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    Plenarprotokoll 10/36 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . 2460B, 2567 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der . Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . . 2459 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE (zur GO) . 2459C Porzner SPD (zur GO) 2459 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2460 B Horn SPD 2469 D Präsident Dr. Barzel 2585D, 2586 A Biehle CDU/CSU 2475 B Frau Nickels GRÜNE 2481 C Vizepräsident Stücklen 2482 A Schäfer (Mainz) FDP 2483 C Waltemathe SPD 2488 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 2492 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 2494 D Brandt SPD 2498 D Vizepräsident Wurbs 2503A, 2512 D Schily GRÜNE (zur GO) 2510 B Dr. Schäuble CDU/CSU (zur GO) . . . 2511 A Porzner SPD (zur GO) 2511 D Rühe CDU/CSU 2512 B Frau Kelly GRÜNE 2520 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2524 A Vizepräsident Westphal 2527 B, 2568 A Schröder (Hannover) SPD 2527 B Dr. Kronenberg CDU/CSU 2530A Dr. Apel SPD 2533 B Reents GRÜNE 2536 A Dr. Feldmann FDP 2539 D Klein (München) CDU/CSU 2541 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2547 B Horacek GRÜNE 2550 B Wischnewski SPD 2552 A Ertl FDP 2553 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 2556A Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 2560 C Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 2563 B Reents GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 2566 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2567 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO Dr. Haack SPD 2568 C Dr. Hirsch FDP 2569 B Krizsan GRÜNE 2569 D Sauermilch GRÜNE 2570 B Reents GRÜNE 2571 A Schwenninger GRÜNE 2571C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2572 B Dr. Jannsen GRÜNE 2572 D Bastian GRÜNE 2573 B Drabiniok GRÜNE 2573 D Frau Reetz GRÜNE 2574 B Schneider (Berlin) GRÜNE 2574 D Burgmann GRÜNE 2575 D Horacek GRÜNE 2576 C Stratmann GRÜNE 2577 A Frau Potthast GRÜNE 2578A Frau Schoppe GRÜNE 2579 A Frau Dr. Bard GRÜNE 2579 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 2580 C Frau Kelly GRÜNE 2581 D Frau Dr. Hickel GRÜNE 2582 C Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2583A Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 2584A Hoss GRÜNE 2584 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2585A Schily GRÜNE 2585 C Namentliche Abstimmungen 2586 B, 2588 B, 2590 B Einspruch des Abg. Vogt (Kaiserslautern) gegen den am 21. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 A Einspruch des Abg. Schily gegen den am 22. November 1983 erteilten Ordnungsruf 2567 B Nächste Sitzung 2592 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2593* A Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abg. Dr. Dieter Haack . . . . 2593* A Anlage 3 Erklärung des Abg. Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2593* B Anlage 4 Erklärung der Abg. Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO . 2594* A Anlage 5 Erklärung des Abg. Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO 2594* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2459 36. Sitzung Bonn, den 22. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 35. Sitzung, Seite 2448 B, 7. Zeile von unten: Statt „Allergie" ist „Allegorie" zu lesen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 2593* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. Anlage 2 Unterschriften zur Erklärung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung, vorgetragen von dem Abgeordneten Dr. Dieter Haack gez. Dr. Dieter Haack gez. Horst Grunenberg gez. Dr. Hans de With ) gez. Peter Würtz gez. Bruno Wiefel gez. Manfred Schulte (Unna) gez. Engelbert Sander gez. Horst Haase (Fürth) gez. Erwin Stahl gez. Dr. Axel Wernitz gez. Egon Franke (Hannover) gez. Lothar Löffler gez. Rudolf Purps gez. Kurt Vogelsang gez. Fritz Gerstl gez. Annemarie Renger gez. Dr. Müller-Emmert gez. Günter Herterich gez. Hans Matthöfer gez. Dr. Karl Ahrens gez. Erich Berschkeit Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Catenhusen (SPD) nach § 31 Abs. 1 Geschäftsordnung: Vor mehr als 20 Jahren formulierten die Heidelberger Thesen der Evangelischen Kirche: Das System der atomaren Abschreckung müsse für eine Anlagen zum Stenographischen Bericht gewisse Zeit hingenommen werden. Es verschaffe den politisch Verantwortlichen aber nur eine Gnadenfrist, um durch atomare Abrüstung das System der atomaren Abschreckung überwinden zu können. Diese Gnadenfrist ist in keiner Weise zu atomarer Abrüstung genutzt worden — im Gegenteil. Diese Gnadenfrist geht zu Ende. „Abschreckung" soll jetzt erreicht werden, indem man sich auf das lange Undenkbare — den Atomkrieg - vorbereitet, durch Strategien des Sieges im Atomkrieg ebenso wie durch die Entwicklung von Atomwaffen, die nicht mehr der politischen Abschreckung dienen, sondern zum Einsatz im Atomkrieg vorgesehen sind. Auch die Pershing-Il-Raketen dienen nicht mehr der politischen Abschreckung, sondern dem Einsatz im erwogenen Atomkrieg. Nicht nur ihr Einsatz, sondern schon ihre Produktion und ihre Stationierung sind für mich unverantwortbar. Wir haben kein Recht, die Vernichtung der Welt, der Schöpfung Gottes, planmäßig vorzubereiten. Ein Zweites bestärkt mich in meinem entschiedenen Nein zu weiterer atomarer Aufrüstung: Diplomatie, Rüstungskontrollverhandlungen sind für mich bislang letztendlich nur die Kulisse, hinter denen Entscheidungen über neue Rüstungstechnologien, neue Kernwaffensysteme getroffen werden. Dabei dominieren wirtschaftliche und militärische Interessen, politische Kontrolle findet weitgehend nicht statt. 