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ID1003604200

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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
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    Rede von Erwin Horn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Dieser Herr wurde zutreffenderweise von der „Süddeutschen Zeitung" als ein Beispiel des Zerfalls einer politischen Persönlichkeit charakterisiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer die Grenzlinien zwischen der Stationierungsfrage und der Allianzfrage verwischt und der SPD den aktiven Willen zur Landesverteidigung und zur Verteidigung des Westens im Bündnis bestreitet, der isoliert nicht nur die deutsche Sozialdemokratie, der isoliert nicht nur die sozialistischen Parteien in Griechenland, in Belgien, in Holland, in Dänemark, in Norwegen, in Großbritannien — nein, der drängt auch die christdemokratischen Parteien in den Niederlanden und in Belgien und ganz gewiß auch die dänischen Konservativen an den Rand dieser Allianz und sogar außerhalb dieser Allianz.

    (Beifall bei der SPD)

    Was ist das für ein Bündnis, dessen Konsistenz, dessen innerer Zusammenhang durch konservative — nein, hier muß man schon sagen: durch reaktionäre — Kräfte im eigenen Bündnis gesprengt und in Frage gestellt wird?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU])

    Wir als Sozialdemokraten haben den Doppelbeschluß als eine Chance angesehen, als eine Chance, die auch teilweise wahrgenommen wurde, nämlich die Großmächte an den Verhandlungstisch zu bringen, um Ergebnisse zur Abrüstung zu erreichen.
    Ich füge freimütig hinzu: Der rein technische Vorgang der Stationierung von vorerst 41 Mittelstrekkensystemen in Europa ändert weder quantitativ noch qualitativ überhaupt etwas am globalstrategischen Gleichgewicht.
    Mit dem Tag der Stationierung — das sage ich auch an die Adresse der GRÜNEN — beginnt nicht der Untergang Westeuropas. Die Stationierung ist auf der anderen Seite auch nicht das Kennzeichen einer selbstbewußten, starken, von sich überzeugten Allianz. Diese Stationierung erscheint mir als Kennzeichen einer inneren Schwäche.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Härtetest mußte gemacht werden, um sich selber zu bestätigen. Die Stationierung von vorerst 41 Mittelstreckenraketen gefährdet weder die Menschheit noch bietet sie den Europäern wirklichen Schutz. Daß wir fünf Jahre lang stationieren, daran glaubt doch niemand im Bündnis von denen, die heute Verantwortung tragen. Ich bin sicher, daß die Weltmächte wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die Verhandlungen abgebrochen werden. Dann kommt es aber zu neuen Verhandlungen unter neuen Bedingungen, unter Bedingungen, die sich für uns Europäer grundlegend verschlechtert haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Bündnis ist inzwischen angeschlagen, das Bündnis, das 30 Jahre Sicherheit und Schutz für die Bürger in ganz Westeuropa gewährte. Demokratische Parteien wie die holländischen Christdemokraten, wie die sozialistischen Parteien Skandinaviens und Großbritanniens, selbstverständlich auch eingeschlossen die deutschen Sozialdemokraten, die drei Jahrzehnte Säulen des Nordatlantischen Bündnisses waren, werden hier künftig einer Zerreißprobe unterzogen. Der Preis der Stationierung dieser Systeme ist viel zu hoch für die verlorene Sicherheit durch die Erschütterung im Bündnis.
    Otto von Bismarck, zu dem wir Sozialdemokraten sicher ein spannungsreiches Verhältnis hatten, unterschied sehr zutreffend zwischen Interessen- und Prestigepolitik. Die Verantwortlichen dieser Stationierung und hier zumal die jetzige deutsche Bun-



    Horn
    desregierung, die ihre politischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Verhandlungspartner verspielte, kennen jene Unterschiede nicht mehr. Die Politik, im Interesse unseres Landes unserem Volk die Zerreißprobe zu ersparen und den sicherheitspolitischen Konsens über einige Systeme zu stellen, ist zu einer reinen Prestigepolitik verkommen.
    Prestigepolitik, das ist das Stichwort für den politischen Vorgang im Zusammenhang mit dem Doppelbeschluß, der sich in den letzten eineinhalb Jahren vollzog. Gab es da wirklich keine Chance? Da gab es ein Modell nach jenem Waldspaziergang. Es wurde nicht ausgelotet, von beiden Seiten nicht. Die Frage der britischen und französischen Systeme war doch nicht nur ein Diskussionspunkt in der deutschen Politik. Auch in Amerika wurde darüber diskutiert. Auch sehr seriöse Leute in der ACDA forderten zu einem gewissen Zeitpunkt die Einbeziehung der Drittstaatenpotentiale in die Genfer Verhandlungen. Sicherlich kann man es unterschiedlich bewerten, welches System exakt welchem Tisch zugeordnet werden muß. Keine Frage aber ist, daß dieses Problem technisch lösbar war, wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß diese Waffen im europäischen Gleichgewicht berücksichtigt werden müssen, haben die Sozialdemokraten gesagt, seit es diese Diskussion gibt. Der damalige Verteidigungsminister — schon auf dem SPD-Parteitag im Dezember 1979 —, das Verteidigungsweißbuch 1979 ebenso wie die Veröffentlichungen unter der Verantwortung des Bundesaußenministers in den Jahren 1980 und 1981

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    haben völlig zu Recht auch die britischen und französischen seegestützten Systeme zu den europarelevanten Raketen gezählt. Ich würde jede Wette eingehen, daß die Sowjetunion keinen Nachhilfeunterricht durch die Herren Apel und Genscher gebraucht hat, um die britischen und französischen Raketen zu entdecken.

    (Beifall bei der SPD)

    Kompromißfähigkeit hat Helmut Schmidt als die Tugend der Demokraten bezeichnet. Herr Dregger, Herr Todenhöfer und Herr Kohl selbst warnten die Vereinigten Staaten permanent vor, wie sie es bezeichneten, „falschen" Kompromissen. Die demokratische Tugend des Kompromisses ist dieser Regierung abgegangen. Dadurch fehlt ihr in der Stationierungsfrage auch zu Recht der demokratische Konsensus innerhalb unserer Bevölkerung.

