstimmung anstecken zu lassen, die in vielen Gruppen längst den Charakter einer Psychose angenommen hat.
Auch ich will keine Raketen. Auch ich will unserem Volk den Frieden erhalten. Aber ich will unserem Volk auch Freiheit und Selbstbestimmung erhalten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2493
Frau VerhülsdonkPolitische Verantwortung kann Wissen und Verstand nicht ausklammern. Angst ist ein schlechter Ratgeber.Einer Sorge möchte ich zuerst begegnen. Auch nach einem Abbruch der Genfer Abrüstungsverhandlungen ist eine politische Eiszeit nicht zu befürchten.
Die politischen Entwicklungen bis in die letzten Tage hinein — ich denke an das Postabkommen mit der DDR, an die Wirtschaftsverhandlungen in Moskau — lassen dies doch unschwer erkennen. Auch dann, wenn zunächst die ersten Pershings und Cruise Missiles stationiert worden sind, ist die Welt ja nicht am Ende. Diese können jederzeit wieder abgebaut werden, wenn die Sowjets entsprechende Verhandlungsergebnisse akzeptieren.
— Es sind keine Spielzeuge. Schon die vorhandenen Waffen sind keine Spielzeuge, Frau Kollegin.
Keine Waffe ist ein Spielzeug. Ich möchte Ihnen antworten: Gerade weil wir der sowjetischen Drohung widerstehen, haben wir bessere Chancen, in absehbarer Zeit zu erfolgreicheren Abrüstungsverhandlungen zu kommen.
Solange die Sowjets noch hoffen konnten, daß innenpolitische Schwierigkeiten in unserem Lande — durch die Friedensbewegung und auch durch die SPD erzeugt — den Vollzug des zweiten Teils des NATO-Doppelbeschlusses noch verhindern könnten, so lange hatten die Russen doch gar keinen Grund, bei den Genfer Verhandlungen auch nur einen einzigen Schritt entgegenzukommen.
Alle sowjetischen Vorschläge hatten doch nur ein einziges Ziel, nämlich das Raketenmonopol mit den SS 20 zu erhalten und jedwede Nachrüstung des Westens zu verhindern. Bis zuletzt haben die Russen mit viel falschem Propagandaaufwand hoch gepokert. Sie haben damit manchem Bundesbürger Sand in die Augen gestreut. Die sachkundigen und einsichtigen Politiker der alten SPD-Führungsmannschaft um Helmut Schmidt wußten das immer, und sie wissen es heute genausogut wie wir Politiker der Union.Es ist eine böse und durch nichts gerechtfertigte Erfindung, den Amerikanern ernsthaften Verhandlungswillen abzustreiten.
Es war vor allem die SPD, die schon zu Regierungszeiten von Helmut Schmidt begonnen hat, diesesGift des Mißtrauens gegen unseren wichtigsten Bündnispartner auszustreuen.
Die Wahrheit ist aber doch, daß wir hier in Europa keine Zone minderer Sicherheit entstehen lassen wollten. Wir können den Amerikanern doch nur dankbar sein für ihre Entschlossenheit zur Verteidigung Westeuropas.
Zum Beweis ihrer Friedensbereitschaft haben die Amerikaner drei substantielle Verhandlungsangebote in Genf gemacht, Angebote, die bis an die Grenze des Vertretbaren gingen. Die USA und die NATO haben den Abrüstungsdialog von Genf als einen Beitrag zum Frieden verstanden. Während der Westen vier Jahre lang verhandelt und die Zeichen auf Kooperation und Entspannung gesetzt hat, wurde von den Sowjets die SS 20 geplant, entwikkelt und stationiert, und zwar mit Zielrichtung auf deutsche, auf europäische Städte. In den letzten Wochen sind die ersten weiterentwickelten sowjetischen Mittelstreckensysteme SS 21, SS 22 und SS 23 in der DDR bereits forciert in Stellung gebracht worden — und das, während in Genf noch verhandelt wird. Wer dies nicht als eine neue politische Drohung versteht, dem kann man nur Naivität bescheinigen.
Meine Damen und Herren, es ist sicher nicht zu bestreiten — und es ist auch ein Verdienst —, daß die breite Öffentlichkeit auf die Gefahr der atomaren Vernichtung durch die Friedensdiskussion aufmerksam wurde. Allerdings: Die atomare Gefahr ist seit Hiroshima bekannt. Unbegreiflich für mich bleibt eins: daß nicht etwa die Aufstellung der russischen SS-20-Raketen als Gefährdung des Friedens gesehen wurde,
sondern daß erst jetzt, wo es um die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts geht, also um friedenssichernde Abschreckung, diese Angst umzugehen beginnt. Erst jetzt werden diese Ängste hochgeputscht. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß Friede mehr ist als Nicht-Rüstung.
Was aber zur Rüstung führt, ist das Fehlen von Friedensbereitschaft. Die Rüstung selbst ist doch nicht die eigentliche Ursache von Spannungen. Der ideologische Herrschaftsanspruch der Sowjets und die offensive Machtpolitik sind doch die eigentliche Ursache der Spannungen zwischen Ost und West.
Diese sowjetische Politik drückt sich in einem ständig steigenden militärischen Übergewicht auf allen Waffenebenen und vor allem in der einseitigen Vorrüstung mit nuklearen Mittelstreckenraketen aus. Dagegen müssen wir uns im westlichen Bündnis gemeinsam verteidigen.
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2494 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Frau VerhülsdonkDer Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung den bekannten Sozialdemokraten Professor Dr. Karl Kaiser zitiert. Ich wiederhole den Kernsatz von dessen Ausführungen. Kaiser sagt:Das sowjetische Ziel ist ein neues politisches System in Europa, das durch die Erosion der amerikanisch-europäischen Kooperation und wachsende Abhängigkeit von der Sowjetunion entsteht. Dies ist eine entscheidende Frage nationalen Interesses, nämlich der Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland, bei der man nicht kampflos sowjetische Positionen übernehmen oder dagegen gerichtete Bemühungen innenpolitisch untergraben darf.Genau das, meine Damen und Herren, ist der Punkt, der mich in dieser Situation bewegt.
Deshalb kann die Bundesrepublik Deutschland in ihrem ureigensten Interesse derzeit nicht auf wirksame Abschreckung verzichten. Nur politische Standfestigkeit des ganzen westlichen Bündnisses kann die Sowjets, die ja bekanntlich Realisten sind, wieder zu — dann eher erfolgreichen — Verhandlungen an den Tisch zurückholen
Denn eines, meine Damen und Herren, ist sicher: Die jetzige Lage der ständig zunehmenden Vorrüstung des Ostens und der notgedrungenen Nachrüstung des Westens darf kein Dauerzustand bleiben. Wenn die Sowjets vor den Pershings tatsächlich solche Angst haben, wie sie vorgeben, dann müßten sie logischerweise doch bereit sein, ihre SS-20-Raketen deutlich zu vermindern, um die Gegendrohung der NATO auf dem niedrigstmöglichen Niveau zu halten.
Es müssen jetzt alle Kräfte des Verstandes und der Vernunft eingesetzt werden, um durch neue Konzepte praktischer Koexistenz auf dieser Welt zum Abbau von Spannungen zu kommen. Wir stehen nicht am Ende, sondern an einem neuen Anfang der Politik für eine dauerhafte Friedensordnung in Europa.Aber wir dürfen es nicht zu einem Kirchhofsfrieden kommen lassen, wie ihn die Tschechen und die freiheitsliebenden Polen erleiden müssen.
Ausgesprochen oder unausgesprochen können wir den Polen in ihrer politischen Situation doch nur raten, ihren Willen zu Freiheit und Selbstbestimmung angesichts der Übermacht der russischen Panzer in ihrem Land zu zügeln, weil sie sonst Leib und Leben vieler ihrer Landsleute aufs Spiel setzen würden.Die Sowjetunion fürchtet nichts mehr als die Idee der Freiheit. Sie rüstet nicht zuerst gegen die Waffen des Westens. Sie rüstet gegen freies Denken.Dabei steht eines fest: Kriegsbereitschaft gibt es weder in Ost noch in West. Ein atomarer Krieg ist nicht zu führen, weil beide Seiten die welt- und menschheitsvernichtende Gefahr eines Atomkrieges fürchten müssen. Aber unsere Freiheit und Selbstbestimmung sind am Ende verspielt, wenn wir das Ziel des militärischen Gleichgewichts aufgeben. Der Frieden wird nicht sicherer, wenn sich Demokratien entwaffnen, aber die sowjetische Diktatur vor Waffen starrt.
Und noch eines möchte ich sagen: Daß wir um den besten Weg zur Erhaltung und Sicherung des Friedens streiten, das ist in unserer Demokratie selbstverständlich und richtig. Schlimm ist, daß viele in der Friedensbewegung aus diesem Streit einen Glaubenskrieg machen, daß sie sich selbst für das öffentliche Gewissen halten und mit ihrer Intoleranz den inneren Frieden zerstören.
Sie erzeugen Angst, stiften emotionale Verwirrung unter vielen gutwilligen, aber politisch nicht ausreichend informierten Bürgern; sie tragen Streit in Familien und Freundeskreise und erklären ihr Verhalten dann noch zur höchsten politischen Ethik.Was wir Abgeordneten und unsere Familien, was die Frauen meiner Kollegen und ihre Kinder in den letzten Wochen an Psychoterror erlebt haben, erinnert mich persönlich lebhaft an eigene Erlebnisse aus meiner Kindheit im Dritten Reich.
Wer urteilsfähig ist, kann leicht erkennen, daß die eigentlichen politischen Ziele von manchen der Drahtzieher der Friedensbewegung darin bestehen, in unserem Land im Innern eine andere Ordnung durchzusetzen und uns aus dem westlichen Bündnis herauszulösen. Sie mißbrauchen die Gefühle der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins eines großen Teils unserer Bevölkerung, der nichts als Frieden in der Welt will.
Ich will mit meiner Stimme für eine Nachrüstung des Westens in der jetzigen Phase der Politik dazu beitragen, daß Frieden und Freiheit unter den besonderen Bedingungen unseres gespaltenen Landes an der Nahtstelle zwischen den Blöcken bewahrt bleiben und daß neue politische Wege der Friedenssicherung beschritten werden.
Ich danke dem Bundeskanzler für seinen engagierten weltweiten Einsatz für einen Frieden mit immer weniger Waffen.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn Sie mir zu Beginn eine persönliche Bemerkung erlauben, dann die, daß wir
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2495
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffnach meinem Eindruck soeben zwei Redebeiträge — von Herrn Waltemathe und Frau Verhülsdonk —gehört haben, die nachdenklich stimmen und die Überzeugungskraft enthielten; Überzeugungskraft deswegen, weil ihnen Überzeugungstreue zugrunde lag und weil eine bestimmte Haltung, auch wenn sehr gegensätzliche Ergebnisse dabei herauskommen, klar und eindeutig durchgehalten wird. Das unterscheidet beide Beiträge von manchem, was sich in den letzten Wochen ereignet hat und was auch gestern und heute hier zu hören war.
Meine Damen und Herren, daß der Wirtschaftsminister diese Debatte auch — keineswegs nur — unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten und Überlegungen verfolgt, das werden Sie verstehen. Das ist auch gestern angesprochen worden. Ich will diesen Betrachtungen zu Beginn folgendes voranstellen.Die besten sicherheitspolitischen Konzeptionen, über die wir hier streiten, werden nicht oder jedenfalls kaum mehr vermittelbar, wenn wir nicht fortfahren auf einem Wege, der uns mehr wirtschaftliche Stabilität unter die Füße gibt. Darum müssen wir uns bemühen.Verteidigung unserer Freiheit in Frieden gemeinsam mit unseren Verbündeten — das steht jedenfalls für die Bundesregierung und für mich über allem. Wirtschaftspolitik hat nicht nur die materiellen Voraussetzungen dafür bereitzustellen, sie muß auch dazu beitragen, die moralische Akzeptanz für Sicherheitspolitik überhaupt zu schaffen. Denn die Freiheit, deren Verteidigung wir verlangen und für die wir uns heute entscheiden werden, muß eine Freiheit sein, für die es sich lohnt sich einzusetzen. Dazu gehört auch, daß die materiellen Lebensbedingungen stimmen, daß wir wieder Arbeit für alle bekommen, daß Wohlstand nicht das Privileg einiger weniger ist oder bleibt. Hier liegt die Aufgabe der Wirtschaftspolitik, hier liegt auch die Verbindung zwischen Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik.
Helmut Schmidt hat gestern — wie ich glaube: zu Recht — die ökonomische Strukturkrise der Welt angesprochen. Er hat gesagt, sie habe strategische Qualität erreicht; wirtschaftliche Destabilisierung könne an vielen Stellen zur sozialen Destabilisierung führen, dann zur politischen und auch zur außenpolitischen Destabilisierung. Meine Damen und Herren, genau um dies zu verhindern, um dem entgegenzuwirken, bemühen wir uns wirtschaftspolitisch. Aber auch dies war einer der Gründe, warum wir im vorigen Jahr Entscheidungen treffen mußten, die uns eine solche Politik mit Aussicht auf Erfolg überhaupt wieder ermöglichten, auch eine Politik, meine Damen und Herren, in der Sie von der sozialdemokratischen Opposition — nichts hat es deutlicher gemacht als die geradezu dramatische Rede im Juni 1982 vor Ihrer Fraktion, gehalten von Helmut Schmidt — seine Position nicht mehr mit vertreten wollten oder konnten.Nun ist die Frage, wie heute das Problem weltweiter Destabilisierung, ökonomischer Strukturkrisen zu beurteilen ist, ganz gewiß nicht einfach zu beantworten. Aber es gibt positive Zeichen. Nicht nur Hoffnungszeichen, es gibt auch positive Ergebnisse. Morgen wird das diesjährige Jahresgutachten des Sachverständigenrates offiziell übergeben. Ich will zwei in dem Zusammenhang wichtige Sätze aus dem Gutachten zitieren:1. Unsere Erwartung ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr weiter aufwärts gerichtet bleibt. Die Sorge, es könnte zu einem Rückschlag kommen, halten wir nicht für ausreichend begründet.2. Die Voraussetzungen für eine Festigung der konjunkturellen Erholung in der Welt sind günstiger geworden, und die Erholung beschränkt sich nicht nur auf die großen Industrieländer, sie hat auch die meisten Schwellenländer und einen Teil der übrigen Entwicklungsländern, vor allem im südostasiatischen Raum, erfaßt.Meine Damen und Herren, es sei hinzugefügt, daß der Sachverständigenrat die Zuwachsrate beim realen Sozialprodukt für das Jahr 1984 auf 2 1/2 bis 3 % einschätzt, und es sei auch hinzugefügt — das ist natürlich die entscheidende Position —, daß sich dies auch auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken wird, wenngleich nicht in dem Ausmaß, daß wir dieses Problem etwa Ende nächsten Jahres schon als gelöst betrachten könnten.
Zu dieser Wirtschaftspolitik gehört natürlich die Außenwirtschaftspolitik, gerade und auch die Außenwirtschaftspolitik mit unseren Nachbarn in Osteuropa. Das gehört wahrlich auch zu unserem Thema; es ist ja von mehreren Rednern angesprochen worden. Daß hier die Beziehungen zur DDR eine besondere Qualität haben, daß die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der DDR besondere Sorgfalt erfordert, liegt auf der Hand. Es ist durch die Unterzeichnung des Postabkommens wohl deutlich geworden — auch der Zeitpunkt hat eine bestimmte Signifikanz —, daß die Bundesregierung diesen Weg konsequent und energisch weitergehen wird.Das gilt auch für die Wirtschaftskooperation mit unseren Nachbarn — ich sagte es — in Osteuropa und auch und gerade mit der Sowjetunion. Das Datum der Sitzung der gemischten Kommission zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR, nämlich in der letzten Woche in Moskau zu Verhandlungen über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Fragen ist nicht rein zufällig zustande gekommen. Als es um die Abstimmung dieses Termins ging, habe ich Wert darauf gelegt, daß wir in dieser Zeit tagen konnten, weil das eine politische Bedeutung im Zusammenhang mit den Entscheidungen hatte, die nach dem 15. November fällig würden.
Das Ergebnis dieser Sitzung heißt ganz klar ablesbar und ohne jeden Zweifel, daß die sowjetische
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2496 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffFührung an der Ausweitung der wirtschaftlichen Beziehungen — sicherlich nicht nur mit uns; aber wir sind der wichtigste westliche Handelspartner der Sowjetunion — ein intensives Interesse hat. Ich sage nach meinen Erfahrungen nach nunmehr sieben Jahren solcher Tätigkeit: Das ist intensiver und drängender formuliert denn je. Es ist auch nicht zu übersehen, daß die bisherige Zusammenarbeit positive Ergebnisse gehabt hat.Es hat selbstverständlich, wie es gar nicht anders zu erwarten war, nicht nur wegen der Medienkulisse, sondern auch aus der Sache heraus, die Frage eine Rolle gespielt: Wie hängt das mit dem zusammen, was in Genf entschieden wird, und mit dem, was der Bundestag eine Woche später entscheiden wird? Diese Frage ist, wie Sie wissen, angesprochen worden. Ich habe in jedem einzelnen Fall eine, wie ich glaube, klare und eindeutige, aber niemals verletzende oder unhöfliche Antwort auf die Fragen gegeben.
Die Behandlung dieses Themas unterschied sich von der gleichen Behandlung im Juli dieses Jahres in einem Punkt. Noch im Juli wurde eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch den Stationierungsbeschluß für möglich gehalten. Dieses Mal wurden beide Themen säuberlich voneinander getrennt und wurde ein solcher Zusammenhang nicht hergestellt.
Ich ziehe daraus keine gewagten und leichtfertigen Folgerungen, aber ich stelle diesen Tatbestand fest, und ich glaube schon, daß jedenfalls dahinter das essentielle Interesse der Sowjetunion — auch unser Interesse, aber auch das der Sowjetunion — steht, diese Zusammenarbeit fortzusetzen und sie — das hoffe ich; ich habe dafür keine Garantie — nicht zu unterbrechen, auch nicht kurzfristig.
Der Unterschied zwischen der Behandlung dieses Themas im Juli dieses Jahres und heute ist nach meiner festen Überzeugung auch darauf zurückzuführen, daß die sowjetische Führung trotz aller Bemühungen, die man hier zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung unternommen hat, seit den Gesprächen des Bundeskanzlers in Moskau in der zweiten Hälfte Juli Klarheit über die deutsche Position gewonnen hat. Sie ist nicht im unklaren gelassen worden. Und nichts anderes hilft im Umgang mit Freunden und mit Partnern, als klar zu sprechen und ihnen zu sagen, woran sie mit uns sind. Das ist geschehen.
Ich bin sehr einverstanden, wenn gestern angeregt wurde, man möge doch auch so etwas wie eine ökonomische Interdependenz herstellen. Wenn das eine wirkliche Interdependenz ist und nicht eine einseitige Dependenz, dann, glaube ich, liegt das voll im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, voll im Interesse unserer Wirtschaft, und zwar der Unternehmen und der Arbeitnehmer.Wirtschaftskooperation ist im übrigen — jeder kann es nachlesen — ein Teil des Harmel-Berichts. Der Bundeskanzler hat gestern zitiert — ich wiederhole den Satz —: „Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar." Das ist der wesentliche Kern des Harmel-Berichts und damit der politische Kern der Allianz, wie er damals formuliert worden ist. In diesem Zusammenhang will ich, jedenfalls aus meiner Sicht, deutlich machen, daß nicht etwa der Doppelbeschluß ein Eingeständnis des Scheiterns der Politik der Entspannung ist, sondern die Vorrüstung der Sowjetunion im Mittelstreckenbereich hat die Entspannung beschädigt, weil sie Mißtrauen gesät und die Sowjetunion ein Angebot schmählich mißachtet hat.
Der Doppelbeschluß war ein erster, gänzlich neuer Ansatz bei den Diskussionen über Gleichgewicht, Gegenseitigkeit, Rüstungskontrolle. Vor dem Doppelbeschluß wäre ohne jedes Zögern und ohne jedes Reden an der Rüstungsschraube ein turn weitergedreht worden. Dieses Angebot ist von der Sowjetunion — wir alle wissen es — nicht honoriert worden. Das bringt uns zu den Entscheidungen, die wir heute mit allem Ernst und aller Verantwortung zu fällen haben.Die Bundesregierung wird diese Politik ganz gewiß mit Geduld, Augenmaß und Festigkeit fortsetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Bundesminister, da Sie jetzt zum Schwerpunktthema der Verbindung zwischen Wirtschaft und NATO-Doppelbeschluß sprechen, möchte ich Sie fragen, ob in diesem Zusammenhang eine Intervention der amerikanischen Seite zur Nichtgewährung eines weiteren Milliardenkredits an die DDR erfolgt ist und ob es Wirtschaftsgespräche mit denjenigen Staaten gegeben hat, die durch die Stationierung von uns technisch ebenfalls betroffen werden können, beispielsweise Algerien, Libyen, Finnland oder Schweden. Sie müßten, wenn Sie den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsgesprächen und Nachrüstung herstellen, auf diese Frage ein Antwort geben; möglicherweise werden Sie sie dort schon gegeben haben.
Herr Kollege Hoffmann, was die erste Frage anlangt: nach meiner Kenntnis nein.
— Der Herr Bundeskanzler ruft mir zu: Reine Erfindung! Damit ist die Frage beantwortet.Was den zweiten Teil Ihrer Frage anlangt: Es finden unentwegt Verhandlungen mit den Ländern, die Sie genannt haben, statt. Der schwedische Handelsminister war kürzlich hier. Mit den Finnen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2497
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsprechen wir. Mit den Algeriern sprechen wir. Wir haben Wirtschaftsgespräche. Es kann am Rande über dieses Thema gesprochen worden sein. Nichts hat ersichtlich und erkennbar irgendeine Auswirkung auf die zukünftige Zusammenarbeit.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Bundesminister?
Bitte sehr.
Ich bedanke mich für die Gelegenheit. Herr Minister, ich frage deshalb nach, weil oft die Theorie geäußert worden ist, es komme auf die Fähigkeit der Waffensysteme, nicht nur auf die politische Absicht an. Wir werden durch die Stationierung dieser neuen Waffen beispielsweise Algerien treffen können. Ich denke, Sie sollten zu diesem Thema schon etwas sagen können.
Herr Kollege Hoffmann, ich habe bisher noch niemanden in der Welt gesehen und ganz gewiß niemanden, weil Sie danach fragen, aus Algerien, der auch nur entfernt auf die Idee gekommen wäre, die hier zu stationierenden amerikanischen Raketen würden auf algerische Ziele ausgerichtet.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird diese Politik mit Geduld, Augenmaß und Festigkeit fortsetzen. Aber wenn ich hier sage ,,fortsetzen", dann füge ich hinzu, daß wir immer gesagt haben, und zwar mit Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, gemeinsam: Entspannung und Entspannungspolitik sind nur dann kein leichtsinniges Wagnis, wenn man sie auf dem Hintergrund der festen und gesicherten atlantischen Partnerschaft und der Europäischen Gemeinschaft betreibt. Dies ist die Voraussetzung, um überhaupt Manövrierspielraum und Operationsmöglichkeiten in die andere Richtung zu haben. Das ist immer so gewesen. Ich habe es jedenfalls nie anders gesehen. Es war auch unsere gemeinsame Überzeugung.Diese atlantische Partnerschaft, meine Damen und Herren, gefährdet die politische Haltung der Sozialdemokratischen Partei. Teile wollen das Bündnis längst verlassen. Wichtig ist in meinen Augen nicht so sehr die Frage, wie sich das Übergewicht der Sowjetunion im militärischen Bereich ausdrückt und auswirkt. Das hat sicher seine große Bedeutung. Es steht für mich aber nicht im Vordergrund. Für mich steht die Frage im Vordergrund, wie sich ein solches Übergewicht politisch auf die Bundesrepublik Deutschland, auf ihre Entscheidungsfreiheit, auf ihre Unabhängigkeit auswirkt. Die Frau Kollegin Frau Verhülsdonk hat gesagt, die Freiheit und die Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland wolle sie erhalten. Hier liegt die Kernfrage.
Wegen dieses politischen Drucks, den ich so befürchte und den ich bei der unziemlichen Aktion des sowjetischen Botschafters in Bonn glaube verspürt zu haben, habe ich eine Rüge gegenüber dem Botschafter in Moskau ausgesprochen. Wehrt den Anfängen, meine Damen und Herren!
Mit Recht ist von Helmut Schmidt in Köln auf die politische Bedeutung unserer heutigen Entscheidung verwiesen worden. Es ist sehr knapp und klar formuliert worden: Die Bundesrepublik Deutschland muß ihr Wort halten. Sie muß zuverlässig und berechenbar sein und bleiben. Alles das gefährdet Ihr Nein, meine Damen und Herren von der SPD.
Sie werden es keinem Bürger klarmachen können — mir jedenfalls nicht —, daß das Nein zum Doppelbeschluß der NATO nicht auch ein Nein zur NATO ist. Das ist die logische Konsequenz.
Viele von Ihnen wissen das, viele von Ihnen wollen das, und die anderen nehmen es in Kauf.
Sie werden, meine Damen und Herren, auch der Bundeswehr, gegen die ich in meinem Wahlkreis die unglaublichsten Stellungnahmen aus Ihrer Partei höre, ja, Sie werden allen Bürgern erklären müssen, warum Sie den Rat aller drei Verteidigungsminister, die die Sozialdemokratische Partei je gestellt hat, in den Wind schlagen.
Dies, Herr Kollege Vogel, ist Ihnen jedenfalls mit Ihrer gestrigen Rede nicht gelungen. Sie konnten auch nicht überzeugen,
weil ja jedermann weiß — ich aus vielen gemeinsamen Kabinettsitzungen —, daß Sie einer der entschlossensten Befürworter der Sicherheitspolitik der früheren Regierung gewesen sind.
Sie konnten auch nicht überzeugen, weil jeder weiß und merkt, daß Sie nicht um Mehrheiten für Ihre Meinung gekämpft haben, sondern Mehrheitsbildungen abgewartet und sorgfältig beobachtet haben, um ihnen nun hinterherzulaufen.
Sie können auch nicht überzeugen, weil Ihr Parteivorsitzender, weil Sie, Herr Brandt, Ihre frühere positive Haltung zum NATO-Doppelbeschluß jetzt damit erklären, Sie hätten das nur zur Unterstützung des früheren Bundeskanzlers getan;
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2498 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffso recht überzeugt gewesen seien Sie nie.
Schließlich, Herr Vogel: Sie können auch deswegen nicht überzeugen,
weil es wohl einmalig in der Geschichte der deutschen Demokratie ist,
daß sich eine große Partei in so atemberaubendem Tempo, ja, geradezu in regelloser Flucht von früheren Positionen entfernt hat.
— Wenn die Frau Kollegin Däubler-Gmelin wiederholt „Ausgerechnet Herr Lambsdorff!" ruft, sage ich ihr: Ich habe gewußt, warum die frühere Koalition zu Ende gehen mußte, auch wegen der Sicherheitspolitik. Dieser Tag bestätigt es aufs letzte.
Meine Damen und Herren, Helmut Schmidt hat die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit europäischen Partnerstaaten kritisiert. Ich denke, daß der Kollege Wörner dazu heute das Nötige gesagt hat.Ich will nur auf einen Punkt hinweisen: Das Beispiel, das er gestern gebracht hat, ist nun wirklich völlig abwegig. Er sagte, wir hätten, wäre doch die Zusammenarbeit besser, die europäische Zinsabkopplung erreicht. Die gibt es nicht, die kann es nicht geben, auch nicht durch weitere Schritte im Europäischen Währungssystem.
Erst recht nicht stimmt diese Kritik für unsere Beziehungen oder für die Beziehungen der Bundesregierung zu den Vereinigten Staaten. Nichts liegt mir — das wissen viele von Ihnen — außenpolitisch so sehr am Herzen wie gute Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland. Ich halte sie für das Kernstück deutscher Sicherheit.
Es hat da immer wechselhafte Zeiten gegeben. Jeder, der die Vereinigten Staaten mit ihrem Verfassungssystem und ihrer politischen Wirklichkeit ein wenig kennt, weiß, in welch starkem Maße das von den persönlichen Beziehungen der führenden Männer abhängt. Das mag man beklagen, das hat seine Schwächen — wir alle haben das miterlebt —, aber es ist so. Herr Brandt, Sie kennen die USA besser als ich; wir werden darüber keine Meinungsverschiedenheiten haben. Es hat wechselhafte Zeiten gegeben.Ich will — mehr gegenüber den Amerikanern — höflich sein und die positiven Beispiele nennen: Konrad Adenauer und Dwight D. Eisenhower, Helmut Schmidt und Gerald Ford, Helmut Kohl undRonald Reagan. Meine Damen und Herren, Sie merken genau, wen ich dabei ausgelassen habe, wen ich dabei nicht genannt habe. Niemandem brauche ich in Erinnerung zu rufen, was damals los war und zu welchen Kalamitäten und Schwierigkeiten das jeweils geführt hat.
Wir sollten froh und glücklich darüber sein, daß es enge persönliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten gibt, weil sie wichtig sind für unsere Politik, wichtig sind für das Wahrnehmen unserer Interessen gegenüber den Vereinigten Staaten.
Was es bedeutet, wenn dies gewährleistet ist, habe ich bei den letzten Treffen, etwa beim Weltwirtschaftsgipfel, feststellen können. Davon wird immer behauptet, wir hätten den Amerikanern nicht die Meinung gesagt. Ich werde das, was wir gesagt haben, hier nicht wiederholen.
— Ich könnte es schon! Mein Gedächtnis ist nicht so schlecht wie Ihres.
Ich habe sehr wohl gemerkt, welche Grundlage dies schafft, um offen, kritisch, aber freundschaftlich miteinander zu sprechen. Eine solche Position, ein so gewachsenes freundschaftliches Verhältnis hilft uns politisch, es hilft der Allianz, zu deren Politik wir stehen, einer Allianz, die unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit, ja, unsere körperliche Existenz in diesem Teil der Welt sichert und zu der wir uns deswegen heute abend bekennen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, Günter Grass hatte recht, als er in seinem Brief an uns, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, meinte, diese Debatte und die ihr folgende Abstimmung seien nicht mit dem normalen parlamentarischen Alltag zu vergleichen. Von einer Weichenstellung kann man freilich auch kaum noch sprechen, seit sich die Regierung und die sie tragende Koalition entschlossen haben, die auch in ihren Reihen vorhandenen Bedenken beiseite zu schieben, statt mit Nachdruck vitale europäische und deutsche Interessen im Bündnis wahrzunehmen.
Der eigentliche Gegenstand des Meinungsstreits leitet sich meiner Meinung nach daraus ab, daß viele, sehr viele in unserem Volk fragen, ob notwendig, ob unvermeidlich war, was jetzt abzurollen, nein, anzurollen unmittelbar bevorsteht: nicht zwei, sage
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Brandtich Ihnen, sondern vier, vielleicht sogar sechs und acht, jeweils durch zwei dividiert, weitere Umdrehungen der Rüstungsspirale.
Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hamm-Brücher?
Würden Sie mir gestatten, daß ich zunächst im Zusammenhang vortrage. Vielleicht später im Verlauf meiner Darlegungen.
Ob wirklich, so fragen die vielen Menschen, an die ich denke und deren Sorgen ich aufnehme, mehr Sicherheit daraus erwächst, daß Deutschland — darum geht es doch, es geht doch nicht nur um Pershing II —, daß beide deutschen Staaten immer mehr vollgepfropft werden mit Abschußrampen für Atomwaffen und damit auch neue Objekte für atomare Vernichtung erhalten.
Sie fragen, ob Europa im Gefolge der neuen Rüstungen noch einmal stärker auseinandergerissen werden muß, statt endlich wieder und weiter voranzukommen auf dem Weg der Zusammenarbeit und des Abbaus von Spannungen. Ich glaube nicht, daß das notwendig war, und schon gar nicht, daß es schicksalhaft ist.
Ich bin alles andere als optimistisch, was den in Genf vor uns liegenden Zeitabschnitt angeht.
daß die in Moskau für Wirtschaft Verantwortlichen alles Interesse daran haben, die Zusammenarbeit im Westen und mit der Bundesrepublik, wenn es geht, nicht Schaden leiden zu lassen, daß Verantwortliche in Ost-Berlin noch in die Scheune bringen möchten, was sie können, bevor es zu einem starken Rückschlag kommt. Das ist doch alles einsehbar. Das sagt aber überhaupt noch nichts darüber aus, Graf Lambsdorff, wie eine sich verändernde politische Großwetterlage, wie ein sich grundlegend veränderndes Verhältnis zwischen den Weltmächten auf das Verhältnis zwischen den beiden Teilen Deutschlands und Europas einwirkt. Das ist es, was uns Sorge bereitet.
Ich darf einen anderen Punkt gleich miterwähnen, obwohl er nicht unmittelbar zur Wirtschaft und zu den wirtschaftlichen West-Ost-Beziehungen gehört. Sie haben es sich, Graf Lambsdorff, in Ihrer Antwort auf eine Zwischenfrage meines Freundes Hajo Hoffmann zu leicht gemacht und so ein bißchen versucht, die Frage lächerlich zu machen, so in dem Sinne, was wohl die Algerier damit zu tun hätten.
Nun sage ich ja nicht, Herr Bundesminister, daß man ein bestimmtes, wöchentlich erscheinendes Magazin immer lesen muß. Auch ich tue das nicht immer. Und wenn man nicht immer gut behandelt wird, dann hat man vermutlich besonders wenig Neigung, es immer zu lesen.
Nur: Wenn dort ein früherer amerikanischer Präsident, nämlich Richard Nixon, zu Protokoll gibt, er finde, Pershing II in der Bundesrepublik könnten auch für den Nahen Osten in einer bestimmten Situation interessant sein, dann, so finde ich, hatte die Frage meines Kollegen Hoffmann schon einen sehr berechtigten und ernsten Hintergrund.
Ich finde es überhaupt erstaunlich, wie hier, einem Pfeifen im finsteren Wald vergleichbar, immer noch einmal vorgebracht wird, man sollte doch nicht so ernst nehmen, was sich gegenwärtig an Belastungen der internationalen Lage und der OstWest-Beziehungen im besonderen abzeichne. Das werde, so hören wir, alles wieder abklingen. Und unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sollten sich keine unnötigen Sorgen machen. — Es wäre j a gut, wenn sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Aber dabei ist doch in aller Schlichtheit festzustellen, meine Damen und Herren, daß die Menschen seit mehr als einem Jahr mit immer derselben falschen Prognose hingehalten und objektiv irregeführt werden,
nämlich mit der Erwägung: Wenn wir eisern bleiben und uns nicht beeindrucken lassen, dann wird die östliche Vormacht zurückstecken und anfangen, kleine Brötchen zu backen.
Jetzt befinden wir uns am Vorabend der Stationierung; jetzt heißt es in zeitgemäßer Abwandlung: Laßt uns mal mit der Stationierung beginnen, dann werdet ihr sehen, wie rasch die Russen einlenken und vernünftiger werden.Während die Botschaft der Regierung lautete und lautet, daß sich die Lage nicht verschlimmern, sondern, im Gegenteil, verbessern werde, sprechen die Tatsachen eine andere Sprache. Tatsache ist, daß man bisher, auch durch die Art des westlichen Verhandelns oder Nichtverhandelns keine SS 20 weggebracht hat; ja, daß man die andere Seite nicht einmal in die Verlegenheit gebracht hat, ihre Vorschläge über Begrenzung und Verschrotten am Verhandlungstisch wirklich konkretisieren zu müssen.
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2500 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
BrandtWeshalb? Ich wiederhole — und ich sage das in Erwiderung dessen, was der Bundesverteidigungsminister heute morgen vorgebracht hat —: Weil sich bei unserem amerikanischen Hauptverbündeten, genauer, beim gegenwärtigen Präsidenten oder bei dessen wichtigsten Ratgebern, die Idee, um nicht zu sagen: die fixe Idee, festgesetzt hat, die Stationierung von Pershing II sei in der Tat wichtiger als das Wegbringen von SS 20 und weil dem von europäischer Seite nicht ernsthaft genug entgegengetreten worden ist.
Herr Bundesminister Wörner, es ist ein Irrtum, wenn Sie meinen, meine Partei und ich selber kritisierten in diesem Zusammenhang nicht den gewaltigen, ungeheuerlichen, beunruhigenden Raketenaufbau der Sowjetunion. Ich kritisiere das nicht nur, ich verurteile das.
Ich sage: Die Sowjetunion ist nicht nur unsertwegen, auch ihrer eigenen Interessen wegen, auf einem falchen Weg. Da kann es für mich gar kein Vertun geben.
Wenn Sie sagen, jede Woche eine Rakete — wobei ich hinzufüge: während dieser ganzen Zeit leider immer noch eine weitere Rakete —, dann fordern Sie meine Frage heraus, Herr Bundesminister Wörner:
Stünden wir eigentlich schlechter da, wenn wir, als das anfing, versucht hätten, erst einmal festzuschreiben, was war? Verhandelt es sich eigentlich herunter von 240 auf Europa gerichteten Raketen leichter als von 120, die ich auch noch für zuviel halte?
Wer hat die Pershing II gefordert? Die hat niemand in Deutschland erfunden. In demselben Januar 1979, als auf Guadeloupe der amerikanische Präsident mit dem deutschen Bundeskanzler, dem französischen Präsidenten und dem britischen Premierminister zusammensaß, wurde das Konzept dieser Waffe — bevor sie in den Zusammenhang eingeführt worden war, den man als Doppelbeschluß bezeichnet — einem Ausschuß des amerikanischen Kongresses als eine Möglichkeit übermittelt, sich ein eurostrategisches Gegengewicht zu schaffen. Daß es dann ein bißchen lange gedauert hat, bis diese Pershing II überhaupt installationsfähig war, steht wiederum auf einem anderen Blatt und gehört nicht unmittelbar in diesen Zusammenhang.Ich finde, daß die Bundesregierung verniedlicht, wo mehr Realismus geboten wäre. Ich finde, sie stellt als unabänderlich dar, was bei anderem Herangehen hätte vermieden werden können, j a vermieden werden müssen. Aus meiner Sicht der Dinge ist leider abzusehen, daß der Einschnitt, der jetzt im Ost-West-Verhältnis bevorsteht, tiefer gehen wird, als es sich die meisten heute vorstellen.Ich kann mir schon vorstellen, wie einige von denen in Verlegenheit geraten, die für die Regierung und die Unionsparteien Öffentlichkeitsarbeit zu machen haben. Da wird erst mit fröhlichem Lächeln verkündet, man werde — wie wir gestern wieder gehört haben — Frieden schaffen mit weniger Waffen. Und nun werden Sie, und zwar zunehmend, gefragt werden: Waren die neuen Rüstungsrunden, von denen wir mit großer Wahrscheinlichkeit erst einen Vorgeschmack mit dem bekommen, was anläuft, wenn der Bundestag beschlossen hat, wirklich nicht zu vermeiden? Ist also in Genf ernsthaft verhandelt worden?
Was hat die Bundesregierung — frage ich — mehr getan, als bei Präsident Reagan nicht anzuecken?
Graf Lambsdorff, Sie haben zu Recht daran erinnert, daß ich mich in den Vereinigten Staaten ein bißchen auskenne. Ich möchte denjenigen sehen, der wagt, mich heute, am 20. Todestag von John F. Kennedy, einen gegen Amerika eingestellten Menschen zu nennen. Ich möchte den sehen, der das wagt.
Aber bei aller Bedeutung unseres guten Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten: Vielen in unserem Volk wird die fast ausschließliche Orientierung daran, was vom Weißen Haus gute Noten einbringt, nicht ausreichend erscheinen,
weil sie das richtige Gefühl haben, daß diese Musterschülerrolle nicht der ausreichenden Wahrnehmung europäischer und deutscher Interessen in unserem Bündnis gerecht wird.
Eine andere Bemerkung ergibt sich für mich zwangsläufig daraus, daß Sprecher der Regierung und der Koalition nicht darauf verzichten mögen, die wirkliche SPD mit ihren tatsächlichen Beschlüssen zu ignorieren und sich statt dessen eine SPD auszudenken, gegen die sie nach Lust und Laune — nicht selten also in schlechter Laune — und ohne die Andeutung von Fairneß polemisieren.
Graf Lambsdorff, das schließt aber an das an, was Herr Wörner heute schon früher gesagt hat. Ich kann mich ja freuen, wenn die SPD wichtig genommen wird; aber daß wir Genf hätten scheitern lassen, glauben Sie doch selbst nicht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2501
BrandtWas ich sage, geht auch an die Adresse des Bundesaußenministers mit seinem Gerede über eine neutralistische Protestbewegung.
Zum Protest gibt es freilich Grund genug, Herr Außenminister.
Doch die Schelle eines, wie Sie gestern sagten, unberechenbaren Nationalismus oder eines werte-freien und halsbrecherischen, im übrigen wirklichkeitsfremden Neutralismus lassen wir uns nicht umhängen.
Ich will dem Außenminister, der es gelegentlich mit den Herren Strauß und Zimmermann schwer genug hat, nicht auch noch zusetzen. Aber eines muß er sich in dieser Debatte sagen lassen. Mit dem Versuch, deutsche Sozialdemokraten im Ausland madig zu machen, sind auch schon andere gescheitert.
Mehr an die Adresse des Bundeskanzlers geht die Frage, welchen deutschen Interessen er zu dienen glaubt, wenn er zuläßt oder sich gar daran beteiligt, daß die deutschen Sozialdemokraten des Gegenteils dessen bezichtigt werden, was ihre Politik ist
und was ihr Parteitag vor ein paar Tagen gerade beschlossen hat.
Wir sind gegen immer neue Raketen. Das ist eine klare Sache. Dazu sagen wir nein. Darum streiten wir, und darum werden wir weiter streiten, auch wenn die parlamentarische Mehrheit heute abend die Stationierung billigt, die Stationierung, für die die Vorbereitungen ohnehin längst im Gange sind.Aber wir sagen nicht nein, sondern j a zur Landesverteidigung, zur Bundeswehr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Ich möchte jetzt, wie Ihre Kollegen aus der Regierung, Herr Stoltenberg, im Zusammenhang reden.Wir sagen nicht nein, sondern ja zur Landesverteidigung. So steht es übrigens in dem von Ihnen in anderem Zusammenhang uns vorgehaltenen Godesberger Programm. Aber da steht auch drin, daß wir uns eine Perspektive zutrauen müssen,
in der Atomwaffen aus beiden deutschen Staaten herauskommen, damit Europa und Deutschland eines hoffentlich nicht so fernen Tages zusammengeführt werden können.
Wir sagen nicht nein, sondern wir sagen ja zum westlichen Bündnis
und dazu, daß es reformiert wird, wo die Notwendigkeit der Reform geboten ist. Man braucht kein deutscher Sozialdemokrat zu sein, man kann auch amerikanischer Konservativer sein, um die Notwendigkeit der Reform zu erkennen.
Wer liest, der weiß, was dazu diskutiert wird.Der Außenminister dürfte aus seiner Verantwortung heraus eigentlich kein Interesse daran haben, daß dies, was ich eben gesagt habe, in Zweifel gezogen wird. Der Bundeskanzler dürfte nicht zulassen, daß ein breites Engagement von Menschen, zumal vieler junger Menschen, in der Bundesrepublik im Ausland als Unterwerfungsbewegung verunglimpft wird.
Dies ist keine richtige Wahrnehmung deutscher Interessen in der Welt.Wir sagen nicht nein, sondern ja zur Freundschaft mit Amerika — ich habe es gesagt — und dazu, daß diese Freundschaft, Herr Kollege Schäfer, nicht an die jeweilige Administration gekettet ist.
Denn was wäre das für eine komische Freundschaft, für eine künstliche Allianz, die sich auf Freundlichkeiten zwischen jeweiligen Ministern und Regierungschefs beschränkte!Uns ist entgegengehalten worden, wir hätten die Kontinuität unseres Regierungshandelns und auch die unserer eigenen früheren Beschlüsse verlassen.
Eine solche Behauptung wird so, wie sie hier vorgebracht wird, nicht dadurch richtig, daß man sie wiederholt.Die SPD hat niemals einen Freibrief für die Stationierung neuer eurostrategischer Waffen auf deutschem Boden ausgestellt.
Kein Zweifel besteht daran, daß die SPD 1979 — wie die Bundesregierung — Rüstungskontrollen und Abrüstung voranbringen wollte.
In unserem Beschluß vom Dezember 1979 in Berlinwiesen wir in aller Offenheit darauf hin, daß z. B.
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2502 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Brandtdie Nichtratifizierung von SALT II, wie es dort wörtlich hieß, eine neue Lage schaffen würde.
Zur neuen Lage gehört nun mittlerweile mehr. Kein einziges Rüstungskontrollabkommen wurde in der Zwischenzeit ratifiziert, geschweige denn, neue wurden ausgehandelt. Statt dessen haben sich die führenden Atommächte auf ein Wettrüsten mit solchen Waffen eingelassen, die möglichst treffgenau, schnell einsatzbereit und daher zu begrenzter Kriegführung fähig sind. Über diese letztere wird ja leider allzu beunruhigend seit geraumer Zeit in den Vereinigten Staaten gesprochen.
Ich wüßte kaum etwas, was der Friedensbewegung in der Bundesrepublik soviel Auftrieb gegeben hat wie Herrn Weinbergers Gerede über den begrenzten Atomkrieg.
Unsere Beschlußfassung vom Dezember 1979 war auf Rüstungskontrolle, auf die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages, auf die Förderung des Entspannungsprozesses und darauf ausgerichtet, durch entscheidende Reduzierung der sowjetischen Raketen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa überflüssig zu machen. Im Laufe der letzten Jahre mußten wir immer mehr und mit wachsendem Entsetzen feststellen, daß der rüstungskontrollpolitische und entspannungspolitische Teil des Doppelbeschlusses zu reiner Makulatur verkam. Aus dem harten Verhandeln seines Vorgängers hat der jetzige Bundeskanzler etwas gemacht, was seinem Harmoniebedürfnis mehr gerecht wird als dem notwendigerweise unbequemen Vertreten europäischer und deutscher Interessen, auch in Washington.
Ich kann mir immer noch nicht recht vorstellen, daß Bundeskanzler Kohl mit dem glücklich werden wird, was er Präsident Reagan bei seinem ersten Besuch so uneigennützig in die Hand versprach.Hier ist eben bei Graf Lambsdorff wieder angeklungen, ob man eigentlich, wenn man Parteivorsitzender ist — aber auch dann, wenn man das nicht wäre —, Bedenken, die man hat, nicht nur deshalb zurückstellt, weil man einem Bundeskanzler helfen will, sondern weil man auch darauf setzt: Vielleicht haben die recht, die, wie ich eben dargelegt habe, sagen, hier wird ein neuer großer Versuch der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbegrenzung und damit zusätzlicher Sicherheit für uns gemacht. — Das gilt für Herrn Vogel, den Sie sich hier vorgenommen haben, ebenso wie für mich. Außerdem wäre es keine Schande, wenn man auch auf die älteren Tage noch hinzulernen könnte.
Ich bin hier in der Gesellschaft eines Mannes wie Carl Friedrich von Weizsäcker. Er hatte — ähnlich wie wir —, als das vorige Mal eine Weichenstellung anstand, gesagt: Bei Abwägen aller Faktoren komme ich eher zu dem Ergebnis: Macht das. — Jetzt sagt er in seiner Ausarbeitung, die sicher manche von Ihnen vor ein paar Tagen in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen haben:Ich sehe heute keine andere rechtfertigbare Entscheidung, als daß wir einen Beschluß, den wir aus rein militärischen Gründen nie hätten fassen sollen, jetzt rückgängig machen und unsere Zustimmung zur Landstationierung der Pershing II verweigern.Das einzige plausible Argument, das heute für die Zustimmung zur Landstationierung vorgebracht wird, ist bündnispolitisch. Man fürchtet andernfalls eine Krise der NATO, eine Entfremdung von Amerika.Dann fährt er fort:Eine Verstimmung wird unvermeidlich sein. Ich meine aber, wir sollten die offene Auseinandersetzung mit der momentan herrschenden amerikanischen Militärdoktrin in voller Loyalität zum Verbündeten riskieren. Wird eine Weltmacht, die ihren Hegemoniekampf so entschieden führt wie heute die Vereinigten Staaten, einen ihrer wichtigsten Verbündeten verstoßen, wenn er sie selbst nicht verlassen will — und das nur, weil er einen Fehlentscheid zu korrigieren entschlossen ist?Ich finde, dies verdient Beachtung, wenn man sich über die Weiterentwicklung von Standpunkten, Überlegungen und Sorgen Gedanken macht.
Meine Damen und Herren, der streitig geführte Dialog um die Sicherung des Friedens in Freiheit — natürlich greife ich das Wort gern auf: des Friedens in Freiheit für uns —, exemplifiziert durch und zugespitzt auf die Frage der Aufstellung neuer atomarer Waffen, also Massenvernichtungswaffen in Europa und zumal in der Bundesrepublik, hat unser Volk in einer bisher beispiellosen Breite und Tiefe erfaßt.Nichts täte meiner Meinung nach in der politischen Auseinandersetzung darüber mehr not als das, was Philosophen „intersubjektive Rationalität" nennen und warum sie dies als Voraussetzung jedweder Verständigung — ja als die Beglaubigung schon des Willens zur Verständigung — betrachten.Nichts anderes aber hat die Parteizentrale der Christlich-Demokratischen Union zu diesen streitigen Dialog der Nation beizusteuern als Diffamierung, wie ich gleich nachweisen werde. Ich nehme an, daß die bekannte Kampfschrift aus dem Adenauer-Haus gegen unsere Vorstellung von Friedens- und Sicherheitspolitik von jenem Herrn Geißler zu verantworten ist, der es wohl für seine Christenpflicht, für seine Parteichristenpflicht hält, Andersdenkenden die Ehre abzuschneiden
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2503
Brandtund sie nach Möglichkeit moralisch zu vernichten. Ich denke, das richtet sich selbst.
Dennoch: Der Verleumder im Dienst und im Regierungsamt, der uns eine — —
Herr Abgeordneter, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf wegen der Verwendung des Begriffs „Verleumder".
Herr Präsident! Ich weiß, daß das nicht üblich ist: Ich darf mich ausdrücklich bedanken, weil es die Aufmerksamkeit auf das lenkt, was ich zu sagen wünschte.
Meine Damen und Herren, ich habe den letzten Ausspruch des Abgeordneten Brandt hier akustisch nicht verstanden. Ich werde mir das Protokoll vorlegen lassen und werde entsprechend verfahren. Ich wiederhole, daß der Sitzungsvorstand die Bemerkung nicht verstanden hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fahre fort ...
Meine Damen und Herren!
... und sage: Der Bundesminister und Generalsekretär — —
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Abgeordneten Brandt weitersprechen zu lassen. — Bitte!
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. Bitte sehr.
Danke sehr. — Der Bundesminister und Generalsekretär, der uns eine feindliche fünfte Kolonne gescholten hat
und der sich damit eine Parole faschistischer Unterwanderung wie stalinistischer Verfolgung zu eigen machte,
wird ja ohnehin nicht angenommen haben, daß wir heute gemeinsam mit ihm stimmen würden. Das wird er doch wohl nicht angenommen haben.
Welche Bildungslücken auch dazu geführt haben mögen, Herr Bundeskanzler,
daß Ihr Jugendminister sich so vergaloppierte
und, ohne das ganze Ausmaß der Diffamie vielleicht selbst zu erkennen, meine Freunde und mich aufs Blut reizte: Ich wiederhole hier, daß es mir leid tut um einen Bundeskanzler, der nicht die Kraft aufbringt, das in Ordnung zu bringen.
Wenn, Herr Präsident, meine Damen und Herren, in dieser Schrift unter dem Zwischentitel „Politik des bedingungslosen Friedens" ausgesagt ist, die SPD sei offensichtlich bereit, im Ernstfall auf Verteidigung zu verzichten
und den Grundwert der Freiheit dem des Friedens bedingungslos unterzuordnen,
dann ist das genauso unsinnig, niederträchtig und hinterhältig, wie es umgekehrt die Attacke wäre, die Sie von uns aber nicht hören werden, die CDU/ CSU sei bedingungslos zum Krieg bereit, um eine Freiheit oder gar ein System zu retten, das es nach einem solchen Krieg faktisch einfach deshalb nicht mehr gäbe, weil es dann ja tatsächlich gar nichts mehr gäbe.
Wer so argumentiert — hin oder her — hat es nötig; wer so argumentiert, weist sich nicht als ein Freund des Friedens aus, sondern als ein Anheizer geistigen Bürgerkriegs. Und das muß hier gegeißelt werden.
Tatsache ist nun freilich,
daß im sachlichen Streit um die Sicherung des Friedens in Freiheit viele sich die politischen Optionen nur noch in vermeintlichen Zwangssituationen vorzustellen vermögen: im Abschreckungszwang oder -dilemma zwischen Rüstungswettlauf und Erpreß-
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2504 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Brandtbarkeit, im Verteidigungszwang oder -dilemma der Wahl zwischen der Vernichtung alles dessen, was es zu verteidigen gibt, und dem, was die Parole des Überlebens meint.Dazu sage ich nun: Wenn eine der großen Parteien unseres Landes oder beide oder die eine im Verhältnis zur anderen nicht mehr fähig sein sollten zu vermitteln, daß es trotz allem eine gemeinsame Aufgabe ist, solche vermeintlichen Zwangssituationen nicht erst entstehen zu lassen, dann müßte einem nicht nur um den äußeren, sondern auch um den inneren Frieden angst und bange sein.
Übrigens: Stellte sich die Frage, die äußerste Frage nach der Abwägung gegenüber dem äußersten Übel des Atomkriegs — dem Ende der Gattung Mensch und allen Lebens womöglich — tatsächlich, so würde wohl jeder vernünftig Denkende der Vermeidung dieses größten Übels die höhere Priorität einräumen müssen:
Bleibt Leben auf der Erde, wird auch die Freiheit wieder eine Chance haben. Jede Umkehrung dieses Satzes macht logisch keinen Sinn.
Was uns, dem einen oder anderen eben auch auf unserer Seite des Hauses, z. B. mir in schwierigen Jahren in Berlin im Ringen um die Freiheit, aufgetragen war, hat uns nicht daran gehindert, uns voll in dem Satz von Gustav Heinemann wiederzufinden, daß der Frieden der Ernstfall sei.
Meine Damen und Herren, wenn Alexander Haigs Satz, daß es Wichtigeres gebe als den Frieden,
im Zeitalter der atomaren und damit totalen Bedrohung je real und akut zur entscheidenden Option würde, hätte die Politik versagt.
Soweit aber ist die Politik und ist die Situation zum Glück nicht gediehen — oder eben nur in einer maßlosen Polemik, für die ich soeben ein Beispiel
vorgeführt habe. — Ich glaube, daß Ihnen das unangenehm ist. Aber ich trage es deshalb vor, um Ihnen zu sagen: so mit uns nicht!
Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau HammBrücher?
Bitte sehr.
Herr Kollege Brandt, wären Sie nicht bereit, nach Überprüfung dessen, was Sie soeben als Zitat von Alexander Haig vorgetragen haben, dann auch richtigzustellen, daß er es so nicht gesagt hat? Ich habe es mit ihm selber besprochen, und er hat mir das Manuskript gegeben.
Das würde mir leid tun. Ich stehe nicht an, dann zu bedauern, daß ich mich auf diesen Namen bezogen habe. Das Argument bleibt.
— Das Argument bleibt. Wer immer, wer immer — —
— Zum Beispiel hier in dieser Schrift. Lesen Sie sich das durch.
— Wer sich so aufregt, der muß sich auch wieder abregen.