15 Minuten, so berichtete Valentin Falin, habe das ZK der KPdSU dazu gebraucht, der Umwandlung einer geplanten neuen dreistufigen Langstreckenrakete in die zweistufige SS 20 zuzustimmen. Im Jahre 1978 erhielt die amerikanische Rüstungsfirma Marietta Martin den Auftrag, bis 1986 Pershing II herzustellen. Die Raketen sollten von vornherein in Europa stationiert werden. Eine politische Diskussion fand darüber weder in den USA noch in Europa statt. Der NATO-Doppelbeschluß beschleunigte lediglich den Fertigstellungstermin für die ersten Raketen um zwei Jahre. Mein Nein zur Raketenstationierung ist der Versuch, der Politik wenigstens die Chance zu geben, endlich auf den atomaren Aufrüstungsprozeß Einfluß nehmen zu können. Planspiele in Ost und West malen das Bild eines „fährbaren und gewinnbaren Atomkrieges". Uns wird versichert, kein vernünftiger Mensch könne jemals einen derartigen Versuch wagen. Aber wäre der Erste oder der Zweite Weltkrieg je zustande gekommen, wenn nicht auch deutsche Politiker und Militärs versucht hätten, das Unmögliche möglich zu machen? „Schlieffen-Plan" und „Blitzkriegstrategie" wollten doch das Unmögliche, einen Sieg Deutschlands über ganz Europa, möglich machen. Ich fürchte, daß erneut — auch im atomaren Zeitalter - Menschen der Versuchung erliegen könnten, das Undenkbare — den Sieg im Atomkrieg — denkbar und umsetzbar zu machen. Deshalb stimme ich gegen den Antrag der Regierungsfraktionen, mit der Aufstellung von Pershing II und Cruise Missiles auf deutschem Boden zu beginnen, und unterstütze das Nein meiner Fraktion. 2594* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1983 Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Sielaff, Immer (Altenkirchen), Frau Blunck, Oostergetelo und Heyenn (alle SPD) nach § 31 Abs. 1 GO: Die Vollversammlung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen ist im Sommer dieses Jahres aus christlicher Überzeugung zu einer Erklärung gekommen, in der es u. a. heißt: Ein Atomkrieg ist unter keinen Umständen, in keiner Region und durch kein Gesellschaftssystem zu rechtfertigen oder als gerecht zu erklären, denn das Ausmaß der daraus folgenden Zerstörung steht in keinem Verhältnis zu dem Vorteil, den man sich davon verspricht. Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und ungeeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu wahren. Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dieses sind keine Aussagen für das Leben in einem paradiesischen Jenseits, sondern für unser Handeln heute. Wir kommen als Christen zum gleichen Ergebnis und werden uns auch in unserem politischen Handeln danach richten. Der Antrag der SPD entspricht in den wichtigsten Passagen dieser Zielsetzung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO Zur Abstimmung über die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gebe ich folgende Erklärung ab: Bereits am 26. Mai 1981 habe ich zusammen mit vier weiteren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gegen eine Stationierung gestimmt. Die Vorgänge in den letzten zweieinhalb Jahren, insbesondere der mangelnde Verhandlungswille der beiden Supermächte in Genf, aber auch der deutliche Mehrheitswille unserer Bürger wie die Argumente der Friedensbewegung haben mich in meinem Abstimmungsverhalten noch bestärkt. Ich bin sehr froh, daß mein NEIN heute im Einklang mit dem NEIN meiner Partei, der SPD, und im Einklang mit dem Mehrheitswillen meiner Fraktion steht. Mein NEIN ist weder zeit- noch situationsbedingt, sondern ein kategorisches NEIN, weil ich die denkbaren, die möglichen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Stationierung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Die Gründe für mein NEIN fasse ich wie folgt zusammen: 1. Die neuen Nuklearwaffen sind, wie im übrigen auch die sowjetischen SS 20, geeignet, Millionen friedlicher Menschen auf Knopfdruck in wenigen Minuten auszurotten und weite Teile Europas auf Jahrtausende hinaus zu verwüsten. Kein wie immer gearteter Zweck kann ihren Einsatz rechtferigen. Wer diese Waffen annimmt, nimmt, auch wenn er ihn nicht will, den Völkermord billigend in Kauf. 2. Mit den neuen Nuklearwaffen soll erneuter Schrecken über die osteuropäischen Völker verbreitet werden. Damit läßt sich vielleicht vorübergehend Krieg abschrecken, aber niemals ein dauerhafter Friede zwischen den Völkern begründen. Der Friede wächst nicht auf Raketen, sondern nur auf Entspannung, Aussöhnung, Verständigung und Sicherheitspartnerschaft über alle unverwischbaren ideologischen Grenzen hinweg. 3. Die Sicherheit unseres Volkes ist vielfach gewährleistet. Sie bedarf dieser neuen Nuklearwaffen nicht. Diese Waffen machen unser Volk nicht mehr sicherer, sondern unermeßlich bedrohter, weil sie gegnerische Atomschläge letzten Endes nicht abschrecken, sondern im Konfliktfall auf sich ziehen. 4. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion nicht zur Abrüstung veranlassen. Der Versuch, mit mehr und immer mehr Waffen zu weniger Waffen auf der Welt zu kommen, ist ein durch die jüngere Geschichte längst widerlegter Wahnsinn. Die neuen Nuklearwaffen werden die Sowjetunion zu weiterer Aufrüstung mit Kurzstreckenraketen veranlassen. Diese wiederum wird den Grund oder Vorwand für erneute „Nach"rüstung im Westen abgeben. Auf diese Weise kommt es mit zwangsläufiger Sicherheit zu einer neuen mörderischen Dynamik im weltweiten Wettrüsten. Wie die Menschheitsgeschichte in Hunderten von Fällen lehrt, steht am Ende einer solchen Hochrüstung nicht der Friede, sondern der Krieg. Der nächste Krieg ist aber nicht irgendeiner, den man schlecht oder recht überleben könnte. Er kann in der Vernichtung der Menschheit enden. 5. Die Stationierung neuer Nuklearwaffen und die damit verbundene ausschließliche Einsatzgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, zerstört die sowieso schon eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik im Wesensgehalt. Wie kann im übrigen die uns allen gemeinsame Lehre des 2. Weltkriegs beherzigt werden, wonach von deutschem Boden nie mehr wieder ein Krieg ausgehen darf, wenn in unserem Vaterland nukleare Vernichtungswaffen als Angriffswaffen stationiert werden und ein einziger Amerikaner über den Einsatz dieser Waffen entscheiden darf oder binnen weniger Minuten Warnzeit entscheiden muß?
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    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bestreite nicht, daß das seine Logik ist.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Ich halte hier doch keinen Vortrag über Kissinger, sondern ich stelle seine Meinung zu einem Aspekt fest, von dem hier die Rede ist. Wenn Ihre Intelligenz nicht reicht, um das zu verstehen, tun Sie mir leid.

