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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt hat heute von Zwischentönen gesprochen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Gestern!)

    Solche Zwischentöne sind vor allen Dingen in Beiträgen von Kolleginnen und Kollegen des Hauses laut geworden, die sich sonst nicht mit Sicherheitsfragen beschäftigen und denen man angemerkt hat, wie sehr sie hier ihre eigenen Erfahrungen und Sorgen bei dem Versuch zum Ausdruck gebracht haben, zu einer eigenen Meinung zu kommen. Das, was ich sage, meine ich für die Rede der Frau Kollegin Geiger genauso wie für die der Frau Kollegin Huber oder der Frau Kollegin Nickels, für die von Herrn Waltemathe genauso wie für die von Herrn Höffkes.
    Dies war nicht im gleichen Maße der Fall in den Hauptreden, die für die Union gehalten worden sind. Sie zeichneten sich durch einen eigenartigen Zwiespalt aus. Es wurde nämlich, wie mein Kollege Jochen Vogel schon gesagt hat, sehr viel über das geredet, was zwischen uns gar nicht streitig ist, während in bezug auf die Punkte, die streitig sind — und die konkrete Frage ist: soll die Stationierung von Pershing II auf deutschem Boden morgen beginnen? —, Weniges, sehr Pauschales oder Propagandistisches gesagt wurde.
    Lassen Sie mich die Frage noch einmal aufgreifen: Es besteht kein Streit darüber, daß die Bundesrepublik geistig und politisch zum Westen gehört. Es besteht kein Streit darüber, daß unsere freie Lebensordnung verteidigungswürdig ist. Es besteht kein Streit darüber, daß die Sicherheit für unser Land nur im Bündnis zu gewährleisten ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Lafontaine!)

    Es besteht auch kein Streit darüber, daß eine gemeinsame Sicherheitspolitik nötig ist. Der einzige Streit, der hier besteht, ist, welche gemeinsame Sicherheitspolitik für Europa und für dieses Land nötig ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bitte den Bundeskanzler, Herrn Wörner und alle Kollegen der Regierungskoalition, einmal zu überlegen: Was soll es eigentlich bedeuten, daß Sie wider besseres Wissen diese Behauptungen aufstellen, obgleich Sie damit dem Bündnis wie der deutschen Demokratie nur schaden können?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wir haben in der CDU keinen Lafontaine!)

    Ich finde, wenn ich darüber nachdenke, die Erklärung leider nur darin, daß Ihnen die Diffamierung des innenpolitischen Gegners offenbar eben noch immer allemal wichtiger ist als die von Ihnen verbal immer so groß beschworene Gemeinsamkeit in Existenzfragen der Nation.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Herr Ehmke, bei uns gibt es keinen Lafontaine! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie nötig!)

    Diese schlechte Tradition der deutschen Rechten, die Sie fortsetzen, ist ja wohl auch die einzige Erklärung dafür, daß der Herr Bundeskanzler auch heute nicht die Gelegenheit ergriffen hat, die Ungeheuerlichkeiten des Herrn Geißler hier vor diesem Hause aus der Welt zu bringen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Berger [CDU/CSU]: Ausgerechnet der Ehmke muß das sagen!)

    Da kann ich Ihnen nur sagen: Die Rolle, in die sich Herr Kohl hier begeben hat, ist nicht die des Staatsmannes, sondern die des Biedermannes als Brandstifter.

    (Beifall bei der SPD — Pfui-Rufe von der CDU/CSU — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, schreien können Sie, aber Anstand wiederherstellen, das können Sie nicht, Ihr Kanzler auch nicht.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Unglaublich! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden Ihrer Rolle voll gerecht! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein.
    Der Herr Bundeskanzler ist allerdings in diesem Versuch noch überboten worden,

    (Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: Durch den Kollegen Brandt!)

    und zwar von dem Herrn Kollegen Dregger und von dem Herrn Kollegen Wörner. Der Herr Kollege Dregger hat ihn an strammer Haltung übertroffen, und der Herr Kollege Wörner an diesem unnachahmlich hoheitsvollen Lächeln, das ja offenbar



    Dr. Ehmke (Bonn)

    überhaupt das Gütesiegel dieser Bundesregierung zu werden scheint.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Sie bleiben sich wirklich selber treu!)