Der Streit geht hier um etwas anderes: um die Frage nämlich, ob die Abschreckungsstrategie mit dem Ziel der Kriegsverhütung noch trägt, wenn neue atomare Waffen stationiert werden, die erstens den Atomkrieg fährbarer und damit wahrscheinlicher erscheinen lassen, zweitens der Menge nach das Maß der an Kriegsverhütung orientierten Abschreckung im Teufelskreis von Nachrüstung und Nach-Nachrüstung endgültig überschreiten oder zu überschreiten drohen und somit drittens mit wirksamer beiderseitiger Rüstungsbegrenzung, Rüstungsminderung und Abrüstung nicht oder kaum vereinbar sind.Übrigens sind die drei Kriterien, die ich soeben genannt habe, von den deutschen katholischen Bischöfen für die moralische Noch-Verantwortbarkeit der atomaren Abschreckung aufgestellt worden.Hinzuzufügen wäre mindestens, daß die Aufstellung der neuen Mittelstreckenraketen unter diesen Bedingungen und zu diesem Zeitpunkt destabilisierend wirkt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2505
BrandtUm keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wie ich das meine: Die sowjetischen SS-20-Raketen haben schwere Destabilisierung bewirkt, und wir können uns damit nicht abfinden.
— Es ist jedoch ein Irrtum zu meinen, Herr Kollege, Destabilisierung auf der einen plus Destabilisierung auf der anderen Seite hebe sich zu Null — das ist so nicht —, also zu Stabilisierung auf: Das Ergebnis ist eher potenzierte Destabilisierung.
Zu kurz gedacht ist es auch, wenn man einerseits die Drohung mit Atomkrieg für wesentlich hält, die Wahrscheinlichkeit der Realisierung andererseits bei Null ansiedelt: Die Beteiligten könnten sich durch die Drohung wider Willen in eine ausweglose Situation manövriert sehen, in der ihr das Geschehene aus der Hand gleitet, von Computerfehlern einmal abgesehen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme.Ich komme zu dem erwähnten Pamphlet zurück. Meine Antwort ist kurz: Der feste Wille der Bundesrepublik Deutschland, sich keinem Druck, keiner Erpressung zu beugen, darf nicht in Zweifel gezogen werden.
Wir streiten mit Ihnen aus der Koalition darüber, wie man Druck und Erpressung den Boden entzieht, nach unserer Meinung nicht mit immer mehr Waffen, sondern mit kontrollierter Abrüstung, entschlossener Entspannungspolitik und dem entschiedenen und aufrichtigen Willen zur Sicherheitspartnerschaft. Um das Nein oder Ja zu dieser Politik streiten wir mit Ihnen, um nicht mehr, aber auch nicht um weniger.
Henry Kissinger, der freilich auch klüger ist, wenn er vom Rathaus kommt, meinte kürzlich, mit dem Doppelbeschluß habe sich die Allianz eine Falle gebaut.
Sie, so Kissinger, setze nicht nur den Verhandlungspartner, sondern zugleich und vor allem sich selber unter Druck. Ohne Zweifel spielt Prestigedenken heutzutage eine schlimme Rolle in der Welt, auf beiden Seiten, bei beiden Weltmächten, wie ich fürchte.
Die Bundesregierung erweckt nun den Eindruck, als liege die höchste Erfüllung des Doppelbeschlusses in der Durchführung einer termingerechten Stationierung. Wenn man einigen Rednern der Union gestern und heute zuhört, kann man nur im Eindruck bestärkt werden, daß die, die so sprechen, den Verhandlungsauftrag des NATO-Doppelbeschlusses eigentlich als Garnierung für den hartenKern, der von der neuen Rüstung handelt, aufgefaßt haben.
Dabei geht dann aber völlig verloren, daß der Doppelbeschluß etwas bewirkt hat. Er hat doch die Sowjetunion veranlaßt,
für den Verzicht auf die sogenannte Nachrüstung die Reduzierung ihrer gegen Westeuropa gerichteten Atomsprengköpfe um etliche hundert zu akzeptieren. Als ob das gar nichts wäre!
Sie ist den westlichen Bedenken jüngst noch ein Stück weiter entgegengekommen, und ich kreide es der westlichen Führungsmacht an, daß sie die Russen nicht genagelt, nicht gezwungen hat, das zu konkretisieren, wie weit sie bereit sind zurückzugehen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte.
Herr Kollege Brandt, würden Sie die Freundlichkeit haben, wenn Sie hier berichten, daß Henry Kissinger den Doppelbeschluß kritisiere, weil man sich selbst unter Druck setze, dem Haus auch zu berichten, daß seine Konsequenz daraus ist, man hätte den Doppelbeschluß gar nicht abschließen, sondern sofort abrüsten sollen?
Ich bestreite nicht, daß das seine Logik ist.
— Ich halte hier doch keinen Vortrag über Kissinger, sondern ich stelle seine Meinung zu einem Aspekt fest, von dem hier die Rede ist. Wenn Ihre Intelligenz nicht reicht, um das zu verstehen, tun Sie mir leid.
Die Bundesregierung glaubt anscheinend immer noch an die Vorstellung, im atomaren Poker lasse sich durch den Beginn der Stationierung mehr herausholen. Ich behaupte an dieser Stelle: Die Allianz und mit ihr die Bundesregierung versäumen — ich
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Brandtfürchte leichtfertig, jedenfalls offenkundig — die historische Chance,
die Sowjetunion erstmals in der Geschichte vertraglich auf die Verschrottung von zahlreichen modernen Atomwaffen zu verpflichten.
Kann man wirklich, sage ich weiter, so blind für historische und weltmachtpolitische Zusammenhänge sein? Lohnte es nicht, sich neu zu fragen, weshalb Konrad Adenauer bei der ersten Raketenrunde in Europa strikt dagegen war, auch gegenüber den verbündeten und befreundeten Amerikanern — er, Adenauer, mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß unser Raum sehr klein sei —, daß die eine Weltmacht die andere von deutschem Boden mit Mittelstreckenraketen angreifen und bedrohen könnte? Und sehen Sie nicht nach allem, was historisch zwischen Rußland und Deutschland war, daß die andere Weltmacht nicht ruhen und nicht rasten wird, bis sie sich einen Ausgleich geschaffen hat, für den strategischen Vorteil, den die Vereinigten Staaten jetzt zu erringen glauben?
Noch einen anderen Aspekt möchte ich zur Sprache bringen, der viele Menschen in unserem Lande zusätzlich beunruhigt. Ich bringe ihn vor, weil mich das, was Herr Wörner dazu heute vormittag gesagt hat, nicht befriedigt hat. Und schon gar nicht befriedigt mich das, was dazu im Weißbuch in Ziffer 280, glaube ich, steht. Dort heißt es — und ähnlich hat es Herr Wörner gesagt —, die Möglichkeit eines Krieges durch einen technischen Fehler sei praktisch ausgeschlossen, weil aufgetretene Störungen sofort erkannt und beseitigt würden. Da muß ich dann doch noch einmal, nachdem meine Kollegin darauf gestern abend schon eingegangen ist — aber da waren andere, wie ich, schon nicht mehr hier und haben das an den Apparaten gehört —, unterstreichen, was die Kollegin Fuchs gestern abend gesagt hat. Sie hat auf die kritische Untersuchung des amerikanischen Senats verwiesen, eine Untersuchung, für die Senatoren Gary Hart und Barry Goldwater, kein Linksradikaler, verantwortlich zeichneten. Desgleichen müßte man hinweisen — ich glaube, Frau Fuchs hat das gestern abend getan — auf die Untersuchung des Kongresses vom März 1982, in der es mit unüberbietbarer Deutlichkeit heißt: „Die Norad-Computer-Systeme sind gefährlich unzuverlässig". Ich habe jetzt wörtlich zitiert.Mich wundert, daß Herr Wörner glaubt so apodiktisch sagen zu können: Entscheidungen trifft von jetzt ab ausschließlich der Mensch; automatische Reaktionen sind ausgeschlossen. Dies ist nicht das Urteil vieler Sachkundiger, die sich uns gegenüber äußern. Also frage ich die Bundesregierung unbeschadet der Intervention des Bundesverteidungsministers: Vorausgesetzt, das läuft jetzt so, wie die Bundesregierung will, will die Bundesregierung damit wirklich akzeptieren, daß in internationalen Krisenzeiten die Existenz der Bundesrepublik von der Zuverlässigkeit sowjetischer Computer abhängt? Die sind doch wohl nicht besser als die amerikanischen.Im übrigen, wer die Kritik lieber aus deutschen Quellen hat, den erinnere ich an die Stellungnahmen von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern des Forschungsprojektes Programmverifikation der Universitäten Karlsruhe und Kaiserslautern. Ich weiß, wir kriegen viel Papier. Aber es lohnt, solche Dinge, die man uns schickt, zu lesen.
Wer sie liest, der kann doch darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.Freilich, es wachsen immer wieder ein paar nach, die meinen, sie seien klüger als, sagen wir, Albert Einstein, Robert Oppenheimer und Otto Hahn zusammen.
Und während viele von uns lange brauchten, bis sie die tiefe Bedeutung des Einsteinschen Satzes erfaßt hatten, daß sich durch die Entdeckung des Atoms alles verändert habe, nur nicht das Denken der Menschen, strampeln andere unbeirrt, um sich durch Naturwissenschaften und Informatik ebensowenig anfechten zu lassen wie durch katholische Bischöfe in den USA oder protestantische in der DDR.
Ein Letztes in diesem Zusammenhang: Hat sich die Bundesregierung eigentlich Gedanken darüber gemacht, wie vielen Menschen — ich könnte jetzt auch sagen: Millionen Menschen — in unserem Lande zumute sein wird, wenn sie trotz in der Geschichte beispielloser friedlicher Kundgebungen
nicht ein Stück des Nachdenkens bei den Regierenden erzeugt haben?
Ich weiß auch, wie das Wahlergebnis am 6. März war. Aber wahr ist auch, daß eine große Mehrheit der Menschen Nachverhandeln statt Nachrüsten fordert.
Das bestätigen uns nicht nur Untersuchungen, sondern auch die eigenen Gespräche. Ich finde, es ist kein Ruhmesblatt derer, die sich für eine politische Elite halten mögen, wenn sie in einer existentiellen Frage wie der des Wettrüstens hinter der Einsicht des Volkes zurückbleiben.
Es sind doch, meine Damen und Herren, keine Analphabeten, die uns in diesen Wochen einen Brief nach dem anderen, einen besorgten, um nicht zu sagen, bewegenden Brief nach dem anderen schreiben. Das sind Menschen aus allen Schichten und Altersgruppen. Das sind Deutsche und Deutsche (Ost). Das sind Europäer und Amerikaner.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2507
BrandtDas sind Mütter und Väter, Großmütter und Großväter. Das sind Arbeiter und Unternehmer, Künstler und Soldaten, Hausfrauen, Rentner, Kaufleute, Bankbeamte und vor allem und erneut: Es sind Naturwissenschaftler und Ingenieure aller akademischen Grade.Ich frage mich, wem es gut tut, wenn das Engagement und der versammelte Sachverstand dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger mit der ganzen Arroganz der Macht in den Abfall geworfen wird.
Wenn nach Isolation gefragt wird — ich fühle mich nicht isoliert gegenüber diesen Bürgern, die uns schreiben, und gegenüber den Wissenschaftlern, die uns ihre Sorge vermitteln.
Es ist eine Mehrheit, die bedrückt, was auch uns bedrückt. Vermeintliche Sicherheit auf der Basis von immer mehr und immer raffinierteren Waffensystemen ist weder vernünftig noch hat sie gar eine überhöhte Moral auf ihrer Seite. Der Bundeskanzler wie Herr Minister Genscher sollen bitte nicht so tun, als ob sie sich um alle unbequemen Fragen herumdrücken könnten, indem Sie auf ein im übrigen unbestrittenes Wahlergebnis und damit auf einen unbestrittenen Wählerauftrag vom 6. März verweisen. Herr Bundeskanzler und Herr Minister Genscher, Sie haben bei den Arbeitsplätzen und zu den Raketen mehr versprochen, als Sie halten konnten.
Daran werden Sie sich in der vor uns liegenden Zeit immer neu messen lassen müssen.
Die Risse in unserem Volk sind leider bereits jetzt absehbar. Die Regierungen in Bonn und in Washington werden mit ihrem Kurs dazu beitragen, daß die breite Zustimmung zum westlichen Bündnis nicht bestärkt, sondern daß sie reduziert wird. Man darf doch nicht den Kopf in den Sand stecken. Sie wissen doch, um ein Beispiel zu nennen, daß in den Niederlanden, auch einem Stationierungsland, die christlichen Demokraten so denken wie die Sozialdemokraten.
— Daß ein Teil der christlichen Demokraten so denkt wie die Sozialdemokraten.Im norwegischen Parlament — in Norwegen wird nicht stationiert, Herr Kollege Klein, aber dort werden Instruktionen gegeben auf Grund von Parlamentsbeschlüssen für die Haltung im NATO-Rat — wurde mit einer einzigen Stimme Unterschied, mit 78 : 77 Stimmen — —
— Natürlich, Mehrheiten müssen respektiert werden. Was gewinnen Sie eigentlich für das Bündnis, wenn Sie ein paar Waffen mehr haben, aber in den Herzen und in den Köpfen der Menschen das Bündnis schwächen?
Ich wiederhole hier: Wir Sozialdemokraten stehen zur Allianz der freiheitlichen Demokratien.
Wir stehen aber nicht dazu, daß die Allianz für einen neuen Konfrontationskurs oder gar für einen neuen Kalten Krieg eingespannt wird —
mit all den degradierenden und übrigens auch demoralisierenden Wirkungen, die dies auch für die Bundeswehr und ihre Soldaten hätte.
Ich habe am 28. September bei einem Sonderhearing im amerikanischen Kongreß einen Vorschlag gemacht,
einen Vorschlag dazu, wie man aus dem starren Freeze-Gedanken einen Vorgang in mehreren Stufen machen kann. Das findet inzwischen Unterstützung, übrigens auch von Regierungschefs und Außenministern, die dies waren, als der Doppelbeschluß gefaßt wurde, und von denen einige dies auch wieder sein werden.Der Bundeskanzler war freundlich genug, mir, nachdem ich ihm den Text geschickt hatte, hierzu seine kritischen Anmerkungen zu geben. Er war nur mit anderthalb von den vier Punkten einverstanden, aber das ist auch schon was. Trotzdem möchte ich hier zu diesem Gedanken des Freeze, bezogen auf Tests, Entwicklung, Produktion und Stationierung, sagen: Das Ausbleiben eines umfassenden Teststopps für Atomwaffen, der am Anfang eines nuklearen Freeze stehen muß, hat nicht, wie immer wieder behauptet wird, etwas mit mangelnden Verifikationsmöglichkeiten zu tun, sondern hat mit mangelndem politischen Willen zu tun, und das sind zwei verschiedene Dinge.
Zum anderen kann man ein weltweites Einfrieren unterirdischer Tests von Atomsprengköpfen, einen Stopp von Flugtests sowie einen Stopp der Stationierung weiterer ballistischer Raketen — auch von Langstreckenbombern, Cruise Missiles usw. — nicht wie Sie, Herr Bundeskanzler, mit dem Hinweis abtun, dies würde „die gegenwärtige instabile Lage" aufrechterhalten. Wer trotz mehrfacher Over-
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2508 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Brandtkill-Kapazität so argumentiert, der wird, so fürchte ich, nie den Durchbruch zur Abrüstung schaffen,
sondern immer wieder ein neues sogenanntes Gleichgewicht finden müssen, das erst einmal herzustellen wäre.Das Anliegen, das andere und ich auf den Weg gebracht haben, ist es aber gerade, den Teufelskreis zu durchbrechen, der darin besteht, daß jeweils eine Seite die Überlegenheit der anderen behauptet und damit nur die eigene Weiterrüstung begründet. Wenn wir in diesem Wettlauf wahnwitziger Rüstungen nicht endlich die Signale auf Halt stellen, dann schaffen wir den Frieden nicht, Herr Bundeskanzler, sondern laufen Gefahr, ihn zu verspielen.
Ich sage noch einmal: Wir Sozialdemokraten haben keine Schwächung, sondern im eigentlichen Sinne eine Stärkung des Bündnisses im Sinn, wenn wir mahnen, daß in dieser Phase der Erstarrung beider Weltmächte die Europäer enger zusammenrücken sollten.
Die Allianzen werden nicht gesprengt, auch nicht gelockert, wenn die Europäer ihr Gewicht mehren. Eine gewisse Verschiebung der Gewichte entspräche der geschichtlichen Notwendigkeit.
Auch das sage ich an diesem 20. Todestag von John F. Kennedy, der damals mit der Idee der beiden Pfeiler kam. Es sind ja nicht nur die Europäer, an denen das gescheitert ist. Es ist auch deswegen gescheitert, weil die Amerikaner nicht an diesem Thema geblieben sind, zu dem man so oder so wird zurückkehren müssen.Übrigens, daß dies mit der Verschiebung der politischen Gewichte eine geschichtliche Notwendigkeit ist, das wird auch in Osteuropa weithin gesehen. Es wird auch in dortigen Führungen nicht viel anders gesehen.Wir im Westen Europas sollten nicht müde werden, unseren Konsens zu finden. Das gilt vor allem für Frankreich und die Bundesrepublik, also den Kern der Europäischen Gemeinschaft.
— Sie kommen gleich auf Ihre Kosten, denn ich sage Ihnen: Der Präsident der französischen Republik folgt in dieser Frage — bei der sogenannten Nachrüstung — anderen Einsichten als wir. Das weiß ich wohl.
Das ist so überraschend nicht.
— Ich habe von Ihnen früher nicht so positive Urteile über Mitterrand gehört, wie Sie sie heute von sich geben.
Früher haben Sie ihn hier vielmehr als einen vorgeführt, der in Frankreich die Volksfront einführen wollte. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?
Ich meine also, das ist so überraschend nicht, zumal für diejenigen nicht, deren Hochachtung vor de Gaulle ja auch nicht bedeutete, daß sie seine Empfehlungen unbesehen übernommen hätten. Ich sage in aller Offenheit: die offizielle französische Argumentation ist aus der Logik der französischen Tradition — auch der Nachkriegstradition — so unverständlich nicht. Ich füge hinzu, wenn bei uns aus guten Gründen oft von den Ängsten die Rede ist, die Rußland plagen könnten, dann sollte es uns an Verständnis für eine andauernde Beunruhigung auch nicht ganz mangeln, denn dies spielt natürlich aus deren Sicht wegen einer gewissen Einbindung mehr noch als eine spezifische Rolle in der Strategie. Freilich, dies muß alles sachlich beraten werden und nicht aus einer Attitüde, als ob wir uns erneut Besatzungsbehörden gegenübersähen.Wir, die deutschen Sozialdemokraten, gehen keinen Schritt ab von der deutsch-französischen Freundschaft und Kooperation. Meinungsverschiedenheiten in noch so wichtigen Einzelfragen dürfen jenes innere Gleichgewicht nicht erschüttern, das durch das freie Zusammenleben mit unseren Nachbarn garantiert ist. Wir haben unser Nein nach bestem Wissen und Gewissen reiflich bedacht. Sie irren, wenn Sie glauben, wir befänden uns damit in der Isolation. Wir tun es auch nicht im Kreise der sozialdemokratischen Parteien. Wenn ich morgen nachmittag nach Brüssel fahre, um in den folgenden zwei Tagen einer Sitzung der Sozialistischen Internationale vorzusitzen, dann wird eine meiner Aufgaben darin bestehen, Herr Bundeskanzler, dafür zu sorgen, daß meine französischen Freunde nicht überstimmt werden, weil wir in Respekt voreinander sagen: Für einen bestimmten Zeitabschnitt sieht der eine das so, der andere so.
Sind wir etwa in den Vereinigten Staaten isoliert?
Die Mehrheit des Repräsentantenhauses steht auf der Seite des Freeze und nicht auf Ihrer Seite, Herr Bundeskanzler.
Im Repräsentantenhaus und im Senat und draußen im Volk, da wird doch um die richtige Meinung gerungen wie bei uns, aber nicht so vergiftet, wie Sie es häufig uns gegenüber tun.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2509
BrandtMir tut es natürlich leid, daß wir in der Frage, um die wir hier streiten, zu einem anderen Ergebnis kommen als unsere französischen Freunde. Die französischen Freunde aber sollten wissen — und ich habe es Ihnen gesagt; ich war gestern vor einer Woche in Paris —, daß unser Nein in der Raketenfrage auf unserem Ja zu Europa beruht. Wir entziehen uns damit nicht der Partnerschaft, die zum Fundament der Bundesrepublik gehört. Unser Nein, um es so zu sagen, ist ein Votum in der Allianz, nicht gegen die Allianz.
Es ist geboten, weil auch wir einen Anspruch darauf haben und es als Pflicht empfinden, unsere Interessen zu bestimmen und zu vertreten. Ich bin fest davon überzeugt, die in den Jahren vor uns fällige Europäisierung Europas
wird keinen Machtgewinn der Sowjets bedeuten. Wenn ich es noch ein bißchen deutlicher sagen darf: Die Sowjets haben eh schon mehr geschluckt, als sie verdauen können.
Die Europäisierung Europas wird auch damit zu tun haben, wie wir im Westen enger zusammenrükken und zwischen Ost und West in Europa all die Formen von Kooperation auf den Weg bringen, die objektiv möglich, wenn nicht gar geboten sind.
Graf Lambsdorff hat vor mir Bemerkungen zur weltwirtschaftlichen Strukturkrise gemacht. Die Bemerkungen schlossen sich an an das, was Helmut Schmidt gestern dazu gesagt hat. Ich hätte es begrüßt, wenn der Bundeswirtschaftsminister konkreter geworden wäre, wo es um folgendes geht,
und da knüpfe ich noch einmal an Kennedy an. Als der vor 20 Jahren da war, im Juni 1963, brachte er die Formulierung mit:Ein immer weiteres Wettrüsten auf der Welt wird in der Selbstvernichtung der Menschen enden.Jetzt sind 20 Jahre vergangen, und die Aufwendungen der Blöcke und Mächte für Rüstungen haben sich in diesen 20 Jahren verdreifacht. Jetzt stellt sich doch, unabhängig davon, wer regiert hat, und unabhängig davon, wer heute regiert, die Frage, die einem immer mehr die Fachleute stellen, auch die, die zur Jahrestagung des Fonds und der Bank in Washington gewesen sind: Kann es denn weltwirtschaftlich auf die Dauer so weitergehen, daß immer mehr Geld für die Rüstung verpulvert wird?
— Ich sage dies doch nicht als Polemik. Darf man denn hier, Herr Kollege, nicht auch etwas sagen, wo wir einer Meinung sind? Ich wende mich doch gern an die Regierung, um zu sagen: Bitte, wo immer Sie Initiativen ergreifen können, europäisch und weltweit, nicht nur bei der UNO — das ist ein bißchen unverbindlich —, daran mitwirken, daß Weichen für einen Ressourcentransfer von der Rüstung hin zur Entwicklung gestellt werden!
Das jetzt auszumalen, ist nicht möglich. Man wird jedenfalls nicht mehr belächelt wie vor einigen Jahren, wenn man dies zu einem der wichtigen Themen macht, die wir vor uns haben.Meine Damen und Herren, zum Schluß: Ein sich gegen die USA formierendes Europa, womöglich mit dem Ehrgeiz einer weiteren atomaren Supermacht, kann und wird es in unserem Verständnis und nach unserem Willen nicht geben. Aber ein Europa als mäßigende Kraft und als sich stabilisierende Größe wird die weltpolitischen Machtstrukturen vorteilhaft verändern helfen können.Jetzt möchte ich gerne, daß nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern viele im Land und viele, die wie viele Sozialdemokraten sich, von anderswo kommend, in der Friedensbewegung engagiert haben, sich miteinander zu Friedenspolitik durchringen, einer Friedenspolitik, die meiner Meinung nach auf folgenden Grundlagen basieren muß.Erstens. Aufgabe der deutschen Politik muß es sein, die Ost-West-Konfrontation abzubauen und das Verhältnis zwischen den Bündnissen in eine europäische Friedensordnung überzuleiten. Dazu brauchen wir Sicherheitspartnerschaft, wiederhole ich, statt Konfrontationspolitik.Zweitens. Beide Weltmächte müssen Teil einer solchen Friedensordnung sein und sie garantieren.Drittens. Dazu ist jetzt notwendig, die Entspannungspolitik nicht weiter verkommen zu lassen, sondern sie fortzusetzen oder sie wieder in Gang zu bringen und zu vertiefen, mit Festigkeit, Kompromißbereitschaft und mit allen Möglichkeiten, die sich der sachlichen Kooperation bieten.
Viertens. Im Bündnis ist eine wirksame, kriegsverhütende, defensive Strategie geboten, eine solche, die den objektiven sicherheitspolitischen Wandel nicht beeinträchtigt, sondern begünstigt. Und da kommt dann die Prüfung der Frage von Zonen — auch wenn es dem einen oder anderen noch so schwer fällt —, die von Atomwaffen und von chemischen Waffen freigemacht werden — und wenn man nur in der bescheidenen Form, wie die PalmeKommission es vorgeschlagen hat, mit den atomaren Gefechtsfeldwaffen anfängt.
Meine Damen und Herren, die Diskussion hierüber kann nicht länger mit dem Argument weggedrückt werden, daß die Atommächte mit weitreichenden Raketen auch in eine atomwaffenfreie
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2510 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
BrandtZone hineinschießen könnten. Das Konzept der atomaren Verteidigung Westeuropas ergab mehr Sinn, solange man damit von einem konventionellen Angriff abschrecken konnte, weil die Gegenseite noch nicht die gleichen Mittel hatte. Seit sie diese Mittel aber hat, ist unter dem Aspekt der Verteidigung — und um den geht es uns doch — auch durch noch so viele Atomwaffen kaum etwas zu gewinnen. Insofern gilt es umzudenken, meine Damen und Herren. Sie sollten, bitte, nicht weiterhin so tun, als bestünde die große Mehrheit unseres Volkes aus Dummköpfen,
weil diese Mehrheit einer atomaren Verteidigung mißtraut, die im Ernstfall Selbstvernichtung bedeuten würde. Deshalb, wenn es irgend geht — ich bin ja gar nicht mehr so sicher, daß es geht —: halten wir die atomare Rüstungsschraube an, kehren wir das Wettrüsten um, unterwerfen wir uns
der Vernunft und der berechtigten Sorgen um das Überleben. Sorgen wir, wenn es geht, gemeinsam für eine Verteidigungspolitik, die wieder von der großen Mehrheit unseres Volkes getragen werden kann; denn das wäre gut für unser Volk.
Das wäre gut für unsere demokratische Ordnung. Das wäre gut für Deutschland und Europa.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schily zu einem Geschäftsordnungsantrag nach § 29 unserer Geschäftsordnung.
Ich beantrage, unsere heutige Beratung mit Rücksicht auf folgenden Sachverhalt zu unterbrechen. Vor kurzem, gegen Mittag, sind 15 Mitarbeiter unserer Fraktion festgenommen worden,
und zwar wegen des einfachen Sachverhalts, daß diese Mitarbeiter
dieses Tuch als Bekleidungsstück getragen haben. Sie sind der Meinung gewesen, sie könnten mit einem solchen Bekleidungsstück auch in der Bannmeile zusammen gehen, d. h. sie müßten nicht getrennt gehen. Ich habe mich gefreut, daß viele unserer Fraktion, auch viele aus der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei dieses Tuch tragen, das viele auf dem Evangelischen Kirchentag getragen haben
und auf dem steht: „Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja — gegen Massenvernichtungsmittel".
Ich lasse es nicht zu, daß Mitarbeiter unserer Fraktion vor dem Parlament verhaftet werden. Das ist eine Mißachtung des Parlaments.
Hier sind sehr viele salbungsvolle Reden über Demokratie gehalten worden. Aber unsere Mitarbeiter werden verhaftet, wenn sie von ihrem Recht Gebrauch machen, das zu tragen, was sie tragen wollen.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zu dem Geschäftsordnungsantrag zu sprechen.
Ich spreche zur Geschäftsordnung.
Was ist denn davon zu halten, wenn ein solcher Vorgang geduldet wird und man gleichzeitig weiß — Sie haben heute schöne, hehre Worte über Demokratie, über Kritik an der Sowjetunion gefunden —, daß es im Kreml immerhin möglich war, ein T-Shirt zu tragen ...
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Antrag zu sprechen.
... mit den Worten „Verschrottet Eure Raketen — Achtet die Menschenrechte."
Herr Abgeordneter, ich bitte, — —
Hier vor dem Parlament werden Menschen, Mitarbeiter unserer Fraktion festgenommen, wenn sie solch ein Tuch tragen.
Herr Abgeordneter, ich fordere Sie auf, zum Antrag zu sprechen; sonst muß ich Ihnen das Wort entziehen.
Es geht um die Frage einer Vertagung. Es geht um die Frage der Arbeitsfähigkeit einer Parlamentsfraktion. Es geht darum, daß man Mitarbeiter ins Gefängnis bringt, die sich so bekleiden, wie sie es wünschen, um die Personalien festzustellen. Werden denn die Herren, die auf der Regierungsbank in Uniform sitzen, was ja auch eine Demonstration ist, ebenfalls festgenommen?
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen das Wort entziehen, — —
Das Wort hat der Abgeordnete Schäuble.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2511
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt den Antrag der GRÜNEN auf Unterbrechung der Sitzung ab.
Das Theater, das der Kollege Schily vorgeführt hat, zeigt allen — —
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Das Theater, Herr Präsident, das der Kollege Schily hier vorgeführt hat, zeigt,
daß es Ihnen nicht um die Arbeitsfähigkeit dieses Hauses geht, sondern gerade darum, dieses Haus arbeitsunfähig zu machen. Dem werden wir entgegentreten!
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion hat volles Vertrauen in die Polizeikräfte des Landes Nordrhein-Westfalen, denen wir für ihren Einsatz danken.
Wir werden, Herr Präsident, darum bitten, daß über den vom Kollegen Schily — —
Darf ich bitte weiterfahren.
Einen Augenblick, Herr Kollege Schäuble!
— Meine Damen und Herren, der amtierende Präsident hat nach § 7 unserer Geschäftsordnung die Aufgabe, die Würde und die Ordnung des Bundestags zu wahren. Dazu gehört auch, daß der Redner ungestört seine Meinung äußern kann.
Bitte, Herr Kollege Schäuble, fahren Sie fort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird darum bitten, daß wir in der Sitzung des Ältestenrats einen Bericht über diesen Vorfall, der vom Kollegen Schily angesprochen worden ist, bekommen.
Die Informationen, die mir vorliegen, lassen erhebliche Zweifel an dem zu, was der Kollege Schily gesagt hat.
Zum einen, Herr Kollege Schily, haben die Mitarbeiter oder die Personen, von denen Sie sprechen, mit einem weißen Tuch demonstriert und nicht mit einem lila Tuch, wie Sie es hier gezeigt haben.
Zum anderen, Herr Kollege Schily, sind diese Personen entgegen dem, was Sie gesagt haben — und Sie haben es wider besseres Wissen gesagt —, nicht in das Gefängnis gebracht worden, sondern sie sind lediglich zur Feststellung der Personalien festgenommen und inzwischen längst wieder freigelassen worden.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Schäuble!
Meine Damen und Herren, der Geschäftsführer der Fraktion DIE GRÜNEN hat heute morgen gesagt, daß es ihnen darum geht, diese Debatte nicht zu Ende kommen zu lassen, eine demokratische Entscheidung dieses Hauses zu verhindern. Deswegen machen Sie dieses Theater, und deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab!
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir treten für das ungehinderte Recht der Abgeordneten ein, hier reden und sich versammeln zu können. Herr Dr. Vogel hat das zu Beginn dieser Aussprache schon deutlich gesagt. Mir liegen keine Informationen über Vorgänge vor. Was Herr Schily gesagt hat, bedarf der Prüfung.
Das Präsidium wird diese Vorgänge prüfen,
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2512 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Porznerund wir bitten darum, daß dem Bundestag darüber berichtet wird.
— Wir bitten darum, daß darüber berichtet wird.Im übrigen müssen wir jetzt die Aussprache fortsetzen.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Antrag der GRÜNEN abstimmen. Wer dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile dem Abgeordneten Rühe das Wort.
— Meine Damen und Herren, ich bitte doch, Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen weiterzuführen.
— Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal bitten, Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen zu führen.
— Darf ich bitten, Platz zu nehmen.
Bitte, Herr Abgeordneter Rühe, Sie haben das Wort.
— Darf ich bitten, die Gespräche im hinteren Teil des Plenarsaals ebenfalls einzustellen.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Brandt, es ist unerträglich, wenn Sie in ein und derselben Rede Ihre Freundschaft zu den Vereinigten Staaten beschwören und dann durch eine Zitatverdrehung den ehemaligen amerikanischen Außenminister Haig zu einem Friedensfeind abstempeln wollen.
Spätestens seit den Demonstrationen in Berlin ist klar, daß dieser Vorwurf nicht aufrechterhalten werden kann. Ich finde es beschämend, daß Sie dieses heute erneut getan haben.
Genauso wie Sie mit Alexander Haig umgegangen sind, sind Sie mit Heiner Geißler umgegangen, indem Sie versucht haben, den Diffamierungsfeldzug gegen Heiner Geißler fortzusetzen, erneut durch eine Zitatverdrehung.
Ich sage Ihnen: es wird Ihnen nicht gelingen, Heiner Geißler, der ein aufrechter, aber unbequemer
Mann für Sie ist, kleinzukriegen. Wir stehen hinter ihm,
wir sagen: Heiner Geißler und Faschismus, das ist Feuer und Wasser. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Brandt.
Es wird Ihnen in dieser Debatte nicht gelingen, egal wieviel Unrat Sie anzuhäufen versuchen, abzulenken von einer Politik des Umfalls und des internationalen Wortbruchs. Dem diente doch Ihre Intervention.
Was hat Heiner Geißler denn gesagt? Er hat gesagt: Wer wie die Sozialdemokraten in einseitiger Weise ständig die USA kritisiert — und dafür haben wir ja heute erneut Belege bekommen — und auf der anderen Seite die Argumente der Sowjetunion in der innenpolitischen Auseinandersetzung verwendet, wird in dieser innenpolitischen Auseinandersetzung, ob er es will oder nicht, zur fünften Kolonne der anderen Seite, Herr Brandt.
— Wenn Sie sagen „unverschämt", dann möchte ich Sie an die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei erinnern.
Dann werden Sie feststellen, daß der erste,
der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das Wort von der fünften Kolonne gegen eine andere Partei gerichtet hat, Kurt Schumacher 1948 war. Er hat es auf dem Parteitag der SPD gegen uns gerichtet.
Messen Sie nicht mit zweierlei Maß, Herr Brandt.
Einen Moment, Herr Abgeordneter.
Das ist doch auch doppelte Moral — —
Herr Abgeordneter, einen Moment! Ich erteile dem Abgeordneten Scheer einen Ordnungsruf. Er hat hier „Rotzjunge" gesagt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Abgeordneten Soell?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2513
Ich möchte das erst im Zusammenhang darstellen. Ich setze mich mit Herrn Brandt auseinander, Herr Soell.
Ist es nicht auch doppelte Moral, wenn Sie über Jahre hinweg mit scheinbar natürlichem Recht und schöner Selbstverständlichkeit der Union vorwerfen, sie sei zum Frieden unfähig, sie sei eine Raketenpartei? Wer dieses sagt, der darf doch nicht auf der anderen Seite empfindlich sein gegen harte, aber zutreffende Antworten von unserer Seite.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Soell?
Nein. — Herr Brandt, überhaupt, was moralische Positionen angeht: Wer den Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen und damit auch Raketen über Jahre hinweg offensichtlich gegen die wirkliche Einsicht verteidigt hat, wer die Aufstellung von Raketen unterstützt, um Posten zu behalten, vertritt doch eine erbärmliche moralische Position.
— Sie winken ab, Herr Brandt, aber Sie haben doch selbst gesagt, Sie hätten diesen Doppelbeschluß gegen Ihre eigentliche Meinung über Jahre nur deswegen unterstützt, damit Helmut Schmidt Bundeskanzler und Hans Apel Verteidigungsminister bleiben kann.
Was ist das für eine moralische Position! Da sind mir doch Leute lieber, die so etwas aus ehrlichem Herzen und konsequent ablehnen. Aber wer dies nur unterstützt, um an der Macht zu bleiben, um die Posten zu behalten, der hat moralisch die denkbar schlechteste Position, Herr Brandt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Ich gehe jetzt nicht auf Zwischenfragen ein. Ich setze mich mit Herrn Brandt auseinander, ja; da werden Sie sich nicht dazwischenstellen können.
Wenn Sie mir als jüngerem Parlamentarier gestatten, Herr Brandt: Ich finde, daß Sie auf Grund Ihrer Lebensgeschichte, was Ihr Auftreten hier im Parlament angeht, auch im Hinblick auf die Autorität des Parlamentspräsidenten, allen Anlaß haben, für die junge Generation draußen vorbildlich zu wirken, für eine junge Generation, der wir immer wieder vorleben müssen, was dieses Parlament für dieses demokratische Land bedeutet. Ich glaube, auch diesem Anspruch sind Sie mit Ihrer Rede nicht gerecht geworden.
Alles das, was Sie gesagt haben, Herr Brandt, kann eben nicht davon ablenken, daß Ihre Partei in diesen Tagen den wohl dramatischsten und spektakulärsten politischen Kurswechsel in der deutschen Nachkriegsgeschichte vollzieht.
Wer glaubt, dies sei eine Übertreibung, der möge doch einmal zur Kenntnis nehmen, daß der ehemalige Bundeskanzler Schmidt, die ehemaligen Minister Leber, Apel, Matthöfer und Wischnewski, die noch vor einem Jahr führende Repräsentanten der deutschen Sozialdemokratie in Staat und Partei waren, am Wochenende in Köln zu einer 3 %igen Splittergruppe der SPD gehörten.
Das Gesicht einer Partei, Herr Brandt — und Sie sind j a der Vorsitzende dieser Partei —, läßt sich auch an ihren Außenseitern erkennen: gestern Coppik, Eppler und Lafontaine, heute Schmidt, Matthöfer und Apel.
Dafür, daß es so weit gekommen ist, tragen Sie die entscheidende und eine schwere Verantwortung.Sie richten Ihre Sicherheitspolitik — zusammen mit Herrn Vogel — nach dem, was in der SPD heute möglich ist. Wir in der Union
richten unsere Sicherheitspolitik nach dem, was für unser Land nötig ist; das ist der entscheidende Unterschied.
Die Bundesregierung hat ein Beispiel für Standfestigkeit und Berechenbarkeit gesetzt
und damit zur Berechenbarkeit unseres Landes entscheidend beigetragen: nach Westen und nach Osten, gerade auch nach Osten. Werfen wir doch einmal einen Blick zurück: Als Bundeskanzler Kohl die Verantwortung übernahm, behauptete die SPD landauf, landab, daß in der Ost- und Deutschlandpolitik jetzt nichts mehr laufen werde; das Gegenteil ist der Fall. Die damalige Angstmache der Sozialdemokraten hat sich als völlig grundlos herausgestellt. Auch die heutige Panikmache wird sich als gegenstandslos erweisen.
— Herr Brandt ist an der parlamentarischen Debatte offensichtlich nicht weiter interessiert. Ich
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2514 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Rüheglaube, das bestätigt das, was ich über seine Rolle in diesem Parlament gesagt habe.
Aber das Entscheidende ist ja, daß sich die Mitbürger draußen das anhören werden, was in diesem Parlament über die Position der heutigen Sozialdemokratie gesagt werden muß. Daran können Sie nichts ändern, wenn Sie rausgehen, Herr Brandt.
Die Bundesregierung hat von Anfang an gegenüber dem anderen Staat in Deutschland wie gegenüber den anderen Nachbarn im Osten eine aktive und betont konstruktive Politik entwickelt. Sie hat es bewußt vermieden, die gegenseitigen Beziehungen auf die Raketenfrage zu verengen. Sie hat vielmehr diese Beziehungen in ihrer vollen Breite gefördert und vertieft. Sie hat damit unterstrichen, daß unserer Sicherheitspolitik keine aggressiven Motive und keine konfrontativen Zielsetzungen zugrunde liegen, sondern allein defensive Bedürfnisse unserer Verteidigung.Diese Politik ist im Osten verstanden worden, und sie hat Früchte getragen. Ich erinnere nur daran, was in den jüngsten Tagen im innerdeutschen Verhältnis möglich war, und auch an die Gespräche von Graf Lambsdorff in Moskau. Unsere ostpolitischen Perspektiven reichen über den Tag der Nachrüstung hinaus. Denn es ist unsinnig anzunehmen, daß das Ende des Jahres auch das Ende aller Ostpolitik bedeuten würde.Natürlich wissen wir, daß sich die Raketenproblematik belastend auf die Ost-West-Beziehungen auswirkt und auch auf die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn. Wer wollte das bestreiten? Doch eben darum sind wir bemüht, ein Ost-West-Klima zu schaffen, das Abrüstungsverhandlungen begünstigt. Eben darum fördern wir die Verhandlungen in Genf und drängen auf einen fairen Kompromiß.
Es ist einfach unredlich, wenn die SPD ständig behauptet, die Bundesregierung habe zuwenig auf ein Genfer Verhandlungsergebnis hingewirkt. Diese Behauptung wird auch durch dauerndes Wiederholen nicht richtiger. Die Vorwürfe der SPD sind in dieser Debatte schon häufig wiederlegt worden.Das gleiche gilt von dem Anspruch der Sozialdemokraten, mit ihrer heutigen sicherheitspolitischen Einstellung, mit ihrem Nein zum Doppelbeschluß, in der Kontinuität ihrer früheren Politik zu stehen. Auch diese Behauptung steht im Widerspruch zu den Tatsachen. Die ständige Beschwörung ihrer angeblichen politischen Kontinuität ist zur Lebenslüge der deutschen Sozialdemokraten geworden.
Das, was die SPD heute als ihre Sicherheitspolitik ausgibt, gleicht einem unmöglichen politischen Spagat; denn die SPD sagt zugleich ja zum Bündnis und nein zur Bündnispolitik. Aber ihr heutiges Ja zum Bündnis ist nicht mehr wert als ihr früheres Ja zum Doppelbeschluß.
Denn was wird der, der gestern für den Doppelbeschluß war und heute dagegen ist, morgen sagen?
Das Bekenntnis zu atlantischen Allianz klingt hohl bei Ihnen, wenn gleichzeitig die von der Allianz beschlossene Politik aufgekündigt wird.
Denn das NATO-Bündnis ist keine leere Hülle, die sich mit beliebigen Inhalten füllen ließe. Das Bündnis wird zusammengehalten durch die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder und durch den Konsens über die dafür notwendige Politik. Wer diesen Konsens aufkündigt, begibt sich aus der Bündnissolidarität heraus, er kündigt der Sache nach seine Mitgliedschaft, auch wenn er formal im Bündnis bleibt. Ja zum Bündnis und nein zur Bündnispolitik, das geht nicht auf. Das ist der vorprogrammierte Ausstieg der SPD aus dem Bündnis.
Mit ihrem Wortbruch, mit ihrem Nein zum NATO- Doppelbeschluß zeigt die SPD, daß sie nicht mehr NATO-fähig ist, daß sie nicht mehr bündnisfähig ist. Denn auf Wortbruch läßt sich kein Bündnis gründen.
Ich darf Helmut Schmidt zitieren, gestern gegenüber dem „Allgemeen Dagblad" in den Niederlanden:Die Partei — die SPD —wird sich an den vergangenen Sonnabend noch lange erinnern. Mit der heutigen Politik wird es ihr nicht gelingen, wieder an die Regierung zu kommen.
Nun werden Sie sagen: Was macht der sich Sorgen darum, daß wir wieder an die Regierung kommen? — Das mag oberflächlich auch stimmen. Aber für unser Land ist es wichtig — jetzt hören Sie genau zu —, daß es eine demokratische Alternative gibt, die auch außenpolitisch zuverlässig ist.
Ich habe mir noch einmal die Rede von Herbert Wehner aus der Debatte aus dem Jahre 1960 herausgesucht. Hier greife ich einen Satz von Herbert Wehner heraus. Herbert Wehner hat für die damalige Opposition, die SPD, gesagt:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2515
RüheDie Bundesrepublik ist ein zuverlässiger Vertragspartner, gleichgültig, ob die jetzige Regierung oder die gegenwärtige Opposition als Regierung die Geschäfte führt.Daß ein solcher Satz heute nicht mehr glaubwürdig gesagt werden kann, das ist die Tragödie der neuen Sozialdemokraten.
Wer wundert sich eigentlich darüber, daß sich bei unseren Freunden inzwischen Ratlosigkeit und auch Bestürzung ausbreiten, daß man sich fragt, welchen politischen Koordinaten die Deutschen künftig folgen wollen. Lassen Sie mich namens der stärksten politischen Kraft in unserem Lande, der CDU/CSU, einige klärende Worte sagen.Zunächst ein Wort an unsere Freunde im Westen. Sie sollen wissen, daß unsere Entscheidung für den Westen keine geographische sondern eine politischmoralische Entscheidung war, die unwiderruflich ist.
Wir gründen unsere Politik auf das gemeinsame Wertesystem von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit, und wir sind entschlossen, diese Werte gemeinsam zu verteidigen. Unsere Freunde können sich auf uns verlassen, so wie wir uns auch auf sie verlassen. Niemand soll sich irremachen lassen. Wir bleiben verläßlich, auch in krisenhaften Zeiten. Wir haben keine Angst vor unseren Freunden, wenn ich Herrn Lafontaine, den von Herrn Brandt protegierten Lafontaine, mit seinem Buchtitel hier zitieren darf. Das ist als Anklage gemeint, „Angst vor den Freunden"; in Wirklichkeit ist das die schlüssigste Selbstentlarvung der heutigen Sozialdemokratie die man sich nur vorstellen kann.
Wir haben keine Angst vor unseren Freunden, Wir vertrauen ihnen, und sie können uns vertrauen.Ein ganz spezielles Wort zu unseren amerikanischen Freunden. Sie stehen mit uns Schulter an Schulter im Bündnis. Nur die USA sind bereit und in der Lage, einen Angriff gegen uns als einen Angriff gegen sich selbst zu betrachten. Damit übernehmen sie ein Risiko, das niemand sonst übernehmen will und kann. Damit binden sie ihr eigenes Schicksal an das unsere. Diese freiwillige Schicksalsgemeinschaft garantiert unseren Frieden und unsere Freiheit. Ihnen dafür mit Antiamerikanismus zu begegnen, das ist von Manès Sperber in seiner wichtigen Rede zu Recht als „aggressive Undankbarkeit" gekennzeichnet worden.
Lassen Sie mich ebenso ein Wort an unsere Nachbarn im Osten richten. Wir wollen gute Nachbarn sein, wir wollen Zusammenarbeit und wir wollen einen Dialog der Verständigung. Wir übersehen nicht die ideologischen und gesellschaftlichen Gegensätze und ebensowenig die unterschiedlichen Bündnisverpflichtungen. Aber wir sind entschlossen, nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen sondern das Verbindende. Wir gehören gemeinsam zur europäischen Völkerfamilie. Gemeinsame geschichtliche Erfahrungen verbinden uns im Guten wie im Schlechten. Wir wollen die gegenseitigen Beziehungen weiter entwickeln und vertiefen, zum gegenseitigen Nutzen und ohne den jeweiligen Freunden damit zu schaden.Ein besonderes Wort gilt nicht zuletzt unseren Landsleuten in der DDR. Wir Deutschen in Ost und West sind uns einig in dem Wunsch, den Frieden zu bewahren und zu festigen. Wir sind dies um so mehr, als die beiden deutschen Teilstaaten jeweils gegnerischen Militärbündnissen angehören. Daraus ergibt sich für die beiden Regierungen eine besondere Verantwortung, nämlich die Verantwortung, gerade in einer schwierigen und angespannten Situation beruhigend auf die internationale Lage einzuwirken. Wir Deutschen werden den OstWest-Gegensatz nicht beseitigen können. Was wir aber tun können, ist, diesen Gegensatz in der Praxis unserer Beziehungen zu entschärfen. Wir können damit ein Beispiel geben, das über unsere eigenen Grenzen hinaus wirkt. Wir können und wir sollten daher ein deutsches Modell für eine wirkliche Entspannung über die trennenden Systemgrenzen hinweg entwickeln. Von unseren gegenseitigen Beziehungen müssen positive Impulse für das Ost-WestVerhältnis insgesamt ausgehen. Damit dienen wir dem Frieden in Europa, und wir dienen damit zugleich auch den Interessen der Deutschen. Denn im Vordergrund unserer Politik stehen die Interessen der Menschen im geteilten Deutschland. Deshalb wollen und werden wir die innerdeutschen Beziehungen in einer Weise gestalten, daß die Menschen davon einen unmittelbaren, einen greifbaren, einen erfahrbaren Vorteil haben.
In diesem Sinne haben wir unsere Politik gegenüber der DDR angelegt, und wir werden sie auch in diesem Sinne fortführen. Wir können schon erste Erfolge dieser betont konstruktiven Politik feststellen. Das ermutigt uns, auf diesem Wege weiterzugehen. Wir erwarten dabei, daß unser guter Wille von der anderen Seite ergänzt wird, denn die Qualität gegenseitiger Beziehungen hängt nun einmal von dem Verhalten beider Seiten ab.Wir bitten unsere Landsleute in der DDR um ihr Vertrauen zu unserer Politik, die ihren Interessen dienen will. Wir wissen, was sie von uns erwarten. Wir sind entschlossen, diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesrepublik Deutschland wird auch von ihrer geopolitischen Lage bestimmt. Wir gehören kraft freier Entscheidung zum Westen, aber wir wollen aus guten Gründen auch Brücken zum Osten bauen. Für diese Politik gibt es klare Grundsätze: Verständigung und fairer Interessenausgleich mit dem Osten, aber Freundschaft und vertrauensvolle Partnerschaft mit dem Westen.
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2516 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
RüheZusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn, aber solidarisches Handeln mit unseren westlichen Freunden, wirkliche Entspannung im Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Paktes, aber Festigung des atlantischen Verteidigungsbündnisses. Mit diesen Grundsätzen sind wir berechenbar, im Osten wie im Westen. Mit unserer Berechenbarkeit schaffen wir Vertrauen, schaffen wir Frieden.
Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des militärischen Verhaltens in der Kombination mit Maßnahmen zur Förderung der Abrüstung werden gerade auch in der Schlußakte der Konferenz in Helsinki über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1975 als grundlegende Prinzipien von höchster politischer Bedeutung für die Stärkung von Vertrauen, Sicherheit und Stabilität in Europa genannt.Der NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 entspricht genau diesen Prinzipien. Er läßt sich damit im Sinne der Schlußakte der KSZE-Konferenz als vertrauensbildende Maßnahme bezeichnen, denn erstmals in der Geschichte der Rüstungskontrollpolitik wird hier der Versuch unternommen, die Spirale von Vorrüstung und Nachrüstung zu durchbrechen und zu einer wirklichen Abrüstung zu gelangen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Gern.
Herr Kollege Rühe, angesichts des besseren Überblicks, den Sie vom Rednerpult haben, stelle ich Ihnen die Frage, ob mich mein Eindruck trügt, daß die sozialdemokratische Fraktion bei dieser für Deutschland und unsere Zukunft so wichtigen Debatte gerade noch mit 12 oder 13 Kollegen im Saal ist?
Dieser Eindruck trügt leider nicht. Ich meine, wer vor dieser Debatte den Eindruck erweckt, als ob wir Debattenzeit beschneiden wollten, und dann hier nicht präsent ist, stellt sich selbst das schlechteste Zeugnis aus.
Ich bin froh, daß für alle Zukunft im Parlamentsprotokoll festgeschrieben ist, in welcher Weise Sie sich an der Debatte über die Schicksalsfragen unseres Landes beteiligt haben.
— Toleranz war noch nie Ihre starke Seite. Zum Zuhören gehört natürlich auch die Fähigkeit zur Toleranz.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte Sie fragen, ob Sie meinen Eindruck teilen, daß Ihre Fraktion bei Reden der SPD die Mittagspause nimmt, daß hier also ein Austausch stattfindet?
Dieser Eindruck täuscht Sie in der Tat.
Meine Fraktion war den ganzen Tag über hier präsent.Dieser grundlegend neue Rüstungskontrollansatz des Doppelbeschlusses bot der Sowjetunion zur Förderung der Abrüstung Verhandlungen an über Waffen, die noch gar nicht produziert waren, sondern nur auf dem Papier standen. Als logische Konsequenz dieses Ansatzes ergab sich damit für die Sowjetunion auch ein Höchstmaß an Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit unseres politischen und militärischen Verhaltens. Das gibt mir das Recht, diesen Beschluß in einen Zusammenhang zu stellen mit der KSZE-Schlußakte.Seit vier Jahren kennt die Sowjetunion den Grund dieses Beschlusses: die sowjetische SS-20- Hochrüstung. Seit vier Jahren kennt die Sowjetunion Art, Umfang und Ablauf des westlichen Modernisierungsprogramms. Sie konnte seitdem genau das Risiko vorausberechnen, das sie mit Westeuropa teilen muß, wenn sie nicht zu einer für beide Seiten akzeptablen Rüstungsvereinbarung bereit ist.Vier Jahre lang hatte die Sowjetunion Zeit, auf das Rüstungskontrollangebot aus dem NATO-Doppelbeschluß bzw. entsprechende Verhandlungsangebote des Westens einzugehen und damit die bevorstehende Stationierung zu vermeiden. Vier Jahre lang hatte die NATO auf die Stationierung eines entsprechenden Gegengewichts verzichtet, um ihre Abrüstungsbemühungen nicht zu behindern, während die Sowjetunion weiterhin Woche für Woche ihre Raketen aufgestellt hat. Seit vier Jahren weiß die Sowjetunion, daß dieser einseitige Stationierungsverzicht der NATO Ende des Jahres abläuft.Seit vier Jahren weiß die Sowjetunion auch, daß sich mit Stationierungsbeginn die Zahl der Sprengköpfe in Europa nicht erhöhen wird; denn für jeden neuen Sprengkopf wird entsprechend dem Modernisierungsplan des Doppelbeschlusses ein alter Sprengkopf abgezogen. Darüber hinaus hat die NATO 1980, ebenfalls vor vier Jahren, im Modernisierungsplan festgelegt, 1 000 Atomsprengköpfe aus Europa abzuziehen — dies ist bereits erfolgt — und, wie jüngst beschlossen, weitere 1 400 Sprengköpfe in Europa zu beseitigen.
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RüheUnd schließlich weiß die Sowjetunion auch seit vier Jahren, daß das Modernisierungsprogramm der NATO im ungünstigsten Fall auf maximal 108 Pershing II und 464 Cruise Missiles begrenzt ist und damit bei weitem nicht das heute schon vorhandene SS-20-Potential ausgleichen kann.Ein größeres Maß an militärisch bedeutsamer Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit sowie politisch verbindlicher Zurückhaltung hat es in der Geschichte der Rüstungskontrollpolitik bisher nicht gegeben. Das ist es, was diesen Rüstungskontrollansatz als revolutionär auszeichnet.
Wer das nicht versteht, Herr Ehmke, der möge sich doch einmal einen Moment vorstellen, was es für uns bedeutet hätte, wenn sich die Sowjetunion so verhalten hätte, wie wir das getan haben. Stellen Sie sich einmal vor, die Sowjetunion hätte 1975 erklärt, sie sei der Meinung, es bestehe ein Ungleichgewicht, und sie plane, in vier Jahren soundso viele Raketen in den und den Teilen der Sowjetunion mit den und den technischen Daten aufzustellen, aber bevor sie das mache, wolle sie mit uns darüber verhandeln, ob man das nicht überflüssig machen oder die Zahl begrenzen könne. Stellen Sie sich das einmal vor, und vergleichen Sie es mit der Realität. Und die kennen Sie ja als ehemaliger Verteidigungsminister, Herr Apel. Die Realität ist, daß wir sowjetische Raketen bisher immer nur gegen den Willen der Sowjets, durch Satellitenaufklärung, zur Kenntnis bekommen haben, als es sie bereits gab. Dieses ist der Unterschied zwischen westlicher und östlicher Politik.
