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ID1003623300

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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
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    Rede von Josef Ertl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Dann tut es mir leid. Herr Vogel hat auch keine Antwort gegeben. Tut mir leid, Herr Hoffmann. Wenn Sie mir Zeit geben, können Sie mit mir stundenlang diskutieren. Das hat die CDU schon mal probiert.

    (Heiterkeit)

    Wenn sich die Sowjetunion einschließlich ihrer Verbündeten in demselben Umfang wie die Bundesrepublik an der Welthungerhilfe beteiligte, gäbe es weniger tote Kinder und weniger Hunger in der Welt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Schwenninger [GRÜNE])

    — Das ist die Praxis, verehrter Freund. Sie ist leider etwas anders als abstrakte Ideologie und Theorie.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Mir macht — ich sage das mit allem Ernst; wir sind ja am Schluß dieser Debatte — nicht die Frage Sorgen, wie unser Verhältnis im Bündnis ist, sondern die Frage: Wie sehen die Bündnispartner die Bundesrepublik Deutschland?
    Ich möchte wegen der fortgeschrittenen Zeit — ich habe mich ja auch noch auf eine Frage eingelassen — auf die mir vorliegenden Presseberichte nicht näher eingehen. Wenn ich die Gelegenheit dazu bekäme, würde ich es zu Protokoll geben. Sie können sich die Presse aus Frankreich, aus Brüssel, aus Italien, ganz allgemein aus dem Bündnis ansehen

    (Zuruf von der SPD)

    — auch die Presse der Sowjetunion, aber ich habe bewußt mit dem Bündnis angefangen —, die mit Sorge die Entwicklung in unserem Land sieht.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Zu Recht!)

    Es wird nämlich die Frage gestellt: Sind die Bundesrepublik Deutschland und die sie tragenden Parteien in sicherheits- und außenpolitischen Fragen noch konsensfähig? Dieser Zweifel wird mit Recht nach dieser Debatte angemeldet.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Leider!) Das ist eine schwerwiegende Verantwortung.

    Ich habe mir meinen kurzen Redebeitrag nicht leichtgemacht. Ich habe sehr viel Quellenstudium betrieben. Ich möchte nicht zu 1979 zurückkehren. Aber, ich glaube, Herr Kollege Brandt ist uns allen eine Erklärung schuldig. Ich verlese aus seinem



    Ertl
    Beitrag — ich gebe zu: sehr verkürzt; das läßt die Zeit nicht anders zu —:
    Zur Entscheidung steht heute nicht der Doppelbeschluß. Der ist längst gefaßt.
    So am 25. Mai 1981.
    Man muß sich fragen: Welche Fakten begründen eine so veränderte Position, wie Kollege Brandt und die Mehrheit der SPD sie jetzt in dieser so wichtigen, für die Freiheit in Europa und in der Welt und für die Stabilität von Freiheit in der Welt entscheidenden Frage einnehmen?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Purer Opportunismus!)

    Ich sage das, weil unser Außenminister mit Recht sagen kann, er hat die Politik fortgeführt, die unter Helmut Schmidt und mit Helmut Schmidt eingeleitet worden ist, die noch ihren Niederschlag in dieser Entschließung fand. Wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich diese Entschließung nicht zitieren. Hier müssen doch gravierende Tatsachen eingetreten sein.
    Ich habe sehr aufmerksam zugehört, über 27 Stunden. Da hat einmal der Herr Schily gesagt: Freiheit in Frieden ist für uns keine Alternative. Für mich ist das überhaupt die Frage.

    (Schily [GRÜNE]: Freiheit oder Weltuntergang, habe ich gesagt!)

    — Freiheit oder Weltuntergang? Diese Frage stellt sich in der Tat nicht, weil ich glaube, daß wir nur in Freiheit überleben. Aber ich sage Ihnen: Die Möglichkeit „Unfreiheit und Frieden" könnte durchaus gegeben sein, wenn die Deutschen zu einer Wackelpolitik zurückkehren

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    und zu einem unzuverlässigen Partner werden. Aber daß es nicht dazu kommt, dafür sorgt die Koalition, dafür sorgt unser Außenminister und die Glaubwürdigkeit einer kontinuierlichen Politik.
    Immerhin muß ich Ihnen einräumen, Herr Schily, Sie sind konsequent, denn Sie sagen „raus aus der NATO", wenn ich es richtig verstanden habe.