    Und wenn ich hier auch noch, sozusagen als Anhängsel, ein Wort zum Kollegen Lambsdorff sagen kann: Daß er hier über Wende und kurzes Gedächtnis gesprochen hat, hat mich nicht erstaunt. Auf beiden Gebieten ist er sachverständig. Aber es hat mich etwas gestört, Herr Kollege Mischnick — wenn ich das in Erinnerung an alte gemeinsame Regierungszeiten sagen kann —: daß von dem Grundstrom der gemeinsam getragenen Entspannungspolitik, mit den Ausnahmen von Frau Hamm-Brücher und dem Kollegen Feldmann, so wenig in den heutigen Reden der FDP noch zu spüren war.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: So sind Sie jetzt mit Ihrem Rundumschlag fertig? Kommen Sie mal zur Sache!)

    Nun lassen Sie mich aber zu den Ausführungen des Bundeskanzlers zu der konkreten Frage kommen. Der Herr Bundeskanzler hat den Doppelbeschluß in Verbindung zu dem Harmel-Bericht gesetzt. Ich verstehe das auch, weil er seine Stationierungsverpflichtung, die er dem amerikanischen Präsidenten gegenüber eingegangen ist,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das war doch Schmidt!)

    in Verbindung bringen will mit der Betonung der im Harmel-Bericht vereinbarten Politik. Leider hat er nicht gesagt, daß diese Politik heute durch die Entwicklung neuer amerikanischer Militärdoktrinen in Frage gestellt wird.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das sind doch Eiertänze, was Sie da aufführen!)

    Und ich sage Ihnen: Dieses Verschweigen, das wirklich vasallenhaft ist,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: An den Haaren herbeigezogene Ausreden!)

    kann doch nicht verkleistern, was denn eigentlich im Laufe der Jahre und Monate mit dem Doppelbeschluß geschehen ist.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Kanzler Schmidt hat doch schriftlich vorher zugesagt!)

    Aus einem rüstungskontrollpolitischen Ansatz ist eine Rüstungsmaßnahme gemacht worden. Das ist die Entwicklung, die wir erlebt haben.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Unter Ihrer Führung!)

    Streitig ist nicht, daß die sowjetische Bedrohung, die heute weiter besteht — das sehen wir genau wie Sie; und wer etwas anderes sagt, sagt die Unwahrheit —, der Ausgangspunkt für diesen Beschluß war. Aber die Idee war, diese Bedrohung wegzuschaffen, indem wir die Zahl der SS-20-Raketen so weit wie möglich herunterkriegen.

    (Berger [CDU/CSU]: Die gab es ja damals noch gar nicht!)

    Es war nicht die Idee des Doppelbeschlusses, einen Wettlauf zwischen SS 20 und Pershing II zu beginnen, ganz egal, zu welchen Zahlen an Raketen man damit in Europa kommen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben in unserem Antrag dargestellt, auf welchen Stufen diese Entwicklung vor sich gegangen ist. Und die Tatsache, vor der wir heute stehen, verehrte Kollegen, ist die: Es hat sich in der Reagan-Administration nach langer gründlicher Auseinandersetzung die Meinung durchgesetzt, die die Stationierung der Pershing II für wichtiger hält als den Versuch, mit den SS 20 in Verhandlungen weiter herunterzukommen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Und die Regierung Kohl ist mit dieser amerikanischen Linie mitgelaufen.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute ist festzustellen: Es ist nicht bis zum Ende ausgelotet worden, wie es im Doppelbeschluß beschlossen und versprochen worden war, wie weit man in den Verhandlungen kommen kann. Und wenn der Herr Bundeskanzler und der Herr Verteidigungsminister sagen, sie hätten alles versucht, zu einem Ergebnis zu kommen, so kann ich das verstehen; nur ist es falsch. Helmut Schmidt hat schon darauf hingewiesen, daß Sie die Frage des Doppelbeschlusses haben laufenlassen, als der Waldspazierungskompromiß bekannt wurde.
    Im übrigen, Herr Bundeskanzler,

