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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn Sie mir zu Beginn eine persönliche Bemerkung erlauben, dann die, daß wir



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    nach meinem Eindruck soeben zwei Redebeiträge — von Herrn Waltemathe und Frau Verhülsdonk —gehört haben, die nachdenklich stimmen und die Überzeugungskraft enthielten; Überzeugungskraft deswegen, weil ihnen Überzeugungstreue zugrunde lag und weil eine bestimmte Haltung, auch wenn sehr gegensätzliche Ergebnisse dabei herauskommen, klar und eindeutig durchgehalten wird. Das unterscheidet beide Beiträge von manchem, was sich in den letzten Wochen ereignet hat und was auch gestern und heute hier zu hören war.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, daß der Wirtschaftsminister diese Debatte auch — keineswegs nur — unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten und Überlegungen verfolgt, das werden Sie verstehen. Das ist auch gestern angesprochen worden. Ich will diesen Betrachtungen zu Beginn folgendes voranstellen.
    Die besten sicherheitspolitischen Konzeptionen, über die wir hier streiten, werden nicht oder jedenfalls kaum mehr vermittelbar, wenn wir nicht fortfahren auf einem Wege, der uns mehr wirtschaftliche Stabilität unter die Füße gibt. Darum müssen wir uns bemühen.
    Verteidigung unserer Freiheit in Frieden gemeinsam mit unseren Verbündeten — das steht jedenfalls für die Bundesregierung und für mich über allem. Wirtschaftspolitik hat nicht nur die materiellen Voraussetzungen dafür bereitzustellen, sie muß auch dazu beitragen, die moralische Akzeptanz für Sicherheitspolitik überhaupt zu schaffen. Denn die Freiheit, deren Verteidigung wir verlangen und für die wir uns heute entscheiden werden, muß eine Freiheit sein, für die es sich lohnt sich einzusetzen. Dazu gehört auch, daß die materiellen Lebensbedingungen stimmen, daß wir wieder Arbeit für alle bekommen, daß Wohlstand nicht das Privileg einiger weniger ist oder bleibt. Hier liegt die Aufgabe der Wirtschaftspolitik, hier liegt auch die Verbindung zwischen Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Tun Sie endlich etwas für Arbeiter!)

    Helmut Schmidt hat gestern — wie ich glaube: zu Recht — die ökonomische Strukturkrise der Welt angesprochen. Er hat gesagt, sie habe strategische Qualität erreicht; wirtschaftliche Destabilisierung könne an vielen Stellen zur sozialen Destabilisierung führen, dann zur politischen und auch zur außenpolitischen Destabilisierung. Meine Damen und Herren, genau um dies zu verhindern, um dem entgegenzuwirken, bemühen wir uns wirtschaftspolitisch. Aber auch dies war einer der Gründe, warum wir im vorigen Jahr Entscheidungen treffen mußten, die uns eine solche Politik mit Aussicht auf Erfolg überhaupt wieder ermöglichten, auch eine Politik, meine Damen und Herren, in der Sie von der sozialdemokratischen Opposition — nichts hat es deutlicher gemacht als die geradezu dramatische Rede im Juni 1982 vor Ihrer Fraktion, gehalten von Helmut Schmidt — seine Position nicht mehr mit vertreten wollten oder konnten.
    Nun ist die Frage, wie heute das Problem weltweiter Destabilisierung, ökonomischer Strukturkrisen zu beurteilen ist, ganz gewiß nicht einfach zu beantworten. Aber es gibt positive Zeichen. Nicht nur Hoffnungszeichen, es gibt auch positive Ergebnisse. Morgen wird das diesjährige Jahresgutachten des Sachverständigenrates offiziell übergeben. Ich will zwei in dem Zusammenhang wichtige Sätze aus dem Gutachten zitieren:
    1. Unsere Erwartung ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr weiter aufwärts gerichtet bleibt. Die Sorge, es könnte zu einem Rückschlag kommen, halten wir nicht für ausreichend begründet.
    2. Die Voraussetzungen für eine Festigung der konjunkturellen Erholung in der Welt sind günstiger geworden, und die Erholung beschränkt sich nicht nur auf die großen Industrieländer, sie hat auch die meisten Schwellenländer und einen Teil der übrigen Entwicklungsländern, vor allem im südostasiatischen Raum, erfaßt.
    Meine Damen und Herren, es sei hinzugefügt, daß der Sachverständigenrat die Zuwachsrate beim realen Sozialprodukt für das Jahr 1984 auf 2 1/2 bis 3 % einschätzt, und es sei auch hinzugefügt — das ist natürlich die entscheidende Position —, daß sich dies auch auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken wird, wenngleich nicht in dem Ausmaß, daß wir dieses Problem etwa Ende nächsten Jahres schon als gelöst betrachten könnten.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sie kommen aber jetzt zum Thema!)

    Zu dieser Wirtschaftspolitik gehört natürlich die Außenwirtschaftspolitik, gerade und auch die Außenwirtschaftspolitik mit unseren Nachbarn in Osteuropa. Das gehört wahrlich auch zu unserem Thema; es ist ja von mehreren Rednern angesprochen worden. Daß hier die Beziehungen zur DDR eine besondere Qualität haben, daß die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der DDR besondere Sorgfalt erfordert, liegt auf der Hand. Es ist durch die Unterzeichnung des Postabkommens wohl deutlich geworden — auch der Zeitpunkt hat eine bestimmte Signifikanz —, daß die Bundesregierung diesen Weg konsequent und energisch weitergehen wird.
    Das gilt auch für die Wirtschaftskooperation mit unseren Nachbarn — ich sagte es — in Osteuropa und auch und gerade mit der Sowjetunion. Das Datum der Sitzung der gemischten Kommission zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR, nämlich in der letzten Woche in Moskau zu Verhandlungen über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Fragen ist nicht rein zufällig zustande gekommen. Als es um die Abstimmung dieses Termins ging, habe ich Wert darauf gelegt, daß wir in dieser Zeit tagen konnten, weil das eine politische Bedeutung im Zusammenhang mit den Entscheidungen hatte, die nach dem 15. November fällig würden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das Ergebnis dieser Sitzung heißt ganz klar ablesbar und ohne jeden Zweifel, daß die sowjetische



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Führung an der Ausweitung der wirtschaftlichen Beziehungen — sicherlich nicht nur mit uns; aber wir sind der wichtigste westliche Handelspartner der Sowjetunion — ein intensives Interesse hat. Ich sage nach meinen Erfahrungen nach nunmehr sieben Jahren solcher Tätigkeit: Das ist intensiver und drängender formuliert denn je. Es ist auch nicht zu übersehen, daß die bisherige Zusammenarbeit positive Ergebnisse gehabt hat.
    Es hat selbstverständlich, wie es gar nicht anders zu erwarten war, nicht nur wegen der Medienkulisse, sondern auch aus der Sache heraus, die Frage eine Rolle gespielt: Wie hängt das mit dem zusammen, was in Genf entschieden wird, und mit dem, was der Bundestag eine Woche später entscheiden wird? Diese Frage ist, wie Sie wissen, angesprochen worden. Ich habe in jedem einzelnen Fall eine, wie ich glaube, klare und eindeutige, aber niemals verletzende oder unhöfliche Antwort auf die Fragen gegeben.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Behandlung dieses Themas unterschied sich von der gleichen Behandlung im Juli dieses Jahres in einem Punkt. Noch im Juli wurde eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch den Stationierungsbeschluß für möglich gehalten. Dieses Mal wurden beide Themen säuberlich voneinander getrennt und wurde ein solcher Zusammenhang nicht hergestellt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr klug!)

    Ich ziehe daraus keine gewagten und leichtfertigen Folgerungen, aber ich stelle diesen Tatbestand fest, und ich glaube schon, daß jedenfalls dahinter das essentielle Interesse der Sowjetunion — auch unser Interesse, aber auch das der Sowjetunion — steht, diese Zusammenarbeit fortzusetzen und sie — das hoffe ich; ich habe dafür keine Garantie — nicht zu unterbrechen, auch nicht kurzfristig.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der Unterschied zwischen der Behandlung dieses Themas im Juli dieses Jahres und heute ist nach meiner festen Überzeugung auch darauf zurückzuführen, daß die sowjetische Führung trotz aller Bemühungen, die man hier zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung unternommen hat, seit den Gesprächen des Bundeskanzlers in Moskau in der zweiten Hälfte Juli Klarheit über die deutsche Position gewonnen hat. Sie ist nicht im unklaren gelassen worden. Und nichts anderes hilft im Umgang mit Freunden und mit Partnern, als klar zu sprechen und ihnen zu sagen, woran sie mit uns sind. Das ist geschehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich bin sehr einverstanden, wenn gestern angeregt wurde, man möge doch auch so etwas wie eine ökonomische Interdependenz herstellen. Wenn das eine wirkliche Interdependenz ist und nicht eine einseitige Dependenz, dann, glaube ich, liegt das voll im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, voll im Interesse unserer Wirtschaft, und zwar der Unternehmen und der Arbeitnehmer.
    Wirtschaftskooperation ist im übrigen — jeder kann es nachlesen — ein Teil des Harmel-Berichts. Der Bundeskanzler hat gestern zitiert — ich wiederhole den Satz —: „Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar." Das ist der wesentliche Kern des Harmel-Berichts und damit der politische Kern der Allianz, wie er damals formuliert worden ist. In diesem Zusammenhang will ich, jedenfalls aus meiner Sicht, deutlich machen, daß nicht etwa der Doppelbeschluß ein Eingeständnis des Scheiterns der Politik der Entspannung ist, sondern die Vorrüstung der Sowjetunion im Mittelstreckenbereich hat die Entspannung beschädigt, weil sie Mißtrauen gesät und die Sowjetunion ein Angebot schmählich mißachtet hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der Doppelbeschluß war ein erster, gänzlich neuer Ansatz bei den Diskussionen über Gleichgewicht, Gegenseitigkeit, Rüstungskontrolle. Vor dem Doppelbeschluß wäre ohne jedes Zögern und ohne jedes Reden an der Rüstungsschraube ein turn weitergedreht worden. Dieses Angebot ist von der Sowjetunion — wir alle wissen es — nicht honoriert worden. Das bringt uns zu den Entscheidungen, die wir heute mit allem Ernst und aller Verantwortung zu fällen haben.
    Die Bundesregierung wird diese Politik ganz gewiß mit Geduld, Augenmaß und Festigkeit fortsetzen.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Hoffmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Joachim Hoffmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Bundesminister, da Sie jetzt zum Schwerpunktthema der Verbindung zwischen Wirtschaft und NATO-Doppelbeschluß sprechen, möchte ich Sie fragen, ob in diesem Zusammenhang eine Intervention der amerikanischen Seite zur Nichtgewährung eines weiteren Milliardenkredits an die DDR erfolgt ist und ob es Wirtschaftsgespräche mit denjenigen Staaten gegeben hat, die durch die Stationierung von uns technisch ebenfalls betroffen werden können, beispielsweise Algerien, Libyen, Finnland oder Schweden. Sie müßten, wenn Sie den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsgesprächen und Nachrüstung herstellen, auf diese Frage ein Antwort geben; möglicherweise werden Sie sie dort schon gegeben haben.