    (Beifall bei der SPD)

    Theo Sommer fragt in diesem Zusammenhang nach der Rolle der Politik und sagt, daß sie von vornherein das Stiefkind der Militärplaner war. Die Strategen redeten von Eskalationskontrolle, als könnte irgend jemand die Entwicklung zum atomaren Holocaust noch verläßlich „kontrollieren", nachdem einmal die erste Kernwaffe eingesetzt worden ist. Sie sprachen von „Gleichgewicht", als ob das grobe Gleichgewicht zwischen den beiden Großen, auf das es in der Tat ankommt, säuberlich in lauter regionale Sub-Gleichgewichte aufgeteilt werden müsse. Sie schwärmten von „Stärkung der Glaubwürdigkeit", als ließe sich mit einem neuen Waffensystem verlorengegangenes politisches Vertrauen wiederherstellen. Man braucht gar nicht darum herumzureden, so Theo Sommer: „Die Militärs wollten im Grunde lieber die westliche Aufrüstung als östliche Abrüstung." Wer hier die Aussagen der Herren Kohl, Wörner und Leisler Kiep noch in Erinnerung hat, der weiß, daß nicht nur die Militärs so dachten, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Es waren weniger die Militärs als solche Politiker!)

    — Sehr richtig, Herr Kollege Voigt; dem stimme ich völlig zu. —
    Rein militärisch gesehen sind diese Waffen ja auch überhaupt nicht nötig. Sie decken keine Ziele ab, die nicht schon in alten Zielkarteien enthalten sind. Die ihnen zugewiesenen Aufträge ließen sich auch mit modernen U-Boot-Raketen von See her ausführen. Das neue Aufrüstungsprogramm der USA mit 4 000 Cruise Missiles, 50 % Schiff-Schiff-, 50 % Schiff-Land-Raketen, übersteigt als Erneuerungspotential bei gleicher Qualität die vorgesehenen eurostrategischen Systeme bei weitem.
    Seit Kissingers Brüsseler Rede ist die amerikanische Nukleargarantie Zweifeln ausgesetzt. Mit der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstrekkensysteme werden diese Zweifel nicht beseitigt, im Gegenteil! So beschreibt es etwas ironisch ein Zeitgenosse:
    Bei jedwedem Druck auf jedweden Atomknopf, der die Existenz der Vereinigten Staaten aufs Spiel setzt, wird kein Präsident Raketen leichteren Herzens gegen die Sowjetunion starten lassen, bloß weil sie bei Bitburg stehen statt bei Pittsburgh. Wenn die ganze Eskalationsleiter morsch ist, nützt es wenig, ihr eine neue Sprosse einzuziehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ob die Nachrüstungswaffen Amerika wieder fester an Europa ankoppeln oder ihm — im Gegenteil — stärkere Abkoppelung erlauben, das ist letzten Endes Glaubenssache und nicht beweisbar. Doch für die Zukunft unterstreiche ich besonders die Aussage meines Fraktionsvorsitzenden in seiner gestrigen Rede, daß der Beginn der Stationierung die Aufnahme neuer Verhandlungen sehr erschwert. Dennoch meine ich mit ihm: Wir wollen diese Verhandlungen, und wir wünschen ihnen Erfolg. Wir werden die Ergebnisse verantwortungsbewußt und mit großer Sorgfalt würdigen. Auch ein Verhandlungsergebnis auf niedrigerem Niveau auf beiden Seiten kann im Interesse abrüstungs- und rüstungspolitischer Erfolge einen Fortschritt darstellen.
    Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung:

    (Clemens [CDU/CSU]: In freier Rede vorgetragen?)


    Horn
    Seit dem 30. Juni 1960, seit der bekannten Rede von Herbert Wehner gab es fast ein Vierteljahrhundert einen Konsens der großen demokratischen Parteien in diesem deutschen Parlament in der Frage der Sicherheitspolitik.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wer ist denn ausgestiegen?)

    Ich möchte nicht, daß diese Übereinstimmung mutwillig gebrochen wird, und ich hoffe, daß wir alle dazu beitragen, den Konsens auch für die Zukunft zu bewahren.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das hat Herr Kohl nicht! Wir haben doch gehört, was er sagte!)

    — Ja, eben, Herr Kollege Ehmke. Denn was an Verdächtigungen, an Unterstellungen und auch an offenkundigen Unwahrheiten von der CDU/CSU gegenüber der deutschen Sozialdemokratie geäußert wird, ist schwerlich dazu angetan, diese Grundübereinstimmung für die Zukunft tragbar zu machen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Sie bestätigen die Auffassung von Helmut Schmidt!)

    Dennoch erkläre ich meine persönliche Bereitschaft und die meiner Freunde, daß wir gemeinsam den schweren Aufgaben der Zukunft gerecht werden wollen. Herr Minister Wörner weiß ganz genau, wenn er zuhört, wovon ich spreche.

    (Dr. Apel [SPD]: Aber der hört ja nicht zu!)

    Die Mittelstreckenwaffen-Diskussion darf nicht von dem ablenken, meine sehr verehrten Damen und Herren auch von der Union, was uns in nächster Zukunft an Bündnisproblemen bevorsteht. Die konventionelle Verteidigungsfähigkeit unseres Landes kann nicht durch die Zustimmung zur Stationierung von atomaren Systemen in der Bundesrepublik Deutschland kompensiert werden. Diese Bundesregierung und speziell der Verteidigungsminister haben im vorigen Jahr eine intakte und im gesamten Bündnis hoch geachtete Bundeswehr von ihren sozialdemokratischen Vorgängern übernommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Nicht an Worte, sondern an den Maßstäben des Zustands der Bundeswehr werden wir künftig den Minister messen.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei Briefings auf der Hardthöhe vor internationalen Gremien, etwa dem Unterausschuß für Rüstungskooperation oder dem Unterausschuß „Konventionelle Waffen in Europa" des Militärausschusses der Nordatlantischen Versammlung, haben Offiziere und politische Leitung des Hauses übereinstimmend ein Bild von der Bundeswehr gezeichnet, wie es tatsächlich ist. Dort wurden Darstellungen gegeben, die auch viel beachtete Anerkennung in den Berichten dieses NATO-Parlaments erfuhren. Die SPD übernahm 1969 von der Union eine Bundeswehr mit 465 000 Mann. Unter Sozialdemokraten erst wurden die NATO-Ziele erreicht; 495 000 Mann,

    (Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

    12 Divisionen, zum erstenmal 36 Brigaden, die Erhöhung der Umfangszahl um 30 000 Mann und die Runderneuerung der gesamten Bundeswehr. Wenn CDU-Abgeordnete heute in die Vereinigten Staaten von Amerika oder in ein anderes Bündnisland fahren, dann werden sie mit Leistungsdaten versehen, die von Sozialdemokraten für die Bundeswehr geschaffen wurden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Ein überzeugender Beitrag!)