    (Berger [CDU/CSU]: Der Waldspaziergang war doch nicht zu seiner Regierungszeit!)

    diese Behauptung, Sie hätten alles getan, können Sie j a überhaupt nur dadurch aufstellen, daß Sie sie mit der lächerlichen Behauptung verbinden, die Frage der Berücksichtigung der britischen und der französischen Nuklearraketen sei objektiv eigentlich gar kein Problem, sondern eine Erfindung der Sowjetunion.
    Dazu will ich Ihnen etwas sagen: Wir stehen in einer Situation, in der der Westen der Sowjetunion in den START-Verhandlungen sagt: Ihr kriegt 5 000, wir kriegen 5 000, und über die britischen und die französischen Sprengköpfe reden wir gar nicht, obgleich die noch in diesem Jahrzehnt über 1 500 Nuklearraketensprengköpfe haben werden.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: In zehn Jahren!)

    — Nein, nicht in zehn Jahren, am Ende dieses Jahrzehnts!

    (Klein [München] [CDU/CSU]: In sieben Jahren!)

    Dazu sage ich Ihnen: Wenn der Osten uns ein solches Angebot machen würde, dann würde der verehrte Zwischenrufer hier oben stehen und würde in



    Dr. Ehmke (Bonn)

    seiner unglaublichen Weise die Unanständigkeit der Sowjetunion und ihren Machtdrang darstellen. Und ich sage: Ich vertrete gegenüber der Sowjetunion keine Verhandlungsposition, die so unglaubwürdig ist, daß ich die Sowjetunion, wenn sie sie ihrerseits uns gegenüber vertreten würde, aus dem Tempel jagen würde.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Soll ich Ihnen mal Ihre Rede vorlesen?)

    Ich muß dem verehrten Außenminister sagen: Sie haben ja doch nun in telepathetischer Zusammenarbeit mit dem Kollegen Gromyko entdeckt, daß die britischen und französischen Raketen ein doppeltes Gesicht haben.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Soll ich Ihnen Ihre Rede vorlesen?)

    Dann lassen Sie uns doch diese Raketen, so wie wir das in unserem Antrag fordern, teils bei den eurostrategischen, teils bei den strategischen Waffen mitrechnen! Daß das nicht passiert, hat nichts mit der Sowjetunion zu tun,

    (Berger [CDU/CSU]: Mit den Engländern und Franzosen auch nicht!)

    sondern es hat damit zu tun, daß Amerika nicht bereit ist, eine Regelung zu treffen, nach der Amerika weniger Raketensprengköpfe hätte als die Sowjetunion, was ich bei einer Großmacht verstehe.

    (Berger [CDU/CSU]: Die Engländer und Franzosen sind doch auch nicht bereit!)

    Nein, dies ist ein amerikanisches Grundproblem, das ich ernst nehme. Denn wenn die Franzosen und die Briten auf der Seite der NATO angerechnet werden, heißt das: Die Amerikaner allein haben weniger als die Sowjetunion. Ich verstehe das von den Interessen der Großmacht her, aber wir dürfen hier nicht so tun, als ob die Frage, an der die Genfer Verhandlungen festgefahren sind, am Osten scheitere.
    Nein, sie scheitert daran, daß wir keinen Vorschlag vorlegen und die Bundesregierung hat nichts getan, um an diesem entscheidenden Punkt Bewegung in die Sache zu bringen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    — Verehrter Herr Zwischenrufer, es ist anders: Inzwischen erklärt Herr Eagleburger vom State Department, man solle INF- und START-Verhandlungen zusammenlegen, jetzt, da die INF-Verhandlungen am Ende sind. Und Vizepräsident Bush hat sogar gesagt: Man müsse sich natürlich für die Zukunft etwas Besseres ausdenken. — Aber die Bundesregierung kann nicht behaupten, sie habe alles Mögliche getan. Sie hat an diesem entscheidenden Punkt, an dem jetzt die Verhandlungen scheitern, genau gar nichts getan.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Herr Ehmke, Sie haben eine schwache Position!)