Die heutige Debatte gibt uns die Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zur Politik des NATO-Doppelbeschlusses zu ziehen. Eine Zwischenbilanz deshalb, weil vier Jahre hinter uns, und falls es sein muß, noch fünf Jahre vor uns liegen; erst dann können wir abschließend beurteilen, wie erfolgreich dieser Rüstungskontrollversuch war. Schon heute können wir feststellen:Erstens. Die rüstungskontrollpolitische Zielsetzung des Modernisierungsbeschlusses, Moskau an den Verhandlungstisch zu bringen, ist schon im Sommer 1980 erreicht worden, und ich stehe nicht an, zu sagen, daß das doch auch ein Erfolg Ihrer Politik gewesen ist. Aber damals standen Sie zu dem Doppelbeschluß. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten schon damals Ihre heutige Meinung vertreten. Dann hätten Sie die Sowjetunion doch überhaupt nicht an den Verhandlungstisch bekommen. Das zeigt doch, wie tragisch Ihre jetzige Position ist.
Bis dahin hatte sich die Sowjetunion ja bekanntlich hartnäckig geweigert, überhaupt zu verhandeln, solange die NATO nicht ihren Modernisierungsbeschluß aufhebt. Daß Moskau in Genf seine Bereitschaft erklärt hat, einen Teil seiner SS-20-Mittelstreckenraketen zu verschrotten, obwohl der Modernisierungsbeschluß der NATO nicht aufgehoben wurde, zeigt die Richtigkeit dieses Ansatzes.Zweitens. Indem Moskau in den Verhandlungen Reduzierungen seines Mittelstreckenpotentials auf zunächst 162, dann 140 und zuletzt offiziös auf 120 Raketen in Europa vorschlug, hat es zugleich seine Überlegenheit offen eingestanden. Auch das ist ein Ergebnis dieser Verhandlungen.
Die Gegner des Doppelbeschlusses einschließlich der heutigen SPD müssen sich fragen lassen, durch welche andere Politik diese beiden Dinge denn hätten erreicht werden können. Hierauf schulden sie bis zu dieser Stunde jede Antwort.
— Unsinn ist keine Antwort.
Sie schulden uns die Antwort, durch welche andere Politik sie dieses hätten erreichen können und vor allen Dingen in der Zukunft erreichen wollen, daß es zu einem realen Abbau von bereits stationierten Mittelstreckenwaffen in der Sowjetunion kommt. Es zeigt sich eben: Der Doppelbeschluß ist weiterhin richtig; es gibt keine Alternative dazu.Es gibt brauchbare Ansätze für eine erfolgreiche Rüstungskontrolle. Aber wir haben bisher das Klassenziel noch nicht erreicht. Wir haben weder eine Zwischenlösung noch die beiderseitige Null-Lösung. Die Verhandlungen sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo von der Sowjetunion auch die Glaubwürdigkeit unseres Doppelbeschlusses in seinen beiden Teilen getestet wird. Wenn Moskau nicht bereit ist, ein amerikanisches Gegengewicht zu seinen SS 20 auf dem Verhandlungsweg zu akzeptieren, dann muß dieses Gegengewicht gegen seinen Willen stationiert werden, oder wir machen uns mit unserem eigenen Beschluß unglaubwürdig und gefährden Abrüstungschancen.Es ist notwendig, einmal klarzustellen, worüber wir eigentlich debattieren. Wir debattieren nicht über irgendwelche eigenständigen Rüstungsprogramme der NATO, sondern über die Konsequenzen aus der sowjetischen SS-20-Vorrüstung. Es ist also nicht der Westen, der mutwillig an der Rüstungsspirale dreht; denn die neue Rüstungsrunde wird nicht jetzt durch den Beginn der westlichen Nachrüstung eingeläutet. Deswegen muß man z. B. den GRÜNEN und auch Anhängern der Friedensbewegung sagen, daß sie eine verspätete Bewegung sind. Sie wären viel glaubwürdiger gewesen, wenn sie unmittlebar nach 1975 gegen die von Woche zu Woche in größerer Zahl sich auftuenden Raketenspitzen in der Sowjetunion protestiert hätten. Sie sind eine verspätete Bewegung.
Sie sind auch eine fehlgerichtete Bewegung; denn Ihre Kritik konzentrieren Sie im wesentlichen auf den Westen und verwechseln damit Ursache und Wirkung. Weder Westeuropa noch die USA haben die Aufstellung der SS-20-Raketen herausgefordert. Es gab und es gibt keine sicherheitspolitische Rechtfertigung dafür, diese gefährliche Waffe gegen Westeuropa in Stellung zu bringen, die allein
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2518 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
RüheWesteuropa bedroht, ohne zugleich auch die USA zu bedrohen.Wie man es auch dreht und wendet, man kommt nicht um die bedrückende Erkenntnis herum, daß es sich bei der SS 20 keineswegs um eine defensive Waffe, sondern um eine gegen Westeuropa gerichtete politische Offensivwaffe handelt. Ich glaube, die meisten Menschen sind sich über diese Tatsache durchaus im klaren, sei es bewußt oder unbewußt. Eben darum gibt es j a auch soviel Angst in unserem Lande. Es wäre töricht, dies zu leugnen. Es ist die Angst vor einem atomaren Holocaust, der eben nicht von amerikanischen, sondern von den auf unser Land gerichteten sowjetischen Atomraketen herbeigeführt werden könnte. Die sowjetische Propaganda hat auch nichts unversucht gelassen, um diese Angst kräftig zu schüren.Niemand wird bestreiten können, daß diese psychologische Kriegsführung Moskaus Wirkung zeigt. Die Friedensbewegung ist dafür ein unübersehbarer Beweis. Denn es ist die Angst, die ihr die Menschen zutreibt. In Wahrheit handelt es sich daher auch um eine Angstbewegung.
Denn: Wer in diesem Lande wäre nicht für den Frieden? Friedensbewegung, das sind alle Deutschen. Aber diejenigen, die in erster Linie auf der Straße demonstrieren und das Monopol für sich in Anspruch nehmen, bilden ganz stark eine Angstbewegung. Das werfe ich niemanden vor. Nur: Mit Angst alleine läßt sich der Frieden nicht organisieren. Mit Friedenssehnsucht alleine können wir den Frieden unter den schwierigen Bedingungen unserer Zeit nicht organisieren. Dafür erwarten wir Respekt und Unterstützung von Ihnen.
Ich jedenfalls bin für den Frieden. Meine Partei ist es auch und die Bundesregierung nicht minder.
Der Frieden, den wir meinen, ist allerdings anspruchsvoller als der, mit dem sich andere schon begnügen. Unser Kurs heißt Frieden in Freiheit. Beides ist nötig, und beides ist auch möglich. Wir lassen uns hier nicht vor eine schlimme Alternative stellen.
Mit unserem Kurs unterscheiden wir uns in der Tat von jenen, die Frieden um jeden Preis fordern — das hat man auch Haig vorgeworfen und unserer Broschüre —, selbst um den Preis der Selbstunterwerfung unter einen fremden Willen. Die vorsorgliche Unterwerfungshaltung ist genau das, was die Politiker im Kreml von uns wollen. Ihnen geht es darum, unseren Willen zur Selbstbehauptung zu brechen, unseren Willen ihren Interessen anzupassen. Früher hat man, um dies zu erreichen, Kriege geführt. Aber die sowjetischen Politiker wollen keinen Krieg in Europa führen, schon gar nicht einen Atomkrieg. Sie wissen so gut wie wir alle, daß ein Atomkrieg ein unkalkulierbar hohes Risiko bedeutete, weil der Sieger am Ende nicht festzustellen wäre.Nein, die sowjetischen Führer wissen sehr gut, daß ein Atomkrieg kein Mittel der Politik ist. Wohl aber haben sie herausgefunden, daß die Angst vor einem Atomkrieg ein äußerst wirksames politisches Instrument sein kann. Die katholischen Bischöfe Frankreichs haben es vor wenigen Wochen in einer Erklärung so ausgedrückt:Die Erpressung mit der Angst vor dem Atomtod ist nichts anderes als der Versuch, die Früchte eines Krieges zu ernten, den man gar nicht erst führen muß.So wird unsere Lage sehr nüchtern und sehr zutreffend beschrieben.Mit dem politischen Einsatz ihres Raketenmonopols kämpft die Sowjetunion um ihren Machtanspruch gegenüber Westeuropa. Die SS-20-Raketen sind ein Instrument der Einflußnahme auf unsere politischen Entscheidungen, und zwar zugunsten sowjetischer Interessen. Sie sind ein politisches Nötigungspotential. Das bedeutet natürlich nicht, daß Moskau bei jeder passenden Gelegenheit mit einem begrenzten Atomkrieg drohen würde. Eine solche Brechstangenpolitik wäre unglaubwürdig. Es genügt eben auch völlig, daß sich die Europäer dieser Möglichkeit ständig bewußt sind. Das Wissen um das atomare Drohpotential und um die militärische Überlegenheit der Sowjetunion soll unser Bewußtsein prägen und uns zu einem vorsorglichen Wohlverhalten veranlassen. Bildlich gesprochen: Westeuropa soll dazu gebracht werden, erst einmal in Richtung Moskau zu blicken, bevor es seine politischen Entscheidungen trifft. Dies ist die Bedrohung unserer Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, die von dem sowjetischen SS-20-Raketenpotential und von dem Monopol ausgeht. In dieser politischen Verwundbarkeit Westeuropas liegt — so hat Altbundeskanzler Schmidt mit Recht auf dem SPD- Parteitag gesagt — die eigentliche Gefahr.Wer meint, dies sei eine eingebildete Gefahr, der muß doch nur einmal zur Kenntnis nehmen, was sich schon jetzt in unserem Lande abspielt. Das Anschwellen der Friedens- oder Angstbewegung und der scharfe sicherheitspolitische Schwenk der SPD sind doch unübersehbare Beispiele für ein präventives Anpassungsverhalten unter dem Eindruck der sowjetischen Raketendrohung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, es reicht leider zeitlich nicht.Wer das sowjetische Raketenmonopol in Europa als selbstverständliches Recht der Sowjetunion ansieht, wer es quasi schon zum Status quo in Europa zählt und sich für immer damit abfinden will,
der ist bereits ein Opfer sowjetischer Machtpolitikgeworden, auch wenn er sich dessen nicht bewußt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2519
Rüheist, was ich gerne dem einen oder dem anderen von Ihnen zubilligen will.
Es war und ist das Ziel des NATO-Doppelbeschlusses, diese Bedrohung der Sicherheit und der politischen Handlungsfreiheit Westeuropas abzuwenden, entweder durch die Beseitigung der sowjetischen SS-20-Raketen auf dem Verhandlungsweg — das wäre die beiderseitige Null-Lösung — oder durch die Schaffung eines ausreichenden Gegengewichts in Westeuropa, das die sowjetische Raketendrohung militärisch neutralisiert und damit politisch unwirksam macht. Darum geht es bei der Entscheidung, die wir hier heute zu treffen haben.
Wir sind bereit, den einen oder den anderen Weg zu gehen. Wir sind bereit, jede Lösung zu akzeptieren, die unseren berechtigten Wunsch erfüllt, nämlich die sowjetische Drohkulisse, die unsere Entscheidungsfreiheit lähmen soll, zu beseitigen.Von Moskaus Interessenlage her gesehen, ist es folgerichtig gewesen, in der bisherigen Haltung stur zu bleiben. Der politische Nutzen der SS-20-Raketen beruht ja gerade darauf, Westeuropa unter eine exklusive atomare Bedrohung zu stellen, d. h. jede Ankoppelung an die amerikanischen Nuklearwaffen zu verhindern.Inzwischen muß aber auch die sowjetische Führung sehen, daß sie mit dieser Zielsetzung gescheitert ist. Mit der beginnenden Durchführung des zweiten Teils des NATO-Doppelbeschlusses machen die westeuropäischen Bündnispartner der NATO vielmehr deutlich, daß sie weder gewillt sind, die sowjetische SS-20-Drohung länger hinzunehmen, noch bereit sind, sich von der nuklearen Schutzgarantie der USA abkoppeln zu lassen. Aus dieser Entwicklung sollte die Führung der Sowjetunion jetzt die richtigen Schlüsse ziehen.Zur Zeit sieht es allerdings noch so aus, als ob dies der sowjetischen Führung schwerfällt. Da wird eine Eiszeit im Ost-West-Verhältnis angedroht, da werden neue und zusätzliche Raketenaufstellungen angekündigt, und da wird erklärt, bei einem Beginn der Stationierung auf westlicher Seite würden weitere Verhandlungen sinnlos und unmöglich. Es ist schon genug gesagt worden, daß die Verhandlungen sinnvoll bleiben und daß es keine Zumutung ist, weiter zu verhandeln. Wir haben genau dieses getan. An der westlichen Bereitschaft hat sich nichts geändert im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen. Wir sind nach wie vor bereit, die beiderseitige Null-Lösung zu vereinbaren. Wir sind auch zu jedem Zwischenschritt bereit, der uns einer solchen Null-Lösung näherbringt.Natürlich müssen wir ebenso darauf hinweisen, daß die USA in all den Jahren in Genf geduldig weiterverhandelt haben. Wir werden dieses zusammen mit unseren Verbündeten auch weiter tun. Aber wo liegt das sowjetische Interesse im Zusammenhang mit den politischen Entscheidungen, die sie fällen muß? Zieht es die Sowjetunion vor, das Modernisierungsprogramm in der NATO in voller Höhe aufwachsen zu lassen und selbst noch mehr SS 20, 21, 22, 23 — und was es sonst noch gibt — aufzustellen, oder liegt es nicht viel eher im sowjetischen Interesse, die NATO-Nachrüstung weitgehend zu begrenzen und das Geld für weitere Raketen sinnvoller anzulegen, als sie das in der Vergangenheit getan hat? Wenn dieses das Interesse der Sowjetunion sein sollte, so läßt sich dieses nur auf dem Verhandlungswege erreichen.Im übrigen muß sich die Sowjetunion fragen lassen, was sie mit der angekündigten zusätzlichen Aufstellung von operativ-taktischen Atomraketen in der DDR und der CSSR bewirken will. Will sie sich möglichst negativ vom westlichen Verteidigungsbündnis unterscheiden, das soeben den Abzug von 1 400 Sprengköpfen aus Europa beschlossen hat, oder will sie mit Vorbedacht die innere Lage in der DDR und der CSSR destabilisieren? Denn inzwischen müßte es sich auch bis Moskau herumgesprochen haben, mit welch großen Vorbehalten die Menschen wie die Regierenden in diesen beiden Staaten einer weiteren Vermehrung der Atomraketen auf ihrem Territorium entgegensehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal folgendes feststellen: Wir möchten die sowjetische Führung ermutigen, aus der politischen Sackgasse ihrer SS-20-Raketenpolitik herauszukommen, die sich politisch als großer Fehler herausgestellt hat. Diese Politik würde im übrigen nur dann zu einem politischen Erfolg für die Sowjetunion werden, wenn wir dem Rat der Sozialdemokraten oder der GRÜNEN folgen und heute ein Nein zum zweiten Teil des Doppelbeschlusses sagen würden. Wir alle wissen, daß der Sowjetunion eine Korrektur ihrer Politik nicht leichtfällt, denn sie muß sich selbst eingestehen, daß ihre Raketenpolitik auch eine gigantische Fehlinvestition gewesen ist und daß sie politisch praktisch das Gegenteil von dem bewirkt hat, was sie eigentlich erreichen wollte:Erstens. Ihr Ziel, Westeuropa militärisch und politisch von den USA abzukoppeln, ist durch den NATO-Doppelbeschluß und die Festigkeit der Bündnispartner durchkreuzt worden.Zweitens. Der Zusammenhalt im NATO-Bündnis ist nicht geschwächt worden. Das Bündnis steht geschlossener denn je da, mehr noch, unter dem Eindruck der sowjetischen Bedrohung rückt Frankreich wieder näher an das Bündnis heran, und auch Japan ist aus seinem sicherheitspolitischen Schlaf aufgewacht.Drittens. Anstatt ihr Raketenmonopol in Europa zu sichern, muß sich die Sowjetunion mit neuen Raketen in Westeuropa abfinden, die jetzt auch sowjetisches Territorium erreichen können.Viertens. Moskaus Einfluß in Europa ist nicht vergrößert, sondern vermindert worden. Die Westeuropäer betrachten das sowjetische Imperium nach seinem militärischen Erpressungsversuch mit größerem Mißtrauen als vorher.
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2520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
RüheFünftens. Die Politik der Entspannung, von der die Sowjetunion in den 70er Jahren sehr viel profitiert hat, ist empfindlich gestört. Die Ost-West-Beziehungen haben sich nicht weiter entspannt, sie sind gerade durch die sowjetische Politik militarisiert worden. So etwas führt nicht zu mehr Kooperation, sondern zu mehr Konfrontation. Auch dieses kann nicht im sowjetischen Interesse liegen.Wenn die Politiker im Kreml also eine nüchterne Lagebeurteilung vornehmen, dann führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß die sowjetische Politik der letzten fünf bis sieben Jahre kontraproduktiv war, auch für die Sowjetunion. Und wenn die sowjetische Führung das recht verstandene Wohl ihres Landes im Auge hat, dann muß sie diese verfehlte Politik schnellstens korrigieren, anstatt sie in modifizierter Form weiter zu betreiben.
Durch die konkrete Ausgestaltung seines Zwischenlösungsvorschlages hat es der Westen im übrigen der Sowjetunion überlassen, den Umfang einer westlichen Nachrüstung selber zu bestimmen. Man muß sich einmal fragen, ob der Warschauer Pakt umgekehrt bereit wäre, sich in eine solche Abhängigkeit von den USA zu begeben.Alles in allem: Wir bieten der Sowjetunion eine kooperative Sicherheitspolitik an. Wir bieten ihr eine Abrüstungspartnerschaft an. Wir haben der Sowjetunion Brücken gebaut, die sie ohne Prestigeverlust und unter voller Gesichtswahrung betreten kann. Notwendig ist, daß die sowjetische Führung die Kraft aufbringt, ihre verfehlte Raketenpolitik zu korrigieren und von der Konfrontation zur Kooperation überzugehen.
Was die Menschen in Europa brauchen, das ist eine Perspektive für eine friedliche Zukunft, für gute Nachbarschaft und für einen fairen Interessenausgleich zum gegenseitigen Nutzen. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. In ganz Europa, in Ost und West, gibt es viel guten Willen, das kontroverse Raketenthema mit Themen zu überlagern, die uns verbinden. Die Bereitschaft wächst, einander zuzuhören,
gegenseitiges Verständnis aufzubringen und einen offenen und konstruktiven Dialog zu führen.Die CDU/CSU wird ihren Beitrag zu einer positiven Gestaltung der Ost-West-Beziehungen leisten; denn wir sind davon überzeugt, daß man nach all den harten Auseinandersetzungen der Vergangenheit vor allem wieder ein Klima schaffen muß, das Vertrauen wachsen läßt und dadurch konkrete Abrüstungsergebnisse begünstigt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.
Für die Herren, die es nicht wissen und die mich hier fragen: Ich saß hinten im Raum, weil das Licht hier sehr unökologisch ist.
Meine lieben Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich möchte zuallererst ein Plakat vorstellen, Symbol eines Luftgeschwaders, stationiert auf dem US-Militärflughafen in Hahn/ Hunsrück. Wirst du sagen, du hast nichts gewußt? Es stellt die Atombombe dar.
Das ist die Symbolik einer friedensliebenden NATO.
Sie sollten sich das vielleicht näher anschauen, um die Atombombe dort zu sehen.Ich begrüße auch die Herren, die gestern und heute vormittag zahlreich da waren, die Herren der Sondereinheiten des Bundesgrenzschutzes, die hier als Teil des Staates den Bundestag mit besetzt haben.
Diese Herren haben denen die Plätze weggenommen, die ein Recht haben, hier zuzuhören. Aber die Plätze oben sind nur sehr begrenzt.
Wenn ich mir anhöre, was die Regierungsparteien in dieser Debatte sagen, so ist das, als ob sie nicht berührt worden sind: täglich etwas mehr Gewöhnung an den Atomtod. Und die, die im November hier in diesem Haus getrauert haben, Herr Kohl, hatten kein Recht zu trauern, denn sie töten schon mit der Androhung im Kopf und in der Seele.
Unter den Zuhörern der Bundestagsdebatte zur Stationierung von Erstschlagwaffen sind u. a. nordamerikanische Indianer, Stammesvertreter der Hopi und der Navajo, die die Bundesrepublik bereisen, um Friedensgespräche in den Rathäusern zu führen. Verschiedene Kernpunkte indianischer Weltsicht haben innerhalb des letzten Jahrzehnts auch in der Friedensbewegung weltweite Bedeutung erlangt. Was wir der Erde antun, wird auf uns zurückkommen.
— Ich bitte die Herren, zur Ruhe zu kommen, sonst kann ich hier nicht weitersprechen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2521
Frau Kelly— „Dann lassen Sie es sein" ist keine demokratische Antwort. Wir haben ebenso wie Sie das Recht, hier zu sprechen.
Einen Augenblick, Frau Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen. — Fahren Sie bitte fort.
Die Indianer haben gezeigt, daß sie Verantwortung zeigen gegenüber der siebten Generation. Politische und wirtschaftliche Entscheidungen müssen so getroffen werden, daß die siebte Generation nach uns nicht in ihrem Überleben gefährdet ist. Die Indianer kommen als Botschafter des Überlebens.
Prophezeiungen aus verschiedenen Regionen Nordamerikas nennen das Sterben der Bäume erste Zeichen des Untergangs. In den Prophezeiungen wird dieses Stadium als die Zeit des Handelns bezeichnet.
Während ich dies sage, wird nach „upi"-Meldungen in den USA gerade eine militärische Intervention in Nicaragua vorbereitet. Der Kongreß ist beurlaubt, und die amerikanische Regierung bereitet eine Intervention in Nicaragua vor.
Wir gehen mit dem äußeren und mit dem inneren Frieden nicht selektiv um, in keinem der beiden Blöcke. Wir weisen darauf hin, daß es der amerikanischen Regierung wohl schwer fällt, zu akzeptieren, daß die eigentliche Herausforderung für sie nicht die militärische, sondern die moralische ist. Das gilt auch für uns.
Die sogenannte reichste Demokratie der Erde USA läßt die Sozialrevolutionäre der Dritten Welt in ihrem Kampf gegen Oligarchien, Junten und Diktatoren allein. Wird nicht wahr, was erhofft wurde, so hilft sie gelegentlich ein wenig mit Gewalt. „Ich sehe nicht ein" — sagte Henry Kissinger — „warum wir einfach zuschauen sollten, wie ein Land kommunistisch wird, nur weil seine eigene Regierung unverantwortlich handelt." So sagte er und arrangierte den Sturz des demokratisch gewählten chilenischen Sozialisten Allende.
Jetzt beobachten wir dasselbe in Nicaragua.
Sie sind immer auf dem Sprung, die Vereinigten Staaten als selbst ernannter Weltpolizist. So war es 1898, 1899, 1918, 1954 in Guatemala, und 1958 im Libanon, 1965 in der Dominikanischen Republik. Doch die Geschichte ist nicht neu.
Ich möchte Sie noch einmal bitten, daß die Herren hier zur Ruhe kommen. Ich kann so nicht sprechen.
Meine Damen und Herren, es gibt auch noch so etwas wie Höflichkeit gegenüber einer schwächeren Stimme. Das bitte ich zu beachten.
Die Geschichte ist nicht neu, daß sich die amerikanische Regierung in so vielen Fällen nicht mit den Völkern, sondern mit den Unterdrückern dieser Völker solidarisiert hat. So wie es im anderen Block geschieht, so auch in unserem. Das muß man ehrlich sagen. Das ist nicht allein auf die beinahe paranoide Furcht vor dem Sowjetkommunismus zurückzuführen.
Doch in die Empörung über die amerikanische Interventionspolitik mischt sich eine gute Portion Doppelmoral ein; denn Europas Mächte haben — so zeigt es die Geschichte — ihre auswärtigen Beziehungen auch nicht an den Prinzipien der christlichen Nächstenliebe ausgerichtet.
Wir können den Zustand, in dem wir heute leben, auch nicht friedlich nennen. Gerade Willy Brandt hat vorher erklärt, was er meint in bezug auf den Nord-Süd-Dialog. Doch täglich sterben 15 000 Menschen in dem Krieg der Reichen gegen die Armen. Und das ist schon Massenvernichtung, meine Damen und Herren.
Es reicht auch nicht mehr, von einer organisierten Friedlosigkeit zu sprechen; denn jede Minute stirbt ein Kind, das nicht älter als zwei Jahre als ist. Die militärische Aufrüstung diktiert überall in der Welt die soziale Abrüstung.
Frau Abgeordnete Kelly, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
Ich gestatte keine angesichts der kurzen Redezeit.Der sehr weise Philosoph Günther Anders hat gesagt, daß wir im Atomzeitalter nicht diesen oder jenen Gegner bekämpfen müßten, sondern die atomare Situation als solche. Da diese atomare Situation der Feind aller Menschen ist, müssen sich diejenigen, die einander bisher als Feind betrachtet haben, als Bundesgenossen gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen. Die richtige Angst orientiert sich an der größten aller möglichen Gefahren, der Vernichtung allen Lebens durch menschliches Handeln.Wenn gesagt wird, die Friedensbewegung sei die Angstbewegung, weise ich das zurück. Diejenigen,
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2522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Frau Kellydie auf dieser Regierungsbank sitzen und uns Angst machen, das ist die Angstbewegung.
Das, was vorher draußen passiert ist, und die Herren, die hier schön warten, daß wir vielleicht etwas Spontanes tun, das ist Angsterzeugung.
Das perverse Konzept der sogenannten atomaren Abschreckung basiert ja auf der erklärten Absicht der jeweiligen Regierung, die vorhandenen atomaren Massenvernichtungswaffen im Ernstfall tatsächlich einzusetzen. Das ist Abschreckung. Herr Wörner muß das wohl auch so sehen, daß man eben Waffen einsetzen muß, um wirklich damit abzuschrecken.Diese Bereitschaft ist unmoralisch. Doch Atomwaffen, so versichern Bundeswehrgeneräle, sind für uns keine Kriegführungswaffen. Die Amerikaner sehen das anders. In der Dienstvorschrift des US-Heeres FM 100/5 — ich bitte Sie, das zu lesen — ist der frühzeitige und zahlreiche Einsatz von nuklearen Gefechtsfeldwaffen vorgesehen. Dr. Wörner meint, für Europa habe dies keine Bedeutung. Doch die NATO-Experten zweifeln daran.Wir, die Friedensbewegung, sind nicht bereit, Massenmörder zu werden, um das Konzept der atomaren Abschreckung glaubwürdig zu machen. Wir warten immer noch auf die Antwort der Sozialdemokratischen Partei, die heute ihr Nein zur Stationierung ausspricht, was ihre Antwort auf die Frage ist: Was tun, wenn die Abschreckung versagt? Was tun, wenn immer treffgenauere atomare Mittelstreckenraketen den Tod der atomaren Abschrekkung bedeuten? Was tun, wenn ein Bündnis wie die NATO die Atomwaffen konventionalisieren möchte, wenn es bereit ist, auf die Angriffskriegführung nicht mehr zu verzichten?Versuchen Sie mit uns — das ist ein Appell an die Sozialdemokraten —, einen Weg aus der atomaren Abschreckung, aus verlogenen Verhandlungen zu finden, weil es nicht darum geht, welcher Kanzler seinen Einfluß im Weißen Haus besser geltend macht; es geht darum, das Instrument eines Aufrüstungsbeschlusses konsequent abzulehnen.
Wir haben viele Fragen in bezug auf die Heeresdienstvorschrift FM 100/5 hier noch nicht angesprochen. In diesem Field Manual, seit 1982 gültig, steht: Atomwaffen oder chemische Waffen können nützlich sein, um die feindliche Artillerie und die Reserven des Feindes zu zerstören. Mit genügend Unterstützung durch Atomwaffen kann die Auslösung des Gegenangriffs kurz nach dem Angriff selbst beginnen.Dr. Wörner meint, daß dieses Handbuch für die NATO keine Gültigkeit habe. Doch die Amerikaner sehen dies anders, und das haben sie uns im September auch erklärt. Sie bilden ihre Offiziere und Soldaten nach einem Konzept aus, das Dr. Wörner intern als „unannehmbar" gelten läßt. Doch wederHans Apel noch sein Nachfolger Manfred Wörner haben dagegen öffentlich Einspruch erhoben. Ich frage: Warum nicht? Warum wird über diese Dienstvorschrift FM 100/5 hier nicht diskutiert?Die Distanzierungen von den Vorstellungen des US-Heeres bleiben schwach, Herr Wörner. Diese Vorschriften haben nämlich einen höheren Grad an Verbindlichkeit als die Dienstvorschriften der Bundeswehr. Das Field Manual 100/5 schreibt verbindlich vor, den Offensivgeist der Armee wiederzubeleben und so früh wie möglich die Initiative zu ergreifen.Was heißt das? Ich zitiere nur einen Satz aus diesem Dokument: „Die Kampfweise der Truppe ist bedingungslos auf Angriff ausgerichtet." Die bisherige Vorneverteidigung im Sinne eines möglichst grenznah beginnenden Abwehrkampfes wird ersetzt durch eine Vorwärtsstrategie, die es erforderlich macht, den Krieg mit Hilfe großräumiger Bewegungen so schnell wie möglich in den sowjetischen Herrschaftsbereich hineinzutragen.Warum wird darüber hier nicht gesprochen? Es sind die Zusammenhänge in dieser offensiven Kriegsstrategie der USA, über die wir reden möchten, nicht nur über das Waffensystem Pershing II und die Cruise Missiles.
Wenn nach dieser Dienstvorschrift die Armee angreifen soll, so kann sich Herr Wörner nicht in einer Wischiwaschi-Art von dieser Sache distanzieren. Er muß dazu klipp und klar Stellung beziehen.Die abschreckende Wirkung der neuen, von Mikroprozessoren gelenkten US- Mittelstreckenwaffen besteht in ihrer demonstrativen Anwendung. Während die herkömmlichen Atomwaffen, die SS 20, mit der Verwüstung ganzer Landstriche drohen, treffen die neuen Waffen die Köpfe ihrer Gegner direkt, sie enthaupten sozusagen. Unmittelbarer ist die Abschreckung nicht zu haben.Da die Umrüstung auf die neuen Waffen interkontinentaler Reichweite für den ganz großen Entwaffnungsschlag gegen die Sowjetunion noch etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen wird, soll zunächst einmal in Europa mit den kurzfristig verfügbaren Nachrüstungswaffen Pershing II und Cruise Missiles die Reaktion der Sowjetunion auf die neue Abschreckungsstrategie der Amerikaner getestet werden. Das ist der Sinn dieser Stationierung, die heute abend beschlossen wird.
Das macht sie zu den reinen Erpressungswaffen, denn die Logik dieser Strategie des selektiven Schlags besteht darin, daß die Masse der Überlebenden angesichts solcher Treffsicherheit an der Wirksamkeit des Schutzes durch ihren politischen Souverän zu zweifeln beginnen, was sie zwingt, Bedingungen zu akzeptieren, die die USA vorschlagen. Wenn Sie ein Zitat dazu wollen — es ist von Herrn Reagan, und ich kann Ihnen genau sagen, wann es war: auf einer Pressekonferenz im Februar 1981 —:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2523
Frau KellyWir werden den Kommunismus abschließen als ein trauriges bizarres Kapitel der Geschichte, dessen letzte Seiten eben geschrieben werden. Wir werden uns nicht damit abgeben, ihn anzuprangern. Wir werden uns seiner entledigen.Das können Sie direkt aus dem Weißen Haus bekommen, wenn Sie mir hier nicht glauben.Eugene Rostow hat treffend gesagt: Wir leben in einer Vorkriegsära, nicht in einer Nachkriegszeit. Bei einem Treffen, welches ich im September vor dem Council of Foreign Relations in New York gehabt habe, wurde mir deutlich gesagt, daß die amerikanische Regierung niemals bereit sein werde, Chicago für Hamburg zu opfern. Doch wir sind nicht bereit, Hamburg für Chicago zu opfern. Das ist unsere Antwort.
Wenn wir, die GRÜNEN, den Ausstieg aus der Blocklogik den Ausstieg aus dem Abschreckungsdenken und den Ausstieg aus bilateralen Rüstungsabkommen fordern, so wird dies als irreal und irrational beschrieben. Doch wie irrational und unrealistisch ist Ihr Weg des Nach- und Nach- und Vor- und Nach- und Vorrüstens in einer Welt, die sich 14- bis 16mal selbst umbringen kann, in einem Gleichgewichtsdenken, das völlig sinnlos geworden ist, weil die Regierenden bei jeder Abrüstungsgelegenheit ganz woanders ein Feld der Verwundbarkeit finden und dann dort wieder nach- und vorrüsten. Im Grunde genommen wird nichts anderes getan, als weit schlimmere Bösartigkeiten zu planen, um andere Bösartigkeiten zu verhindern.Willy Brandt hat auf dem Parteitag erklärt: Die beiden Supermächte sind stark. Sie sind stärker, als sie sein müssen, stärker, als es für die Welt gut ist. Wenn das so ist — im Zeitalter des nuklearen Overkills —, so ist die einseitige Absage an ein einziges Waffensystem nicht etwas, was uns wehrlos machen kann. Ich möchte mal, daß Sie mir beweisen, daß das Nichtstationieren von Pershing und Cruise uns wehrlos macht. Das möchte ich hier mal bewiesen sehen.
Die Supermacht USA, see- und luftgestützt, redet ständig von der Überlegenheit der anderen. Aber sie hat 1 500 Militärstützpunkte um die ganze Welt errichtet. Sie hat stets gefechtsbereite Gruppierungen der Streitkräfte aufgestellt und hält Mittel für ihre Verlegung in entlegenste Gebiete der Welt bereit. Siehe Grenada und nächste Woche oder nächsten Monat Nicaragua.Es muß deutlich gemacht werden, daß fast immer es die Amerikaner waren, die in der Entwicklung von Nuklearwaffen die Führung übernommen hatten. George Kennan, früherer US-Botschafter, erklärte:Es waren wir, die zuerst ein solches Gerät produziert und erprobt haben, wir, welche die ersten waren, ihre Zerstörungskraft für eine neue Ebene der Wasserstoffbombe zu erhöhen, wir,die Mehrfachsprengköpfe einführten, wir, die jeden Vorschlag abgelehnt haben, auf den Grundsatz des ersten Einsatzes zu verzichten, und wir allein, so helfe uns Gott, welche die Waffe im Zorn gegen andere eingesetzt haben und gegen Zehntausende von hilflosen Menschen.Wir müssen unilateral anfangen. Ich sage Ihnen jetzt zum Schluß: es gibt einige Dinge, die existentiell sind im Sinne von „Du kannst sie nicht mit dem Hinweis auf andere betreiben".In der Friedensbewegung arbeiten heißt, auch nach dem 23. November gewaltfrei für diesen unbewaffneten Frieden eintreten und den existentiellen Moment begreifen: es kommt auf uns selber an. Wir werden als Steuerzahler und Steuerzahlerinnen anfangen müssen uns zu verweigern, damit eines Tages die Herren Militärs, Herr Wörner, und die Politiker —,
Frau Abgeordnete Kelly — —Frau Kelly : — eines Tages für ihre Tornados und ihre Cruise Missiles von Tür zu Tür betteln gehen müssen.
Frau Abgeordnete Kelly, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit überzogen.
Ich komme zum Schluß. Wenn wir mit unserem gewaltfreien Widerstand und mit unserem zivilen Ungehorsam Gesetzesregelungen und Gesetze überschreiten, dann ist es deswegen, weil wir mit einem höheren Gesetz, dem Gesetz des Gewissens, rechnen und weil wir auch wissen, daß eine Macht des Staates nicht absolut ist.
Frau Abgeordnete Kelly, Sie müssen sich nach den gemeinsamen Regeln richten.
Deswegen ist der zivile Ungehorsam unsere Antwort auf den heutigen Tag.
Meine Damen und Herren, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, möchte ich gern mit Bezug auf den Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Schily, der dann abgelehnt worden ist, und die Bitte des Abgeordneten Porzner, die in der Geschäftsordnungsdebatte geäußert worden ist, mitteilen, daß die erbetene Prüfung des Sachverhalts, der sich außerhalb des Hauses abgespielt hat, stattgefunden hat. Über das Ergebnis wird in einer Sitzung des Ältestenrats be-
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2524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Vizepräsident Westphalrichtet, die nach dieser Plenarsitzung stattfinden wird.
Ich rufe Frau Dr. Hamm-Brücher auf. Sie hat als nächste das Wort.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte versuchen, meinen Beitrag mit einigen Anmerkungen zum inneren Frieden einzuleiten. Meiner Vorrednerin so möchte ich sagen, daß sie für mich ein Beweis dafür war, wie schwierig es ist, miteinander umzugehen und aufeinander zuzudebattieren, wenn man mit so ausschließlicher Emotionalität, Einäugigkeit und auch einem Absolutheitsanspruch, recht zu haben, debattiert,
daß es ja beinahe schon übermenschlicher Kräfte bedarf, liebe Frau Kollegin Kelly,
wirklich zu versuchen, in diesem Disput um unsere Friedensfähigkeit die eigene Friedensfähigkeit nachzuweisen.
Ich finde, daß die Debatte im großen und ganzen in dieser Hinsicht gar nicht schlecht gelaufen ist. Viele Kollegen haben hier eben doch etwas gezeigt, was, glaube ich, in der Auseinandersetzung wichtig ist, nämlich persönliche Betroffenheit. Sie haben gezeigt, daß sie hier in ihrer persönlichen Verantwortung sprechen auf Grund ihrer eigenen Erfahrung sowie auf Grund ihrer eigenen Auseinandersetzung mit Menschen, die eben von dieser Sorge umgetrieben sind. Aber dann kommt eben immer einmal wieder der Zeitpunkt, in dem man dann mit beiden Beinen auf dieser runden Erde stehen muß — denn so ist sie —, und wir wollen sie auch erhalten, meine Damen und Herren. Man muß immer wieder versuchen, wirklich davon runterzukommen, daß man sich nur von Gefühlen, nur von Einäugigkeit und einem Absolutheitsanspruch leiten läßt.
Wenn wir einmal versuchen würden, so miteinander zu reden und uns zu begreifen, dann würden wir, glaube ich, einen wesentlichen Beitrag zu diesem so dringend notwendigen inneren Frieden in unserem Lande leisten.Zu diesem inneren Frieden, meine Damen und Herren, möchte ich gerne noch ein bißchen mehr sagen. Wir Vertreter der sogenannten etablierten Parteien dürfen doch die Augen nicht davor verschließen, daß sich eine sehr tiefe Kluft zwischen unserem demokratischen Engagement, zwischen unserer Verwirklichung des Art. 21 unseres Grundgesetzes, nach dem die politischen Parteien bei der Willensbildung mitwirken, und dem aufgetan hat, was sich an politischen Kräften außerhalb des Parteienspektrums in den letzten Jahren angesammelt hat. Wir würden unserem Auftrag als Vertreter des ganzen Volkes hier nicht gerecht werden, wenn wir uns in diesem Hause nicht einmal selbstkritisch fragten: Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, meine Damen und Herren? Hierzu möchte ich an unsere Adresse, aber auch an die Adresse derer, die glauben, in den politischen Parteien nicht mehr aufgehoben zu sein, ein paar Anmerkungen machen, und zwar durchaus selbstkritische.Ich glaube, daß die Friedensbewegung u. a. deshalb außerhalb der klassischen Parteien entstanden ist, weil sie innerhalb der Parteien offenbar keine Aufnahme gefunden hat. Wenn wir auch in diesem Haus siebenundzwanzigmal über NATO-Doppelbeschluß und Abrüstung debattiert haben, scheint das verständliche Gespräch draußen doch offensichtlich zu kurz gekommen zu sein; sonst hätte das doch gar nicht diese Dimension annehmen können.Da ich ja eine alte Vorkämpferin der politischen Bildungsarbeit bin, muß ich noch etwas anderes sagen: In diesen Gruppen ist mehr politisches Engagement entfaltet worden als von uns zusammen in 30 Jahren mit aller politischen Bildungsarbeit.
Hier müssen wir doch einmal Überlegungen darüber anstellen, was wir anders machen müssen, wie wir unsere Funktion als Abgeordnete — nicht nur als Parteivertreter — verstehen sollen.
Und dann ist ein Lernprozeß in Gang gesetzt worden, dem wir uns alle ausgesetzt haben und von dem wir doch alle auch viel gelernt haben. In meinem Leben trage ich j a nicht nur im politischen Bereich, sondern auch im Bereich der Kirche Verantwortung. Und ich habe mich diesen Auseinandersetzungen, die oft qualvoll waren, nun seit drei Jahren gestellt. Aber ich muß Ihnen sagen, daß vieles, was dort erarbeitet und gesagt worden ist, durchaus auch unsere Meinung hier in diesem Parlament beeinfluß hat. Und ich glaube, das sollten wir auch nicht außer acht lassen.Mir als einer Politikerin, deren politische Grundüberzeugungen in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geprägt worden sind, macht ein Zweites große Sorgen. Das ist die erschreckende Geschichtslosigkeit, die in der politischen Argumentation in der Friedensbewegung offenkundig wird.
Diese Geschichtslosigkeit ist nichtreflektierte politische Geschichte. Und das führt dann zu dieser Einäugigkeit. Denn von hundert friedensbewegten Mitbürgern sind nicht zehn wirkliche Linke. Und sie argumentieren alle so, als ob sie Linke wären, weil sie das politische Geschichtsbewußtsein in Schule, Erziehung, Jugendarbeit nicht vermittelt bekommen haben.
Hier müssen wir einsetzen.
Es ist offenbar nicht gelungen, die Ursachen der Katastrophen in der deutschen Geschichte in das
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2525
Frau Dr. Hamm-Brücherpolitische Denken der jungen Generation umzusetzen. Woher käme denn sonst dieser irrlichternde Nationalismus — anders kann man das doch gar nicht mehr bezeichnen — und die Ideen, die da entwickelt werden, daß Neutralismus, Austritt aus dem Bündnis, auch schon Äquidistanz —
damit fangen ja die großen Irrtümer schon an — zur Wiedervereinigung führen würden: Meine verehrten Kollegen! Man muß wirklich darüber nachdenken, daß dieser Weg nicht zur Wiedervereinigung führt. Im Augenblick verlangt die weltpolitische Situation von uns eben noch Geduld und ständiges Bemühen um eine europäische Friedensordnung. Denn ein Abdriften in Neutralismus würde doch nun andererseits eine Chance zur Wiedervereinigung vom Westen her blockieren. Vom Westen her! Lesen Sie doch mal die französischen Zeitungen in diesen Tagen!Ich war auch über das verwundert, was Herr Kollege Brandt zu diesem Thema gesagt hat. Es muß doch nun wirklich ganz deutlich sein, daß das, was hier in vielen und immer mehr Köpfen leider herumspukt, doch eben nicht mit den Optionen zu vereinbaren ist, die wir nach 1945 getroffen haben. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, und meine lieben Mitbürger, die vielleicht dieses Thema interessant und wichtig finden — ich finde es überaus wichtig —: Die Last unserer selbstverschuldeten Geschichte können wir, selbst wenn wir es wollten, nicht abschütteln. Die verjährt nämlich nicht.
Wir können sie erleichtern — wir haben das getan —, aber nur, wenn wir unsere Lage und unsere Möglichkeiten nüchtern, aber auch zielbewußt einschätzen und verfolgen, vor allem dadurch, daß wir das Erreichte und unser Ansehen in der Welt nicht abermals aufs Spiel setzen. Davon müssen wir die junge Generation überzeugen, und zwar mit Festigkeit und Zuversicht, aber bitte nicht von oben herab; das kommt überhaupt nicht an. Was hier Kollegin Geiger, Kollegin Huber, die Frau Nickel über ihre persönliche Betroffenheit gesagt haben, das stimmt.Wir Liberalen, die wir diese Außenpolitik, die wir nun wirklich mit Kontinuität vertreten — und darauf bin ich auch ein bißchen stolz —, mitgeprägt haben, sehen in dieser Erziehungsaufgabe, im Aufspüren dieser gefährlichen Lücke in dem politischen Verständnis unserer Geschichte auch eine entscheidende Aufgabe der politischen Parteien. Wir haben dazu in unserem Parteitagsbeschluß von Karlsruhe auch einiges Wichtige gesagt.
— Doch, die Parteitagsbeschlüsse gelten bei uns,Herr Kollege Fischer, und es ist immer noch besser,Parteitagsbeschlüsse zu haben, mit denen manetwas anfangen kann, als überhaupt keine von einem Parteitag mit nach Hause zu bringen;
was mir übrigens leid tut, wenn ich das einmal sagen darf. Ich will hier keine Gefühle über Sie ausgießen, aber es ist wichtig, daß Ihre Fraktion auch eine Basis in Ihrer Partei findet. Die GRÜNEN sind ja mittlerweile eine Partei. Das ist einfach wichtig, weil Sie hier Aufgaben vertreten, die in unserer Bevölkerung so große Resonanz finden. Darum müssen Sie sich mit Ihrer Partei rückkoppeln. Das scheint mir im Augenblick ja ganz und gar nicht der Fall zu sein.
— Gut. — Aber ich freue mich, wenn wir hier auch einmal mit freundlichen Gesichtern debattieren. Das ist auch schon ein Schritt zum inneren Frieden.
Um die Freundlichkeit noch weiter zu treiben: Es gibt einen Zwischenfrager; Herr Stratmann möchte Ihnen eine Frage stellen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich lasse die Zwischenfrage zu. Aber ich will nur einmal sagen: Wir müssen bezüglich unserer Geschäftsordnung wirklich einmal überlegen, ob Zwischenfragen, weil sie die Debatte beleben, nicht von der Redezeit abgezogen werden sollen. So können wir das doch wirklich nicht mehr weiter machen.
Herr Stratmann!
Frau Hamm-Brücher, ich möchte nicht in Frage stellen, daß es Probleme zwischen unserer Bundestagsfraktion und unserer Bundespartei gibt. Können Sie mir erklären, wieso gerade Sie sich berufen fühlen, uns auf diese Probleme hinzuweisen? Denn ich erinnere mich an die Schwierigkeiten Ihrer Fraktion und Ihrer Bundespartei bei dem letztjährigen Wendemanöver, bei dem grandioserweise Ihre Fraktionsführung vor den entscheidenden Manövern noch nicht einmal die Fraktion gefragt hat, geschweige denn die gesamte Fraktion, die Bundespartei. Können Sie mir Ihre innere Legitimation darlegen?
Herr Kollege, ich will das eigentlich nicht tun, ich möchte es nur mit einem Satz beantworten, weil jeder weiß, wo ich damals gestanden habe.
Aber ich muß heute sagen — ich habe es hier auch schon einmal gesagt —: Wenn der damalige Bundeskanzler von seiner eigenen Partei im Stich gelassen worden ist, dann hätte diese Koalition späte-
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Frau Dr. Hamm-Brücherstens jetzt ein Ende gefunden, nicht? Das ist doch nun leider mal so.
Ich wollte nun noch etwas zum äußeren Frieden sagen und, wenn es geht, auch noch ein paar Anmerkungen zu meinen ganz persönlichen Bedenken und Einwänden machen. Meine Damen und Herren, nun zu dem, was man die Strategie der Abschreckung nennt. Mir ist sehr wohl bewußt, daß die Strategie der Abschreckung mit Atomwaffen, mit Massenvernichtungsmitteln, den Krieg in Europa über viele Jahrzehnte zu unser aller Glück verhindert hat. Diese Strategie der Abschreckung hat aber nicht den irrsinnigen Rüstungswettlauf verhindert. Daher glaube ich, daß das Niveau für eine Friedenssicherung mittlerweile trotz Abschreckung so hoch geworden ist, daß wir wirklich alle Kräfte anstrengen müssen — hier können wir zusammen zu streiten anfangen —, um herunterzukommen, die Strategien weiterzuentwickeln, wie McNamara und wie auch General Altenburg das gesagt haben.
Dies ist auch in unserem Beschluß zum Bundesparteitag ganz deutlich aufgeschrieben. Wenn wir unsere Zuverlässigkeit im Bündnis unter Beweis gestellt haben, wird die Position unseres Landes gestärkt sein, und wir können mit neuen Initiativen, die von Herrn Genscher, von Herrn Kohl, von uns allen ja vorgetragen worden sind, wirklich von dem Rüstungswahnsinn herunterkommen. Das ist doch unser aller gemeinsames Ziel.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben uns vor 35 Jahren nach zwei Katastrophen unseres Vaterlandes endlich für die westliche Option entschieden, und wir sind doch gut dabei gefahren. Wenn man schon sonstige Vorbehalte hat, dann soll man dies doch wenigstens einmal zugeben.
Wir stimmen — das muß ich auch dem Herrn Kollegen Brandt einmal sagen — gar nicht mehr über den NATO-Doppelbeschluß ab. Über den haben wir vor vier Jahren und 1981 abgestimmt.
Darum kann man dieser Regierung nicht vorwerfen, daß sie gegen den Willen der Bevölkerung hier einen Beschluß erzwingt. Nein, mit großer Einmütigkeit, mit überwältigender Mehrheit haben wir diesen Beschluß gefaßt. Wir haben ihn bestätigt, und heute geht es eigentlich nur noch um den ersten und nicht um den zweiten Teil dieses Beschlusses. Wir sind gut damit gefahren, und wer von uns verlangt, daß wir jetzt unsere Zusage nicht einhalten, fordert uns zum Vertragsbruch auf oder zum Zusagenbruch, was genauso schlimm ist.
Schon in der ersten juristischen Vorlesung lernen wir alle den schönen Satz: pacta sunt servanda.
Ich bin ohne jede Einschränkung sehr in Sorge, wie Sie das bestehen werden. Aber selbst wenn Sie es bestehen: woher nehmen Sie eigentlich die Sicherheit, daß sich nun nach Ihrem Bekenntnis zur NATO unsere NATO-Partner ihrerseits zu einer Bundesrepublik bekennen, die sich in einem entscheidenden Augenblick als einzige aus der Solidarität dieses Bündnisses verabschiedet hat?
Die Frage ist doch nicht, ob Sie sich dazu bekennen, sondern ob sich unsere Partner dann noch zu uns bekennen.
Ich frage Sie weiter, Herr Kollege Vogel: Glauben Sie denn im Ernst, daß das amerikanische Volk bereit wäre, 300 000 seiner jungen Männer dann noch in die Bundesrepublik und nach Berlin zu schicken?
Glauben Sie, daß in Europa die ohnehin politisch nicht gerade starke Europäische Gemeinschaft unter der Wortführung von Frankreich hier die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik — —
— Ich kann es leider nicht zulassen, Frau Kollegin, ich bekomme hier dauernd das Geblinke, und das irritiert mich sowieso.
Glauben Sie nicht, daß die deutsch-französischen Beziehungen ein so hohes Gut sind — jedenfalls für mich —, daß ich schon deshalb nie etwas befürworten könnte, was nur einen leichten Schatten der Mißverständnisse oder eines neuen Argwohns in unserem Nachbarland wecken könnte?
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Frau Dr. Hamm-BrücherWenn man dies alles gründlich durchdenkt — und wir werden darüber weiter nachdenken —, muß man doch zu dem Ergebnis kommen, daß wir mit einem Nein alles gefährden würden, was wir in über 35 Jahren aufgebaut und miteinander 13 Jahre lang in einer Ost- und Entspannungspolitik ergänzt haben. Es wäre ein wahnwitziger Irrtum, zu meinen, nach einem Nein würde die Ost- und Entspannungspolitik vorangetrieben. Denken Sie nur an die Sicherheit in Berlin!Bei allen Ungewißheiten, vor denen wir stehen, dürfen wir nicht auch noch neue Ungewißheiten schaffen, welche Folgen ein Nein im Bündnis, in der Europäischen Gemeinschaft zur Folge haben müßte. Kein Rückfall in den Kalten Krieg, das wollte ich noch einmal sagen. Viele Freunde und Weggenossen in Ihrer Fraktion, der SPD, sind wohl, glaube ich, mit mir einer Meinung, und sie möchte ich ermutigen.
Es tut mir leid, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher.
Darf ich noch den letzten Satz sagen? — Nach Art. 38 Abs. 1 unseres Grundgesetzes sind wir Vertreter des ganzen Volkes, und hier möchte ich auch jedes einzelne Mitglied der Friedensbewegung mit einbeziehen. Ich möchte hinzufügen: In welcher Frage — wenn nicht in dieser Entscheidung — tragen wir alle gemeinsam eine große Verantwortung? Ich bin trotz kleiner Ärgernisse in dieser Debatte — ich will es nicht schärfer sagen — nicht ohne Unzuversicht, daß sich dieses Parlament dieser Verantwortung gewachsen zeigen wird. — Vielen Dank.
Es tut mir leid, daß ich gerade nach dieser Rede noch einmal auf die Geschäftsordnungsdebatte zurückkommen muß, die wir vorhin hatten.
Während dieser Geschäftsordnungsdebatte hat einer unserer Kollegen einen anderen Kollegen durch den Zuruf „Mini-Goebbels" beleidigt. Dies geht nicht. Herr Dr. Kansy, ich muß Sie zur Ordnung rufen.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Schröder .
— Meine Damen und Herren, ich finde das gar nicht lächerlich. Das ist ein ganz schlimmer Ausdruck. Das will ich in aller Deutlichkeit gesagt haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz gerne am Anfang auf eine Bemerkung zurückkommen, die Herr Rühe gemacht hat. Er hat gemeint, er könne sich mit Willy Brandt auseinandersetzen. Er hat die Bemerkung gemacht, daß von Willy Brandt zu verlangen sei, daß er ein Vorbild insbesondere für die junge Generation abgebe.
Wohl wahr, würde ich sagen. Das ist nicht nur von ihm zu verlangen, er ist es auch.
Ich will hier nur unter vielem an jenen Kniefall in Warschau erinnern, der für unglaublich viele junge Menschen ein Vorbild des Kampfes um Versöhnung und des Kampfes für Frieden war.
Da mögen Sie verleumden, wie immer Sie wollen, das kriegen Sie nicht weg, das bleibt als geschichtliche Leistung.Hier ist viel über die Friedensbewegung geredet worden. Es gibt zwei Möglichkeiten, habe ich gemerkt, sich mit dieser Friedensbewegung auseinanderzusetzen. Die eine ist die der Geißlers, und die andere ist die, die Frau Hamm-Brücher eben gemacht hat. Ich komme darauf zurück, Frau Hamm-Brücher. Die Methode der Geißlers ist jedenfalls die der Ausgrenzung. Diesen, die Ausgrenzung machen, sei gesagt, daß Ausgrenzung immer beim Wort beginnt. Die Sprache der Ausgrenzer vom Schlage Geißlers macht aus innenpolitischen Gegnern Feinde. Die Kluft aber zwischen vernichtenden Reden und entsprechendem Handeln — und auch das, denke ich, ist eine Lehre von Weimar — ist nicht sehr groß. Worte können sich nämlich verselbständigen. Was die Geißlers säen, könnten mindestens andere ernten, und das mag die Geißlers nicht beunruhigen, weil sie denn j a glauben, sie könnten sagen, so hätten sie es nicht gemeint. Wir sagen Ihnen aber: Die Geste des Pontius Pilatus, sich die Hände in Unschuld zu waschen, werden wir nicht gelten lassen. Für das, was Sie mit Ihrer Ausgrenzung in Sprache und Tat anrichten, werden wir Sie verantwortlich machen, wenn die gesäte Drachensaat aufgeht.Dann gibt es die Art und Weise, Frau Hamm-Brücher, wie Sie mit der Friedensbewegung umgegangen sind; ohne Zweifel sehr viel respektabler. Aber ich will auf einen Fehler hinweisen,
nämlich den, daß Sie glauben, mit der Friedensbewegung pädagogisch umgehen zu können. Sie glauben, die Friedensbewegung existiere, weil wir es nicht vermocht hätten, unsere Sicherheitspolitik hinreichend zu erklären. Die Friedensbewegung ist kein pädagogisches Problem, Frau Hamm-Brücher. Ich bin sicher: Die Existenz dieser Bewegung hat etwas zu tun mit den Mängeln und mit den Versäumnissen staatlicher Sicherheitspolitik. Das ist der Grund.