    (Beifall bei der SPD — Eigen [CDU/CSU]: Das ist aber eine Methode! — Broll [CDU/ CSU]: Es ist doch Ihre Politik kritisiert worden! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Wieder etwas Falsches gesagt!)

    Die Bundesregierung glaubt anscheinend immer noch an die Vorstellung, im atomaren Poker lasse sich durch den Beginn der Stationierung mehr herausholen. Ich behaupte an dieser Stelle: Die Allianz und mit ihr die Bundesregierung versäumen — ich



    Brandt
    fürchte leichtfertig, jedenfalls offenkundig — die historische Chance,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die haben Sie verpaßt!)

    die Sowjetunion erstmals in der Geschichte vertraglich auf die Verschrottung von zahlreichen modernen Atomwaffen zu verpflichten.

    (Berger [CDU/CSU]: In sieben Jahren!)

    Kann man wirklich, sage ich weiter, so blind für historische und weltmachtpolitische Zusammenhänge sein? Lohnte es nicht, sich neu zu fragen, weshalb Konrad Adenauer bei der ersten Raketenrunde in Europa strikt dagegen war, auch gegenüber den verbündeten und befreundeten Amerikanern — er, Adenauer, mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß unser Raum sehr klein sei —, daß die eine Weltmacht die andere von deutschem Boden mit Mittelstreckenraketen angreifen und bedrohen könnte? Und sehen Sie nicht nach allem, was historisch zwischen Rußland und Deutschland war, daß die andere Weltmacht nicht ruhen und nicht rasten wird, bis sie sich einen Ausgleich geschaffen hat, für den strategischen Vorteil, den die Vereinigten Staaten jetzt zu erringen glauben?

    (Broll [CDU/CSU]: Vorteil bei SS 20?)

