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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Heinz Westphal


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Abgeordneter Todenhöfer zu einer Zwischenfrage, die der Redner erlaubt.


Rede von Dr. Jürgen Todenhöfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Apel, Sie haben dem Verteidigungsminister vorgeworfen, zuwenig zu den Verhandlungen beigetragen zu haben. Trifft es zu, daß Sie die Zustimmung gegeben haben, die ersten Pershings II bereits im August dieses Jahres nach Deutschland zu bringen, und trifft es zu, daß der jetzige Verteidigungsminister Manfred Wörner mitgeholfen hat, sicherzustellen, daß die ersten Pershings II erst nach Abschluß dieser Debatte hier nach Deutschland gebracht werden können?

(Beifall bei der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Also, was zutrifft, ist folgendes, Herr Kollege Todenhöfer. Es trifft zu, daß wir Anfang 1980 in der NATO in der Erwartung, daß es natürlich Verhandlungsergebnisse geben würde, weil wir davon ausgegangen sind, daß wir bis zum Ende dieser Zeit regieren würden,

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    akzeptiert haben, daß natürlich die Vorbereitung der Stationierung so zu beginnen hat, damit die Einsatzfähigkeit der Waffen Ende des Jahres 1983 gewährleistet ist;

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Aha!)

    so ist es in der NATO verabredet. Ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß diese Bundesregierung diesen Termin um wenige Wochen verschoben hat.

    (Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Aha! — Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Aha! Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, in demselben „Spiegel"-Interview, von dem ich soeben gesprochen habe, hat Alfred Dregger die USA vor falschen Konzessionen gegenüber der Sowjetunion gewarnt. Diese Warnungen waren sicherlich überflüssig. Angebote, die es der Sowjetunion sehr schwer gemacht hätten, nein zu sagen, hat es nicht gegeben. Der Westen — das ist ja die Dramatik unserer Entscheidung heute — ist der deutschen Öffentlichkeit den Beweis schuldig geblieben, daß er, wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag sagen, größte Anstrengungen unternommen hat, um in Genf zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Deshalb, weil eben nicht größte Anstrengungen unternommen worden sind, weil der Antrag der Koalitionsfraktionen in diesem Punkt nicht stimmt, kann es auch keinen Sozialdemokraten geben, der diesem Koalitionsantrag zustimmen kann.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Woher wissen Sie denn das? Das ist eine Behauptung, eine Unterstellung!)

    Denn die größten Anstrengungen sind eben nicht unternommen worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit Betroffenheit habe ich in dieser Debatte heute und gestern zur Kenntnis genommen, daß Sie die eindeutige Westbindung der SPD in Frage stellen.

    (Berger [CDU/CSU]: Das macht die SPD selbst!)

    — Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie die fast einstimmigen Beschlüsse des Bundesparteitages am letzten Wochenende zur Kenntnis genommen haben.

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Jubel für Lafontaine!)

    Wenn Sie sie zur Kenntnis genommen haben und gleichwohl einem Teil des Hauses — fälschlich — unterstellen wollen, daß wir aus der NATO, aus der Westbindung heraus wollen, dann kündigen Sie den Konsens in der Sicherheitspolitik auf. Wir wollen allerdings — das ist richtig — an die Stelle des derzeitigen Akzeptierens amerikanischer Positionen ein faires Ringen um den richtigen Weg des Bündnisses zur Sicherung von Frieden und Freiheit setzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen, daß an der NATO-Grundlage, Verteidigungsfähigkeit und Verständigungsbereitschaft mit dem Osten, festgehalten wird. Als Amtsvorgänger von Herrn Dr. Wörner nehme ich mit Besorgnis zur Kenntnis, daß Sie in dem vorgelegten Weißbuch von der Doppelstrategie der NATO, Verteidigungsfähigkeit und Entspannungspolitik, insofern doch sehr deutlich Abschied nehmen, als Entspannung und Entspannungspolitik für Sie nur noch eine Randerscheinung sind, die wenig zu beachten ist.
    Herr Kollege Rühe, wenn Sie meinen, die Position der Sozialdemokraten zum NATO-Doppelbeschluß stelle die Allianz in Frage, dann gehen Sie sehr weit.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Aber es stimmt!)

    Wenn Sie so etwas sagen, müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß große demokratische Parteien in einer ganzen Reihe von westeuropäischen Ländern den NATO-Doppelbeschluß ablehnen. Dann allerdings, wenn wesentliche Teile des politischen Spektrums in Norwegen, wesentliche Teile des politischen Spektrums in Dänemark, in den Niederlanden, in Belgien, in anderen Ländern den Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses ablehnen, wäre das Bündnis in einer zentralen Gefahr, dann hätte das Bündnis keine Zukunft mehr, wenn diese wesentli-



    Dr. Apel
    chen Teile des politischen Spektrums die NATO nicht mehr wollten.

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wenn das die Mehrheit wäre!)

