Rede von
Dr.
Alois
Mertes
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein.
Ein Wort nun zu einem Thema, das eine große Rolle spielt und das in der Tat ein Problem ist; es ist die Frage der Akzeptanz der Strategie in der Bevölkerung. Der Erläuterungsdruck, der auf uns ausgeübt wird, ist heilsam. Eine Demokratie lebt davon, daß ihre Positionen in Frage gestellt werden und daß sie sich rechtfertigen muß. Es ist ein Zeichen intellektueller Kapitulation, daß die DDR in keiner Weise eine solche freie Debatte gestattet.
Aber, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Partei: Helmut Schmidt hat am Sonnabend in Köln gesagt: Es gibt ein Ungleichgewicht der Konsensbildung; drüben im Warschauer Pakt wird sie erzwungen, wir müssen sie hier freiwillig schaffen. — Das gilt auch für das Problem der Akzeptanz in unserem Lande. Drüben wird die Akzeptanz erzwungen, hier müssen wir für diese Akzeptanz kämpfen, wir müssen sie erläutern,
Dr. Mertes
wir müssen um sie werben, aber wir dürfen ihr nicht durch Preisgabe entscheidender Elemente unserer Friedenspolitik nachlaufen.
Übrigens, wo war eigentlich Helmut Schmidt, der uns wegen mangelnder Werbung für die Akzeptanz getadelt hat, in den letzten Monaten? Ich habe sehr wenig an Werbung für diese Akzeptanz von ihm gehört.
Liebe Kollegen von der SPD: Die innenpolitische Spekulation Ihrer Partei wird nicht aufgehen; ein Wortbruch lohnt sich nicht. Unsere Bevölkerung, gerade auch die Jugend, reagiert positiv auf Überzeugungskraft und Mut, auf ruhige und beharrliche Erläuterung. Übrigens gilt das auch draußen, für Freunde und Gegner. Ich bin gewiß, daß der Respekt für die SPD seit den letzten Wochen wahrscheinlich auch in Moskau gesunken ist; auch wenn die Befriedigung über das Nein aus der Sicht der langfristigen Westpolitik der Sowjetunion in der sowjetischen Presse verständlicherweise gerühmt wird.
Die Sowjetunion will im übrigen — das sage ich der SPD — nach meinen Eindrücken nicht, daß wir die NATO sofort verlassen. Wir waren im Sommer 1976 mit einer kleinen Gruppe, der deutsch-sowjetischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags, in Moskau und hatten eine lange Unterredung mit Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des Obersten Sowjets. Namhafte sowjetische Fachleute waren anwesend, und sie sagten uns: Wir erwarten von der Bundesrepublik Deutschland keineswegs, daß sie formal ihr Bündnis verläßt, daß sie sich formal von Amerika trennt; aber wir erwarten von der Bundesrepublik Deutschland — das ist die logische Konsequenz des Moskauer Vertrages, so sagte man uns —, daß sie, im westlichen Bündnis bleibend, eine Art Anwalt der edlen Absichten der Sowjetunion und der konkreten Vorschläge der Sowjetunion für Sicherheit und Abrüstung wird. — Die Formen der sowjetischen Einflußnahme auf die Bundesrepublik Deutschland sind oft viel subtiler als primitive Erpressung.
Man muß auch gegen den Strom schwimmen können, verehrte Kollegen von der SPD. Ich habe dieser Tage noch einmal das Buch „Flucht vor Hitler" von Wilhelm Högner gelesen, das er kurz nach seiner Flucht in die Schweiz 1937 geschrieben hat. Vor 1933 gab es eine Akzeptanzkrise der parlamentarischen Demokratie, der man den „wahren Volkswillen" entgegensetzte. Die Volksbefragungen in den Jahren 1931 bis 1933 hatten nur den radikalen Parteien gedient. Deshalb hat Theodor Heuss nach 1947 zu Recht gesagt, daß Volksbefragungen dieser Art eine Prämie auf die Demagogie sind. Högner schildert, wie die damaligen demokratischen Parteien im Reichstag von lähmender Verzweiflung gepackt waren. Das ist der Grund, weshalb ich Sie auffordere, daß wir jetzt nicht den falschen Bewegungen nachlaufen, sondern daß wir uns ihnen entgegenstellen.
Noch ein ganz kurzes Wort zu Frau Nickels, deren Beitrag zur Debatte ich als sehr positiv empfunden habe. Ich nehme Ihre menschliche Betroffenheit sehr ernst, auch Ihre christliche Motivation. Aber ich hoffe, Frau Nickels, daß Sie sich nicht zum Richter machen, sondern daß wir im Dialog bleiben. Ich habe eben gesagt: Politisches Urteil ist das Ergebnis von Güterabwägung. Wir wollen, daß die politische Natur der sowjetischen Bedrohung — denn die Sowjetunion will nicht den Krieg — auch von Ihnen so verstanden wird, wie wir sie sehen. Es gibt zwei Risiken, die uns belasten: das Risiko der militärischen Selbstvernichtung, aber auch das Risiko einer schleichenden politischen Selbstunterwerfung. Beides ist verhinderbar. Der Weg geht in eine gewisse Zukunft. Verantwortliche Politik darf nicht nur auf den Abgrund militärischer Selbstvernichtung starren, er muß beide Abgründe sehen, gerade auch den der politischen Selbstunterwerfung. Ich bin der Überzeugung, daß beide Abgründe verhindert werden können, wenn wir jene Politik weiter betreiben, die alle bisherigen Bundesregierungen in der Frage verläßlicher Friedenssicherung betrieben haben.
Ich danke Ihnen.