    Noch einen anderen Aspekt möchte ich zur Sprache bringen, der viele Menschen in unserem Lande zusätzlich beunruhigt. Ich bringe ihn vor, weil mich das, was Herr Wörner dazu heute vormittag gesagt hat, nicht befriedigt hat. Und schon gar nicht befriedigt mich das, was dazu im Weißbuch in Ziffer 280, glaube ich, steht. Dort heißt es — und ähnlich hat es Herr Wörner gesagt —, die Möglichkeit eines Krieges durch einen technischen Fehler sei praktisch ausgeschlossen, weil aufgetretene Störungen sofort erkannt und beseitigt würden. Da muß ich dann doch noch einmal, nachdem meine Kollegin darauf gestern abend schon eingegangen ist — aber da waren andere, wie ich, schon nicht mehr hier und haben das an den Apparaten gehört —, unterstreichen, was die Kollegin Fuchs gestern abend gesagt hat. Sie hat auf die kritische Untersuchung des amerikanischen Senats verwiesen, eine Untersuchung, für die Senatoren Gary Hart und Barry Goldwater, kein Linksradikaler, verantwortlich zeichneten. Desgleichen müßte man hinweisen — ich glaube, Frau Fuchs hat das gestern abend getan — auf die Untersuchung des Kongresses vom März 1982, in der es mit unüberbietbarer Deutlichkeit heißt: „Die Norad-Computer-Systeme sind gefährlich unzuverlässig". Ich habe jetzt wörtlich zitiert.
    Mich wundert, daß Herr Wörner glaubt so apodiktisch sagen zu können: Entscheidungen trifft von jetzt ab ausschließlich der Mensch; automatische Reaktionen sind ausgeschlossen. Dies ist nicht das Urteil vieler Sachkundiger, die sich uns gegenüber äußern. Also frage ich die Bundesregierung unbeschadet der Intervention des Bundesverteidungsministers: Vorausgesetzt, das läuft jetzt so, wie die Bundesregierung will, will die Bundesregierung damit wirklich akzeptieren, daß in internationalen Krisenzeiten die Existenz der Bundesrepublik von der Zuverlässigkeit sowjetischer Computer abhängt? Die sind doch wohl nicht besser als die amerikanischen.
    Im übrigen, wer die Kritik lieber aus deutschen Quellen hat, den erinnere ich an die Stellungnahmen von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern des Forschungsprojektes Programmverifikation der Universitäten Karlsruhe und Kaiserslautern. Ich weiß, wir kriegen viel Papier. Aber es lohnt, solche Dinge, die man uns schickt, zu lesen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Schily [GRÜNE])

    Wer sie liest, der kann doch darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
    Freilich, es wachsen immer wieder ein paar nach, die meinen, sie seien klüger als, sagen wir, Albert Einstein, Robert Oppenheimer und Otto Hahn zusammen.

    (Berger [CDU/CSU]: Aber die SS 20 stützt sich schon jetzt auf sowjetische Computer!)

    Und während viele von uns lange brauchten, bis sie die tiefe Bedeutung des Einsteinschen Satzes erfaßt hatten, daß sich durch die Entdeckung des Atoms alles verändert habe, nur nicht das Denken der Menschen, strampeln andere unbeirrt, um sich durch Naturwissenschaften und Informatik ebensowenig anfechten zu lassen wie durch katholische Bischöfe in den USA oder protestantische in der DDR.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ein Letztes in diesem Zusammenhang: Hat sich die Bundesregierung eigentlich Gedanken darüber gemacht, wie vielen Menschen — ich könnte jetzt auch sagen: Millionen Menschen — in unserem Lande zumute sein wird, wenn sie trotz in der Geschichte beispielloser friedlicher Kundgebungen

    (Berger [CDU/CSU]: Wie gestern!)

    nicht ein Stück des Nachdenkens bei den Regierenden erzeugt haben?

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich weiß auch, wie das Wahlergebnis am 6. März war. Aber wahr ist auch, daß eine große Mehrheit der Menschen Nachverhandeln statt Nachrüsten fordert.

    (Beifall bei der SPD)

    Das bestätigen uns nicht nur Untersuchungen, sondern auch die eigenen Gespräche. Ich finde, es ist kein Ruhmesblatt derer, die sich für eine politische Elite halten mögen, wenn sie in einer existentiellen Frage wie der des Wettrüstens hinter der Einsicht des Volkes zurückbleiben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es sind doch, meine Damen und Herren, keine Analphabeten, die uns in diesen Wochen einen Brief nach dem anderen, einen besorgten, um nicht zu sagen, bewegenden Brief nach dem anderen schreiben. Das sind Menschen aus allen Schichten und Altersgruppen. Das sind Deutsche (West) und Deutsche (Ost). Das sind Europäer und Amerikaner.