    Wir haben uns die Fähigkeit erworben — das wissen Sie doch ganz genau —,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Ich stimme ja zu!)

    innerhalb von 72 Stunden insgesamt 1,2 Millionen Soldaten ausgebildet und bewaffnet einsatzbereit zu halten. Gegen den harten Widerspruch des jetzigen Verteidigungsministers Dr. Wörner haben wir die Verfügungsbereitschaft eingeführt. Wir sind das einzige Land, in dem der Verteidigungsminister, rein rechtlich gesprochen,

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    die alleinige Entscheidung hat, Wehrpflichtige-während der Zeit von 12 Monaten im Anschluß an den Grundwehrdienst zum Wehrdienst in die Verfügungsbereitschaft einzubeziehen, und zwar für eine Dauer, über die er befindet. Das ist genau im Sinn des früheren Verteidigungsministers und Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der auf dem SPD-Parteitag sagte:
    Erste Priorität haben Soldaten und zweite Priorität deren Motivation. Dritte Priorität haben Bildung und militärisches Training. Und erst an vierter Stelle braucht man das Budget für Ausrüstung und Waffen.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Echt sozialdemokratische Reihenfolge!)

    — Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Klein! Das wissen Sie • doch ganz genau: Wenn alle Armeen innerhalb unseres Bündnisses den gleichen Mobilisierungscharakter und die gleiche Mobilisierungsfähigkeit hätten, dann wären wir längst in der Lage, die nukleare Schwelle ganz, erheblich zu erhöhen. Sie wissen, daß atomare Gefechtsfeldwaffen alleine dazu dienen sollen, gegenüber überlegenen konventionellen Kräften Abschreckung zu bieten. Wenn andere auch die gleichen Leistungen aufgebracht hätten wie wir, könnten wir eine höhere nukleare Schwelle und damit mehr Sicherheit bieten.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das kostet Geld, und das darf nicht an letzter Stelle stehen!)

    — Sie sagen: „Das kostet Geld." Hier könnte ich Herrn Wörner zum wievielten Male zitieren. Herrn Kollegen Apel warf er noch im vorigen Jahr vor: Herr Apel, Sie sind der erste Verteidigungsminister, der nicht mehr bedrohungsorientiert, sondern finanzorientiert seinen Haushalt vorlegt. Aber das tun Sie mit Rücksicht auf die Linken innerhalb



    Horn
    Ihrer Fraktion. — Heute strunzt Herr Kollege Dr. Wörner mit dem gleichen Argument. „Sein Linker" in der Fraktion scheint der Herr Stoltenberg zu sein.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Und was sagt Apel heute?)

    Dies sind Leistungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir in den letzten 13 Jahren unter politischer Leitung von drei sozialdemokratischen Verteidigungsministern vollzogen haben. Dennoch wurden diese Leistungen von keinem Nachbarn als bedrohlich empfunden, weil die außenpolitischen Rahmendaten stimmten. Eine Regierung, die aktive Entspannungspolitik betreibt, ist glaubwürdig. Sie schafft mehr Vertrauen als die jetzige Regierung, die sehr stark wieder in den Kategorien des Kalten Krieges denkt.

    (Berger [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)

    — Entschuldigen Sie, wer die Entspannungspolitik eliminiert, wer einseitig die Beschlußfassung des Harmel-Berichtes im Entspannungsteil kündigt, wer in der programmatischen Regierungserklärung für die volle Legislaturperiode am 4. Mai dieses Jahres wie der jetzige Bundeskanzler und seine Regierung den Begriff Entspannungspolitik auslöscht, der setzt ein neues, ein negatives Programm nach draußen und nach innen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Schreiben Sie doch das nächste Mal dem Herrn Dr. Kohl das Entsprechende in die Regierungserklärung. Wir wären doch froh, wenn wir positive Signale von der Regierung bekämen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie bewerten sie doch falsch, Herr Kollege! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Scheitern der Genfer Mittelstreckenverhandlungen ist eine Niederlage für die Entspannungspolitik und für den Frieden. Es kennzeichnet die Unfähigkeit der führenden Politiker, von denen in bedrohlicher Weise das Schicksal dieser Erde abhängt, zu einem Kompromiß, zu einem erträglichen Ergebnis zu kommen.
    Ich will nicht mehr den Slalom aller Bedingungen nachfahren, bei denen die Stationen des Unvermögens oder des Unwillens auf beiden Seiten ersichtlich werden. Dies hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der Politiker und besonders ihrer Politiker, den Frieden sicherer zu machen.
    Im Westen, aber auch in anderen Teilen unserer Erde brechen eruptiv die Widersprüche auf, in denen sich die Menschheit befindet. Die politische Akzeptanz der Nuklearstrategie ist auf Dauer in einer demokratischen Gesellschaft nur schwer konsensfähig.
    Herr Kollege Wörner, wenn Sie hier die Sozialdemokraten — wie vorhin geschehen — beschuldigen, sie würden leichtfertig Strategiedebatten vom
    Zaune brechen und sie würden die gültige Strategie in Frage stellen, dann möchte ich Ihnen einmal ein Zitat vorlesen, das Sie überdenken sollten:
    Menschen sind nicht in der Lage, einen solchen Widerspruch dauerhaft zu verarbeiten. Die Hoffnung ihres Lebens wurzelt auch in der Gewißheit, daß die Existenz der Gattung und des Volkes gesichert ist, dem sie angehören. Wird ihr diese Grundlage entzogen, muß die Hoffnung verdorren. Mit der nuklearen Grenzsituation als Dauerzustand wird diese Gewißheit in Frage gestellt. Als Grundlage einer dauerhaften Friedensordnung ist sie deshalb ungeeignet.
    So der prominente CDU-Politiker, Professor Kurt Biedenkopf.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Unsicherheit ist wohl auch offenkundig. Kennzeichen dafür sind z. B. die fehlenden Richtlinien für den Folgeeinsatz. Das ist logisch; denn dieser ist unkontrollierbar, weil unkalkulierbar.
    Wir stehen als Nordatlantisches Bündnis in den nächsten Jahren vor viel größeren Herausforderungen, die fast zur Zerreißprobe werden. Ich möchte nicht den Verdacht äußern, daß das willfährige Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Verhandlungspartnern in Genf und dem absehbaren Scheitern dieser Verhandlungen nichts anderes als eine seltsame Mischung von Schwäche und Kompensation gegenüber Forderungen war, die auf uns zukommen. Da steht immer noch die 3 %-real-Forderung seitens der Amerikaner vor allem an die deutsche Adresse aus, und ausgerechnet der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister, die in ihrer Zeit als Opposition geradezu Verpflichtungsschwüre darauf geleistet haben, zeigen sich heute unfähig, für den konventionellen Aufbau etwas mehr zu tun.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!)