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2528 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Schröder
Erinnern wir uns einmal: Die historische Leistung Willy Brandts bestand u. a. auch darin, staatliche Politik in Einklang gebracht zu haben mit den Friedenssehnsüchten und Friedenshoffnungen der Menschen. Der Ausgleich mit den Völkern des Ostens, die Politik der Entspannung haben die Kriegsängste vieler Menschen bei uns vertrieben, haben sie sicherer gemacht.
Die militärischen Apparate schienen durch diese Politik politisch gebändigt, ihre Dynamik schien eingefangen.
Ich denke, es war auch so, und ich denke, da stimmen Sie mir zu, Frau Hamm-Brücher: Die Ara der Verträge war auch die Ära der faktischen Dominanz der Politik über das Militär.
Die Übereinstimmung zwischen staatlicher Sicherheitspolitik und den Friedenssehnsüchten und Friedenshoffnungen der Menschen — das ist der Grund für die Friedensbewegung — ist mehr und mehr zerbrochen.
— Ich lasse keine Zwischenfragen zu.
Diese Übereinstimmung zerbrach auch an den sich verschärfenden Gegensätzen der beiden Supermächte, die eine Militarisierung des außen- und sicherheitspolitischen Denkens zur Folge hatten. Die deutsche Politik erwies sich nicht als stark genug, um sich diesen Veränderungen erfolgreich entgegenzusetzen.Dies festzustellen heißt im. übrigen nicht, die wirklich bedeutende Rolle gering zu achten, die gerade Helmut Schmidt etwa in der AfghanistanKrise oder auch in der Iran-Krise gespielt hat. In diesen beiden Krisen gelang es ihm nämlich fast im Alleingang, aus Sprachlosigkeit zwischen den Supermächten nicht Schlimmeres entstehen zu lassen. Als jemand, der die Politik des Doppelbeschlusses für falsch gehalten hat und für falsch hält, sage ich trotzdem oder gerade deswegen in allem Respekt: Das Verhalten von Helmut Schmidt in der Doppelkrise um Afghanistan und Iran war eine historische Leistung.
Ich sage das gerade denjenigen, insbesondere in der GRÜNEN-Fraktion, die ihn ansonsten in der Sache und in der Person hart kritisieren. Denn zur Auseinandersetzung gehört auch, daß man in der Lage ist, das eine vom anderen zu trennen, und, wenn man so will, handelnden Personen auch Gerechtigkeit widerfahren läßt.Wenn die gekennzeichnete Übereinstimmung zwischen den Friedenswünschen der Menschen und staatlicher Politik auch an der, wie Carl-Friedrich von Weizsäcker es nennt, „Bipolarität der Supermächte" zerbrochen ist, heißt das, daß ein Abbau dieser extremen Gegensätzlichkeit diese Übereinstimmung einfach wiederherstellen könnte? Ich glaube, das ist nicht so, und darüber hätten wir auch nachzudenken. Denn das Mißtrauen in die staatliche Sicherheitspolitik betrifft nicht die Oberfläche, es betrifft die Fundamente dieser Politik. Nur ein Eingehen auf diese Kritik, auf dieses Mißtrauen wäre in der Lage, staatliche Politik und Friedenswünsche und Friedenssehnsüchte wieder in Einklang zu bringen.Am Anfang dieses Mißtrauens steht schon die Frage, ob unsere Analyse — die Analyse der meisten jedenfalls — der Bedrohung, der wir ausgesetzt sein sollen, wirklich haltbar ist. Schon hier gibt es ernsthafte Zweifel. Sicher, es gibt sowjetische Überrüstung, keine Frage, und deren Gefahren dürfen auch nicht verharmlost werden. Niemand tut das. Aber gehört zu den Gründen dieser Überrüstung nicht auch die Erfahrung der Menschen in der Sowjetunion mit dem deutschen Faschismus? Es war doch der deutsche Faschismus — dessen Alleinschuld für den Zweiten Weltkrieg nicht geleugnet werden darf, wenn wir nicht geschichtslos existieren wollen —, der unermeßliches Leid über die Völker Europas, die der Sowjetunion eingeschlossen, gebracht hat. Diese Erkenntnis muß uns doch veranlassen, diese geschichtlichen Erfahrungen in unsere Bedrohungsanalyse aufzunehmen. Das heißt nicht verharmlosen, aber es heißt, sich ein realistisches Bild verschaffen.
Weiter heißt es, Sicherheit gebe es auf der Basis atomarer Abschreckung. Unisono schallt einem das entgegen, wenn man zuhört.
Aber setzt das Funktionieren der atomaren Abschreckung nicht voraus, daß auf der anderen Seite jeweils Menschen sind, die sich abschrecken lassen, die Gefühle haben, aber auch die Fähigkeit, entsprechend diesen Gefühlen zu handeln? Es ist hier angesprochen worden: Ist es nicht wirklich auf diesem so existentiellen Sektor bereits jetzt so, daß die Politik unglaublich große Schwierigkeiten hat, das, was wir an technischer Entwicklung, an Waffentechnologie haben, hinreichend zu kontrollieren? Rühren nicht dorther die Zweifel, die berechtigten Zweifel, die ich glaube, an der atomaren Abschrekkung?Da wird als Garantie von Frieden Gleichgewicht zwischen den beiden Mächten beschworen. Aber was sind denn die Erfahrungen der Menschen mit diesem Begriff, mindestens dann, wenn er von den Militärs in Besitz genommen wird?
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Schröder
Sind die Erfahrungen nicht doch die, daß man das Gleichgewichtsverlangen immer weiter regionalisiert, immer kleinere Räume, Einheiten, Länder vergleicht und so natürlich dazu kommen kann, daß in den so heruntergenommenen Einheiten kein Gleichgewicht besteht und man von daher Aufrüstung legitimiert? Das sind Zweifel an einigen — wie ich glaube — Fundamenten der Sicherheitspolitik, die, wenn hier verantwortlich diskutiert werden soll, wenigstens gesehen werden müssen. Wir müssen auf diese Zweifel eingehen, weil wir sonst die Kluft, von der ich gesprochen habe, sicher nicht werden beseitigen können.Was tun Sie, meine Damen und Herren von der Koalition? Sie diffamieren. Sie grenzen die Menschen aus, die besorgt sind und deren Besorgnisse Sie lieber ernst nehmen sollten. Sie glauben, der Grund für das Entstehen der Friedensbewegung liege in kommunistischer Verführung und Ranküne.
Das ist Unsinn. Sie müssen mithelfen, eine Strategie zu entwickeln, die aus dem gekennzeichneten Dilemma herausführt.
Es muß eine Strategie sein, die geschichtsbewußt prüft, wieweit wir wirklich bedroht sind, und die die Bedrohung vor allen Dingen politisch begründet, eine Strategie schließlich, die sich auf die Erkenntnis stützt, daß es im atomaren Zeitalter Sicherheit nur miteinander, nicht aber gegeneinander gibt,
eine Strategie, die für die Menschen auch nachvollziehbar ist. Das heißt eben, daß ihre militärische Komponente im Ernstfall nicht zur Vernichtung all dessen führen darf, was angeblich verteidigt werden soll.
Es muß eine Strategie sein, die schrittweise zur tatsächlichen Ächtung aller Massenvernichtungsmittel führt und schließlich durch Politik die Blöcke überwindet und so am Ende Waffen überflüssig macht.
Sie betreiben gegenwärtig das Gegenteil davon. Sie wollen stationieren und sind sogar bereit, dafür die Ihnen ja doch bekannten verfassungsrechtlichen Bedenken außer acht zu lassen. Es ist Ihnen bekannt oder es könnte Ihnen bekannt sein, daß es ernsthafte Stimmen gibt, die sagen, der Aufenthaltsvertrag decke die Stationierung nicht, daß es ernsthafte Stimmen gibt, die sagen, um zu stationieren, brauche man ein Parlamentsgesetz, so wolle es Art. 59 des Grundgesetzes, und die sagen, daß es natürlich problematisch im Hinblick auf die Souveränität dieses Landes ist, wenn der amerikanische Präsident allein über den Einsatz dieser Waffen verfügt.
Diese Zweifel sind Ihnen bekannt. Sie haben sichnicht einmal in der Lage gesehen, diese Zweifel imRechtsausschuß hinreichend diskutieren zu lassen.
So scharf sind Sie auf die Raketen, daß Sie dafür sogar bereit sind, die Verfassung zu mißachten!
Ich sage hier in allem Ernst: Demokratische Politik ist nur auf dem Boden der Verfassung möglich. Nur wenn die Regeln der Verfassung eingehalten werden, ist demokratische Politik möglich.
Ich sage hier für mich und für viele Kollegen, die mich gebeten haben, das zu sagen: Wir werden das nicht so hinnehmen. Wir werden — auch wenn Sie, Herr Klein, eben gelacht haben — auch prüfen müssen, ob wir unsere verfassungsrechtlichen Bedenken nicht im Wege einer Organklage geltend zu machen haben.
Herr Abgeordneter Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Ich habe bereits gesagt, daß ich im Zusammenhang reden möchte.Aus all dem ergibt sich, daß die Stationierung der Raketen nicht mehr an Sicherheit nach außen, sondern mehr an Gefährdungen bringt.
Mit der Stationierung stiftet diese Regierung nicht nur Unfrieden nach außen, sondern sie bewirkt auch Friedlosigkeit nach innen. Es müßte Ihnen doch zu denken geben, daß wir im Moment im Parlament über eine Sicherheitspolitik diskutieren — was vernünftig ist — und die Diskussion durch Tausende von Polizisten geschützt werden muß.
Ich sage das nicht gegen die Polizei, die tut ihre Pflicht;
aber überlegen Sie doch einmal, was das heißt, auch als Perspektive, wenn wir Politik, die diese Mehrheit verantworten will, in dieser Weise schützen, ja, durchsetzen lassen müssen. Das hat etwas zu tun mit der demokratischen Substanz eines Gemeinwesens,
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2530 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Schröder
dessen Erhaltung uns nun wirklich wichtig ist. Ja, Sie setzen all das aufs Spiel. Sie sollten sich das wenigstens klarmachen, bevor Sie dort rumpöbeln.
Wer so mit dem Geist und den Institutionen der Demokratie umgeht, wie Sie es tun, der zeigt, daß ihm Macht vor Recht geht.
Für eine solche Politik haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, vielleicht — es ist zu befürchten — eine parlamentarische Mehrheit, Sie haben für eine solche Politik aber kein Mandat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schröder, Sie haben gesagt, wir seien scharf auf Raketen und wir würden die Verfassung mißachten. Ich bin sicher, wir lassen uns von niemandem überbieten in der Treue zur und in unserem Eintreten für die Verfassung, schon gar nicht von ehemaligen Jungsozialisten.
Meine Damen und Herren, es geht in dieser Debatte um die Nachrüstung
im Rahmen des Doppelbeschlusses, und wir werden diesen Teil des Doppelbeschlusses heute abend bekräftigen. Es geht aber auch darum, in welchem ethischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext der NATO-Doppelbeschluß stand und auch heute noch steht.
Meine Damen und Herren, die Politik des NATO- Doppelbeschlusses: „Zuerst verhandeln und nur nachrüsten, wenn der andere uneinsichtig ist", ist ja nicht irgendeine Politik, diese Politik zeichnet sich vielmehr dadurch aus, daß sie christlichem und humanistischem Denken besonders nahesteht.
Hier wird nicht einfach Gewalt mit Gewalt beantwortet, sondern hier wird dem anderen die Chance zur Umkehr eingeräumt. Die Kette von Vorrüstung und Nachrüstung wird unterbrochen. Man drängt den anderen durch Verhandlungen und durch die Vorleistung des zeitweiligen eigenen Verzichts, ebenfalls auf neue Waffen zu verzichten. Ist eine solche Politik, die durch Verhandlungen eine Friedenssicherung mit immer weniger Waffen anstrebt, zukünftig noch möglich? Meine Antwort lautet: Ja, sie ist möglich, und sie ist auch in Zukunft notwendig. Wenn es überhaupt einen Grund gäbe, bei dem Ja auf die Frage nach der zukünftigen Möglichkeit etwas zu zögern, dann wäre dieser Grund nicht im Bereich der Außenpolitik zu suchen, sondern eher
im Bereich der Friedensdiskussion hier in unserem Land.
Herr Kollege Kronenberg, lassen Sie mich einen Moment unterbrechen. — Darf ich die Kollegen bitten, ihre Plätze einzunehmen, damit dem Redner zugehört werden kann.
Wenn ich heute auf das Ergebnis dieser öffentlich geführten Friedensdiskussion schaue, dann stelle ich zunächst dankbar fest, daß die Sehnsucht nach Frieden die Köpfe und die Herzen unserer Bürger beseelt und nicht militärische Begeisterung.
Es drängt sich aber auch die Frage auf, ob wir über die Friedenssehnsucht hinaus für unsere Sicherheitspolitik wirklich den langen Atem, die Festigkeit und auch die politische Rationalität aufgebracht haben, wie das beispielsweise bei unseren französischen Nachbarn ganz selbstverständlich ist. Das ist aber notwendig, wenn wir eine Politik betreiben wollen, die Frieden und Freiheit militärisch sichert und gleichzeitig Rüstungskontrolle und Abrüstung anstrebt.Hat die Friedensdiskussion, die den ersten Teil dieses NATO-Doppelbeschlusses begleitet hat, gezeigt, daß wir uns schwertun, diesen langen Atem aufzubringen, unsere Politik rational und mit Festigkeit zu vertreten? Diese Frage stellt sich auch in dieser Debatte.Meine Damen und Herren, wenn ich mit jungen Soldaten diskutiere oder mit jungen Menschen, die den Wehrdienst und die Grundzüge unserer Sicherheitspolitik bejahen, dann rede ich mit jungen Leuten, die wissen, daß angesichts der Bedrohung durch kommunistische Staaten die Bereitschaft zur Verteidigung nicht genügt, sondern daß darüber hinaus auch die Zusammenarbeit, auch das Gespräch mit den Menschen in diesen Staaten, in diesen Völkern erforderlich ist, auch mit den Regierungen, soweit das eben geht.
Wenn ich dann weiter davon spreche, daß der Frieden in unserer Welt auf Dauer entscheidend davon abhängt, daß wir durch unsere Entwicklungshilfe und durch unsere Entwicklungszusammenarbeit wirksam dazu beitragen, die Massenarmut in der Dritten Welt zu bekämpfen, dann stoße ich wieder rasch auf Zustimmung. Diesen jungen Leuten ist klar, daß wir durch unsere Hilfe die Selbsthilfe der Menschen in den Entwicklungsländern stärken müssen, damit die Dritte Welt auch von Hunger, Krankheit, Unwissenheit und unwürdigen Wohnverhältnissen befreit werden kann. Ich stelle im Gespräch immer wieder fest, daß diese jungen Leute ein waches Gespür für das Wort von Papst Paul VI.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2531
Dr. Kronenberghaben, daß Entwicklung der neue Name für Frieden ist.
Wenn ich schließlich davon spreche, daß der Frieden auch dadurch gefördert werden müsse, daß wir uns im freien Teil Europas um politische Einigung bemühen, daß wir im Verteidigungsbündnis der NATO eine engere politische Zusammenarbeit suchen, dann wird diese Solidarität in der freien Welt von diesen Leuten spontan bejaht. Diese jungen Leute, die die Grundlinien der Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung bejahen, sind nicht nur bereit, den Frieden zu verteidigen, sie sind auch bereit, den Frieden weiter auszubauen und zu fördern, in Ost und West, in Nord und Süd. Diese jungen Leute, die unsere Sicherheitspolitik bejahen, haben ein umfassendes Verständnis von Friedenspolitik. Ich füge hinzu: Es ist die Mehrzahl der jungen Leute, die so denkt.
Anders sind meine Erfahrungen, wenn ich mit jungen Leuten diskutiere, die der Sicherheitspolitik unserer Regierung, der Abschreckungsstrategie und häufig genug auch der Landesverteidigung überhaupt total ablehnend gegenüberstehen. Zwar stoße ich auch dort auf Zustimmung, wenn ich über die Zusammenarbeit mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa oder in der Dritten Welt rede — und das ist gut so —, aber ich stoße auf strikte Ablehnung, wenn es um die Bereitschaft zur Verteidigung des Friedens geht. In solchen Diskussionen wird regelmäßig rasch deutlich, worin es begründet ist, daß sich diese jungen Leute unserer Friedens- und Sicherheitspolitik versagen. Meine Damen und Herren, sie wissen nicht, welchen Wert die Freiheit hat.
Sie wissen nicht, welche friedensstiftende Kraft vom Recht ausgeht.
Sie wissen nicht, daß Gerechtigkeit Frieden schafft. Sie wissen nicht, daß der Frieden nur in der Solidarität aller freien Völker gewahrt werden kann. Hier müssen Schule, Erziehung, Bildung, das pädagogische Umfeld unserer Gesellschaft mit seinen vielfältigen Einflüssen,
aber eben auch Staat und Politik Gewissenserforschung halten und fragen, wo hier Versäumnisse und Fehler liegen, etwa bei der Friedenserziehung in unseren Schulen.
Meine Damen und Herren, diese Defizite signalisieren einen für die politische Kultur unseres Landes bedrohlichen Zustand.
Aber es geht nicht nur hierum; es geht auch umetwas anderes, es geht auch darum, daß sich nichtwenige Bürger unserer Sicherheitspolitik aus einergrenzenlosen Angst verweigern. Ich meine hier nicht die Furcht, ich meine hier nicht die Sorge vor den Gefahren von Atomwaffen. Diese Furcht und diese Sorge habe auch ich. Aus dieser Sorge heraus begründet sich doch gerade unsere Sicherheitspolitik. Nein, ich meine hier die Angst, die sich inzwischen, diffus und irrational, als Lebensangst in den Herzen vieler Menschen eingenistet hat, eine Angst, die durch unverantwortliche Kampagnen erzeugt und genährt wurde.
Regisseure dieser schrecklichen Kampagnen der Angst sind leider auch in der Politik auszumachen. Ich meine die politischen Wortführer, die ihre parteipolitische Heimat bei den GRÜNEN und in den rotgrünen gesprenkelten Gruppen der SPD haben.
Sie haben durch eine unerträgliche Militarisierung der Friedensdiskussion schreckliche Angst erzeugt.
„Wollt Ihr im Atompilz verglühen?", „Wollt Ihr den atomaren Holocaust?" — das sind Angstparolen, die Sie verbreiten. Diese Angstparolen bestimmen Ihr Denken und Ihr Reden.
Wer so auf Raketen und Atomwaffen fixiert ist, wie das bei Ihnen der Fall ist, der militarisiert sein politisches Denken.
Wer in dieser Weise eine gedankliche Militarisierung unserer Sicherheitspolitik betreibt, wird unfähig zur Politik.
Herr Abgeordneter Kronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Ich möchte meine Rede zu Ende bringen.
Die Argumentation der fundamentalen sicherheitspolitischen Verweigerer hat sich in den letzten zwei Jahren mehr und mehr auf diese schrecklichen Waffen und auf diese grauenvollen Wirkungen fixiert. Ihre Argumentation hat sich zunehmend in ein Kriegsführungsdenken verrannt. Aber unsere Sicherheitspolitik denkt nicht in Kategorien der Kriegsführung. Unsere Sicherheitspolitik denkt in Kategorien der Kriegsverhütung.
Wie wollen Sie eigentlich, meine Damen und Herren der Fraktion der GRÜNEN, und Sie, meine Damen und Herren in der SPD, die Sie sich leider auf den Weg gemacht haben von dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zum „Friedensfor-
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Dr. Kronenbergscher" Gert Bastian, die Geister dieser Angst wieder loswerden?
Meinen Sie, Kriegsangst zu hegen oder gar zu erzeugen sei bloß ein politischer Ausrutscher, sei ohne Belang für den Frieden in unserem Land? Wer so handelt, leistet dem Frieden keinen Dienst.
Ihre unheilvolle gedankliche Pervertierung der kriegsverhütenden Instrumente unserer Sicherheitspolitik zu Instrumenten der Kriegsführung hat den politischen Dialog um die beste Sicherung des Friedens, hat die Friedensdiskussion erschwert.
Sie haben allerdings auch in breiten Schichten unserer Bevölkerung ein sehr gründliches Nachdenken über die Ziele, über die Methoden, über die Wege, über die Mittel unserer Sicherheitspolitik provoziert. So haben Sie ungewollt auch die Vermittlung einer tieferreichenden ethischen Begründung unserer Sicherheitspolitik ermöglicht. Bei allen Verwerfungen, die Ihre Bewegungen im politischen Bewußtsein unserer Bürger verursacht haben, kann ich daher heute feststellen, daß jetzt mehr Menschen Durchblick durch unser sicherheitspolitisches Konzept haben, daß heute mehr Menschen diese Sicherheitspolitik auch aus tiefer moralischer Überzeugung und Verantwortung bejahen. Bei vielen Menschen ist die Akzeptanz vertieft worden.
Die Friedensdiskussion hat also auch vieles geklärt, und dafür können wir dankbar sein; denn wir können eine den Frieden auf Dauer wirklich sichernde Politik nur machen, wenn bei allem Streit um konkrete Schritte im einzelnen die wesentlichen Merkmale unserer Friedens- und Sicherheitspolitik fest im Konsens der breiten Mehrheit unserer Bürger verankert bleiben.Die große Mehrzahl unserer Bürger weiß: Zum Frieden gehört die Freiheit. Ohne Freiheit bleibt nur die Friedhofsruhe. Zum Frieden gehören Recht und Gerechtigkeit. Ohne Recht und Gerechtigkeit bleibt nur die erzwungene Ruhe der Sklaverei.
Zum Frieden gehört die Solidarität. Ohne Solidarität mit allen Menschen in Ost und West, in Nord und Süd bleibt nur die Verschlafenheit der Müden und der Satten.Wir müssen aber den Frieden auch sichern, und zwar durch eine politische Strategie militärischer Abschreckung, die politische Erpressung abwehrt und die Kriege verhütet oder, besser gesagt, die den Gedanken an die Führbarkeit eines Krieges erst gar nicht aufkommen läßt.Ich bekenne mich zu dieser Politik. Ich bekenne mich dazu auch als Christ. Für mich ist es selbstverständlich, daß Krieg nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Krieg ist das Scheitern von Politik.
Politik ist dem Ziel verpflichtet, Krieg zu verhüten. Krieg zu verhüten ist aber auch der Inhalt der ethischen Grundsätze, die die Kirchen in der Friedensdiskussion dieser Monate immer wieder verkündet haben.Herr Dr. Vogel, die kirchliche Diskussion ist an uns nicht, wie Sie gesagt haben, spurlos vorübergegangen. Aber wir wählen nicht einseitig Zitate aus. Wir lassen uns selbst in Anspruch nehmen durch bischöfliche Äußerungen und durch kirchliche Stellungnahmen. Aber wir nehmen die Äußerungen nicht für uns in Anspruch, nicht für eine parteipolitische Argumentation.
Kirchliche Verkündigung ist kein Steinbruch für die Politik. Unsere Sicherheitspolitik gründet vor allem auf der Ethik der Kriegsverhütung. Das aber ist die Ethik, die die Kirchen in den Mittelpunkt ihrer theologischen Aussagen rücken, z. B. in der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz „Gerechtigkeit schafft Frieden".
Im Sinne dieser Zielsetzung der Kriegsverhütung bejahe ich unsere Rüstung und auch die jetzt erforderliche Nachrüstung; ohne Feindbild, Herr Waltemathe. Die Waffen selbst sind weder in sich gut noch in sich böse. Ihre moralische Qualität bestimmt sich von dem Ziel, dem sie dienen. Das Ziel aber sind die Kriegsverhütung und die Abwehr von politischer Erpressung.
Weil die Androhung unserer Waffen diesem Ziel dient, ist die Androhung dieser Waffen ethisch auch zu rechtfertigen. Der Staat würde die christliche Kardinaltugend der Gerechtigkeit grob verletzten, wenn er den Bürgern nicht den Schutz vor einer Bedrohung von außen gewährte, einen Schutz, auf den die Bürger ein Recht haben. Was wäre das für eine Gerechtigkeit, wenn der Staat dem Bürger das Recht auf Schutz vorenthielte! Gerechtigkeit schafft Frieden.Als Christ kann -ich die Abschreckungsstrategie, insbesondere mit Nuklearwaffen, mit Massenvernichtungswaffen, nur verantworten, weil wir gleichzeitig und mit allen Kräften eine Politik der Rüstungskontrolle und eine Politik der gleichgewichtigen Abrüstung betreiben. Friedenssicherung durch nukleare Abschreckung ist nur als eine moralische Grenzsituation vertretbar, als eine Situation, die überwunden werden muß, sobald das geht; denn als Christ bin ich dem Gebot der Bergpredigt verpflichtet — es ist nicht irreal, Herr Schäfer, sondern sehr real, dem Gebot der Bergpredigt verpflichtet zu sein —, nämlich alles zu tun, damit Gewalt und Mittel der Gewalt immer weiter verringert werden, möglichst bis zum Punkt Null.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2533
Dr. KronenbergAber dazu gehört die Bereitschaft beider Seiten. Wer einseitig auf Waffen verzichtet, macht den Krieg führbarer. „Frieden schaffen ohne Waffen" ist zwar gut gemeint, ist aber in unserer Realität tödlich.
Ich möchte noch die Stimme eines polnischen Freundes zitieren, der viele Jahre seines Lebens in Konzentrationslagern und Gefängnissen der Nazis und der Kommunisten verbracht hat. Er hat diese Jahre dort verbracht, weil er unerbittlich und kämpferisch dafür eingetreten ist, daß es einen Frieden um jeden Preis nicht geben darf.Wladislaw Bartoszewski, polnischer Patriot und Katholik, Schriftsteller und Historiker, Generalsekretär des PEN-Clubs in Polen, hat vor wenigen Tagen vor dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken gesagt:Der Begriff „Frieden um jeden Preis" verhöhnt die Grundlagen der Freiheit und Demokratie. Er beschwört eine schlimme Realität; denn er bedeutet, sich jeder Brutalität unterzuordnen, damit auch Mord und Mordbefehl.
Wir wehren uns hier gegen Mord und Mordbefehl. Wir wollen keinen Frieden um jeden Preis. Wir haben die Friedensdiskussion der letzten Jahre begrüßt. Aber wir verzichten nicht auf die Frage „Welchen Frieden wollen wir?" Das ist die Frage, der wir uns stellen müssen. Ich fordere alle auf, die sich an der Friedensdiskussion in unserer Gesellschaft beteiligen, auf diese Frage „Welchen Frieden wollen wir?" zukünftig eine klare Antwort zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als evangelischer Christ möchte ich nicht, daß meine Position zu den heute anstehenden Fragen von denen, die mit mir zusammen in meiner Kirche sind, so beurteilt wird, daß ich ausgegrenzt werde. Aber wenn ich darauf Wert lege — und ich lege darauf Wert —, dann kann ich auch nicht akzeptieren, Herr Kronenberg, daß der NATO-Doppelbeschluß christlich begründet ist.
Wir sollten auch das nicht versuchen, wir sollten das nicht tun. Wir sollten sehr vorsichtig sein in einer solchen Debatte. Ich möchte mich an ihr auch nicht beteiligen, weil ich mich in dieser Frage nicht kompetent genug fühle.
Ein zweites. Wir sollten, wenn wir über Friedensbewegung reden, nicht so formulieren, wie Sie es getan haben, Herr Kronenberg, indem Sie von der Militarisierung der Friedensbewegung gesprochen haben. Wir haben heute morgen eine klirrendeRede des Bundesministers der Verteidigung gehört, gestern eine klirrende Rede von Herrn Dregger.
Wir sollten uns alle zusammen, wie ich finde, gegenseitig ein hohes Maß an Betroffenheit bescheinigen.
Ich für meine Person sage Ihnen, daß ich betroffen bin von dieser Debatte, daß ich betroffen bin von der Entscheidung, die ich zu fällen habe. Ich möchte Ihnen deswegen sagen, welche Entscheidung es ist und auf welchen Gründen ich diese Entscheidung basiere.Ich komme zu dem Ergebnis, daß die amtierende Bundesregierung in der Tat unsere deutschen Interessen unzureichend vertreten hat.
Von ihr sind keine Impulse ausgegangen — und daran hat auch diese Debatte nichts geändert —, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Mich wundert das eigentlich nicht, Herr Kollege Wörner. Ich bringe nun ein wörtliches Zitat. Sie haben bereits am 2. Februar 1979 in der Phase der Vorbereitung des NATO-Doppelbeschlusses in einem Interview der „Saarbrücker Zeitung" wörtlich folgendes ausgeführt:Aussicht auf Erfolg haben solche Verhandlungen erst dann, wenn der Westen in diesem Bereich etwas anzubieten hat. Daraus folgt: Auch wer an erfolgreicher Abrüstung interessiert ist, muß zunächst daran interessiert sein, nicht nur Blaupausen, sondern Waffensysteme in diesem Bereich bereits zu haben.
Franz Josef Strauß hat das am 18. Juli 1981 im „Bayernkurier" fortgeführt, indem er vom Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses gesprochen hat. Ich gebe zu, Herr Kollege Wörner, Sie haben dann später Ihre Meinung geändert. Aber als Reserveoffizier verstehen Sie natürlich etwas von Täuschen und Tarnen.
Aber die Grundposition damals haben Sie durchgehalten, und Sie haben Ihr Ziel j a auch erreicht: Die Verhandlungen sind gescheitert.
Der Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses ist nach dem Regierungswechsel in der Tat verkommen. — Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. Ich nehme dann gerne eine Frage entgegen.Ich finde auch, wir sollten uns — auch als Sozialdemokraten — nicht darüber aufregen, daß Helmut Kohl den sogenannten Waldspaziergang, die in Genf gefundene Kompromißvorformel, nicht eingebracht hat. Denn Alfred Dregger hat ihm doch in
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Dr. Apeleinem „Spiegel"-Interview klipp und klar gesagt, daß für die CDU/CSU „die amerikanischen Pershing-Raketen auf deutschen Boden unabdingbar sind,
wenn nicht alle SS 20 verschwinden". Auch dies ist ein wörtliches Zitat aus dem „Spiegel".
Herr Abgeordneter Todenhöfer zu einer Zwischenfrage, die der Redner erlaubt.
Herr Kollege Apel, Sie haben dem Verteidigungsminister vorgeworfen, zuwenig zu den Verhandlungen beigetragen zu haben. Trifft es zu, daß Sie die Zustimmung gegeben haben, die ersten Pershings II bereits im August dieses Jahres nach Deutschland zu bringen, und trifft es zu, daß der jetzige Verteidigungsminister Manfred Wörner mitgeholfen hat, sicherzustellen, daß die ersten Pershings II erst nach Abschluß dieser Debatte hier nach Deutschland gebracht werden können?
Also, was zutrifft, ist folgendes, Herr Kollege Todenhöfer. Es trifft zu, daß wir Anfang 1980 in der NATO in der Erwartung, daß es natürlich Verhandlungsergebnisse geben würde, weil wir davon ausgegangen sind, daß wir bis zum Ende dieser Zeit regieren würden,
akzeptiert haben, daß natürlich die Vorbereitung der Stationierung so zu beginnen hat, damit die Einsatzfähigkeit der Waffen Ende des Jahres 1983 gewährleistet ist;
so ist es in der NATO verabredet. Ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß diese Bundesregierung diesen Termin um wenige Wochen verschoben hat.
Meine Damen und Herren, in demselben „Spiegel"-Interview, von dem ich soeben gesprochen habe, hat Alfred Dregger die USA vor falschen Konzessionen gegenüber der Sowjetunion gewarnt. Diese Warnungen waren sicherlich überflüssig. Angebote, die es der Sowjetunion sehr schwer gemacht hätten, nein zu sagen, hat es nicht gegeben. Der Westen — das ist ja die Dramatik unserer Entscheidung heute — ist der deutschen Öffentlichkeit den Beweis schuldig geblieben, daß er, wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag sagen, größte Anstrengungen unternommen hat, um in Genf zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Deshalb, weil eben nicht größte Anstrengungen unternommen worden sind, weil der Antrag der Koalitionsfraktionen in diesem Punkt nicht stimmt, kann es auch keinen Sozialdemokraten geben, der diesem Koalitionsantrag zustimmen kann.
Denn die größten Anstrengungen sind eben nicht unternommen worden.
Mit Betroffenheit habe ich in dieser Debatte heute und gestern zur Kenntnis genommen, daß Sie die eindeutige Westbindung der SPD in Frage stellen.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie die fast einstimmigen Beschlüsse des Bundesparteitages am letzten Wochenende zur Kenntnis genommen haben.
Wenn Sie sie zur Kenntnis genommen haben und gleichwohl einem Teil des Hauses — fälschlich — unterstellen wollen, daß wir aus der NATO, aus der Westbindung heraus wollen, dann kündigen Sie den Konsens in der Sicherheitspolitik auf. Wir wollen allerdings — das ist richtig — an die Stelle des derzeitigen Akzeptierens amerikanischer Positionen ein faires Ringen um den richtigen Weg des Bündnisses zur Sicherung von Frieden und Freiheit setzen.
Wir wollen, daß an der NATO-Grundlage, Verteidigungsfähigkeit und Verständigungsbereitschaft mit dem Osten, festgehalten wird. Als Amtsvorgänger von Herrn Dr. Wörner nehme ich mit Besorgnis zur Kenntnis, daß Sie in dem vorgelegten Weißbuch von der Doppelstrategie der NATO, Verteidigungsfähigkeit und Entspannungspolitik, insofern doch sehr deutlich Abschied nehmen, als Entspannung und Entspannungspolitik für Sie nur noch eine Randerscheinung sind, die wenig zu beachten ist.Herr Kollege Rühe, wenn Sie meinen, die Position der Sozialdemokraten zum NATO-Doppelbeschluß stelle die Allianz in Frage, dann gehen Sie sehr weit.
Wenn Sie so etwas sagen, müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß große demokratische Parteien in einer ganzen Reihe von westeuropäischen Ländern den NATO-Doppelbeschluß ablehnen. Dann allerdings, wenn wesentliche Teile des politischen Spektrums in Norwegen, wesentliche Teile des politischen Spektrums in Dänemark, in den Niederlanden, in Belgien, in anderen Ländern den Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses ablehnen, wäre das Bündnis in einer zentralen Gefahr, dann hätte das Bündnis keine Zukunft mehr, wenn diese wesentli-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2535
Dr. Apelchen Teile des politischen Spektrums die NATO nicht mehr wollten.
In keinem dieser Länder wird den Parteien, die so argumentieren wie die Mehrheit meiner Fraktion,
vorgeworfen, Sie wollten das Bündnis verlassen. Lassen Sie das doch! Sagen Sie doch endlich die Wahrheit!
Bleiben Sie bei der Wahrheit! Es ist eine wichtige Entscheidung, die heute gefällt wird. Aber die Bündnistreue, die Westbindung der Sozialdemokratie steht doch mit dieser Frage überhaupt nicht zur Diskussion.
Hören Sie doch auf, das Bündnis und damit die Einheitlichkeit unserer Sicherheitspolitik krankzureden, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir wissen doch — und das ist hier gesagt worden —, daß die sicherheitspolitische Debatte fortgesetzt werden muß, daß die Ostpolitik nur auf der eindeutigen Westbindung möglich ist, daß die atomare Schwelle angehoben werden muß, daß die Bundeswehr Teil unserer Sicherheitspolitik ist. Beenden Sie die die Haltung der SPD verfälschende Debatte!Aber ich sage Ihnen ganz offen, daß seit dem NATO-Doppelbeschluß für mich und auch für meine sozialdemokratischen Freunde die Sowjetunion die Aufstellung ihrer SS 20 konsequent und rücksichtslos fortgesetzt hat. Das ist auch die Ursache für die aktuelle Debatte. Wir wollen diese Raketen weghaben. Wir müssen darüber verhandeln. Verhandlungen sind nur durch den NATO-Doppelbeschluß möglich geworden. Der NATO-Doppelbeschluß wird auch nicht dadurch falsch, daß der Westen ungenügend verhandelt hat. Er wird auch nicht dadurch falsch, daß die Angebote der Sowjetunion am Verhandlungstisch nicht genügend ausgelotet worden sind.Aber wir sollten uns auch keinerlei Illusionen machen. Es ist das Ziel der Sowjetunion jegliche Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhindern. Westeuropa soll für sowjetischen Druck verwundbar werden.
Die NATO soll als Papiertiger entlarvt werden.
Die Abkoppelung Westeuropas von den USA ist anvisiert. Das widerspricht unseren Interessen. MeinePartei hat 1982 auf ihrem Parteitag in München dazu festgestellt:
Die atlantische Allianz mit der militärischen Präsenz der USA in Europa ist unverzichtbar für die äußere Sicherheit und die politische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik.Und dies ist auch heute noch unsere Meinung.
Aber hat sich der Westen nicht auch selber in diese schwierige Lage manövriert?
Sind Sie nicht starr im Nachrüstungsdenken befangen geblieben? Ist es nicht so, daß weder die USA noch die amtierende Bundesregierung begriffen haben, daß die Debatte längst eine ganz andere Dimension erreicht hat, daß es um Glaubwürdigkeit der westlichen Strategie der Kriegsverhinderung geht, daß es darum geht, zu beweisen, daß der Westen in Genf ein Verhandlungsergebnis will und die Sowjetunion mauert? Und ich sage Ihnen: Dieser Beweis ist nicht erbracht worden.
Ich bin davon überzeugt, daß die Supermächte an den Verhandlungstisch zurückkehren werden. Sie müssen von uns dazu gedrängt werden.
Es geht vor allem um unsere lebenswichtigen Interessen. Die Hoffnungslosigkeit von Rüstungsspiralen muß durchbrochen werden. Die SPD hat dabei eine besondere Verantwortung wahrzunehmen.
Sie muß als Opposition im Deutschen Bundestag die Bundesregierung und den Westen drängen. Sie muß die Sowjetunion bewegen, einem für unsere gemeinsame Sicherheit akzeptablen Kompromiß zuzustimmen. Die Forderung nach Weiterverhandeln ohne zeitliche Begrenzung, das Nein zur Stationierung neuer amerikanischer Systeme kann das nicht bewirken.Das ist der Grund, warum mein Freund und früherer politischer Weggefährte, Herr Dr. Willfried Penner, und ich dem Antrag unserer Fraktion nicht zustimmen werden.
Der Entschließungsantrag unserer Fraktion ist ansonsten eine genaue und von uns voll geteilte, unseren deutschen Interessen gerecht werdende Beschreibung unserer Sicherheitspolitik.
Deshalb werden wir uns bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten.Schönen Dank.
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2536 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Das Wort hat der Abgeordnete Reents.
Reents [GRÜNE]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es verstehen, daß die Koalition die von uns vorgetragene Kritik an den Maßnahmen, die nicht innerhalb, sondern außerhalb dieses Hauses stattfinden, mit den Festnahmen von Mitarbeitern unserer Fraktion, mit den Vorgängen, die es gestern gegeben hat — Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern und ähnlichem mehr —, nicht versteht; denn schließlich ist das, was da draußen passiert — das will ich gerne zugestehen —, durchaus in Übereinstimmung .mit dem, was Sie hier zwei Tage lang in Geist und Wort an Kaltem Krieg in die Debatte hineingetragen haben.
Lassen Sie mich zu Beginn zwei Anmerkungen zum Bundeskanzler machen.
Der Bundeskanzler hat am Volkstrauertag am vergangenen Wochenende in einer Festansprache ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Bertolt Brecht, „An die Nachgeborenen", zitiert. Was hat der Bundeskanzler eigentlich für Berater, denn sie haben ihrem Chef offensichtlich gar nicht gesagt, wer dieser Brecht war.
Hat man dem Bundeskanzler nicht gesagt, daß Bertolt Brecht ein Dichter der Arbeiterbewegung in Deutschland war,
der immer auf den Zusammenhang von Rüstungsinteressen und Kapitalinteressen hingewiesen und nichts so sehr verabscheut hat, als wenn jemand vollmundig von Frieden und Abrüstung redet und gleichzeitig Aufrüstung betreibt? Hat man dem Bundeskanzler nicht gesagt, daß Brecht ein Gedicht geschrieben hat — „Deutsche Kriegsfibel" — in dem es unter anderem heißt — darum genau geht es hier —: „Wenn die Oberen vom Frieden reden, weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt"? — Warum hat man dem Bundeskanzler das nicht gesagt? Ich würde empfehlen, daß es Herr Kohl in Zukunft doch unterlassen sollte, Leute für sich in Anspruch zu nehmen, die sich nicht mehr dagegen zu Wehr setzen können.
Eine zweite Anmerkung. Herr Kohl hat gestern in der Debatte gesagt:
Gerade in sogenannten Überlebensfragen gibt es nicht die geringste Legitimation für den Anspruch einer Minderheit, ihren Willen gegen eine Mehrheit durchzusetzen.
Ich finde es sehr schlimm, was dort gesagt worden
ist. Man muß sich doch einmal vorstellen, was damit für eine schlimme Botschaft in allerdings sehr
schlichtem Geist an die Öffentlichkeit überbracht wird.
Ist es nicht so gewesen, daß in Deutschland die Juden eine Minderheit waren und daß der Nationalsozialismus durch Wahlen an die Macht gekommen ist? Ist es nicht so, daß es in Deutschland lange Zeit eine zumindest schweigende Mehrheit gegeben hat, die es hingenommen hat, daß Juden vergast und ermordet worden sind? Wie kann man davon reden, daß Minderheiten den Anspruch verlieren, ihren Willen gegen die Mehrheit durchzusetzen, wenn es um ihr Überleben geht?
Das zweite, was man dazu sagen muß, ist, daß es von der Sache her in diesem Punkt einfach nicht stimmt.
— Herr Oberstleutnant Berger, nun reden Sie nicht dazwischen.
Herr Abgeordneter Reents, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Wenn ich das noch eben sagen kann, danach.
Ihnen ist doch auch sehr wohl bekannt, daß es eine ganze Reihe von Umfragen gibt, die in der Tat belegen, daß eine Mehrheit in dieser Bevölkerung gegen die Stationierung ist. Es gibt nicht nur eine Mehrheit gegen die Stationierung, sondern es sind — das geht aus einer jüngsten Studie von Sozialwissenschaftlern an der Freien Universität West-Berlin hervor — auch 79% dafür, daß nicht der Bundestag darüber entscheidet, ob nun stationiert wird, sondern daß zumindest die Bevölkerung vorher einmal gefragt wird
und daß endlich einmal geklärt wird: Wer lügt denn hier eigentlich?
Ist es die Bundesregierung, wenn sie sagt: Wir haben mit der Wahl vom 6. März auch das Votum für die Raketenstationierung? Oder sind es die Umfragen, die von einer Mehrheit gegen die Raketenstationierung sprechen? Wer lügt denn? Diese Frage muß doch einmal geklärt werden.
Sie haben doch einfach Angst davor.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage von Herrn Dr. Mertes?
Wenn er sich kurzfaßt; ich habe nur wenig Zeit. Aber Herr Mertes kommt ja sonst auch selten dran.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2537
Herr Kollege Reents, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß mich jüdische Persönlichkeiten aufgefordert haben, Stellung gegen die Gleichsetzung der Vernichtung ihrer Angehörigen in Auschwitz durch das Holocaust mit der Frieden und Freiheit sichernden Abschreckungsstrategie des Atlantischen Bündnisses, zu der diese jüdischen Persönlichkeiten positiv stehen, zu nehmen?
Herr Mertes, das nehme ich gern zur Kenntnis. Wir haben über diesen Punkt hier auch schon einmal an Hand von Äußerungen debattiert, die aus einem „Spiegel"-Interview meiner Fraktionskollegen Schily und Fischer stammen. Darum ging es hier aber gar nicht, sondern es geht darum, ob dieser Satz, wie ihn der Bundeskanzler gestern ausgesprochen hat, daß es in Überlebensfragen nicht die geringste Legitimation für eine Minderheit gibt, ihren Willen gegen eine Mehrheit durchzusetzen, nicht auch eine ganz unheilvolle Botschaft in sich tragen kann, unabhängig von den konkreten Dingen, um die es hierbei geht.
Ich will das jetzt weiter ausführen. Uns beunruhigen drei Dinge an der Raketenstationierung. Einmal sind es die Raketen selbst.
Lassen Sie mich gleich einen Satz dazu sagen: Ich meine die Raketen und das, was sich mittlerweile hier an Waffentechnologie entwickelt hat. Ich komme zu der Frage der Computerfehler, über die hier debattiert worden ist. Herr Wörner hat gesagt: Das entscheidet nicht der Computer, sondern letztlich entscheiden es die Menschen. Ich will dem etwas entgegenhalten. Wir haben eine ganze Reihe von Fällen gehört, in denen es diese Computerfehler gegeben hat und in denen, wie Sie genau wissen, der Überprüfungszeitraum für diese Fehler länger als das gewesen ist, was jetzt die Vorwarnzeit und Flugzeit für die Pershing II ist. Aber das ist noch gar nicht das Entscheidende. Wollen wir doch einmal annehmen, daß es wirklich so ist, daß das bislang funktioniert hat und daß das auch momentan noch weiter funktionieren wird. Wollen Sie uns ernsthaft hier versichern, daß das gleiche auch in einer Krisensituation gilt? Wollen Sie uns ernsthaft versichern, daß man, wenn eine Krisensituation, sei es im Nahen Osten oder sonstwo in der Welt, in dramatischer Weise existiert, dann noch in der gleichen Weise darauf vertrauen kann, daß Computerfehler auch wirklich ausgetilgt werden und der Schrecken dann nicht wirklich seinen Lauf nimmt? Das ist die Situation, mit der man sich an diesem Punkt auseinandersetzen muß.
— Schreien Sie jetzt nicht so viel dazwischen! Sie können es ruhig tun, Sie werden nachher sowieso Ihre Stimme wieder in Ordnung bringen, denn nachdem Sie die Abstimmung hier in Ihrem Sinne durchgeführt haben, werden Sie doch sicherlich mit Wein und Sekt feiern, daß Sie endlich stationieren dürfen.
Das zweite, was uns beunruhigt, sind die Kriegsführungsstrategien aus den USA. Ich sage bewußt „Kriegsführungsstrategien", auch wenn Herr Kronenberg gerade eben in seinem Beitrag bestritten hat, daß es das überhaupt gibt.
Herr Reagan, der amerikanische Präsident, der sich als Vollstrecker des jüngsten Gerichts gegen die Sowjetunion aufspielt, sagt doch nur das, was tatsächlich im Militär der USA geplant wird. Sie kennen diese Zitate genausogut wie ich. Sie kennen auch die ganzen Studien, die es gibt.
Ich will Sie nur auf eines in diesem Zusammenhang hinweisen. Das Air-land-battle-Konzept 2000, das in der letzten Zeit einige Unruhe in der Öffentlichkeit verursacht hat, sagt in seinem Vorwort, unterschrieben von dem Heeresinspekteur der Bundeswehr, Glanz, und dem chief of staff der US-Armee, General Meier — ich zitiere das —: „Unsere Armeen müssen so bewaffnet und ausgebildet werden, daß sie die Kampfaufträge bewältigen, die wir ab Mitte der 90er Jahre auf dem mitteleuropäischen Gefechtsfeld durchführen müssen." Nun frage ich Sie: Mit welcher Sicherheit wird hier in diesem Airland-battle-2000-Konzept davon ausgegangen, daß die Bundeswehr und die US-Army Mitte der 90er Jahre militärische Kampfaktionen auf dem europäischen Gefechtsfeld durchführen müssen, wie es hier steht?
Wenn das nicht die Sprache von Kriegsvorbereitung, wenn das nicht die Sprache von Kriegsführungsstrategien ist, dann weiß ich nicht, was Sie darunter verstehen wollen.
Dieses Air-land-battle-2000-Konzept endet damit: Der Angriff in die Tiefe trägt den Kampf zum Gegner.
Das ist mittlerweile in der westlichen Strategie allerdings etwas Neues. Bislang hat man uns gesagt, daß die Bundesrepublik an der innerdeutschen Grenze verteidigt werden solle. Jetzt ist mit einem
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2538 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
ReentsMal davon die Rede, daß die Verteidigung den Angriff in den Raum des Gegners tragen soll.
Ich kenne Untersuchungen, Äußerungen und Studien dazu, in denen konkret sogar von Räumen jenseits der Oder-Neiße-Grenze die Rede ist.Sie behaupten immer, der Unterschied zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO bestehe darin, daß die NATO ein Verteidigungsbündnis sei und auch nur reine Verteidigungsmanöver durchführe; beim Warschauer Pakt sei das aber ganz anders. Wenn Sie in Zukunft aber nach diesem Air-landbattle-2000-Konzept mit der Bundeswehr und der US-Army Manöver durchführen werden, die in ihrem Planspiel davon ausgehen, daß die Bundeswehr und die US-Army
ihren Schauplatz in Polen finden werden, dann ist es nicht mehr als eine dramaturgische Frage, ob Sie sagen, daß die Voraussetzung dafür ist, daß wir angegriffen worden sind, oder ob Sie es nicht sagen. Tatsache ist, daß sie beginnen, mit diesem Konzept Air-land-battle 2000 Kriegführung außerhalb des westdeutschen Territoriums in östlicher Richtung zu planen. Das ist der zweite Punkt, der uns beunruhigt.
Der dritte Punkt ist, daß sich mit dieser Raketenstationierung die Gefahr von Kriegen gegen die Dritte Welt enorm erhöhen wird.
Wir alle haben hier in zwei Aktuellen Stunden gesehen, wie Sie in der Koalition es nicht schlimm gefunden haben, daß die USA Grenada überfallen haben. Ich sage Ihnen jetzt, daß wir heute auf Grund Ihrer Haltung zu Grenada fürchten müssen, daß Sie es auch nicht schlimm finden werden, wenn die US- Armee in Nicaragua einmarschieren wird und wenn es entsprechende militärische Interventionen der USA im Libanon geben wird. Auch das werden Sie nicht schlimm finden.
Zu dem, was dort passiert, was in Grenada von seiten der USA passiert ist und was, wie ich hoffe, in Nicaragua nicht passieren wird, aber was dort momentan zu passieren droht, kann man nur folgendes sagen: Die Politgangster sind hervorragend organisiert, verfügen über internationale Verbindungen und verstehen sich selbst als Kriegführende,
als Kriegführende allerdings,
die sich weder an die Regeln des Kriegs — noch an die Regeln des Friedensrechts halten.
— Herr Seiters, da brauchen Sie sich nicht aufzuregen; dieser Satz ist von Herrn Dregger am 13. März 1975 gesagt worden und stammt aus der Terrorismus-Debatte.
Ich meine, er paßt haargenau auf das, was momentan die Politik der USA ist.
Herr Abgeordneter Reents, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe nur noch drei Minuten; das ist nicht möglich.Herr Wörner hat uns schon in seiner Rede am 11. November hier im Bundestag — Herr Rühe und Herr Kronenberg haben das auch getan — vorgeworfen, es gehe uns nur um Angstmache und Panik.
Herr Wörner hat seinerzeit hinzugefügt, daß das den parteipolitischen Zwecken der GRÜNEN dienen solle.
Aber wer schürt denn tatsächlich Panik hier,
Panik davor, daß die Sowjetunion die Bundesrepublik überfallen werde? Wer schürt denn Panik, um damit die Pläne seiner weiteren Aufrüstung zu begründen, die uns tatsächlich an den Abgrund eines Atomkrieges bringen können? — Herr Wörner!
Herr Wörner hat beispielsweise vorhin in seiner Rede gesagt: Wenn die Amerikaner abziehen, dann gibt es hier kein freies Parlament mehr.
Was heißt denn das? Gibt es nur dort freie Parlamente, wo US-Truppen stationiert sind? Gibt es denn nirgendwo freie Parlamente, wo es keine US- Truppen gibt?
Herr Wörner hat noch etwas mehr gesagt. Herr Wörner hat — es war vorhin leider nicht möglich, das durch eine Zwischenfrage zu klären — davon
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2539
Reentsgesprochen, daß die Sowjetunion nach wie vor pro Woche anderthalb Raketen stationiere.
Dann hat er gesagt, die Zahl der SS 20 betrage 360. Nun wird aber diese Zahl 360 seit Monaten genannt. Wie können Sie dann behaupten, die Sowjetunion stationiere weiterhin anderthalb Raketen pro Woche? Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Das ist ein Widerspruch, der allerdings der Panikmache nützt.
Man kann dazu nur sagen: Wenn jemand mit solchen Aussagen, wie sie Herr Wörner gemacht hat, vor irgendeinem Gericht im Zeugenstand gestanden hätte und hätte darauf noch einen Eid leisten müssen, so wäre er anschließend wegen Meineid belangt worden; zumindest wäre er in einem solchen Verfahren als Zeuge durchgefallen.
Herr Dregger und Herr Marx haben sich ähnlich geäußert.Ich will zum Punkt Angst noch eines sagen. Es gibt einen sehr interessanten Aufsatz, den Herr Mertes, der sich hier ja soeben mit einer Zwischenfrage zu Wort gemeldet hat, im letzten Jahr publiziert hat. Darin sagt er, man müsse sich einmal mit den Ursachen der Angst auseinandersetzen. Die Ursachen der Angst liegen nach den Worten von Herrn Mertes im Verlust an Fähigkeit zum Vertrauen. Er weist dann darauf hin, daß in der jüdischchristlichen Anthropologie das Angsthaben zum Wesen der Menschen gehöre, genauso wie die Erlösung zum Wesen der Menschen gehöre. Er sagt: „Diese Heilsgewißheit hat auch eine politische Dimension. ,Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden bleiben.' Diese Verheißung ist keine Drohung, sondern Ermutigung und Trost." — Er zitiert dann Martin Luther mit einem lateinischen Ausspruch und übersetzt das dahin, daß das für den Politiker bedeute: Nimm die Unvollkommenheit deines Tuns an, aber vertraue noch tapferer!
Das ist in der Tat Ihre Philosophie. Sie wissen um die Unvollkommenheit Ihrer Politik. Sie wissen um die Unvollkommenheit Ihrer Militärstrategie. Sie wissen, daß Ihre Abschreckungskonzeptionen nicht funktionieren werden und daß es nicht ein Beweis dafür ist, daß sie in der Vergangenheit in gewissem Rahmen funktioniert haben. Das wissen Sie genau. Aber Sie flüchten dabei in eine klerikal-reaktionäre Philosophie. Sie sagen den Menschen schlicht und einfach: Nehmt doch die Unvollkommenheit des Tuns, aber vertraut uns weiter.
Herr Abgeordneter Reents, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Im übrigen bitte ich, solche Zwischenrufe lieber zu unterlassen, wie ich sie eben gehört habe.
Bei der Nachforschung dessen, wer auf welcher Seite wo früher gestanden hat, kommen wir hier vielfach in Verlegenheit, nicht bloß in einer Richtung.
Herr Präsident, wenn ich meine Rede zu Ende bringen muß, dann erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Schluß.