    Sie hat allerdings etwas anderes getan. Sie hat, um ihre Versäumnisse zu kaschieren, in einer bewußten Desinformationspolitik behauptet,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Sagen Sie was zum SPD-Umfall!)

    nun habe ja doch alles sein gutes Ende, denn die Sowjetunion würde auf die Anrechnung der britischen und französischen Nuklearraketen verzichten. — Das war eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit. Von diesem Vorwurf kann ich auch den Außenminister nicht ausnehmen. Es gab kein sowjetisches Angebot.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Das wissen Sie genau?)

    — Ja, ich kenne die Texte. Es gab eine sowjetische Anregung, die Amerikaner sollten ein Angebot machen, was auch sehr witzig ist.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Hat Ihnen das Semjonow gegeben?)

    — Nein, die amerikanische Seite, Herr Klein, falls es Sie interessiert. — Selbst in dieser Anregung wurde im übrigen nicht auf die Anrechnung der britischen und französischen Raketen verzichtet. Ich muß sagen: Nachdem ein offizielles sowjetisches Dementi vorliegt, spricht es nicht für die Seriosität dieser Regierung, daß der Bundeskanzler und der Außenminister trotz des Dementis die gleiche Behauptung in dieser Debatte noch einmal wiederholt haben.
    Sie wollen stationieren, bevor wirklich zu Ende verhandelt worden ist. Wir halten unser Wort. Wir haben gesagt: Wenn die Verhandlungen am Ende sind, entscheiden wir über diese Frage.

    (Zuruf von der FDP: Sie haben doch vorher schon nein gesagt!)

    Ein anderes Wort ist nicht gehalten worden: Es war versprochen, es würden alle Anstrengungen unternommen, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Ich muß aber mit Helmut Schmidt noch einmal feststellen: Es sind nicht alle Anstrengungen gemacht worden, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen.

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: Sie haben 1979 die Stationierung beschlossen!)

    — Nein, das ist nicht der Fall. Dann lesen Sie doch einmal nach!
    Das heißt nicht, daß wir der Meinung sind, das vorliegende sowjetische Angebot sei gut genug, angenommen zu werden. Aber es ist gut genug, unter Einbeziehung der britischen und französischen Waffen weiter auszuloten, wie weit wir die sowjetischen SS-20-Raketen herunterkriegen.
    Nun gibt es von seiten der Koalition vorgeschobene Argumente. Da heißt es z. B.: Wir könnten doch kein sowjetisches Monopol akzeptieren. Dazu kann ich nur sagen: Als Helmut Schmidt im Mai 1978 mit Breschnew über die Frage gesprochen hat, gab es etwa 60 SS 20 und 560 SS 4 und SS 5. Wenn die Sowjetunion damals gesagt hätte: Wir hören auf mit der SS-20-Rüstung, und wir bauen alle 560 SS 4



    Dr. Ehmke (Bonn)

    und SS 5 ab, dann hätten wir — ich sage das noch einmal — Breschnew für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Aber heute sagen Sie: falls diese Situation hergestellt würde, dann wäre das ein Monopol, das für uns unakzeptabel wäre. — Wo leben Sie denn eigentlich?

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn? Wir leben in Deutschland!)

    Im übrigen ist nicht richtig, was der Bundeskanzler gesagt hat: es gebe dann keine amerikanische nukleare Präsenz. Es gibt Hunderte amerikanischer Flugzeuge, und für die amerikanischen Interkontinentalraketen gilt das gleiche wie für die sowjetischen: Auch sie können Europa erreichen. Es ist also durchaus möglich, ein Gleichgewicht herzustellen mit verminderten sowjetischen Zahlen und mit Einbeziehung eines Teils der britischen und französischen Systeme. Wenn man dann noch extra etwas tun will, kann man eine Anzahl amerikanischer seegestützter Marschflugkörper annehmen; denn im Gegensatz zu 1979 haben wir inzwischen ein amerikanisches Programm von mehreren tausend seegestützten Marschflugkörpern.
    Der Herr Bundeskanzler hat weiter gesagt: Wer nein zum Doppelbeschluß sage, der gefährde den nuklearen Schutz der USA für Europa. Das ist reine Panikmache. Wenn Sie der Meinung sind, daß 300 000 amerikanische Soldaten, für deren Dienst in diesem Land wir dankbar sind, nicht ausreichen, um uns an Amerika anzukoppeln, dann weiß ich nicht, welche Hoffnung Sie eigentlich auf PershingII-Raketen setzen. Nein, Herr Bundeskanzler, von Ihnen ist hier nicht sauber argumentiert worden.
    Man kann sicher verschiedener Meinung sein, daran habe ich keinen Zweifel. Das ist nicht eine Frage von schwarz und weiß. Daß z. B. der Kollege Feldmann anderer Meinung ist, daß auch bei uns Kollegen anderer Meinung sind, zeigt das. Und ich halte das für gut. Aber ich wehre mich gegen den Versuch, statt von der konkreten Frage auszugehen, das Ganze zu einer Frage einer anti-westlichen Haltung aufzublasen, so daß nichts von der Diskussion in der Sache übrig bleibt, vieles an Gemeinsamkeit zerstört wird, was wir noch brauchen, und dies alles nur geschieht, um den innenpolitischen Gegner in die Ecke zu stellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der steht in der Ecke!)

    Ich sage Ihnen: Die, die gegen die Stationierung sind, die morgen auf deutschem Boden beginnen soll, bleiben dem rüstungskontrollpolitischen Ansatz des Doppelbeschlusses treu. Sie wollen das Bündnis vor Schaden und die Welt vor einem weiteren Wettlauf im Rüstungswahnsinn bewahren. Herr Bundeskanzler, nicht das Nein, sondern das Ja zur Stationierung gefährdet Europa.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Salto mortale! — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/CSU]: Davon hat er schon mehrere gemacht!)

    Lassen Sie mich zu dem zurückkehren, was der Bundeskanzler über den Harmel-Bericht gesagt hat. Dessen Entwicklung von einem rüstungskontrollpolitischen Ansatz zu einer Rüstungsmaßnahme war begleitet von der Entwicklung von amerikanischen Rüstungsprogrammen und Militärdoktrinen — begrenzbare, gewinnbare Atomkriege, Enthauptungsschläge, horizontale Eskalation —, die im Gegensatz zu der Sicherheitspolitik stehen, die die NATO im Harmel-Bericht vereinbart hat. Ebenso steht die Konfrontationspolitik, die wir etwa in Grenada oder in Zentralamerika oder im Nahen Osten sehen und die sich durch einen Überfluß an Sprengstoff und einen erschreckenden Mangel an politischer Phantasie auszeichnet, im Widerspruch zu der Entspannungspolitik, wie sie im Harmel-Bericht verabredet war.
    Herr Bundeskanzler, es ist im deutschen wie im europäischen Interesse höchste Zeit, daß Sie hier, statt immer weiter mitzumachen, einmal Klartext sprechen, daß die Europäer diese stillschweigende Änderung der gemeinsam vereinbarten Politik nicht weiter hinnehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das wäre sehr viel besser als Ihr Versuch, den Welthilfssheriff zu spielen und uns — so, wie Sie es im Nahen Osten getan haben — in diese Konflikte einzubeziehen. Daß auch die Pershing II etwas mit dem Nahen Osten zu tun hat, hat Herr Nixon inzwischen freundlicherweise bestätigt.
    Ich komme damit zum Schluß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte eine Frage stellen, die an das anknüpft, was Manès Sperber über Europa gesagt hat und was, glaube ich, vom Herrn Bundeskanzler schon zitiert worden ist. Ich benutze die Gelegenheit, Manès Sperber meinen hohen Respekt auszudrücken, der durch die unqualifizierten Angriffe von Herrn Engelmann gegen ihn nicht geringer, sondern noch größer geworden ist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Manès Sperber hat gesagt, dies sei die Stunde, in der Europa sich nicht selbst aufgeben dürfe, sondern vor der Aufgabe der Selbstbehauptung stehe. Es gehe um Selbstbehauptung, nicht um Selbstaufgabe. Ich stimme Manès Sperber darin zu, daß diese Aufgabe im wesentlichen gegenüber der Macht der Sowjetunion, gegenüber dem Drohpotential der Sowjetunion besteht, das nun allerdings leider, auch durch das Versagen dieser Bundesregierung, nicht abgebaut, sondern weiter erhöht werden wird.
    Ich füge aber hinzu, verehrte Kollegen: Die Aufgabe europäischer Selbstbehauptung besteht auch gegenüber der Politik einer amerikanischen Administration, die mangelnde politische Übersicht durch Machtprotzerei zu ersetzen sucht. Die NATO ist kein Weltmachtersatz, und Europa darf nicht zum Büttel einer Weltmacht werden. Die NATO ist ein regionales Verteidigungsbündnis mit der Großmacht USA, in dem wir, lieber Jupp Ertl, unsere Interessen wahren und schützen wollen. Darum