    Im Augenblick herrscht Ruhe an der Front. Für den Sachkenner ist doch klar: Der amerikanische Kongreß drängt, die amerikanische Administration wird nachkommen, und im nächsten, im übernächsten und in den folgenden Jahren werden diese und eine andere Frage zu einer schweren Belastungsprobe innerhalb des Bündnisses. Sie wissen das auch ganz genau; denn auch Sie haben sich mit den Problemen genügend befaßt. Da werden die Probleme des Bündnisses fast ins Unermeßliche steigen, wenn die Bundeswehr, die deutschen Streitkräfte in wenigen Jahren eine Reduzierung von mehr als 50 000 Mann vornehmen müssen. Maßnahmen der Bundesrepublik haben Signalwirkung auf die europäischen Partner. Ich möchte davon ausgehen, daß der Verteidigungsminister dies weiß, daß er auch um die Auswirkungen und um die Probleme weiß, die das zur Folge hat. Auch der Bundeskanzler muß sich mit diesen Problemen beschäftigen und sein sonst sehr holzschnittartiges Denken dabei etwas mehr auf Filigranarbeit einstellen.

    (Beifall bei der SPD)




    Horn
    In Amerika wächst der Druck der Abgeordneten auf die europäischen Verbündeten. Die Probleme im eigenen Land nehmen überhand. Enorme ethnologische Verschiebungen vollziehen sich im Süden und Westen der Vereinigten Staaten Amerikas. Die spanischen Zuwanderer werden eine große nicht mehr übersehbare Gruppe in diesem Lande. Die rigide Sozialpolitik der heutigen amerikanischen Administration verschärft das soziale Problem dieser ethnologischen Gruppen.

    (Zustimmung der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    Sie finden zunehmend prominente Sprecher für ihre Belange. Der Kongreß wird sich dem nicht länger sperren können. Umgekehrt erhalten amerikanische Politiker Briefe von ihren Soldaten aus Europa und auch hier aus der Bundesrepublik Deutschland, in denen um Verminderung der personellen Lasten der Vereinigten Staaten nachgesucht wird. Der Druck auf die Europäer und hier zumal auf uns wird zunehmen. Vor dieser Fragestellung können wir doch einfach nicht fliehen; aber es ist politisch geradezu ausgeschlossen, fehlende manpower künftig durch Nuklearsysteme ersetzen zu wollen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    MBFR braucht einen neuen Impuls, allein schon in unserem Interesse. Entscheidendes hat Herr Genscher in der Vergangenheit dabei kaputtgemacht, als Helmut Schmidt seinen Vorschlag machte, daß die nationale Höchststärke nicht 50 % des Gesamtanteils der Landstreitkräfte im jeweiligen Reduzierungsraum von NATO und Warschauer Pakt überschreiten sollte. Die Soldaten auf der Hardthöhe unterstützten diese Initiative, denn sie kannten sehr exakt die demographische Entwicklung. Die Chance wurde jedoch durch Herrn Genscher gründlich vertan. Das Interesse der anderen Seite hat nachgelassen; denn auch die Sowjets können rechnen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Herr Genscher, die Sowjets können rechnen!)

    Sosehr jeder vernünftige Mensch Rüstungskontrollvereinbarungen den Vorrang gibt, sosehr ist es absehbar, daß wir damit das gesamte Problem nicht in den Griff bekommen.
    Sehr verehrte Damen und Herren, es stehen vor uns enorme Belastungen in der Zukunft. Was ich über den demokratischen Konsens gesagt habe, das ist nicht nur eine Worthülse. Sie werden diese Belastungen nicht ohne und ganz und gar nicht gegen die deutsche Sozialdemokratie heil überstehen können.
    Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Alfred Biehle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist verlockend, jetzt auf ein paar Sätze des Kollegen Horn einzugehen. Lassen Sie mich aber nur einen Punkt herausgreifen, den er gleich zu Beginn gesagt hat. Er führte aus: Die SPD stand zum Doppelbeschluß, die Union zur Nachrüstung.

    (Zurufe von der SPD: Genauso ist es!)

    Nun, Herr Kollege Horn, Sie sind ein Hesse, und ich bin als Bayer Nachbar. Ich erinnere mich noch an den Slogan zu Wahlzeiten: „Hessen vorn!".

    (Zurufe von der SPD)

    In Hessen begann es vor über einem Jahr, daß ein Bezirksverband nach dem anderen dem Doppelbeschluß die Absage erteilt hat. Da standen Sie doch schon nicht mehr zu ihm.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Das spricht für die Hessen, Herr Biehle! Ich bin selber Hesse und bin stolz darauf!)

    Jeden Tag kam ein neuer Bezirksverband dazu. Man war noch mitten im Verhandeln, da hatten Sie schon abgesagt, da waren Sie schon nicht mehr beim Doppelbeschluß.