Es gibt heute in der „Frankfurter Rundschau" — auch Sie werden das vielleicht gesehen haben — einen Artikel: „Weihnachten wird um die Einäscherung der Deutschen gewürfelt". „NATO, der Krieg in Europa" und ähnliches mehr — all das ist mittlerweile zum Gesellschaftsspiel geworden. Wenn das Grauen eines Atomkriegs schon zum Gesellschaftsspiel gemacht wird, dann sollten Sie sich nicht wundern, wenn wir und die Friedensbewegung die Spiele dieser Gesellschaft nicht mitmachen, wenn wir unsere eigenen Regeln aufstellen und wenn wir mit zivilem Ungehorsam, Protest und Widerstand weiter gegen diese Kriegspläne protestieren und auftreten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich meine Aggressionen besser zügeln kann als der Vorredner und daß ich hier befriedigende Worte finde und niemanden provoziere. Herr Kollege Reents, ich schäme mich für Ihre Schimpfkanonade und für Ihre verblendeten Äußerungen. So kann kein Friedensfreund sprechen.
Sie unterstellen, hier würden einige mit Wein und Sekt feiern, wenn sie stationieren dürften. Niemand in diesem Hause, lassen Sie sich das gesagt sein, liebt atomare Raketen.
Verehrter Herr Kollege Apel, auch Sie reizen zu einer Bemerkung durch einen Satz, den Sie an unseren Verteidigungsminister gerichtet haben. Könnte es nicht sein, daß Sie als sein Vorgänger einige der Dinge, die Sie ihm heute glaubten vor-
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2540 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Dr. Feldmannwerfen zu müssen, mit eingeleitet haben? Ich wollte nur daran erinnert haben.
Ich spreche hier als FDP-Abgeordneter und nehme die meiner Fraktion zustehende Redezeit in Anspruch, obwohl ich weder die Fraktionsmeinung noch die Mehrheitsmeinung meiner Partei wiedergebe. Ich gebe hier ausschließlich meiner persönlichen Meinung Ausdruck. Das dürfte auch Skeptikern zeigen, daß in der FDP Toleranz praktiziert wird, auch wenn in einer wichtigen und wesentlichen Frage eine abweichende Meinung dargestellt wird. Ich möchte hierfür meinen Fraktionskollegen auch von dieser Stelle ausdrücklich danken.Um es klar zu sagen: Ich trage die Politik der Koalition mit. Aber in dieser wichtigen Frage der Friedenssicherung habe ich eine andere Position. In dieser Haltung werde ich durch eine bedeutende Minderheit meiner Partei unterstützt.Ich habe bisher der Stationierung von landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen, die die atomare Supermacht Sowjetunion von unserem deutschen Gebiet aus entscheidend treffen können, auf keiner politischen Ebene zugestimmt, auch nicht in der sozialliberalen Koalition. An meiner Haltung hat sich nichts geändert.
Es ist richtig: Die sowjetische Rüstung ist irrational und überzogen. Aber die Bedrohungssituation hat sich meiner Ansicht nach für uns durch die neu aufgestellten SS 20 nicht entscheidend geändert. Die sowjetischen atomaren Mittelstreckenraketen SS 4 und SS 5 waren seit über 20 Jahren auf uns gerichtet. Bereits 20 alte SS 5 hätten unser Land in Schutt und Asche legen können. Die Sowjetunion kann uns mit ihren neuen SS 20 nicht mehr Schaden zufügen, als sie uns bereits mit ihren alten SS 5 hätte zufügen können. Die Sowjetunion schadet sich durch ihre Überrüstung letztlich selbst, denn sie weckt Bedrohungsgefühle bei ihren Nachbarn.Ich halte es für falsch, auf alle sowjetischen Dummheiten mit ebensolchen westlichen zu antworten.
Wir müssen rational reagieren. Unsere Politik muß sich verstärkt darauf richten, das sowjetische Bedrohungstrauma abzubauen.
Dazu ist aber meines Erachtens die Pershing II nicht geeignet, vor allem dann nicht, wenn sie auf deutschem Boden stationiert ist, denn die Pershing II verändert die Bedrohungssituation für die Sowjetunion.Es ist auch richtig: Die Sowjetunion hat durch den Ausbau der SS 20 die SALT-Vereinbarungen unterlaufen, die Vertragslücke bezüglich europäischer Nuklearwaffen ausgenutzt und ihre nukleare Überlegenheit in Europa weiter ausgebaut. Diese Lücke muß durch Verhandlungen geschlossen werden, nicht durch Nachrüstung, insbesondere nicht durch eine Nachrüstung, die für die eine Supermacht die Vorwarnzeit gefährlich verkürzt und dadurch auch unsere eigene Sicherheit vermindert. Es darf nicht sein, daß die USA und die Sowjetunion wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen nur im interkontinentalen Bereich schließen und daß in Mitteleuropa weitergerüstet wird, und dies nur, weil beide ihre Kompromißbereitschaft nicht voll ausgeschöpft haben. Auch der Waffenmix sollte meines Erachtens zur Disposition stehen.Die Pershing II ist auch deshalb die falsche Antwort, weil sie das strategische Kräfteverhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion verändert. Die Pershing II ist geeignet, das noch bestehende und funktionierende System der Abschreckung zu destabilisieren. Bessere Waffen garantieren nicht immer mehr Sicherheit.
Meine Damen und Herren, Gleichgewicht darf für uns auch nicht zum Fetisch werden. Ich meine, wir in Europa brauchen kein eigenes nukleares Gleichgewicht.
Hinreichende Abschreckung ist bereits heute gewährleistet, und das genügt.Natürlich ist die Versuchung groß, Rüstung mit Gegenrüstung zu beantworten, aber das ist nicht immer rational. Vieles, was militärisch und waffentechnologisch möglich ist, kann die Bemühungen, zu einer politischen Friedenssicherung zu kommen, behindern. Wir alle in diesem Hause wissen, daß mit militärischen Mitteln allein der Friede nicht sicherer gemacht werden kann. Die Politik der Vertrauensbildung muß daher noch viel deutlicher Vorrang vor militärischen Maßnahmen haben.
Ich erkenne ausdrücklich die Initiativen von Bundesminister Hans-Dietrich Genscher an, für Entspannung im Ost-West-Verhältnis zu sorgen. Unterschätzen wir nicht seine Bemühungen, zwischen Ost und West die Gesprächsfäden nicht nur nicht abreißen zu lassen, sondern auch immer wieder neu zu knüpfen. Ein wesentlicher Erfolg seiner Politik ist das Zustandekommen der Europäischen Abrüstungskonferenz, in die wir große Hoffnung setzen.Ich halte die Pershing II für die falsche Antwort auf die SS 20. Die Sowjetunion wird auf die Pershing II mit einer Vorwärtsstationierung von SS 22 in der DDR und der CSSR antworten. Unsere Nachrüstung liefert der Sowjetunion wieder eine Legitimation für die nächste Rüstungsrunde.
Diesen Teufelskreis können nur die westlichen Demokratien durchbrechen. Nur wir sind dazu in
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Dr. Feldmannder Lage, meine Kolleginnen und Kollegen, wer denn sonst?
— Herr Kollege, wir sprechen doch gern von einer Wertegemeinschaft der westlichen Demokratien. Die Vorvorredner haben sich als Christen zu diesem Thema geäußert. Darf ich daran erinnern, daß Werte nicht nur der sonntäglichen Erbauung dienen, sondern gelegentlich auch zum Handeln reizen müssen und daß sich bestimmte Handlungen in einer solchen Wertegemeinschaft einfach verbieten. Werte entfalten auch eine Bindungswirkung. Das mag einerseits zu Stärke führen, andererseits aber auch — das gestehe ich gern zu — eine gewisse Schwäche sein.Heute war auch davon die Rede, daß die Sowjetunion Westeuropa nur eine Sicherheit zweiter Klasse zugestehen will. Seien wir doch Realisten! Die Sicherheit der europäischen Staaten, die nicht Atommächte sind, kann nicht die gleiche sein wie die der Atommächte oder gar der atomaren Supermächte.Ich bin der Ansicht, daß uns die Pershing II keine zusätzliche Ankoppelung gibt. Ich vertraue auch ohne Pershing II der amerikanischen Sicherheitsgarantie. Die hier stationierten US-Soldaten sind für mich ein überzeugendes Zeichen dieser Garantie.Ich bin mir bewußt, daß die Stationierungsfrage mittlerweile zur Bündnisfrage geworden ist.
Aber lassen sich Bündnistreue, Standfestigkeit und Glaubwürdigkeit wirklich nur auf die Stationierungsfrage reduzieren?
Meine Kolleginnen und Kollegen, wer das Bündnis will, muß die Akzeptanz verbessern. Die Sicherheitspolitik muß die Argumente und Ängste und Zweifel der Menschen in und außerhalb der Friedensbewegung stärker berücksichtigen. Denn in einer Demokratie sind Ängste und Zweifel Faktoren, die in einer Sicherheitspolitik berücksichtigt werden müssen, will sie breite Zustimmung finden.Zweifellos verfolgen wir alle das gemeinsame Ziel, den Frieden zu sichern. Wir streiten uns doch nur über den richtigen Weg. Aber ein notwendiger Schritt auf diesem richtigen Weg ist der Abbau von Feindbildern. Feindbilder schaffen nur irrationale Ängste.
Wir aber brauchen ein gesundes Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, den Frieden zu sichern.Ich darf schließen. Meine Damen und Herren, wir sind uns doch alle einig: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. — Ich füge hinzu: Von deutschem Boden darf auch keine Provokation, darf nichts ausgehen,
worin andere eine Gefährdung ihrer Sicherheit sehen könnten.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst ein Wort an die Adresse des Kollegen Feldmann. Herr Kollege Feldmann, ich folge keinem Ihrer Argumente.
Dennoch bekunde ich Ihnen meinen Respekt insbesondere für die Art und Weise, wie Sie Ihren Standpunkt hier vorgetragen haben.
Ich wünschte, meine Damen und Herren, diese Tonlage hätte größere Teile dieser Debatte beherrscht, insbesondere am heutigen Nachmittag.
Der Kollege Brandt, den ich im Moment nicht sehe,
hat es heute nachmittag für richtig gehalten, in der bei ihm gewohnten ausgefeilten, nach allen Wortekken hin abgesicherten Rhetorik Standpunkte der SPD weiterzuentwickeln.
Herr Brandt hat ja auch eine Erfahrung im Holzen. Wie gut er das beherrscht, hat er heute nachmittag auch vorgeführt.
Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheer?
Ich möchte erst einmal meinen Gedanken zu Ende führen.Herr Brandt hat einen Ordnungsruf provoziert und sich ausdrücklich dafür bedankt, weil der offenbar beabsichtigte Zweck dieses Ordnungsrufes war, öffentliches Aufsehen zu erregen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage mich: Wodurch unterscheidet sich der Kollege Brandt methodisch von den grünen Rabatzmachern und Spektakeldarstellern,
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denen kein Mätzchen zu billig ist, um damit ins Fernsehen zu kommen?
Herr Präsident, ich komme nicht in Verlegenheit, wenn über meine Vergangenheit gesprochen werden müßte.
Aber ich möchte, daß die Öffentlichkeit weiß, was über den letzten Redner der GRÜNEN im Bundestagshandbuch steht:REENTS, Jürgen .. .1970 bis 1979 Mitarbeit im Kommunistischen Bund ...
Herr Abgeordneter Klein, ich unterbreche Sie, um Ihnen mitzuteilen, daß dort noch mehr steht. Da steht z. B., daß dieser Abgeordnete, von dem Sie sprechen, vorher ein Jungdemokrat gewesen ist. Da steht, daß er jetzt einer anderen Partei angehört. Ich möchte nicht andere Fälle dieser Art hier aufgezählt wissen. Sonst müßte ich dies als eine Kritik an der Geschäftsführung ansehen.
Herr Präsident, es liegt mir fern, Ihre Geschäftsführung zu kritisieren.
Warum sollte ich auch? Es ist Ihr gutes Recht, die Lebensläufe aller Abgeordneten hier vorzulesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute sehr oft das Wort von der Friedensfähigkeit gehört. Ich will jetzt nur einmal die Frage stellen, was sich die SPD dabei denkt, wenn sie Plakate der Art, wie ich jetzt eines zeige, über ihre Jugendorganisation formulieren, drucken und verteilen läßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in diesem Hause noch genügend Kollegen, die sich an die Zeit erinnern, wo Volksschädlinge gebrandmarkt wurden.
Dieses Plakat unterstellt den Kollegen, die hier abgebildet sind — und es gibt mehrere Versionen dieses Plakates —, sie seien für den Fortlauf des Rüstungswahnsinns auf einer neuen Stufe, sie seien für den millionenfachen Hungertod in der Welt. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte,stellen Sie sich selber einmal die Frage, ob dies noch die Art und Weise ist, wie wir in Deutschland miteinander umgehen sollten.
Erlauben Sie mir bitte, mit einer Legende aufzuräumen, der Legende nämlich, der Deutsche Bundestag habe sich mit dem NATO-Doppelbeschluß, dieser Frage von schicksalhafter Bedeutung für das ganze deutsche Volk, nicht ernsthaft und nicht sorgfältig genug auseinandergesetzt. Das Gegenteil dieser Behauptung, meine Damen und Herren, ist der Fall. Der Kollege Mischnick hat gestern schon daran erinnert: Während der vergangenen vier Jahre hat sich dieses Hohe Haus in 37 große Debatten und Aktuellen Stunden, die ungezählten Anfragen zu diesem Thema in den Fragestunden nicht mitgerechnet, mit den Verhandlungsmöglichkeiten und, für den Fall des Fehlschlags der Verhandlungen, mit den Stationierungsnotwendigkeiten befaßt. An die 200 Redner haben in dieser Zeit das Wort dazu ergriffen.Die erste Debatte darüber fand am 14. Dezember 1979 statt, also zwei Tage nach Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlusses. Er wurde am Ende jener Diskussion vom Deutschen Bundestag zustimmend zur Kenntnis genommen. In den verbleibenden Monaten der 8. Wahlperiode wurde über diese Fragen weitere fünfmal debattiert, in der 9. Wahlperiode 22mal und in dieser Wahlperiode bereits neunmal. Aber was noch entscheidender ist: Seither haben zwei Bundestagswahlen stattgefunden. Für mich besteht kein Zweifel daran, daß die Regierung Schmidt/Genscher am 5. Oktober 1980 nur deshalb noch einmal das Vertrauen der Mehrheit erringen konnte, weil sie sich, zumindest nach außen, überzeugend zur westlichen Verteidigungsallianz und damit auch zum NATO-Doppelbeschluß bekannt hatte.Das Abrücken der SPD von der gemeinsamen Sicherheitspolitik in der damaligen Koalition war schließlich der Hauptgrund dafür, daß die Freien Demokraten die Wende herbeigeführt haben. Spätestens seit den Beschlüssen des SPD-Parteitags vom vergangenen Wochenende fällt deshalb der damals von den Sozialdemokraten so lautstark erhobene Verratsvorwurf auf seine Urheber zurück.Aber es gab am 6. März dieses Jahres noch einmal Bundestagswahlen. Aus ihnen gingen CDU, CSU und FDP als klare Gewinner hervor. Sicher erhoffte sich die Mehrheit der deutschen Wähler von der Koalition der Mitte zu Recht vor allem auch einen Wiederaufschwung unserer Wirtschaft, den Anschluß an die technologischen Revolutionen, die sich in anderen Industrieländern dieser Erde vollzogen hatten, und den Abbau von gefährlichen Fehlentwicklungen unseres Gemeinwesens. Aber es war doch der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Dr. Hans-Jochen Vogel — dem ebenso wie seinem Par-
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teivorsitzenden offenbar das Zuhören in dieser Debatte Schwierigkeiten bereitet —,
der mit riesigem Propagandaaufwand der deutschen Öffentlichkeit einzureden versuchte, die Koalitionsparteien seien für die Aufrüstung und die SPD für die Abrüstung.
Von wem auch immer beraten, er führte einen Raketenwahlkampf. In der Fernsehdiskussion der Spitzenpolitiker unmittelbar vor dem Wahltermin war das das Hauptthema. Jedem wahlberechtigten Bürger, den diese Frage berührte und der sich über sie informierte, war mithin bewußt, welche Parteiengruppierung welche Politik zum Schutz unserer Freiheit und zur Sicherung des Friedens zu führen beabsichtigte.
Die Mehrheit hat CDU, CSU und FDP gewählt,
die zu keinem Zeitpunkt verhohlen oder auch nur verschleiert haben, daß sie mit aller Energie für ein Verhandlungsergebnis in Genf eintreten, aber entschlossen sind,
im Falle der Ergebnislosigkeit dieser Verhandlungen mit der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen als Antwort auf die Vorrüstung der Sowjetunion mit SS-20-Raketen zu beginnen.
Zweimal also haben die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen auch zu dieser Frage Stellung genommen. Zweimal haben sie sich mehrheitlich zu der Haltung bekannt, die im NATO-Doppelbeschluß formuliert worden ist. Deshalb gehört schon — ich würde das gern an die Adresse des Kollegen Brandt sagen, der leider nicht da ist —
ein Übermaß an elitärer Arroganz dazu, diese Entscheidung nachträglich in Frage zu stellen und damit den Wählern Unmündigkeit oder das falsche Bewußtsein zu unterstellen.
Die Legitimität von Beschlüssen frei gewählter Abgeordneter zu bezweifeln und an ihre Stelle Volksbefragungen setzen zu wollen, bei denen je nach Tagesstimmung, Fragestellung, gängiger Medienmeinung und Druck der Straße entschieden würde, kommt einer Aufhebung unserer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie gleich.
Niemandes Sorge und niemandes Angst, wenn er sie tatsächlich verspürt, sollen hier leichtgenommen werden. Die ernsthafte Beschäftigung mit einem Frieden, der von einem Gleichgewicht zwischen den verheerendsten Vernichtungswaffen abhängt, über welche die Menschheit je verfügte, erscheint mir höchst ungeeignet zu vordergründiger Polemik oder gegenseitiger Unterstellung unlauterer Beweggründe.
Aber den gleichen Respekt, den ich einer andersdenkenden Minderheit entgegenbringe, erwarte ich von ihr gegenüber der Mehrheit.
Daran ändert sich auch nichts, wenn sich eine Minderheit als Mehrheit zu gerieren versucht, wie das der Kollege Bastian gestern im Ton des Sprechers der Deutschen Wochenschau unternommen hat.
In der Moral, meine Damen und Herren, zählt bereits die gute Absicht. Die Richtigkeit einer politischen Entscheidung aber, die eine moralische Güterabwägung nach bestem Wissen und Gewissen einschließt, wird an Ergebnissen gemessen. Kein noch so besorgtes Mitglied der Friedensbewegung — und ich habe mit einigen von ihnen in den letzten Wochen diskutiert — konnte mir bislang eine Antwort darauf geben, warum die Sowjetunion ausgerechnet in den Jahren der sogenannten Entspannungspolitik Woche um Woche eine neue gegen uns gerichtete SS-20-Rakete aufgestellt hat,
in den Jahren zahlreicher westlicher Vorleistungen, in den Jahren, in denen der amerikanische Präsident nicht Ronald Reagan, sondern Jimmy Carter hieß, in den Jahren, in denen die deutsche Bundesregierung laut Helmut Schmidt wichtigster Gesprächspartner in Moskau war.
Ich habe auch keine Antwort auf die Frage erhalten, warum Waffen, mit denen wir uns verteidigen könnten, um soviel anstößiger sein sollen als Waffen, die uns bedrohen.
Ich spreche niemandem, weder der heterogenenFriedensbewegung, noch den GRÜNEN, noch derSPD, das Recht ab, ihre Auffassungen in geeigneter,
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vom Grundgesetz und unserer rechtsstaatlichen Wirklichkeit ermöglichten Weise vorzutragen.
Doch alle — und dies gilt in einem geradezu dramatischen Ausmaß für die Sozialdemokraten — müssen sich dabei auch der Wirkungen ihres Vorgehens bewußt sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Danke, nein; im Moment nicht.
Bei der gestrigen Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Vogel hatte ich freilich den Eindruck: Er ist sich dieser Wirkungen mangels Kenntnis der zugegebenermaßen komplizierten außen- und sicherheitspolitischen Zusammenhänge nicht bewußt.
Meine Damen und Herren, Herr Brandt hat heute nachmittag alle Professoren und Physiker und Einsteins und Techniker und Ingenieure und Soldaten aufgeführt und dann die Frage gestellt, ob denn Engagement und versammelter Sachverstand „mit der ganzen Arroganz der Macht in den Abfall geworfen" werden dürften.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zweifelt denn Herr Brandt, zweifelt denn die SPD am Engagement und am versammelten Sachverstand dreier ehemaliger SPD-Verteidigungsminister, darunter eines ehemaligen SPD-Bundeskanzlers, und mehrerer, ausgerechnet besonders kundiger SPD- Kollegen, die sich ihrem Nein zur Nachrüstung nicht anschließen wollen? Oder haben diese SPD- Kollegen einfach die Arroganz der Macht ihrer Partei zu spüren bekommen?
Der Wirkungen solcher Verhaltensformen zweifellos bewußt muß sich dagegen der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt gewesen sein, der mit seiner Rede der ganzen Nation noch einmal seine persönliche Tragik vor Augen geführt hat. Aber — und so ist er halt — er warf Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnenderweise vor, keine sichtbaren oder hörbaren Anstrengungen unternommen zu haben.
Dies unterscheidet den heutigen Abgeordneten Schmidt vom amtierenden Bundeskanzler Kohl:
daß Kohl nämlich seine Anstrengungen nicht in erster Linie auf publizitätswirksamen rhetorischen Theaterdonner richtet.
Schmidt kritisierte im gleichen Atemzug die Reisen von Bundeskanzler Kohl, in dem er ihm auch vorwarf, er habe seine Diplomatie nicht auf Hochtouren laufen lassen. Der Katalog von Ratschlägen an die Bundesregierung,
an den NATO-Rat, ja quasi wie immer an die ganze Welt, den Ex-Kanzler Schmidt gestern vorgetragen hat, wäre sehr viel ernster zu nehmen, wenn er seine eigene Partei und seine eigene Fraktion von seiner Haltung hätte überzeugen können. Aber bei dem SPD-Parteitag in Köln vermochte Helmut Schmidt nicht einmal die 5 %-Hürde zu überwinden.
Ich sage nicht, wie der Kollege Brandt das heute in einem anderen Zusammenhang unterstellt hat, daß die SPD die Genfer Verhandlungen zum Scheitern gebracht habe. Das haben schon die Sowjets selbst besorgt. Aber möglicherweise hätten die Genfer INF-Verhandlungen ein annehmbares Ergebnis gezeitigt, wäre der Sowjetunion nicht der Eindruck vermittelt worden, sie könne den Verzicht auf eine Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenwaffen zum Nulltarif erhalten.
Ausgerechnet die Sozialdemokraten, deren damaliger Kanzler Helmut Schmidt den NATO-Doppelbeschluß mit herbeigeführt hat, wenn er sich jetzt auch nicht mehr so sehr zur Vaterschaft zu bekennen wünscht, haben es in wachsendem Umfang für richtig gehalten, die USA wegen ihrer Verhandlungsführung zu kritisieren, ja, unannehmbare Konzessionen von ihnen zu verlangen und den sowjetischen Standpunkt in vielen Fällen vorzuformulieren. Das politische Geschäft, das hier mit der Angst versucht wird, kippt allerdings ins Groteske, wenn man, wie das der Kollege Hoffmann hier getan hat, eine Bedrohung des Maghreb durch die Pershing II konstatieren will. Warum, Herr Kollege Hoffmann, reden Sie nicht darüber, daß die sowjetische SS 20 ganz Europa, große Teile Afrikas, den gesamten Nahen und Mittleren Osten sowie beträchtliche Teile Asiens erreichen kann?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann?
Ich will nur das noch zu Ende führen. Dann gern.
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Vor diesem Hintergrund nämlich macht die Bezugnahme Nixons auf die Abschreckungswirkung der Pershing II einen Sinn. — Bitte sehr.
Herr Kollege, können Sie verstehen, daß ich dieses Beispiel deshalb gebraucht habe, um deutlich zu machen, daß das Argument immer noch einmal zu wägen ist, nicht nur zu überlegen, welche Strategie hinter einer Aufstellung steht, sondern auch zu überlegen, welche Kapazitäten bestimmte Waffensysteme haben? Und ist es in diesem Zusammenhang nicht interessant, zu überlegen, wo Cruise Missiles und Pershing II vom deutschen Boden aus überall hinfliegen könnten? Ist das keine Frage, die politisch erwogen werden muß?
Herr Kollege Hoffmann, ich glaube in der Tat, daß das keine Frage ist, die politisch erwogen werden muß. Denn dafür verbürgt sich wohl das NATO-Verteidigungsbündnis, daß es nicht darauf aus ist, den Nahen Osten oder den Maghreb unter Druck zu setzen. Damit möchte ich es bewenden lassen.Die Antistationierungskampagne hat dem ohnehin in West und Ost immer noch ambivalenten Bild von den Deutschen über Nacht wieder ein Element gefährlicher Unberechenbarkeit hinzugefügt. Friedensbewegung und GRÜNE allein hätten dies nicht bewirken können. Aber ihre Aufwertung und Abdeckung durch die SPD hat bei unseren westlichen Verbündeten ebenso wie bei den Sowjets und den anderen osteuropäischen Völkern die Frage aufgeworfen, wie ernsthaft doch immer mit einem alle demokratischen Bindungen zerreißenden Furor teutonicus gerechnet werden muß. So sehr die Regierung in Ost-Berlin, in Warschau, in Prag oder in Budapest den Standpunkt der Moskauer Militärdoktrin offiziell vertreten müssen, so sehr beunruhigt sie indes die radikale Rückentwicklung der deutschen Sozialdemokratie zu den Auffassungen der 50er Jahre ebenfalls.
Der Kollege Bahr — ich sehe ihn leider auch nicht — konnte sich gestern nicht genugtun, die Amerikaner zu verdächtigen und die Bundesregierung der Willfährigkeit gegenüber jener ach so gefährlichen amerikanischen Politik zu zeihen. Ich möchte dem Kollegen Bahr sagen: Auch wenn Sie den Standpunkt Moskaus noch so werbend auszulegen versuchen, die Mehrheit der Deutschen fühlt sich an der Seite der Amerikaner sicher.
Sein gestern nachträglich bekundetes Gefühl der Sicherheit während der Zeit SPD-geführter Bundesregierungen ist doch seinerzeit aber von Bundeskanzler Helmut Schmidt selbst in Frage gestellt worden. Er hat doch die internationale Lage — gegen jegliches Geschichtsbewußtsein — im August 1980 mit der Lage im August 1914 verglichen.
Im Laufe weniger Monate hat sich die SPD, auch wenn der Kollege Brandt, Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, das wegdiskutieren möchte, in eine totale Isolation innerhalb der meisten größeren sozialistischen Parteien Europas hineinentwickelt.
Amerikas Liberale, einst Befürworter eines deutschen Ausgleichs mit dem kommunistischen Osten, sind jetzt davon erschreckt, daß ihre sozialdemokratischen Partner von gestern die Grundlage dieses Ausgleichs, nämlich die feste Verankerung im NATO-Bündnis, zu verlassen beginnen.
Ich hege, ungeachtet seiner — verzeihen Sie — eher erbärmlichen Rabulistik von vorhin, keinen Zweifel an der subjektiven Aufrichtigkeit des Kollegen Apel, der das sozialdemokratische Nein zum Nachrüstungsteil des NATO-Doppelbeschlusses unter gar keinen Umständen als ein Nein zum Bündnis werten lassen wollte.
Aber, Herr Kollege Apel, haben Sie nicht noch vor eineinhalb oder zwei Jahren mit der gleichen subjektiven Überzeugung jede Voraussage zurückgewiesen, daß der sicherheitspolitische Kurs der SPD über kurz oder lang von Lafontaine, Eppler, Bahr und Genossen bestimmt werden würde? Deshalb ist die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen, dem sozialdemokratischen Nein zur Nachrüstung werde das sozialdemokratische Nein zur NATO folgen. Die Begründung dafür steckt j a schon in der gegenwärtigen antiamerikanischen Beweisführung. Interessant übrigens auch die feinsinnige, wenn auch falsche Vogelsche Unterscheidung zwischen dem amerikanischen Volk und seiner politischen Führung. Nur, meine Damen und Herren, diese politische Führung ist vom amerikanischen Volk gewählt, und sie wird, wenn nicht alle Anzeichen trügen, von ihm wiedergewählt werden. Die gleiche Unterscheidung habe ich bei der Kennzeichnung kommunistischer Staaten in letzter Zeit selten oder nie von sozialdemokratischer Seite gehört.
Dabei unterdrücken die Kommunisten die Freiheit radikal, und die kommunistischen Machthaber errichten auf dem Rücken ihrer Völker eine wirtschaftliche und militärische Macht, die zur wachsenden Bedrohung der Freiheit wird.
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2546 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bahr?
Mit Vergnügen! Bitte sehr, Herr Kollege Bahr.
Herr Kollege Klein, ich bitte um Entschuldigung, daß ich draußen eine Pfeife geraucht habe, aber ich habe Ihnen dennoch zugehört. Meine Frage ist: Warum haben Sie und Ihre Freunde dann den Vorschlag der SPD abgelehnt, mit der Entschließung der Zweidrittelmehrheit des Repräsentantenhauses solidarisch zu sein?
Herr Kollege Bahr, die Zweidrittelmehrheit des Repräsentantenhauses hat in einer bestimmten Situation zu einer bestimmten Frage Stellung genommen.
Wir haben hier die Kontinuität einer Politik zu vertreten gehabt, auch im Sommer dieses Jahres, die über diesen Beschluß hinausging, die aus Ihrer Zeit datierte und die noch weit darüber hinausreichen wird im Interesse der Verbindungen, deren sich auch diese Zweidrittelmehrheit des Repräsentantenhauses seinerzeit in einem speziellen, schmalen Segment angenommen hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie auch eine Frage des Abgeordneten Reddemann?
Bitte sehr, Herr Kollege Reddemann.
Herr Kollege Klein, könnte es sein, daß wir gemeinsam den Herrn Kollegen Bahr bitten würden, eine Solidarität mit der Mehrheit des Senats zustande zu bringen, die nämlich den Vorschlag des Repräsentantenhauses abgelehnt hat?
Herr Kollege Reddemann, danke für diese Zwischenfrage.
Dem Kollegen Bahr sind diese Zusammenhänge ganz präzis bekannt. Und er muß jetzt natürlich nach Begründungen suchen, die seine sowjetfreundliche Linie in Amerika nicht ganz zusammenbrechen lassen.
— Der Kollege Bahr würde es sich verbitten, daß Sie das Wort „sowjetfreundlich" für eine Beschimpfung halten.
Auch wenn Sie das jetzt nicht akzeptieren: Die CDU/CSU-Fraktion bedauert den Weg, den die deutsche Sozialdemokratie wieder einmal einschlägt.
Wir empfinden keine billige Genugtuung darüber, daß Sie sich erneut für viele Jahre ins innen- und außenpolitische Abseits stellen. Denn die Mehrheit links der Mitte, von der Willy Brandt träumt, werden Sie nicht finden. Die deutsche Arbeiterschaft wird Ihnen auf diesem linksintellektualistischen Weg nicht folgen.
Aber es gibt in der heute schon mehrfach berufenen 120jährigen Geschichte der SPD offenbar eine schicksalhafte Zwangsläufigkeit des Pendelausschlags von der marxistisch-doktrinären zur reformistisch offenen Linie und zurück.
Der Pendelausschlag nach links war aber fast immer gleichbedeutend
mit einem beträchtlichen Verlust an öffentlicher Zustimmung und damit an parlamentarisch-politischer Gestaltungsmöglichkeit.
In den 50er Jahren hat sich die SPD gegen die Einbindung in die westliche Staatengemeinschaft, gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Soziale Marktwirtschaft gewandt. Und sie hat damals im Verein mit einschlägigen Bewegungen, vor allem aber auch damals im Gleichklang mit sowjetischen Drohungen apokalyptische Szenarien entworfen.
Erst als sich die SPD bereit fand, die Erfolge der von CDU/CSU-geführten Bundesregierungen erzielten Politik
anzunehmen, sich ihnen anzupassen, eröffnete sich auch der SPD ein Weg in die Regierungsfähigkeit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2547
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Schließlich — um das Folgende vorauszusagen, bedarf es keiner prophetischer Gaben —:
Es wird auch nach Beginn der Stationierung keine Eiszeit in unseren Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten und zur DDR geben. Die Sowjets werden mit den Amerikanern so oder so weiterverhandeln.
Die Amerikaner und unsere anderen Verbündeten werden nach Jahren der Irritation und der Ungewißheit wieder an die Zuverlässigkeit der Deutschen glauben können. Und angesichts eines geschlossenen Westens wird sich Moskau letztendlich auch zu ernsthaften Abrüstungsverhandlungen bequemen müssen: im Interesse beider Seiten, im Interesse der gesamten Menschheit.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Sehr geehrte Frau Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Klein, Sie haben vorhin mit Recht den Kollegen Feldmann wegen der Ernsthaftigkeit seines Diskussionsbeitrages gelobt. Das, was Sie hier an Jauche über die Sozialdemokraten geschüttet haben,
verdient an und für sich die Auseinandersetzung nicht.
Gestatten Sie mir dennoch drei Anmerkungen.
Erstens. Sie haben mit Intellektualismus wohl nichts im Sinn, weder mit linkem noch mit rechtem. Das ist in dieser Rede deutlich geworden.
Zweitens. Mein Genosse Brandt hat es nicht nötig, mit Mätzchen ins Fernsehen zu kommen, auch nicht mit dem Mätzchen Geißler.
Drittens. Wir bedauern selbstverständlich das Plakat, das Sie hier gezeigt haben. Wir halten das nicht für die richtige Form der politischen Auseinandersetzung. Aber es ist doch kein Wunder, wenn junge Leute zu solchen Formen kommen, denn sie haben doch im Jugendminister das allerbeste Beispiel dafür.
Aber nun lassen Sie mich bitte meinen Grant hinunterschlucken. Ich will versuchen, wieder zu einer vernünftigen Auseinandersetzung zu kommen.
— Wer hat sie denn geschüttet? Er doch und nicht ich! —
Der Fürst hält den Krieg nicht für nahe bevorstehend, weil weniger die friedliche Gesinnung aller Regierungen als die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Chemiker in der Erfindung neuer Pulversorten und der Techniker in der Vervollkommnung der militärischen Ballistik den Frieden bisher erhalten haben.
Der Fürst war Bismarck, und geschrieben hat das Bertha von Suttner.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Ja, gern.
Frau Kollegin, nachdem Sie landwirtschaftliche Dinge in die Debatte eingeführt haben, was ich für unparlamentarisch halte, möchte ich Ihnen, nachdem fast nur Linke aus der sozialdemokratischen Fraktion sprechen, doch die Frage stellen: Schämen sich Ihre anderen Kollegen, hier heute aufzutreten?
Ich habe jetzt den Sinn dieser Frage wahrhaftig nicht verstanden.
— Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Es ist auch akustisch etwas schwierig.Schon immer, sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen, haben Politiker den Frieden gewollt, doch immer haben sie auf Abschreckung, auf technische Überlegenheit gesetzt. Schon immer hat irgendwann die Abschreckung versagt, und schon immer haben immer schrecklichere Kriege stattgefunden.Haben wir denn hier heute alle miteinander die Zweifel derer beseitigt, die sich — meistens zum erstenmal — an Abgeordnete gewandt, 520 Kopien hergestellt — das ist keine Selbstverständlichkeit — und mehr als 200 DM für Porto ausgegeben haben? Sind wir zumindest auf deren Zweifel eingegangen? Meine Zweifel bleiben bestehen. Ich sehe wohl die Notwendigkeit der Verteidigungsfähigkeit, nicht aber die Notwendigkeit dieser Art von Abschreckung.
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2548 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Frau Schmidt
Die neuen Atomwaffen sollen uns schützen, doch was ist das für ein Schutz, wenn mit der Stationierung die Gefahr eines Atomkrieges größer wird?
— Ich erhebe mich nicht über Sie; das liegt mir ganz fern. — Ich frage Sie, sehr verehrte Kollegen von der CDU/CSU: Warum haben Sie eigentlich so wenig Vertrauen — das Sie aber von der Bevölkerung verlangen — in unsere Überlegenheit? Ich meine damit nicht die zahlenmäßige militärische Überlegenheit, sondern ich meine die Überlegenheit unseres Gesellschaftssystems. Warum haben Sie so wenig Vertrauen in die Tatsache, daß sich unsere Bürger weitestgehend mit diesem Staat identifizieren,
daß es, wie Sie sehr richtig bemerkt haben, bei uns Freiheit und keine Unterdrückung gibt? Warum bauen wir nicht gemeinsam diese Überlegenheit aus, durch weitere Demokratisierung unserer Wirtschaft, durch Gesetzgebung, die soziale Gerechtigkeit herbeiführt, durch weitere Demokratisierung unserer Gesellschaft, damit wir mit den Bürgern reden, sie sich von uns vertreten fühlen können und wir sie nicht mit Wasserwerfern von der Straße fegen lassen?
— Ich komme gleich dazu, ein bißchen Geduld.Ein Staat, der von den Bürgern vorbehaltlos bejaht wird, ist für den Angreifer, für den Erpresser und für den Besatzer ein unkalkulierbares Risiko.
Um so mehr trifft das zu, desto weniger das seine eigenen Bürger und damit auch seine eigenen Soldaten tun.
Warum blasen Sie eigentlich unsere potentiellen Gegner zu Goliaths auf? Warum sagen Sie nicht, daß diese Goliaths gesellschaftliche, freiheitliche, aber auch technologische und leider inzwischen — in sehr eingeschränktem Umfang — soziale Zwerge gegen uns sind?
Wie sehen Ihre Antworten auf die Appelle der Gewerkschaften aus? Die Gewerkschaften haben am 5. Oktober für fünf Mahn-Minuten für den Frieden aufgerufen. Der Herr Bundeskanzler hat diesen Aufruf als nicht einseitig und als maßvoll gelobt. Wo blieben aber die Worte des Bundeskanzlers, als Arbeitgeberverbände die Gewerkschaften deshalb maßlos angegriffen haben? Wäre hier nicht auch ein Wort angebracht gewesen,
wäre es nicht richtig gewesen zu sagen: Selbstverständlich haben zu hohe Rüstungsausgaben etwas mit Arbeitslosigkeit, Abbau gesetzlicher, tariflicher und betrieblicher Sozialleistungen zu tun,
und deshalb ist Friedenssicherung selbstverständlich ein Thema für Gewerkschaften und Betriebsräte, und zwar im Betrieb.
Der Herr Bundeskanzler hat wie auch Minister Lambsdorff seine japanischen Erfahrungen. Warum hört man so wenig darüber, daß dort ein wichtiger Grund für vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquoten der niedrige Verteidigungshaushalt ist?
— Ich sagte „ein Grund", nicht der einzige. Neue Atomraketen und Hochrüstung müssen mit weiterem Sozial- und Bildungsabbau bezahlt werden. Rüstung schafft keine sicheren Arbeitsplätze; im Gegenteil, sie vernichtet Arbeitsplätze. Dies haben Betriebsräte und Vertrauensleutekörper erkannt, und nicht nur in meinem Wahlkreis haben Urabstimmungen zur Frage der Raketenstationierung stattgefunden, und zwar mit überwältigenden Ergebnissen für ein Nein.
— Das reiche ich Ihnen gern nach.Das haben auch gerade Frauen erkannt. Sie sind, wie immer, besonders betroffen: Renten, Sozialhilfe, Mutterschaftsurlaubsgeld, um nur wenige Stichpunkte zu nennen.
— Sozialabbau und Hochrüstung haben etwas miteinander zu tun.
Viele Frauen haben sich in der Friedensbewegung zusammengefunden. Mütter haben in der Münchner Liebfrauenkirche eine Fastenaktion versucht. Sie erklärten: Wir wollen nicht mehr nur Kinder gebären, ernähren, pflegen und trösten, ihre Schularbeiten betreuen und für Kriege großziehen, sondern wir wollen ihr Leben schützen.
Wir wissen, Kinder brauchen Vertrauen und Liebe und keine Pershing II und keine SS 20.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2549
Frau Schmidt
Und weil auch das Frauen betrifft; Herr Kollege Waigel hat das gestern in die Diskussion eingeführt, ich hätte es von selbst nicht gebracht: Er hat uns aufgefordert, die Stellungnahme der Kirchen zum § 218 genauso ernst wie die zur atomaren Abschreckung zu nehmen. Ich verstehe, daß man aus ethischen, religiösen und moralischen Gesichtspunkten in dieser Frage zu anderen politischen Ergebnissen kommen kann, als ich es tue. Ich frage aber die 52 Kollegen und Kolleginnen der CDU/ CSU, die eine Gesetzesänderung beabsichtigen: Wie vereinbaren Sie das mit Ihrem Ja zu den Raketen, mit Ihrem Ja zum möglichen Versagen der Abschreckung und dem möglichen atomaren Holocaust?
Frauen lassen sich auch nicht länger Rationalität ab- und Naivität zusprechen, wenn sie eine Politik angreifen, die in den bisher gut 24 Stunden unserer Debatte 40 000 Kinder verhungern läßt. Frauen wollen endlich Antworten. Und es ist keine Antwort, die angebliche Rationalität des Overkill mit Bündnistreue zu begründen.
Das Bündnis ist doch kein abstrakter Wert, das Bündnis sind doch auch wir. Das sind doch auch unsere Interessen.Auch die meisten Frauen sind nicht für Wehrlosigkeit. Sie haben aber erkannt, daß es eine Stufe der bis an die Zähne bewaffneten Wehrhaftigkeit gibt, die zur Hilflosigkeit wird.Frau Verhülsdonk, Sie haben heute von Psychosen in der Friedensbewegung gesprochen.
— Ja, finde ich auch. Ich gebe Ihnen insoweit recht, als selbstverständlich morgen nicht alles zu Ende ist. Die Wahrscheinlichkeit des Endes wird nur größer, und das ist schlimm genug. Ist es aber nicht eine ebenso große oder noch größere Psychose, so zu tun, als ob wir tatsächlich vor der Alternative Nachrüstung oder Verlust unserer Freiheit stünden?
So werden auch Sie alle von Frauen gefragt. Ich zitiere aus einem Brief: Fühlen Sie sich kompetent, eine persönliche Garantie zu übernehmen, daß die immense Vermehrung atomaren Sprengstoffs niemals zu einem Atomkrieg aus Versehen führen wird, daß also niemals durch menschliches oder technisches Versagen eine atomare Apokalypse entfacht werden könnte? — Nein, ich fühle mich nicht kompetent, diese Garantie zu übernehmen.
Sie haben darauf bis heute keine Antwort gegeben. Hier und heute wäre endlich der Platz dafür.
Die Menschen fragen in ihren Briefen: Sind Sie sicher, daß die Abschreckung auch in Zukunft nach dem Motto funktioniert: Je unsicherer mein Gegner ist, desto sicherer bin ich? Könnte sich nicht das Gegenteil als Wahrheit erweisen: Je bedrohter mein Gegner sich fühlt, desto gefährlicher wird er?
Sie haben auf keine dieser Fragen bisher eine Antwort gegeben.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Betroffenheit allein genügt eben nicht;
wir müssen auf konkrete Fragen auch konkrete Antworten geben.
Weil das so ist, weil wir durch die neuen Raketen schwächer und nicht stärker werden,
gibt es in meinen Augen nur ein Nein zur Stationierung, ein endgültiges Nein zu jeder weiteren Umdrehung der Rüstungsspirale.
Es muß andere Möglichkeiten geben, als sich gegenseitig die Vernichtung anzudrohen. Ich hoffe, die Anhörung zu alternativen Verteidigungsstrategien wird uns bald Möglichkeiten zeigen.
Ich hoffe ebenso, daß die Diskussion zu diesem Thema dann nicht genauso verhärtet ist wie die Diskussion, die wir in diesen zwei Tagen geführt haben.
Es mag eine Utopie sein, Panzer zerlegen zu wollen, um daraus Rettungshubschrauber zu bauen, an Stelle des Tornado Umweltschutzsysteme zu schaffen, statt Fregattenbau Meerestechnik zu fördern — eine Utopie, Angst abzubauen.
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2550 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Warum haben Sie den Bürgern dazu keine konkreten Vorschläge gemacht, z. B. den Abschluß privater Friedensverträge von Menschen in Ost und West?
— Das ist keine Kinderei, das ist Kennenlernen und Verstehenlernen, das ist aktive und praktische Friedensarbeit.
Ein letztes Wort an die Kinder in der Friedensbewegung. Eltern wurden angeprangert, die ihre Kinder am 22. Oktober zu Friedensdemonstrationen mitgenommen haben.
Ich habe selbst drei Kinder, und ich sage Ihnen: Es ist eher umgekehrt.
Bereits die Zehnjährigen nehmen ihre Eltern mit.
— Ja, das finde ich gut. Zwei Themen sind es, die sie bewegen:
das Waldsterben und das Aufrüsten. Sie spüren, daß wir im Begriff sind, ihre Welt zu zerstören. Und die vielen Aktionen in der Friedenswoche, mit Tausenden von Kindern und Jugendlichen, an Schulen und Universitäten, unter Hinnahme persönlicher Nachteile zeigen deutlich: Hier wurde niemand mißbraucht.
Und so möchte ich schließen mit dem Text des Transparents von Jugendlichen, auf der Demonstration in Neu-Ulm getragen.
Darauf stand: „Ihr geht mit der Welt um, als hättet ihr eine zweite im Keller". Zeigen wir ihnen doch, daß sie sich getäuscht haben!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horacek.
Liebe Mitbürger! Wie manche von Ihnen bereits wissen, bin ich nicht hier, sondern in der Tschechoslowakei geboren, wo ich bis 1968 mehr als eine Hälfte meines Lebens verbracht habe, wo ich dann auch nachträglich 1980 ausgebürgert wurde.
In der Tschechoslowakei leben meine Verwandten, meine Freunde — Menschen, die ich genauso gern mag wie meine Mitbürger und Freunde hier.Für mich ist also die Frage nach dem Verhältnis von Ost und West nicht bloß ein politisches Problem oder gar eine Phrase, sondern ein persönliches Problem. Ich leide unter allem, wodurch die Politik, sei es die der einen oder anderen Seite, sei es die der Regierung oder der Militärblöcke, den Menschen das Leben im Westen oder Osten erschwert. Ich freue mich über alles, was die Lebensqualität dort oder hier erhöht.Das Problem, über das wir hier sprechen, stellt eine zentrale Frage nicht nur für die Lebensqualität der Menschen auf diesem Kontinent dar, sondern es ist die zentrale Frage der menschlichen Existenz schlechthin.Laßt uns dennoch davon ausgehen, daß das Weiterdrehen an der Spirale der gefährlichen atomaren Aufrüstung amerikanischer Raketen hier und die schon angekündigte Aufstellung von neuen Raketen in der DDR und in der Tschechoslowakei, gegen die wir genauso kämpfen wie gegen die SS 20, nicht sofort und nicht unmittelbar zu einem heißen, sondern „bloß" zum Kalten Krieg führen werden.Ich möchte jetzt die Sicherheitsaspekte der ganzen Sache nicht problematisieren. Das haben andere von uns getan. Für mich stellt sich die Frage — und zwar ganz ernst — nach den Folgen der Aufrüstung für das alltägliche Leben der Menschen — ich will nicht sagen, der einfachen Menschen — hier und meiner Freunde in der Tschechoslowakei, in der DDR, in Osteuropa. Ist jemand von Ihnen tatsächlich davon überzeugt, daß die Entscheidung, weitere Atomwaffen in Europa zu stationieren, die Lage der Menschen hier und dort verbessert, daß sich jeder freier, sicherer und mündiger fühlen wird als heute? Wir alle wissen, daß dem nicht so ist, daß die Abkühlung der Beziehungen, die Verschärfung ideologischer Normen und die Betonung von Feindbildern nicht nur im Osten, sondern auch hier die Freiheit des einzelnen einengen,
viele Menschen verunsichern und ihre Rechte wieder ein Stück einschränken.In einer Diskussion der Redaktion der „Zeit" mit Franz Josef Strauß fragte einer der Redakteure, ob Strauß wisse, daß viele junge Leute vor ihm Angst haben, daß sie Angst davor haben, daß seine Arroganz zur politischen Norm werden könnte. Er erfaßte damit die Meinung vieler junger Menschen aus diesem Land, in dem der Kampf um die Menschenrechte und Freiheiten viel feinere und subtilere Formen aufweist, als es im Osten der Fall ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2551
Dort, in Osteuropa, wird dieser Kampf viel direkter ausgetragen. Die „Charta '77" beschrieb vor einigen Tagen in ihrer Erklärung zu Fragen der Friedenssicherung, wie brutal die tschechoslowakische Polizei gegen die führenden Repräsentanten dieser Bewegung, auch gegen den ehemaligen Außenminister Jiri Hajek, vorgegangen war,
und zwar unter dem Vorwand, daß die „Kriegsgefahr gewachsen sei und daß jede Kritik an Maßnahmen, die der tschechoslowakische Staat als Reaktion auf die Stationierung amerikanischer Raketen in Europa ergreift", d. h. beispielsweise die Kritik der Aufstellung sowjetischer Raketen auf tschechoslowakischem Boden, als Verbrechen gegen die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu betrachten sei.Klingt uns da nicht etwas im Ohr, was uns inzwischen auch hier einige Politiker einreden wollen?
In der DDR, wo wir die unabhängige Friedensbewegung unterstützen — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daweke?
Sie wissen, daß ich sehr wenig Zeit habe. Die GRÜNEN haben eine knapp bemessene Zeit.
Ich mache Ihnen einen Vorschlag.
Dann fahren Sie doch bitte in Ihrer Rede fort.
Sie haben mindestens das Vierfache oder Fünffache an Redezeit.
Aber ich mache einen Abrüstungsvorschlag. Sie übernehmen die Zeit für Frage und Antwort, und ich gestatte Ihre Zwischenfrage.
Herr Abgeordneter, fahren Sie in Ihrer Rede fort, wenn Sie die Zwischenfrage nicht zulassen.
— Herr Daweke, sie ist nicht zugelassen.
Doch, wenn Sie mir die Zeit von Ihrem Geschäftsführer zusprechen lassen.
Ich möchte wiederholen,
daß wir die Friedensbewegung in Osteuropa unterstützen: die unabhängige Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen" in der DDR, die Menschenrechtsbewegung „Charta '77" in der Tschechoslowakei, die Gewerkschaftsbewegung „Solidarność" in Polen, die Dialog-Gruppe in Ungarn und die Helsinki-Gruppen in der Sowjetunion. Wir unterstützen sie aus folgendem Grund. Wir sind der Meinung, daß das, wofür sie kämpfen, ein Bestandteil der Menschenrechte ist. Menschenrechte gehören zum inneren Frieden. Äußerer und innerer Frieden ist für uns unteilbar.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung machen. Waclaw Havel, einer der profiliertesten Vertreter und ehemaliger Sprecher der „Charta '77", ein Dramatiker von Weltruf, der jetzt gerade nach mehreren Jahren aus dem Gefängnis gekommen ist, hat eine Anmerkung in einem Gespräch gemacht, das für jeden zugänglich ist, weil es in den meisten großen Zeitungen des Westens erschienen ist. Er hat gesagt: Wenn ich ein Mensch im Westen wäre, wäre ich in den Reihen der Friedens- und Ökologiebewegungen.
Das hat er nicht nur wegen der sterbenden Wälder in der Tschechoslowakei gesagt, sondern gerade auch wegen der Bedrohung, die von der weiteren Aufrüstung ausgeht.
Ich möchte zu diesem Komplex unseren Freunden in Osteuropa sagen, was hier passiert, was ich an verschiedenen Punkten der Auseinandersetzung in der parlamentarischen Demokratie des kapitalistischen Typus erlebt habe, also hier in der Bundesrepublik, ob das in Gorleben war, an der Startbahn West oder jetzt in Bitburg.
— Und gestern und heute in Bonn. — Gerne möchten viele Freunde des Herrn Minister Zimmermann ähnlich vorgehen. Oft verschweigen sie das gar nicht, sie machen es; nur, die Verfassung gestattet es nicht so ganz.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende, wenn Sie bitte zum Schluß kommen wollen.
Schließen Sie mit einem letzten Satz.
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2552 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Ein letzter Satz.
Für uns ist eine Sache wichtig. Wir haben, von Roland Jahn von der Friedensgruppe Jena mitgebracht, von „Frauen für den Frieden" Hunderte von Fotos aus der DDR bekommen. Sie müssen wissen, die Raketen sind auf diese Menschen gerichtet.
— Wir werden die Fotos jetzt überreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat heute eine sehr wichtige Entscheidung zu fällen. Meine Entscheidung wird diesmal von der meiner Partei und meiner Fraktion abweichen. Ich möchte deshalb meinen politischen Freunden, die eine andere Haltung haben, für ihre Haltung ausdrücklich meinen Respekt sagen.
Einen Augenblick, bitte.
Meine Damen und Herren, es geht nicht, daß Sie beim Verteilen von Material, Diskussionen beginnen,
so daß der Redner nicht sprechen kann. Ich bitte sehr herzlich, das zurückzustellen und dem Redner die Möglichkeit zu geben, hier ungestört zu reden.
Ich bitte herzlich um Ihr Verständnis. Nehmen Sie bitte Platz. Das ist in diesem Raum so üblich.
Wenn Sie noch einmal beginnen würden, Herr Kollege. Bitte!
Eine Analyse der augenblicklichen Situation kann in dieser Frage durchaus zu dem Ergebnis führen, zu dem die Mehrheit meiner politischen Freunde sich bekennt. Betroffen bin ich nur über eines, was der Verlauf der heutigen und der gestrigen Auseinandersetzung gezeigt hat: ich bin betroffen von der Einstimmigkeit insbesondere bei Ihnen, den Christlichen Demokraten. Sie werden für die Zukunft nicht mehr behaupten können, daß Sie ein Spiegelbild der besonders christlich engagierten Gruppen in unserem Lande sind. Dies ist mit diesem Tag zu Ende.
Ich möchte meine Haltung wie folgt begründen:Ich bin gegen die Stationierung bis zum 30. Juni 1984. Ich bin dafür, daß während dieser Zeit intensiv weiter verhandelt wird. Ich will auch sagen, warum. Gerade in den letzten Tagen hat es eine Vielzahl von Unklarheiten in Genf gegeben,
auch solche, auf die dann ganz offensichtlich auch die Bundesregierung hereingefallen ist. Denn ich halte es für unverantwortlich, unabhängig davon, daß das geklärt werden kann, zu sagen: wir fangen jetzt an.
Es ist unbestritten, daß die beiden Partner sich nähergekommen sind und daß die Zeit ausreichen könnte, bis zum 30. Juni ein Verhandlungsergebnis zu erreichen.
Für mich ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Verhandlungen in jedem Fall fortgesetzt werden. Ich befinde mich in dieser Frage in Übereinstimmung mit Senatoren und Abgeordneten des Parlaments der Vereinigten Staaten,
insbesondere mit der Gruppe um den Senator Kennedy.Ich trete dafür ein, daß, wenn bis zum 30. Juni kein Verhandlungsergebnis erreicht ist, am 1. Juli 1984 mit der Stationierung von 10 % der vorgesehenen Systeme begonnen wird, mit dem entsprechenden Zeitplan, den Helmut Schmidt hier vorgetragen hat.
— Ich habe keine Zeit, Fragen zu beantworten; es tut mit sehr leid.Wenn ich hier ganz klar und eindeutig sage, am 1. Juli, dann insbesondere deshalb, weil ich auch über die Haltung der Sowjetunion enttäuscht bin, die die Möglichkeit gehabt hätte, durch einen einseitigen Abbau einer bestimmten Anzahl von Systemen von SS 20 dafür Sorge zu tragen, daß in Europa eine neue Situation entstanden wäre, daß man über die Frage der Stationierung hätte nachdenken können und die Voraussetzungen für weitere Verhandlungen gegeben wären.
