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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich möchte jetzt, wie Ihre Kollegen aus der Regierung, Herr Stoltenberg, im Zusammenhang reden.
    Wir sagen nicht nein, sondern ja zur Landesverteidigung. So steht es übrigens in dem von Ihnen in anderem Zusammenhang uns vorgehaltenen Godesberger Programm. Aber da steht auch drin, daß wir uns eine Perspektive zutrauen müssen,

    (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Lafontaine!)

    in der Atomwaffen aus beiden deutschen Staaten herauskommen, damit Europa und Deutschland eines hoffentlich nicht so fernen Tages zusammengeführt werden können.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sagen nicht nein, sondern wir sagen ja zum westlichen Bündnis

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben auch früher zum Doppelbeschluß ja gesagt!)

    und dazu, daß es reformiert wird, wo die Notwendigkeit der Reform geboten ist. Man braucht kein deutscher Sozialdemokrat zu sein, man kann auch amerikanischer Konservativer sein, um die Notwendigkeit der Reform zu erkennen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer liest, der weiß, was dazu diskutiert wird.
    Der Außenminister dürfte aus seiner Verantwortung heraus eigentlich kein Interesse daran haben, daß dies, was ich eben gesagt habe, in Zweifel gezogen wird. Der Bundeskanzler dürfte nicht zulassen, daß ein breites Engagement von Menschen, zumal vieler junger Menschen, in der Bundesrepublik im Ausland als Unterwerfungsbewegung verunglimpft wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies ist keine richtige Wahrnehmung deutscher Interessen in der Welt.
    Wir sagen nicht nein, sondern ja zur Freundschaft mit Amerika — ich habe es gesagt — und dazu, daß diese Freundschaft, Herr Kollege Schäfer, nicht an die jeweilige Administration gekettet ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sondern?)

    Denn was wäre das für eine komische Freundschaft, für eine künstliche Allianz, die sich auf Freundlichkeiten zwischen jeweiligen Ministern und Regierungschefs beschränkte!
    Uns ist entgegengehalten worden, wir hätten die Kontinuität unseres Regierungshandelns und auch die unserer eigenen früheren Beschlüsse verlassen.

    (Berger [CDU/CSU]: Das allerdings!)

    Eine solche Behauptung wird so, wie sie hier vorgebracht wird, nicht dadurch richtig, daß man sie wiederholt.
    Die SPD hat niemals einen Freibrief für die Stationierung neuer eurostrategischer Waffen auf deutschem Boden ausgestellt.

    (Berger [CDU/CSU]: Kennen Sie den Text des Beschlusses!)

    Kein Zweifel besteht daran, daß die SPD 1979 — wie die Bundesregierung — Rüstungskontrollen und Abrüstung voranbringen wollte.

    (Beifall bei der SPD)

    In unserem Beschluß vom Dezember 1979 in Berlin
    wiesen wir in aller Offenheit darauf hin, daß z. B.



    Brandt
    die Nichtratifizierung von SALT II, wie es dort wörtlich hieß, eine neue Lage schaffen würde.

    (Berger [CDU/CSU]: Da wollten Sie sich Optionen schaffen!)

    Zur neuen Lage gehört nun mittlerweile mehr. Kein einziges Rüstungskontrollabkommen wurde in der Zwischenzeit ratifiziert, geschweige denn, neue wurden ausgehandelt. Statt dessen haben sich die führenden Atommächte auf ein Wettrüsten mit solchen Waffen eingelassen, die möglichst treffgenau, schnell einsatzbereit und daher zu begrenzter Kriegführung fähig sind. Über diese letztere wird ja leider allzu beunruhigend seit geraumer Zeit in den Vereinigten Staaten gesprochen.

    (Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

    Ich wüßte kaum etwas, was der Friedensbewegung in der Bundesrepublik soviel Auftrieb gegeben hat wie Herrn Weinbergers Gerede über den begrenzten Atomkrieg.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Unsere Beschlußfassung vom Dezember 1979 war auf Rüstungskontrolle, auf die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages, auf die Förderung des Entspannungsprozesses und darauf ausgerichtet, durch entscheidende Reduzierung der sowjetischen Raketen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa überflüssig zu machen. Im Laufe der letzten Jahre mußten wir immer mehr und mit wachsendem Entsetzen feststellen, daß der rüstungskontrollpolitische und entspannungspolitische Teil des Doppelbeschlusses zu reiner Makulatur verkam. Aus dem harten Verhandeln seines Vorgängers hat der jetzige Bundeskanzler etwas gemacht, was seinem Harmoniebedürfnis mehr gerecht wird als dem notwendigerweise unbequemen Vertreten europäischer und deutscher Interessen, auch in Washington.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich kann mir immer noch nicht recht vorstellen, daß Bundeskanzler Kohl mit dem glücklich werden wird, was er Präsident Reagan bei seinem ersten Besuch so uneigennützig in die Hand versprach.
    Hier ist eben bei Graf Lambsdorff wieder angeklungen, ob man eigentlich, wenn man Parteivorsitzender ist — aber auch dann, wenn man das nicht wäre —, Bedenken, die man hat, nicht nur deshalb zurückstellt, weil man einem Bundeskanzler helfen will, sondern weil man auch darauf setzt: Vielleicht haben die recht, die, wie ich eben dargelegt habe, sagen, hier wird ein neuer großer Versuch der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbegrenzung und damit zusätzlicher Sicherheit für uns gemacht. — Das gilt für Herrn Vogel, den Sie sich hier vorgenommen haben, ebenso wie für mich. Außerdem wäre es keine Schande, wenn man auch auf die älteren Tage noch hinzulernen könnte.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Schön wär's!)

    Ich bin hier in der Gesellschaft eines Mannes wie Carl Friedrich von Weizsäcker. Er hatte — ähnlich wie wir —, als das vorige Mal eine Weichenstellung anstand, gesagt: Bei Abwägen aller Faktoren komme ich eher zu dem Ergebnis: Macht das. — Jetzt sagt er in seiner Ausarbeitung, die sicher manche von Ihnen vor ein paar Tagen in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen haben:
    Ich sehe heute keine andere rechtfertigbare Entscheidung, als daß wir einen Beschluß, den wir aus rein militärischen Gründen nie hätten fassen sollen, jetzt rückgängig machen und unsere Zustimmung zur Landstationierung der Pershing II verweigern.
    Das einzige plausible Argument, das heute für die Zustimmung zur Landstationierung vorgebracht wird, ist bündnispolitisch. Man fürchtet andernfalls eine Krise der NATO, eine Entfremdung von Amerika.
    Dann fährt er fort:
    Eine Verstimmung wird unvermeidlich sein. Ich meine aber, wir sollten die offene Auseinandersetzung mit der momentan herrschenden amerikanischen Militärdoktrin in voller Loyalität zum Verbündeten riskieren. Wird eine Weltmacht, die ihren Hegemoniekampf so entschieden führt wie heute die Vereinigten Staaten, einen ihrer wichtigsten Verbündeten verstoßen, wenn er sie selbst nicht verlassen will — und das nur, weil er einen Fehlentscheid zu korrigieren entschlossen ist?
    Ich finde, dies verdient Beachtung, wenn man sich über die Weiterentwicklung von Standpunkten, Überlegungen und Sorgen Gedanken macht.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, der streitig geführte Dialog um die Sicherung des Friedens in Freiheit — natürlich greife ich das Wort gern auf: des Friedens in Freiheit für uns —, exemplifiziert durch und zugespitzt auf die Frage der Aufstellung neuer atomarer Waffen, also Massenvernichtungswaffen in Europa und zumal in der Bundesrepublik, hat unser Volk in einer bisher beispiellosen Breite und Tiefe erfaßt.
    Nichts täte meiner Meinung nach in der politischen Auseinandersetzung darüber mehr not als das, was Philosophen „intersubjektive Rationalität" nennen und warum sie dies als Voraussetzung jedweder Verständigung — ja als die Beglaubigung schon des Willens zur Verständigung — betrachten.
    Nichts anderes aber hat die Parteizentrale der Christlich-Demokratischen Union zu diesen streitigen Dialog der Nation beizusteuern als Diffamierung, wie ich gleich nachweisen werde. Ich nehme an, daß die bekannte Kampfschrift aus dem Adenauer-Haus gegen unsere Vorstellung von Friedens- und Sicherheitspolitik von jenem Herrn Geißler zu verantworten ist, der es wohl für seine Christenpflicht, für seine Parteichristenpflicht hält, Andersdenkenden die Ehre abzuschneiden

    (Beifall bei der SPD)




    Brandt
    und sie nach Möglichkeit moralisch zu vernichten. Ich denke, das richtet sich selbst.

    (Beifall bei der SPD)

    Dennoch: Der Verleumder im Dienst und im Regierungsamt, der uns eine — —

    (Pfui-Rufe von der CDU/CSU — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Abgeordneter, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf wegen der Verwendung des Begriffs „Verleumder".

(Beifall bei der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Ich weiß, daß das nicht üblich ist: Ich darf mich ausdrücklich bedanken, weil es die Aufmerksamkeit auf das lenkt, was ich zu sagen wünschte.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall bei den GRÜNEN — Pfui-Rufe bei der CDU/CSU — Berger [CDU/CSU]: Schöner Demokrat! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der alte Holzer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)