    (Schily [GRÜNE]: Neutralisierung!)

    — Ja, Neutralisierung, natürlich. Sie werden doch nicht glauben, daß wir für die Franzosen — —

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Sie sind ja doch intelligent genug, das traue ich Ihnen zufällig zu.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    — Das muß ich nicht noch einmal sagen. Sie werden doch nicht glauben, daß nach den Artikeln, die Wischnewski zitiert hat, ein neutralisiertes Deutschland im Bündnis bleiben kann. Und Sie werden doch nicht glauben, daß das im Kräfteparallelogramm der Welt im Verhältnis der beiden Supermächte ohne Auswirkung bleibt. Das bedeutet natürlich Hegemonie über die Bundesrepublik Deutschland und damit den Fall Europas und damit
    den Fall Afrikas und des Nahen Ostens und des Mittleren Ostens bis weit nach Asien. Das ist doch die Frage, Freunde!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Es gab auch Vietnam!)

    — Ich kann genausogut mit Afghanistan antworten. Mir gefallen manche Dinge nicht. Unser Außenminister hat sich nicht überall populär gemacht, selbst in Bayern nicht, in meinem schönen Heimatland und bei dem großen Ministerpräsidenten. Aber er hat den Amerikanern gesagt, wie er denkt. Das ist, glaube ich, eine richtige Verhaltensweise.
    Nein, die Frage lautet wirklich: wie zuverlässig, wie stabil ist die Politik der Bundesrepublik Deutschland, und welches Vertrauen haben wir in der freien Welt in der Solidargemeinschaft der Demokratien in Europa und im Atlantischen Bündnis bis nach Japan hin? Das ist die Frage.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Meine Redezeit geht zu Ende. Lassen Sie mich deshalb zusammenfassend Ihnen einige Thesen geben, worüber Sie nachdenken können. In dem Zusammenhang fällt mir ein: Der Sowjetunion ist es unbenommen, nach dieser Abstimmung zu erklären: „Wir machen Schluß mit SS 20, wir reduzieren, wir sind für die Verhandlungen voll offen." Das sagt auch diese Regierung, und das sagen die sie tragenden Fraktionen. Das ist ihr doch unbenommen. Dann passiert überhaupt nichts. Nur, das sage ich Ihnen, wer die Geschichte der Sowjetunion kennt, Herr Schily und Genossen, der weiß, die Sowjetunion hat noch nie Vorleistungen honoriert, noch nie!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Andere auch nicht!)

    Aber die Sowjetunion hat immer Offenheit, Redlichkeit und Beibehaltung einer redlichen Position honoriert.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU) Nun meine Thesen:

    Erstens. Sicherheitspolitik ist für Liberale aktive Friedenspolitik, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen und die ihren lebendigen Ausdruck in der seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 von der FDP konsequent auf Frieden, Zusammenarbeit, Vertrauen ausgerichteten Außen-, Europa- und Deutschlandpolitik findet.
    Zweitens. Wir Freien Demokraten bekennen uns zu dem Ziel einer europäischen Friedensordnung, in der die Völker Europas in freier Selbstbestimmung gemeinsam ihre Zukunft gestalten. In diesem Europa soll der Nichtkrieg durch Abschreckung schrittweise abgelöst werden von einem Frieden durch Vertrauen und Zusammenarbeit. Deutschlandpolitik ist für die FDP europäische Friedenspolitik. Wir Deutschen sind uns unserer besonderen Verantwortung für den Frieden als Volk im Herzen Europas bewußt.



    Ertl
    Drittens. Die Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der CSSR und der Grundlagenvertrag mit der DDR bleiben ebenso wie die KSZE- Schlußakte von Helsinki und das Schlußdokument von Madrid Richtschnur für liberale Außenpolitik der Entspannung und Zusammenarbeit mit allen Staaten des Ostblocks. Die FDP bekennt sich zur Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis und zur Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den anderen Verbündeten. Diese Freundschaft ist von gleichen Vorstellungen bestimmt: vom Wert der Freiheit, der Menschenwürde und des Rechts auf Selbstbestimmung. Wir verfolgen eine europäische Sicherheitspolitik.
    Aus dieser Grundstimmung heraus sagen wir ja, so sehr wir uns der Verantwortung und der Schwere dieser Entscheidung bewußt sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt hat heute von Zwischentönen gesprochen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Gestern!)

    Solche Zwischentöne sind vor allen Dingen in Beiträgen von Kolleginnen und Kollegen des Hauses laut geworden, die sich sonst nicht mit Sicherheitsfragen beschäftigen und denen man angemerkt hat, wie sehr sie hier ihre eigenen Erfahrungen und Sorgen bei dem Versuch zum Ausdruck gebracht haben, zu einer eigenen Meinung zu kommen. Das, was ich sage, meine ich für die Rede der Frau Kollegin Geiger genauso wie für die der Frau Kollegin Huber oder der Frau Kollegin Nickels, für die von Herrn Waltemathe genauso wie für die von Herrn Höffkes.
    Dies war nicht im gleichen Maße der Fall in den Hauptreden, die für die Union gehalten worden sind. Sie zeichneten sich durch einen eigenartigen Zwiespalt aus. Es wurde nämlich, wie mein Kollege Jochen Vogel schon gesagt hat, sehr viel über das geredet, was zwischen uns gar nicht streitig ist, während in bezug auf die Punkte, die streitig sind — und die konkrete Frage ist: soll die Stationierung von Pershing II auf deutschem Boden morgen beginnen? —, Weniges, sehr Pauschales oder Propagandistisches gesagt wurde.
    Lassen Sie mich die Frage noch einmal aufgreifen: Es besteht kein Streit darüber, daß die Bundesrepublik geistig und politisch zum Westen gehört. Es besteht kein Streit darüber, daß unsere freie Lebensordnung verteidigungswürdig ist. Es besteht kein Streit darüber, daß die Sicherheit für unser Land nur im Bündnis zu gewährleisten ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Lafontaine!)

    Es besteht auch kein Streit darüber, daß eine gemeinsame Sicherheitspolitik nötig ist. Der einzige Streit, der hier besteht, ist, welche gemeinsame Sicherheitspolitik für Europa und für dieses Land nötig ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bitte den Bundeskanzler, Herrn Wörner und alle Kollegen der Regierungskoalition, einmal zu überlegen: Was soll es eigentlich bedeuten, daß Sie wider besseres Wissen diese Behauptungen aufstellen, obgleich Sie damit dem Bündnis wie der deutschen Demokratie nur schaden können?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wir haben in der CDU keinen Lafontaine!)

    Ich finde, wenn ich darüber nachdenke, die Erklärung leider nur darin, daß Ihnen die Diffamierung des innenpolitischen Gegners offenbar eben noch immer allemal wichtiger ist als die von Ihnen verbal immer so groß beschworene Gemeinsamkeit in Existenzfragen der Nation.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Herr Ehmke, bei uns gibt es keinen Lafontaine! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie nötig!)

    Diese schlechte Tradition der deutschen Rechten, die Sie fortsetzen, ist ja wohl auch die einzige Erklärung dafür, daß der Herr Bundeskanzler auch heute nicht die Gelegenheit ergriffen hat, die Ungeheuerlichkeiten des Herrn Geißler hier vor diesem Hause aus der Welt zu bringen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Berger [CDU/CSU]: Ausgerechnet der Ehmke muß das sagen!)

    Da kann ich Ihnen nur sagen: Die Rolle, in die sich Herr Kohl hier begeben hat, ist nicht die des Staatsmannes, sondern die des Biedermannes als Brandstifter.

    (Beifall bei der SPD — Pfui-Rufe von der CDU/CSU — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, schreien können Sie, aber Anstand wiederherstellen, das können Sie nicht, Ihr Kanzler auch nicht.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Unglaublich! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden Ihrer Rolle voll gerecht! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)