— Wer bei derart unklaren Verhältnissen, wie sie in den letzten Tagen gegeben waren — die Zeit reicht leider nicht aus, das Punkt für Punkt aufzuführen —, dennoch sagt, „daß ist mir völlig gleichgültig, jetzt wird stationiert", der handelt unverantwort-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2553
Wischnewskilich. Eine solche Haltung ist aus meiner Sicht unverantwortlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben in der Debatte von gestern und heute die Gelegenheit wahrgenommen, über das Bündnis und die Haltung meiner Partei und meiner politischen Freunde dazu zu sprechen. Deswegen muß ich dazu einige Bemerkungen machen. Der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei hat zu dieser Frage einen einstimmigen Beschluß gefaßt.
Der Text, der verabschiedet worden ist, lautet wie folgt:Die einzig wirksame Landesverteidigung für unser Land ist die Kriegsverhütung. Diesem Ziel hat die Bundeswehr und haben Politik und Strategie des Bündnisses zu dienen. Bündnis, NATO und Bundeswehr sind für die Erreichung dieses Zieles unverzichtbar. Den Soldaten der Bundeswehr gebührt für ihren Dienst Respekt und Dank.Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Im gemeinsamen Interesse und im Interesse unseres Landes sollten Sie diesen Absatz, der von dem Parteitag meiner Partei einstimmig verabschiedet worden ist, sehr ernst nehmen.
In den zukünftigen Verhandlungen innerhalb des Bündnisses wird es im Interesse unseres Landes sein, daß die Bundesrepublik Deutschland dort eine starke Position hat. Wenn Sie aber einen sehr großen Teil der Menschen in unserem Lande — und das sind nun einmal die sozialdemokratischen Wähler — in Zweifel ziehen wollen, dann mögen Sie damit parteitaktisch Vorteile erreichen können; unserem Land insgesamt erweisen Sie allerdings einen schweren Schaden. Ich möchte Sie herzlich darum bitten, das bei der zukünftigen Diskussion zu überdenken.
Wenn Sie für das Bündnis etwas tun wollen, dann habe ich die herzliche Bitte an Sie, in den Nordatlantikvertrag hineinzuschauen. Artikel 1 lautet:Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.Der weitaus größte der westeuropäischen Staatenund Regierungen ist der Auffassung, daß die Politikder Vereinigten Staaten gegenüber Nicaragua mitArtikel 1 des NATO-Vertrages nicht in Übereinstimmung steht.
In Artikel 2 lautet der letzte Satz: Sie
- die Mitglieder der NATO —werden bestrebt sein, Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen oder allen Parteien zu fördern.Nahezu alle europäischen Mitglieder unseres Bündnisses sind der Auffassung, daß die Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten mit Artikel 2 des Bündnisvertrages nicht in Einklang zu bringen ist.
Artikel 4, meine sehr verehrten Damen und Herren, lautet:Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind.Die Bundesregierung hat hier vor dem Hohen Hause erklärt, daß im Falle Grenada weder eine Information, geschweige denn eine Konsultation erfolgt ist. Das ist die Aussage der Bundesregierung. Dieses ist mit Artikel 4 des Atlantikvertrages nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist im Interesse des Bündnisses besser, sich darum zu bemühen, daß diese Dinge in Ordnung gebracht werden, anstatt Behauptungen aufzustellen, die mit der Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht übereinstimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An die verehrte Fraktion der GRÜNEN möchte ich sagen: Erstens sollten Sie keine Bilder verteilen, die alle mit der gleichen Handschrift beschriftet sind. Das riecht nämlich nach Fälschung, das ist gar nicht grün bzw. redlich.
Zweitens. Wenn Sie mir ein Bild geben, sollten Sie mir die Adresse draufschreiben. Dann setze ich mich mit den Leuten in Verbindung. Drittens. Die bestehenden SS 20 sind auf unsere Kinder gerich-
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2554 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Ertltet, die noch nicht installierten Pershing schießen noch nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Sicher, Herr Stratmann. Ich will mir zwar nicht meine Zeit stehlen lassen, aber ich bin ein dialogfreudiger Mensch.
Herr Ertl, ich bedaure selbst, daß auf den Fotos und den persönlichen Zuschriften nicht die persönliche Adresse ist, weil ein Kollege der CDU das Bedürfnis hatte, selbst dorthin zu schreiben. Aber sind Sie bereit, Ihre Aussage von eben, daß alle Bilder mit der gleichen Schrift beschriftet sind, zurückzunehmen? Wenn Sie auch nur zehn Unterschriften miteinander vergleichen, werden Sie zu dem genau umgekehrten Ergebnis kommen. Ich halte das für eine Diffamierung.
Ich habe drei Bilder mit drei Schriften gesehen. Vielleicht gibt es dreimal drei Schriften; das räume ich gern ein. Das ändert noch lange nichts daran, daß ich das für eine Fälschung halte.
Aber Sie können mir ja den Wahrheitsbeweis liefern, daß sie nicht gefälscht sind, daß es keine fingierten Bilder sind.
Ich möchte heute eine Frage stellen, weil ich beim Lieblingsthema der GRÜNEN bin, an die — —
— Erst rede ich. Ich habe bei Ihnen immer aufgepaßt: Sie fallen durch eine außerordentlich geringe Disziplin auf. Das muß ich Ihnen als älterer Kollege einmal sagen.
Sie verlangen so viel Respekt und Anerkennung, sind aber respektlos gegen jeden anderen Kollegen in diesem Haus.
Ich glaube, auch die Kollegin Schmidt aus Nürnberg hat darauf hingewiesen, daß in der Tat 40 000 Kinder permanent vom Tod bedroht sind. Man kann auch sagen, daß 400 Millionen Menschen zumindest an Hunger leiden. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer den Duktus dieser Ausführungen hörte, der merkte sofort: Es ging dann über zu Pershing und Amerika.
Dazu möchte ich feststellen: Die Waffen für Kriege, mit denen in Afrika und Asien Kinder ermordet werden, kommen hauptsächlich aus dem östlichen Bereich, speziell von der Sowjetunion.
— Ja, bitte. Aber es muß bei der Zeit berücksichtigt werden.
Die Zeit sind 15 Minuten, Herr Kollege.
Dann tut es mir leid. Herr Vogel hat auch keine Antwort gegeben. Tut mir leid, Herr Hoffmann. Wenn Sie mir Zeit geben, können Sie mit mir stundenlang diskutieren. Das hat die CDU schon mal probiert.
Wenn sich die Sowjetunion einschließlich ihrer Verbündeten in demselben Umfang wie die Bundesrepublik an der Welthungerhilfe beteiligte, gäbe es weniger tote Kinder und weniger Hunger in der Welt.
— Das ist die Praxis, verehrter Freund. Sie ist leider etwas anders als abstrakte Ideologie und Theorie.
Mir macht — ich sage das mit allem Ernst; wir sind ja am Schluß dieser Debatte — nicht die Frage Sorgen, wie unser Verhältnis im Bündnis ist, sondern die Frage: Wie sehen die Bündnispartner die Bundesrepublik Deutschland?Ich möchte wegen der fortgeschrittenen Zeit — ich habe mich ja auch noch auf eine Frage eingelassen — auf die mir vorliegenden Presseberichte nicht näher eingehen. Wenn ich die Gelegenheit dazu bekäme, würde ich es zu Protokoll geben. Sie können sich die Presse aus Frankreich, aus Brüssel, aus Italien, ganz allgemein aus dem Bündnis ansehen
— auch die Presse der Sowjetunion, aber ich habe bewußt mit dem Bündnis angefangen —, die mit Sorge die Entwicklung in unserem Land sieht.
Es wird nämlich die Frage gestellt: Sind die Bundesrepublik Deutschland und die sie tragenden Parteien in sicherheits- und außenpolitischen Fragen noch konsensfähig? Dieser Zweifel wird mit Recht nach dieser Debatte angemeldet.
Das ist eine schwerwiegende Verantwortung.
Ich habe mir meinen kurzen Redebeitrag nicht leichtgemacht. Ich habe sehr viel Quellenstudium betrieben. Ich möchte nicht zu 1979 zurückkehren. Aber, ich glaube, Herr Kollege Brandt ist uns allen eine Erklärung schuldig. Ich verlese aus seinem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2555
ErtlBeitrag — ich gebe zu: sehr verkürzt; das läßt die Zeit nicht anders zu —:Zur Entscheidung steht heute nicht der Doppelbeschluß. Der ist längst gefaßt.So am 25. Mai 1981.Man muß sich fragen: Welche Fakten begründen eine so veränderte Position, wie Kollege Brandt und die Mehrheit der SPD sie jetzt in dieser so wichtigen, für die Freiheit in Europa und in der Welt und für die Stabilität von Freiheit in der Welt entscheidenden Frage einnehmen?
Ich sage das, weil unser Außenminister mit Recht sagen kann, er hat die Politik fortgeführt, die unter Helmut Schmidt und mit Helmut Schmidt eingeleitet worden ist, die noch ihren Niederschlag in dieser Entschließung fand. Wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich diese Entschließung nicht zitieren. Hier müssen doch gravierende Tatsachen eingetreten sein.Ich habe sehr aufmerksam zugehört, über 27 Stunden. Da hat einmal der Herr Schily gesagt: Freiheit in Frieden ist für uns keine Alternative. Für mich ist das überhaupt die Frage.
— Freiheit oder Weltuntergang? Diese Frage stellt sich in der Tat nicht, weil ich glaube, daß wir nur in Freiheit überleben. Aber ich sage Ihnen: Die Möglichkeit „Unfreiheit und Frieden" könnte durchaus gegeben sein, wenn die Deutschen zu einer Wackelpolitik zurückkehren
und zu einem unzuverlässigen Partner werden. Aber daß es nicht dazu kommt, dafür sorgt die Koalition, dafür sorgt unser Außenminister und die Glaubwürdigkeit einer kontinuierlichen Politik.Immerhin muß ich Ihnen einräumen, Herr Schily, Sie sind konsequent, denn Sie sagen „raus aus der NATO", wenn ich es richtig verstanden habe.
— Ja, Neutralisierung, natürlich. Sie werden doch nicht glauben, daß wir für die Franzosen — —
Sie sind ja doch intelligent genug, das traue ich Ihnen zufällig zu.
— Das muß ich nicht noch einmal sagen. Sie werden doch nicht glauben, daß nach den Artikeln, die Wischnewski zitiert hat, ein neutralisiertes Deutschland im Bündnis bleiben kann. Und Sie werden doch nicht glauben, daß das im Kräfteparallelogramm der Welt im Verhältnis der beiden Supermächte ohne Auswirkung bleibt. Das bedeutet natürlich Hegemonie über die Bundesrepublik Deutschland und damit den Fall Europas und damitden Fall Afrikas und des Nahen Ostens und des Mittleren Ostens bis weit nach Asien. Das ist doch die Frage, Freunde!
— Ich kann genausogut mit Afghanistan antworten. Mir gefallen manche Dinge nicht. Unser Außenminister hat sich nicht überall populär gemacht, selbst in Bayern nicht, in meinem schönen Heimatland und bei dem großen Ministerpräsidenten. Aber er hat den Amerikanern gesagt, wie er denkt. Das ist, glaube ich, eine richtige Verhaltensweise.Nein, die Frage lautet wirklich: wie zuverlässig, wie stabil ist die Politik der Bundesrepublik Deutschland, und welches Vertrauen haben wir in der freien Welt in der Solidargemeinschaft der Demokratien in Europa und im Atlantischen Bündnis bis nach Japan hin? Das ist die Frage.
Meine Redezeit geht zu Ende. Lassen Sie mich deshalb zusammenfassend Ihnen einige Thesen geben, worüber Sie nachdenken können. In dem Zusammenhang fällt mir ein: Der Sowjetunion ist es unbenommen, nach dieser Abstimmung zu erklären: „Wir machen Schluß mit SS 20, wir reduzieren, wir sind für die Verhandlungen voll offen." Das sagt auch diese Regierung, und das sagen die sie tragenden Fraktionen. Das ist ihr doch unbenommen. Dann passiert überhaupt nichts. Nur, das sage ich Ihnen, wer die Geschichte der Sowjetunion kennt, Herr Schily und Genossen, der weiß, die Sowjetunion hat noch nie Vorleistungen honoriert, noch nie!
Aber die Sowjetunion hat immer Offenheit, Redlichkeit und Beibehaltung einer redlichen Position honoriert.
Nun meine Thesen:
Erstens. Sicherheitspolitik ist für Liberale aktive Friedenspolitik, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen und die ihren lebendigen Ausdruck in der seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 von der FDP konsequent auf Frieden, Zusammenarbeit, Vertrauen ausgerichteten Außen-, Europa- und Deutschlandpolitik findet.Zweitens. Wir Freien Demokraten bekennen uns zu dem Ziel einer europäischen Friedensordnung, in der die Völker Europas in freier Selbstbestimmung gemeinsam ihre Zukunft gestalten. In diesem Europa soll der Nichtkrieg durch Abschreckung schrittweise abgelöst werden von einem Frieden durch Vertrauen und Zusammenarbeit. Deutschlandpolitik ist für die FDP europäische Friedenspolitik. Wir Deutschen sind uns unserer besonderen Verantwortung für den Frieden als Volk im Herzen Europas bewußt.
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2556 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
ErtlDrittens. Die Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der CSSR und der Grundlagenvertrag mit der DDR bleiben ebenso wie die KSZE- Schlußakte von Helsinki und das Schlußdokument von Madrid Richtschnur für liberale Außenpolitik der Entspannung und Zusammenarbeit mit allen Staaten des Ostblocks. Die FDP bekennt sich zur Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis und zur Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den anderen Verbündeten. Diese Freundschaft ist von gleichen Vorstellungen bestimmt: vom Wert der Freiheit, der Menschenwürde und des Rechts auf Selbstbestimmung. Wir verfolgen eine europäische Sicherheitspolitik.Aus dieser Grundstimmung heraus sagen wir ja, so sehr wir uns der Verantwortung und der Schwere dieser Entscheidung bewußt sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt hat heute von Zwischentönen gesprochen.
Solche Zwischentöne sind vor allen Dingen in Beiträgen von Kolleginnen und Kollegen des Hauses laut geworden, die sich sonst nicht mit Sicherheitsfragen beschäftigen und denen man angemerkt hat, wie sehr sie hier ihre eigenen Erfahrungen und Sorgen bei dem Versuch zum Ausdruck gebracht haben, zu einer eigenen Meinung zu kommen. Das, was ich sage, meine ich für die Rede der Frau Kollegin Geiger genauso wie für die der Frau Kollegin Huber oder der Frau Kollegin Nickels, für die von Herrn Waltemathe genauso wie für die von Herrn Höffkes.
Dies war nicht im gleichen Maße der Fall in den Hauptreden, die für die Union gehalten worden sind. Sie zeichneten sich durch einen eigenartigen Zwiespalt aus. Es wurde nämlich, wie mein Kollege Jochen Vogel schon gesagt hat, sehr viel über das geredet, was zwischen uns gar nicht streitig ist, während in bezug auf die Punkte, die streitig sind — und die konkrete Frage ist: soll die Stationierung von Pershing II auf deutschem Boden morgen beginnen? —, Weniges, sehr Pauschales oder Propagandistisches gesagt wurde.
Lassen Sie mich die Frage noch einmal aufgreifen: Es besteht kein Streit darüber, daß die Bundesrepublik geistig und politisch zum Westen gehört. Es besteht kein Streit darüber, daß unsere freie Lebensordnung verteidigungswürdig ist. Es besteht kein Streit darüber, daß die Sicherheit für unser Land nur im Bündnis zu gewährleisten ist.
Es besteht auch kein Streit darüber, daß eine gemeinsame Sicherheitspolitik nötig ist. Der einzige Streit, der hier besteht, ist, welche gemeinsame Sicherheitspolitik für Europa und für dieses Land nötig ist.
Ich bitte den Bundeskanzler, Herrn Wörner und alle Kollegen der Regierungskoalition, einmal zu überlegen: Was soll es eigentlich bedeuten, daß Sie wider besseres Wissen diese Behauptungen aufstellen, obgleich Sie damit dem Bündnis wie der deutschen Demokratie nur schaden können?
Ich finde, wenn ich darüber nachdenke, die Erklärung leider nur darin, daß Ihnen die Diffamierung des innenpolitischen Gegners offenbar eben noch immer allemal wichtiger ist als die von Ihnen verbal immer so groß beschworene Gemeinsamkeit in Existenzfragen der Nation.
Diese schlechte Tradition der deutschen Rechten, die Sie fortsetzen, ist ja wohl auch die einzige Erklärung dafür, daß der Herr Bundeskanzler auch heute nicht die Gelegenheit ergriffen hat, die Ungeheuerlichkeiten des Herrn Geißler hier vor diesem Hause aus der Welt zu bringen.
Da kann ich Ihnen nur sagen: Die Rolle, in die sich Herr Kohl hier begeben hat, ist nicht die des Staatsmannes, sondern die des Biedermannes als Brandstifter.
— Ja, schreien können Sie, aber Anstand wiederherstellen, das können Sie nicht, Ihr Kanzler auch nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?
Nein.Der Herr Bundeskanzler ist allerdings in diesem Versuch noch überboten worden,
und zwar von dem Herrn Kollegen Dregger und von dem Herrn Kollegen Wörner. Der Herr Kollege Dregger hat ihn an strammer Haltung übertroffen, und der Herr Kollege Wörner an diesem unnachahmlich hoheitsvollen Lächeln, das ja offenbar
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überhaupt das Gütesiegel dieser Bundesregierung zu werden scheint.
Und wenn ich hier auch noch, sozusagen als Anhängsel, ein Wort zum Kollegen Lambsdorff sagen kann: Daß er hier über Wende und kurzes Gedächtnis gesprochen hat, hat mich nicht erstaunt. Auf beiden Gebieten ist er sachverständig. Aber es hat mich etwas gestört, Herr Kollege Mischnick — wenn ich das in Erinnerung an alte gemeinsame Regierungszeiten sagen kann —: daß von dem Grundstrom der gemeinsam getragenen Entspannungspolitik, mit den Ausnahmen von Frau Hamm-Brücher und dem Kollegen Feldmann, so wenig in den heutigen Reden der FDP noch zu spüren war.
Nun lassen Sie mich aber zu den Ausführungen des Bundeskanzlers zu der konkreten Frage kommen. Der Herr Bundeskanzler hat den Doppelbeschluß in Verbindung zu dem Harmel-Bericht gesetzt. Ich verstehe das auch, weil er seine Stationierungsverpflichtung, die er dem amerikanischen Präsidenten gegenüber eingegangen ist,
in Verbindung bringen will mit der Betonung der im Harmel-Bericht vereinbarten Politik. Leider hat er nicht gesagt, daß diese Politik heute durch die Entwicklung neuer amerikanischer Militärdoktrinen in Frage gestellt wird.
Und ich sage Ihnen: Dieses Verschweigen, das wirklich vasallenhaft ist,
kann doch nicht verkleistern, was denn eigentlich im Laufe der Jahre und Monate mit dem Doppelbeschluß geschehen ist.
Aus einem rüstungskontrollpolitischen Ansatz ist eine Rüstungsmaßnahme gemacht worden. Das ist die Entwicklung, die wir erlebt haben.
Streitig ist nicht, daß die sowjetische Bedrohung, die heute weiter besteht — das sehen wir genau wie Sie; und wer etwas anderes sagt, sagt die Unwahrheit —, der Ausgangspunkt für diesen Beschluß war. Aber die Idee war, diese Bedrohung wegzuschaffen, indem wir die Zahl der SS-20-Raketen so weit wie möglich herunterkriegen.
Es war nicht die Idee des Doppelbeschlusses, einen Wettlauf zwischen SS 20 und Pershing II zu beginnen, ganz egal, zu welchen Zahlen an Raketen man damit in Europa kommen würde.
Wir haben in unserem Antrag dargestellt, auf welchen Stufen diese Entwicklung vor sich gegangen ist. Und die Tatsache, vor der wir heute stehen, verehrte Kollegen, ist die: Es hat sich in der Reagan-Administration nach langer gründlicher Auseinandersetzung die Meinung durchgesetzt, die die Stationierung der Pershing II für wichtiger hält als den Versuch, mit den SS 20 in Verhandlungen weiter herunterzukommen.
Und die Regierung Kohl ist mit dieser amerikanischen Linie mitgelaufen.
Heute ist festzustellen: Es ist nicht bis zum Ende ausgelotet worden, wie es im Doppelbeschluß beschlossen und versprochen worden war, wie weit man in den Verhandlungen kommen kann. Und wenn der Herr Bundeskanzler und der Herr Verteidigungsminister sagen, sie hätten alles versucht, zu einem Ergebnis zu kommen, so kann ich das verstehen; nur ist es falsch. Helmut Schmidt hat schon darauf hingewiesen, daß Sie die Frage des Doppelbeschlusses haben laufenlassen, als der Waldspazierungskompromiß bekannt wurde.Im übrigen, Herr Bundeskanzler,
diese Behauptung, Sie hätten alles getan, können Sie j a überhaupt nur dadurch aufstellen, daß Sie sie mit der lächerlichen Behauptung verbinden, die Frage der Berücksichtigung der britischen und der französischen Nuklearraketen sei objektiv eigentlich gar kein Problem, sondern eine Erfindung der Sowjetunion.Dazu will ich Ihnen etwas sagen: Wir stehen in einer Situation, in der der Westen der Sowjetunion in den START-Verhandlungen sagt: Ihr kriegt 5 000, wir kriegen 5 000, und über die britischen und die französischen Sprengköpfe reden wir gar nicht, obgleich die noch in diesem Jahrzehnt über 1 500 Nuklearraketensprengköpfe haben werden.
— Nein, nicht in zehn Jahren, am Ende dieses Jahrzehnts!
Dazu sage ich Ihnen: Wenn der Osten uns ein solches Angebot machen würde, dann würde der verehrte Zwischenrufer hier oben stehen und würde in
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seiner unglaublichen Weise die Unanständigkeit der Sowjetunion und ihren Machtdrang darstellen. Und ich sage: Ich vertrete gegenüber der Sowjetunion keine Verhandlungsposition, die so unglaubwürdig ist, daß ich die Sowjetunion, wenn sie sie ihrerseits uns gegenüber vertreten würde, aus dem Tempel jagen würde.
Ich muß dem verehrten Außenminister sagen: Sie haben ja doch nun in telepathetischer Zusammenarbeit mit dem Kollegen Gromyko entdeckt, daß die britischen und französischen Raketen ein doppeltes Gesicht haben.
Dann lassen Sie uns doch diese Raketen, so wie wir das in unserem Antrag fordern, teils bei den eurostrategischen, teils bei den strategischen Waffen mitrechnen! Daß das nicht passiert, hat nichts mit der Sowjetunion zu tun,
sondern es hat damit zu tun, daß Amerika nicht bereit ist, eine Regelung zu treffen, nach der Amerika weniger Raketensprengköpfe hätte als die Sowjetunion, was ich bei einer Großmacht verstehe.
Nein, dies ist ein amerikanisches Grundproblem, das ich ernst nehme. Denn wenn die Franzosen und die Briten auf der Seite der NATO angerechnet werden, heißt das: Die Amerikaner allein haben weniger als die Sowjetunion. Ich verstehe das von den Interessen der Großmacht her, aber wir dürfen hier nicht so tun, als ob die Frage, an der die Genfer Verhandlungen festgefahren sind, am Osten scheitere.Nein, sie scheitert daran, daß wir keinen Vorschlag vorlegen und die Bundesregierung hat nichts getan, um an diesem entscheidenden Punkt Bewegung in die Sache zu bringen.
— Verehrter Herr Zwischenrufer, es ist anders: Inzwischen erklärt Herr Eagleburger vom State Department, man solle INF- und START-Verhandlungen zusammenlegen, jetzt, da die INF-Verhandlungen am Ende sind. Und Vizepräsident Bush hat sogar gesagt: Man müsse sich natürlich für die Zukunft etwas Besseres ausdenken. — Aber die Bundesregierung kann nicht behaupten, sie habe alles Mögliche getan. Sie hat an diesem entscheidenden Punkt, an dem jetzt die Verhandlungen scheitern, genau gar nichts getan.
Sie hat allerdings etwas anderes getan. Sie hat, um ihre Versäumnisse zu kaschieren, in einer bewußten Desinformationspolitik behauptet,
nun habe ja doch alles sein gutes Ende, denn die Sowjetunion würde auf die Anrechnung der britischen und französischen Nuklearraketen verzichten. — Das war eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit. Von diesem Vorwurf kann ich auch den Außenminister nicht ausnehmen. Es gab kein sowjetisches Angebot.
— Ja, ich kenne die Texte. Es gab eine sowjetische Anregung, die Amerikaner sollten ein Angebot machen, was auch sehr witzig ist.
— Nein, die amerikanische Seite, Herr Klein, falls es Sie interessiert. — Selbst in dieser Anregung wurde im übrigen nicht auf die Anrechnung der britischen und französischen Raketen verzichtet. Ich muß sagen: Nachdem ein offizielles sowjetisches Dementi vorliegt, spricht es nicht für die Seriosität dieser Regierung, daß der Bundeskanzler und der Außenminister trotz des Dementis die gleiche Behauptung in dieser Debatte noch einmal wiederholt haben.Sie wollen stationieren, bevor wirklich zu Ende verhandelt worden ist. Wir halten unser Wort. Wir haben gesagt: Wenn die Verhandlungen am Ende sind, entscheiden wir über diese Frage.
Ein anderes Wort ist nicht gehalten worden: Es war versprochen, es würden alle Anstrengungen unternommen, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Ich muß aber mit Helmut Schmidt noch einmal feststellen: Es sind nicht alle Anstrengungen gemacht worden, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen.
— Nein, das ist nicht der Fall. Dann lesen Sie doch einmal nach!Das heißt nicht, daß wir der Meinung sind, das vorliegende sowjetische Angebot sei gut genug, angenommen zu werden. Aber es ist gut genug, unter Einbeziehung der britischen und französischen Waffen weiter auszuloten, wie weit wir die sowjetischen SS-20-Raketen herunterkriegen.Nun gibt es von seiten der Koalition vorgeschobene Argumente. Da heißt es z. B.: Wir könnten doch kein sowjetisches Monopol akzeptieren. Dazu kann ich nur sagen: Als Helmut Schmidt im Mai 1978 mit Breschnew über die Frage gesprochen hat, gab es etwa 60 SS 20 und 560 SS 4 und SS 5. Wenn die Sowjetunion damals gesagt hätte: Wir hören auf mit der SS-20-Rüstung, und wir bauen alle 560 SS 4
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und SS 5 ab, dann hätten wir — ich sage das noch einmal — Breschnew für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Aber heute sagen Sie: falls diese Situation hergestellt würde, dann wäre das ein Monopol, das für uns unakzeptabel wäre. — Wo leben Sie denn eigentlich?
Im übrigen ist nicht richtig, was der Bundeskanzler gesagt hat: es gebe dann keine amerikanische nukleare Präsenz. Es gibt Hunderte amerikanischer Flugzeuge, und für die amerikanischen Interkontinentalraketen gilt das gleiche wie für die sowjetischen: Auch sie können Europa erreichen. Es ist also durchaus möglich, ein Gleichgewicht herzustellen mit verminderten sowjetischen Zahlen und mit Einbeziehung eines Teils der britischen und französischen Systeme. Wenn man dann noch extra etwas tun will, kann man eine Anzahl amerikanischer seegestützter Marschflugkörper annehmen; denn im Gegensatz zu 1979 haben wir inzwischen ein amerikanisches Programm von mehreren tausend seegestützten Marschflugkörpern.Der Herr Bundeskanzler hat weiter gesagt: Wer nein zum Doppelbeschluß sage, der gefährde den nuklearen Schutz der USA für Europa. Das ist reine Panikmache. Wenn Sie der Meinung sind, daß 300 000 amerikanische Soldaten, für deren Dienst in diesem Land wir dankbar sind, nicht ausreichen, um uns an Amerika anzukoppeln, dann weiß ich nicht, welche Hoffnung Sie eigentlich auf PershingII-Raketen setzen. Nein, Herr Bundeskanzler, von Ihnen ist hier nicht sauber argumentiert worden.Man kann sicher verschiedener Meinung sein, daran habe ich keinen Zweifel. Das ist nicht eine Frage von schwarz und weiß. Daß z. B. der Kollege Feldmann anderer Meinung ist, daß auch bei uns Kollegen anderer Meinung sind, zeigt das. Und ich halte das für gut. Aber ich wehre mich gegen den Versuch, statt von der konkreten Frage auszugehen, das Ganze zu einer Frage einer anti-westlichen Haltung aufzublasen, so daß nichts von der Diskussion in der Sache übrig bleibt, vieles an Gemeinsamkeit zerstört wird, was wir noch brauchen, und dies alles nur geschieht, um den innenpolitischen Gegner in die Ecke zu stellen.
Ich sage Ihnen: Die, die gegen die Stationierung sind, die morgen auf deutschem Boden beginnen soll, bleiben dem rüstungskontrollpolitischen Ansatz des Doppelbeschlusses treu. Sie wollen das Bündnis vor Schaden und die Welt vor einem weiteren Wettlauf im Rüstungswahnsinn bewahren. Herr Bundeskanzler, nicht das Nein, sondern das Ja zur Stationierung gefährdet Europa.
Lassen Sie mich zu dem zurückkehren, was der Bundeskanzler über den Harmel-Bericht gesagt hat. Dessen Entwicklung von einem rüstungskontrollpolitischen Ansatz zu einer Rüstungsmaßnahme war begleitet von der Entwicklung von amerikanischen Rüstungsprogrammen und Militärdoktrinen — begrenzbare, gewinnbare Atomkriege, Enthauptungsschläge, horizontale Eskalation —, die im Gegensatz zu der Sicherheitspolitik stehen, die die NATO im Harmel-Bericht vereinbart hat. Ebenso steht die Konfrontationspolitik, die wir etwa in Grenada oder in Zentralamerika oder im Nahen Osten sehen und die sich durch einen Überfluß an Sprengstoff und einen erschreckenden Mangel an politischer Phantasie auszeichnet, im Widerspruch zu der Entspannungspolitik, wie sie im Harmel-Bericht verabredet war.Herr Bundeskanzler, es ist im deutschen wie im europäischen Interesse höchste Zeit, daß Sie hier, statt immer weiter mitzumachen, einmal Klartext sprechen, daß die Europäer diese stillschweigende Änderung der gemeinsam vereinbarten Politik nicht weiter hinnehmen.
Das wäre sehr viel besser als Ihr Versuch, den Welthilfssheriff zu spielen und uns — so, wie Sie es im Nahen Osten getan haben — in diese Konflikte einzubeziehen. Daß auch die Pershing II etwas mit dem Nahen Osten zu tun hat, hat Herr Nixon inzwischen freundlicherweise bestätigt.Ich komme damit zum Schluß.
Ich möchte eine Frage stellen, die an das anknüpft, was Manès Sperber über Europa gesagt hat und was, glaube ich, vom Herrn Bundeskanzler schon zitiert worden ist. Ich benutze die Gelegenheit, Manès Sperber meinen hohen Respekt auszudrücken, der durch die unqualifizierten Angriffe von Herrn Engelmann gegen ihn nicht geringer, sondern noch größer geworden ist.
Manès Sperber hat gesagt, dies sei die Stunde, in der Europa sich nicht selbst aufgeben dürfe, sondern vor der Aufgabe der Selbstbehauptung stehe. Es gehe um Selbstbehauptung, nicht um Selbstaufgabe. Ich stimme Manès Sperber darin zu, daß diese Aufgabe im wesentlichen gegenüber der Macht der Sowjetunion, gegenüber dem Drohpotential der Sowjetunion besteht, das nun allerdings leider, auch durch das Versagen dieser Bundesregierung, nicht abgebaut, sondern weiter erhöht werden wird.Ich füge aber hinzu, verehrte Kollegen: Die Aufgabe europäischer Selbstbehauptung besteht auch gegenüber der Politik einer amerikanischen Administration, die mangelnde politische Übersicht durch Machtprotzerei zu ersetzen sucht. Die NATO ist kein Weltmachtersatz, und Europa darf nicht zum Büttel einer Weltmacht werden. Die NATO ist ein regionales Verteidigungsbündnis mit der Großmacht USA, in dem wir, lieber Jupp Ertl, unsere Interessen wahren und schützen wollen. Darum
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müssen wir alle zusammen aufpassen, daß wir nicht zum Glacis einer Großmacht herabgestuft werden.
Darum sage ich: Ein Europa des Selbstbewußtseins muß seinen Einfluß im Bündnis stärken, was auch erfordert, daß wir zusätzliche Anstrengungen machen. Aber es darf sich nicht zu einem mechanischen Teil der Rüstungsspirale zwischen den Großmächten machen lassen. Die Milliarden, die heute in den Rüstungswettlauf gehen, hätten wir dringend nötig zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten und zur Bekämpfung des Elends in der Dritten Welt.
Ein Europa, das selbstbewußt ist, muß darauf drängen, Nuklearwaffen abzubauen und defensive konventionelle Anstrengungen mit vertrauensbildenden Maßnahmen und mit Maßnahmen der Rüstungskontrolle zu verbinden. Ein Europa der Selbstbehauptung darf sich weder in eine Konfrontationspolitik noch in Kreuzzüge einspannen lassen, und es muß den Versuchen beider Großmächte entgegentreten, die Dritte Welt zum Schlachtfeld ihrer Konfrontation zu machen.Ein Europa der Selbstbehauptung muß seine wirtschaftlichen Interessen — im eigenen Interesse, im Interesse Osteuropas und im Interesse der Dritten Welt — so bewahren, daß sie nicht der Konfrontations- und Sanktionspolitik einer amerikanischen Administration untergeordnet werden, auch nicht amerikanischen Kapitalinteressen, auch nicht einer defizitären Rüstungspolitik oder einer Hochzinspolitik der amtierenden amerikanischen Administration.Um dieses Gewicht zu erhalten, muß Europa zunächst sein eigenes Haus in Ordnung bringen — eine Aufgabe, vor der die Bundesregierung leider auf dem Europa-Gipfel in Stuttgart genauso versagt hat wie vor den weltwirtschaftlichen Aufgaben auf dem Gipfel in Williamsburg.
Die Entwicklung einer neuen politischen Strategie, die den Vereinigten Staaten und mit ihnen dem Bündnis verlorengegangen ist, ist die große Herausforderung, vor der Westeuropa heute steht. Dazu haben Helmut Schmidt und Willy Brandt Wichtiges gesagt. Diese Bundesregierung hat aber leider nichts dazu beigetragen, zu einer solchen politischen Strategie für die freie Welt zu kommen, ja, sie hemmt den Fortschritt auf diesem Wege durch ihre beflissene Anbiederung an den großen Bruder in Amerika.
Die Politik dieser Bundesregierung, einschließlich der Zustimmung zu der Stationierung, die morgen beginnen soll, deckt nach unserer besten Überzeugung nicht die deutschen Interessen und nützt auch den europäischen Interessen nichts. Aus diesen Gründen sagen wir Sozialdemokraten dazu nein.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte, die wir hier in den letzten zwei Tagen geführt haben, hinterläßt einen sehr schalen Geschmack. Für diese Debatte mußte sich das sogenannte Hohe Haus verbarrikadieren hinter Tausenden von Polizisten,
hinter Tränengas und Polizeiknüppeln.
Es sind dort nicht nur Menschen niedergeknüppelt worden, sondern es hat von seiten der Polizei auch Übergriffe gegen Abgeordnete dieses sogenannten Hohen Hauses gegeben.
Das beweist, daß Sie es sich zu leicht machen, wenn Sie behaupten, daß die Gewalttäter draußen stehen.
Sie machen es sich leicht, weil Sie schlichtweg verdrängen, daß die Menschen draußen von der nackten Angst geplagt sind,
von der Verzweiflung über die Beschlüsse, die in diesem Hause gefaßt werden
und daß die Menschen einem ungeheuren Ohnmachtsgefühl und der Wut ausgeliefert sind, weil ihnen das Recht abgesprochen wird, über Fragen von Leben und Tod selbst zu entscheiden.
Das, was Christa Nickels heute morgen so eindringlich geschildert hat, das ist das, was die Menschen draußen bewegt. Und Sie verdrängen diese Ängste.
Sie denken diese Gedanken nicht konsequent zuEnde, weil Tod und Elend in der Politik zu einem
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Frau Beck-OberdorfTabu gemacht werden oder höchstens noch für Sonntagsreden gelten.
Deswegen gibt es die Friedensbewegung.
Sprecher der Mehrheitsfraktionen haben sich während dieser Debatte zu den geschmacklosen und geschichtsblinden Vergleichen aufgeschwungen, daß sich die Friedensbewegung der Methoden der Nazis bediene. Sie kennen den wesentlichen Unterschied zwischen den Boykottaufrufen rassistischer Gewalttäter gegenüber jüdischen Geschäften und der oft stumm jetzt vor Abgeordnetenwohnungen vorgetragenen Bitte um eine Entscheidung gegen die Nachrüstung. Obwohl Sie diesen Unterschied genau kennen, benutzen Sie den geschmacklosen Vergleich, weil Sie die Friedensbewegung verleumden wollen.
Es ist bewundernswert, mit welcher großen Reife, mit welchen Anstrengungen, mit welcher Geduld und welcher Disziplin diese Bewegung im Angesicht der Raketendrohung immer wieder versucht hat, gewaltfrei zu bleiben.
Aber Sie sind bereit, die Mehrheit der Bevölkerung zu übergehen. Deswegen muß sich dieses Haus hier verschanzen. Deswegen stehen die Menschen draußen. Sie lassen ihnen keine andere Wahl mehr.Die USA wollten lieber stationieren als SS 20 beseitigen. Das ist ein richtiger Satz, und das hat die Friedensbewegung gewußt. Und sie hat recht behalten.In diesem Parlament wird heute nur abgesegnet, was lange beschlossen ist, was von seiten der USA gewünscht wird.
Das ist ein beschämendes Dokument für den Zustand dieses Parlaments.
Sie können wissen, welche Risiken diese Stationierung in sich birgt. Es wäre nicht so schlimm, wenn Sie nur die Verantwortung für sich selbst tragen würden. Aber Sie entscheiden hier für uns alle
und hoffen dabei, daß Ihr atomares Vabanquespiel gutgeht.Die Menschen draußen wissen, daß es noch nie eine Zeit ohne Krieg gegeben hat, noch nie.
— 38 Jahre reichen dabei nicht. Wie weit wollen Sie eigentlich denken?
Die Frauen in Greenham Common — ich glaube, es sind nicht umsonst Frauen — haben genau verstanden, worüber hier verhandelt wird, daß es um Leben und Tod geht. Deswegen haben sie keine Angst mehr vor Strafe, keine Angst vor der Polizei und vor der Staatsgewalt. Und die nennen Sie dann Gewalttäter!
Diese Frauen haben denen ihr Vertrauen entzogen, die unser Geschick einem gefährlichen Poker überlassen.
Diese Frauen mischen sich ein, sie wehren sich, sie sind politisch geworden — viele von ihnen waren es bis vor einigen Jahren nicht —, sie wehren sich, weil Ihre sogenannte Sicherheitspolitik in Unheil führt. Ich wünsche mir, daß auch hier die Frauen aufstehen werden. In Mutlangen waren es Hunderte — Frauen mit ihren Kindern —,
die um das Depot der Amerikaner gezogen sind. Ich versichere Ihnen, daß es mehr sein werden, auch wenn Sie das nicht hören wollen.
Denn dieser Tag heute wird einen Bruch markieren. Sie werden nicht mehr kaschieren können, daß Sie in der Frage der Stationierung in der Minderheit sind,
eine gefährliche Minderheit, die die Bürger in Angst und Schrecken versetzt.
Damit haben Sie das Recht verspielt, als Regierung Loyalität zu fordern.
Eine Regierung, die dem Volk das Recht verweigert, in einer Abstimmung zu dieser Lebensfrage gehört zu werden,
hat das Recht verloren, über den Widerstand von Menschen zu urteilen.
Was sollen denn die Menschen hier tun,
wenn Sie alle demokratischen Wege versperren?
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Ich konnte eben nicht
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2562 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Vizepräsident Frau Rengerhören, was sich da abgespielt hat. — Wir werden das im Protokoll nachprüfen.Ich bitte um Entschuldigung; fahren Sie bitte fort.
Ich hoffe, daß die Protokollführer auch alles gut gehört haben.
Ich behaupte noch einmal: Wenn Sie alle demokratischen Wege versperren — und das ist so, denn die Entscheidung vom 6. März ist keine Entscheidung für die Stationierung gewesen —,
sind Sie es, die die Menschen in diesem Land in den Widerstand zwingen.
50 Jahre nach Hitlers Machtergreifung wissen wir, daß Widerstand zur rechten Zeit besser gewesen wäre. Wie groß ist denn die Schuld derer, die sich nicht dem Holocaust entgegengestellt haben? Wie groß wird unsere Schuld sein, wenn wir uns nicht mit aller Kraft der Gefahr des atomaren Holocaust entgegenstellen? Was erwarten Sie als Politiker in solchen Situationen eigentlich von Menschen, die noch ihre Vernunft behalten haben?Hier wende ich mich an Sie von der SPD. Sie haben sich jetzt zu einem Nein zur Stationierung durchgerungen. Wir begrüßen diesen Sinneswandel. Aber das enthebt Sie nicht der Verantwortung für diesen Doppelbeschluß, denn er beruht schließlich auf Ihrer Politik. Es sind die Konsequenzen Ihrer Sicherheitspolitik, die uns heute über den Kopf wachsen, und es reicht nicht, heute nein zu sagen. Wir fragen Sie, was Sie jetzt zu tun gedenken, vor allem dann, falls Sie wieder einmal an die Macht kommen sollten, aber auch vorher, jetzt. Ich denke, daß die Friedensbewegung, um die Sie in den letzten Monaten so sehr gebuhlt haben,
Sie daran messen wird, was Sie tun werden, damit die Raketen wieder verschwinden.
Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, werden sicherlich heute abend mit dem Gefühl aus dem Haus gehen, daß Sie einen Sieg errungen haben. Aber ich sage Ihnen, daß es ein Pyrrhussieg sein wird.
Vielleicht haben Sie die Hoffnung, daß das Volk sich nun beruhigen wird, wenn Sie erst einmal Fakten geschaffen haben, daß über diese Entscheidung Gras wachsen wird, wenn Sie nur durchhalten, daß der Protest verstummen wird, wenn Sie hart genug sind. Aber Sie können sicher sein: Diese Kontroverse, die jetzt aufgebrochen ist, die Diskussion über den Sinn der NATO und über den Sinn atomarer und konventioneller Rüstung, die Diskussion, die mit dieser Stationierungsentscheidung aufgebrochen ist, ist damit nicht beendet, sondern hat erst angefangen und wird weitergehen.
Hinter den Millionen Menschen, die im Oktober auf die Straße gegangen sind, stehen Millionen weitere, die sich Ihrer Gedankenwelt nun entzogen haben. Jede neue Waffe, die Sie in Zukunft aufstellen wollen, jede neue Strategie, die Sie mit der NATO entwickeln, wird auf das geschärfte Bewußtsein der Bevölkerung treffen. Es hat eine ungeheure öffentliche Diskussion der Außen- und Sicherheitspolitik gegeben. Hinter diese Diskussion wird die Bevölkerung nicht mehr zurückgehen.
Der geistige und auch der praktische Widerstand gegen Ihre lebensbedrohenden Konzepte hat begonnen, sich festzusetzen. Abschreckungskonzepte, die dem Doppelbeschluß zugrunde liegen, sind nicht mehr konsensfähig. Auch werden Sie die Skepsis nicht mehr zudecken können, die Ihre leere Formel vom „Frieden in Freiheit" hervorruft. Ihr „Frieden in Freiheit" stellt die Freiheit über den Frieden.
Das heißt, Sie halten Freiheit für wichtiger als Frieden, und das zeugt von einer falschen Rangordnung der Werte; denn angesichts der Möglichkeit eines Atomkrieges oder der unvorstellbaren Zerstörungen eines konventionellen Krieges kann Freiheit durch Krieg nicht mehr gesichert werden. Um Freiheit bewahren oder erringen zu können, muß man zuerst einmal leben. Das gilt für die Menschen im Osten und für die Menschen im Westen.
Diese Auseinandersetzung ist eröffnet und nicht beendet. Schon heute ist zu sehen, daß die Friedensbewegung ihre Kritik an Waffensystemen, mit der die Diskussion angefangen hat, ausweitet. Die Friedensbewegung wird die Diskussion um Sinn und Zweck unserer Freundschaft mit der USA verstärken. Die Zweifel am vermeintlichen Schutz der NATO werden wachsen. Das sage ich auch sehr deutlich zur SPD. Ich kann nur hoffen, daß sich die SPD weiter in dieser Richtung entwickelt. Es gibt ja schon einige zarte Stimmchen in Ihrer Partei, die diese Richtung andeuten.
Der Wunsch, einen Weg aus der Konfrontation der Blöcke heraus zu bahnen, wird die Diskussion in diesem Land bestimmen. Die Diskussion um gesellschaftliche und ökonomische Ursachen von Kriegen steht an. Die Friedensbewegung wird eine Bewegung für eine friedvolle Gesellschaft sein, der jede innere Triebkraft zur Expansion nach außen fehlt. Das wird in der zukünftigen Zeit sicherlich sehr wichtig sein, denn diese Expansion nach außen haben wir vor einigen Wochen wahrlich sehr deutlich gesehen.Der beste Garant für Frieden ist immer noch eine nichtexpansive, nichtagressive Gesellschaftsord-
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Frau Beck-Oberdorfnung, die in ihrer ganzen Lebensweise anderen dokumentiert, daß sie so, wie sie lebt, keinen bedroht.
In diesem Zusammenhang haben wir in der Debatte sehr gefährliche Äußerungen über „unser Öl", „unsere Rohstoffe", „unsere Märkte" gehört. In solcher Rede liegt eine Quelle für den Weg in den Krieg.
— Wir werden in Zukunft immer wieder ansprechen, daß eine Gesellschaft wie die unsrige mit ihrer Gier nach Rohstoffen und billigen Arbeitskräften aus fremden Ländern, mit ihrer expansiven und aggressiven Weltmarktorientierung, mit ihrem Konkurrenzprinzip statt dem Prinzip der Solidarität nach innen und nach außen keine friedfertige Gesellschaft sein kann, daß wir eine andere brauchen.
Die kommenden Auseinandersetzungen um die Außen- und Sicherheitspolitik und um eine friedvolle Gesellschaft sind von großer Bedeutung. Die Aufrüstung führt uns schrittweise näher an den Krieg heran. Wir müssen Schritte in Richtung auf den Frieden machen. Dazu haben wir nicht mehr alle Zeit der Welt. Aber machen Sie sich keine Hoffnung: Diese Friedensbewegung wird nicht in Resignation verfallen.
Sie wird sich ausbreiten auf eben dieser Suche nach einer Chance für die Zukunft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß die Bevölkerung draußen gespürt haben wird wie wir alle, daß aus dieser Sprache blanker Haß und vollendeter Fanatismus gesprochen haben.
Dieses ist nicht die Sprache des Friedens, dieses ist die Sprache der Verhetzung.
Verehrte Frau Kollegin, wir haben 1933 die Freiheit verloren, und 1939 haben wir deshalb den Frieden verloren. Darum — das nehmen Sie bitte zur Kenntnis -- ist Freiheit und Friede für mich ein untrennbares Ganzes, auch moralisch.
In der Bibel gibt es die Gestalt des selbstgerechten Pharisäers. In diesem Lande schreiten zur Zeit Friedenspharisäer umher, die da sagen: O Gott, ich danke dir, daß ich so für den Frieden bin; dreimal in der Woche protestiere ich gegen den NATO-Doppelbeschluß, zweimal beschimpfe ich den Bundeskanzler, einmal sogar auch noch die SPD — und nicht wie dieser Mertes da, der den atomaren Krieg über uns kommen lassen will. Meine Damen und Herren, dieser Friedenspharisäismus wird als das in unserem Lande erkannt werden, was er ist, eine unglaubliche Verleumdung des Mitmenschen,
Frau Kollegin, ich habe die Leiden und Folgen eines Krieges erlebt. Ich bin Vater von fünf Kindern. Drei meiner Söhne haben — je zwei Jahre — bei der Bundeswehr gedient und müßten sofort in den Krieg gehen, käme er. Was gibt Ihnen eigentlich das Recht, sich eine größere Sensibilität für den Frieden zuzusprechen als mir?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Wegen der Kürze der Zeit gestatte ich keine Zwischenfragen.
Frau Kollegin, wie kommen Sie eigentlich dazu, jemandem, der Kinder hat leiden und sterben sehen, zu unterstellen, daß er eine geringere Sensibilität für das Leiden und den Hunger von Kindern in der Dritten Welt habe? Eine unglaubliche pharisäische Anmaßung!
Darf man sich der Nächstenliebe brüsten? Nein, das geht nicht zusammen: Sich der Nächstenliebe rühmen und andere herabsetzen, weil sie angeblich eine geringere Sensibilität für leidende Kinder hätten.
Politisch gesprochen: Ich vermag nicht zu erkennen, wie ein Europa, das sich schrittweise in die Abhängigkeit der Sowjetunion begäbe, besser der Dritten Welt helfen könnte, als es dies heute kann, nachdem doch die Sowjetunion und ihre Verbündeten zusammen weniger Entwicklungshilfe geben als die Bundesrepublik Deutschland allein!
Es werden doch keine Zwischenfragen zugelassen.
Nein, keine Fragen.
Es ist keine Zwischenfrage zugelassen. Ich gebe dies weiter.
Bauen Sie doch hier keine Feindbilder auf. Sie werfen uns vor,
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2564 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Dr. Mertes
wir hätten ein Feindbild gegenüber der Sowjetunion; wir haben ein realistisches Partnerbild. Wir haben kein Feindbild, und wir haben keinen Hall — Sie aber bauen Feindbilder hier im Lande auf. Damit diskreditieren Sie sich als Freunde des Friedens.
Nun wende ich mich dem Kollegen Ehmke zu. Herr Kollege Ehmke, ich wußte gar nicht, ob hier noch der alte Horst Ehmke redete, mit dem ich jahrelang ein so hohes Ausmaß an Übereinstimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik empfunden habe. Was ist da eigentlich vor sich gegangen?
Herr Kollege Ehmke, Sie wissen selber, wie sehr ich mich als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion in der Opposition um einen breiten Konsens bemüht habe. Das ist für eine Opposition nicht immer leicht. Man schlägt lieber zu. Das ist ganz natürlich. Aber wir haben auf dieses Zuschlagen verzichtet.
Wir sind seit 1976, nach dem Abschluß der Ost-Verträge, bewußt den Weg des Konsenses gegangen. Zum Schluß gab es nur noch eine Fraktion, nämlich die der CDU/CSU, die wirklich geschlossen die Sicherheits- und Abrüstungspolitik der Regierung Schmidt/Genscher unterstützt hat.
Nun zu einigen Ihrer Sachfragen, Herr Kollege Ehmke: Sie haben behauptet, erst Bundeskanzler Kohl habe der Stationierung zugestimmt. Ich darf zitieren aus der Regierungserklärung des Außenministers vom 14. Dezember 1979, der Sie zugestimmt haben. Da heißt es wörtlich:Das Vereinigte Königreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland haben schon jetzt der Dislozierung auf ihrem Boden, zu der es in drei bis vier Jahren kommen wird, zugestimmt. Was Sie gesagt haben, trifft einfach nicht zu.
Und wenn Sie Bundeskanzler Kohl und unseren Fraktionsvorsitzenden als Brandstifter im Gewande des Biedermanns dargestellt haben, möchte ich das jetzt nicht mit gleicher Münze heimzahlen. Aber überlegen Sie mal, ob nicht heute Ihr Parteivorsitzender Brandt als Brandstifter im Gewande des Biedermanns aufgetreten ist. So habe jedenfalls ich es empfunden.
Bundeskanzler Kohl hat nur Positionen vertreten, die auch die der früheren Bundesregierung waren. Der Kollege Apel hat anerkannt, daß Bundeskanzler Kohl in einer wichtigen Frage einen konkreten Schritt nach vorne gemacht hat, um die Verhandlungen noch zu fördern. Das Urteil, wer der Brandstifter im Gewande des Biedermanns ist, überlasse ich getrost der Öffentlichkeit.Ich bin dem Kollegen Reents von den GRÜNEN ausgesprochen dankbar dafür, daß er eben ein Zitat von mir verlesen hat, dessen Inhalt für mich als Demokraten und als Christ von zentraler Bedeutung ist. Herr Kollege Reents, Sie haben mir eine Zwischenfrage gestattet. Ich gestatte Ihnen auch gerne eine.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reents.
Herr Staatsminister Mertes, der Anknüpfungspunkt für meine Zwischenfrage liegt schon etwas zurück. Sie haben davor gewarnt, daß wir in die Abhängigkeit der Sowjetunion geraten könnten, wenn es eine Entwicklung aus der NATO heraus gäbe. Sind Sie der Meinung, daß sich in Westeuropa neutrale und blockfreie Staaten wie Österreich, Schweiz, Finnland, Schweden und auch Jugoslawien allesamt in der Abhängigkeit der Sowjetunion befinden?
Herr Kollege, keineswegs. Aber es gibt geschichtliche Entwicklungen, die in Abhängigkeiten führen. Das war auch der Kernsatz der Londoner Rede Helmut Schmidts von 1977. All die Länder, die Sie eben genannt haben, beobachten, ob sich hier im Laufe der nächsten Jahre eine Politik abzeichnen könnte, die die Einleitung eines solchen Prozesses wäre. Aber noch haben wir ein freies Europa. Wir werden es auch behalten, auch dank der Politik dieser Bundesregierung.
Herr Kollege Reents, das Zitat, das Sie vorgelesen haben, bezog sich auf ein Luther-Wort. Es hat auch eine Bedeutung im Zusammenhang mit dem politischen Hintergrund dieser Debatte. Alle Ideologien, die den Menschen das Paradies auf dieser Erde verheißen, haben den Menschen die Hölle der KZs und des Archipels GULAG bereitet. Nationalsozialismus und Kommunismus haben bei aller Verschiedenheit von Rassenhaß und Klassenhaß und politischer Methode eines gemeinsam: Sie verachten das realistische jüdisch-christliche Menschenbild, sie beanspruchen für sich eine Art politisch-historischer Unfehlbarkeit. Solchen Anspruch habe ich eben auch aus der Sprache von Frau Beck-Oberdorf herausgehört.
Ich bin als Schüler 1938 wegen einer kritischen Frage gegen den Antisemitismus von einem nationalsozialistischen Lehrer getadelt und verspottet worden: Ich sei ein Ewiggestriger; denn meine Eltern seien Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung. So war es in der Tat. Sie waren Gegner der fanatischen Kompromißlosigkeit dieses Systems. Fanatismus und Kompromißlosigkeit lassen sich mit dem Geiste der Demokratie nicht vereinbaren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2565
Dr. Mertes
Herr Kollege Reents, Sie haben den Realismus des jüdisch-christlichen Menschenbildes als Klerikalismus abgetan. Ich halte Ihren wahrscheinlich redlichen Glauben an die Fähigkeit des Menschen zu einer vollendeten politischen Ordnung für die geistige Grundlage Ihres Fanatismus, der aus meiner Sicht mit den geistigen Grundlagen der parlamentarischen Demokratie nicht vereinbart werden kann;
denn, Herr Kollege Reents, die Demokratie lebt davon, daß jeder nach bestem Wissen und Gewissen für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit kämpft, dabei aber des Dialogs bedarf, weil er sich für irrtumsfähig hält.Politische Entscheidungen sind ihrem Wesen nach das Ergebnis von Güterabwägungen. Ich möchte im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen eher sagen: bisweilen von Übelabwägungen. Das gilt auch für mein heutiges Ja zum Vollzug der 1979 beschlossenen Nachrüstung. Ich kann die atomaren Bedrohungsfaktoren der westlichen Strategie nur deshalb bejahen, weil ich ihre Preisgabe — ich sage noch einmal: nach bestem Wissen und Gewissen — als das größere Übel ansehen müßte; nämlich — in der Welt, so wie sie heute ist — als ein Weniger an verläßlicher Friedenssicherung.Ich halte diesen Zustand für alles andere als ideal. Aber nur Vertrauen und Vernunft sind in der Lage, ihn zu überwinden, nicht Aufgeregtheit, nicht Hysterie, nicht Fanatismus, nicht Spott über dieses — so Frau Beck-Oberdorf — sogenannte Hohe Haus. Das erinnert mich an den Spott über die sogenannten Systemparteien, den ich in der Schule gehört habe.