    (Zurufe von der SPD)

    Und wenn Sie sich zu Herzen nähmen, was Ihr ExKanzler Schmidt gestern und auf dem Parteitag gesagt hat,

    (Dr. Scheer [SPD]: Nehmen Sie sich das zu Herzen!)

    und wenn Sie das als Realität betrachteten, daß alle Ihre Verteidigungsminister gegen Ihre Entschließung stimmen, dann müßten Sie doch zugeben: Sie laufen nicht nur aus dem Ruder, Sie sind bereits auf eine Sandbank aufgelaufen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei all den vielen Reden, die landauf, landab in diesen Wochen und Monaten gehalten, bei allen Stellungnahmen, die abgegeben wurden — auch hier gestern und heute —, wurde immer wieder die Erhaltung des Friedens angesprochen. Die Vokabel „Freiheit" war schon weniger zu hören. Aber Freiheit ist für uns ein fester Bestandteil unserer Politik und ein fester Bestandteil des Friedens. Freiheit und Frieden gehören zusammen, das eine gibt es nicht ohne das andere.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer dann gegen die Pershing II demonstriert und vergißt, daß es 360 SS 20 gibt, der hat sich doch abgemeldet, der vertritt nicht mehr die Interessen unseres Landes und seiner Sicherheit. Lassen Sie mich dies in aller Deutlichkeit sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wessen Interessen denn eigentlich?)

    Wir alle wissen — das möchte ich hier noch einmal klar und deutlich sagen —, daß es das Ende der Menschheit bedeuten würde, wenn es in diesem Zeitalter der Massenvernichtungsmittel zu einer Eskalation zwischen den beiden Weltmächten, zwischen den beiden Bündnissystemen käme. Worum ringen wir? Wozu hier und heute Positionen bezie-



    Biehle
    hen? Es geht hier um die Frage, wie wir das Ziel, den Frieden in Freiheit zu bewahren und den Krieg zu verhindern, am sichersten erreichen können.

    (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    — Ach, wissen Sie, Sie von den GRÜNEN, Sie sollten erst einmal Ihre Fenster drüben von den „Nein"-Aufschriften frei machen, damit Sie wieder einen Blick in die Realitäten der Welt bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Anhaltende Zurufe des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Das Bündnis jedenfalls hat die Sicherheit für Europa seit über drei Jahrzehnten erreicht. Ein eindrucksvoller Beweis, meine ich, ist auch die Tatsache, daß es außerhalb Europas, dies muß man sehr deutlich sagen, mehr als 140 Kriege mit über 30 Millionen Opfern gegeben hat. Und daß es zur Strategie der Abschreckung, der Bewahrung des Friedens in Europa und in unserem Lande keine realistische Alternative gibt, dies wurde vor kurzem selbst von der SPD im Verteidigungsausschuß nicht bestritten.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Besuch im Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt. Hier ist eine alte Kavalleriestandarte aus dem 18. Jahrhundert ausgestellt. Diese Standarte zeigt einen Löwen mit dem Friedenszweig in der linken Pranke und einem Schwert in der rechten Pranke. Die Inschrift lautet: at atrumque paratus — zu beidem bereit. Sie sehen hier die weise Voraussicht in Bayern auch schon vor zwei Jahrhunderten.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Das sind alles voratomare Geschichten, die Sie erzählen!)

    Ich meine, daß auch diese Standarte mit dieser symbolischen Darstellung durchaus eine mahnende Verpflichtung an uns ist, zu beidem bereit zu sein. Wer Frieden will, muß in der Lage sein und auch den Willen haben, diesen Frieden gegen jede Bedrohung von außen zu bewahren und, wenn erforderlich, gegen jeden Angreifer mit den gebotenen Mitteln zu verteidigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Sauermilch [GRÜNE]: Alles Leerformeln!)

    Meine Damen und Herren, die Welt, in der wir leben, und die Zeit, in der wir leben, sind im wesentlichen von der Tatsache geprägt, daß in dem OstWest-Konflikt, der sich nach dem letzten Weltkrieg entwickelte, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion in weltpolitische Führungspositionen gerückt sind, wobei beide Weltmächte völlig unterschiedliche Gesellschaftssysteme vertreten. Dabei ist täglich für jeden der Unterschied zwischen der Demokratie und der Diktatur sichtbar — unmittelbar an unseren Grenzen, in diesem Vaterland —:

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das müssen doch auch die Sozialdemokraten sehen!)

    hier das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, für Menschenrechte und Menschenwürde, dort die Unterdrückung menschlicher Freiheiten, primitivster Freiheiten, bis hin zur Einverleibung fremder Völker, und dies immer auch noch mit Waffengewalt, in den eigenen sowjetischen Staatsverband. Ich brauche das nicht zu vertiefen. Der Fraktionsvorsitzende Dr. Dregger hat das gestern schon einmal aufgelistet.
    Meine Damen und Herren, wir kommen nicht umhin, uns immer wieder auf den Ausgangspunkt unserer politischen Entscheidung, nämlich der Entscheidung für den Westen und der unbeirrbaren Freundschaft zu Amerika, zu besinnen. Das Deutsche Reich war 1945 nicht nur militärisch, es war total und auf allen Gebieten geschlagen: Millionen Tote, Trümmer, Ruinen, Not und Elend waren das Ergebnis diktatorischer Politik. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur!"

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Nie wieder Faschismus!)

    Dies war die Lehre, die wir damals aus der Geschichte gezogen haben. Dies hat heute genauso Gültigkeit. Dies ist die Grundlage zum Handeln und zum Erhalt unserer Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenige Jahre nach dem letzten Krieg haben wir Deutsche noch einmal die ganze Brutalität eines diktatorischen Systems zu spüren bekommen. Ich erinnere an die Blockade des freien Teils der Stadt Berlin im Jahre 1948. Damals schnitten die Sowjets — nicht die Amerikaner — die Zufahrtswege zu dieser Stadt zu Land und zu Wasser brutal ab. Sie wollten zweieinhalb Millionen Menschen skrupellos aushungern. Wir sollten nicht vergessen: Es waren die Vereinigten Staaten, es waren unsere westlichen Verbündeten, die durch die gigantische Luftbrücke verhinderten, daß dieser Würgegriff der Sowjets zur Kapitulation und Einverleibung West-Berlins in das rote Imperium führte. Ist das bei Ihnen wohl vergessen?

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben uns damals aus freiem Willen für den Westen entschieden. Die geschichtliche Entwicklung hat gezeigt, daß diese Entscheidung richtig war. Es war ja eine Entscheidung für die Freiheit.
    Frieden und Freiheit zu bewahren, darum geht es in dieser Zeit. Es wäre vermessen, zu glauben, die Bundesrepublik Deutschland wäre für sich allein in der Lage, diese Grundwerte gegen einen übermächtigen Aggressor zu verteidigen. Nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO, dem stärksten Verteidigungsbündnis, das es je in der Geschichte gab. Das NATO- Bündnis ist, so meine ich, heute die größte internationale Friedensbewegung, die es gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man nicht oft genug sagen! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Es hätte mich doch gewundert, wenn es nicht so wäre; und der Warschauer Pakt ist wohl die größte Kriegsbewegung!)