    Dr. Ehmke (Bonn)

    müssen wir alle zusammen aufpassen, daß wir nicht zum Glacis einer Großmacht herabgestuft werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Darum sage ich: Ein Europa des Selbstbewußtseins muß seinen Einfluß im Bündnis stärken, was auch erfordert, daß wir zusätzliche Anstrengungen machen. Aber es darf sich nicht zu einem mechanischen Teil der Rüstungsspirale zwischen den Großmächten machen lassen. Die Milliarden, die heute in den Rüstungswettlauf gehen, hätten wir dringend nötig zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten und zur Bekämpfung des Elends in der Dritten Welt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein Europa, das selbstbewußt ist, muß darauf drängen, Nuklearwaffen abzubauen und defensive konventionelle Anstrengungen mit vertrauensbildenden Maßnahmen und mit Maßnahmen der Rüstungskontrolle zu verbinden. Ein Europa der Selbstbehauptung darf sich weder in eine Konfrontationspolitik noch in Kreuzzüge einspannen lassen, und es muß den Versuchen beider Großmächte entgegentreten, die Dritte Welt zum Schlachtfeld ihrer Konfrontation zu machen.
    Ein Europa der Selbstbehauptung muß seine wirtschaftlichen Interessen — im eigenen Interesse, im Interesse Osteuropas und im Interesse der Dritten Welt — so bewahren, daß sie nicht der Konfrontations- und Sanktionspolitik einer amerikanischen Administration untergeordnet werden, auch nicht amerikanischen Kapitalinteressen, auch nicht einer defizitären Rüstungspolitik oder einer Hochzinspolitik der amtierenden amerikanischen Administration.
    Um dieses Gewicht zu erhalten, muß Europa zunächst sein eigenes Haus in Ordnung bringen — eine Aufgabe, vor der die Bundesregierung leider auf dem Europa-Gipfel in Stuttgart genauso versagt hat wie vor den weltwirtschaftlichen Aufgaben auf dem Gipfel in Williamsburg.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollten doch zum Schluß kommen!)

    Die Entwicklung einer neuen politischen Strategie, die den Vereinigten Staaten und mit ihnen dem Bündnis verlorengegangen ist, ist die große Herausforderung, vor der Westeuropa heute steht. Dazu haben Helmut Schmidt und Willy Brandt Wichtiges gesagt. Diese Bundesregierung hat aber leider nichts dazu beigetragen, zu einer solchen politischen Strategie für die freie Welt zu kommen, ja, sie hemmt den Fortschritt auf diesem Wege durch ihre beflissene Anbiederung an den großen Bruder in Amerika.

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen doch keiner, Herr Ehmke!)

    Die Politik dieser Bundesregierung, einschließlich der Zustimmung zu der Stationierung, die morgen beginnen soll, deckt nach unserer besten Überzeugung nicht die deutschen Interessen und nützt auch den europäischen Interessen nichts. Aus diesen Gründen sagen wir Sozialdemokraten dazu nein.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Schwenninger [GRÜNE] — Berger [CDU/CSU]: Es gab doch verschiedene Meinungen bei den Sozialdemokraten!)