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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Petra Karin Kelly


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Ich gestatte keine angesichts der kurzen Redezeit.
    Der sehr weise Philosoph Günther Anders hat gesagt, daß wir im Atomzeitalter nicht diesen oder jenen Gegner bekämpfen müßten, sondern die atomare Situation als solche. Da diese atomare Situation der Feind aller Menschen ist, müssen sich diejenigen, die einander bisher als Feind betrachtet haben, als Bundesgenossen gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen. Die richtige Angst orientiert sich an der größten aller möglichen Gefahren, der Vernichtung allen Lebens durch menschliches Handeln.
    Wenn gesagt wird, die Friedensbewegung sei die Angstbewegung, weise ich das zurück. Diejenigen,



    Frau Kelly
    die auf dieser Regierungsbank sitzen und uns Angst machen, das ist die Angstbewegung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das, was vorher draußen passiert ist, und die Herren, die hier schön warten, daß wir vielleicht etwas Spontanes tun, das ist Angsterzeugung.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Warum müssen die denn da sitzen?)

    Das perverse Konzept der sogenannten atomaren Abschreckung basiert ja auf der erklärten Absicht der jeweiligen Regierung, die vorhandenen atomaren Massenvernichtungswaffen im Ernstfall tatsächlich einzusetzen. Das ist Abschreckung. Herr Wörner muß das wohl auch so sehen, daß man eben Waffen einsetzen muß, um wirklich damit abzuschrecken.
    Diese Bereitschaft ist unmoralisch. Doch Atomwaffen, so versichern Bundeswehrgeneräle, sind für uns keine Kriegführungswaffen. Die Amerikaner sehen das anders. In der Dienstvorschrift des US-Heeres FM 100/5 — ich bitte Sie, das zu lesen — ist der frühzeitige und zahlreiche Einsatz von nuklearen Gefechtsfeldwaffen vorgesehen. Dr. Wörner meint, für Europa habe dies keine Bedeutung. Doch die NATO-Experten zweifeln daran.
    Wir, die Friedensbewegung, sind nicht bereit, Massenmörder zu werden, um das Konzept der atomaren Abschreckung glaubwürdig zu machen. Wir warten immer noch auf die Antwort der Sozialdemokratischen Partei, die heute ihr Nein zur Stationierung ausspricht, was ihre Antwort auf die Frage ist: Was tun, wenn die Abschreckung versagt? Was tun, wenn immer treffgenauere atomare Mittelstreckenraketen den Tod der atomaren Abschrekkung bedeuten? Was tun, wenn ein Bündnis wie die NATO die Atomwaffen konventionalisieren möchte, wenn es bereit ist, auf die Angriffskriegführung nicht mehr zu verzichten?
    Versuchen Sie mit uns — das ist ein Appell an die Sozialdemokraten —, einen Weg aus der atomaren Abschreckung, aus verlogenen Verhandlungen zu finden, weil es nicht darum geht, welcher Kanzler seinen Einfluß im Weißen Haus besser geltend macht; es geht darum, das Instrument eines Aufrüstungsbeschlusses konsequent abzulehnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir haben viele Fragen in bezug auf die Heeresdienstvorschrift FM 100/5 hier noch nicht angesprochen. In diesem Field Manual, seit 1982 gültig, steht: Atomwaffen oder chemische Waffen können nützlich sein, um die feindliche Artillerie und die Reserven des Feindes zu zerstören. Mit genügend Unterstützung durch Atomwaffen kann die Auslösung des Gegenangriffs kurz nach dem Angriff selbst beginnen.
    Dr. Wörner meint, daß dieses Handbuch für die NATO keine Gültigkeit habe. Doch die Amerikaner sehen dies anders, und das haben sie uns im September auch erklärt. Sie bilden ihre Offiziere und Soldaten nach einem Konzept aus, das Dr. Wörner intern als „unannehmbar" gelten läßt. Doch weder
    Hans Apel noch sein Nachfolger Manfred Wörner haben dagegen öffentlich Einspruch erhoben. Ich frage: Warum nicht? Warum wird über diese Dienstvorschrift FM 100/5 hier nicht diskutiert?
    Die Distanzierungen von den Vorstellungen des US-Heeres bleiben schwach, Herr Wörner. Diese Vorschriften haben nämlich einen höheren Grad an Verbindlichkeit als die Dienstvorschriften der Bundeswehr. Das Field Manual 100/5 schreibt verbindlich vor, den Offensivgeist der Armee wiederzubeleben und so früh wie möglich die Initiative zu ergreifen.
    Was heißt das? Ich zitiere nur einen Satz aus diesem Dokument: „Die Kampfweise der Truppe ist bedingungslos auf Angriff ausgerichtet." Die bisherige Vorneverteidigung im Sinne eines möglichst grenznah beginnenden Abwehrkampfes wird ersetzt durch eine Vorwärtsstrategie, die es erforderlich macht, den Krieg mit Hilfe großräumiger Bewegungen so schnell wie möglich in den sowjetischen Herrschaftsbereich hineinzutragen.
    Warum wird darüber hier nicht gesprochen? Es sind die Zusammenhänge in dieser offensiven Kriegsstrategie der USA, über die wir reden möchten, nicht nur über das Waffensystem Pershing II und die Cruise Missiles.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn nach dieser Dienstvorschrift die Armee angreifen soll, so kann sich Herr Wörner nicht in einer Wischiwaschi-Art von dieser Sache distanzieren. Er muß dazu klipp und klar Stellung beziehen.
    Die abschreckende Wirkung der neuen, von Mikroprozessoren gelenkten US- Mittelstreckenwaffen besteht in ihrer demonstrativen Anwendung. Während die herkömmlichen Atomwaffen, die SS 20, mit der Verwüstung ganzer Landstriche drohen, treffen die neuen Waffen die Köpfe ihrer Gegner direkt, sie enthaupten sozusagen. Unmittelbarer ist die Abschreckung nicht zu haben.
    Da die Umrüstung auf die neuen Waffen interkontinentaler Reichweite für den ganz großen Entwaffnungsschlag gegen die Sowjetunion noch etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen wird, soll zunächst einmal in Europa mit den kurzfristig verfügbaren Nachrüstungswaffen Pershing II und Cruise Missiles die Reaktion der Sowjetunion auf die neue Abschreckungsstrategie der Amerikaner getestet werden. Das ist der Sinn dieser Stationierung, die heute abend beschlossen wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das macht sie zu den reinen Erpressungswaffen, denn die Logik dieser Strategie des selektiven Schlags besteht darin, daß die Masse der Überlebenden angesichts solcher Treffsicherheit an der Wirksamkeit des Schutzes durch ihren politischen Souverän zu zweifeln beginnen, was sie zwingt, Bedingungen zu akzeptieren, die die USA vorschlagen. Wenn Sie ein Zitat dazu wollen — es ist von Herrn Reagan, und ich kann Ihnen genau sagen, wann es war: auf einer Pressekonferenz im Februar 1981 —:



    Frau Kelly
    Wir werden den Kommunismus abschließen als ein trauriges bizarres Kapitel der Geschichte, dessen letzte Seiten eben geschrieben werden. Wir werden uns nicht damit abgeben, ihn anzuprangern. Wir werden uns seiner entledigen.
    Das können Sie direkt aus dem Weißen Haus bekommen, wenn Sie mir hier nicht glauben.
    Eugene Rostow hat treffend gesagt: Wir leben in einer Vorkriegsära, nicht in einer Nachkriegszeit. Bei einem Treffen, welches ich im September vor dem Council of Foreign Relations in New York gehabt habe, wurde mir deutlich gesagt, daß die amerikanische Regierung niemals bereit sein werde, Chicago für Hamburg zu opfern. Doch wir sind nicht bereit, Hamburg für Chicago zu opfern. Das ist unsere Antwort.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn wir, die GRÜNEN, den Ausstieg aus der Blocklogik den Ausstieg aus dem Abschreckungsdenken und den Ausstieg aus bilateralen Rüstungsabkommen fordern, so wird dies als irreal und irrational beschrieben. Doch wie irrational und unrealistisch ist Ihr Weg des Nach- und Nach- und Vor- und Nach- und Vorrüstens in einer Welt, die sich 14- bis 16mal selbst umbringen kann, in einem Gleichgewichtsdenken, das völlig sinnlos geworden ist, weil die Regierenden bei jeder Abrüstungsgelegenheit ganz woanders ein Feld der Verwundbarkeit finden und dann dort wieder nach- und vorrüsten. Im Grunde genommen wird nichts anderes getan, als weit schlimmere Bösartigkeiten zu planen, um andere Bösartigkeiten zu verhindern.
    Willy Brandt hat auf dem Parteitag erklärt: Die beiden Supermächte sind stark. Sie sind stärker, als sie sein müssen, stärker, als es für die Welt gut ist. Wenn das so ist — im Zeitalter des nuklearen Overkills —, so ist die einseitige Absage an ein einziges Waffensystem nicht etwas, was uns wehrlos machen kann. Ich möchte mal, daß Sie mir beweisen, daß das Nichtstationieren von Pershing und Cruise uns wehrlos macht. Das möchte ich hier mal bewiesen sehen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das wollen Sie bewiesen sehen? Das wollen Sie nicht bewiesen sehen!)

    Die Supermacht USA, see- und luftgestützt, redet ständig von der Überlegenheit der anderen. Aber sie hat 1 500 Militärstützpunkte um die ganze Welt errichtet. Sie hat stets gefechtsbereite Gruppierungen der Streitkräfte aufgestellt und hält Mittel für ihre Verlegung in entlegenste Gebiete der Welt bereit. Siehe Grenada und nächste Woche oder nächsten Monat Nicaragua.
    Es muß deutlich gemacht werden, daß fast immer es die Amerikaner waren, die in der Entwicklung von Nuklearwaffen die Führung übernommen hatten. George Kennan, früherer US-Botschafter, erklärte:
    Es waren wir, die zuerst ein solches Gerät produziert und erprobt haben, wir, welche die ersten waren, ihre Zerstörungskraft für eine neue Ebene der Wasserstoffbombe zu erhöhen, wir,
    die Mehrfachsprengköpfe einführten, wir, die jeden Vorschlag abgelehnt haben, auf den Grundsatz des ersten Einsatzes zu verzichten, und wir allein, so helfe uns Gott, welche die Waffe im Zorn gegen andere eingesetzt haben und gegen Zehntausende von hilflosen Menschen.
    Wir müssen unilateral anfangen. Ich sage Ihnen jetzt zum Schluß: es gibt einige Dinge, die existentiell sind im Sinne von „Du kannst sie nicht mit dem Hinweis auf andere betreiben".
    In der Friedensbewegung arbeiten heißt, auch nach dem 23. November gewaltfrei für diesen unbewaffneten Frieden eintreten und den existentiellen Moment begreifen: es kommt auf uns selber an. Wir werden als Steuerzahler und Steuerzahlerinnen anfangen müssen uns zu verweigern, damit eines Tages die Herren Militärs, Herr Wörner, und die Politiker —,

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Für solche Aufforderungen sind wir nicht da! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Dann kriegen Sie keine Pension mehr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Abgeordnete Kelly — —Frau Kelly (GRÜNE): — eines Tages für ihre Tornados und ihre Cruise Missiles von Tür zu Tür betteln gehen müssen.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz Westphal


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Abgeordnete Kelly, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit überzogen.