    Biehle
    — Ich kann nichts für Ihre grünen Wissenslücken, nachdem Ihr ordentlicher GRÜNEN-Vertreter im Verteidigungsausschuß meistens nicht da ist, wenn darüber diskutiert wird, und nur gelegentlich seinen Stellvertreter schickt. Ich wiederhole: Das NATO-Bündnis ist die größte Friedensinitiative, die wir auf internationaler Ebene haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Das ist Orwells Sprache!)

    Wir wurden Mitglied der NATO, mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Dies muß man sagen, und das heißt im Klartext: Beschlüsse, die in diesem Bündnis einmütig und einstimmig gefaßt werden, müssen auch ohne Wenn und Aber ihre Gültigkeit behalten, vor allem dann, wenn sich die Voraussetzungen, die zu diesen Beschlüssen führten, um kein Jota positiv zum Frieden, sondern zu immer mehr Aufrüstung verändert haben und damit Überrüstung der östlichen Seite brachten.
    Dies hat j a wohl auch zu der Konsequenz geführt, daß Helmut Schmidt am 10. November in Singapur gesagt hat: „Es muß nachgerüstet werden." Hierbei steht die Glaubwürdigkeit und die Verläßlichkeit unseres Landes im Bündnis auf dem Spiel, zumal sich die Bedrohung um ein Mehrfaches erhöht hat.
    Als Breschnew 1978 bei etwa 100 SS 20 gegenüber Exkanzler Schmidt von „Gleichgewicht" sprach, war das schon eine Gefahr. Heute hat die Sowjetunion mehr als dreimal soviel, der Westen aber immer noch Null. Wo bleibt eigentlich der Protest gegen die Seite, die dieses Übergewicht geschaffen hat?

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich protestiere hiermit!)

    Auch folgendes sollte man in Erinnerung rufen. Was sagt eigentlich die SPD zu ihrem so verehrten Professor Weichmann, der in der Tat ein großer Sozialdemokrat war? Ich zitiere, was er ausführte:
    Wenn wir unsere demokratische Lebensart für lebenswert halten, müssen wir für sie kämpfen.
    An anderer Stelle sagte er:
    Entspannungspolitik darf nicht blauäugig betrieben werden, weil sie drüben spannen und wir spinnen.
    Die Antwort gab Professor Weichmann selbst, indem er sagte:
    Ich kann mich einfach nicht mehr in die Politik meiner Freunde hineindenken. Es ist nicht mehr meine Politik.

    (Zustimmung des Abg. Clemens [CDU/ CSU])

    Das ist nahezu identisch mit dem, was auch Exkanzler Schmidt immer wieder zum Ausdruck bringt.
    Ja zur NATO bei Schönwetter und Wohlergehen, aber bei rauhem Wetter, dann, wenn der Wind hart ins Gesicht bläst, nur noch ein Wenn und Aber, jetzt bei Ihnen sogar ein Nein, also im Grunde genommen nur ein bißchen NATO, so nach eigenem Geschmack, das kann es genauso wenig geben wie nur ein bißchen Schwangerschaft. Unsere Sicherheitspolitik, die der Union, ist gradlinig, klar und eindeutig. Sie ist ausschließlich darauf ausgerichtet, uns im Rahmen des Bündnisses wirksam verteidigen zu können. Auch diese Verteidigungsbereitschaft ist, so meine ich, ein wesentlicher Bestandteil der Abschreckung.
    Wir, d. h. das Bündnis, wollen nicht durch militärische Stärke erpressen und wollen uns nicht dadurch in die Lage versetzen, einen Angriffskrieg mit einem Erstschlag vom Zaun brechen zu können, wie es leichtfertig und dümmlich immer wieder behauptet wird. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen Frieden und Freiheit. Dies bedeutet auch Abschreckung der militärischen Bedrohung. Wir wollen jedem potentiellen Gegner zeigen, daß wir in der Lage sind, auf einen Angriff mit angemessenen militärischen Mitteln zu reagieren, um damit den Frieden auch in Zukunft in Freiheit zu erhalten.
    Ich meine, es ist unsere — der Politiker — Aufgabe, den ersten Kriegstag zu verhindern, nicht aber Szenarios des zweiten und des dritten Tages aufzuzeigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Haben Sie heute die Zeitung gelesen! Das ist jetzt ganz aktuell in Amerika!)

    Einige Fakten und Zahlen muß man sich immer wieder vor Augen führen, um klar zu erkennen, was sich militärisch in der Sowjetunion und im ganzen Warschauer Pakt eigentlich getan hat. Dort wurde eine Militärmaschinerie geschaffen, die weit über das hinausgeht, was man auch der Sowjetunion und ihren Paktpartnern zur Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen zugestehen muß. Das ist ein Offensivpotential ungeheuersten Ausmaßes.
    Es empfiehlt sich das Studium des Weißbuches 1983; der Kollege Horn hat darauf schon hingewiesen. Mehr sollten es lesen, damit sie wieder einen klaren und realistischen Blick bekommen. Dieses Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Bundesregierung herausgegeben worden ist, zeigt nüchtern und realistisch die Verhältnisse auf.
    Man muß die Waffensysteme hier nicht noch einmal aufzählen, aber lassen Sie mich zwei Bereiche ansprechen, damit sichtbar wird, daß die SS 20 nur einen Teilbereich der Bedrohung darstellt. Warum brauchen wir denn die atomare Abschreckungsstrategie?

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ja, warum?)

    Ganz einfach:

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Aha!)

    Weil zuerst die Quantität und dann die Qualität der konventionellen Aufrüstung der Sowjetunion in der vergangenen Dekade so sichtbar und drastisch erhöht wurden. Daraus ergibt sich als Folgerung, daß auch das Ungleichgewicht auf konventionellem Gebiet nicht weiter ausufern darf.