    Brandt
    Das sind Mütter und Väter, Großmütter und Großväter. Das sind Arbeiter und Unternehmer, Künstler und Soldaten, Hausfrauen, Rentner, Kaufleute, Bankbeamte und vor allem und erneut: Es sind Naturwissenschaftler und Ingenieure aller akademischen Grade.
    Ich frage mich, wem es gut tut, wenn das Engagement und der versammelte Sachverstand dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger mit der ganzen Arroganz der Macht in den Abfall geworfen wird.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wenn nach Isolation gefragt wird — ich fühle mich nicht isoliert gegenüber diesen Bürgern, die uns schreiben, und gegenüber den Wissenschaftlern, die uns ihre Sorge vermitteln.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist eine Mehrheit, die bedrückt, was auch uns bedrückt. Vermeintliche Sicherheit auf der Basis von immer mehr und immer raffinierteren Waffensystemen ist weder vernünftig noch hat sie gar eine überhöhte Moral auf ihrer Seite. Der Bundeskanzler wie Herr Minister Genscher sollen bitte nicht so tun, als ob sie sich um alle unbequemen Fragen herumdrücken könnten, indem Sie auf ein im übrigen unbestrittenes Wahlergebnis und damit auf einen unbestrittenen Wählerauftrag vom 6. März verweisen. Herr Bundeskanzler und Herr Minister Genscher, Sie haben bei den Arbeitsplätzen und zu den Raketen mehr versprochen, als Sie halten konnten.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Was denn?)

    Daran werden Sie sich in der vor uns liegenden Zeit immer neu messen lassen müssen.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Herr Brandt, zitieren Sie bitte diese Versprechen!)

    Die Risse in unserem Volk sind leider bereits jetzt absehbar. Die Regierungen in Bonn und in Washington werden mit ihrem Kurs dazu beitragen, daß die breite Zustimmung zum westlichen Bündnis nicht bestärkt, sondern daß sie reduziert wird. Man darf doch nicht den Kopf in den Sand stecken. Sie wissen doch, um ein Beispiel zu nennen, daß in den Niederlanden, auch einem Stationierungsland, die christlichen Demokraten so denken wie die Sozialdemokraten.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch, was Sie hier sagen!)

    — Daß ein Teil der christlichen Demokraten so denkt wie die Sozialdemokraten.
    Im norwegischen Parlament — in Norwegen wird nicht stationiert, Herr Kollege Klein, aber dort werden Instruktionen gegeben auf Grund von Parlamentsbeschlüssen für die Haltung im NATO-Rat — wurde mit einer einzigen Stimme Unterschied, mit 78 : 77 Stimmen — —(Zuruf von der CDU/CSU: Mehrheitsrecht!)

    — Natürlich, Mehrheiten müssen respektiert werden. Was gewinnen Sie eigentlich für das Bündnis, wenn Sie ein paar Waffen mehr haben, aber in den Herzen und in den Köpfen der Menschen das Bündnis schwächen?

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: So stellt Brandt das Problem dar! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich wiederhole hier: Wir Sozialdemokraten stehen zur Allianz der freiheitlichen Demokratien.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aaaa!)

    Wir stehen aber nicht dazu, daß die Allianz für einen neuen Konfrontationskurs oder gar für einen neuen Kalten Krieg eingespannt wird —

    (Beifall bei der SPD)

    mit all den degradierenden und übrigens auch demoralisierenden Wirkungen, die dies auch für die Bundeswehr und ihre Soldaten hätte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Will das denn jemand?)

    Ich habe am 28. September bei einem Sonderhearing im amerikanischen Kongreß einen Vorschlag gemacht,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Welchen?)

    einen Vorschlag dazu, wie man aus dem starren Freeze-Gedanken einen Vorgang in mehreren Stufen machen kann. Das findet inzwischen Unterstützung, übrigens auch von Regierungschefs und Außenministern, die dies waren, als der Doppelbeschluß gefaßt wurde, und von denen einige dies auch wieder sein werden.
    Der Bundeskanzler war freundlich genug, mir, nachdem ich ihm den Text geschickt hatte, hierzu seine kritischen Anmerkungen zu geben. Er war nur mit anderthalb von den vier Punkten einverstanden, aber das ist auch schon was. Trotzdem möchte ich hier zu diesem Gedanken des Freeze, bezogen auf Tests, Entwicklung, Produktion und Stationierung, sagen: Das Ausbleiben eines umfassenden Teststopps für Atomwaffen, der am Anfang eines nuklearen Freeze stehen muß, hat nicht, wie immer wieder behauptet wird, etwas mit mangelnden Verifikationsmöglichkeiten zu tun, sondern hat mit mangelndem politischen Willen zu tun, und das sind zwei verschiedene Dinge.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Zum anderen kann man ein weltweites Einfrieren unterirdischer Tests von Atomsprengköpfen, einen Stopp von Flugtests sowie einen Stopp der Stationierung weiterer ballistischer Raketen — auch von Langstreckenbombern, Cruise Missiles usw. — nicht wie Sie, Herr Bundeskanzler, mit dem Hinweis abtun, dies würde „die gegenwärtige instabile Lage" aufrechterhalten. Wer trotz mehrfacher Over-