— Ich habe Ihren Rednern in Ruhe zugehört, hörenSie mir bitte, das spräche für Sie, auch in Ruhe zu.
— Nein, Herr Kollege Schily, Sie haben mir neulich auch eine Frage verweigert. Verstehen Sie bitte, daß ich Ihnen wegen der Zeitknappheit jetzt auch keine gestatten kann.Ich bin mit allen bisherigen Bundesregierungen und allen rechtsstaatlichen Demokratien des Atlantischen Bündnisses für Friedenserhaltung durch glaubwürdige Entmutigung — das ist eigentlich ein besseres Wort als Abschreckung — eines potentiellen Angreifers und durch ausgewogene Abrüstung mit dem potentiellen Gegner. Keines dieser beiden Elemente darf fehlen.Friedenserhaltung, das heißt aber nicht nur die Verhinderung des atomaren Krieges, das heißt auch die Verhinderung des konventionellen Krieges. Ich gebe Heinrich Böll recht, wenn er sagt: „Der Ausdruck konventionelle Waffen ist Schönfärberei." In Tokio sind mehr Menschen durch konventionelleWaffen ums Leben gekommen als in Hiroshima durch atomare Waffen.Friedenserhaltung ist aber nicht das einzige. Friede ist auch Friedensgestaltung durch eine ständige Anstrengung zur Durchsetzung von politischen Menschenrechten, nationaler Selbstbestimmung und internationaler Gerechtigkeit. Wie schwer das ist, weiß auch ich.Einen Punkt möchte ich noch in Ordnung bringen. Es geht um eine Behauptung der letzten Redner. Es ist falsch zu sagen, daß die Strategie der flexiblen Reaktion einen auf Europa begrenzten Atomkrieg ermögliche. In Wirklichkeit verhindert diese Strategie gerade diese Begrenzung. Der NATO-Doppelbeschluß intensiviert sogar die Risikogemeinschaft zwischen Europa und den USA. Das ist übrigens das Kernanliegen der Rede Helmut Schmidts in London 1977, mit der er den Prozeß einleitete, der dann zum NATO-Doppelbeschluß geführt hat.Es ist kein geringerer als der sowjetische Verteidigungsminister, der Helmut Schmidt und die Bundesregierung und das Atlantische Bündnis hier hinsichtlich der Wirkungen des NATO-Doppelbeschlusses bestätigt. Ustinow sagt laut Bericht in der FAZ vom 21. November dieses Jahres:Die entsprechenden Gegenmaßnahmen, die das Territorium der USA selbst betreffen, werden so sein, daß die Amerikaner den Unterschied zwischen der Lage vor der Stationierung ihrer Raketen in Westeuropa und der Situation danach unweigerlich zu spüren bekommen.Die Sowjetunion selbst bestätigt die Verstärkung der Verkoppelung zwischen Amerika und Europa.
Herr Kollege Dr. Mertes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Nein.
Ein Wort nun zu einem Thema, das eine große Rolle spielt und das in der Tat ein Problem ist; es ist die Frage der Akzeptanz der Strategie in der Bevölkerung. Der Erläuterungsdruck, der auf uns ausgeübt wird, ist heilsam. Eine Demokratie lebt davon, daß ihre Positionen in Frage gestellt werden und daß sie sich rechtfertigen muß. Es ist ein Zeichen intellektueller Kapitulation, daß die DDR in keiner Weise eine solche freie Debatte gestattet.
Aber, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Partei: Helmut Schmidt hat am Sonnabend in Köln gesagt: Es gibt ein Ungleichgewicht der Konsensbildung; drüben im Warschauer Pakt wird sie erzwungen, wir müssen sie hier freiwillig schaffen. — Das gilt auch für das Problem der Akzeptanz in unserem Lande. Drüben wird die Akzeptanz erzwungen, hier müssen wir für diese Akzeptanz kämpfen, wir müssen sie erläutern,
Dr. Mertes
wir müssen um sie werben, aber wir dürfen ihr nicht durch Preisgabe entscheidender Elemente unserer Friedenspolitik nachlaufen.
Übrigens, wo war eigentlich Helmut Schmidt, der uns wegen mangelnder Werbung für die Akzeptanz getadelt hat, in den letzten Monaten? Ich habe sehr wenig an Werbung für diese Akzeptanz von ihm gehört.
Liebe Kollegen von der SPD: Die innenpolitische Spekulation Ihrer Partei wird nicht aufgehen; ein Wortbruch lohnt sich nicht. Unsere Bevölkerung, gerade auch die Jugend, reagiert positiv auf Überzeugungskraft und Mut, auf ruhige und beharrliche Erläuterung. Übrigens gilt das auch draußen, für Freunde und Gegner. Ich bin gewiß, daß der Respekt für die SPD seit den letzten Wochen wahrscheinlich auch in Moskau gesunken ist; auch wenn die Befriedigung über das Nein aus der Sicht der langfristigen Westpolitik der Sowjetunion in der sowjetischen Presse verständlicherweise gerühmt wird.
Die Sowjetunion will im übrigen — das sage ich der SPD — nach meinen Eindrücken nicht, daß wir die NATO sofort verlassen. Wir waren im Sommer 1976 mit einer kleinen Gruppe, der deutsch-sowjetischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags, in Moskau und hatten eine lange Unterredung mit Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des Obersten Sowjets. Namhafte sowjetische Fachleute waren anwesend, und sie sagten uns: Wir erwarten von der Bundesrepublik Deutschland keineswegs, daß sie formal ihr Bündnis verläßt, daß sie sich formal von Amerika trennt; aber wir erwarten von der Bundesrepublik Deutschland — das ist die logische Konsequenz des Moskauer Vertrages, so sagte man uns —, daß sie, im westlichen Bündnis bleibend, eine Art Anwalt der edlen Absichten der Sowjetunion und der konkreten Vorschläge der Sowjetunion für Sicherheit und Abrüstung wird. — Die Formen der sowjetischen Einflußnahme auf die Bundesrepublik Deutschland sind oft viel subtiler als primitive Erpressung.
Man muß auch gegen den Strom schwimmen können, verehrte Kollegen von der SPD. Ich habe dieser Tage noch einmal das Buch „Flucht vor Hitler" von Wilhelm Högner gelesen, das er kurz nach seiner Flucht in die Schweiz 1937 geschrieben hat. Vor 1933 gab es eine Akzeptanzkrise der parlamentarischen Demokratie, der man den „wahren Volkswillen" entgegensetzte. Die Volksbefragungen in den Jahren 1931 bis 1933 hatten nur den radikalen Parteien gedient. Deshalb hat Theodor Heuss nach 1947 zu Recht gesagt, daß Volksbefragungen dieser Art eine Prämie auf die Demagogie sind. Högner schildert, wie die damaligen demokratischen Parteien im Reichstag von lähmender Verzweiflung gepackt waren. Das ist der Grund, weshalb ich Sie auffordere, daß wir jetzt nicht den falschen Bewegungen nachlaufen, sondern daß wir uns ihnen entgegenstellen.
Noch ein ganz kurzes Wort zu Frau Nickels, deren Beitrag zur Debatte ich als sehr positiv empfunden habe. Ich nehme Ihre menschliche Betroffenheit sehr ernst, auch Ihre christliche Motivation. Aber ich hoffe, Frau Nickels, daß Sie sich nicht zum Richter machen, sondern daß wir im Dialog bleiben. Ich habe eben gesagt: Politisches Urteil ist das Ergebnis von Güterabwägung. Wir wollen, daß die politische Natur der sowjetischen Bedrohung — denn die Sowjetunion will nicht den Krieg — auch von Ihnen so verstanden wird, wie wir sie sehen. Es gibt zwei Risiken, die uns belasten: das Risiko der militärischen Selbstvernichtung, aber auch das Risiko einer schleichenden politischen Selbstunterwerfung. Beides ist verhinderbar. Der Weg geht in eine gewisse Zukunft. Verantwortliche Politik darf nicht nur auf den Abgrund militärischer Selbstvernichtung starren, er muß beide Abgründe sehen, gerade auch den der politischen Selbstunterwerfung. Ich bin der Überzeugung, daß beide Abgründe verhindert werden können, wenn wir jene Politik weiter betreiben, die alle bisherigen Bundesregierungen in der Frage verläßlicher Friedenssicherung betrieben haben.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Mir liegt eine Bitte um Erklärung gemäß § 30 — Erklärung zur Aussprache — vom Abgeordneten Reents vor. Ich erinnere daran, daß in einer solchen Erklärung zur Aussprache nur Äußerungen, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, zurückgewiesen oder eigene Ausführungen richtiggestellt werden können. Dafür sind höchstens fünf Minuten vorgesehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe erst nachträglich durch das Lesen des Stenographischen Protokolls meiner Rede festgestellt, daß es einen Zuruf aus den Reihen der CDU/CSU gegeben hat, der vom Stenographischen Dienst namentlich nicht festgehalten werden konnte. Der Wortlaut dieses Zurufes ist: „Sie" - persönliche Anrede! — „haben auch draußen randaliert!"Ich möchte diesen Zuruf unter Inanspruchnahme des § 30 der Geschäftsordnung als eine sehr rabiate Unterstellung zurückweisen. Ich habe bereits gestern in einer Zwischenfrage während der Rede von Herrn Bastian dargestellt, was meine eigenen Erfahrungen draußen waren, daß ich selbst nämlich von der Polizei nicht nur daran gehindert worden bin, einen Kranz an dem Gedenkstein niederzulegen, der sich am Abgeordnetenhochhaus zum Andenken an die ermordeten Mitglieder des Reichstages während des Nazi-Regimes befindet, sondern dabei von der Polizei auch zu Boden gestoßen worden bin. Ich sehe überhaupt keine Veranlassung, daß man uns oder mir persönlich angesichts solchen Vorgehens der Polizei in irgendeiner Art und Weise Randaliererei vorwerfen kann. Es hat dieses nicht gegeben. Ich kann nicht klären, wer es aus der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2567
ReentsCDU/CSU gesagt hat. Vielleicht können Sie das j a selbst einmal klären.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die namentliche Abstimmung über die Anträge der Fraktionen eintreten, gebe ich folgendes bekannt: Die heutige Tagesordnung wird gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung um einen weiteren Zusatzpunkt ergänzt, und zwar um den Einspruch des Abgeordneten Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf. Der Einspruch liegt Ihnen vor.
Ich rufe jetzt den bereits heute morgen auf die Tagesordnung gesetzten
Einspruch des Abgeordneten Vogt gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf
zur Abstimmung auf.
Über einen Einspruch gegen einen Ordnungsruf entscheidet der Bundestag gemäß § 39 der Geschäftsordnung ohne Aussprache. Wer dem Einspruch des Abgeordneten Vogt stattgeben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Einspruch mit Mehrheit zurückgewiesen.
Ich möchte gerne meinerseits mitteilen, daß ich mich, hätte ich mit abgestimmt, der Stimme enthalten hätte, weil ich selbst der betroffene Präsident war. -
Wir stimmen nunmehr über den
Einspruch des Abgeordneten Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf
ab.
— Das haben wir eben gemacht.
Wer dem Einspruch, den der Abgeordnete Schily vorgelegt hat, stattgeben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Der Einspruch ist mit Mehrheit bei einer Zahl von Gegenstimmen und einer großen Anzahl von Enthaltungen zurückgewiesen worden.
Meine Damen und Herren, es liegt nun eine Wortmeldung des Abgeordneten Burgmann zu § 26 der Geschäftsordnung vor.
Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Die GRÜNEN stellen hiermit nach § 26 einen Antrag auf Vertagung der Sitzung.Begründung: Wir stehen jetzt unmittelbar vor Verabschiedung der Entschließungsanträge, die für diese Sitzung vorgelegt worden sind. Diese Anträge, insbesondere von CDU/CSU, FDP und SPD, sind im wesentlichen auf die Genfer Verhandlungen bezogen. Wir haben in den letzten Tagen gehört, daß sich in den Genfer Verhandlungen durchaus neue Perspektiven aufgezeigt haben und neue Angebote diskutiert werden. Wir halten es für sehr problematisch, in solch einem Augenblick Fakten zu setzen, indem man Beschlüsse faßt, die diese Verhandlungen präjudizieren.
Wir meinen aber, daß es vor allem einen sehr viel wichtigeren Grund gibt, über diese Entschließungsanträge nicht mehr abzustimmen.
Denn DIE GRÜNEN haben in diesem Deutschen Bundestag eine Gesetzesinitiative zur Volksbefragung eingebracht. Wir sind damit auch den Wünschen von vielen Millionen Menschen in diesem Lande gefolgt, die selber befragt werden wollen, selber mit darüber entscheiden wollen, ob diese Raketen stationiert werden sollen oder nicht. Wir meinen, daß diesem Mehrheitswillen hier Genüge getan werden müsse. Wir halten es für außerordentlich fragwürdig, wenn die Mehrheit im Bundestag heute Fakten mit einer Entschließung schafft, die gewissermaßen die Stationierung sanktioniert, ehe dieses Gesetz zum Thema Volksbefragung hier von diesem Deutschen Bundestag abschließend behandelt wird. Wir meinen, daß eine solche schwerwiegende Entscheidung, wie sie der Deutsche Bundestag hier heute treffen soll, indem er diese Stationierung sanktionieren soll, nicht unter dem Druck stehen soll, unter dem sie anscheinend doch steht.
Es ist nicht der Druck von den tausend Menschen, die da demonstriert und ihre Angst gezeigt haben, sondern es ist ganz offensichtlich ein viel unheimlicherer Druck, nämlich der Druck der USA, die darauf bestehen, daß morgen diese Raketen stationiert werden.
Wir lehnen es ab, unter einem solchen Druck hier zu verhandeln.
Wir meinen, daß wir die Zeit haben müssen, hier in Ruhe zu verhandeln und zu entscheiden, und daß Gesetzesanträge, die von den GRÜNEN gestellt worden sind, Vorrang vor Entschließungsanträgen haben, die weit schwerwiegendere Dinge prädestinieren als das, was wir bisher in diesen Debatten gemacht haben.Wir haben darüber hinaus eine Organklage eingereicht, weil wir der Meinung sind, daß dieses
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2568 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
BurgmannThema nicht mit einer Entschließung oder mit rein formellen Anträgen hier behandelt werden kann,
sondern daß der Bundestag durch ein solches Verfahren seiner Rechte enthoben wird. Wir haben auch hier das Interesse, daß diese Organklage erst behandelt wird, ehe wir konkret über diese Frage der Stationierung hier dann entscheiden. Wir wollen, daß man, wie wir schon vorher dargestellt haben, vor dieser Entscheidung das Volk befragt, ob stationiert werden soll.Wir sagen: Volksbefragung statt dieser Anträge, die hier auf dem Tisch liegen!
Es liegt ein Antrag nach § 26 auf Vertagung unserer Beratungen vor. Ich sehe keine anderen Wortmeldungen dazu. Ich lasse über ihn abstimmen.
Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Fortfahrend in der Beratung, muß ich sagen: Sie machen es uns hier oben heute alle nicht gerade sehr leicht. Ich bin gezwungen, noch einmal einen Ordnungsruf zu erteilen, und zwar in Übereinstimmung mit der Kollegin Frau Renger, die vorher hier präsidiert hat. Es hat in der Debatte vorhin einen Zwischenruf des Abgeordneten Dr. Althammer gegeben, der da lautete: „Eine Nazi-Rede halten Sie!"
Die rüge ich in Übereinstimmung mit meiner Kollegin Frau Renger.
Und nun hoffe ich, daß wir den etwas schwierigen Rest unserer Beratung auf eine etwas bessere Weise zustande bringen.
Mir liegt der Wunsch nach der Abgabe einer Reihe von Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Dies wird uns noch eine Weile in Anspruch nehmen.
Ich möchte, bevor ich das erstemal das Wort dazu erteile, Sie auf folgendes hinweisen, was mit diesem § 31 gemeint ist. Eine Erklärung zur Abstimmung soll einem Mitglied des Parlaments die Möglichkeit geben, seine eigene Entscheidung kurz zu begründen oder besondere Umstände für sein Abstimmungsverhalten darzulegen. Wer von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, muß sich jedoch jeder Polemik gegenüber der Regierung, gegen andere Mitglieder des Hauses oder Fraktionen enthalten. Unzulässig ist auch eine Fortsetzung der Aussprache mit Diskussionsbeiträgen oder Bezugnahme auf Äußerungen in der Aussprache.
Vorsorglich weise ich auch darauf hin, daß eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung nicht etwa zu jeder der vor uns liegenden Einzelabstimmungen verlangt werden kann, sondern nur einmal zu der Frage, die Gegenstand unserer verbundenen Aussprache war.
Im übrigen darf die Erklärung nicht länger als 5 Minuten dauern.
Ich erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Haack das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zugleich für eine Anzahl von Fraktionskollegen, deren Namen ich Ihnen, Herr Präsident, schriftlich überreichen werde *), gebe ich zur Abstimmung folgende Erklärung ab.Mit unserer Fraktion teilen wir die Motive und Zielsetzungen des vorliegenden Antrags der SPD- Bundestagsfraktion. Unsere abweichende Meinung bezieht sich ausschließlich auf das absolute Nein zum zweiten Teil des Doppelbeschlusses der NATO in diesem Antrag. Das unkonditionierte, d. h. unbedingte und unbefristete Nein, das sich mit der Meinung vieler unserer Bürger deckt und verständlich und legitim ist, scheint uns nicht als politisches Instrument für das Sozialdemokraten gemeinsame Ziel des Abbaus atomarer Überrüstung geeignet zu sein.Wir halten deshalb auch heute am Sinngehalt des NATO-Doppelbeschlusses fest, der für uns in Übereinstimmung mit Helmut Schmidt ein wirkungsvolles Instrument zum Abbau und zur Begrenzung eurostrategischer Atomwaffen ist.Der NATO-Doppelbeschluß ist selbst durch eine Entscheidung des Bundestages, der Stationierung zuzustimmen, nicht erledigt. Das Ziel des Doppelbeschlusses, sowjetische Raketen abzubauen, um die Stationierung neuer Raketen überflüssig zu machen, bleibt auf der internationalen Tagesordnung.Es muß weiter verhandelt werden.
Wir gehen davon aus, daß dies auch geschehen wird.
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-Jochen Vogel, hat dargelegt, daß wir unablässig darauf drängen werden, daß die Weltmächte verhandeln, um den Rüstungswettlauf zum Stehen zu bringen, damit die Raketen, die jetzt stationiert werden, auf beiden Seiten wieder abgebaut werden. Weiter sagte er:... wir wollen diese Verhandlungen, und wir wünschen ihren Erfolg. Die Ergebnisse solcher Verhandlungen werden wir verantwortungsbewußt und mit großer Sorgfalt prüfen.Der Abbau der Hochrüstung ist nur durch eine politische Lösung zwischen den Weltmächten denkbar. Eine politische Lösung ist aber nur durch Verhandlungen möglich. Für solche Verhandlungen ist eine Verhandlungsmasse notwendig. Am Ende der Verhandlungen muß ein Kompromiß stehen. Ein Kompromiß muß eine weitere Hochrüstung verhindern und erste Schritte zur atomaren Abrüstung enthalten. Ein solcher Kompromiß ist für uns auch dann tragbar, wenn einige neue Raketen in West-*) Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2569
Dr. Haackeuropa aufgestellt werden müssen, wenn dadurch, wie es z. B. in der bekannten Waldspaziergangs-Formel vorgesehen war, der Abbau einer höheren Zahl von SS-20-Raketen der Sowjetunion erreicht wird, wenn also im Gesamtergebnis weniger Raketen in Ost und West vorhanden sind.Hans-Jochen Vogel hat gestern Bundeskanzler Helmut Kohl kritisiert, daß er diesen Vorschlag nicht unterstützt hat, und Helmut Schmidt hat eindrucksvoll gesagt, was die Bundesregierung im letzten Jahr hätte tun müssen, aber leider unterlassen hat. Deshalb halten die meisten von uns es für richtig, die Verhandlungen intensiv weiterzuführen, die Stationierung für einen überschaubaren Zeitraum auszusetzen und mit aller Kraft auf ein Verhandlungsergebnis hinzuarbeiten, das endlich für alle Menschen ein Zeichen des Durchbrechens der Rüstungsspirale setzt. Darauf müssen wir ohne Resignation drängen, gerade als Politiker in einem geteilten Volk, das an der Nahtstelle zwischen West und Ost liegt. Wir haben in der Bundesrepublik und in der DDR ein besonderes Interesse an einer Einigung der Weltmächte.Wir müssen die Sorgen der Menschen in unserem Volk in Politik umsetzen. Dabei wissen wir, daß die Ängste vieler Menschen auch auf die fehlende Glaubwürdigkeit politischer und militärischer Konzepte zurückzuführen sind. Aus diesem Dilemma kommen wir aber nicht mit einer absoluten Ja- oder Nein-Position heraus, weder mit Selbstgerechtigkeit noch mit Friedensbekenntnissen allein.Wir machen uns unsere Entscheidung nicht leicht und stehen damit in der Kontinuität sozialdemokratischer Politik.Wir werden uns aus den angegebenen Gründen bei dem Antrag unserer Fraktion der Stimme enthalten und den Antrag der Koalition ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung gebe ich folgende persönliche Erklärung ab. Ich werde entgegen meiner ursprünglichen Absicht dem Antrag der Koalitionsfraktionen aus folgenden Gründen zustimmen.
Erstens. Ich bin zwar der Überzeugung, daß das Prinzip des militärischen Gleichgewichts in einer ohnehin vor Waffen starrenden Welt zur ständigen Fortführung des Wettrüstens führen muß und daß die Entwicklung der Waffentechnik beider Großmächte von nun an zu einer tatsächlichen Gefährdung des Friedens führt.
Zweitens. Ich bin auch der Überzeugung, daß die Abschreckung durch atomare Vernichtung politisch nicht glaubhaft vermittelt werden kann, weil diese Drohung für unser Volk immer mit der eigenen
Vernichtung verbunden ist, wenn sie verwirklicht wird.
Kein Bündnis kann Bestand haben, wenn das Vertrauen schwindet, daß seine Politik für jedes seiner Mitglieder vernünftig ist. Aus der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika und aus Erklärungen ihrer Repräsentanten kann ich nicht erkennen, daß sie sich dieser Tatsache immer bewußt sind.
Drittens. Ich habe aber keine mich selbst überzeugende Antwort gegen das Argument der Bundesregierung gefunden — auch nicht in dieser Debatte —, daß dieses Parlament wiederholt und ohne Widerspruch die Glaubwürdigkeit und die Berechenbarkeit der Politik der Bundesrepublik mit dem Festhalten an dem Doppelbeschluß verbunden hat, so in den Debatten vom 14. Dezember 1979 und vom 26. Mai 1981. Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung muß erhalten bleiben; aber sie muß eingesetzt werden, um von dem militärischen zu einem internationalen politischen Sicherheitssystem zu kommen, eine eigene aktive Entspannungspolitik zu betreiben und die Großmächte und Paktsysteme aus ihrer auch uns bedrohenden Konfrontation zu lösen. Dazu halte ich auch die Bereitschaft zu einseitigen Vorleistungen für notwendig,
z. B. den Abzug chemischer Waffen vom deutschen Boden, die Einrichtung einer von taktischen Atomwaffen freien Zone in der Bundesrepublik, die massive Ausdehnung der Entwicklungshilfe und die äußerste, erkennbare und nachprüfbare Zurückhaltung bei allen Waffenexporten in dritte Länder.
Viertens. Ich habe jeden bestaunt, der hier mit glattem Gesicht, ohne erkennbare Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung reden konnte.
Ich habe große Zweifel, aber ich will mich nicht der Stimme enthalten, wenn eine Entscheidung getroffen werden muß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krizsan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde! Ich erkläre zur Abstimmung: Ich habe als Achtjähriger das Ende des Zweiten Weltkrieges erleben müssen und traumatische Erinnerungen an das Chaos, die Not, das Elend, den Tod jener Tage behalten. Dies war nach dem Verständnis der Militärs ein konventioneller Krieg. Wie werden die fährbaren und gewinnbaren Atomkriege sein? Das kriegerische Geschrei macht mir Angst. Ich will nicht in den Machtkampf der Großmächte über die NATO hineingezogen werden. Es
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2570 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Krizsanist für mich unerträglich, daß der US-Präsident die Verfügungsgewalt über mein Leben haben soll.Ich lebe sechs Kilometer vom ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen entfernt. Hier starben unter unsäglichen Qualen Opfer des Naziregimes, aber auch — und das ist weithin unbekannt — über 50 000 sowjetische Kriegsgefangene.Schon wieder werden bei uns Feindbilder aufgebaut, Gegner gesucht, Schuldzuweisungen vorgenommen, um die eigene Rüstung zu rechtfertigen, die Stationierung neuer Atomraketen zu begründen. Ich will in Frieden mit den Menschen der Nachbarvölker leben. Ich brauche keine Feindbilder, keine neuen Massenvernichtungsmittel.
Ich habe fünf Jahre in Bolivien, in Lateinamerika gelebt und gearbeitet und konnte die Not, den Hunger, die Zukunftslosigkeit der Menschen dort sehen und wirklich hautnah spüren. Die Not in den Ländern der sogenannten Dritten Welt und ihre Verschuldung haben für mich ihre Ursachen auch in den hohen Rüstungsausgaben der Industrieländer und damit auch der Bundesrepublik. Ich fühle mich verantwortlich für die Freunde, die ich dort gewonnen habe, und die Menschen, die dort unter uns unvorstellbaren Bedingungen leben müssen.Die genannten Gründe bewegen mich, gegen die Stationierung neuer Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu stimmen und für einen schnellen Abbau der übersteigerten Rüstungsausgaben einzutreten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürger! Der Soziologe C. Wright Mills hat im Jahre 1958 — ich mache darauf aufmerksam: 1958! — einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Die Ursache des Dritten Weltkrieges wird vermutlich die Vorbereitung auf ihn sein." Das möchte ich als Hintergrund zu meinen folgenden Äußerungen verstanden wissen.
Ich habe von meinen Wählern und Wählerinnen den Auftrag erhalten, nach bestem Wissen und Gewissen ihre Interessen zu vertreten.
Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn wir alle den Rednern zuhörten oder, wenn wir nicht zuhören wollen, für andere Tätigkeiten den Saal verließen.
— Ich bitte, diesem Wunsch zu folgen.
Gehen Sie doch wenigstens raus, wenn Sie schon nicht mit anhören wollen, was wir zu sagen haben!
Die Entscheidung, die von uns heute hier getroffen werden soll, kann ich nicht als eine fundierte Entscheidung anerkennen. Dazu fehlen nach meiner Ansicht wesentliche, notwendige Voraussetzungen.
Ich muß Sie noch einmal unterbrechen. — Ich bitte doch sehr herzlich darum, daß hier auf das Klingeln gehört wird. Ich sehe in der Mitte des Saales eine Reihe von Kollegen stehen, die das, was hier gesagt wird, überhaupt nicht beachten. Ich wäre dankbar, wenn sie entweder den Saal verließen oder sich hinsetzten. Das gilt für alle Seiten.
Es ist z. B. sehr wahrscheinlich, daß ein Beschluß für die Stationierung von Massenvernichtungsmitteln gegen elementare Grundrechte der Menschen und der Völker verstößt. Nach meiner Überzeugung — und darin haben mich viele Überlegungen, Gespräche, Diskussionen und Hunderte von Briefen, besonders in den letzten Wochen, bestärkt — verstößt die Stationierung und übrigens auch schon die Herstellung von Massenvernichtungsmitteln sogar gegen elementare Interessen der gesamten Natur.Die Grundüberlegungen bisheriger Verteidigungspolitik beruhen auf dem Prinzip der eskalierenden Abschreckung. Abschreckung kann nur solange eskalieren, bis die Verwirklichung der Androhung die totale Vernichtung auch des Angreifers bedeutet. Dieses Stadium haben wir längst überschritten.Folglich ist die Befürwortung der Stationierung von Massenvernichtungsmitteln eine Entscheidung für die sinnlose, wahnsinnige, weitere Erhöhung von Vernichtungspotential, egal, ob in West oder Ost. Das kann ich nicht vertreten.Die Behauptung, daß die Kontrolle über diese sogenannten Waffen vom Menschen erfolge, beruhigt mich dabei keineswegs, ebensowenig wie die drohende Wahrscheinlichkeit, daß eines Tages wegen der immer kürzeren Vorwarnzeiten nur noch die Technik entscheiden kann. Weder der Mensch noch die Technik als Menschenwerk sind mir hinreichend zuverlässig , — und das aus geschichtlicher Erfahrung —, eine so fundamentale Entscheidung zu treffen. Ich spreche dieses Recht eigentlich jedem Menschen ab.Ich muß auch zur Kenntnis nehmen, daß diese sogenannte Entscheidung des Parlaments in einer Art amerikanisch besetzter Zone stattfindet,
solange vertragliche Zwänge als Folgen des vorletzten Weltkrieges eine wirklich freie Entscheidung in diesem Hause nicht zulassen. Die wirklich freie Entscheidung steht also noch aus. Eine für mich bedeutsame Entscheidung hat mehrheitlich das
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SauermilchVolk draußen, jenseits der Wasserwerfer, längst getroffen.Ich stimme daher für die Bürger und mit den Bürgern gegen die Aufstellung von Massenvernichtungsmitteln. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reents.
— Weil die Geschäftsordnung dies so vorsieht und erlaubt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Feilcke, wir sind erst acht Monate hier. Sie sind etwas länger hier. Sie sollten die Geschäftsordnung kennen, Sie sollten wissen, daß das so möglich ist.
Ich möchte zur Abstimmung erklären, daß ich dem Antrag der CDU/CSU, der zum Hauptinhalt hat, gemäß NATO-Doppelbeschluß den Beginn des Stationierungsprozesses einzuleiten, nicht zustimmen kann. Da ich mich dazu vorhin schon habe politisch äußern können,
kann ich mich kurzfassen und möchte persönlich nur noch folgendes nachtragen.
Ich meine, daß diese Entscheidung tatsächlich eine historische Bedeutung von dem Rang der Entscheidung hat, die in der Weimarer Versammlung zum Ermächtigungsgesetz stattgefunden hat.
Ich will das nicht vergleichen. Ich sage, daß das denselben historischen Rang hat; denn mit dieser Stationierung — davon bin ich überzeugt — besteht tatsächlich die Gefahr, daß wir nicht nur am Abgrund eines Atomkrieges stehen, sondern bereits einen Schritt weiter tun. Deswegen kann ich diesem Antrag nicht zustimmen, sondern werde dagegen stimmen und mich so verhalten, wie ich es auch draußen in der Friedensbewegung bislang getan habe.
Ich möchte ein zweites zu dem Antrag der SPD hinzufügen, dem ich nicht zustimmen kann und wo ich mich enthalten werde. Wenn sich der Antrag der SPD darauf reduziert hätte, zu erklären, daß der Deutsche Bundestag die Stationierung von neuen amerikanischen Mittelstreckensystemen auf dem Boden der Bundesrepublik ablehnt, und auch die weiteren Erklärungen vorzunehmen, die in den Punkten 2 bis 4 aufgeführt sind, hätte ich diesem Antrag zustimmen können. Da er aber gleichzeitig eine Erklärung beinhaltet, daß es für die Kriegsverhütung in unserem Land unverzichtbar sei, auf das
Bündnis, die NATO, und die Bundeswehr zu setzen,
bin ich nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen, sondern werde mich enthalten. Denn ich vermag nicht einzusehen, wieso es nicht auch in der Bundesrepublik wie in anderen Staaten — z. B. Österreich, Schweiz, Schweden, Finnland, Jugoslawien — möglich sein soll, daß man außerhalb eines solchen Militärbündnisses auch und besser zur Kriegsverhütung beitragen kann.
Ich danke Ihnen, daß ich hier ein paar wahre Worte sagen konnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war zehn Jahre lang Religionslehrer im Land Baden-Württemberg. Glückliche Umstände haben dazu geführt, daß ich jetzt, an diesem bedeutungsschweren Tag, hier bin. Ich möchte Ihnen kurz sagen, was mich sehr betroffen macht.In den Händen habe ich ein Faltblatt, das ich in den letzten fünf Jahren verwendet habe. Es stammt von Jörg Zink, den Sie sicher als „Fernsehpfarrer" kennen, ist von „Brot für die Welt" herausgegeben worden und heißt „Die letzten sieben Tage der Erde". Diese sieben Tage sind hier in einer Art Karikatur oder, besser, in einer Art apokalyptischem Psalm dargestellt. Ich sehe, daß wir nun in die Reichweite des fünften Tages gekommen sind.Ich lese vor:Am fünften Tage drückten die letzten Menschen den roten Knopf, denn sie fühlten sich bedroht. Feuer hüllte den Erdball ein.
Die Berge brannten, die Meere verdampften, und die Betonskelette in den Städten standen schwarz und rauchten. Und die Engel im Himmel sahen, wie der blaue Planet rot wurde, dann schmutzig braun und schließlich aschgrau.Ich bekenne mich hier zu einem anderen, zu einem Schöpfungsglauben, der die Welt als Geschenk, als „mandatum dei", begreift. Von den Indianern, die heute da waren, konnten wir erfahren, daß sie ein ganz anderes Verhältnis zu dieser Mutter Erde haben. Ich finde es schlimm, daß wir Menschen, Christen, mit diesem Planeten, den wir bekommen haben, so umgehen, und daß wir hier jetzt eine solche Entscheidung — ich halte sie für unseren Planeten für sehr, sehr bedeutungsschwer — treffen können.Ein wenig Mut macht mir in dieser schwierigen Stunde die Erklärung der baden-württembergischen Religionspädagogen zur Rüstungssituation. Da steht ein schöner Satz, der mir bei der Entscheidung, dagegen zu stimmen, hilft. Er gibt mir Mut, denn ich weiß, daß ich nicht alleine bin und daß
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Schwenningerimmer mehr Religionslehrer, aber auch andere Lehrer in Baden-Württemberg, die es dort bei diesem Kultusminister wirklich nicht einfach haben,
diese Erklärung aus vollem Herzen unterschreiben.. Da heißt es:Die Zeit ist reif für ein entschiedenes Nein zu den Massenvernichtungsmitteln ohne jedes Ja. Deshalb lehnen wir alle Rüstung in Ost und West, die den flächenhaften Mord wie den kollektiven Selbstmord einkalkuliert, als schwere Sünde und tödlichen Unglauben ab. Dies gilt für Kernwaffen einschließlich jedweder Nachrüstung ebenso wie für chemische und biologische Waffen sowie für den massiven Einsatz konventioneller Feuerkraft.Ich kann meine Kollegen Religionslehrer, aber auch all die anderen in Baden-Württemberg tätigen Lehrer nur ermutigen, weiterhin für die Erziehung zum Frieden einzutreten.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ablehnung der Raketenstationierung als Christin und aus der Geschichte von uns Frauen begründen. Ich beziehe mich damit auf eine Auslegung der Bergpredigt, wie sie — für mich vorbildlich — vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR geleistet worden ist, der seine Friedensdekade dieses Jahres, mit der er gegen die drohende Nach-Nachrüstung in der DDR protestiert, unter die Parole „Frieden schaffen aus der Kraft der Schwachen" gestellt hat. In einem anderen Satz wird gesagt, daß die Auslegung der Bergpredigt heißt: Auch dein Feind braucht Frieden.
Damit beziehe ich mich auf eine Erklärung derselben Kirche, die mit dem — ebenfalls biblischen — Symbol „Schwerter zu Pflugscharen" für mich in eindrücklicher Weise ein Bild dessen geschaffen hat, was die Friedensbewegung in Ost und West erreichen will.
In dieser Debatte hat es eine andere Interpretation der Bergpredigt gegeben, eine. Interpretation, die sich nicht auf die Botschaft Jesu in der Bergpredigt bezieht, sondern auf eine Randanmerkung von Martin Luther und damit auf die lutherische ZweiReiche-Lehre mit ihrer unglaublich schwierigen Tradition. Sie beziehen sich, wenn Sie sich auf Martin Luther beziehen, auf einen gebrochenen Helden, in dem sehr viel schwarzes Mittelalter steckt und der z. B. mit dieser Zwei-Reiche-Lehre zu den Fürsten seiner Zeit sagen konnte: Haue, steche, brenne, schlage zu, wer immer sie treffe, die aufrührerischen Bauern! — Nur: Luther gab seinen Fürsten Schwerter in die Hand und keine Atomwaffen.
Ich möchte sagen, daß ich große Traurigkeit darüber empfinde, daß sich meine Kirche ähnlich wie das Zentralkomitee der Katholiken in ihrer Leitung in der jetzigen Situation nicht zu einer so eindeutigen Ablehnung der Atomraketen hat bekennen können wie die Kirchen in der DDR, so daß Sie als die, die hier zu entscheiden haben, von dieser Kirche in gewisser Hinsicht alleingelassen sind.
Ich möchte aus der Geschichte von uns Frauen als Begründung noch folgendes sagen: Ich sehe die heute zu fällende Entscheidung auch als eine in einer historischen Reihe von großen parlamentarischen Entscheidungen. Für mich fängt sie bei der Bewilligung der Kriegskredite zum Ersten Weltkrieg an, beim Ermächtigungsgesetz, beim Wiederaufbau der Bundeswehr, bei der Debatte um die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen, bei der Debatte um die Notstandsgesetze. An diesen Entscheidungen waren wir Frauen entweder gar nicht beteiligt oder in der absoluten Minderheit.
Ich habe in diesen zwei Tagen am schlimmsten empfunden, daß Frauen gebraucht wurden, um in Militäruniform dieses Parlament mit der Polizei zu belagern, und daß Frauen — gerade Frauen, die doch in der Geschichte der Kriege immer gezwungen waren, Opfer zu sein, selber Opfer zu bringen, ihre Kinder und ihre Männer zu opfern — Verständnis hatten für die jetzt anstehende Entscheidung. Ich will das nicht verurteilen, ich will nur sagen, daß mich das mit großer Trauer betroffen macht.
Dann möchte ich als letztes sagen, daß es für mich ein gewisses Zeichen der Hoffnung wäre, wenn es einen oder eine aus Ihren Reihen gäbe, die diese Entscheidung, die vorprogrammiert war, in dieser Debatte noch hätte ändern können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorgestern vor 36 Jahren verstarb in Basel ein junger Hamburger, den der letzte Krieg zerstört hatte: Wolfgang Borchert — dieser Mann war es — hat mich in meiner Jugend so beeindruckt und beeindruckt mich heute noch, so daß ich im letzten Jahr sein Werk wieder gelesen habe. Ich habe darin einen Aufruf wiedergefunden, der mich heute wie damals erreicht hat. Es ist ein Aufruf, in dem Borchert alle Menschen, den Mann an der Maschine, den Politiker nicht, die Frau, die Mutter, alle Menschen anspricht: Sagt nein, wenn euch einer zwingt, am nächsten Kriege vorbereitend mitbeteiligt zu sein!
Er endet in diesem Gedicht mit den Bildern von Hiroshima vor Augen:Denn wenn ihr nicht nein sagt ... dann wirdder letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen
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Dr. Jannsenund verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend — und seine furchtbare Klage: Warum? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch — all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heut nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn — — wenn — — wenn ihr nicht NEIN sagt.Das schrieb ein junger Deutscher 1947, eineinhalb Jahre nach dem Ende des letzten Krieges, der einmal der totale war, kurz vor seinem Tod, einer Folge dieses Krieges.Ich frage: Sind wir heute soweit, heute nacht schon?Wenn ich am Tage dieser Entscheidung, heute also, in einer deutschen Zeitung lese, daß der US- Botschafter in Costa Rica eine Invasion Nicaraguas nicht für unmöglich hält, und wenn ich an demselben Tage in derselben Zeitung lesen muß — ich zitiere —:Weihnachten wird um die Einäscherung der Deutschen gewürfelt — Atomkriegsspiele haben in USA Hochkonjunktur — Der Schwarze Peter wird den Russen zugeschoben — Kämpfe nur in Europa— das sind die Überschriften—, dann denke ich: Es ist soweit, es ist endgültig soweit. Und dann gibt es nur eines: Sag nein! — Und dies ist kein Nein der Verzweiflung, auch heute noch nicht, sondern es ist ein Nein des Protestes.
Das Wort hat der Abgeordnete Bastian.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich bin von der bevorstehenden Abstimmung nicht nur als deutscher Bürger, sondern auch als ehemaliger Berufssoldat — Sie haben es richtig genannt — betroffen, als ein Berufssoldat, der die längste Zeit seines Berufslebens im Dienst der Streitkräfte verbracht hat,
übrigens mit beachtlichem Erfolg, auch wenn es heute gerne anders dargestellt wird.
Als ehemaliger Soldat kann ich, wie auch viele andere ehemalige Generale aus NATO-Ländern, mit einer Stationierung von perfektionierten Nuklearwaffen in Europa nicht einverstanden sein, weil damit eine gefährliche Konventionalisierung der Atomwaffen verbunden ist, die die Rolle des Soldaten grundlegend verändern muß.
Der Soldat will beschützen und notfalls verteidigen.
Und er will, wenn er seinen Dienst mit Überzeugung leisten soll, zu beidem auch fähig sein. Bisher hatte er, selbst im unwahrscheinlichen Fall eines bewaffneten Konflikts in Mitteleuropa, dazu auch eine Chance. Diese Chance wird ihm mit neuen Atomwaffen genommen, die ihrer Art und Zweckbestimmung nach zum frühzeitigen Einsatz schon an der Schwelle zum Konflikt zwingen, weil sie die für ein Vergeltungspotential notwendige Unverwundbarkeit nicht besitzen. Mit solchen Waffen werden Bedingungen geschaffen, die den Soldaten im Kriegsfall zum unfreiwilligen Zerstörer all dessen verurteilen, was er verteidigen will und bisher auch verteidigen konnte. Das darf keinem Soldaten zugemutet werden. Und es braucht auch keinem Soldaten zugemutet zu werden, weil an der Verteidigungsfähigkeit der NATO auch ohne Pershing-II-
Raketen und Marschflugkörper in Europa kein Zweifel möglich ist.
Wer die Machtfülle vergleicht, die von den konkurrierenden Bündnissystemen konventionell und atomar entfaltet werden kann, wird zu keinem anderen Ergebnis kommen. Auch wenn die UdSSR so törricht sein sollte, ihre Mittelstreckenrüstung fortzusetzen — was zu bedauern wäre —,
würde durch ein Kopieren dieses Verhaltens Törichter nicht klug, sondern zur Gefahr für alle werden. Darum kann ich dem Antrag der Regierungsparteien nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! In den letzten Jahren habe ich sehr viele Debatten dieses Hauses im Fernsehen oder im Rundfunk verfolgt. Damals war ich Maurer. Zu dieser Zeit habe ich nie daran gedacht, daß ich einmal an diesem Pult stehen werde. Nun stehe ich hier und fühle mich hilflos; hilflos deshalb, weil ich bei der heutigen existentiellen Entscheidung über die Aufstellung der neuen Atomraketen abstimmen muß und vorher schon weiß, daß mein Nein und
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Drabiniokmeine Erklärung nichts bewegen werden bei den Menschen in der Koalition, die mit Ja stimmen wollen.Heute entscheiden wir 520 Menschlein über Leben und Tod von Millionen Menschen in der Bundesrepublik,
die nur alle vier Jahre für zehn Stunden die Möglichkeit haben, ihre Meinung in Form eines Kreuzchens auszudrücken. Alle Entscheidungen und alle Verantwortung liegen nach diesen zehn Stunden für vier Jahre in der Hand derer, die hier sitzen.
Ich glaube, daß Ihre Angst vor einem Gesichtsverlust größer als die Angst vor dem Untergang unseres Volkes und anderer Völker ist.Wir Bundesbürger haben im Falle des Versagens der Abschreckung — die j a durchaus versagen kann, denn nichts und niemand ist unfehlbar — weder Frieden noch Freiheit, sondern nur noch den Tod zu erwarten. Wann die Abschreckung versagt, ist für viele und für mich nur eine Frage der Zeit. Vielleicht geschieht es erst in zehn oder 20 Jahren, vielleicht aber auch schon morgen.Mehrere tausend Wissenschaftler und Militärs haben warnend die Stimme erhoben. Sie haben die Politiker vor den Auswirkungen ihres Handelns und vor den Auswirkungen eines Atomkrieges gewarnt.Es erschreckt mich, wie hier über das Leben von Millionen Menschen entschieden wird. Computerfehler, Überreaktion der Großmächte bei sich verschärfenden politischen Spannungen im Nahen .Osten, in Mittelamerika, in der Dritten Welt, wirtschaftliche und soziale Spannungen in den Industrienationen lassen für mich einen Krieg immer wahrscheinlicher erscheinen, erst recht dann, wenn die Atomraketen hier stationiert werden.Aus diesen Gründen werde ich gegen die Stationierung von Atomraketen stimmen, stellvertretend auch für die Millionen Menschen, die die Betroffenen sein werden, deren Stimmen hier aber nichts zählen, insbesondere für meine Eltern und die Kinder dieser Erde.Gestatten Sie mir, noch einen letzten Satz zu sagen. Ihn zu sagen fällt mir ein bißchen schwer,
weil er eigentlich böse ist. Aber ich möchte ihn dennoch sagen: Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Präsident! Liebe Anwesende! Herr Dregger hat gestern gesagt, wenn sich der Westen so verhalten hätte wie der Osten, hätte die Sowjetunion die Verhandlungen sofort abgebrochen, und dann hätten Sie ihr Beifall gezollt.
Frau Reetz, bitte lassen Sie sich unterbrechen.
Ich habe vorhin deutlich gemacht, wie eine persönliche Erklärung aussehen kann. Sie kann nicht so aussehen, wie Sie angefangen haben. Ich wäre dankbar, wenn Sie sich danach richten.
Nein, wir haben das nicht drei Tage geübt.
Ich wollte sogar diese Erklärung direkt nach § 30 abgeben. Aber ich kann das auch umformen.
Diese Äußerung, die von Ihnen gefallen ist, wir hätten einer solchen — —
— Also gut. Es ist uns Abgeordneten in den letzten zwei Tagen mehrfach die politische Urteilsfähigkeit abgesprochen und Demagogie unterstellt worden,
dieses sowohl in der Rede von Herrn Dregger als auch vorhin.
Ich erkläre hiermit, daß ich gegen die beiden Vorlagen stimmen werde. Ich möchte damit meine politische Urteilsfähigkeit unter Beweis stellen, die uns mehrfach in diesen letzten zwei Tagen abgesprochen wurde. Ich möchte sagen, daß wir nicht aus Demagogie so handeln; ich stimme so aus Liebe zum Leben, aus Anerkennung der Würde des Menschen und aus Respekt vor Gott.
Herr Abgeordneter Schneider ist der nächste.
Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Menschen! Von der zurückliegenden Debatte bin ich enttäuscht. Ich fühle mich leergeredet und deprimiert
von einem Klima der Unbeweglichkeit und Unbewegbarkeit und auch der Härte, mit der in den vergangenen zwei Tagen hier eine Sache verhandelt wurde, die von unabsehbarer, vielleicht endgültiger Tragweite nicht nur für die Menschen in beiden deutschen Staaten ist, sondern möglicherweise für die ganze Menschheit.Wenn hier während der Debatte die vielen Briefe und Unterschriftensammlungen gegen die Statio-
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Schneider
nierung der neuen lebensgefährlichen Raketen, die Mahnwachen vor den Häusern der Abgeordneten
oder die Demonstrationen als Psychoterror oder Gewalt bezeichnet wurden,
dann verstärkt sich bei mir das Gefühl, in einer paradoxen Welt zu leben.
Mir scheint, daß die Abgeordneten, die aus „Friedensliebe" und „zum Wohl der Menschen" einem neuen schrecklichen Vernichtungspotential zustimmen wollen, Kritik und Zweifel nicht mehr an sich herankommen lassen.Auf der anderen Seite werden die Mahner und Kritiker als hysterische Angstmacher oder Angehörige einer fünften Kolonne der Sowjetunion in die Ecke gestellt. Diese Haltung bedrückt mich, und sie erweckt in mir das Gefühl, daß wieder einmal die Opfer mit den Tätern vertauscht werden.
Ich habe mich im Verlauf der Debatte durch die Reaktion vieler Mitglieder dieses Hauses des Eindrucks erwehren müssen, daß wir nur mit Lärm und Zwischenrufen torpedieren wollten, was doch eigentlich für unsere Freiheit und den Frieden das einzig Richtige sei.Ich möchte hier sagen: Ich fühle mich bei der Stationierung als Opfer, als mögliches Schlachtvieh. Wenn ich schreie und mich empöre, dann hat das Ähnlichkeit mit dem verzweifelten Strampeln eines Kalbs, das man zum Metzger führt.Es geht im Zusammenhang mit der Stationierung nicht um irrationale Endzeitstimmung, die aus Hysterie oder Verblendung entstanden ist oder gar aus dem bösen Osten gesteuert ist, sondern die Menschen haben real und unabweisbar Angst. Ich habe Angst:
Angst um die Zukunft meiner Kinder und der Menschen, die ich liebe; Angst vor den schrecklichen Folgen eines Krieges.Die GRÜNEN haben gestern viele Hunderte Kinderfotos aus der DDR zugeschickt bekommen, die in bewegender Weise die Briefe und Signale der Menschen aus der DDR ergänzt haben und die uns alle eindringlich bitten, nicht weiter an der Hochrüstungsspirale zu drehen. Diese Menschen können sich in diese Entscheidung hier nicht persönlich einmischen. Ihnen bleibt nur das Gefühl der Schwachen. Ich fühle mich verpflichtet, einen Versuch zu machen, ihren Sorgen und tiefgehenen Ängsten hier etwas Gehör zu verschaffen.Jedes Mehr an militärischer Sicherheit wird die Unsicherheit und die Bedrohung nur vermehren, statt sie zu verringern.
Der Westen ist wirtschaftlich, technologisch und militärisch wesentlich stärker als der Osten. So kurz vor einem möglichen, nicht mehr korrigierbaren Endpunkt unserer Geschichte sollte der Westen die Kraft aufbringen, der Haltung des Stärkeren auch die Haltung des Klügeren hinzuzufügen und Zeichen zu einseitigem Verzicht zu setzen.
Nichts, aber auch gar nichts ist riskanter, als so weiterzurüsten wie bisher.Ich stimme gegen die Stationierung.
Sie sehen, meine Damen und Herren, es ist schwierig, den Inhalt einer persönlichen Erklärung abzugrenzen. Ich darf alle, die hier noch eine Erklärung abgeben wollen, noch einmal auf das hinweisen, was ich vorhin hier für uns alle deutlich gemacht habe und was sich aus der Geschäftsordnung ergibt. Ein bißchen Geduld hört zu dem, was wir uns vorgenommen haben, Parlamentarismus auf gute Weise zu bewältigen. Es ist ein bißchen anstrengend, aber es ist eine gute Sache. Lassen Sie uns die Sache gut durchstehen.
Herr Burgmann!
Liebe Mitbürger! Die Anträge, die nun zur Beschlußfassung vorliegen, habe ich mir sehr sorgfältig durchgelesen. Ich habe festgestellt, daß im Antrag der CDU/CSU und FDP in Punkt I sehr deutlich und klar festgelegt wurde, daß nun die Aufrüstung der NATO durch Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles praktisch vollzogen werden soll. Ich finde, daß der Antrag in Punkt II dann unglaublich zynisch fortfährt, wenn er sagt, der Wunsch nach einer deutlichen Verminderung der Rüstungen — —
Herr Kollege Burgmann, ich habe eben deutlich gemacht, daß es nicht zu den Regeln einer persönlichen Erklärung gehört, daß man andere — sei es Regierung, sei es andere Fraktionen, sei es Personen — im Rahmen einer solchen persönlichen Erklärung kritisiert oder daß man polemische Äußerungen macht. Dies, was Sie gesagt haben, würde ich bei „polemisch" einordnen. Ich muß Sie darauf hinweisen, daß wir uns alle weiter an diese gemeinsame Regel unserer Geschäftsordnung halten wollen.
Ich habe mich auf den Antrag bezogen. Dort steht also, daß der Wunsch nach einer deutlichen Verminderung der Rüstungen
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Burgmannohne Gefährdung unserer Sicherheit ausgedrückt wird. Ich halte das für einen krassen Widerspruch zu dem, was unter I über die vollzogene Aufrüstung gesagt wird.Ich bin wenige Wochen vor dem Krieg geboren. Ich habe den Krieg, die Bombennächte erlebt. Das waren meine ersten Erinnerungen. Wir hatten nach dem Krieg eine Hoffnung, die mit der Parole „nie mehr" umging. Es gab damals einen Konsens im deutschen Volk, daß dieses Volk nie mehr mit Rüstung, nie mehr im Vertrauen auf Rüstungen sein Schicksal gestalten wolle.
Heute muß ich erleben, wie meine Kinder mit Millionen verzweifelter junger Menschen vor der Situation stehen: No future,
daß sie keine Zukunft mehr sehen, daß sie damit rechnen, in wenigen Jahren dem Atomkrieg, der hier vorbereitet wird, zum Opfer zu fallen.
Ich sehe, daß in diesem Antrag Entwicklungen, wie wir sie in der Vergangenheit hatten, bereits wieder ihren Anfang nehmen. Dieser Beschluß zu einer massiven und höchst gefährlichen Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenwaffen, der hier sehr lebhaft debattiert worden ist, stellt uns vor eine sehr entscheidende Frage.
Diese Frage wurde hier nicht beantwortet: Was ist, wenn die Abschreckung versagt? Ich weiß, daß diese Frage im Volk gestellt wird; ich weiß, daß es darauf keine Antwort gibt; ich weiß, daß die Mehrheit der Bevölkerung dieses System der Abschrekkung, vor allem aber diese Raketen, aus diesem Grund ablehnt.
Ich werde mich aus meiner eigenen Verantwortung heraus — zusammen mit Millionen im deutschen Volk — gegen diese Raketen aussprechen.Ich werde die Anträge, die vorliegen — den von der CDU/CSU und FDP genauso wie den von der SPD —, ablehnen, den der SPD deshalb, weil auch die SPD im nachhinein noch versucht, den Doppelbeschluß in ihrem Antrag zu rechtfertigen.
Herr Burgmann, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß es hier nicht um einen Debattenbeitrag, sondern um Ihre persönliche Erklärung geht.
Das gilt für alle, die hier noch das Wort zu einer persönlichen Erklärung bekommen.
Es ist keine persönliche Erklärung, sondern eine Erklärung bezogen auf die Anträge.
Es geht um eine persönliche Erklärung und nicht um etwas anderes. Es ist § 31, nach dem hier zur Zeit Wortmeldungen gewährt werden.
Als nächster hat der Abgeordnete Horacek das Wort.