    Biehle
    Die Stärke und die Abwehrkraft unserer konventionellen Streitkräfte haben aber nicht zuletzt einen erheblichen Einfluß auf die Glaubwürdigkeit dieser Abschreckungsstrategie. Wenn der Kollege Horn dies vorhin ebenfalls angesprochen hat mit dem Hinweis, die konventionelle Komponente anzuheben, dann muß ich ihm sagen: Die letzten 13 Jahre lang war die SPD an der Regierung, nicht die Union. Die SPD hätte die Möglichkeit gehabt, hier manches zu verbessern, was tatsächlich notwendig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir bemühen uns darum, daß wir dieser Forderung in Zukunft gerecht werden. Je wirkungsvoller wir konventionell verteidigen können, desto höher — dies unterstreicht auch, was der Kollege Horn gesagt hat — ist natürlich auch die atomare Schwelle.
    Das herausragende Merkmal bei den Luftstreitkräften ist, daß der Sowjetunion etwa bis Ende der 60er Jahre Kampfflugzeuge fehlten, die offensiv gegen die Luftstreitkräfte der NATO eingesetzt werden konnten. Auch das hat sich im vergangenen Jahrzehnt grundsätzlich geändert. Die Sowjetunion hat in der Zwischenzeit eine neue Generation modernster Kampfflugzeuge eingeführt, die in der Lage sind, verstärkt weiträumige Angriffsaufgaben wahrzunehmen. Diese Maschinen können weitaus mehr Waffen und Munition tragen als ihre Vorgänger. Sie erreichen höhere Geschwindkeiten und haben etwa die dreifache Reichweite.
    Aus der Entwicklung der Seestreitkräfte der Sowjetunion und des Warschauer Paktes — auch dies muß angesprochen werden —, die im letzten Jahrzehnt zu einer gewaltigen Offensivstreitmacht ausgebaut wurden, ist abzulesen, daß sich die Sowjetunion in die Lage versetzt sieht, ihren Einfluß über Ozeane hinweg weltweit zur Geltung zu bringen. Aus dem enormen Ausbau und der Modernisierung der Seestreitkräfte des Warschauer Paktes ergibt sich naturgemäß für die europäischen Staaten ebenso eine Bedrohung besonderer Art.
    Wir sollten die Tatsache nicht vergessen, daß wir von Amerika durch den Atlantik über 6 000 Kilometer getrennt sind. Dies zeigt, wie lebenswichtig die ungehinderte, die sichere Benutzung dieser Verbindungswege für das Bündnis ist. Der Nachschub an Truppen, an Waffen, Gerät und anderen Versorgungsgütern unterliegt hier der besonderen Bedrohung. So wird auch das Ziel der sowjetischen Strategie darauf ausgerichtet sein, diese Verbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten im Kriegsfall zu unterbrechen bzw. mit ganz hohen Risiken zu belasten.
    Zusammengefaßt kann man für den konventionellen Bereich feststellen, daß die Sowjetunion zu keiner Zeit mehr Angriffswaffen, Panzer, Kampfflugzeuge, Schiffe usw., gebaut hat als in der sogenannten Phase der Entspannungspolitik, des Abschlusses der SALT-Verträge, der KSZE-Schlußakte, der MBFR-Verhandlungen und der Ostverträge. Dies war doch sicher kein Zeichen für den Frieden, dies war kein Zeichen für Entspannung. Die militärische und politische Bedrohung ist größer denn je.
    Ich will nicht noch einmal auf das Potential im nuklearen Bereich im einzelnen eingehen, sondern auf die Entwicklung der SS-20-Bestände hinweisen. Gemessen an den Sprengköpfen besteht im Mittelstreckenbereich, wenn Sie so wollen, ein Verhältnis von 1 zu über 1 000 — eine erschreckende Zahl. Was 1977 für Kanzler Schmidt eine Gefahr bei nur knapp 20 SS-20 war, was 1979 für die NATO bei rund 120 SS-20—Raketen mit 360 Sprengköpfen eine Gefahr und Anlaß zu dem Nachrüstungsbeschluß war, ist heute für die SPD einfach keine Gefahr mehr. Das können Sie doch draußen in der Öffentlichkeit keinem glaubhaft machen, der zumindest Mengenlehre in der Schule gelernt hat.
    Meine Damen und Herren, aus meiner bisherigen Darstellung des militärischen Kräftepotentials in Ost und West läßt sich, so meine ich, klar ersehen, daß diese Entwicklung eine eindeutige Vormachtstellung für die Sowjetunion brachte, aus der die heutigè militärische Bedrohung resultiert. Diese Entwicklung nahm gerade seit 1977 dramatische Dimensionen an, denn durch die Aufstellung der SS-
    20-Raketen wurde auch die eurostrategische Lage grundlegend verändert. 52 Staaten der Erde werden von der SS-20 erreicht. Dies ist die Bedrohung, vor der ich Angst habe, nicht vor der Pershing, die noch gar nicht hier ist. Das muß doch auch einmal gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Kein anderes Land der Welt verfügt bisher über eine solche Waffenkategorie.
    Lassen Sie mich auch hier eines unmißverständlich feststellen. Wir sollten uns davor hüten zu sagen, die Amerikaner stellten Pershings auf. Dies sind NATO-Pershings, die die Freiheit der NATO sichern, nicht allein die der Amerikaner.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

    Wenn es zur Aufstellung der ersten NATO-Pershing-Raketen kommt, hat allein die Sowjetunion durch ihr Verhalten diese Maßnahme provoziert.
    Mit dem NATO-Doppelbeschluß hat der Westen unübersehbare Zeichen seines guten Willens zu Abrüstung und Rüstungsbegrenzung gesetzt. Hier wurde so deutlich gemacht, daß man auf westlicher Seite bereit war, zu verhandeln, bevor man selbst neue Waffensysteme produzieren und stationieren würde — wahrhaftig, ein bisher noch nie dagewesener Vorgang. Und fast scheint es heute, als hätte die Sowjetunion diesen Doppelbeschluß in seinem Nachrüstungsteil nicht voll ernstgenommen. Wie anders ist sonst diese Entwicklung zu sehen?
    Aber wenn man dann — aus sowjetischer Sicht — hier in diesem Land tatkräftig in diesem Betreiben unterstützt wird, kann man doch nicht erwarten, daß die Sowjetunion darüber hinaus zurückgeht, was Bürger und Vereinigungen in diesem Lande vertreten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Die sogenannte Friedensbewegung!)