    Brandt
    kill-Kapazität so argumentiert, der wird, so fürchte ich, nie den Durchbruch zur Abrüstung schaffen,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern immer wieder ein neues sogenanntes Gleichgewicht finden müssen, das erst einmal herzustellen wäre.
    Das Anliegen, das andere und ich auf den Weg gebracht haben, ist es aber gerade, den Teufelskreis zu durchbrechen, der darin besteht, daß jeweils eine Seite die Überlegenheit der anderen behauptet und damit nur die eigene Weiterrüstung begründet. Wenn wir in diesem Wettlauf wahnwitziger Rüstungen nicht endlich die Signale auf Halt stellen, dann schaffen wir den Frieden nicht, Herr Bundeskanzler, sondern laufen Gefahr, ihn zu verspielen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage noch einmal: Wir Sozialdemokraten haben keine Schwächung, sondern im eigentlichen Sinne eine Stärkung des Bündnisses im Sinn, wenn wir mahnen, daß in dieser Phase der Erstarrung beider Weltmächte die Europäer enger zusammenrücken sollten.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Die Allianzen werden nicht gesprengt, auch nicht gelockert, wenn die Europäer ihr Gewicht mehren. Eine gewisse Verschiebung der Gewichte entspräche der geschichtlichen Notwendigkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das Mitterrand!)

    Auch das sage ich an diesem 20. Todestag von John F. Kennedy, der damals mit der Idee der beiden Pfeiler kam. Es sind ja nicht nur die Europäer, an denen das gescheitert ist. Es ist auch deswegen gescheitert, weil die Amerikaner nicht an diesem Thema geblieben sind, zu dem man so oder so wird zurückkehren müssen.
    Übrigens, daß dies mit der Verschiebung der politischen Gewichte eine geschichtliche Notwendigkeit ist, das wird auch in Osteuropa weithin gesehen. Es wird auch in dortigen Führungen nicht viel anders gesehen.
    Wir im Westen Europas sollten nicht müde werden, unseren Konsens zu finden. Das gilt vor allem für Frankreich und die Bundesrepublik, also den Kern der Europäischen Gemeinschaft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Fangen Sie doch einmal mit Herrn Mitterrand an!)

    — Sie kommen gleich auf Ihre Kosten, denn ich sage Ihnen: Der Präsident der französischen Republik folgt in dieser Frage — bei der sogenannten Nachrüstung — anderen Einsichten als wir. Das weiß ich wohl.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Aha!) Das ist so überraschend nicht.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

    — Ich habe von Ihnen früher nicht so positive Urteile über Mitterrand gehört, wie Sie sie heute von sich geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Früher haben Sie ihn hier vielmehr als einen vorgeführt, der in Frankreich die Volksfront einführen wollte. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?

    (Zuruf von der SPD: Nein, nein, das ist schon richtig!)

    Ich meine also, das ist so überraschend nicht, zumal für diejenigen nicht, deren Hochachtung vor de Gaulle ja auch nicht bedeutete, daß sie seine Empfehlungen unbesehen übernommen hätten. Ich sage in aller Offenheit: die offizielle französische Argumentation ist aus der Logik der französischen Tradition — auch der Nachkriegstradition — so unverständlich nicht. Ich füge hinzu, wenn bei uns aus guten Gründen oft von den Ängsten die Rede ist, die Rußland plagen könnten, dann sollte es uns an Verständnis für eine andauernde Beunruhigung auch nicht ganz mangeln, denn dies spielt natürlich aus deren Sicht wegen einer gewissen Einbindung mehr noch als eine spezifische Rolle in der Strategie. Freilich, dies muß alles sachlich beraten werden und nicht aus einer Attitüde, als ob wir uns erneut Besatzungsbehörden gegenübersähen.
    Wir, die deutschen Sozialdemokraten, gehen keinen Schritt ab von der deutsch-französischen Freundschaft und Kooperation. Meinungsverschiedenheiten in noch so wichtigen Einzelfragen dürfen jenes innere Gleichgewicht nicht erschüttern, das durch das freie Zusammenleben mit unseren Nachbarn garantiert ist. Wir haben unser Nein nach bestem Wissen und Gewissen reiflich bedacht. Sie irren, wenn Sie glauben, wir befänden uns damit in der Isolation. Wir tun es auch nicht im Kreise der sozialdemokratischen Parteien. Wenn ich morgen nachmittag nach Brüssel fahre, um in den folgenden zwei Tagen einer Sitzung der Sozialistischen Internationale vorzusitzen, dann wird eine meiner Aufgaben darin bestehen, Herr Bundeskanzler, dafür zu sorgen, daß meine französischen Freunde nicht überstimmt werden, weil wir in Respekt voreinander sagen: Für einen bestimmten Zeitabschnitt sieht der eine das so, der andere so.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Und die italienischen Sozialisten?)

    Sind wir etwa in den Vereinigten Staaten isoliert?

    (Klein [München[ [CDU/CSU]: Aber wirklich!)

    Die Mehrheit des Repräsentantenhauses steht auf der Seite des Freeze und nicht auf Ihrer Seite, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Repräsentantenhaus und im Senat und draußen im Volk, da wird doch um die richtige Meinung gerungen wie bei uns, aber nicht so vergiftet, wie Sie es häufig uns gegenüber tun.

    (Beifall bei der SPD — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)




    Brandt
    Mir tut es natürlich leid, daß wir in der Frage, um die wir hier streiten, zu einem anderen Ergebnis kommen als unsere französischen Freunde. Die französischen Freunde aber sollten wissen — und ich habe es Ihnen gesagt; ich war gestern vor einer Woche in Paris —, daß unser Nein in der Raketenfrage auf unserem Ja zu Europa beruht. Wir entziehen uns damit nicht der Partnerschaft, die zum Fundament der Bundesrepublik gehört. Unser Nein, um es so zu sagen, ist ein Votum in der Allianz, nicht gegen die Allianz.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist geboten, weil auch wir einen Anspruch darauf haben und es als Pflicht empfinden, unsere Interessen zu bestimmen und zu vertreten. Ich bin fest davon überzeugt, die in den Jahren vor uns fällige Europäisierung Europas

    (Zuruf 'des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU])

    wird keinen Machtgewinn der Sowjets bedeuten. Wenn ich es noch ein bißchen deutlicher sagen darf: Die Sowjets haben eh schon mehr geschluckt, als sie verdauen können.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Europäisierung Europas wird auch damit zu tun haben, wie wir im Westen enger zusammenrükken und zwischen Ost und West in Europa all die Formen von Kooperation auf den Weg bringen, die objektiv möglich, wenn nicht gar geboten sind.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Also raus aus der NATO!)

    Graf Lambsdorff hat vor mir Bemerkungen zur weltwirtschaftlichen Strukturkrise gemacht. Die Bemerkungen schlossen sich an an das, was Helmut Schmidt gestern dazu gesagt hat. Ich hätte es begrüßt, wenn der Bundeswirtschaftsminister konkreter geworden wäre, wo es um folgendes geht,

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Konkret müßten Sie auch werden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nicht nur konkret lesen, sondern auch konkret zuhören!)

    und da knüpfe ich noch einmal an Kennedy an. Als der vor 20 Jahren da war, im Juni 1963, brachte er die Formulierung mit:
    Ein immer weiteres Wettrüsten auf der Welt wird in der Selbstvernichtung der Menschen enden.
    Jetzt sind 20 Jahre vergangen, und die Aufwendungen der Blöcke und Mächte für Rüstungen haben sich in diesen 20 Jahren verdreifacht. Jetzt stellt sich doch, unabhängig davon, wer regiert hat, und unabhängig davon, wer heute regiert, die Frage, die einem immer mehr die Fachleute stellen, auch die, die zur Jahrestagung des Fonds und der Bank in Washington gewesen sind: Kann es denn weltwirtschaftlich auf die Dauer so weitergehen, daß immer mehr Geld für die Rüstung verpulvert wird?

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: Wir wollen das auch nicht! Wer beginnt denn das Wettrüsten?)

    — Ich sage dies doch nicht als Polemik. Darf man denn hier, Herr Kollege, nicht auch etwas sagen, wo wir einer Meinung sind? Ich wende mich doch gern an die Regierung, um zu sagen: Bitte, wo immer Sie Initiativen ergreifen können, europäisch und weltweit, nicht nur bei der UNO — das ist ein bißchen unverbindlich —, daran mitwirken, daß Weichen für einen Ressourcentransfer von der Rüstung hin zur Entwicklung gestellt werden!

    (Beifall bei der SPD)