Ich habe in den letzten Monaten bzw. Wochen einige Sachen erlebt,
die mich dazu bringen, zu erklären, warum ich gegen die Stationierung der Raketen bin.Auf der Moskau-Reise haben mir Leute in einem Gespräch über die Stationierung und über die damit verbundenen Probleme gesagt, daß das auch unter folgendem Aspekt zu einem Problem werden wird: Die Geschäfte zwischen Ost und West werden weitergehen; dabei werden auch weiter einige Sachen geliefert, die denen sehr zu schaffen machen. Der Westen liefert nach Osten
— nicht nur Weizen — auch hochwertige Medikamente für eine bestimmte Schicht, die Führungsschicht.
Er liefert aber auch hochwertige Psychopharmaka für die Dissidenten in psychiatrischen Kliniken.
— Ja, Firmen. Das wird zugelassen, und das ist sehr schlimm für die Menschen; das ist das eine.Das andere ist, daß Menschen in Ost-Berlin uns gesagt haben — es wurden uns auch diese Fotos geschickt —: Wenn ihr im Westen die Stationierung jetzt zulaßt, wenn die abläuft, dann ist sie notwendigerweise auch gegen uns gerichtet, auch wenn man von der Meinung ausgehen sollte, daß sich die Stationierung sozusagen zum Positiven wendet. Dennoch bedroht sie das Leben der Menschen.
Warum? Weil wir z. B. bestimmte Computerfehler nicht ausschließen können.
Drittens. In den letzten zwei Tagen habe ich erlebt, daß ein Kollege, der an einem Manöver teilge-
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Horaceknommen hat und dabei schwer verletzt wurde, begrüßt worden ist.
Das betrifft mich auch persönlich: Ich wünsche diesem Kollegen alles Gute für sein Leben. Ich wünsche für mich und für uns, daß wir nicht einem, wie ich gelesen habe, Zieloptikfehler, der dann irgendeine Granate zur Explosion bringt, keinem Computerfehler unterliegen mit der Folge, daß wir hier in Europa dann alle tot sind.Aus diesen Gründen stimme ich gegen die Stationierung weiterer Raketen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Wehrpflichtige, Soldaten und ehemalige Soldaten der Bundeswehr! Als 18-/19jähriger habe ich 15 Monate Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet und bin seitdem Fahnenjunker der Reserve. Ich komme aus einem christlich-konservativen Elternhaus. Nach dem Abitur und zur Zeit meines Bundeswehrdienstes war es für mich selbstverständlich und es entsprach dem, was ich bis dahin gehört und erfahren hatte, daß ich innerhalb der Bundeswehr und mit der Bundeswehr einen Beitrag zum Frieden und einen Beitrag zur Freiheit des Westens leiste.
Ich habe in den 15 Jahren seit dieser Zeit viel gelernt und auch einiges erkannt. Ich habe während meines Studiums erkannt, daß die NATO-Vormacht USA in Vietnam nicht die Freiheit des Westens und auch nicht die Freiheit des vietnamesischen Volkes verteidigt, sondern dort einen erbarmungslosen Völkermord praktizierte.
— Sie brauchen mir nicht zu erzählen, daß die Sowjetunion in Afghanistan ebenfalls die Mehrheit der Bevölkerung massakriert.
Ich habe erkannt, daß mit der Notstandsgesetzgebung in der Bundesrepublik die Möglichkeit besteht, die Bundeswehr als militärisches Instrument gegen die Mehrheit der Bevölkerung einzusetzen,
in Krisenzeiten gegen die Friedensbewegung einzusetzen,
gegen die Ökologiebewegung und, wenn es sein muß, gegen streikende Arbeiter einzusetzen.
Ich habe miterlebt, daß die Staatsgewalt der Bundesrepublik zunehmend militarisiert worden ist,
daß der Bundesgrenzschutz als paramilitärische Bundespolizei aufgerüstet worden ist
und daß diese paramilitärische Bundespolizei in diesen Tagen gegen friedliche Demonstranten hier in Bonn eingesetzt worden ist.
Die Summe meiner Erfahrung ist, daß die NATO- ormacht USA nicht die Freiheit verteidigt, sondern zur Ausbeutung und Unterdrückung der Dritten Welt dient, bis heute,
und daß die NATO-Vormacht USA, unterstützt von ihren NATO-Partnern, die militärische und atomare Üerlegenheit über den Warschauer Pakt anstrebt, insbesondere mit der Raketenstationierung.
Ich habe erkannt, daß die Bundesrepublik Erfüllungsgehilfe dieser NATO-Vormacht ist, wie sich am Beispiel der Haltung der Bundesregierung zu Grenada zeigt,
wie sich an der Haltung der Bundesregierung gegenüber der Raketenstationierung zeigt. Ich habe in diesen Tagen plastisch vor Augen geführt bekommen, daß das Parlament funktionslos geworden ist gegenüber einer längst gefallenen Entscheidung der Bundesregierung gegen die Mehrheit der Bevölkerung.
Das heißt für mich: Es ist für mich an der Zeit, nein zu sagen. Ich bin nicht mehr bereit, mich dem militärischen Apparat der Bundesregierung zur Verfügung zu halten. Ich werde noch in dieser Woche meinen Wehrdienst nachträglich verweigern.
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Stratmann
Ich sage betont: Ich werde noch in dieser Woche den Wehrdienst aus politischen Gründen verweigern.
Meine Damen und Herren, es ist, wie ich schon einmal gesagt habe, nicht einfach, zwischen einer Fortsetzung der Debatte und dem Inhalt einer persönlichen Erklärung abzugrenzen, die zur Abstimmung über den Inhalt dieser Debatte in Form der vorliegenden Entschließungsanträge führt.
Ich gebe noch einmal zu bedenken, daß Parlamentarimus eine anstrengende Sache, manchmal sogar eine zeitraubende Sache, aber eine gute Sache ist.
Deswegen sollten wir diesen Vorgang, natürlich sauber unter Einhaltung, so gut es geht, der Geschäftsordnung auch zu einem ordentlichen Ende bringen.
Als nächste Wortmeldung nach § 31 unserer Geschäftsordnung habe ich die Wortmeldung von Frau Potthast vorliegen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürger und Bürgerinnen! Zur Sache gemäß dem Antrag der Koalitionsfraktionen steht die Entscheidung der Mehrheit des Deutschen Bundestages für die Stationierung von neuen Massenvernichtungswaffen auf deutschem Boden entsprechend dem Willen des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Ich stehe hier, um meinem Nein zu dieser Stationierung Ausdruck zu geben,
entsprechend dem Nein der Mehrheit der deutschen Bevölkerung in Ost und West.
Es war die Rede von der Friedensbewegung als einer Art Angstbewegung. Das ist zum Teil richtig. Es ist die Angst — und es ist auch meine Angst — vor der totalen Vernichtung allen Lebens durch einen atomaren Holocaust, der durch die neuen Pershing II, Cruise Missiles, SS 20, 22, 23 und durch all die noch schrecklicheren, noch präziseren Waffen, die bereits in den Forschungslaboratorien beider Militärblöcke konstruiert werden, immer wahrscheinlicher wird. Es ist eine Angst, es ist meine Angst, die Sie, die Sie hier die Macht haben oder auch hatten, durch Ihr Verhalten, durch Ihre Entscheidungen produzieren und fördern, eine Angst, die viele andere Ängste auslöscht. Ich frage mich, ob nicht auch für Sie vieles unwichtig wird angesichts der Vorstellung eines qualvollen Massensterbens von Natur und Menschen unter einer letzten atomaren Dunstglocke.
Nichts, aber auch gar nichts kann die Produktion und den angedrohten Einsatz von Massenvernichtungsmitteln rechtfertigen. Häufig wird angeführt, daß es der Logik der atomaren Abschreckung zu verdanken sei, daß es in Europa seit 38 Jahren keinen Krieg mehr gegeben habe. Diesem Argument begegnete einer der Naturwissenschaftler, die sich im Juli 1983 zum Friedenskongreß in Mainz trafen, mit folgendem Vergleich: Niemand würde denjenigen ernst nehmen, der von heißem Wasser sagt, jetzt habe es schon 95 Grad und koche immer noch nicht, es werde also auch bei 105 Grad nicht kochen.
Eine kleine Episode, die ich miterlebt habe, soll mein Nein veranschaulichen. Im September dieses Jahres haben zwei gewaltfreie Blockaden von US- Mlitärstützpunkten in Mutlangen und in Bitburg Schlagzeilen gemacht.
In Mutlangen hielt sich der Staatsschutz zurück. In Bitburg dagegen wurden Wasserwerfer und Polizeihunde gegen gewaltfreie Blockierer und Blockiererinnen eingesetzt. Ein junger Mann wurde gebissen. Von der Polizei wurde bestätigt, daß dieser Mann keinerlei Schuld trug. Ein Polizist teilte uns mit, es sei ein schreckliches Versehen gewesen, völlig unbeabsichtigt. Die mitgebrachten Hunde hätten nie zum Einsatz kommen sollen. Man hätte sie im Falle einer Auseinandersetzung hinter die Polizeikette zurückziehen wollen. — Wir haben uns bei diesem Polizisten dafür bedankt, daß wir selten ein anschaulicheres Beispiel für das Versagen der Abschreckungslogik erhalten haben.
Ihre Entschuldigung, Kolleginnen und Kollegen von seiten der CDU/CSU und FDP, die Sie die Stationierung von weiteren Massenvernichtungswaffen befürworten, wird im Falle eines Scheiterns der atomaren Abschreckungslogik niemand mehr annehmen können. Wir möchten, daß Feindbilder abgebaut werden; wir treten für einseitige Abrüstung ein. Wenn wir also mit unserem Vertrauen in die Menschen unserer Nachbarstaaten einen Fehler machen sollten, werden unsere Kinder sich noch gegen jede Art Unterdrückung zur Wehr setzen können. Irren Sie sich aber in Ihrem Vertrauen auf Computer, kann das den Untergang allen Lebens der ganzen Schöpfung bedeuten. Können Sie diese Verantwortung tatsächlich übernehmen? Ich bitte Sie, falls Sie auch nur einen einzigen Funken Zweifel haben, stimmen Sie mit uns: nein, denn die Zeit ist da — — für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen.
Frau Potthast, das ist nicht Inhalt einer persönlichen Erklärung.
Der letzte Satz.
Frau Potthast, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. Ich muß Ihnen das Wort
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Vizepräsident Westphalentziehen; das ist nun eindeutig, daß fünf Minuten einzuhalten sind.
Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich habe als Neuling im Parlament nicht nur diese Debatte mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich habe auch das verfolgt, was schon vorher passiert ist. Ich bin bei dem Antrag der SPD zu folgendem Schluß gekommen. Ich habe beobachtet, daß auf dem Parteitag 14 Abgeordnete gegen Ihren Antrag gestimmt haben. Ich weiß aus der Ankündigung, daß sich einige hier enthalten werden. Das hat bei mir zu der Überzeugung geführt, daß der SPD gegenüber eine Skepsis geboten ist, weil sie über einen Rest verfügt, der reaktivierbar ist.
Zu dem Antrag — —
Frau Schoppe, ich habe mehrfach den Versuch gemacht, zu erklären, wie der Inhalt einer persönlichen Erklärung aussieht. Der Lernvorgang müßte bei erwachsenen Menschen, wie sie hier versammelt sind, allmählich durchgedrungen sein.
Dies ist mein letzter Versuch. Sonst muß ich dann wohl oder übel einfach sagen: Dies ist keine Erklärung. Ich muß Ihnen dann das Wort entziehen. Also bitte, letzter Versuch, Frau Schoppe.
Ich bin nach Anhören dieser Debatte zu der Überzeugung gekommen,
daß ich dem CDU/CSU-Antrag nicht zustimmen kann, da in verschiedenen Beiträgen Widersprüche formuliert worden sind, die nicht ausgeräumt werden konnten.
Ich denke, daß es möglich sein könnte, daß Mehrheiten im Parlament Entscheidungen treffen, die nicht von der Mehrheit des Volkes getragen werden.
Ich glaube, daß die Entscheidungen eigentlich nicht im Parlament gefällt werden, sondern daß es Entscheidungen sind, die schon vorher in den USA und in Rüstungsbetrieben gefällt worden sind.
Ich bin mit der Hoffnung hierher gekommen, daß ein Minimalkonsens zustandekommt. Unter Minimalkonsens würde ich angesichts der Bedrohung, in der wir uns sowieso schon befinden, verstehen, daß wir wenigstens die neuen Raketen ablehnen.
Statt dessen kann es möglich sein — diesen Zweifel hat hier niemand ausräumen können —, daß wir uns in der Vorbereitung eines großen Massensterbens befinden. Als Mitglied des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit muß ich sagen: Alle nachfolgenden Entscheidungen werden sich an der heutigen Entscheidung messen lassen müssen. Wer heute für die Aufstellung stimmt, macht sich unglaubwürdig, wenn er behauptet, er mache Politik für Jugend, für Familie und für Gesundheit.
Frau Schoppe, ich habe eben erklärt, daß dies der letzte Versuch war. Sie sind erneut beim Debattieren und nicht bei Ihrer persönlichen Erklärung. Ich bitte Sie, einen letzten Satz zu sagen.
Den muß ich mir aber eben aussuchen. Einen kleinen Moment.
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, und zwar aus der Erfahrung, die ich als Frau in dieser Gesellschaft mache, daß, wenn Waffen in einer Gesellschaft lagern, auch aggressive Lösungen von Konflikten ins Kalkül gezogen werden. Ich glaube, daß, wenn wir nicht dazu kommen, abzurüsten und überhaupt Waffen aus unserer Gesellschaft zu entfernen, Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Frauen nicht aufhören wird.
Solange uns Männer regieren, die Raketen vor dem Kopf tragen wie andere das Brett vor dem Kopf, wird sich hier nichts ändern. Wir brauchen keine neuen Raketen. Wir brauchen neue Männer in diesem Land.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Bard.
Für mich hat die heutige Abstimmung insofern sogar einen historischen Wert, als es für mich darum geht, erstmalig in der Geschichte unseres Landes nach dem Kriege darüber abzustimmen, ob eine andere Macht, nämlich die USA, für ihre Verteidigungsstrategie auf unserem Boden unmenschliche Waffen aufstellen darf und ob wir bereit sind, notfalls kollektiven Selbstmord zu begehen. Für meine Entscheidung, an diesem Punkt mit Nein zu stimmen, zählt nicht eine Aufrechnung von Waffensystemen in Ost und West. Was mich beeindruckt hat — und dafür möchte ich jetzt ganz kurz aus einem Brief zitieren —, ist etwas, was man gemeinhin den gesunden Menschenverstand nennt, und sind die Erfahrungen, die uns so viele ältere Mitbürger mitgeteilt haben.
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Frau Dr. BardIch selbst bin nach dem Krieg geboren. Ich kenne die Auswirkungen, die der letzte Krieg auf die Menschen gehabt hat, nur aus Erzählungen. Ich kann sie an meinem Großvater, der heute 98 Jahre alt ist, daran ablesen, daß er bei jedem Probealarm von Feuerschutzsirenen zusammenzuckt, weil er sofort wieder an die Nächte in Dresden zu der damaligen Zeit denken muß.Für meine Entscheidung, gegen die Stationierung zu stimmen, ist ein Brief wichtig gewesen, wie ihn, glaube ich, auch andere erhalten haben. Da erzählt eine Frau ganz unpathetisch und unpolemisch, wie ihre Lebensgeschichte ist. Sie schreibt:Ich bin im Ersten Weltkrieg geboren. Ich habe meine Kinder im Zweiten Weltkrieg zur Welt gebracht. Mein Mann starb nach jahrelanger russischer Kriegsgefangenschaft kurz nach der Geburt meiner Jüngsten. Vater und Bruder sind vermißt. Mir reicht es. Meine besten Jahre fielen dem Krieg zum Opfer. Ich möchte meinen Kindern eine bewohnbare Welt hinterlassen. Ich habe Angst. Die Geschichte beweist, daß Waffen, die gebaut werden, auch benutzt werden.Genau das ist das, was mich betroffen macht,
weil auch der letzte Weltkrieg nur ein Vorgeschmack dessen sein kann, was in einem atomaren Krieg in Zukunft auf uns zukommt. Wer schnell vernichtet wird, wird Glück haben. Ich habe Angst davor, zu den wenigen Überlebenden zu gehören, die dann lange, eventuell über Jahrzehnte, dahinsiechen und die, wenn sie überhaupt noch Kinder in die Welt setzen, die atomar verursachten Krankheiten ihren Kindern und Kindeskindern vererben werden.Niemand soll sagen, diese Waffen werden nicht eingesetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Abschreckung wirksam sein soll, die darin besteht, mit einer unmenschlichen Waffe und mit Vernichtung zu drohen, dann aber nicht bereit zu sein, sie auch einzusetzen. Dann ist man unglaubwürdig.
— Auch von der SS 20. Auch vor dieser habe ich Angst.
Ich sehe nur, daß es notwendig sein wird, nicht nur zu drohen, sondern auch Ernst zu machen.Auch sehe ich die Gefahren, die darin bestehen, daß es auch per Zufall geschehen kann. Dieses Risiko ist mir zu groß.
Die Auswirkungen, die auf uns Menschen zukommen, sind mir zu groß. Ich bin für das kleinere Risiko, nämlich die Hoffnung, daß ein Rüstungsverzicht auch bei uns,
eventuell auch im Ostblock, dazu führen wird, daß die SS 20 verschrottet werden.
Ich hoffe von ganzem Herzen, daß mein Nein heute zu der Stationierung nicht den gleichen Geschmack bekommen wird wie einst das Nein gegen die Ermächtigungsgesetze.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert [Marburg].
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, wenn ich Ihnen hier mitteile, daß ich die Stationierung der Pershing-Raketen und der Marschflugkörper ablehne und daher auch zum entsprechenden Antrag der Regierungsparteien mit Nein votieren werde. Diese Entscheidung hat eine Vielzahl von Gründen, die im wesentlichen mit den Argumenten übereinstimmen, die in dieser Debatte von den Rednern unserer Fraktion vorgetragen worden sind. Dem ist von dieser Stelle aus kaum noch etwas hinzuzufügen.Hinzufügen möchte ich allerdings eine Bemerkung zu dem, was sich in diesen Tagen in Bonn abgespielt hat und noch abspielt und was mich in dieser Entscheidung für ein klares Nein auf eine Weise bestärkt hat, die ich Ihnen hier nicht verschweigen will.Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Tagen oft gehört und gelesen, daß dieser Bundestag unter den Druck der Straße habe gesetzt werden sollen.
Ich habe mich davon verschiedentlich selbst zu überzeugen versucht. Nach meinem Eindruck hat hier in Bonn ein Aufmarsch von Polizei und sogenannten Sicherheitskräften stattgefunden,
der nach meinem Eindruck seinesgleichen sucht. Nach meinem Eindruck haben Straßensperren, haben nicht enden wollende Kontrollen und nicht zuletzt auch massive Behinderungen der Arbeit zumindest unserer Fraktion,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2581
Kleinert
nicht zuletzt die massive Präsenz des Bundesgrenzschutzes auch hier im Plenarsaal ein unrühmliches Beispiel gesetzt.
— Ich nehme die Bewertung „unrühmlich" ausdrücklich zurück.Meines Erachtens haben diese Vorgänge etwas dargestellt, was man nicht anders bezeichnen kann als ein in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland nach meinem Eindruck beispiellosen Vorgang.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen.
Ich möchte zunächst eine Bemerkung zu denjenigen machen, die hier ständig Zwischenrufe machen. Ich folge, so gut ich kann, der Geschäftsordnung. Herr Pfeffermann, wenn Ihnen das nicht gefällt, gibt es die Möglichkeit, sich bei einer entsprechenden Gelegenheit zu Wort zu melden. Ich kann aber allmählich die Art und Weise, wie Sie hier Zwischenrufe machen — ich habe das jetzt eine Weile überhört —, nicht mehr überhören. Dann ist auch das Kritik am Präsidium.
Nun kommen wir zu Ihnen, Herr Kleinert . Ich möchte auch Sie sehr eindringlich darauf aufmerksam machen, daß es um Ihre Begründung für Ihre Stimmabgabe geht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß Sie aus der Tatsache, daß es den Bundesgrenzschutz gibt, der hier für uns gemeinsam zur Verfügung steht, den Schluß ziehen wollen, mit Nein zu stimmen, dann ist das Ihre persönliche Erklärung. Ich bitte Sie jedoch, darauf zu achten, daß Sie nicht in eine Debatte hineinkommen und in eine Fortsetzung dessen, was wir zwei Tage lang ausführlich diskutiert haben.
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, Ihren Hinweis zu befolgen, und beginne jetzt den zweiten Teil meiner Erklärung damit, daß ich ausführe, daß es mir nicht darum geht, die Vorfälle der letzten beiden Tage hier zu kommentieren.
Es geht mir darum, Ihnen mitzuteilen, wie sich diese Vorgänge auf meine Entscheidung zu den Rüstungsmaßnahmen, um die es hier geht, ausgewirkt haben.
Für mich ist der Druck in diesen Tagen nicht von denen ausgegangen, die in der Stadt vor der Bannmeile oder wo immer in der Bundesrepublik einen letzten Versuch gemacht haben, auf Sie einzuwirken, um so vielleicht doch die Stationierung neuer Atomwaffen noch zu verhindern. Für mich ist der Druck von dem ausgegangen, was Sie als notwendige Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze der Beratungen verstehen. Für mich sind es nicht die Demonstranten gewesen, die hier die Freiheit der Debatte gestört haben.
Für mich hat die Freiheit der Debatte das riesenhafte Polizeiaufgebot, die dazugehörigen Straßensperren und der Quasi-Belagerungszustand gestört, den wir hier über mehrere Tage erlebt haben.
Ich muß Ihnen sagen, das hat mich in dem Eindruck bestärkt, daß hier eine Entscheidung gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung getroffen werden soll, eine Entscheidung, die legal sein mag, für die ich Ihnen aber, weil sie offenkundig gegen den Mehrheitswillen getroffen werden soll, die Legitimation absprechen muß.
Ein letztes Wort dazu: Ich habe beobachtet, welches Riesenaufgebot an Sicherheitskräften hier zusammengezogen worden ist, um diese Entscheidung zu ermöglichen.
Herr Abgeordneter Kleinert, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, abschließend einen letzten Satz zu sprechen,
und dann ist Schluß.
Ich bin ja eine Weile aufgehalten worden!
Nehmen Sie den letzten Satz Ihres Manuskripts.
Ich meine, daß derjenige, der durch diese Maßnahmen eine solche Angst vor dem innenpolitischen Gegner — dieser innenpolitische Gegner ist offensichtlich die Friedensbewegung — beweist, auch allen Anlaß zu der Befürchtung bietet, daß er eines Tages leicht zu Panikreaktionen gegenüber dem neigen wird, den er für den außenpolitischen Gegner hält.
Das ist für mich auch eine entscheidende Begründung für das Nein zu den Raketen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.
Ich stimme mit Nein ohne jedes Wenn und Aber gegen die Stationierung.Die heute Lebenden haben zu entscheiden, ob wir die letzte Generation der Menschheit sein wollen
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2582 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Frau Kellyoder die erste, die zur Einheit der Menschheit führt.Ich bin 1970 in der Frauen- und Anti-Atom- und Friedensbewegung aktiv geworden. Der Anlaß war der Tod meiner zehnjährigen krebskranken Schwester, die ein Auge verloren hatte und die drei Jahre lang in Röntgenabteilungen bestrahlt, zu Tode bestrahlt worden ist. Am Ende war sie — wie jedes Hiroshima-Opfer — in einem Krankenzimmer übriggeblieben, das fast keiner mehr betreten konnte. Für mich waren das alle Anzeichen dafür, daß wir in einem Atomzeitalter leben, denn die Strahlentherapie, gewonnen aus der Atomforschung, hat sie sozusagen ermordet.Anlaß für mich sind auch meine Jahre bei der Europäischen Gemeinschaft, wo es nicht viele neue Männer, aber viele Männer der alten Generation gibt, die Entscheidungen weit weg von Menschen treffen.1976 befand ich mich zum erstenmal in Hiroshima und Nagasaki und habe zum erstenmal das Atomspital von Hiroshima besucht. Im Atomspital von Hiroshima habe ich gesehen, was mit Menschen passiert, die 30 oder 35 Jahre danach zu Opfern werden. Die Überlebenden sind Tote auf Urlaub. Sie haben keine Hoffnung mehr, und sie sind von der Gesellschaft ausgestoßen.Präsident Kennedy, der vor 20 Jahren ermordet wurde, sagte: Heute muß jeder Bewohner unseres Planeten auf den Tag gefaßt sein, da dieser nicht mehr bewohnbar ist. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind lebt unter einem nuklearen Damoklesschwert, das am dünnsten aller Fäden hängt, der jeden Augenblick durch einen Zufall, eine Fehlkalkulation oder eine Wahnsinnstat abgeschnitten werden kann.Ich habe durch meine Jahre der Erfahrung in einer Bürgerrechtsbewegung, angeführt von Martin Luther King, und in einer Frauenbewegung gelernt, daß ich mich einmischen muß, wenn es um mein Leben geht, und daß, ob ich lebe oder sterbe, nicht dem Zufall überlassen werden kann. Was Hiroshima widerfuhr, kann uns allen geschehen. Die ganze Welt ist ein Hiroshima, das die Bombe noch nicht getroffen hat.Schließen möchte ich mit der Erklärung von Erzbischof Hunthausen aus Seattle/Washington, der seinen Rüstungssteuerboykott wie folgt begründet hat:Christen der ersten drei Jahrhunderte haben den Gesetzen des Römischen Reiches den Gehorsam verweigert und gingen wegen ihrer Einstellung oft in den Tod. Sie waren im Recht. Ähnlich engagierten sich Menschen in anderen Bewegungen und haben Staatsgesetze gebrochen und auf bestimmte Ungerechtigkeiten hingewiesen. Der springende Punkt ist, daß bürgerliches Recht kein absolutes Recht ist, denn auch Regierungen— auch diese Männer auf dieser Regierungsbank —können sich irren.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hickel.
Darf ich die Gelegenheit nutzen, bevor das Wort genommen wird, und die Kollegen, die neu hereingekommen sind, darauf aufmerksam machen, daß es keinen vernünftigen Grund gibt, die Unterhaltung von draußen hier drinnen fortzusetzen.
Frau Dr. Hickel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Darf ich erst um Ruhe bitten.
Ich möchte zu der bevorstehenden Abstimmung erklären, daß ich für den Antrag der GRÜNEN stimmen werde,
und zwar auch unter dem Eindruck, den ich in den letzten zwei Tagen hier gewonnen habe. Ich bin erschüttert von der Nachlässigkeit, mit der die Briefe, die aus der Bevölkerung zu uns gekommen sind, zur Kenntnis genommen wurden.
Ich bin betroffen von der Begriffsverwirrung — das habe ich auch in diesen zwei Tagen hier erfahren —, die anscheinend inzwischen hier herrscht und sich bezüglich dessen breitgemacht hat, was als rationales und was als irrationales Handeln angesehen wird.Nie zuvor hat ein so großer Teil der Bevölkerung mit einer Fülle von, wie mir in einem Brief wörtlich geschrieben wurde, „phantasievollen Aktionen und bewegenden Argumenten versucht, für ein lebenswichtiges Ziel tätig zu werden". Ich habe aus diesen Briefen gelernt, daß die Bevölkerung keineswegs von einer dumpfen unvernünftigen Angst, sondern vielmehr von einer sehr wohl begründeten Furcht erfüllt ist. Alle die Menschen, die etwas von Computern verstehen und die daher wissen, daß diese einen Fehlalarm auslösen werden, haben mir deutlich gemacht, daß die Vorwarnzeit von sieben Minuten nicht ausreichen kann, um eine Fehlreaktion wieder rückgängig zu machen. Ich kann es daher nicht verantworten, diese sehr vernünftigen Warnungen einfach zu überhören. Irrationale Beschwörungsformeln dagegen, die man hier gehört hat, entsetzen mich.Wie werden hier überhaupt die Ausdrücke „irrational" und „rational" gebraucht? Das verwirrt mich in hohem Grade. Der 15fache Overkill, die Endlosdrehungen der Rüstungsspirale, das männliche Imponiergehabe als Musterverhalten in der Politik, das wird offensichtlich als rational bezeichnet. Darin sind sich die Sowjetunion und viele in unserem Lande in einem erstaunlichen Maße einig, was
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Frau Dr. Hickelmich ebenfalls verblüfft hat. Dagegen sind bloße Selbstverteidigung, die Forderung nach einer neutralen Zone in Mitteleuropa und nachgiebig-vermittelndes Verhalten heutzutage anscheinend irrational. Ich bin der Auffassung, daß wir alle hier — das möchte ich ganz besonders auch mit meinem Verhalten heute erreichen — beitragen müssen zu einer Wende der Wahrnehmung dessen, was „rational" und was „irrational" in unserer Zukunft sein muß. Das ist einer der Punkte, die mich für mein Abstimmungsverhalten heute bewegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke .
Ich fordere in der Zwischenzeit die Kollegen noch einmal auf, ihren Platz einzunehmen. Ich habe nach dem Kollegen Ehmke noch vier weitere Wortmeldungen für persönliche Erklärungen. Ich bitte noch so lange um Geduld und um Aufmerksamkeit für die Redner.
Herr Präsident! Ich werde nicht eher reden, bis Sie diese schwätzende Mehrheit zum Zuhören gebracht haben. —
Herr Kollege Ehmke, Sie müssen sich schon an das halten, was ich vorher gesagt habe. Und ich habe dazu meinen Teil gesagt. Sie sind jetzt dran.
Bei dem Krach kann man doch nicht reden. —
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Ich möchte meine Entscheidung gegen die Nachrüstung kurz begründen. In der zweitägigen Debatte sind neben weniger erfreulichen Äußerungen auch viele bedenkenswerte Bemerkungen gefallen. Bundeskanzler Kohl sprach zu Recht von den Schrecken des Krieges, der Gefangenschaft und der Vertreibung. Auch ich bin Betroffener der Vertreibung, auch wenn ich diese schlimme Zeit nicht bewußt erlebt habe. — Auch wenn Ihnen das lächerlich erscheinen mag, für mich ist es nicht lächerlich, Herr Kollege Dregger.
Ich denke aber, daß der Kanzler die falschen Konsequenzen aus den bitteren Kriegserfahrungen zieht, wenn er meint, daß die Abschreckungswirkung der Pershing II und Cruise Missiles die Kriegsgefahr verringern würde. Durch die andere Qualität der neuen Waffen wird die Kriegsgefahr nicht verringert, sondern erhöht. Der einzige, der das im Lager der Koalition erkannt und sich offen dazu bekannt hat, war der Kollege Feldmann. Auch wenn ich Ihre Meinung, Herr Kollege Feldmann, sonst nicht in allen Punkten teile, so möchte ich Ihnen dafür doch meinen Respekt sagen.
Herr Kollege Ehmke, ich muß Sie darauf hinweisen, daß es um Ihre persönliche Erklärung dafür geht, warum Sie so, wie Sie es wollen, abstimmen.
Aber nicht nur die Kriegsgefahr wird aus vielen hier genannten Gründen erhöht, meine Damen und Herren, auch die Folgen eines möglicher gewordenen Krieges wären wesentlich grausamer als das, was der Bundeskanzler und andere Redner vom letzten Weltkrieg in Erinnerung haben. Ich will das hier nicht mehr ausführen. Es gibt viele Berichte und Filme darüber.
Aber eines ist für mich, gerade auch als ehemaligen Offizier, klar: Beide Atomwaffenpotentiale, sowohl das westliche wie das östliche, verringern die Verteidigungsfähigkeit und die Verteidigungsbereitschaft, weil sie im Einsatz die Selbstaufgabe, die Selbstvernichtung der eigenen Bevölkerung zur zwangsläufigen Folge haben. Der hierin liegende lebensverachtende Widerspruch zwischen erklärter Bereitschaft zu Frieden und Freiheit einerseits und der Bereitschaft, die Vernichtung des ganzen Volkes in Kauf zu nehmen, andererseits, ist doch wohl der tiefere Grund für die zunehmende Ablehnung der Aufrüstung durch die Mehrheit unserer Mitbürger.
In der Debatte ist uns eine infantile Haltung vorgeworfen worden. Stellt es nicht eine viel gefährlicher Infantilität dar, wenn man auf Vorrüstung mit Nachrüstung antwortet und sich gegenseitig auf ein immer labileres Gleichgewicht des Schreckens hochschaukelt, ohne einen ernsthaften Versuch zur Durchbrechung der wahnsinnigen Rüstungsspirale zu wagen?
Das letzte Argument für meine persönliche Entscheidung gegen die Aufrüstung, das ich Ihnen jetzt nennen will, ist die Meinung der vielen tausend Mitbürgerinnen und Mitbürger in meinem Wahlkreis, die mir ihre Ablehnung der Nachrüstung mitgeteilt haben und an deren Meinung ich als deren Vertreter nicht vorbeigehen kann und will. Viele Millionen Menschen in unserem Lande sind tief betroffen über die Konsequenzen des Rüstungswahnsinns. Und ich erkenne an, daß auch einige Abgeordnete der Koalition, wie Frau Geiger, Frau Hamm-Brücher und Herr Hirsch, ihre Betroffenheit und Friedensliebe überzeugend darstellen konnten. Nur bin ich der Meinung: Man muß der Betroffenheit auch Taten folgen lassen, sonst ändert sich doch nichts an den Ursachen der Betroffenheit.
Ich möchte zum Schluß sagen, daß die Koalition offenbar der Meinung ist, durch das Wahlergebnis vom 6. März 1983 — —
Herr Kollege Ehmke, ich kann das nicht dauernd wiederholen — sonst müßte ich Ihnen das Wort entziehen —: Es geht um Ihre persönliche Äußerung, nicht um eine Fortsetzung der Debatte. Nehmen Sie einen letzten Satz. Die Redezeit von fünf Minuten ist sowieso schon abgelaufen.
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Lassen Sie mich zum Schluß sagen, meine Damen und Herren, daß diejenigen, die mich gewählt haben, sicher sein können, daß ich gegen die Nachrüstung und für eine rationalere Verteidigung stimmen werde.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Verheyen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich in den ersten Jahren der Schule anfing, über Geschichte nachzudenken, hat mich eine Erklärung meines Lehrers sehr stutzig gemacht. Er meinte, der Erste Weltkrieg sei nicht auf der Grundlage freier Entscheidungen von Politikern ausgelöst worden, sondern durch Mechanismen, die nicht beherrscht worden seien. Darin liegt die erste Begründung, weshalb ich gegen diese sogenannte Nachrüstung stimmen werde; denn ich meine, daß diese neuen Massenvernichtungsmittel — wie übrigens alle atomaren Vernichtungsmittel — von Menschen grundsätzlich nicht mehr beherrschbar sind. Eine Kette von politischen Mißverständnissen kann ebenso zu einem atomaren Inferno führen wie ein einfacher Computerfehler.
Ich meine, ein Politiker, der sich seiner Grenzen in dieser Weise nicht bewußt ist, handelt unverantwortlich. Deswegen kann ich diesem Beschluß nicht zustimmen.
Ich meine auch — das ist ein zweiter Grund für mich —, daß eine weitere Prämisse der Befürworter dieses Beschlusses nicht stimmt, die Prämisse nämlich, wir könnten davon ausgehen, daß westliche Demokratien friedfertig seien. Meine persönliche Erfahrung aus der Dritte-Welt-Bewegung beweist das Gegenteil. Ich mußte als jemand, der geprägt war von dieser Demokratie und auch von dem Glauben, daß wir in dieser Demokratie friedfertig seien, erleben, wie im Vietnamkrieg die westliche Vormacht mehr Bomben auf ein kleines Volk warf als alle kriegführenden Mächte des Zweiten Weltkrieges zusammen. Ich mußte erleben, daß alle westlichen Demokratien über ein Jahrzehnt hinweg diese furchtbaren Verbrechen befürworteten. Ich mußte erleben, daß auch diese Demokratie hier in Bonn diese furchtbaren Entscheidungen gerechtfertigt hat. Ich meine deshalb, daß jeder Glaube daran, westliche Demokratien seien zu furchtbaren Verbrechen nicht fähig, ein Kinderglaube ist, der nicht Grundlage einer solchen Entscheidung werden darf.
Ich meine drittens auch — ich bekenne mich dazu —, daß es ein gutes Recht gibt, sich bei dieser Entscheidung auf seine Angst zu berufen. Ich meine nicht, daß Angst in jedem Fall ein schlechter Ratgeber ist. Vielmehr ist Angst, die von der Vernunft getragen ist, ein guter Ratgeber. Mir machen am meisten diejenigen angst — unter uns sitzen davon viele; das habe ich heute erlebt —, die keine Angst vor diesen Raketen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Aus den vielen Briefen und Gesprächen, die ich vor dieser Abstimmung bekommen bzw. geführt habe, möchte ich Ihnen einen wichtigen Satz, der mich sehr beeindruckt hat und der mich in meiner Abstimmung bestärkt, mitteilen. Ein Deutsch-Amerikaner in Stuttgart hat mir in bezug auf Nachrüstung und Abschreckung in einem Gespräch gesagt: „Die Deutschen gleichen den Juden, die nach 1933 bis zum Schluß nicht glauben wollten, daß sie umgebracht werden."
Die Argumente, die in dieser Zwei-Tage-Debatte von den Befürwortern der Nachrüstung vorgetragen worden sind, haben meine Vorbehalte gegen die Nachrüstung nicht entkräftet. Es sind zum Teil Worthülsen gewesen, die beliebig austauschbar sind. Ich habe gehört: „Unsere Waffen sind defensiv, sie werden nicht eingesetzt, es sei denn, wir werden angegriffen." Oder: „Wir stellen die Raketen auf und bauen sie wieder ab, wenn die Gegenseite nachgibt." Oder als letztes: „Wir alle kennen die schreckliche Wirkung der Atomwaffen und des Krieges.".
Diese Sätze sind beliebig austauschbar. Sie werden von den Regierenden und Verantwortlichen im Osten ebenso verwandt, wie sie heute und gestern hier in der Debatte vorgetragen wurden. Aus diesem Grunde bekenne ich mich zu der Angst, die viele unserer Bürgerinnen und Bürger ergriffen hat. Ich bekenne mich zu der Angst, weil man mit dieser Politik, die darin besteht, daß man gegen eine Rakete eine andere stellt und nicht mehr Geist aufbringen kann, nicht weiterkommt. Ich bekenne mich zu der Angst, weil ich eine Familie habe, weil ich Freunde habe, weil ich Kollegen habe und wegen der Menschen, die leben wollen.
Aber diese Angst ist nicht lähmend, und sie ist für mich auch kein schlechter Ratgeber. Ich stimme hier gegen die Raketen, wohlwissend, daß die Mehrheit ab morgen diese Raketen stationieren wird. Ich nehme deshalb an der Abstimmung teil, weil ich meine, daß die Debatte und auch die nachfolgende Abstimmung zeigen, daß es notwendig ist, in diesem Land andere, neue, kräftige Mehrheiten zu schaffen, und das sowohl außerparlamentarisch als auch parlamentarisch.
Herr Kollege, ich bitte Sie, an den Wortlaut des § 31 zu denken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich verbinde mit meinem Nein die Hoffnung, daß viele Menschen mit mir daran gehen, durch viele Aktivitäten daraus zu lernen, wie es den Juden in Deutschland gegangen ist, und daß sie sich wehren.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt .
Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Insbesondere möchte ich Dieter Drabiniok ansprechen und an den Satz anschließen, den er gesagt hat: „Herr, vergib uns allen." Ich meine nämlich, daß wir es in dieser Debatte nicht einmal geschafft haben, miteinander zu reden, d. h. wenn es auch über ein Mikrofon geht, zu vermitteln, was uns überhaupt umtreibt.
Ich habe vorhin, weil ich eine Antwort suchte, noch einmal mit meiner Familie telefoniert.
— Ich weiß; wir haben uns ja alle an den Telefonhäuschen gesehen.
Ich habe gefragt, ob sie mir eine Anregung geben können, denn wir sind immer im Gespräch gewesen. Mein Sohn, der 11 Jahre alt ist, hat ganz einfach geantwortet, indem er sagte: Sag' doch, daß du nicht sterben willst und daß deine Kinder nicht sterben wollen.
— Ich zitiere nur mit Ihrer freundlichen Erlaubnis.
Herr Abgeordneter Vogt, ich bitte Sie, § 31 der Geschäftsordnung zu beachten.
Herr Präsident, ich habe diese Geschäftsordnung vor Augen, und ich rede mit diesem Bewußtsein weiter.
Zwei meiner Töchter, die 12 und 13 Jahre alt sind, haben an dem Tag, an dem die Schulen demonstriert haben, mitdemonstriert. Mein Junge, den ich zitiert habe, hat nicht mitdemonstriert. Ich glaube, wir haben an diesem Tag, ganz so, wie es hier immer wieder gesagt wurde, in Frieden und Freiheit demonstriert. Ein anderer Junge von 12 Jahren, der hinterher von seinem Vater gefragt wurde „Warum hast du denn das mitgemacht?", hat geantwortet „Weil ich meine, daß man nicht mit etwas drohen soll, was man nicht anwenden will und nicht anwenden soll!"
Ich glaube, das ist ein ganz einfacher Grundsatz. Ich habe am Anfang gesagt — und ich meine das sehr ernst —, gefragt, gebeten: Herr, vergib uns allen.
Ich meine, daß wir trotz der Entscheidung, die wir hier treffen, noch eine Pflicht haben. Zugleich bin ich der Ansicht, daß wir gegenüber der Pflicht als Politiker bisher versagt haben. Das ganze Volk und Völker überall auf der Welt wollen Abrüstung. Wir haben bisher als Politiker das Instrument für wirkliche Abrüstung nicht gefunden. Ich will an Sie alle appellieren. Ich denke, daß unsere Abstimmung jeden mit seinen Motiven zum letztenmal vor eine sehr harte Entscheidung stellt, vor die Frage nämlich: was können wir tun, um wirklich zur Abrüstung zu kommen? Wir sollten auch nach dem 23. November alle Anstrengungen machen in diesem Sinne.
Ich werde, weil ich davon überzeugt bin, daß die Stationierung Abrüstung auf lange Jahre verhindert, neue Abrüstungsansätze erschwert, mit Nein stimmen gegenüber jedem Antrag, der dieser Stationierung zustimmt; d. h. Nein zum Antrag von CDU/CSU und FDP. Nicht zustimmen kann ich auch dem Antrag der SPD, weil er die Rolle der Abschreckung und die Rolle der NATO leugnet, eines Systems, das letztlich zur Anwendung dieser uns alle zerstörenden Waffen führen wird.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeorndete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre einer Generation an, die den zweiten Weltkrieg noch erlebt und überlebt hat. Ich gehöre einer Generation an, die auch die Terrorherrschaft der Nazis erlebt hat, und zwar auch in der Weise, daß in meinem Elternhaus die Gestapo war und meinte, um den Staat zu erhalten, diesen damaligen Terrorstaat, Bücher entfernen zu müssen, philosophische und anthroposophische Literatur. Ich bin betroffen von der Tatsache, daß wir wieder in einer Gegenwart leben, in der offenbar Tücher mit einem Satz gegen Massenvernichtungsmittel als gefährlicher eingeschätzt werden als eben diese Massenvernichtungsmittel und daß dann diese Tücher beschlagnahmt werden und nicht die Atomraketen.
Ich bin betroffen von der Tatsache, daß wir an Gestapo-Methoden erinnert werden, wenn — —
— Lassen Sie mich doch ausreden.
— Ich bin betroffen — lassen Sie mich den Satz ausreden — —
Herr Kollege Schily, dies ist eine persönliche Erklärung. Wenn Sie sich an § 31 nicht halten, müßte ich Ihnen das Wort entziehen. Ich bitte Sie.
Ich bin betroffen davon, daß wir durch eine Nacht- und Nebel-Aktion — —
Herr Kollege Schily, ich rufe Sie zur Ordnung.
— in einer Nacht- und NebelAktion eine Mutter von sechs Kindern, eine türkische Mutter, abgeschoben und an ein Folterregime ausgeliefert wurde und wir dadurch an Gestapo-
Schily
Methoden einer dunklen Vergangenheit erinnert wurden.
Herr Kollege Schily, ich rufe Sie zum zweitenmal zur Ordnung und mache Sie auf die Geschäftsordnung aufmerksam, auf die Paragraphen, die ich gestern zitiert habe.
Ich bin nicht bereit, eine Entscheidung hier zu treffen, einer Stationierung von Massenvernichtungsmitteln zuzustimmen, die mich, die uns alle, die die Deutschen in den beiden deutschen Staaten, die die Völker Europas, die womöglich die ganze Menschheit der Entscheidung eines Machtbesessenen ausliefert,
der meint, es sei die Zeit des Endkampfes zwischen Gut und Böse gekommen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Reihe persönlicher Erklärungen nach § 31 Abs. 1, die mir schriftlich vorliegen. Die Geschäftsordnung veranlaßt mich, mitzuteilen, um welche Erklärungen es sich handelt, damit sie schriftlich zu Protokoll genommen werden können. Es handelt sich um eine Erklärung des Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen *) sowie um eine jeweilige persönliche Erklärung der Kollegen Horst Sielaff, Klaus Immer , Lieselott Blunck, Jan Oostergetelo, Günther Heyenn **) und eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rudolf Schöfberger ***). Damit sind wir, meine Damen und Herren, am Ende dieser persönlichen Erklärungen.Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die Anträge der Fraktionen auf den Drucksachen 10/617, 10/621 und 10/620. Ich habe die Absicht, in dieser Reihenfolge abstimmen zu lassen. Es ist für alle diese Anträge namentliche Abstimmung beantragt. Sie müssen also mit drei namentlichen Abstimmungen nacheinander rechnen.Meine Damen, meine Herren, zu den Abstimmungen gebe ich pflichtgemäß folgende Hinweise: Wer einem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um die Abstimmungskarte mit „Ja". Wer dagegen stimmen will, den bitte ich um die Abstimmungskarte mit „Nein". Wer sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die weiße Abstimmungskarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen. Die Abstimmungskarten befinden sich in Ihren Pulten.Ich rufe, wie gesagt, zuerst den Antrag auf Drucksache 10/617 auf, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN.Ich eröffne die Abstimmung, meine Damen und Herren. —*) Anlage 3 **) Anlage 4 ***) Anlage 5Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob alle — —
— Noch nicht.Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal fragen, ob alle Mitglieder des Deutschen Bundestages Gelegenheit hatten, sich an der Abstimmung zu beteiligen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich denke, daß eine Auszählung etwa 20 Minuten dauert. Ich unterbreche die Sitzung nicht, werde aber alle Zeichen geben, wenn wir mit der nächsten Abstimmung beginnen. Sie müssen noch mit zwei weiteren namentlichen Abstimmungen rechnen.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRUNEN auf Drucksache 10/617 bekannt: Abgegebebene Stimmen 515, davon ungültig keine. Mit Ja haben 28 gestimmt, mit Nein haben 487 gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 514; davonj a: 28nein: 486JaDIE GRÜNENFrau Dr. Bard BastianFrau Beck-Oberdorf BurgmannDrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. JannsenFrau KellyKleinert KrizsanFrau Nickels Frau Potthast ReentsFrau ReetzSauermilchSchilySchneider Frau Schoppe Schwenninger StratmannVerheyen Vogt (Kaiserslautern) Frau Dr. VollmerNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. Althammer AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger
BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. BötschBohlBohlsen Borchert Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl BuschbomCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensConrad
Dr. Czaja Dr. DanielsDaweke DeresDörflingerDolataDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerErhard
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2587
Präsident Dr. Barzel EylmannDr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg) FrankeDr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster
GlosDr. Göhner Dr. GötzGüntherHaase
Dr. Hackel Dr. HäfeleHanz Hartmann HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau Hürland Dr. HüschDr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstKalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. KohlKolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krohne-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert LandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. Pinger Pohlmann Dr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. RoseRossmanith Roth
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. SchäubleSchartz Schemken ScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz von SchmudeDr. Schneider Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir StrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg Weiskirch
WeißWernerFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. Wörner WürzbachDr. WulffZiererDr. ZimmermannZinkSPDDr. Ahrens AmlingAntretter Dr. ApelBachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrosiBrückBuckpesch Büchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ColletConradiCurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer
Fischer
Franke
Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombigDr. Glotz Gobrecht Grunenberg Dr. Haack HaarHaase
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich HettlingHeyennHiller
Hoffmann
Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer
Jahn
JansenJaunichDr. JensJung
Junghans Jungmann KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart LiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-GlotzFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. Nöbel
Metadaten/Kopzeile:
2588 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Präsident Dr. BarzelFrau OdendahlOffergeld OostergeteloPaterna PauliDr. Penner Peter
PfuhlPolkehn Porzner PoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer
SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreinerSchröder Schröer (Mülheim)Schulte
Dr. Schwenk
SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-SperkDr. Soell Dr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. Steger SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. TimmToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWaltemathe WaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen
Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel Wieczorek
Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de With Wolfram
WürtzZanderZeitlerFrau ZuttFDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard ErtlDr. FeldmannGallusGattermann Genscher Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-BrücherDr. HaussmannDr. Hirsch HoffieHoppeKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemann Neuhausen PaintnerRonneburger Dr. Rumpf Schäfer
Frau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. WengWolfgramm WurbsfraktionslosHandlosVoigt
Damit ist der Antrag abgelehnt.Wir kommen dann . zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/621. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, hatten alle Gelegenheit, sich an dieser zweiten namentlichen Abstim-mung zu beteiligen? — Ich sehe Widerspruch. Die Abstimmung geht weiter.Meine Damen und Herren, haben jetzt alle Gelegenheit gehabt, sich an der Abstimmung zu beteiligen? — Ich sehe keinen Widerspruch. Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich habe das Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/621 bekanntzugeben. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lautet: Abgegebene Stimmen 502, davon ungültig keine. Mit Ja haben 169 gestimmt, mit Nein haben 294 gestimmt; Enthaltungen 39.ErgebnisAbgegebene Stimmen 502; davonj a: 169nein: 294enthalten: 39JaSPDAmlingAntretter Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBindigBrandtBrosiBrückBuckpesch Büchler
Büchner Buschfort Catenhusen ColletConradi CurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders FiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGilgesGlombig Dr. Glotz Gobrecht HaarFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHettling Heyenn Hiller
Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker Ibrügger Immer
Jahn
JansenJaunich Dr. Jens Jung
Junghans Jungmann KiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbow KretkowskiDr. Kübler KühbacherKuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke Lohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller
Müller MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau OdendahlOffergeld OostergeteloPaterna PauliPräsident Dr. BarzelPeter
PfuhlPolkehn Porzner PoßRapp
Rappe ReimannReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreinerSchröder Schröer (Mülheim)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. Spöri Dr. Steger SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen WestphalFrau Weyelvon der WiescheWimmer Wolfram
Zander
ZeitlerFrau ZuttNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. Althammer AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Borchert Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad Dr. CzajaDr. DanielsDaweke DeresDörflinger DolataDr. DollingerDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilcke Fellner Frau FischerFischer Francke (Hamburg) FrankeGanz
Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. Götz Günther Haase
Dr. HackelDr. Häfele Hanz Hartmann HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig Helmrich HerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jobst KalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. KohlKolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krohne-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. Oldenstädt PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger Pohlmann Dr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau RönschDr. RoseRossmanithRoth
RüheRufSauer
Sauer
Sauter Sauter (Ichenhausen) Dr. SchäubleSchartz
SchemkenScheuSchlottmannSchmidbauerSchmitz von SchmudeDr. Schneider Schneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder Schröder (Lüneburg) SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-Schilling Dr. SchwörerSeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Graf Stauffenberg Dr. StavenhagenDr. SterckenDr. StoltenbergStraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel Vogt (Duren)Dr. VossDr. Waffenschmidt Dr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiskirch
WeißWernerFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer
WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. WörnerWürzbachDr. WulffZiererDr. Zimmermann Zink
Metadaten/Kopzeile:
2590 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Präsident Dr. Barzel FDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard ErtlDr. FeldmannGallusGattermann Genscher Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-BrücherDr. HaussmannDr. Hirsch HoffieHoppeKleinert
KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. WengWolfgramm WurbsDIE GRÜNENFrau Beck-Oberdorf BurgmannHoracekHossDr. Jannsen KrizsanFrau Nickels Frau PotthastFrau Reetz Sauermilch Frau SchoppeStratmannFrau Dr. VollmerfraktionslosHandlosVoigt
EnthaltenSPDDr. Ahrens Dr. ApelBerschkeitFranke
Gerstl
Grunenberg Dr. Haack Haase Herterich LöfflerMatthöferDr. Müller-EmmertDr. Penner PurpsFrau Renger SanderSchmidt
Schulte
Stahl
Vogelsang Dr. Wernitz WiefelWischnewski Dr. de With WürtzDIE GRÜNENFrau Dr. Bard BastianDrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt)Frau Gottwald Frau KellyKleinert
ReentsSchilySchneider Schwenninger Verheyen (Bielefeld)Vogt
Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/620. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, hatten alle Mitglieder Gelegenheit, sich an der Abstimmung zu beteiligen? — Ich sehe keinen Widerspruch. Das gilt auch für die Schriftführer! — Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/620 bekannt: Abgegebene Stimmen 513, davon keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 286, mit Nein haben gestimmt 226; Enthaltungen 1.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 512; davonj a: 286nein: 225enthalten: 1JaCDU/CSUDr. AbeleinDr. Althammer AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Borchert Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad Dr. CzajaDr. DanielsDaweke DeresDörflinger DolataDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenEngelsbergerErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilcke Fellner Frau FischerFischer Francke (Hamburg) Franke"Dr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. Götz Günther Haase
Dr. HackelDr. HäfeleHanz HartmannHaungs Hauser(Esslingen) Hauser refeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HüschDr. HupkaGraf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jobst Kalisch Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. KohlKolbKrausDr. KreileKreyKroll-SchlüterFrau Krohne-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. LangnerLattmannDr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLink
Link LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann LouvenLowack MaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2591
Präsident Dr. Barzel MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger Pohlmann Dr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau RönschFrau Roitzsch
Dr. RoseRossmanith Roth
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. SchäubleSchartz Schemken ScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz
von SchmudeDr. Schneider Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSpranger Dr. SprungDr. Stark Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir StrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel
Vogt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiskirch
WeißWernerFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff ZiererDr. ZimmermannZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlGallusGattermann Genscher-Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieHoppeKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemann Neuhausen Paintner RonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. WengWolfgramm WurbsfraktionslosHandlosVoigt
NeinSPDDr. Ahrens AmlingAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrosiBrückBuckpesch Büchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfort CatenhusenColletConradi CurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Gobrecht GrunenbergDr. Haack HaarHaase
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Dr. JensJung Junghans JungmannKiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke LöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-GlotzFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. MitzscherlingMüller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau OdendahlOffergeld OostergeteloPaterna PauliDr. Penner Peter
PfuhlPolkehn Porzner PoßPurpsRappe ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer
SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreinerSchröder
Schröer
Schulte
Dr. Schwenk
SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-SperkDr. Soell Dr. SperlingDr. SpöriStahl
Metadaten/Kopzeile:
2592 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983
Präsident Dr. BarzelDr. Steger SteinerFrau Steinhauer StieglerStobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau WeyelWieczorek Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de WithWolfram WürtzZanderZeitlerFrau ZuttDIE GRÜNENFrau Dr. Bard BastianFrau Beck-Oberdorf BurgmannDrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. JannsenFrau KellyKleinert KrizsanFrau NickelsFrau PotthastReentsFrau ReetzSauermilchSchilySchneider
Frau Schoppe Schwenninger StratmannVerheyen Vogt (Kaiserslautern) Frau Dr. VollmerEnthaltenFDPDr. FeldmannDamit ist dieser Antrag angenommen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Bevor ich die Sitzung schließe, möchte ich bekanntgeben: Die angekündigte Sitzung des Ältestenrates findet morgen früh um 8 Uhr statt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 24. November 1983, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.