    Biehle
    Die Sowjetunion hatte, nachdem der Doppelbeschluß 1979 gefaßt war, zunächst jegliche Verhandlungen abgelehnt, obwohl durch diesen Beschluß deutlich zum Ausdruck kam, daß der Westen, wenn notwendig, zu Gegenmaßnahmen entschlossen sein würde. Sie setzte ihre Aufrüstung mit diesem Raketensystem ungehemmt fort, obwohl es an Warnungen, ja, an Beschwörungen, damit einzuhalten, von westlicher Seite sicherlich nicht gemangelt hat. Auch der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat in Unterredungen mit Staats- und Parteichef Breschnew immer wieder nachdrücklich auf die Folgen hingewiesen, die diese einseitige Aufrüstung der Sowjetunion zwangsläufig auslösen müßte. Aber zustimmende Erklärungen der sowjetischen Seite blieben immer wieder Lippenbekenntnisse, hatte ausschließlich propagandistischen Wert; denn die Aufrüstung wurde unvermindert fortgesetzt. Jede Woche eine neue Rakete. Alle Zeichen der Verständnisbereitschaft blieben ohne Resonanz der sowjetischen Seite.
    In der nunmehr zweijährigen Verhandlungszeit von Genf hat sich die Sowjetunion bisher strikt geweigert, einem Abbau ihrer SS-20-Raketen zuzustimmen. Wenn man so viele Stimmen in unserem Lande hört, zuletzt auch einen SPD-Abgeordneten in „Radio Moskau", die die Forderungen der Sowjets nach Einbeziehung der französischen und englischen Nuklearwaffen unterstützen und als gerecht empfinden,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wer war das?)

    dann kann man nur sagen, daß von den Sowjets nichts anderes zu erwarten ist, solange in Deutschland die politische Unterstützung gegeben ist. — Es war der Kollege Weisskirchen, der am 20. November in „Radio Moskau" die genannten Forderungen Andropows als gerechtfertigt dargestellt hat.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Ein deutscher Bundestagsabgeordneter!)

    Statt dessen wurden wir mit einem Propagandafeldzug überzogen, der natürlich nicht ohne Wirkung blieb. Wir haben es in diesen Tagen wieder erlebt. Man muß wirklich den Eindruck gewinnen, daß große Teile der Sozialdemokratischen Partei froh sind, daß die Richtlinien der Politik in dieser Zeit nicht mehr von einem sozialdemokratischen Kanzler bestimmt werden.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

    Meine Kollegen von der SPD, wo stehen Sie denn eigentlich heute, wenn Sicherheitspolitik von Ihnen gefordert wird?

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Immer abseits!)

    In Frankreich, das politisch voll. zur NATO steht, erklären in Solidarität alle, von den Rechten über die Sozialisten bis zu den Kommunisten, wie wir es diesertage im Verteidigungsausschuß in Paris erlebt haben, ihr Ja zur Nachrüstung. Der französische Präsident Mitterrand sagt dazu, im Westen entwickle man den Pazifismus, im Osten die Rüstung. Zunehmend ist auch in Frankreich, wegen der Haltung hier im Lande, die Sorge um den Neutralismus. In Belgien lehnt das Parlament ein Moratorium ab und spricht sich für die Nachrüstung aus. In Italien kommt ebenso wie in Frankreich durch einen sozialistischen Ministerpräsidenten das Ja zur Nachrüstung.

    (Jungmann [SPD]: Fragen Sie mal die holländischen Christdemokraten!)

    In England wird stationiert. Merken Sie denn eigentlich nicht, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie sich sicherheitspolitisch im Bündnis abgemeldet haben, daß Sie schon heute isoliert dastehen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [SPD]: Das möchten Sie gern!)

    Wer glaubt Ihnen denn nach diesem Salto mortale, den Sie in wenigen Monaten vollzogen haben, noch dieses sicherheitspolitische Gelöbnis? Hinter diesem Eppler, der einst als Missionar auszog, diesen Doppelbeschluß zu unterlaufen, lauert bereits Lafontaine mit der Forderung zum NATO-Austritt. Auch das sollten wir sehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Horn [SPD]: Das ist doch das französische Modell!)

    Mit der Angst, die in der Öffentlichkeit durch viele Gruppen geschürt wird, wurden außerdem in zunehmendem Maße antiamerikanische Gefühle geweckt. Es werden Emotionen freigesetzt, die sich einseitig gegen unsere wichtigsten Verbündeten richten.

    (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen)

    Es werden Unsicherheit, Zweifel, Mißtrauen in die Debatte eingeführt, statt den Menschen Vertrauen und Sicherheit zu geben, wie das der Verantwortung aller Politiker, die als Mitglieder dieses Hauses und auch draußen in der Öffentlichkeit tätig sind, entspräche.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Man möchte wohl, daß Amerika für unsere Sicherheit einsteht. Aber die Pflichten, die daraus für uns erwachsen, will man gerne selbst bestimmen. Nein, darüber müssen wir uns wohl im klaren sein: Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Wir, die Mehrheit dieses Parlaments und auch die Mehrheit dieses Volkes, stehen an der Seite Amerikas.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zu dem Thema Angst, Unsicherheit, Zweifel lassen Sie mich noch ein paar Schlagworte aufklärend in die Debatte einführen. Der Verteidigungsminister hat schon einiges dazu gesagt.

    (Duve [SPD]: Der größte Angstmacher ist ja wohl Dr. Dregger!)

    Erstschlag: Damit flößt man Angst ein, suggeriert eine Gefahr, die in keinster Weise gegeben ist; das ist militärisch völlig unstrittig. Man will mit einem Erstschlag einen Gegner vernichten, damit er zu keinem Gegenschlag mehr in der Lage ist.

    (Jungmann [SPD]: Er kann es nicht, er kommt aus dem Konzept!)




    Biehle
    Wenn man sieht, daß es in der Sowjetunion über 1 400 Interkontinentalraketen und 360 SS-20-Stellungen gibt — dabei habe ich noch nicht Verkehrsknotenpunkte, Flugplätze, Kommandostellen usw. berücksichtigt —: Wie will man da mit 108 Pershing-Raketen einen Erstschlag zur Vernichtung des Gegners durchführen,

    (Berger [CDU/CSU]: Unsinn!)

    noch dazu wo wir ein Verteidigungsbündnis sind? Diesen Unsinn können Sie ja nicht einmal mehr einem Erstkläßler erzählen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)