    Das jetzt auszumalen, ist nicht möglich. Man wird jedenfalls nicht mehr belächelt wie vor einigen Jahren, wenn man dies zu einem der wichtigen Themen macht, die wir vor uns haben.
    Meine Damen und Herren, zum Schluß: Ein sich gegen die USA formierendes Europa, womöglich mit dem Ehrgeiz einer weiteren atomaren Supermacht, kann und wird es in unserem Verständnis und nach unserem Willen nicht geben. Aber ein Europa als mäßigende Kraft und als sich stabilisierende Größe wird die weltpolitischen Machtstrukturen vorteilhaft verändern helfen können.
    Jetzt möchte ich gerne, daß nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern viele im Land und viele, die wie viele Sozialdemokraten sich, von anderswo kommend, in der Friedensbewegung engagiert haben, sich miteinander zu Friedenspolitik durchringen, einer Friedenspolitik, die meiner Meinung nach auf folgenden Grundlagen basieren muß.
    Erstens. Aufgabe der deutschen Politik muß es sein, die Ost-West-Konfrontation abzubauen und das Verhältnis zwischen den Bündnissen in eine europäische Friedensordnung überzuleiten. Dazu brauchen wir Sicherheitspartnerschaft, wiederhole ich, statt Konfrontationspolitik.
    Zweitens. Beide Weltmächte müssen Teil einer solchen Friedensordnung sein und sie garantieren.
    Drittens. Dazu ist jetzt notwendig, die Entspannungspolitik nicht weiter verkommen zu lassen, sondern sie fortzusetzen oder sie wieder in Gang zu bringen und zu vertiefen, mit Festigkeit, Kompromißbereitschaft und mit allen Möglichkeiten, die sich der sachlichen Kooperation bieten.

    (Berger [CDU/CSU]: Das ist genau das, was wir machen!)

    Viertens. Im Bündnis ist eine wirksame, kriegsverhütende, defensive Strategie geboten, eine solche, die den objektiven sicherheitspolitischen Wandel nicht beeinträchtigt, sondern begünstigt. Und da kommt dann die Prüfung der Frage von Zonen — auch wenn es dem einen oder anderen noch so schwer fällt —, die von Atomwaffen und von chemischen Waffen freigemacht werden — und wenn man nur in der bescheidenen Form, wie die PalmeKommission es vorgeschlagen hat, mit den atomaren Gefechtsfeldwaffen anfängt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, die Diskussion hierüber kann nicht länger mit dem Argument weggedrückt werden, daß die Atommächte mit weitreichenden Raketen auch in eine atomwaffenfreie



    Brandt
    Zone hineinschießen könnten. Das Konzept der atomaren Verteidigung Westeuropas ergab mehr Sinn, solange man damit von einem konventionellen Angriff abschrecken konnte, weil die Gegenseite noch nicht die gleichen Mittel hatte. Seit sie diese Mittel aber hat, ist unter dem Aspekt der Verteidigung — und um den geht es uns doch — auch durch noch so viele Atomwaffen kaum etwas zu gewinnen. Insofern gilt es umzudenken, meine Damen und Herren. Sie sollten, bitte, nicht weiterhin so tun, als bestünde die große Mehrheit unseres Volkes aus Dummköpfen,

    (Rossmanith [CDU/CSU]: Das tun wir gar nicht! Die haben uns gewählt!)

    weil diese Mehrheit einer atomaren Verteidigung mißtraut, die im Ernstfall Selbstvernichtung bedeuten würde. Deshalb, wenn es irgend geht — ich bin ja gar nicht mehr so sicher, daß es geht —: halten wir die atomare Rüstungsschraube an, kehren wir das Wettrüsten um, unterwerfen wir uns

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Der Meinung der Minderheit!)

    der Vernunft und der berechtigten Sorgen um das Überleben. Sorgen wir, wenn es geht, gemeinsam für eine Verteidigungspolitik, die wieder von der großen Mehrheit unseres Volkes getragen werden kann; denn das wäre gut für unser Volk.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Das wäre gut für unsere demokratische Ordnung. Das wäre gut für Deutschland und Europa.
    Danke schön.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schily zu einem Geschäftsordnungsantrag nach § 29 unserer Geschäftsordnung.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Es geht um § 26. Aber das ist ja auch egal!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich beantrage, unsere heutige Beratung mit Rücksicht auf folgenden Sachverhalt zu unterbrechen. Vor kurzem, gegen Mittag, sind 15 Mitarbeiter unserer Fraktion festgenommen worden,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Warum?)

    und zwar wegen des einfachen Sachverhalts, daß diese Mitarbeiter

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Innerhalb der Bannmeile!)

    dieses Tuch als Bekleidungsstück getragen haben. Sie sind der Meinung gewesen, sie könnten mit einem solchen Bekleidungsstück auch in der Bannmeile zusammen gehen, d. h. sie müßten nicht getrennt gehen. Ich habe mich gefreut, daß viele unserer Fraktion, auch viele aus der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei dieses Tuch tragen, das viele auf dem Evangelischen Kirchentag getragen haben
    und auf dem steht: „Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja — gegen Massenvernichtungsmittel".

    (Berger [CDU/CSU]: Warum tragen Sie das Tuch nicht?)

    Ich lasse es nicht zu, daß Mitarbeiter unserer Fraktion vor dem Parlament verhaftet werden. Das ist eine Mißachtung des Parlaments.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Hier sind sehr viele salbungsvolle Reden über Demokratie gehalten worden. Aber unsere Mitarbeiter werden verhaftet, wenn sie von ihrem Recht Gebrauch machen, das zu tragen, was sie tragen wollen.