    In keinem dieser Länder wird den Parteien, die so argumentieren wie die Mehrheit meiner Fraktion,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Seit kurzem!)

    vorgeworfen, Sie wollten das Bündnis verlassen. Lassen Sie das doch! Sagen Sie doch endlich die Wahrheit!

    (Beifall bei der SPD)

    Bleiben Sie bei der Wahrheit! Es ist eine wichtige Entscheidung, die heute gefällt wird. Aber die Bündnistreue, die Westbindung der Sozialdemokratie steht doch mit dieser Frage überhaupt nicht zur Diskussion.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU])

    Hören Sie doch auf, das Bündnis und damit die Einheitlichkeit unserer Sicherheitspolitik krankzureden, meine sehr geehrten Damen und Herren!

    (Berger [CDU/CSU]: Sie reden gegen den Wind! — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Sie sind auf der schiefen Bahn und merken es gar nicht!)

    Wir wissen doch — und das ist hier gesagt worden —, daß die sicherheitspolitische Debatte fortgesetzt werden muß, daß die Ostpolitik nur auf der eindeutigen Westbindung möglich ist, daß die atomare Schwelle angehoben werden muß, daß die Bundeswehr Teil unserer Sicherheitspolitik ist. Beenden Sie die die Haltung der SPD verfälschende Debatte!
    Aber ich sage Ihnen ganz offen, daß seit dem NATO-Doppelbeschluß für mich und auch für meine sozialdemokratischen Freunde die Sowjetunion die Aufstellung ihrer SS 20 konsequent und rücksichtslos fortgesetzt hat. Das ist auch die Ursache für die aktuelle Debatte. Wir wollen diese Raketen weghaben. Wir müssen darüber verhandeln. Verhandlungen sind nur durch den NATO-Doppelbeschluß möglich geworden. Der NATO-Doppelbeschluß wird auch nicht dadurch falsch, daß der Westen ungenügend verhandelt hat. Er wird auch nicht dadurch falsch, daß die Angebote der Sowjetunion am Verhandlungstisch nicht genügend ausgelotet worden sind.
    Aber wir sollten uns auch keinerlei Illusionen machen. Es ist das Ziel der Sowjetunion jegliche Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhindern. Westeuropa soll für sowjetischen Druck verwundbar werden.

    (Berger [CDU/CSU]: Richtig!)

    Die NATO soll als Papiertiger entlarvt werden.

    (Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Die Abkoppelung Westeuropas von den USA ist anvisiert. Das widerspricht unseren Interessen. Meine
    Partei hat 1982 auf ihrem Parteitag in München dazu festgestellt:

    (Seiters [CDU/CSU]: Lange her!)

    Die atlantische Allianz mit der militärischen Präsenz der USA in Europa ist unverzichtbar für die äußere Sicherheit und die politische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik.
    Und dies ist auch heute noch unsere Meinung.

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: Ihre persönliche Meinung!)

    Aber hat sich der Westen nicht auch selber in diese schwierige Lage manövriert?

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Auch durch ständige Verteidigungsdebatten!)

    Sind Sie nicht starr im Nachrüstungsdenken befangen geblieben? Ist es nicht so, daß weder die USA noch die amtierende Bundesregierung begriffen haben, daß die Debatte längst eine ganz andere Dimension erreicht hat, daß es um Glaubwürdigkeit der westlichen Strategie der Kriegsverhinderung geht, daß es darum geht, zu beweisen, daß der Westen in Genf ein Verhandlungsergebnis will und die Sowjetunion mauert? Und ich sage Ihnen: Dieser Beweis ist nicht erbracht worden.

    (Vereinzelter Beifall bei der SPD)

    Ich bin davon überzeugt, daß die Supermächte an den Verhandlungstisch zurückkehren werden. Sie müssen von uns dazu gedrängt werden.

    (Berger [CDU/CSU]: Gemeinsam!)

    Es geht vor allem um unsere lebenswichtigen Interessen. Die Hoffnungslosigkeit von Rüstungsspiralen muß durchbrochen werden. Die SPD hat dabei eine besondere Verantwortung wahrzunehmen.

    (Berger [CDU/CSU]: Macht sie aber nicht!)

    Sie muß als Opposition im Deutschen Bundestag die Bundesregierung und den Westen drängen. Sie muß die Sowjetunion bewegen, einem für unsere gemeinsame Sicherheit akzeptablen Kompromiß zuzustimmen. Die Forderung nach Weiterverhandeln ohne zeitliche Begrenzung, das Nein zur Stationierung neuer amerikanischer Systeme kann das nicht bewirken.
    Das ist der Grund, warum mein Freund und früherer politischer Weggefährte, Herr Dr. Willfried Penner, und ich dem Antrag unserer Fraktion nicht zustimmen werden.

    (Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU — Berger [CDU/CSU]: Das ehrt Sie!)

    Der Entschließungsantrag unserer Fraktion ist ansonsten eine genaue und von uns voll geteilte, unseren deutschen Interessen gerecht werdende Beschreibung unserer Sicherheitspolitik.

    (Vereinzelter Beifall bei der SPD)

    Deshalb werden wir uns bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD)