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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, es reicht leider zeitlich nicht.
    Wer das sowjetische Raketenmonopol in Europa als selbstverständliches Recht der Sowjetunion ansieht, wer es quasi schon zum Status quo in Europa zählt und sich für immer damit abfinden will,

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    der ist bereits ein Opfer sowjetischer Machtpolitik
    geworden, auch wenn er sich dessen nicht bewußt



    Rühe
    ist, was ich gerne dem einen oder dem anderen von Ihnen zubilligen will.

    (Weitere Zurufe von den GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Fischer ist ein SS-20Freak!)

    Es war und ist das Ziel des NATO-Doppelbeschlusses, diese Bedrohung der Sicherheit und der politischen Handlungsfreiheit Westeuropas abzuwenden, entweder durch die Beseitigung der sowjetischen SS-20-Raketen auf dem Verhandlungsweg — das wäre die beiderseitige Null-Lösung — oder durch die Schaffung eines ausreichenden Gegengewichts in Westeuropa, das die sowjetische Raketendrohung militärisch neutralisiert und damit politisch unwirksam macht. Darum geht es bei der Entscheidung, die wir hier heute zu treffen haben.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Wir sind bereit, den einen oder den anderen Weg zu gehen. Wir sind bereit, jede Lösung zu akzeptieren, die unseren berechtigten Wunsch erfüllt, nämlich die sowjetische Drohkulisse, die unsere Entscheidungsfreiheit lähmen soll, zu beseitigen.
    Von Moskaus Interessenlage her gesehen, ist es folgerichtig gewesen, in der bisherigen Haltung stur zu bleiben. Der politische Nutzen der SS-20-Raketen beruht ja gerade darauf, Westeuropa unter eine exklusive atomare Bedrohung zu stellen, d. h. jede Ankoppelung an die amerikanischen Nuklearwaffen zu verhindern.
    Inzwischen muß aber auch die sowjetische Führung sehen, daß sie mit dieser Zielsetzung gescheitert ist. Mit der beginnenden Durchführung des zweiten Teils des NATO-Doppelbeschlusses machen die westeuropäischen Bündnispartner der NATO vielmehr deutlich, daß sie weder gewillt sind, die sowjetische SS-20-Drohung länger hinzunehmen, noch bereit sind, sich von der nuklearen Schutzgarantie der USA abkoppeln zu lassen. Aus dieser Entwicklung sollte die Führung der Sowjetunion jetzt die richtigen Schlüsse ziehen.
    Zur Zeit sieht es allerdings noch so aus, als ob dies der sowjetischen Führung schwerfällt. Da wird eine Eiszeit im Ost-West-Verhältnis angedroht, da werden neue und zusätzliche Raketenaufstellungen angekündigt, und da wird erklärt, bei einem Beginn der Stationierung auf westlicher Seite würden weitere Verhandlungen sinnlos und unmöglich. Es ist schon genug gesagt worden, daß die Verhandlungen sinnvoll bleiben und daß es keine Zumutung ist, weiter zu verhandeln. Wir haben genau dieses getan. An der westlichen Bereitschaft hat sich nichts geändert im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen. Wir sind nach wie vor bereit, die beiderseitige Null-Lösung zu vereinbaren. Wir sind auch zu jedem Zwischenschritt bereit, der uns einer solchen Null-Lösung näherbringt.
    Natürlich müssen wir ebenso darauf hinweisen, daß die USA in all den Jahren in Genf geduldig weiterverhandelt haben. Wir werden dieses zusammen mit unseren Verbündeten auch weiter tun. Aber wo liegt das sowjetische Interesse im Zusammenhang mit den politischen Entscheidungen, die sie fällen muß? Zieht es die Sowjetunion vor, das Modernisierungsprogramm in der NATO in voller Höhe aufwachsen zu lassen und selbst noch mehr SS 20, 21, 22, 23 — und was es sonst noch gibt — aufzustellen, oder liegt es nicht viel eher im sowjetischen Interesse, die NATO-Nachrüstung weitgehend zu begrenzen und das Geld für weitere Raketen sinnvoller anzulegen, als sie das in der Vergangenheit getan hat? Wenn dieses das Interesse der Sowjetunion sein sollte, so läßt sich dieses nur auf dem Verhandlungswege erreichen.
    Im übrigen muß sich die Sowjetunion fragen lassen, was sie mit der angekündigten zusätzlichen Aufstellung von operativ-taktischen Atomraketen in der DDR und der CSSR bewirken will. Will sie sich möglichst negativ vom westlichen Verteidigungsbündnis unterscheiden, das soeben den Abzug von 1 400 Sprengköpfen aus Europa beschlossen hat, oder will sie mit Vorbedacht die innere Lage in der DDR und der CSSR destabilisieren? Denn inzwischen müßte es sich auch bis Moskau herumgesprochen haben, mit welch großen Vorbehalten die Menschen wie die Regierenden in diesen beiden Staaten einer weiteren Vermehrung der Atomraketen auf ihrem Territorium entgegensehen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal folgendes feststellen: Wir möchten die sowjetische Führung ermutigen, aus der politischen Sackgasse ihrer SS-20-Raketenpolitik herauszukommen, die sich politisch als großer Fehler herausgestellt hat. Diese Politik würde im übrigen nur dann zu einem politischen Erfolg für die Sowjetunion werden, wenn wir dem Rat der Sozialdemokraten oder der GRÜNEN folgen und heute ein Nein zum zweiten Teil des Doppelbeschlusses sagen würden. Wir alle wissen, daß der Sowjetunion eine Korrektur ihrer Politik nicht leichtfällt, denn sie muß sich selbst eingestehen, daß ihre Raketenpolitik auch eine gigantische Fehlinvestition gewesen ist und daß sie politisch praktisch das Gegenteil von dem bewirkt hat, was sie eigentlich erreichen wollte:
    Erstens. Ihr Ziel, Westeuropa militärisch und politisch von den USA abzukoppeln, ist durch den NATO-Doppelbeschluß und die Festigkeit der Bündnispartner durchkreuzt worden.
    Zweitens. Der Zusammenhalt im NATO-Bündnis ist nicht geschwächt worden. Das Bündnis steht geschlossener denn je da, mehr noch, unter dem Eindruck der sowjetischen Bedrohung rückt Frankreich wieder näher an das Bündnis heran, und auch Japan ist aus seinem sicherheitspolitischen Schlaf aufgewacht.
    Drittens. Anstatt ihr Raketenmonopol in Europa zu sichern, muß sich die Sowjetunion mit neuen Raketen in Westeuropa abfinden, die jetzt auch sowjetisches Territorium erreichen können.
    Viertens. Moskaus Einfluß in Europa ist nicht vergrößert, sondern vermindert worden. Die Westeuropäer betrachten das sowjetische Imperium nach seinem militärischen Erpressungsversuch mit größerem Mißtrauen als vorher.



    Rühe
    Fünftens. Die Politik der Entspannung, von der die Sowjetunion in den 70er Jahren sehr viel profitiert hat, ist empfindlich gestört. Die Ost-West-Beziehungen haben sich nicht weiter entspannt, sie sind gerade durch die sowjetische Politik militarisiert worden. So etwas führt nicht zu mehr Kooperation, sondern zu mehr Konfrontation. Auch dieses kann nicht im sowjetischen Interesse liegen.
    Wenn die Politiker im Kreml also eine nüchterne Lagebeurteilung vornehmen, dann führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß die sowjetische Politik der letzten fünf bis sieben Jahre kontraproduktiv war, auch für die Sowjetunion. Und wenn die sowjetische Führung das recht verstandene Wohl ihres Landes im Auge hat, dann muß sie diese verfehlte Politik schnellstens korrigieren, anstatt sie in modifizierter Form weiter zu betreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Durch die konkrete Ausgestaltung seines Zwischenlösungsvorschlages hat es der Westen im übrigen der Sowjetunion überlassen, den Umfang einer westlichen Nachrüstung selber zu bestimmen. Man muß sich einmal fragen, ob der Warschauer Pakt umgekehrt bereit wäre, sich in eine solche Abhängigkeit von den USA zu begeben.
    Alles in allem: Wir bieten der Sowjetunion eine kooperative Sicherheitspolitik an. Wir bieten ihr eine Abrüstungspartnerschaft an. Wir haben der Sowjetunion Brücken gebaut, die sie ohne Prestigeverlust und unter voller Gesichtswahrung betreten kann. Notwendig ist, daß die sowjetische Führung die Kraft aufbringt, ihre verfehlte Raketenpolitik zu korrigieren und von der Konfrontation zur Kooperation überzugehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was die Menschen in Europa brauchen, das ist eine Perspektive für eine friedliche Zukunft, für gute Nachbarschaft und für einen fairen Interessenausgleich zum gegenseitigen Nutzen. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. In ganz Europa, in Ost und West, gibt es viel guten Willen, das kontroverse Raketenthema mit Themen zu überlagern, die uns verbinden. Die Bereitschaft wächst, einander zuzuhören,

    (Reents [GRÜNE]: Kommen Sie zum Schluß, Herr Rühe!)

    gegenseitiges Verständnis aufzubringen und einen offenen und konstruktiven Dialog zu führen.
    Die CDU/CSU wird ihren Beitrag zu einer positiven Gestaltung der Ost-West-Beziehungen leisten; denn wir sind davon überzeugt, daß man nach all den harten Auseinandersetzungen der Vergangenheit vor allem wieder ein Klima schaffen muß, das Vertrauen wachsen läßt und dadurch konkrete Abrüstungsergebnisse begünstigt.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Vertrauen durch Raketen!)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.

(Zurufe von der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Petra Karin Kelly


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Für die Herren, die es nicht wissen und die mich hier fragen: Ich saß hinten im Raum, weil das Licht hier sehr unökologisch ist.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Meine lieben Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich möchte zuallererst ein Plakat vorstellen, Symbol eines Luftgeschwaders, stationiert auf dem US-Militärflughafen in Hahn/ Hunsrück. Wirst du sagen, du hast nichts gewußt? Es stellt die Atombombe dar.

    (Abgeordnete der GRÜNEN zeigen gleiche Plakate hoch)

    Das ist die Symbolik einer friedensliebenden NATO.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das mit dem Plakat ist doch alt! — Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Das Fernsehen hat es mitbekommen! Jetzt kann das Ding wieder weg! — Unruhe)

    Sie sollten sich das vielleicht näher anschauen, um die Atombombe dort zu sehen.
    Ich begrüße auch die Herren, die gestern und heute vormittag zahlreich da waren, die Herren der Sondereinheiten des Bundesgrenzschutzes, die hier als Teil des Staates den Bundestag mit besetzt haben.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Diese Herren haben denen die Plätze weggenommen, die ein Recht haben, hier zuzuhören. Aber die Plätze oben sind nur sehr begrenzt.

    (Unruhe)

    Wenn ich mir anhöre, was die Regierungsparteien in dieser Debatte sagen, so ist das, als ob sie nicht berührt worden sind: täglich etwas mehr Gewöhnung an den Atomtod. Und die, die im November hier in diesem Haus getrauert haben, Herr Kohl, hatten kein Recht zu trauern, denn sie töten schon mit der Androhung im Kopf und in der Seele.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Unglaublicher Quatsch, was Sie da reden!)

    Unter den Zuhörern der Bundestagsdebatte zur Stationierung von Erstschlagwaffen sind u. a. nordamerikanische Indianer, Stammesvertreter der Hopi und der Navajo, die die Bundesrepublik bereisen, um Friedensgespräche in den Rathäusern zu führen. Verschiedene Kernpunkte indianischer Weltsicht haben innerhalb des letzten Jahrzehnts auch in der Friedensbewegung weltweite Bedeutung erlangt. Was wir der Erde antun, wird auf uns zurückkommen.

    (Unruhe)

    — Ich bitte die Herren, zur Ruhe zu kommen, sonst kann ich hier nicht weitersprechen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Dann lassen Sie es sein!)




    Frau Kelly
    — „Dann lassen Sie es sein" ist keine demokratische Antwort. Wir haben ebenso wie Sie das Recht, hier zu sprechen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)